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Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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IV.
Wo Trigaud zeigt, daß er an Hercules Stelle wahrscheinlich vierundzwanzig statt zwölf Arbeiten verrichtet haben winde

Es war etwa vier Uhr Nachmittags, als Michel, in das provisorische Gefängniß des Postens zu St. Colombin geführt, alle Annehmlichkeiten der ihm angewiesenen Wohnung beurtheilen konnte.

Als der junge Baron in dieses »Hundeloch« trat, konnten seine an das helle Sonnenlicht gewohnten Augen nichts erkennen, erst nach und nach dämmerte ein Gegenstand nach dem andern vor seinen Blicken auf.

Es war ein etwa zwölf Fuß in’s Gevierte haltender Keller, der vermuthlich ursprünglich zur Aufbewahrung von Gartenfrüchten gedient hatte, gegenwärtig aber den Anforderungen, die man an einen »sichern Gewahrsam« zu stellen pflegt, vollkommen entsprach. Er war halb über und halb unter der Erde, und das Mauerwerk war dicker und fester, als es bei derlei Gemüsekellern sonst der Fall zu seyn pflegt, weil es zugleich als Grundmauer für einen Theil des Hauses diente.

Die bloße Erde bildete natürlich den Fußboden, und in Folge der Feuchtigkeit des Ortes war diese Erde beinahe schlammig. Die Decke bestand aus sehr nahe an einander gelegten Balken.

Gewöhnlich fiel das Licht durch ein am Erdboden befindliches Kellerloch, dieses war aber wegen der zeitweiligen Bestimmung von innen mit starken Brettern, von außen mit einem aufrecht gestellten großen Mühlstein verschlossen.

Ein im Centrum des Mühlsteines befindliches Loch, welches vor dem oberen Theile des Kellerloches war, ließ nur einen schwachen Lichtstrahl an den Seiten des Brettes hindurch in die Mitte des Kellers.

Gerade in der matt erleuchteten Mitte stand eine Ciderpresse, nämlich ein wurmstichiger, an einem Ende viereckig behauener Baumstumpf, und ein runder steinerner Trog. Der ganze Apparat war durch die Promenaden der Schnecken, welche diesen Ort sehr liebgewonnen, mit silberfarbenen Arabesken verziert.

Für jeden andern Gefangenen als für Michel würde die Musterung der Localität sehr trostlos gewesen seyn, denn sie ließ wenig oder gar keine Hoffnung des Entkommens; aber er betrachtete seinen Kerker nur mit gedankenloser Neugierde: der erste Schmerz, der sein Gemüth so tief ergriffen; hatte jene geistige Abspannung zur Folge, wo man ziemlich gleichgültig gegen die Umgebungen ist. Als er die süße Hoffnung, von Mary geliebt zu werden, aufgegeben hatte, lag ihm wenig daran, ob er sich in einem Palast oder in einem Kerker befand.

Er setzte sich auf den steinernen Trog und sann nach, wer wohl der junge Mann im Bauernkittel seyn könne, der Mary begleitet hatte. Er dachte zurück an die ersten Tage seiner Bekanntschaft mit den Zwillingsschwestern; aber diese Erinnerung vermehrte nur noch seine Herzenspein, der große florentinische Dichter, der die Höllenqualen so wahr und trefflich schildert, sagt mit Recht, daß die Erinnerung an glückliche Zeiten mitten im Unglück der größte Schmerz ist.

Doch wir wollen ihn seinem Kummer überlassen, um zu sehen, was sonst auf dem Posten von St. Colombin vorging.

Dieser Posten war seit einigen Tagen von einer Abtheilung Linientruppen besetzt, und befand sich in einem ziemlich großen Gebäude, dessen Vorderseite dem Hofe zugewandt war, und dessen Rückseite an des nach Grand-Lieu führenden Weg stieß. Die Entfernung dieses Gebäudes von der Landstraße zwischen Nantes und Sables-d’Olonne betrug etwa ein Kilometer.

Das aus den Ueberresten und auf den Trümmern einer alten Burg erbaute Haus stand auf einer Anhöhe, welche einen Ueberblick über die ganze Umgegend darbot.

Diese vortheilhafte Lage hatte die Aufmerksamkeit des Generals erregt, als er von seinem Streifzuge in den Wald von Machecoul zurückkam. Er hatte hier etwa zwanzig Mann zurückgelassen, und aus dem Gebäude eine Art Blockhaus, in welchem die Streifwachen nöthigenfalls ein Nachtlager oder eine Zuflucht finden konnten, und zugleich ein provisorisches Gefängniß gemacht. Die Arrestanten konnten hier aufbewahrt, werden, bis der regelmäßige Verkehr zwischen St. Philibert und Nantes die Absendung derselben unter hinlänglich starker Escorte gestattete, um gegen einen Ueberfall gesichert zu seyn.

Der Posten zu St. Colombin hatte ein geräumiges Zimmer und eine Scheune zu seiner Verfügung. Das Zimmer befand sich gerade über dem Keller, in weichem Michel eingesperrt war, und zwar in einer Höhe von fünf bis sechs Fuß über der Erde. Zu dieser Wachstube führte eine aus den Trümmern des Schloßthurmes gemachte und parallel mit der Wand angelegte Treppe.

Die Scheune diente als Caserne, in welcher die Soldaten auf Stroh schliefen.

Der Posten wurde militärisch bewacht; vor dem Hofthor stand eine Schildwache, und oben auf einem mit Epheu bekränzten Thurm, dem einzigen Ueberreste der alten Burg, war ebenfalls ein Soldat aufgestellt.

Gegen sechs Uhr Abends saßen die Soldaten auf den vor dem Hause liegenden Ackerwalzen. Dies war ihr Lieblingsplatz, denn hier konnten sie den Sonnenuntergang und den See Grand-Lieu mit seinen malerischen Umgebungen sehen. Unten im Thale schlängelte sich die Landstraße wie ein breites Band durch die grünen Felder und Wiesen. Wir müssen jedoch gestehen, daß die Rothhosen weit aufmerksamer auf die staubige Landstraße, als auf die Pracht der Natur waren.

Als es Abend wurde, kehrten die Landleute von ihren Aeckern heim, die Heerden kamen von der Weide, und überdies war die Landstraße von den aus Nantes zurückkommenden Marktleuten sehr belebt. Jeder mit Heu beladene Wagen, jede Gruppe von Bauern und zumal jedes kurzgeschürzte Bauernmädchen gab Anlaß zu Bemerkungen und Späßen. Das Gespräch war in vollem Gange.

»Ei, siehe da!« sagte ein Soldat, »was sehe ich dort unten?«

»Es ist ein Dudelsackpfeifer,« sagte ein Anderer.

»Ein Dudelsackpfeifer?« versetzte ein Dritter. »Glaubst Du denn noch in der Bretagne zu seyn? Du mußt wissen, daß hier die Leute keine Musik machen, man hört höchstens einige näselnde Klagelieder.«

»Was trägt er denn auf seinem Rücken, wenn’s kein Instrument ist?«

»Es ist wirklich ein Instrument,« sagte ein vierter, Soldat, »aber es ist eine Orgel.«

»Eine curiose Orgel!« erwiderte der Erste, »ich sage Dir, daß er nichts als seinen Bettelsack trägt. Es ist ein Bettler, man sieht’s ja an seiner Uniform.«

»O, ein Bettelsack, der Augen und eine Nase hat, wie Du und ich,« entgegnete ein Anderer. »Sieh doch nur, Limousin!«

»Limousin hat derbe Fäuste, aber er kann nicht weit sehen,« sagte ein Anderer, »man kann nicht Alles in sich vereinigen.«

»Kurz und gut,« sagte der Corporal, »es ist ein Mann, der einen Andern auf den Schultern trägt.«

»Der Corporal hat Recht!« erklärten die Soldaten einstimmig.

»Ich habe immer Recht,» setzte der Mann mit den wollenen Borten hinzu, »erstens als euer Corporal und zweitens als euer Vorgesetzter. Und wer noch daran zweifelt, kann sich mit seinen eigenen Augen überzeugen, denn die Beiden kommen hierher.«

Der Bettler in welchem die Leser bereits den Goliath Trigaud erkannt haben, trug weder einen Dudelsack, noch eine Drehorgel, noch einen Schnappsack, sondern seinen Reiter Aubin Courte-Joie; er hatte sich inzwischen links gewandt und kam den Abhang herauf.

»Ein wahres Raubgesindel hier zu Lande!« sagte ein Soldat. »Der Strolch dort würde uns gewiß eine bleierne Pille zuschicken, wenn er hinter einer Hecke versteckt wäre. Nicht wahr, Corporal?«

»Wohl möglich,« antwortete dieser mit wichtiger Miene.

»Und da er uns nichts anhaben kann,« fügte der Soldat hinzu, »so bittet er uns um ein Almosen, der Lump!«

»Ich gebe ihm doch einen Sous von meinem Taschengelde,« sagte der Soldat, der zuerst gesprochen hatte.

»Warte,« sagte ein Anderer, der einen Stein aufnahm, »ich will ihm das in den Hut werfen.«

»Ich verbiete es Dir,« sagte der Corporal.

»Warum denn?«

»Weil er keinen Hut hat.«

Die Soldaten gaben ihr Wohlgefallen über diesen Witz durch lautes Gelächter zu erkennen.

»Wir wollen den armen Teufel nicht abschrecken,« setzte ein Soldat hinzu, »gleichviel, was er spielt. Findet Ihr denn dieses elende Nest so unterhaltend, daß Ihr ein zufällig kommendes Schauspiel verschmäht?«

»Ein Schauspiel?«

»Oder, ein Concert. Jeder Bettler hier zu Lande ist ein Stück von einem Traubadour; er muß uns Alles singen, was er kann und nicht kann – damit vergeht der Abend.«

Der Bettler, der längst kein Räthsel mehr für die Soldaten war, kam nun vor das Haus und streckte die Hand aus.

»Ich habe es ja gesagt, dass er einen Mann auf den Schultern trägt.«

»Du hast Dich geirrt,« erwiderte der Corporal.

»Es ist ja nur die Hälfte von einem Manne.«

Die Soldaten lachten über diesen neuen Witz, wie sie über den ersten gelacht hatten.

»Der braucht nicht viel Zeug zu seinen Hosen zu kaufen.«

»Und noch weniger kosten ihm seine Stiefel,« sagte der Corporal, dessen Witz die gewöhnliche Wirkung hervorbrachte.

»Wie garstig sie sind!« sagte dann Limousin, »wahrhaftig, man könnte glauben, es sey ein Affe, der auf einem Bären reitet.«

Trigaud schien sich um diese Witzpfeile, die von allen Seiten auf ihn abgeschossen wurden, gar nicht zu kümmern; er streckte die Hand aus und machte ein gar klägliches Gesicht, während Courte-Joie, als Sprecher der Gesellschaft, mit seinem näselnden Tone unaufhörlich wiederholte:

»Ich bitte um eine kleine Gabe, meine guten Herren! Erbarmen Sie sich eines armen Kärrners, dem an dem steilen Berge bei Ancenis beide Füße unter die Räder gekommen sind!«

»Was fällt Euch ein!« sagte ein Soldat, »Ihr sprecht uns Rothhosen um ein Almosen an! Ihr seyd Spitzbuben, und wenn man alle unsere Taschen durchsuchte, so würde sich vielleicht nicht halb so viel darin finden, wie in euren Taschen.«

Aubin Courte-Joie glaubte sich nun deutlicher erklären zu müssen.

»Nur ein Stückchen Brot, meine guten Herren!« näselte er, »Brot werden Sie doch haben?«

 

»Ja, Brot sollst Du haben,« sagte der Corporal, »und auch Suppe dazu – vielleicht ist auch noch ein Stückchen Fleisch darin geblieben. Aber was gibst Du uns dafür?«

»Ich werde für Sie beten, meine guten Herren,« erwiderte Courte-Joie der das Wort führte, während Trigaud im tiefen Baß dazu grunzte.

»Das kann nicht schaden,« versetzte der Corporal, »aber es ist nicht genug. Du hast doch gewiß einige Schnurren in deinem Schnappsack.«

»Was meinen Sie?« fragte Aubin, der sich stellte, als ob er nicht verstände.

»Ich meine, daß Ihr einige hübsche Lieder pfeifen müßt, obschon Ihr recht garstige Amseln seyd. Also laßt hören – für das Brot und die Suppe müßt Ihr doch etwas thun!«

»Oder der große Bengel, der seine zwei Füße hat, schlage ein Rad sammt dem Stelzfuß auf seinem Rücken,« sagte Limousin.

»Ah! ich sehe was Sie wünschen, meine guten Herren.»

»Das freut mich,« sagte der Corporal.

»Sie wünschen eine Unterhaltung.»

»Allerdings, denn wir langweilen uns zum Sterben in diesem verwünschten Lande.«

»Nun, dann wollen wir Ihnen etwas zeigen, was Sie noch nie gesehen haben,« erwiderte Courte-Joie.

Dieses Versprechen, welches freilich alle Marktschreier im Munde führen, erregte die Neugierde der Soldaten, die mit fast ehrerbietigem Schweigen einen Kreis um die beiden Bettler bildeten.

Courte-Joie der bis dahin auf den Schultern Trigauds gesessen, machte mit seinen Stelzfüßen eine Bewegung, welche andeutete, daß er absteigen wollte. Trigaud, der bereits vollständig abgerichtet war, setzte sich auf ein altes, halb mit Nesseln bedecktes Mauerstück zur Seite der Walze, die den Soldaten als Sitz diente.

»Gut dressiert!« sagte der Corporal, »ich möchte ihn einfangen und an den dicken Major verkaufen, der kein Hühnchen nach seinem Gefallen finden kann.«

Unterdessen hatte Courte-Joie einen Stein aufgenommen und dem Herkules gereicht.

Trigaud, der weiter keine Weisungen brauchte, drückte den Stein zwischen den Fingern, machte die Hand auf und zeigte den zerbröckelten Stein.

»Ei, das ist ja ein Herkules! Versuch einmal, Pinguet, ob Du es mit ihm aufnehmen kannst,« sagte der Corporal zu dem Soldaten, den wir als Limousin bezeichnet haben.

»Nun, wir wollen sehen,« antwortete der Soldat in den Hof eilend.

Trigaud setzte, ohne ihn zu beachten; seine Künste fort. Er faßte zwei Soldaten bei dem Patrontaschenriemen, hob sie langsam auf und hielt sie einige Secunden mit straffem Arme; dann setzte er sie sanft nieder.

Die Soldaten zollten ihm lauten Beifall.

»Pinguet! Pinguet!« riefen sie.

»Wo bist Du denn? Ich glaube gar, er hat sich aus dem Staube gemacht.«

Trigaud fuhr ohne Unterbrechung fort und als ob seine Kraftstücke im Voraus angeordnet worden waren, setzte er zwei Soldaten auf die Schultern der beiden ersten und hob sie alle vier fast eben so leicht auf, wie er die zwei aufgehoben hatte.

Als er sie eben niedersetzte, kam Pinguet und trug auf jeder Schulter ein Gewehr.

»Bravo! Limousin, bravo!« sagten die Soldaten.

Durch den Zuruf seiner Cameraden ermuthigt, sagte Pinguet:

»Das sind Lapalien. Schau hierher, Du Menschenfresser, und mache mir nach was ich jetzt thue.«

Er steckte den Mittelfinger jeder Hand in einen Gewehrlauf und hob beide Gewehre mit straffen Armen auf.

»Bah!« sagte Courte-Joie, während Trigaud dem Kunststück des Soldaten mit einer Lippenbewegung die wahrscheinlich ein höhnisches Lächeln bedeuten sollte, zusah. »Bah!« holt noch zwei Gewehre.«

Die beiden Musketen wurden gebracht, Trigaud steckte sie auf vier Finger auf einer Hand und hob sie bis zur Höhe seines Auges auf, ohne daß eine Zusammenziehung der Muskeln die mindeste Anstrengung verrieth.

Pinguet sah wohl, daß er es mit diesem Herkules nicht aufnehmen konnte.

Dann nahm Trigaud ein Hufeisen aus der Tasche und bog es so leicht auseinander, als ob es ein Riemen gewesen wäre.

Nach jedem Kunststück wandte Trigaud seinen Blick auf Courte-Joie, um ein Lächeln des Beifalls zu erhaschen, und der Krüppel gab ihm durch Kopfnicken seine Zufriedenheit zu erkennen.

»Unser Abendbrot hast Du verdient,« sagte Aubin. »Jetzt mußt Du uns auch ein Nachtlager verdienen. Nicht wahr, meine gute Heeren, wenn mein Camerad noch etwas Wunderbareres thut, als was Sie schon gesehen haben, so geben Sie uns auch ein Bund Stroh im Stalle?«

»Das ist respektive unmöglich,« sagte der Sergent, der durch das Lachen und Bravorufen der Soldaten herbeigelockt war und sich unter die Zuschauer gemischt hatte, »der Befehl ist gemessen, es darf nicht seyn.«

Diese Antwort schien dem Krüppel sehr zu mißfallen und sein Fuchsgesicht wurde ernsthaft.

»Nun, wir legen zehn Sous zusammen,« setzte ein Soldat hinzu, damit könnt Ihr im ersten besten Wirthshause Euch ein Bett bezahlen, in welchem sich’s welcher liegt, als auf Stroh.«

»Und wenn der Ochs, den Du reitest,« sagte ein Anderer, »eben so gut auf den Füßen ist wie er seine Arme zu brauchen weiß, so wird’s ja auf ein paar Kilometer nicht ankommen.«

»Laß zuerst das Meisterstück sehen!« riefen die Soldaten einstimmig.

Courte-Joie, der seinem Cameraden den aus dieser günstigen Stimmung zu ziehenden Nutzen nicht vorenthalten wollte, gab bereitwillig seine Zustimmung.

»Habt Ihr einen Quaderstein, einen Balken, oder sonst einen zwölf bis fünfzehn Zentner schweren Gegenstand?«

»Du sitzest ja auf einem Block,« sagte ein Soldat.

Courte-Joie zuckte die Achseln.

»Wenn ein Griff daran wäre,« sagte er, »so würde ihn Trigaud mit einer Hand aufheben.«

»Es ist ja der Mühlstein da, den wir vor das Kellerloch des Kerkers gestellt haben,« sagte ein Anderer.

»Warum nicht das ganze Haus?« erwiderte der Corporal, »es mußten ja sechs Mann mit Hebebäumen Hand anlegen, um ihn von der Stelle zu bringen; ich ärgerte mich, daß mir mein Grad nicht erlaubte, Euch dabei zu helfen —«

»Der Mühlstein darf nicht angerührt werden,« sagte der Sergent, »es ist ein Arrestant im Keller.«

Courte-Joie blinzte seinem Cameraden zu, und dieser ging, ohne sich um die Worte des Sergenten zu kümmern, auf den Mühlstein zu.

»Hast Du gehört, was ich respective gesagt habe?« mahnte der Sergent und faßte Trigaud beim Arm, »der Stein darf nicht angerührt werden.«

»Warum nicht?« sagte Courte-Joie, »wenn er ihn von der Stelle rückt, wird er ihn auch wieder vor das Kellerloch setzen.«

»Die Maus, die in der Falle sitzt, wird auch nicht entwischen,« sagte ein Soldat, »es ist ein kleiner blutjunger Herr, den man für ein verkleidetes Frauenzimmer halten könnte; ich glaubte anfangs, es sey die Herzogin von Berry.«

»O! der denkt nicht ans Entwischen!« sagte der Corporal, der offenbar begierig war das Experiment zu sehen, »als Pinguet und ich – oder vielmehr ich und Pinguet – hinuntergingen und ihm seine Ration brachten, zerfloß er so zu sagen in Thränen, als ob seine Augen zwei Schleusen gewesen wären.«

»Nun, gut,« sagte der Sergent, der wahrscheinlich eben so neugierig war wie die Andern, »ich erlaube es respective unter meiner Verantwortung.«

Trigaud benutzte die Erlaubniß: er faßte den Mühlstein an den Seiten, drückte seine Schulter gegen die Mitte und versuchte ihn aufzuheben. Aber der schwere Stein war vier bis fünf Zoll in den weichen Erdboden gedrungen, und der Titane vermochte ihn nicht aus der Vertiefung zu heben.

Courte-Joie, der auf Händen und Knien herbeigekrochen war und wie ein großer Käfer zwischen den Beinen der Soldaten hindurch schaute, machte auf das Hindernis aufmerksam; Trigaud holte nun einen großen platten Stein, mit dessen Hilfe er den Mühlstein von der daran festsitzenden Erde befreite. Dann legte er wieder Hand ans Werk: er hob den Mühlstein wirklich auf und hielt ihn, gegen die Wand gestützt einige Secunden etwa einen Fuß hoch vom Boden.

Der Jubel der Soldaten war grenzenlos; sie drängten sich um Trigaud und überhäuften ihn mit Glückwünschen, die aber auf den Riesen nicht den mindesten Eindruck machten. Der Freudenrausch theilte sich dem Corporal mit und stieg auf der Stufenleiter der militärischen Hierarchie sogar bis zum Sergenten hinauf.

Die Mannschaft hatte nichts Geringeres im Sinne, als Trigaud im Triumphe bis zur Schenke zu tragen, wo der Siegerpreis seiner wartete. Die Jünger des Mars betheuerten mit allen bisher bekannten und sogar mit einigen neu erfundenen Flüchen, dass Trigaud nicht nur Brot und Suppe mit einem guten Stück Fleisch verdient habe, sondern daß selbst die Ration des Generals oder wohl gar des Königs der Franzosen nicht zu viel sey, um zu solchen Arbeiten die nöthigen Kräfte zu erhalten.

Trigaud schien aber auf seinen Triumph nicht im mindesten stolz zu seyn. Er blieb ganz gleichgültig, wie ein Ochs, den man nach der Arbeit verschnaufen läßt; nur seine Augen waren beständig auf seinen Schutzherrn Courte-Joie gerichtet, als ob sie ihn fragen wollten: Bist Du mit mir zufrieden?

Courte-Joie hingegen schien seelenvergnügt, vermuthlich in Folge des Eindruckes, den die Kraftäußerungen seines Schützlings auf die Zuschauer gemacht hatten; vielleicht auch wegen des Erfolges einer kleinen Kriegslist die er sehr geschickt in Ausführung gebracht hatte, während die allgemeine Aufmerksamkeit auf seinen Genossen gerichtet war. Er hatte den platten Stein, den er in der Hand hielt, unter den Mühlstein geschoben, so daß die gewaltige Masse, die das Kellerloch schloß, auf dieser glatten Fläche ruhte und daher sehr leicht von der Stelle gewälzt werden konnte.

Die beiden Bettler wurden in die Soldatenschenke geführt, und hier gab Trigaud neuen Anlaß zur Bewunderung. Nachdem er einen Feldkessel voll Suppe verzehrt hatte, brachte man ihm vier Portionen Rindfleisch und zwei Commißbrote. Trigaud aß das erste Brot zu den ersten Portionen; dann schnitt er das Brot in der Mitte durch, höhlte das Innere aus, verzehrte zum Zeitvertreib die herausgenommene Krume, steckte das Fleisch in die Höhlung, hielt die beiden Hälften der Rinde aneinander und biß mit einer Kraft hinein, welche ihm einen stürmischen Beifall erwarb.

In fünf Minuten war das Commißbrot zermalmt, als ob es zwischen zwei Mühlsteine gelegt worden wäre, und es blieben nur noch einige Krumen zurück welche Trigaud sehr sorgfältig sammelte.

Man brachte ihm ein drittes Brot, welches er ebenfalls mit staunenswerther Schnelligkeit verzehrte.

Die Soldaten lachten nach Herzenslust; sie hätten gern alle ihre Lebensmittel geopfert, um das Experiment aufs äußerste zu treiben, aber der Sergent hielt es für gerathen, ihrer Wißbegier ein Ziel zu setzen.

Allein Courte-Joie war wieder nachdenkend geworden, und seine Stimmung erregte die Aufmerksamkeit der Soldaten.

»Du zehrst auf Kosten deines Cameraden,« sagte der Corporal zu ihm, »das ist nicht recht; Du mußt deine Zeche mit einem Liede bezahlen.«

»Allerdings,« sagte der Sergent.

»Ein Lied! ein Lied!« riefen die Soldaten, »dann ist der Spaß vollkommen.«

»Hm!« sagte Courte-Joie, »ich weiß wohl Lieder —«

»Nun so singe uns eins!«

»Ja, aber sie sind vielleicht nicht nach eurem Geschmack.«

»Wenn’s nur keine von euren Litaneien sind, so werden sie uns schon gefallen; in St. Colombin begnügt man sich mit jeder Unterhaltung, dir man eben findet.«

»Ja,« erwiderte Courte-Joie, »Ihr werdet Euch wohl, langweilen —«

»Wir langweilen uns schrecklich,« sagte der Sergent.

»O! wir verlangen nicht, dass Du singest wie Nourrit,« sagte ein Pariser.

»Je lustiger, desto besser,« setzte ein anderer Soldat hinzu.

»Da ich euer Brot gegessen und euren Wein getrunken habe,« sagte Courte-Joie, »so kann ich’s Euch nicht abschlagen; aber ich sage Euch noch einmal, meine Lieder werden Euch vielleicht nicht gefallen.«

Er stimmte folgendes Lied an:

 
Vendéer, Du Land der tapfern Krieger.
Wie felsenfest ist deine Treue!
Wohl bliebest Du nicht immer Sieger,
Doch rüstest Du Dich stets aufs Neue.
Denn nie wirst Du verzagen,
Du wirst es wieder wagen.
 
 
Und wie die tapfern Ahnen waren,
Erfüllt von der Begeist’rung Glut,
So werden sich die Söhne schaaren,
Denn nichts kann beugen ihren Muth.
Am besten ist berathen,
Wer spricht von kühnen Thaten.
 

Aubin Courte-Joie, konnte sein Lied nicht zu Ende singen; das Erstaunen, welches die ersten Worte erregt hatten, ging in laute Ausbrüche des Unwillens über. Einige Soldaten stürzten auf ihn zu, der Sergent faßte ihn beim Kragen und warf ihn zu Boden.

»Canaille,« sagte der Unteroffizier wüthend, »ich will Dich lehren, mitten unter uns das Lob des Vendéer Raubgesindels zu singen!«

 

Aber ehe der Sergent seinen Zorn mit echt militärischen Fluchen und gelegentlich mit seinem zur Gewohnheit gewordenen Lieblingsworte begleiten konnte, drängte sich Trigaud durch die Angreifendem stieß den Unteroffizier zurück und stellte sich in so drohender Haltung vor seinen Genossen, daß die Soldaten einige Augenblicke ganz verblüfft und unschlüssig waren.

Aber das militärische Ehrgefühl gewann schnell die Oberhand; sie zogen ihre Säbel, und die beiden Bettler sahen sich von einem Kreise blanker Klingen umgeben.

»Nieder mit ihnen!«– schrien die Soldaten, »es sind Chouans!«

»Ihr wolltet ein Lied hören,« erwiderte Courte-Joie, »ich habe Euch im Voraus gesagt, daß Euch die Lieder, die ich weiß, vielleicht nicht gefallen würden; Ihr habt Euch also nicht zu beklagen, Ihr hättet mich in Ruhe lassen sollen.«

»Wenn Du keine andern Lieder weißt,« antwortete der Sergent, »so bist Du respective ein Rebell und ich verhafte Dich!«

»Die Lieder, die ich weiß, gefallen den Leuten, von deren Almosen ich lebe. Ein armer Krüppel wie ich und ein Blödsinniger, wie mein Camerad, können gewiß nicht gefährlich seyn. Arretirt uns, wenn Ihr wollt; aber mit einem solchen Fang werdet Ihr fürwahr keine Ehre einlegen.«

»Das ist wohl wahr. Aber einstweilen werdet Ihr ins Hundeloch marschiren. Ihr braucht wenigstens nicht mehr um ein Nachtlager verlegen zu seyn. Geschwind legt ihnen Handschellen an und sperrt sie ein!«

Aber Trigaud blieb in seiner drohenden Haltung und Niemand beeilte sich den Befehl des Unteroffiziers zu vollziehen.

»Und wenn Ihr Euch nicht respective gutwillig ergeben wollt,« feste der Sergent hinzu, »so lasse ich einige geladene Gewehre holen und wir werden sehen, ob eure Haut kugelfest ist.«

»Wir müssen uns fügen, Trigaud,« sagte Courte-Joie. »Uebrigens sey nur ruhig, mein Junge, wir werden nicht lange festsitzen, denn für arme Teufel, wie wir sind, baut man so schöne Gefängnisse nicht.«

»Das läßt sich hören,« sagte der Sergent sehr zufrieden über die friedliche Wendung, welche die Unterhandlung nahm, »man wird Euch durchsuchen, und wenn sich nichts Verdächtiges bei Euch findet, wenn Ihr Euch in der Nacht gut aufführt, so werdet Ihr morgen Früh vielleicht schon wieder losgelassen.«

Die beiden Bettler wurden durchsucht, und man fand nur einige Kupfermünzen in ihren Taschen. Dies bestärkte den Sergenten in seiner Milde.

»Im Grunde,« sagte er, auf Trigaud zeigend, »hatte dieser große Lümmel nichts verbrochen und ich sehe nicht ein, warum ich ihn einsperren soll.«

»Es könnte auch gefährlich werden,« meinte der Limousin, »wenn er, wie sein Urgroßvater Simson, Lust bekäme die Mauern zu schütteln, so könnte uns das Haus über dem Kopfe zusammenstürzen.«

»Du hast Recht, Pinguet,« erwiderte der Sergent, »um so mehr da Du derselben Meinung bist wie ich. Es wäre eine Verlegenheit, die wir uns respective auf den Hals laden würden. Also vorwärts, Freund, und geschwind!«

»O mein guter Herr, trennen Sie uns nicht,« bat Courte-Joie mit weinerlicher Stimme, »wir können nicht ohne einander leben, er geht für mich, und ich sehe für ihn.«

»Wahrhaftig,« sagte ein Soldat, »die sind unzertrennlicher als ein Liebespaar.«

»Nein,« sagte der Sergent zu dem Krüppel, »Du bleibst diese Nacht zur Strafe im Hundeloche und morgen wird der Offizier, der die Runde macht, entscheiden, was mit deinem Cadaver geschehen soll. Jetzt vorwärts und nicht viel Federlesens!«

Zwei Soldaten traten näher, um Courte-Joie zu ergreifen, aber dieser sprang mit einer Behendigkeit, die in einem so verstümmelten Körper wirklich überraschend war, auf die Schultern Trigaud’s, der in Begleitung der Soldaten ganz ruhig auf die Kellerthür zu ging.

Unterwegs flüsterte Aubin seinem Genossen einige Worte in’s Ohr. Trigaud setzte ihn vor der Kellerthür ab; der Sergent schob den Krüppel hinein und dieser rollte die hölzernen Stufen hinab.

Dann führte man Trigaud vor das Hofthor, welches sogleich hinter ihm verschlossen wurde.

Trigaud stand einige Minuten ganz verblüfft still; er wollte sich auf eine der Ackerwalzen setzen, auf denen die Soldaten ihre Siesta gehalten hatten, aber die Schildwache wies ihn fort. Der Bettler entfernte sich nun und ging in den Marktflecken St. Colombin.