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Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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VI.
Die Gleichheit vor dem Tode. (Fortsetzung.)

In diesem Augenblicke wurde an eine zum Dachboden führende Fallthür geklopft.

»Was fehlt Ihnen denn?« fragte die Stimme Bonnevilles.

Er hatte einige Worte der Witwe verstanden und wurde unruhig.

»Nichts, nichts!« erwiderte die junge Bäuerin und gab der Witwe durch einen warmen Händedruck zu erkennen, daß ihre Worte einen tiefen Eindruck auf sie gemacht hatten.

Sie sprang auf und stieg auf eine Leiter, die zu der Fallthür hinaufführte, um leichter mit dem jungen Grafen sprechen zu können.

Sie hob die Fallthür auf, und das lächelnde Gesicht Bonneville’s erschien an der Luke.

»Wie geht es Ihnen?« fragte die Bäuerin.

»Ich bin jeden Augenblick zu Ihren Diensten bereit,« antwortete er.

Die Bäuerin dankte ihm mit einem freundlichen Lächeln.

»Wer war denn da?« fragte Bonneville.

»Ein Bauer, Namens Courtin, der nicht zu unseren Freunden zu gehören scheint.«

»Aha, der Maire von La Logerie —«

»Ja, derselbe.«

»Ganz recht,« fuhr Bonneville fort, »Michel hat mir von ihm erzählt: er ist ein gefährlicher Mensch, Sie hätten ihm Jemand nachschicken sollen —«

»Wen denn, es ist ja Niemand da.«

»Den Schwager unserer Wirthin.«

»Sie haben gesehen, welchen Widerwillen unser braver Oullier gegen ihn hat –«

»Und er ist doch ein Weißer,« rief die Witwe den Flüchtlingen zu, »er ist ein Weißer, der Unhold, der ruhig zugesehen hat, wie man seinen Bruder gemordet!«

Die Bäuerin und Bonneville gaben ihren Abscheu zu erkennen.

»Dann ist es gerathen, ihn in unsere Angelegenheit nicht einzuweihen,« sagte Bonneville, »er würde uns Unglück bringen. Aber habt Ihr denn Niemand, liebe Frau, den man draußen als Schildwache aufstellen könnte?«

»Jean Oullier hat schon dafür gesorgt,« antwortete die Witwe, »und ich habe meinen Neffen auf die Heide von Saint-Pierre geschickt, wo man die ganze Umgebung übersehen kann.«

»Er ist ein kleiner Knabe,« entgegnete die Bäuerin.

»Aber zuverlässiger als mancher Mann,« erwiderte die Witwe.

»Uebrigens,« setzte Bonneville hinzu, »haben wir nicht sehr lange mehr zu warten, in drei Stunden ist es Nacht; dann bekommen wir Pferde, und unsere Freunde erwarten uns.«

»In drei Stunden!« sagte die junge Bäuerin, aus welche die mahnenden Worte der Witwe einen beängstigenden Eindruck gemacht hatten, »in drei Stunden kann viel geschehen, armer Bonneville!«

»Wer kommt da gelaufen?» sagte Frau Picaut, an die Thür eilend. »Bist Du es, Kleiner?«

»Ja, Tante, ja,« antwortete der Knabe fast athemlos.

»Was gibt’s denn?«

»Tante – Tante,« sagte der Knabe, »die Soldaten! die Soldaten! – sie kommen – sie haben den Mann, der auf der Lauer stand, überfallen und todtgemacht!«

»Die Soldaten! die Soldaten!« sagte Joseph Picaut, der das Geschrei seines Knaben vor der Thür gehört hatte und in’s Haus eilte.

»Was sollen wir thun?« fragte Bonneville.

»Die Soldaten erwarten,« sagte die junge Bäuerin.

»Warum sollen wir nicht fliehen?«

»Wenn uns der Mann, der hier war, angezeigt hat, so werden sie das Haus schon umzingelt haben.«

»Wer spricht von Flucht?« fragte die Witwe Picaut, »Habe ich nicht gesagt, daß dieses Haus sicher ist? Habe ich nicht versprochen, daß Ihnen bei mir nichts geschehen soll?«

In diesem Augenblicke erschien Joseph Picaut, mit seiner Flinte bewaffnet, in der Thür: er dachte vermuthlich, daß die Soldaten ihn suchten.

Bei seiner Schwägerin, die als eine »Blaue« bekannt war, glaubte er sicher zu seyn.

Aber zu seinem Erstaunen bemerkte er die beiden Fremden.

»Aha! Ihr beherbergt Edelleute,« sagte er »Jetzt wundert’s auch nicht, daß die Soldaten kommen – Ihr habt eure Gäste verrathen!«

»Elender!« antwortete die Witwe, ergriff den am Camin hängenden Säbel ihres Mannes und stürzte auf Joseph los.

Dieser schlug sein Gewehr auf sie an.

Bonneville sprang von der Leiter; aber die junge Bäuerin hatte sich bereits zwischen den Schwager und die Schwägerin geworfen.

»Nieder mit deinem Gewehr!« rief sie dem Vendéer mit gebieterischer kräftiger Stimme zu, »ich befehle es Dir im Namen des Königs!«

»Wer seyd Ihr denn, daß Ihr in einem solchen Tone mit mir redet?« fragte Joseph Picaut, der stets bereit war, sich gegen jede Autorität aufzulehnen.

»Ich bin die Erwartete – ich habe hier zu befehlen!«

Diese mit Würde gesprochenen Worte machten den Vendéer ganz bestürzt; er senkte sein Gewehr.

»Jetzt,« fuhr die junge Bäuerin fort, »gehst Du mit diesem Herrn hinauf.«

Und Sie?« fragte Bonneville mit ängstlicher Besorgniß.

»Ich bleibe hier.«

»Aber —«

»Wir haben keine Zeit, viele Worte zu machen, gehen Sie!«

Die beiden Männer stiegen die Leiter hinauf. Die Fallthür schloß sich hinter ihnen.

»Was macht Ihr da?« fragte die junge Bäuerin die Witwe Picaut, welche das Bett, auf dem der Todte lag, aufdeckte und mitten in die Stube zog.

»Ich bereite Ihnen einen Versteck, wo Niemand Sie suchen wird.«

»Ich will mich nicht verstecken! In diesen Kleidern wird man mich nicht erkennen – ich will die Soldaten erwarten.

»Nein, das sollen Sie nicht,« erwiderte die Witwe Picaut gebieterisch, »Sie haben ja gehört, was der Elende sagte: wenn Sie bei mir entdeckt werden, so würde man denken, ich hätte Sie verkauft, und dieser Gefahr will ich mich nicht aussetzen.«

»Ihr, meine Feindin!«

»Ja, ich bin Ihre Feindin – aber ich würde mich auf dieses Bett legen, um an der Seite des Todten zu sterben, wenn Sie hier gefangen genommen würden.«

Es war nichts dagegen einzuwenden.

Die Witwe Picaut hob die Matratze auf und versteckte unter derselben die Kleider, welche die Neugierde Courtins erregt hatten; dann machte sie zwischen Matratze und Strohsack eine Vertiefung. In diese legte sich die junge Bäuerin.

Die Witwe deckte Matratze und Betttuch wieder zurecht, ließ am Kopfende eine Oeffnung zum Athemholen und schob das Bett wieder an die Wand.

Kaum hatte sie alle Winkel der Stube in Augenschein genommen, um zu sehen, ob sie nichts vergessen, was etwa zur Entdeckung der Flüchtlinge führen könne, so hörte sie draußen ein Waffengeklirr und ein Offizier erschien am Fenster.

»Ist es hier?« fragte der Offizier einen hinter ihm gehenden Cameraden.

»Was wünschen Sie?« fragte die Witwe, indem sie die Thür öffnete.

»Ihr habt Fremde im Hause; wir wünschen sie zu sehen,« antwortete der Offizier.

»Erkennen Sie mich denn nicht?« sagte die Witwe Picaut, der Antwort aus die Frage ausweichend.

»Ja wohl, Ihr seyd die Frau, die uns in der vorigen Nacht den Weg gezeigt hat.«

»Ich werde doch heute keine Feinde der Regierung im Hause versteckt halten, wenn ich Ihnen in der vorigen Nacht beim Aufsuchen derselben behilflich gewesen bin?«

»Sie hat Recht, Capitän,« sagte der zweite Offizier.

»Wer kann diesen Leuten trauen?« entgegnete der Capitän, »es ist lauter Raubgesindel. Haben Sie den kleinen, zehnjährigen Schlingel nicht gesehen, der trotz unseren Drohungen über die Heide lief? Es war auf jeden Fall eine Schildwache. Zum Glück haben die Flüchtlinge nicht Zeit gehabt zu entwischen, sie müssen irgendwo versteckt seyn.«

»Unmöglich ist’s gerade nicht.«

»Es ist ganz gewiß!« bekräftigte der Capitän, der sich nun wieder zu der Witwe wandte. »Es soll Euch kein Leid geschehen, aber wir müssen euer Haus durchsuchen.«

»Kommen Sie herein, wenn’s gefällig ist,« erwiderte die Witwe mit der größten Ruhe, indem sie ihren Platz am Camin wieder einnahm und anfing zu spinnen.

Der Offizier winkte fünf bis sechs Soldaten herbei, sah sich in der Stube um und ging auf das Bett zu.

Die Witwe wurde blässer als der Flachs, den sie spann; ihre Augen funkelten, der Faden glitt ihr unter den Fingern weg.

Der Offizier schaute unter das Bett und streckte die Hand aus, um das Tuch, welches den Todten bedeckte, aufzuheben.

Die Witwe vermochte sich nicht langer zu mäßigen. Sie stand auf, eilte in die Ecke der Stube, wo das Gewehr ihres Mannes hing, spannte den Hahn und trat entschlossen auf den Offizier zu.

»Wenn Sie den Todten anrühren,« sagte sie, »so schieße ich Sie nieder wie einen Hund – so wahr ich eine ehrliche Frau bin!«

Der zweite Offizier faßte den Arm seines Cameraden.

Die Witwe Picaut trat, ohne das Gewehr aus der Hand zu geben, an das Bett und hob das Leichentuch auf.

»Dieser Todte,« sagte sie, »ist mein Mann; er ist gestern in Ihrem Dienste gefallen.«

»Ja richtig, unser erster Führer,« sagte der Offizier, »er ist an der Furt von Pontfarcy umgekommen.«

»Arme Frau!« setzte der Andere hinzu, »wir wollen sie in Ruhe lassen – sie ist ohnedies schon unglücklich genug.«

»Aber die Erklärung des Mannes, der uns begegnete, läßt gar keinen Zweifel übrig,« entgegnete der Erste.

»Wir hätten ihn mitnehmen sollen.«

»Habt Ihr noch andere Zimmer?«

»Ich habe noch den Dachboden und den Stall.«

»Durchsuchet den Boden und den Stall,« sagte der Lieutenant zu den Soldaten, »aber vorher öffnet die Truhen und schaut in den Ofen.«

Die Soldaten zerstreuten sich im Hause, um den Befehl des Offiziers zu vollziehen.

Die junge Bäuerin hörte in ihrem unheimlichen Versteck das ganze Gespräch; sie hörte die Fußtritte der Soldaten, welche die Leiter hinaufstiegen, und dies machte ihr noch größere Angst, als sie vorhin gehabt hatte; denn sie dachte mit Schrecken, daß der Versteck des Vendéers und Bonneville’s bei weitem nicht so sicher sey, wie der ihrige.

Als sie hörte, daß die Soldaten wieder herunterkamen, ohne daß ein Geräusch oder Geschrei die Entdeckung der beiden Männer angedeutet, fühlte sie ihr Herz von einer schweren Last befreit.

Der erste Lieutenant wartete in der Stube, an den Backtrog gelehnt. Der anderes hatte mit acht bis zehn Soldaten den Stall durchsucht.

 

»Nun, habt Ihr nichts gefunden?« fragte der Offizier.

»Nein,« antwortete der Corporal.

»Ihr habt doch im Stroh und Heu und sonstigem Plunder gesucht?«

Wir haben überall mit unseren Bajonneten gesucht; es kann Niemand versteckt seyn, er müßte sonst die Spitze gefühlt haben.«

»Gut, wir wollen das andere Haus durchsuchen – sie müssen doch irgendwo seyn.«

Die Soldaten entfernten sich; der Offizier folgte ihnen.

Unterdessen stand der andere Offizier draußen und betrachtete mit argwöhnischer Miene einen kleinen Schuppen, den er ebenfalls durchsuchen zu lassen beschloß.

Plötzlich fiel ein Stückchen Mörtel, kaum so groß wie die Hälfte des kleinen Fingers, vor dem Lieutenant nieder.

Der Offizier schaute hinauf und glaubte eine Hand zu sehen, welche zwischen zwei Dachsparren verschwand.

»Hierher!« rief er mit einer Donnerstimme.

Alle Soldaten eilten herbei.

»Ihr habt eure Sache schön gemacht!« sagte er.

»Was geht denn vor?« fragten einige Soldaten.

»Die Leute sind dort oben auf dem Dachboden, den Ihr genau durchsucht zu haben glaubt. Geschwind hinauf und laßt keinen Strohhalm liegen, ohne ihn umzukehren!«

Die Soldaten gingen wieder in die Wohnstube der Witwe, stiegen die Leiter hinauf und versuchten die Fallthür aufzuheben; aber dieses Mal wollte es ihnen trotz ihrer Anstrengung nicht gelingen, die Fallthür war oben verrammelt worden.

»Jetzt wissen wir, wo wir sie zu suchen haben,« sagte der Offizier, indem er selbst den Fuß auf die erste Leitersprosse setzte. »Komm hervor aus eurem Versteck,« rief er hinauf, »oder wir werden Euch holen!«

Man hörte nun einen ziemlich lebhaften Wortwechsel auf dem Boden: die Belagerten waren offenbar verschiedener Meinung über den zu fassenden Entschluss.

Es hatte sich nämlich Folgendes zugetragen.

Bonneville und der Vendéer halten sich nicht an der Stelle versteckt, wo das Heu am dichtesten war und welche sogleich die Aufmerksamkeit der Soldaten erregen mußte, sondern waren unter eine nur zwei Fuß hohe Schichte nahe an der Fallthür gekrochen.

Was sie gehofft hatten, war geschehen. Die Soldaten gingen an ihnen vorüber, durchstachen die größten Heuhaufen und räumten das aufgeschichtete Stroh weg, aber sie ließen die dünne Heuschichte welche im Vergleich mit den hohen Haufen nur ein Teppich schien, ganz unbeachtet.

Wir haben gesehen, daß sie sich wieder entfernt hatten, ohne die Flüchtlinge gefunden zu haben.

In ihrem Versteck hörten Bonneville und der Vendéer ganz genau, was unten vorging, denn sie lagen ja auf dem dünnen Boden.

Als Joseph Picaut horte, daß der Offizier Befehl gab, sein Haus zu durchsuchen, wurde er sehr unruhig: er hatte einen großen Pulvervorrath, dessen Besitz ihm in diesem Augenblicke sehr unangenehm war.

Trotz der Gegenvorstellungen seines Genossen verließ er sein Versteck, um die Soldaten zu beobachten, und er begann durch die Fugen zwischen den Balken und der Mauer zu schauen.

Dabei fiel das Stückchen Mörtel hinunter und erregte die Aufmerksamkeit des Offiziers, der eben nach die Hand bemerkte, auf die sich Joseph Picaut stützte, um in den Hof hinunterzuschauen.

Als Bonneville die Stimme des Offiziers hörte, als er einsah, daß sein Aufenthalt entdeckt war, sprang er auf die Fallthür und hielt sie fest, während er dem Vendéer zugleich über seine Unbesonnenheit bittere Vorwürfe machte.

Diese Vorwürfe hatte man, ohne die Worte zu verstehen, unten in der Stube gehört.

Doch die Vorwürfe nützten nichts mehr, die Flüchtlinge waren aufgefunden; sie mußten schnell einen Entschluß fassen.

»Ihr habt sie doch gesehen?« fragte Bonneville den Vendéer.

»Ja.«

»Wie viel sind es?«

»Etwa dreißig Mann, wie es scheint.«

»Dann wäre jeder Widerstand eine Thorheit. Uebrigens haben sie die Herzogin nicht aufgefunden; unsere Verhaftung wird die Soldaten von hier entfernen und so das von eurer braven Schwägerin so gut besonnene Rettungswerk vollenden.«

»Was meinen Sie also?« fragte Picaut.

»Wir müssen uns ergeben.«

»Uns ergeben!« erwiderte der Vendéer. »Nein, das thue ich nicht!«

»Wie! Ihr wollt Euch nicht ergeben?«

»Nein; mit Ihnen ist es ganz etwas Anderes. Sie sind ein reicher Edelmann; man wird Sie in ein gutes Gefängniß bringen, wo Sie gut zu essen und zu trinken und alle Bequemlichkeiten haben – mich hingegen schickt man ins Bagno, wo ich schon vierzehn Jahre zugebracht habe. Nein, ich will lieber in der kühlen Erde als auf einem Sträflingslager ruhen.«

»Wenn wir durch einen Kampf nur uns selbst in Gefahr brächten,« erwiderte Bonneville, »so würde ich euer Los theilen und mich nicht ergeben; aber wir haben die Mutter unseres Königs zu retten, und wir haben weder unsere Neigung noch unsern Vortheil dabei zu berücksichtigen.«

»Wir wollen lieber so viele todtschießen als wir können. Heinrich V. hat dann um so weniger Feinde. Ich sage Ihnen, daß ich mich nicht ergebe!« setzte der Vendéer trotzig hinzu, und stellte einen Fuß auf die Fallthür, welche Bonneville aufheben wollte.

»Wollt Ihr mir gehorchen oder nicht?« fragte Bonneville, indem er den Vendéer mit finsteren Blicken ansah.

Picaut brach in ein höhnisches Gelächter aus.

Aber mitten in dieser drohenden Heiterkeit traf ihn ein Faustschlag Bonneville’s, so daß er niedersank und sein Gewehr fallen ließ.

Er fiel gerade vor eine Dachlucke, die mit einem Laden geschlossen war. Er kam nun plötzlich auf den Gedanken, dem jungen Grafen seinen Willen zu lassen und die bei der Gefangennahme desselben nothwendig entstehende Verwirrung zur Flucht zu benutzen.

Er gab sich das Ansehen, als ob er sich dem Befehl fügte. Während Bonneville die Fallthür aufhob, riß der Vendéer die Dachluke auf, ergriff sein Gewehr, und als der Graf durch die Oeffnung hinunterstieg und den Soldaten zurief: »Schießet nicht, wir ergeben uns!« bückte sich Joseph Picaut, feuerte durch die offene Fallthür auf die Soldaten, wandte sich rasch um und sprang aus der Dachluke in den Garten hinunter. Zwei als Schildwachen aufgestellte Soldaten schossen nach ihm, aber ohne ihn zu treffen. Er lief in den Wald.

Der aus der Fallthür abgefeuerte Schuß hatte einen Soldaten schwer verwundet. Aber augenblicklich waren zehn Gewehre auf den jungen Grafen gerichtet, und ehe es die herbeieilende Witwe verhindern konnte, fiel der unglückliche Bonneville, von sieben bis acht Kugeln getroffen, von der Leiter und vor der Frau vom Hause nieder.

»Es lebe Heinrich V.! rief er, in seinem Blute schwimmend.

Ein anderer Schmerzensruf antwortete ihm.

In dem Tumult, der dem Gewehrfeuer folgte, bemerkten die Soldaten nicht, daß dieser Schrei aus dem Bette kam, auf welchem Pascal Picaut lag, als ob der Todte, der in dieser Schreckensscene alle seine Ruhe bewahrte, den Klageton hätte hören lassen.

Die Soldaten stiegen sogleich auf den Dachboden, um den Mörder zu ergreifen, denn sie wußten nicht, daß er durch die Luke entsprungen war.

Der Offizier sah mitten in dem Pulverrauch die Witwe Picaut, die niedergekniet war und das bleiche Gesicht des Grafen an ihre Brust drückte.

»Ist er todt?« fragte er.

»Ja,« antwortete die Witwe mit zitternder Stimme.

»Aber Ihr selbst seyd verwundet —«

Das Blut strömte ihr wirklich von der Stirne.

»Ich?« fragte sie.

»Ja, euer Blut fließt ja.«

»Was liegt an meinem Blute!« erwiderte die Witwe, »es fließt ja kein Tropfen mehr in den Adern dieses Mannes, den ich mit meinem Leben zu vertheidigen versprochen!«

Ein Soldat erschien oben an der Fallthür.

»Herr Lieutenant,« sagte er, »der Andere ist entsprungen – man hat nach ihm geschossen aber nicht getroffen.«

»Den Andern müssen wir haben!« sagte der Lieutenant, der natürlich glaubte, daß Petit-Pierre entsprungen sey. »Wir werden ihn bald finden, er müßte denn einen andern Schlupfwinkel gefunden haben. – Aber ehe wir uns entfernen, untersuchet den Todten.«

Der Befehl wurde vollzogen, aber man fand nichts in den Taschen Bonneville’s: er trug ja die Kleider Pascal’s, die ihm die Witwe gegeben hatte, während die seinigen getrocknet wurden.

»Jetzt gehört er doch mir?« fragte die Witwe, indem sie die Hand nach dem Leichnam des jungen Grafen ausstreckte.

»Ja, Ihr könnt mit ihm machen was Ihr wollt.«

»Aber Ihr könnt Euch glücklich schätzen, daß Ihr uns gestern Abend einen wichtigen Dienst erwiesen habt, sonst würde ich Euch nach Nantes schicken, wo man Euch sagen würde, daß man keine Rebellen beherbergen darf.«

Der Offizier rief seine Soldaten zusammen und marschirte mit ihnen in den Wald.

Sobald sie fort waren, eilte die Witwe an das Bett, hob die Matratze auf und zog die ohnmächtige Prinzessin hervor.

Zehn Minuten nachher lag Bonneville neben Pascal Picaut, und die beiden Frauen – die angebliche Regentin und die Bäuerin – knieten vor dem Bette und beteten für die beiden ersten Opfer des Aufstandes von 1832.

VII.
Wo Jean Oullier sagt, was er von dem jungen Baron Michel denkt

Während die eben erzählten traurigen Ereignisse in dem Hause stattfanden, wo Jean Oullier den unglücklichen Bonneville und dessen Begleiter zurückgelassen hatte, herrschte reges Leben und freudige Bewegung im Schlosse des Marquis von Souday.

Der Marquis war außer sich vor Freude. Der ersehnte Augenblick war endlich gekommen. Der alte Landedelmann hatte die am wenigsten fadenscheinigen Jagdkleider angelegt, die er in seiner Garderobe gefunden. Als Divisionschef trug er eine weiße Schärpe, die ihm seine Töchter, in der Erwartung des großen Tages, schon vor langer Zeit gestickt hatten. Auch die Erkennungszeichen der Royalisten: das blutige Herz auf der Brust und der Rosenkranz im Knopfloch, fehlten nicht an der Ausrüstung des unternehmenden Bandenführers, der die Schneide seines Säbels an allen in seiner Nähe befindlichen Gegenständen versuchte.

Von Zeit zu Zeit übte er seine Commandostimme, indem er Michel und den Notar exerzieren ließ. Der junge Baron war ein sehr eifriger, gewandter Recrut, der Notar hingegen verhielt sich mehr leidend, und hütete sich wohl, seine ultracarlistischen Grundsätze auf eine allzu stürmische Weise zu äußern.

Bertha hatte, dem Beispiele ihres Vaters zu Folge, bereits das Costüm angelegt, in welchem sie den Kriegszug mitmachen wollte. Dieser Anzug bestand aus einem kurzen Ueberrock von grünem Sammt, der auf der Brust offen war, und einen blendend weißen, mit schwarzer Seide gestickten Busenstreif sehen ließ, und aus hohen schlaffen Reitstiefeln. Die Schärpe trug sie nicht um den Leib, denn dies war bei den Vendéern das Zeichen des Commando’s; sie hatte dieselbe mit einem rothen Bande am Arme befestigt.

Dieser Anzug hob ihren schlanken Wuchs sehr vortheilhaft hervor, und der graue Filzhut mit den weißen Federn paßte vortrefflich zu dem feurigen, kühnen Ausdrücke ihres Gesichtes. – Bertha sah wirklich reizend aus.

Sie war eben nicht gefallsüchtig, aber sie hatte doch mit Wohlgefallen bemerkt, oder zu bemerken geglaubt, daß sie in diesem Anzuge einen tiefen Eindruck auf den jungen Baron machte, und sie war in einer eben so freudig erregten Stimmung wie der Marquis von Souday.

Michel hatte die kühne Haltung und Begeisterung Bertha’s allerdings mit aufrichtiger Bewunderung betrachtet; aber er dachte dabei, wie reizend seine geliebte Mary in einem solchen Anzuge seyn würde, denn er zweifelte gar nicht, daß die beiden Schwestern den Kriegszug zusammen mitmachen und gleich gekleidet seyn würden.

Er hatte daher Mary von Zeit zu Zeit angesehen, als ob er sie fragen wollte, ob sie nicht gesonnen sey, sich schön zu machen wie ihre Schwester. Aber Mary war so kalt, so zurückhaltend gegen Michel, sie vermied seit dem Auftritte im Thurmzimmer so ängstlich jedes Gespräch mit ihm, daß der junge Baron ganz eingeschüchtert wurde und den bittenden Blick, dessen Zweck wir angegeben haben, nicht mehr wagte.

Mary wurde daher von Bertha und nicht von Michel angetrieben, sich zu beeilen, und ihre Reitkleider anzuziehen. Mary antwortete nicht; ihre trübe Stimmung stand mit ihrer gewohnten Munterkeit im Widerspruch; aber sie gehorchte ihrer Schwester und begab sich in ihr Zimmer.

Der Anzug lag bereit auf einem Sessel; sie sah ihn mit wehmüthigem Lächeln an, aber sie streckte die Hand nicht nach den Kleidern aus; sie setzte sich auf ihr Bett, und dicke Thränen quollen aus ihren Augen und rollten über ihre Wangen.

Es war der kindlich frommen Mary wirklich Ernst gewesen mit dem Opfer, welches sie aus Liebe zu ihrer Schwester bringen wollte; aber sie hatte ihrer Willenskraft vielleicht etwas zu viel vertraut. Sie fühlte wohl, dass ihr Entschluß in dem inneren Kampfe, den sie zu bestehen hatte, zwar nicht wanken werde, aber daß ihre Kraft nicht hinreiche, ihren festen Entschluß in Ausführung zu bringen.

 

Seit dem frühen Morgen sagte sie sich unaufhörlich: Du kannst, Du darfst ihn nicht lieben! – und ihr Herz hatte immer geantwortet: Du liebst ihn!

Bei jedem Schritte, den Mary unter dem Eindruck dieser Gefühle vorwärts machte, entfernte sie sich immer mehr von Allem, was bis dahin ihre Hoffnung und Freude gewesen war. Die geräuschvollen Zerstreuungen, an denen sie seit ihrer Kindheit so viel Gefallen gefunden, waren ihr unerträglich geworden; selbst die politischen Ereignisse traten zurück vor dem einzigen Gedanken, der sie beschäftigte, und den sie nicht zu bannen vermochte. Sie gewann nach und nach die Ueberzeugung, daß sie in dem ihr bevorstehenden inneren Kampfe verlassen, auf ihre eigene Willenskraft beschränkt seyn würde, daß ihr kein anderer Trost blieb, als das Bewußtseyn einer edlen Aufopferung, und sie weinte eben so viel aus Schmerz wie aus Besorgniß. Was sie jetzt litt, gab ihr den Maßstab für ihre künftigen Leiden.

Als sie etwa eine halbe Stunde mit ihren trüben Gedanken beschäftigt gewesen war, hörte sie in der halb offenen Thür die Stimme Jean Oullier’s.

Der alte Diener sagte mit dem väterlich besorgten Tone, den er immer bereit hatte, wenn er mit den beiden Mädchen sprach:

»Was fehlt Ihnen denn, liebes Fräulein Mary?«

»Mir fehlt nichts, Jean,« erwiderte sie.

Aber Jean Oullier hatte sie inzwischen aufmerksam angesehen. Er trat einige Schritte näher, schüttelte bedenklich den Kopf und sagte in gutmüthig schmollendem Tone:

»Zweifeln Sie denn an meiner Freundschaft, liebe kleine Mary?«

»Ich?«

»Ja, Sie müssen wohl daran zweifeln, weil Sie mich täuschen wollen.«

Mary reichte ihm die Hand.

Jean Oullier hielt diese zarte Hand in seinen gewaltigen Fäusten fest und sah das Fräulein traurig an.

»Ach kleine Mary,« sagte er, als ob sie noch ein zehnjähriges Kind wäre, »es gibt keinen Regen ohne Wolken, keine Thränen ohne Kummer. Wissen Sie noch, daß Sie als sind einst weinten, weil Bertha Ihre Muscheln in den Brunnen geworfen hatte? Am andern Morgen hat Ihnen Jean Oullier neue Muscheln zehn Meilen weit hergeholt – und Ihre schönen blauen Augen lachten wieder.«

»Ja wohl, lieber Jean, ich erinnere mich,« erwiderte Mary, für die eine trauliche Mittheilung, zumal in diesem Augenblicke, Bedürfniß war.

»Ich bin alt geworden,« fuhr Jean Oullier fort, »aber meine Zuneigung zu Ihnen ist größer geworden. Theilen Sie mir daher Ihren Schmerz mit; wenn’s ein Mittel gibt, werde ich es finden; wenn’s keines gibt, so will ich mit Ihnen weinen – meine alten verknöcherten Augen werden wohl noch Thränen haben.«

Mary wußte, wie schwer es war, den Scharfblick des alten treuen Dieners zu täuschen. Sie zögerte, sie erröthete; sie mochte sich nicht entschließen die Ursache ihrer Thränen zu sagen, aber sie suchte dieselben zu erklären.

»Ich weine,« antwortete sie, »weil ich denke, daß alle meine Theuren vielleicht in diesem Kriege das Leben lassen werden.«

Ach! seit gestern Abend hatte die arme Mary lügen gelernt.

Aber Jean Oullier ließ sich durch diese Antwort nicht täuschen.

»Nein, kleine Mary,« erwiderte er, »mit Ihren Thränen hat es eine andere Bewandtniß. Wenn alte Leute, wie der Marquis und ich, nur den Sieg vor Augen sehen, so wird doch ein junges Herz, wie das Ihrige, nicht bloß Unglück ahnen!«

»Aber es ist doch so,« sagte Mary mit herzgewinnender Freundlichkeit welche ihre Wirkung sonst nie verfehlte.

»Nein, nein, es ist nicht so,« entgegnete Jean Oullier ernst und mit Bekümmerniß.

»Was soll’s denn seyn?« fragte Mach.

»Wollen Sie wirklich,« sagte der alte Waldhüter, »daß ich Ihnen über die Ursache Ihrer Thränen Aufklärung gebe?«

»Ja, wenn Du kannst.«

»Es wird mir schwer, es Ihnen zu sagen, aber ich denke, daß der kleine Hasenfuß, der Michel von La Logerie, die Ursache Ihrer Thränen ist.«

Mary wurde so blaß wie die weißen Bettvorhänge, die zu beiden Seiten ihres Gesichtes herabhingen.

»Was willst Du damit sagen?« stammelte sie.

»Ich will damit sagen, daß Sie, wie ich, gesehen habe, was vorgeht, und eben so wenig wie ich damit zufrieden sind; nur mit dem Unterschiede, daß ich als Mann zornig bin, Sie aber sind ein Mädchen und weinen.«

Mary schluchzte, als sie fühlte, daß Oullier’s Finger ihre Herzenswunde berührte.

»Es ist nicht zu verwundern,« setzte er, wie mit sich selbst redend, hinzu, »Sie werden von den lumpigen Patauds freilich Wölfinnen gescholten, aber Sie sind doch ein Fräulein, wie die ganze Sippschaft keines aufzuweisen hat – ein Fräulein aus dem feinsten Teig, der jemals in dem Backtrog des lieben Gottes geknetet worden ist.«

»Aber was meinst Du denn, Jean? Ich verstehe Dich nicht.«

»O! Sie verstehen mich recht gut, kleine Mary. Sie, haben so gut gesehen., wie ich, was vorgeht – und wer’s nicht sieht, müßte wahrlich stockblind seyn; denn sie macht eben kein Geheimniß daraus.«

»Wen meinst Du denn, Jean? Sprich! Du siehst ja, daß ich vor Angst vergehe!«

»Wen sollte ich denn sonst meinen als Fräulein Bertha?«

»Meine Schwester?«

»Ja wohl, Ihre Schwester, die mit dem Gelbschnabel paradirt, die ihn mit in unser Lager schleppen wird und einstweilen, um ihn nicht entwischen zu lassen, an ihrem Reitrock festgenäht hat, Sie zeigt ihn dem ganzen Hause wie eine eroberte Fahne, ohne sich um die spöttischen Bemerkungen zu kümmern, welche die Leute im Hause und die Freunde des Herrn Marquis darüber machen werden. Und zum Ueberfluß ist der fuchsschwänzende Notar da und schaut mit seinen kleinen Augen so pfiffig darein und scheint schon die Feder zu schneiden, um den Ehecontract zu kritzeln.«

»Und wenn’s wirklich so wäre,« erwiderte Mary, deren Blässe sich in die lebhafteste Röthe verwandelt hatte, und deren Herz ungestüm pochte, »wenn’s wirklich so wäre, was findest Du denn Arges daran?«

»Was ich Arges daran finde? Noch vor einigen Minuten kochte mein Blut, als ich sah, daß Fräulein Bertha von Souday – doch wir wollen nicht davon reden.«

»Ja doch, wir wollen davon reden,« entgegnete Mary. »Sprich lieber, Jean, was machte Bertha?«

Sie sah den alten Diener erwartungsvoll an.

»Nun, wenn Sie es durchaus wissen wollen, so will ich’s Ihnen sagen. Fräulein Bertha band die weiße Schärpe, die Farbe, welche Charette getragen, an den Arm des jungen Menschen, dessen Vater – doch ich will nicht mehr sagen, Fräulein Bertha kümmert sich nicht darum, daß Ihr Vater jetzt böse auf mich ist —«

»Mein Vater! Hast Du etwa mit ihm gesprochen?«

»Allerdings,« sagte Jean, der die Frage so verstand, wie sie gemeint zu seyn schien, »allerdings habe ich mit ihm gesprochen.«

»Wann denn?«

»Diesen Morgen; zuerst als ich ihm den Brief von Petit-Pierre brachte, und dann als ich ihm die Liste der mit uns ausrückenden Leute übergab. Ich weiß wohl, daß die Liste nicht so zahlreich ist, wie man hätte erwarten können; aber man thut, was man kann. Wissen Sie, was er mir antwortete, als ich ihn fragte, ob der junge Herr wirklich mit uns ziehen werde?«

»Nein,« sagte Mary.

»Mort dieu!« antwortete er, »Du recrutirst so schlecht, daß ich gezwungen bin Dir Gehilfen zu geben. Ja, Michel wird mit uns ziehen, und wenn Du nicht damit zufrieden bist, so halte Dich an Bertha, die ihn angeworben hat.«

»Das hat er gesagt, Jean?«

»Ja wohl; ich will auch mit Fräulein Bertha reden.«

»Lieber Jean, nimm Dich in Acht!«

»Wieso?«

»Hüte Dich wohl, die Gefühle meiner Schwester zu verletzen! Sie liebt ihn,« sagte Mary mit kaum verständlicher Stimme.

»Sie gestehen es also, daß sie ihn liebt?« sagte Jean Oullier.

»Ich muß es wohl gestehen,« erwiderte Mary.

»Ich begreife es nicht,« fuhr Jean Oullier fort.

»Fräulein Bertha liebt eine Puppe, die man mit dem kleinen Finger umwerfen kann! Sie will ihren alten berühmten Namen vertauschen gegen den Namen eines Verräthers, eines erbärmlichen Wichtes!«

Mary war in einem entsetzlichen Gemüthszustande.

»Jean,« sagte sie, »Du gehst zu weit – sage das nicht, ich beschwöre Dich!«

»O ja, aber es soll nicht seyn!« fuhr Jean Oullier fort, ohne die Bitte seines Lieblings zu beachten, und ging im Zimmer auf und ab. »Wenn Jedermann gleichgültig ist gegen Ihre Ehre, so will ich sie wahren, und ehe ich zugebe, daß der Ruhm des Hauses, dem ich diene, besudelt werde, will ich ihn lieber —«