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Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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Aber nach und nach schwanden die gewaltsam gesteigerten Kräfte des Grafen, seine Füße bewegten sich nur noch mechanisch. Das Blut stockte ihm in der Brust, der Athem ging ihm aus, er röchelte, kalter Schweiß bedeckte seine Stirn, seine Pulse schlugen so heftig, als ob ihm der Kopf zerspringen müßte. Von Zeit zu Zeit wurde es ihm dunkel vor den Augen – er glitt auf dem mindesten Abhange aus, stolperte über jeden Stein, und seine zitternden Knie vermochten die Last kaum noch zu tragen.

»Halt,« sagte Petit-Pierre, »halten Sie an, Bonneville, keinen Schritt weiter!«

»Nein, nein – ich halte nicht an,« antwortete der junge Graf, »ich habe noch Kraft und werde sie bis aufs Aeußerste gebrauchen. Ich sollte anhalten im Angesicht des sichern Hafens! Ich sollte so nahe am Ziele unserer Wanderung den Muth verlieren! Sehen Sie nur!«

Am Ende des ausgehauenen Weges, in weichem sie sich befanden, bemerkte man den ersten Schimmer der Morgenröthe und die dunkeln eckigen Umrisse eines Hauses. – Sie waren dem freien Felde nahe.

Aber Bonneville konnte nicht weiter; er sank nieder auf die Knie, sein Körper lehnte sich langsam zurück, als ob er mit dem äußersten Aufgebot seiner Willenskraft seinen Schützling vor den Gefahren eines Sturzes bewahren wollte.

Petit-Pierre machte sich aus seinen Armen los, aber er war fast eben so kraftlos wie sein Begleiter.

Er versuchte Bonneville aufzuheben, aber es gelang ihm nicht.

Der Graf wollte die Hände an den Mund halten, wahrscheinlich um das gewöhnliche Zeichen der Chouans zu geben, aber der Athem war ihm ausgegangen und kaum hatte er noch die Kraft, seinem Schützling zuzuflüstern:

»Vergiß nicht —«

Er fiel in Ohnmacht.

Das Haus, welches man gesehen hatte, war nur etwa sieben- bis achthundert Schritte von der Stelle, wo sich Bonneville und Petit-Pierre befanden.

Dieser beschloß sich dahin zu begeben und auf jede Gefahr hin um Hilfe für seinen Freund zu bitten.

Er nahm alle seine Kräfte zusammen und eilte auf das Haus zu.

An einem Kreuzwege bemerkte er einen Mann, der auf einem Seitenwege rasch fortging.

Petit-Pierre rief ihn an, aber der unbekannte sah sich nicht einmal um. Er erinnerte sich nun des unter den Chouans bekannten Signalrufes, hielt die Hände an den Mund und ahmte das Geschrei der Eule nach.

Der Mann stand sogleich still, kehrte um und kam auf Petit-Pierre zu.

»Mein Freund,« sagte dieser, als der Unbekannte nahe genug gekommen war, »ich will Euch Gold geben, wenn es Euch darum zu thun ist; aber vor Allem bitte ich Euch um Gottes willen, kommt mit mir und rettet einen Unglücklichen, der dem Tode nahe ist.«

Petit-Pierre kehrte nun, so schnell es seine Kräfte gestatteten, zu Bonneville zurück. Der Unbekannte folgte.

Sobald dieser einen Blick auf den ohnmächtigen jungen Grafen geworfen hatte, sagte er:

»Man braucht mir kein Gold zu versprechen, ich werde dem Herrn Grafen von Bonneville gern Hilfe leisten.«

Petit-Pierre sah den Mann aufmerksam an.

»Jean Oullier!« sagte er überrascht, als er im dämmernden Morgenlichte den Waldhüter des Marquis von Souday erkannte. »Könnt Ihr hier in der Nähe ein Obdach für meinen Freund und für mich finden?«

Der Waldhüter hatte nicht einmal nöthig, sich zu besinnen, um eine Antwort zu geben.

»Es steht eine halbe Stunde in der Runde nur ein Haus,« erwiderte er mit unverkennbarem Widerwillen.

Aber Petit-Pierre schien diese Verstimmung nicht zu bemerken.

»Ihr müßt mich hinführen,« sagte er, »und meinen Freund tragen.«

»In das Haus dort?« fragte Jean Oullier.

»Ja; sind die Bewohner seine Royalisten?«

»Ich weiß es noch nicht,« antwortete Jean Oullier.

»Geht, Jean Oullier, ich vertraue Euch unser Leben an; ich weiß, daß Ihr mein ganzes Vertrauen verdient.«

Jean Oullier nahm den noch immer ohnmächtigen Bonneville auf seine Schultern und faßte Petit-Pierre bei der Hand.

Dann ging er auf das Haus zu, welches kein anderes war, als der von Joseph Picaut und seiner Schwägerin bewohnte Meierhof.

Jean Oullier stieg eben so behende über den Zaun, als ob er statt des Grafen von Bonneville nur seine Waidtasche getragen hätte; aber als er im Garten war, ging er mit einiger Vorsicht weiter.

Bei Joseph Picaut schlief noch Alles. Bei der Witwe hingegen war Licht, und man sah einen Schatten hinter den Vorhängen hin- und hergehen.

Jean Oullier traf zwischen Beiden sogleich seine Wahl.

»Wahrhaftig,« sagte er für sich, »wenn ich Alles wohl erwäge, so ist mir dies eben so lieb.«

Er ging entschlossen auf Pascal’s Wohnung zu und öffnete die Thür.

Die Leiche Pascals lag noch auf dem Bett. Die Witwe hatte zwei Kerzen angezündet und betete vor dem Todten.

Als sie die Thür aufgehen hörte, stand sie auf.

»Witwe Pascal,« sagte Jean Oullier zu ihr, ohne seine Bürde abzulegen und Petit-Pierres Hand loszulassen, »ich habe Euch diese Nacht auf dem Ziegenwege das Leben gerettet —«

Die Witwe sah ihn erstaunt an; sie schien sich zu besinnen.

»Ihr wollt mir nicht glauben?«

»Ja, Jean, ich glaube Euch; ich weiß wohl, daß Ihr nie lüget, und wenn Ihr auch euer Leben damit retten könntet. Uebrigens habe ich den Schuß gehört – ich kann mir wohl denken, wer ihn abgefeuert hat.«

»Wollt Ihr euren Mann rächen, Witwe Pascal, und zugleich euer Glück machen? Ich verschaffe Euch Gelegenheit dazu.»

»Wieso? fragte die Witwe.

»Hier,» fuhr Jean Oullier fort, »hier bringe ich Euch die Herzogin von Berry und den Grafen von Bonneville, welche Beide vielleicht verschmachtet wären, wenn ich sie nicht im Walde aufgefunden hätte. Ich bringe sie Euch und bitte für sie um ein Obdach.

Die Witwe sah die Gruppe mit Erstaunen, aber zugleich mit unverkennbarer Theilnahme an.

»Dieser Kopf, den Ihr vor Euch seht, setzte Jean Oullier hinzu, »ist nicht mit Gold aufzuwägen. Ihr könnt ihn ausliefern, wenn Ihr wollt – dann werdet Ihr, wie schon gesagt, euren Mann rächen und euer Glück machen.«

»Jean Oullier,« erwiderte die Witwe ernst, »Gott hat uns Mitleid und Barmherzigkeit gegen alle Mitmenschen, groß und klein, geboten. Zwei Unglückliche klopfen an meine Thür; ich weise sie nicht fort; zwei Flüchtlinge sprechen mich um ein Obdach an, und mein Haus wird eher einstürzen, als daß ich sie ausliefere. – Kommt herein, Jean Oullier,« setzte sie mit treuherzigem Ausdruck hinzu, »Ihr sollt mir sammt euren Begleitern willkommen seyn.«

Sie traten ein.

Während Petit-Pierre dem Waldhüter behilflich war, den Grafen von Bonneville auf einen Stuhl zu setzen, flüsterte ihm Jean Oullier zu: »Madame, schieben Sie Ihre herabhängenden blonden Haare unter die Perrücke; was ich errathen und dieser Frau gesagt habe, darf nicht Jedermann wissen.«

V.
Die Gleichheit vor dem Tode

An demselben Tage, um zwei Uhr Nachmittags, hatte Courtin La Logerie verlassen, um, wie er vorgab, in Machecoul einen Zugochsen zu kaufen; allein seine eigentliche Absicht war, über die Ereignisse der Nacht etwas zu erfahren, denn diese Ereignisse interessirten ihn in hohem Grade.

An der Furt von Pontfarcy fand er die Müllerburschen, welche den Leichnam des jungen Tinguy aufgefunden hatten, und um sie waren einige neugierige Weiber und Kinder versammelt.

Als der Maire von La Logerie seinen Klepper in den Fluß getrieben hatte, sahen sich alle nach ihm um, und das bis dahin sehr laute und lebhafte Geschnatter hörte plötzlich auf.

»Was gibts denn!« fragte Courtin, indem er gerade auf die Gruppe lossteuerte.

»Ein Todter,« antwortete ein Müllerbursche mit der Einsylbigkeit eines echten Vendéers.

Courtin sah den Todten an und bemerkte, daß er Uniform trug.

»Es ist noch ein Glück,« sagte er, »daß es Keiner aus unserer Gegend ist.«

Der Maire von La Logerie, obgleich ein Philippist, hielt es nicht für gerathen, einen Soldaten Louis-Philipps zu bedauern.

»Ihr irrt Euch, Herr Courtin,« antwortete ein Mann in brauner Jacke.

Der Titel Herr, der ihm mit einer gewissen Absichtlichkeit gegeben wurde, schmeichelte ihm keineswegs. Unter den damaligen Verhältnissen war das Wort Herr in dem Munde eines Landmannes eine Beleidigung oder eine Drohung, und der Maire von La Logerie wußte wohl, daß ihm dieser Titel nicht als ein Beweis der Achtung gegeben wurde. Er beschloß daher recht vorsichtig zu seyn.

»Aber der Todte trägt ja Husarenuniform,« entgegnete er kleinlaut.

»Ihr wißt ja,« erwiderte der Bauer, »daß die Menschenjagd,« so nannten die Vendéer die Conscription, »unsere Söhne und Brüder eben so wenig verschont wie Andere. Ihr seyd Maire und solltet es doch wissen.«

Es folgte eine neue, für Courtin sehr peinliche Pause. Er beeilte sich diesem Stillschweigen ein Ende zu machen.

»Weiß man wie der arme Bursch heißt?« fragte er mit schlecht erheucheltem Bedauern.

Niemand antwortete.

»Sind denn von unseren Leuten auch welche gefallen?« fragte er weiter, »wie ich höre, sind viele Schüsse gewechselt worden.«

»So viel mir bekannt, ist nur der da zu Tode gekommen, obgleich es fast eine Sünde ist, bei der Leiche eines Christen davon zu sprechen.«

Bei diesen Worten wandte sich der Bauer um, und während er Courtin scharf ansah, zeigte er auf Oullier’s Hund, der am Ufer liegen geblieben war.

Courtin erblaßte; er fing an zu husten, als ob ihm eine unsichtbare Hand die Kehle zuschnürte.

»Was ist das?« sagte er. »Ein Hund! Wenn wir nur solche Todte zu beweinen hätten, würden wir unsere Thränen für eine andere Gelegenheit aufsparen.«

»O! das Blut eines Hundes hat auch seinen Werth,« erwiderte der Mann mit der braunen Zacke, »der Herr des armen Pataud wird es dem Schützen, der mit Rehpfosten geschossen, gewiß entgelten lassen.«

Der Mann schien es nicht der Mühe werth zu finden, noch mehr Worte mit Courtin zu wechseln, oder dessen Antwort abzuwarten, denn er entfernte sich und verschwand hinter einer Hecke.

 

Die Müllerburschen trugen den Todten fort.

Die Weiber und Kinder schlossen sich laut betend dem Zuge an.

Courtin blieb allein.

»Der Jean Oullier,« sagte er nachsinnend, »ist in guten Händen, ich habe nichts von ihm zu fürchten, obschon es nicht ganz unmöglich ist, daß er aus der Falle, die ich ihm gestellt, wieder herauskomme.«

Er gab seinem Klapper, der gern noch länger Halt gemacht hätte, den an seinem rechten Fuße festgeschnallten Sporn und ritt weiter. Aber die Neugierde machte ihn ungeduldig, es war noch weit bis Machecoul, und ein gemüthlicher Paßgang war das Höchste, das sein Gaul zu leisten vermochte.

Er ritt eben an dem Kreuze von La Berthaudière vorüber, wo der zum Hause der Familie Picaut führende Seitenweg in die Landstraße einmündete.

Er dachte an Pascal, der ihm besser als jeder Andere über die gestrigen Vorgänge Aufklärung geben konnte, denn Pascal hatte ja den Soldaten als Führer gedient.

»Ich hätte es bald vergessen!« sagte er, mit sich selbst redend, »wozu brauche ich denn zu warten, bis ich nach Machecoul komme? Ich kann ja hier Alles erfahren, was geschehen ist, und zwar aus einem Munde, der mir nichts verschweigen wird. Ich will Pascal heimsuchen; er soll mir sagen was vorgegangen ist.«

Courtin wandte sich also rechts; fünf Minuten nachher kam er hinter einem Obstgarten hervor und machte auf dem kleinen Meierhofe Halt.

Joseph saß auf einem Pferdekummet vor der Thür des von ihm bewohnten Haustheiles und rauchte seine Pfeife.

Er hielt nicht für nöthig aufzustehen, um den Maire von La Logerie zu begrüßen.

Courtin schien keine Notiz davon zu nehmen; er stieg ab und band seinen Gaul an einen in der Mauer befestigten Ring.

»Ist euer Bruder zu Hauses« fragte er.

»Ja, er ist noch da,« antwortete Joseph, indem er das Wort noch ausfallend betonte, »braucht Ihr ihn etwa, um die Rothhosen in das Schloß Souday zu führen?«

Courtin biß sich in die Lippen und antwortete nicht.

»Was!« dachte er, »sollte Pascal so einfältig gewesen seyn, dem Joseph zu sagen, daß ich ihm den Auftrag gegeben? Man kann wahrhaftig seit vierundzwanzig Stunden nichts thun, ohne daß alle Leute davon schwatzen.«

Er klopfte an die Thür des jüngeren Picaut, und wäre er nicht so sehr mit seinen Gedanken beschäftigt gewesen, so würde es ihm auffallend gewesen seyn, daß die Thür, gegen die auf dem Lande herrschende Sitte, von innen verriegelt war und daß es sehr lange dauerte, bis man öffnete.

Als Courtin einen Blick in die Stube warf, trat er erschrocken zurück.

»Wer ist denn hier gestorben?« fragte er.

»Sehet nur,« antwortete die Witwe, welche, nachdem sie die Thür aufgemacht, wieder am Camine Platz genommen hatte.

Courtin sah unter dem Leichentuche nur die Form des Todten, aber er errieth Alles.

»Pascal!« sagte er bestürzt. »Pascal!«

»Ich glaubte, Ihr hättet es schon gewußt,« erwiderte die Witwe.

»Ich —!«

»Ja, Ihr seyd ja die Ursache seines Todes.«

»Ich!« wiederholte Courtin, der nun an die lakonischen Worte Josephs dachte und wohl einsah, daß er sich um seiner Sicherheit willen rechtfertigen müsse. »Ich, es sind ja mehr als acht Tage, daß ich euren seligen Mann gesehen habe, ich schwöre es Euch —«

»Schwöret nicht!« unterbrach ihn die Witwe. «Pascal hat nie geschworen, weil er immer die Wahrheit sagte.«

»Wer hat Euch denn gesagt, daß ich ihn gesehen?« fragte Courtin. »Ihr wollt mich wohl gar Lügen strafen?«

»Lüget nicht im Angesicht eines Todten!« mahnte die Witwe, »es würde Euch Unglück bringen.«

»Ich lüge nicht,« stammelte der Maire.

»Er ging zu Euch – und Ihr habt ihn aufgefordert, den Soldaten als Führer zu dienen.«

Courtin schüttelte den Kopf.

»Ich will Euch deshalb keinen Vorwurf machen, setzte die Witwe hinzu und sah dabei eine kleine gegen dreißig Jahre alte Bäuerin an, die auf der andern Seite des Camins spann, »es war Pflicht, den Soldaten beizustehen, die gekommen sind, einen neuen Bürgerkrieg zu verhindern.«

»Das ist auch meine Absicht, mein einziges Bestreben,« erwiderte Courtin, aber so leise, daß ihn die kleine Bäuerin kaum verstehen konnte. »Ich möchte, daß uns die Regierung ein für allemal von den Edelleuten befreite, die uns verachten und uns niedermetzeln lassen, wenn’s zum Kriege kommt. Ich bin eifrig darauf bedacht, Frau Picaut, aber man darf sich dessen nicht laut rühmen, man weiß nur zu gut, was man zu fürchten hat.«

»Ihr versteckt Euch ja, wenn Ihr einen Schuß hört,« sagte die Witwe mit dem Ausdrucke tiefer Verachtung, »Ihr habt Euch also nicht zu beklagen, wenn Ihr in eurem Versteck von einer Kugel getroffen werdet.«

»Nun, Jeder wirkt auf seine Art für Gesetz und Ordnung,« erwiderte Courtin verlegen, »alle Leute sind ja nicht so muthig wie euer seliger Mann. Aber wir wollen ihn rächen, das schwöre ich Euch!«

»Schönen Dank, Herr Courtin, dazu brauche ich Euch nicht,« sagte die Witwe mit fast drohendem Tone, »ihr habt Euch in unsere Angelegenheiten leider schon zu viel eingemischt, spart also euren guten Willen nur für andere auf.«

»Wie Ihr wollt, Frau Picaut. Ach, ich war eurem lieben Manne vom Herzen gut, und ich will Euch alles zu Gefallen thun.«

Dann wandte er sich plötzlich zu der Bäuerin, die er bereits verstohlen von der Seite angesehen hatte.

»Wer ist denn das junge Weibchen?« fragte er.

»Eine Base von mir; sie ist heute früh von Port Saint-Père gekommen, um mir Gesellschaft zu leisten und mir bei dem Begräbniß meines armen Pascal behilflich zu seyn.«

»Von Port Saint-Père, diesen Morgen! Da muß sie gut gehen können, da sie so geschwind gekommen ist.«

Die arme Witwe war nicht gewohnt zu lügen, weil sie sonst nie Ursache dazu gehabt hatte. Sie warf dem Maire einen zornigen Blick zu, den Courtin aber nicht bemerkte, weil er mit der Musterung von Bauernkleidern, die am Camin zum Trocknen aufgehängt waren, eifrig beschäftigt war.

Seine Aufmerksamkeit schien insbesondere durch ein paar Schuhe und ein Hemd gefesselt zu werden.

Die Schuhe waren allerdings mit Nägeln beschlagen, aber von ganz ungewöhnlicher Form, und das Hemd war von dem feinsten Battist.

»Hübsche Leinwand – sehr fein!« sagte Courtin, indem er das zarte Gewebe zwischen den Fingern rieb, »muß sehr weich zu tragen seyn.«

Die junge Bäuerin hielt es nun für nothwendig, der Witwe, die sich kaum noch zu halten vermochte, zu Hilfe zu kommen.

»Ja,« sagte sie, »ich habe die Sachen in Nantes bei einem Trödler gekauft, um dem kleinen Neffen meines seligen Vetters Pascal Kleider daraus zu schneiden.

»Und Ihr habt sie gewaschen, ehe Ihr sie dem Schneider gabt. Ihr habt recht gethan,« setzte Courtin hinzu, indem er die junge Bäuerin noch schärfer ansah; »man weiß nicht, wer solche abgelegte Kleider getragen hat – ob sie einem Prinzen oder einem Aussätzigen gehört haben.«

»Herr Courtin,« unterbrach ihn die Witwe, die immer ungeduldiger zu werden schien, »ich glaube, euer Gaul wird draußen unruhig.«

Courtin lauschte; nach einer Pause erwiderte er: »Wenn ich euren Schwager nicht oben auf dem Boden gehen hörte, so würde ich glauben, der Schlingel neckte mein Pferd.«

Dieser neue Beweis von Courtin’s scharfer Beobachtungsgabe machte der jungen Bäuerin einen großen Schrecken, und dieser Schrecken wurde noch größer, als Courtin, der an’s Fenster getreten war, wie mit sich selbst redend, sagte:

»Doch nein, er ist ja vor der Thür. Der Schlingel macht mein Pferd mit der Peitsche unruhig. – Wer ist denn auf eurem Boden?« fragte er, sich zu der Witwe wendend.

Die Spinnerin wollte antworten, daß Joseph ein Weib und Kinder habe und daß der Boden von beiden Familien gemeinschaftlich benutzt werde; aber die Witwe kam ihr zuvor. »Werdet Ihr mit euren Fragen nicht bald aufhören, Herr Courtin?« sagte sie, sich in die Brust werfend. »Ich hasse die Spione, gleichviel, ob sie roth oder weiß sind; merkt Euch das!«

»Seit wann ist denn ein Freund, der ein Wörtchen plaudert, ein Spion? Ihr seyd sehr empfindlich geworden, Frau Picaut.«

Die junge Bäuerin ermahnte die Witwe mit einem bittenden Blick zur Vorsicht; aber ihre ungestüme Wirthin vermochte sich nicht mehr zu halten.

»Ein Freund!« erwiderte sie zornig. »Sucht eure Freunde unter Euresgleichen, unter den Angebern und Memmen, und diesen dürft Ihr die Witwe Pascal Picaut’s nicht beizählen, Geht! und laßt uns in Ruhe, Ihr habt uns schon zu lange in unserer Trauer gestört!«

»Ja, ja,« sagte Courtin mit erheuchelter Gutmüthigkeit, »Ihr ärgert Euch über mich; ich hätte längst einsehen sollen, daß Euch meine Gegenwart zur Last ist: Ihr wolltet mich ja durchaus für die Ursache des Todes eures Mannes ansehen. Es thut mir wahrhaftig leid, sehr leid, denn ich war ihm sehr gut und würde ihm um keinen Preis etwas zu Leide gethan haben. Aber da Ihr mich durchaus nicht mehr bei Euch leiden wollt, so gehe ich. Grämet Euch nur nicht zu sehr.«

In diesem Augenblick deutete die Witwe, deren Besorgnis immer größer zu werden schien, mit einem flüchtigen Seitenblick auf einen hinter der Thür stehenden Backtrog, auf welchem man ein ganz offen gebliebenes Schreibzeug vergessen hatte.

Das Schreibzeug hatte man wahrscheinlich gebraucht, um den von Jean Oullier am Morgen überbrachten Brief an den Marquis von Souday zu schreiben. Es bestand aus einem Futteral von grünem Leder und einer cylinderförmigen Pappschachtel, welche die Schreibmaterialien enthielt.

Dieses Etui und die umherliegenden Papiere konnten der Aufmerksamkeit Courtin’s, wenn er sich der Thür näherte, unmöglich entgehen.

Die junge Bäuerin verstand den Wink, sah die Gefahr und ehe er sich umgewandt hatte, schlüpfte sie hinter den Maire und setzte sich auf den Backtrog, so daß sie das Schreibzeug völlig bedeckte.

Courtin schien dieses Manöver nicht im mindesten zu beachten, denn er setzte hinzu:

»So lebt wohl, Frau Picaut. Ich habe in eurem Manne einen lieben Cameraden verloren. Ihr wollt’s nicht glauben, aber die Zukunft wird Euch lehren. Wenn Euch Jemand in der Gegend belästigt, so kommt nur zu mir – ich bin Maire und Ihr werdet sehen, daß ich der Mann bin, Euch in Schutz zu nehmen.«

Die Witwe antwortete nicht; sie hatte dem unwillkommenen Gaste gesagt, was sie ihm zu sagen hatte, und schien ihn gar nicht mehr zu beachten, als er fortging. Ihre Blicke waren auf den Leichnam gerichtet, dessen starre Form unter dem Tuche sichtbar war.

»Siehe da, mein schönes Kind,« sagte Courtin, als er an der jungen Bäuerin vorüberging, »Ihr habt Euch ja hinter die Thür geflüchtet.«

»Ja, es wurde mir zu warm am Camine,« antwortete sie.

»Pfleget eure Base gut,« fuhr Courtin fort, »sie ist durch diesen Todesfall ganz wild geworden – so wild wie die Wölfinnen von Machecoul. Spinnet nur, mein Kind; dreht nur eure Spindel, aber schwerlich werdet Ihr aus dem Flachs einen so feinen Faden ziehen, wie das Garn zu dem Hemdchen dort.«

Endlich entschloß er sich fortzugehen.

»Schöne, feine Leinwand,« sagte er noch in der Thür.

»Geschwind – geschwind, verstecken Sie alle diese Sachen,« sagte die Witwe, »er wird sogleich wiederkommen.«

Die junge Bäuerin schob das Schreibzeug rasch hinter den Backtrog; aber wie schnell sie diese Bewegung auch ausführte so war sie doch zu langsam.

Der Laden, welcher die obere Hälfte der Stubenthür bildete, wurde rasch aufgemacht und Courtins Kopf kam zum Vorschein.

»Ich habe Euch einen Schrecken eingejagt – nichts für ungut,« sagte Courtin. »Ich wollte nur fragen, wann das Begräbniß ist.«

»Ich glaube morgen,« sagte die junge Bäuerin.

»Willst Du gehen. Du schlechter Lump!« schrie die Witwe, die schnell die Feuerzange ergriff und auf Courtin losstürzte.

Er zog sich erschrocken zurück.

Frau Picaut schlug den Laden heftig zu.

Der Maire von La Logerie band seinen Gaul los, nahm eine Handvoll Stroh und rieb den Sattel ab, den Josephs Kinder, um ihrem vom Vater gepredigten Haß gegen die »Patauds« einen Ausdruck zu geben, mit Kuhmist besudelt hatten.

Dann setzte er sich, ohne die mindeste Klage laut werden zu lassen, mit der harmlosesten Miene von der Welt zu Pferde. Er hielt sogar an dem Obstgarten still, um zu sehen, ob die Aepfelbäume gut blühten; aber als er wieder am Kreuz von La Berthaudière war, trieb er seinen Gaul mit Stock und Sporn so eifrig an, daß er rasch, wie vielleicht noch nie, auf dem Wege nach Machecoul forttrabte.

»Endlich ist er fort!« sagte die junge Bäuerin, die dem Maire von La Logerie durch das Fenster nachgeschaut hatte.

»Ja, aber wir haben vielleicht nichts dabei gewonnen.«

 

»Wie so?«

»O, ich kenne ihn!«

»Glaubt Ihr, er werde mich anzeigen?«

»Er steht in schlechtem Rufe. Ich kümmere mich wenig um das Geschwätz der Leute, aber sein Gesicht gefällt mir nicht, und ich glaube nicht, daß man ihm selbst unter den Weißen Unrecht thut.«

»Es ist wahr,« erwiderte die junge Bäuerin, die unruhig wurde, »sein Gesicht ist keineswegs geeignet, Vertrauen zu wecken.«

»Ach, Madame,« sagte die Witwe, »warum haben Sie denn Jean Oullier nicht bei sich behalten? Er ist ein braver Mann; auf den man sich verlassen kann.«

»Ich hatte in das Schloß Souday einen Befehl zu senden. Ueberdies soll er uns diesen Abend Pferde bringen, damit wir euer Haus so bald wie möglich verlassen können; ich bin Euch ja zur Last, und werde Euch vielleicht noch in Verlegenheit bringen.«

Die Witwe antwortete nicht; sie bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und weinte.

»Arme Frau!« sagte die Herzogin, »eure Thränen fallen tropfenweise auf mein Herz und hinterlassen schmerzliche Wunden! – Ach, es ist die traurige, unvermeidliche Folge der Revolutionen, dass alles Blut, alle Thränen, auf das Haupt der Anstifter fallen müssen!«

»Sollten sie nicht auf das Haupt der erstens Urheber fallen?« erwiderte die Witwe mit dem Ausdruck tiefer Entrüstung.

»Ihr haßt uns also?« fragte die Herzogin mit Sanftmuth.

»Ja, ich hasse die Weißen,« antwortete die Witwe, »wie könnte ich sie auch lieben?«

»Ich verstehe – der Tod eures Mannes —«

»Nein, Sie verstehen mich nicht,« sagte die Witwe, den Kopf schüttelnd.

Die junge Bäuerin sah sie fragend an, als ob sie sagen wollte: »Erklärt Euch deutlicher.«

»Nein,« setzte die Witwe hinzu, »ich hasse sie nicht, weil der Mann, der seit fünfzehn Jahren mein ganzes Leben war, morgen ins Grab kommt; nicht weil ich als Kind die Metzeleien zu Légé gesehen; nicht weil meine Angehörigen unter der weißen Fahne vor meinen Augen gemordet wurden; nicht weil die Unmenschen, die für Ihre Ahnen kämpften zehn Jahre lang die meinigen verfolgten, ihre Häuser niederbrannten, ihre Aecker verwüsteten – nein, deshalb hasse ich die Weißen nicht!«

»Warum denn?«

»Weil sie für eine selbstsüchtige Familie kämpfen, weil ich es für gottlos halte, so viele Menschen zu martern und zu morden, um den Ehrgeiz, die Herrschsucht zu befriedigen. – Sie gehören zu dieser herrschsüchtigen Familie, und deshalb hasse ich Sie!«

»Aber Ihr habt mich doch in euer Haus aufgenommen, Ihr habt mich und meinen Begleiter mit Speise und Trank erquickt, Ihr habt mir eure Kleider, ihm die Kleider des Verstorbenen gegeben, für den ich hienieden bete und der, wie ich hoffe, dort oben für mich beten wird —«

»Ja, weil ich es für Christenpflicht halte, den Heimatlosen ein Obdach zu geben, die Hungrigen zu erquicken, die Müden ausruhen zu lassen; aber wenn Sie meine Wohnung verlassen haben, wenn ich die Pflicht der Gastfreundschaft erfüllt habe, so wird mein sehnlicher Wunsch seyn, daß Sie von Ihren Verfolgern eingeholt werden.«

»Aber warum liefert Ihr mich denn nicht aus, wenn Ihr so denkt?«

»Weil mein Mitleid größer ist als mein Haß, weil ich die Gebote der Gastfreundschaft achte – und ich sage es aufrichtig; weil ich hoffe, daß der Anblick dieses Todten einen heilsamen Eindruck auf Sie machen und Ihnen Ihren Plan verleiden werde. Denn ich weiß, daß Sie ein gutes, fühlendes Herz haben.«

Sie trat rasch an das Bett und riß das Tuch von dem Todten.

Man sah nun sein bleiches Gesicht und die Wunden, die dem Leben des Unglücklichen ein Ende gemacht hatten.

Die junge Bäuerin wandte sich ab; trotz der Charakterstärke, von der sie schon so viele Beweise gegeben, vermochte sie den entsetzlichen Anblick nicht zu ertragen.

»Bedenken Sie, Madame,« fuhr die Witwe fort, »bedenken Sie, daß viele unglückliche Menschen, deren einzige Schuld die Liebe zu Ihnen ist, daß viele Vater, Söhne, Brüder auf dem Todtenbett liegen werden, wie mein Mann, ehe Sie Ihren ehrgeizigen Plan in Ausführung bringen können; bedenken Sie, daß viele Witwen, viele Mütter und Waisen den Mann, der ihre einzige Stütze ihre einzige Liebe war, beweinen werden, so wie ich hier meinen Mann beweine.«

»Mein Gott! mein Gott!« sagte die junge Frau schluchzend und auf die Knie fallend, »wenn wir uns täuschten! Wenn wir Rechenschaft geben müßten von allen Herzen, die wir brechen!«