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Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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XVI.
Wo der General als ungebetener Gast speist

Nach der Weisung des Marquis hatte Rosine das Schloßthor geöffnet, sobald geklopft wurde. Die Soldaten stürzten in den Hof und umstellten das Haus.

Der alte General stieg vom Pferde. Er bemerkte die beiden Männer mit Lichtern und hinter ihnen die beiden Mädchen.

Die vier Personen kamen zuvorkommend und freundlich auf ihn zu. Dieser Empfang war ihm auffallend.

»Herr General,« sagte der Marquis, »ich habe kaum gehofft, Sie diesen Abend noch zu sehen.«

»Sie hofften es, sagen Sie, Herr Marquis?« sagte der General, sehr erstaunt über diese Anrede.

»Ja, aber ich hatte, wie gesagt, fast alle Hoffnung aufgegeben. Wann sind Sie von Montaigu abmarschirt? Nicht wahr, gegen sieben Uhr?«

»Ja, schlag sieben Uhr.«

»Ganz richtig. Meiner Berechnung nach brauchten Sie zwei gute Stunden; ich erwartete Sie also um ein Viertel auf Zehn, längstens halbzehn. Aber es ist zehn Uhr vorüber, und ich dachte: Mein Gott! sollte ein Unfall die mir zugedachte Ehre, einen so tapferen, verdienstvollen Offizier zu bewirthen, vereitelt haben?«

»Sie haben mich also erwartet, Herr Marquis?«

»Pardieu! Wahrscheinlich haben Sie sich an der verwünschten Furt bei Pontfarcy verspätet. Es ist wirklich ein abscheuliches Land, Herr General. Kleine Bäche werden reißende Ströme, wenn's ein paar Stunden regnet – und die Wege! Sie werden hauptsächlich in der Baugéschlucht viele Hindernisse gefunden haben; man sinkt bis an den Leib in den Morast. Aber das ist noch nichts gegen den halsbrechenden »Ziegenweg«, den ich in meiner Jugend ungeachtet meiner Jagdleidenschaft nicht ohne Zagen betreten habe. In der That, Herr General, ich kann Ihnen nicht dankbar genug seyn wenn ich denke, wie viele Strapazen Ihnen die mir zugedachte Ehre verursacht hat.«

Der General sah wohl ein, daß er überlistet worden war, und entschloß sich, einstweilen an der Tafel des Marquis Platz zu nehmen.

»Ich bedaure sehr, Herr Marquis,« erwiderte er, »daß ich so lange ausgeblieben bin; aber es ist nicht meine Schuld. Auf jeden Fall werde ich mich in Zukunft bemühen, trotz allen Strömen, Schluchten und Bergpfaden pünktlicher zu seyn.«

In diesem Augenblicke kam ein Offizier auf den General zu, um dessen Befehle hinsichtlich der vorzunehmenden Haussuchung zu empfangen.

»Es ist nicht nöthig, lieber Capitän,« sagte der General, »unser Herr Wirth sagt ja, daß wir zu spät kommen; wir haben uns also nicht zu bemühen, es ist ja hier im Hause Alles in Ordnung.«

»Wie! in Ordnung,« erwiderte der Marquis. »Mein ganzes Hans steht zu Ihrer Verfügung, Herr General. Thun Sie, als ob es Ihnen gehörte.«

»Ein so freundliches Anerbieten kann ich nicht ablehnen,« sagte der General, sich verneigend.

»O! Ihr scheinet sehr zerstreut zu seyn, Kinder,« sagte der Marquis von Souday zu seinen Töchtern. »Ihr erinnert mich gar nicht, daß ich die Herren so lange hier draußen in diesem Wetter warten lasse! Treten Sie doch ein, Herr General – treten Sie ein, meine Herren. Im Salon brennt ein tüchtiges Feuer, vor welchem Sie Ihre in der Boulogne durchnäßten Kleider trocknen können.«

»Ich bin Ihnen für Ihre Artigkeit unendlich verbunden,« sagte der General, der sich aus Aerger die Lippen blutig biß.

»O! Sie können’s schon wieder gut machen, Herr General,« erwiderte der Marquis, der den Offizieren in den Salon leuchtete, während der kleine Notar die Flanke der Colonne beleuchtete. – »Aber erlauben Sie mir,« setzte er hinzu und stellte das Licht auf die Caminplatte, erlauben Sie mir Ihnen meine Tochter, die Fräulein Bertha und Mary von Souday, vorzustellen.«

»Wahrhaftig, Herr Marquis,« sagte der General, »der Anblick dieser reizenden Gesichter, dieser schönen Augen ist es wohl werth, sich in der Furt von Pontfarcy den Schnupfen zu holen und auf den halsbrechenden Gebirgspfaden das Leben zu riskieren.«

»Jetzt, Kinder,« sagte der Herr vom Hause, »benutzt eure schönen Augen und seht nach, ob das Abendessen, das schon eine Stunde auf die Herren gewartet hat, nicht auf sich warten lassen wird.«

»Ihre Güte beschämt uns, Herr Marquis,« versetzte der General, »und unser Dank —«

»Ihren Dank statten Sie durch die Unterhaltung ab, die Sie uns bieten,« unterbrach der Marquis. »Sie können leicht denken, Herr General, daß ich mich in Gesellschaft meiner Mädchen, denen Sie so viel Schmeichelhaftes gesagt haben, zuweilen sehr langweile. Das Leben wickelt sich in dieser Einsamkeit mit verzweifelnder Eintönigkeit ab. Denken Sie sich also meine Freude, als ein Kobold meiner Bekanntschaft herbeihüpfte und mir ins Ohr flüsterte: Der General Dermoncourt ist um sieben Uhr Abends von Montaigu abmarschirt, um Ihnen mit seinem Generalstabe in Souday einen Besuch zu machen.«

»Also ein Kobold hat es Ihnen gesagt?«

»Ja wohl; es gibt ja hier zu Lande Kobolde in jedem Schlosse, in jeder Bauernhütte. Kurz, die Aussicht auf den genußreichen Abend, den ich in Ihrer Gesellschaft zubringen sollte, hat mir meine längst verlorene Regsamkeit wiedergegeben: ich trieb meine Leute an, richtete ein Blutbad unter den Hühnern und Enten an, und habe meinen Gevatter Loriot, wohlbestallten Notar zu Machecoul hier behalten, um ihm das Vergnügen Ihrer Bekanntschaft zu bereiten. So haben wir denn Hals über Kopf ein Abendessen bereitet. Als vormaliger Soldat habe ich auch Ihre Mannschaft nicht vergessen —«

»So! Sie haben gedient, Herr Marquis?« fragte der General.

»Vielleicht nicht in denselben Reihen mit Ihnen; ich sollte daher kurzweg sagen: ich habe Pulver gerochen.«

»Hier zu Lande?«

»Ja, unter Charette.«

»Wirklich?«

»Ich war sein Adjutant.«

»Also sehen wir uns nicht zum ersten Male, Herr Marquis.«

»Das wäre!»

»Ich habe die Feldzüge 1795 und 1796 in der Vendée mitgemacht.«

»Bravo! das freut mich!« sagte der Marquis. »Beim Dessert wollen wir von unseren Jugendthaten erzählen. Es sind nur noch Wenige da, die von jenen Feldzügen zu erzählen wissen. Doch da kommen meine Töchter, um uns zum Essen zu rufen. Herr General, wollen Sie die Güte haben, der Cavalier der einen zu seyn? Der Herr Capitän wird sich die andere nicht nehmen lassen.«

Dann wandte er sich zu den übrigen Offizieren:

»Meine Herren, Sie sind freundlichst eingeladen; dem Herrn General zu folgen.«

Die Gesellschaft setzte sich zu Tische: der General zwischen Mary und Bertha, der Marquis zwischen zwei Offiziere.

Maître Loriot nahm neben Bertha Platz. Er hatte sich vorgenommen, bei Tische ein leises Wörtchen über den jungen Baron Michel zu sagen; der Ehecontract mußte ja auf jeden Fall in seiner Schreibstube gemacht werden.

Ein paar Minuten wurde kein Wort gesprochen; man hörte nur das Klappern der Messer und Gabeln und das Klirren der Gläser.

Die Offiziere, dem Beispiel des Generals folgend, ließen sich das unerwartete Ende ihres Marsches gern gefallen.

Der Marquis, der um fünf Uhr zu speisen pflegte, entschädigte seinen Magen reichlich für das beinahe sechsstündige Warten.

Mary und Bertha waren gar nicht böse, in ihrer Abneigung gegen die dreifarbige Cocarde einen Vorwand zu stillem Nachdenken zu finden.

Der General sann offenbar auf ein Mittel, die Scharte auszuwetzen. Er sah wohl ein, daß der Marquis von Souday von seinem Anmarsch Kenntniß bekommen hatte. Er wußte aus dem vorigen Kriege, wie leicht und schnell eine Nachricht von Dorf zu Dorf befördert wurde. Anfangs hatte er sich über die zuvorkommende Aufnahme gewundert, aber als er seine Fassung wieder gewonnen hatte und scharf beobachtete, fand er in dem freundlichen Empfange und in der offenbar für Andere zubereiteten Mahlzeit eine Bestätigung seines Argwohns; allein an eine Verfolgung der Entflohenen in der finsteren Nacht war nicht zu denken. Er beschloß daher, seine sorgfältigen Nachforschungen zu verschieben und bis dahin Alles, was um ihn vorgehen würde, genau zu beobachten.

Er brach das Stillschweigen.

»Herr Marquis,« sagte er, sein Glas aufhebend, »die Wahl eines Toastes würde für Sie wie für uns nicht ganz leicht seyn; aber es gibt einen Trinkspruch, der Niemand in Verlegenheit setzt und daher zuerst ausgebracht werden muß. Erlauben Sie mir, auf das Wohl der Fräulein von Souday dieses Glas zu leeren und ihnen für ihre Mitwirkung bei dieser gastfreien Bewirthung zu danken.«

»Wir sind Ihnen sehr verbunden, Herr General,« erwiderte Bertha, die zugleich für ihre Schwester das Wort nahm, »und es freut uns, daß wir Ihnen nach dem Willen unseres Vaters etwas Angenehmes erweisen konnten.«

»Sie wollen sagen,« versetzte der General lächelnd, »daß Sie nur auf Befehl freundlich sind und daß wir uns nur bei dem Herrn Marquis zu bedanken haben. Dieser militärische Freimuth gefällt mir und ich würde aus dem Lager Ihrer Bewunderer in das Lager Ihrer Freunde treten, wenn ich hoffen dürfte, mit der Cocarde, die ich trage, darin aufgenommen zu werden.«

»Das Lob, welches Sie meinem Freimuth zollen, macht mir Muth, Herr General.« sagte Bertha, »und mit demselben Freimuth gestehe ich Ihnen, daß ich Ihre Farben nicht gern an meinen Freunden sehe; aber ich will Sie gern meinen Freund nennen, in der Erwartung, daß Sie vielleicht einst meine Farben tragen werden.«

»Herr General,« sagte der Marquis, sich am Ohr kratzend, »Sie haben vollkommen Recht. Wie soll ich, ohne uns Beide zu compromittiren, Ihren freundlichen Trinkspruch beantworten? Haben Sie eine Gemahlin?«

Der General wollte den Marquis in eine Verlegenheit bringen.

»Nein,« antwortete er.

»Oder eine Schwester?«

»Nein.«

»Vielleicht eine Mutter?«

»Ja,« sagte der General, der auf der Lauer zu seyn schien, »ich habe Frankreich, unsere gemeinsame Mutter.«

»Bravo! ich trinke auf Frankreichs Wohl und auf die acht Jahrhunderte des Ruhmes und der Größe, die das Vaterland seinen Königen verdankt!«

 

»Erlauben Sie mir hinzuzusetzen,« sagte der General, »auf das letzte halbe Jahrhundert der Freiheit, die es seinen Söhnen verdankt.«

»Das ist nicht nur ein Zusatz,« entgegnete der Marquis, »sondern eine Abänderung. Doch ich nehme den Trinkspruch an. Frankreich bleibt immer Frankreich, gleichviel ob es weiß oder dreifarbig ist.«

Alle Tischgäste stießen an und sogar Maître Loriot, durch das Beispiel des Herrn vom Hause angeeifert, leerte sein Glas.

Das Gespräch war nun im Gange und wurde nach und nach so lebhaft, daß Bertha und Mary vor dem Dessert vom Tische aufstanden und in den Salon gingen.

Maître Loriot, der mit den beiden Mädchen mehr Geschäfte zu haben schien, als mit dem Herrn vom Hause, stand ebenfalls auf und folgte ihnen in den Salon.

XVII.
Ein Capitel, das nicht so endet wie Marie und Michel vermuthet hatten

Maître Loriot näherte sich den beiden Mädchen mit vielen Kratzfüßen und rieb sich schmunzelnd die Hände.

»Sie scheinen sehr vergnügt, Herr Notar,« sagte Bertha.

»Meine verehrten Fräulein,« antwortete Loriot geheimnißvoll, »ich habe mein Möglichstes gethan, die Kriegslist Ihres Herrn Vaters zu unterstützen. Ich hoffe, daß Sie nöthigenfalls ebensoviel Klugheit und Geistesgegenwart haben werden, wie ich bei dieser Gelegenheit gezeigt.«

»Was für eine Kriegslist meinen Sie, lieber Herr Loriot?« fragte Mary lachend, »wir verstehen Sie nicht.«

»Ich weiß so wenig davon wie Sie,« erwiderte der Notar, »aber ich dachte, der Herr Marquis müsse sehr triftige Gründe haben, die abscheulichen Eisenfresser, die er zu Tische hat, wie alte Freunde zu behandeln. Seine Zuvorkommenheit gegen die Söldner des Usurpators schien mir so auffallend, daß ich wohl dachte, sie müsse einen Zweck haben.«

»Was für einen Zweck?« fragte Bertha.

»Er will ihnen wahrscheinlich Vertrauen einflößen und ihre Sorglosigkeit benützen, um ihnen das Los —«

»Was für ein Los?«

Der Notar machte die Handbewegung des Kopfabschneidens.

»Das Los des Holophernes vielleicht?« sagte Bertha lachend.

»Sie haben’s getroffen,» sagte Maître Loriot.

Mary stimmte in das Gelächter ihrer Schwester mit ein.

Die Vermuthung des kleinen Notars machte den beiden Mädchen unaussprechliches Vergnügen.

»Sie theilen uns also die Rolle der Judith zu?« fragte Bertha, die ihre Heiterkeit mit großer Mühe bekämpfte.

»Es wäre doch möglich —«

»Herr Loriot, wenn mein Vater hier wäre, so könnte er böse werden, daß Sie ihm solche etwas allzu biblische Maßregeln zumuthen. Aber beruhigen Sie sich, wir werden es ihm so wenig sagen wie dem General, der sich durch Ihre Begeisterung gewiß eben nicht geschmeichelt fühlen würde.«

»Mein Fräulein,« erwiderte Loriot, »verzeihen Sie mir, wenn ich mich durch meinen politischen Eifer, durch meinen Abscheu gegen alle Anhänger dieser traurigen Lehren etwas zu weit fortreißen ließ.«

»Ich verzeihe Ihnen, Herr Loriot,« antwortete Bertha, die wegen ihres offenen, entschlossenen Charakters in dem größten Verdacht gestanden und daher am meisten zu verzeihen hatte, »und um Ihnen für die Folge solche Irrungen zu ersparen, will ich Ihnen sagen wie die Sache steht. Der General Dermoncourt, den Sie für den Antichrist halten, will hier blos eine Haussuchung halten, wie in den benachbarten Schlössern.«

»Aber warum,« fragte der kleine Notar, der die Sache immer unerklärlicher fand, »warum werden die ungebetenen Gäste so glänzend bewirthet? Das Gesetz ist klar und bündig —«

»Wie! das Gesetz?«

»Ja, es verbietet den Gerichtspersonen, den Civils und Militärbeamten, welche den Auftrag zu vollziehen haben, andere Gegenstände, als die in dem Befehl bezeichneten, wegzunehmen oder sich zuzueignen. Was thun die Leute aber mit den Speisen und Getränken, die sie auf dem Tische des Herrn Marquis gefunden haben? Sie eignen sich dieselben zu.«

»Aber mich dünkt doch,« entgegnete Mary, »daß es meinem Vater frei steht, beliebige Gäste zu bewirthen —«

»Allerdings, mein Fräulein, sogar Personen, die sich in seinem Hause eingefunden haben, um eine tyrannische, gehässige Gewalt auszuüben. Aber Sie werden mir erlauben, daß ich es ausfallend finde und eine Ursache oder einen Zweck dahinter vermuthe.«

»Sie finden darin also ein Geheimniß, welches Sie gern ergründen möchten?«

»O! mein Fräulein —«

»Nun, ich will’s Ihnen anvertrauen, lieber Herr Loriot; denn ich weiß, daß man sich auf Sie verlassen kann; aber unter der Bedingung, daß Sie mir sagen, wie es zugeht, daß Sie, um den Baron Michel zu suchen, geradewegs nach Souday gekommen sind.«

Bertha sagte dies ernst und entschieden; der kleine Notar war sehr verlegen.

Mary hatte den Arm ihrer Schwester genommen und den Kopf auf ihre Schulter gelehnt; so erwartete sie mit ungeheuchelter Neugierde die Antwort Loriot’s.

»Nun, da Sie es gern wissen wollen, mein Fräulein —«

Der Notar machte eine Pause, als ob er sich aufmuntern lassen wolle.

Bertha nieste ihm aufmunternd zu.

»Ich bin hierhergekommen,« fuhr Maître Loriot fort, »weil die Frau Baronin de La Logerie mir gesagt hatte, ihr Sohn habe sich sehr wahrscheinlich nach seiner Flucht in das Schloß Souday begeben.«

»Worauf gründete die Baronin diese Vermuthung?« fragte Bertha mit demselben forschenden Blick, mit derselben sicheren klaren Stimme.

»Mein Fräulein,« erwiderte der Notar, dessen Verlegenheit immer großer wurde, »nach den Erklärungen, die ich Ihrem Herrn Vater gegeben, weiß ich wirklich nicht, ob ich trotz der Belohnung, welche Sie auf meine Aufrichtigkeit sehen, den Muth haben werde, Alles zu sagen —«

»Warum nicht, Herr Notar?« setzte Bertha mit der größten Gelassenheit hinzu. »Soll ich Ihnen helfen? Sie sagten, die Baronin glaube, daß der Gegenstand der Zuneigung ihres Sohnes im Schlosse Souday sey.«

»Ganz recht, mein Fräulein.«

»Aber ich möchte wissen, was die Baronin darüber denkt.«

»Ich muß gestehen,« erwiderte der Notar, »daß sie nicht ganz zufrieden damit ist.«

»Ueber diesen Punkt,« sagte Bertha lachend, »ist also die Baronin mit meinem Vater ganz einverstanden.«

»Aber der junge Baron ist in einigen Monaten volljährig.« entgegnete der Notar, »dann kann er frei handeln und über sein großes Vermögen verfügen.«

»Es ist sehr gut für ihn, wenn er frei handeln kann,« sagte Bertha.

»In wiefern?« fragte der Notar lauernd.

»Um seinen Namen wieder zu Ehren zu bringen, um die von seinem Vater hinterlassenen traurigen Erinnerungen vergessen zu machen. Und wenn ich seine Erwählte wäre, so würde ich ihm rathen, von seinem Vermögen einen solchen Gebrauch zu machen, daß sein Name bald in der ganzen Provinz hochgeehrt würde.«

»Was würden Sie ihm denn rathen?« fragte der Notar ganz erstaunt.

»Das Vermögen denen zurückzugeben, denen es sein Vater, wie man sagt, genommen haben soll; die Nationalgüter, welche Herr Michel gekauft, ihren Eigenthümern zurückzugeben.«

»Aber bedenken Sie doch, mein Fräulein,« sagte der Notar, dessen Erstaunen den höchsten Grad erreichte, »bedenken Sie, daß er sich ruinieren würde.«

»Was würde daran liegen, wenn ihm die allgemeine Achtung und die Liebe seiner Erwählten bliebe!«

In diesem Augenblicke schaute Rosine in die Thür.

»Mademoiselle,« sagte sie, ohne weder Mary noch Bertha zu nennen, »wollen Sie die Güte haben zu kommen?«

Bertha wollte ihr Gespräch mit dem Notar nicht gern abbrechen; sie wollte noch mehr über die Stimmung der Baronin de La Logerie erfahren und zugleich zu ermitteln suchen, was Michel etwa von ihr gesprochen; sie ersuchte daher ihre Schwester hinauszugehen.

Aber Mary verließ den Salon nur ungern: sie sah mit Schrecken, wie – Bertha den jungen Baron liebte. Seit einigen Tagen hatte jedes Wort einen schmerzlichen Wiederhall in ihrer Seele gefunden, sie glaubte der Liebe Michels gewiß zu seyn, und dachte mit Bangigkeit an die Verzweiflung Bertha’s, wenn diese ihren Irrthum einsehen würde. Mary war ein Herz und eine Seele mit Bertha, aber die Liebe hatte ihr bereits eine kleine Dosis Selbstsucht eingegeben, und sie nahm im Stillen für sich die Rolle in Anspruch, welche ihre Schwester der Erwählten des jungen Barons zugetheilt hatte.

Bertha mußte sie daher noch einmal bitten, hinaus zu gehen und zu sehen, was Rosine wollte.

»Geh, liebes Mädchen,« sagte Bertha und drückte ihr einen Kuß auf die Stirne, »geh und laß zugleich ein Zimmer für Herrn Loriot herrichten, denn ich fürchte, daß man in der Verwirrung vergessen hat, ihm ein Nachtlager zu besorgen.«

Die sanfte nachgiebige Mary gehorchte.

Sie fand Rosine vor der Thür.

»Was willst Du von uns?« fragte sie.

Rosine antwortete nicht; sie schien zu fürchten, im Speisezimmer, wo der Marquis eben den letzten Lebenstag Charette’s erzählte, gehört zu werden, denn sie faßte Mary bei der Hand und führte sie unter die Treppe.

»Mademoiselle,« sagte sie, »er hat Hunger.«

»Er hat Hunger?« wiederholte Mary.

»Ja, er hat mir’s so eben gesagt.«

»Wen meinst Du denn? Wer hat Hunger?«

»Wer denn sonst als Monsieur Michel!«

»Wie! er ist hier?«

»Wissen Sie es denn nicht?«

»Nein.«

»Vor zwei Stunden, kurz vor der Ankunft der Soldaten, ist er in die Küche gekommen —«.

»Er ist also nicht mit Petit-Pierre fortgegangen?«

»Nein.«

»Und Du sagst, er sey in die Küche gekommen?«

»Ja, er war so müde, daß es zum Erbarmen war. Monsieur Michel, sagte ich zu ihm, warum gehen Sie denn nicht in den Salon? – Man hat mich nicht eingeladen zu bleiben, antwortete er. Er wollte nun fortgehen, um in Machecoul zu übernachten, denn er wird um keinen Preis wieder nach Hause gehen; ich glaube, seine Mutter will mit ihm nach Paris reisen. Aber ich wollte ihn in der finsteren Nacht nicht fortlassen.«

»Das war recht, Rosine. Wo ist er jetzt?«

»Ich habe ihn oben in das Thurmzimmer gebracht. Aber da die Soldaten im Erdgeschoß des Thurmes sind, so kann man nur durch den Gang vom Boden aus hinkommen, und ich bitte um den Schlüssel.«

Mary wollte es ihrer Schwester erzählen; aber dieser ersten guten Regung folgte rasch eine andere, minder edle.

Sie allein wollte Michel sprechen.

Rosine bot ihr einen vollkommenen Vorwand diesem zweiten Gefühl zu folgen.

»Kommen Sie mit mir, Mademoiselle,« setzte Rosine hinzu, »es sind so viele Soldaten im Schlosse, daß ich vor Angst sterben wurde, wenn ich allein hinausgehen müßte; Sie hingegen haben als Tochter des Herrn Marquis nichts zu fürchten.«

»Aber wo sollen wir etwas zu essen bekommen?«

»Ich habe einen ganzen Korb voll Speisen.«

»Dann komm.«

Mary eilte die Treppe hinauf.

XVIII.
Ein Capitel, das nicht so endet, wie Mary und Michel vermuthet hatten. (Fortsetzung.)

Im ersten Stockwerk angekommen, blieb Mary vor dem Zimmer Oullier’s stehen. In diesem Zimmer war der nöthige Schlüssel.

Dann öffnete sie eine Thür und betrat die oben in den Thurm führende Wendeltreppe. Sie eilte der mit dem Korbe beladenen Bäuerin auf der halbverfallenen und daher ziemlich gefährlichen Treppe rasch voraus.

In das oberste Zimmer dieses Thurmes hatte Rosine, nach einer ernsten Berathung mit der Köchin, den jungen Baron de La Logerie gebracht.

Die Absicht der beiden Mädchen war sehr gut, aber die Ausführung entsprach keineswegs ihrem guten Willen; denn ein armseligeres Nachtquartier, einen unbehaglicheren Aufenthalt konnte man sich kaum denken.

In diesem Zimmer bewahrte Jean Oullier die Gartensämereien und verschiedenes Handwerkszeug auf. Die Wände waren mit Bohnenranken, aufgeschossenen Zwiebeln, Spargel- und Salatsamen und verschiedenen anderen Sämereien bedeckt, und Alles war dem Luftzuge ausgesetzt, um gehörig zu reifen und zu trocknen. Unglücklicherweise hatte diese botanische Musterkarte seit sechs Monaten eine solche Menge Staub an sich gezogen, daß die geringste Bewegung den engen Raum mit einer dichten Wolke anfüllte.

Der einzige Gegenstand, der einen Ruhesitz bot, war eine Hobelbank. Michel fand den Sitz unbequem und vertauschte ihn gegen einen Haufen chinesischen Hafers, der wegen seiner Seltenheit in diesem botanischen Museum einen Platz erhalten hatte. Der junge Baron setzte sich mitten auf den Haufen, und abgesehen von einigen Unbequemlichkeiten, von denen selbst der behaglichste Sitz nicht ganz frei ist, fand er denselben dehnbar genug, um seine müden Glieder etwas ausruhen zu lassen.

Aber bald war er des Liegens auf dem beweglichen, prickelnden Sopha überdrüssig. Als ihn Guérin in den Bach geworfen hatte, war eine beträchtliche Menge Schlamm auf der Oberfläche seiner Kleider geblieben, und die Feuchtigkeit war weiter nach innen gedrungen. Nach einem kurzen Verweilen am Caminfeuer wurde die feuchte Kälte eisiger, durchdringender als je. Er ging nun unter dem Thurmdach auf und ab; er verwünschte seine alberne Schüchternheit, welche die Ursache war, daß er Kälte und Hunger leiden mußte, und vor Allem, daß er Mary nicht mehr sähe! Er war böse auf sich selbst, daß er so feig gewesen war, den so mühsam errungenen Vortheil nicht zu benützen.

 

Allein das Bewußtseyn dieses Versehens machte ihn nicht kühner, und mitten unter den Vorwürfen, die er sich machte, kam es ihm nicht in den Sinn, hinunter zugehen und die Gastfreundschaft des Marquis in Anspruch zu nehmen.

Inzwischen waren die Soldaten angekommen, und Michel, den der Lärm an die schmale Luke gelockt hatte, sah hinter den hell erleuchteten Fenstern des Erdgeschosses die beiden Fräulein von Souday, den General, die Offiziere und den Piarquis hin- und hergehen.

Er bemerkte Rosine am Fuße des kleinen Thurmes, unter dessen Dach er sich befand, und hielt es für angemessen, die Aufmerksamkeit, welche die neuen Gäste in Anspruch genommen, auf seine Person zu lenken. Er bat mit der ihm eigenen Bescheidenheit um ein Stück Brot – eine Bitte, die mit den ungestümen Anforderungen seines bellenden Magens keineswegs im Einklange stand.

Mit großer Freude hörte er leichte Fußtritte, welche die Treppe heraufkamen. Denn diese Fußtritte verkündeten ihm die nahe Befriedigung seines Hungers, und gaben ihm zugleich die Hoffnung, daß er von Mary etwas erfahren werde.

»Bist Du es, Rosine?« fragte er, als er eine Hand an der Thür hörte.

»Nein, es ist nicht Rosine – ich bin’s.«

Michel erkannte Mary’s Stimme, aber er mochte seinen Ohren noch nicht trauen.

»Ja, ja, ich bin’s,« setzte die Stimme hinzu, »und ich bin recht böse auf Sie!«

Der Ton der Stimme stand aber mit dieser Anrede in Widerspruch. Michel hatte daher keine allzu große Furcht vor diesem Zorn.

»Fräulein Mary!« sagte er. »Mein Gott! Sie sind’s!«

Er lehnte sich an die Wand; um nicht zu fallen.

»O wie glücklich machen Sie mich!« setzte er hinzu, als Mary die Thür öffnete.

»O! nicht so glücklich, wie Sie sagen.«

»Wie so?«

»Sie gestehen ja, daß Sie mitten in Ihrem Glücke verhungern!«

»Wer hat Ihnen das gesagt?« erwiderte Michel, bis über die Ohren erröthend.

»Rosine hat’s gesagt,« sagte Mary. »Komm, Rosine – setze deine Laterne auf die Hobelbank und krame geschwind deinen Korb aus. Du siehst ja, daß ihn der Herr Baron mit den Blicken verschlingt.«

Diese neckischen Worte machten den jungen Baron etwas beschämt; er hielt es für schöner, galanter, den Korb zu nehmen, die bereits herausgenommenen Speisen schnell wieder einzupacken, Alles zum Fenster hinaus zu werfen, seiner Angebeteten zu Füßen zu fallen, ihre Hände an sein Herz zu drücken und ihr zu betheuern, daß er nicht an seinen Magen denken könne, während sein Herz so glücklich sey.

Doch diese schwärmerischen Ideen kamen glücklicherweise nicht zur Ausführung. Er ließ sich von Mary als Rosinens Milchbruder behandeln, und verzehrte mit großem Behagen die Bissen, welche ihm die weiße Hand des Fräuleins zerschnitt.

»Sie sind doch recht kindisch!« sagte Mary. »Erst begeben Sie sich in Gefahr, den Hals zu brechen, um uns einen höchst wichtigen Dienst zu erweisen – und nun verkriechen Sie sich, statt meinem Vater ganz offen zu erklären: Ich kann diesen Abend nicht wieder nach Hause gehen, beherbergen Sie mich bis morgen Früh.«

»O! das würde ich nie gewagt haben!« erwiderte Michel.

»Warum nicht?« fragte Mary.

»Weil Ihr Herr Vater mir gewaltigen Respect einflößt.«

»Mein Vater ist der beste Mann von der Welt, und überdies sind Sie ja unser Freund.«

»Wie gütig sind Sie, mein Fräulein, mich so zu nennen! Aber ist es wirklich Ihr Ernst?«

Mary erröthete. – Einige Tage früher würde sie kein Bedenken getragen haben ihm zu antworten, daß er wirklich ihr Freund sey, daß sie unaufhörlich an ihn denke; allein die Liebe hatte sie zurückhaltender, jungfräulicher gemacht; sie hatte eingesehen, wie unschicklich ihre offene, rücksichtslose Sprache war, und ihr feines Gefühl machte die Mängel ihrer sonderbaren Erziehung wieder gut. Es war ihr nie in den Sinn gekommen, ihre Gedanken zu verbergen, nun aber begann sie einzusehen, daß ein junges Mädchen zuweilen genöthigt sey, einer Antwort auszuweichen.

»Mich dünkt doch,« antwortete sie, »daß Sie genug gethan haben, um unsere Freundschaft zu verdienen.«

Und ohne ihm Zeit zu lassen, auf diesen Gegenstand, der sie in Verlegenheit setzte, zurückzukommen, setzte sie hinzu:

»Jetzt beweisen Sie uns Ihren gerühmten Appetit, und essen Sie noch diesen Hühnerflügel.«

»Ich kann nicht mehr,« sagte Michel naiv.

»Sie sind ein schlechter Esser! Ich bin hierher gekommen, Ihnen die Speisen vorzulegen: Sie müssen essen – sonst gehe ich!«

»Mein Fräulein,« erwiderte Michel und streckte beide Hände aus, von denen die eine mit einer Gabel, die andere mit einem Stücke Brot bewaffnet war, »so grausam werden Sie nicht seyn! Ach, wenn Sie wüßten, wie trostlos ich seit zwei Stunden in dieser Einsamkeit gewesen bin!«

»Das glaube ich wohl,« sagte Mary lachend, »Sie hatten Hunger.«

»O nein, nein, das war’s nicht allein. Denken Sie sich, daß ich Sie von hier mit allen Offizieren vorübergehen sah.«

»Das ist Ihre Schuld, statt sich wie eine Eule in diesen alten Thurm zu flüchten, konnten Sie im Speisezimmer bleiben und wie ein ordentlicher Christ an einem Tische essen. Sie würden aus dem Munde meines Vaters und des Generals Dermoncourt die Erzählung von Heldenthaten gehört haben, die Ihnen eine Gänsehaut gemacht hätte und – was nicht minder furchtbar anzuschauen ist – Sie hätten unsern Gevatter Loriot, wie mein Vater ihn nennt, essen sehen können —«

»O, mein Gott!« sagte Michel erschrocken.

»Was ist’s denn?« fragte Mary erstaunt über diesen Ausruf.

»Maître Loriot von Machecoul?«

»Ja wohl, Maître Loriot von Machecoul,« wiederholte Mary.

»Der Notar meiner Mutter?«

»Ja, richtig, es ist wahr.«

»Er ist hier?« fragte der junge Baron.

»Allerdings, er ist hier. Und wissen Sie,« setzte Mary lachend hinzu, »warum er hierher gekommen ist?«

»Nein.«

»Er wollte Sie holen.«

»Mich?«

»Ja wohl, im Auftrage der Baronin.«

»Aber ich will nicht wieder nach La Logerie gehen,« sagte Michel erschrocken.

»Warum nicht?«

»Weil ich dort eingesperrt, hinter Schloß und Riegel gehalten werde, weil man mich von – meinen Freunden trennen will!«

»Aber La Logerie ist nicht weit von Souday.«

»Nein, aber Paris ist weit von La Logerie, und die Baronin will mich mit nach Paris nehmen. Haben Sie dem Notar gesagt, daß ich hier bin?«

»Gott bewahre!«

»O, mein Fräulein, wie danke ich Ihnen!«

»Sie haben mir nicht zu danken, ich wußte es gar nicht.«

»Aber jetzt, da Sie es wissen —«

Michel stockte.

»Nun was wollten Sie noch sagen?«

»Jetzt dürfen Sie es ihm nicht sagen,« erwiderte Michel, ganz beschämt über seine Schwäche.

»Ich gestehe Ihnen aufrichtig, Herr Baron,« sagte Mary, »daß mich Maître Loriot nicht sehr in Verlegenheit setzen würde.«

Michel schien seine ganze Kraft und Besonnenheit aufzubieten, um einen Entschluß zu fassen.

»Sie haben Recht,« erwiderte er, »und ich erkläre Ihnen, daß ich nicht wieder nach La Logerie zurückgehe!«

In diesem Augenblicke erschraken die beiden Mädchen. Rosine wurde von der Köchin gerufen.

»O mein Gott,« sagten sie Beide zitternd.

»Hören Sie wohl, Mademoiselle?« setzte Rosine hinzu, »ich werde gerufen.«

»Mein Gott,« sagte Mary, sich zur Flucht anschickend, »sollte man vermuthen, daß wir hier sind?«

»Und wenn man’s vermuthete,« erwiderte Rosine, »wenn man's wüßte, was würde daran liegen?«

»Das ist wahr, aber —«

»Hören Sie!« sagte Rosine lauschend.

Es folgte eine Pause. Die Stimme der Köchin entfernte sich.

»Jetzt ruft sie im Garten,« feste Rosine hinzu.

»Aber Du mußt mich nicht verlassen,« sagte Mary. »Du mußt mich nicht allein hier lassen —«

»Sie sind ja nicht allein,« erwiderte Rosine, »der Herr Baron ist ja bei Ihnen.«

»Ich meine, um – wieder nach Hause zu gehen, stammelte Mary.

»Sie sind doch sonst nicht furchtsam, Mademoiselle.« entgegnete Rosine, »Sie gehen ja in der Nacht wie am Tage durch den Wald! Was fehlt Ihnen denn.«

»Bleibe bei mir, Rosine!«

»Ich sehe nicht ein, wozu ich Ihnen seit einer halben Stunde nütze.«