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Die Mohicaner von Paris

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Rosenha nahm sie ebenfalls, küßte sie auf dieselbe Stelle, öffnete rasch ihre Mantille und verbarg sie an ihrer Brust.

Man mußte sich trennen.

Man kam überein, die Taube sollte die Antwort zwischen zwölf und ein Uhr Mittags zurückbringen, und von zwölf bis ein Uhr Mittags sollte der Herzog am Fenster aus die Ankunft der Bötin mit dem schwarzen Halsbande lauern.

Hiernach trennten sich die zwei jungen Leute: Rosenha ließ den Herzog schwören, sie nicht mehr aus dem Balcon zu erwarten, der Herzog ließ Rosenha schwören, am folgenden Tage in der Nacht zu kommen, um nicht früher, als am zweiten Tage am Morgen wieder zu gehen.

CII
Die Erscheinung

Am andern Tage, oder vielmehr am Abend nach dieser Nacht, war der Herzog, – trotz der Bitte und des Verbotes von Rosenha, trotz des Schwures, den er ihr aus diese Bitte und dieses Verbot gethan, – war der Herzog von Reichstadt, sagen wir, wie am Tage vorher an diesem Fenster, nicht das Mädchen erwartend, wie am Tage vorher, sondern Herrn Sarranti, dessen Taube zur verabredeten Stunde gekommen war und ihm den Besuch auf Mitternacht angekündigt hatte.

Es war halb zwölf Uhr Abends. Noch eine halbe Stunde, und er sollte sich von Angesicht zu Angesicht einem der Männer gegenüber befinden, die am Treusten dem Kaiser gedient hatten, einem Manne, der sich bereit hielt, ihm noch treuer nach seinem Tode zu dienen, als während seines Lebens.

Mochte es Ungeduld sein, wurde es ihm schwer, die kalte Februar – Atmosphäre zu ertragen, der junge Mann zog sich ungefähr um drei Viertel aus zwölf Uhr zurück, schloß das Fenster, zog die Vorhänge hermetisch zusammen, setzte sich aus das Canapé, ließ seine Stirne in seine Hände fallen und versank in ein tiefes Nachdenken.

Worüber dachte er nach?

Ging seine Kindheit, wie der monotone Laus eines Flusses, an ihm vorüber; oder sah er an seinen Felsen gekettet, die Seite geöffnet, die Eingeweide blutig, den Prometheus von St. Helena?

Das Zimmer, das er bewohnte, genügte übrigens allein, um alle diese Erinnerungen zu erwecken.

Hatte nicht in diesem Zimmer zweimal und verschiedenen Epochen der Kaiser Napoleon gewohnt: das erste Mal, wie gesagt, im Jahre 1805, nach Austerlitz; das zweite Mal 1809, nach Wagram.

Obschon achtzehn Jahre abgelaufen waren, war doch die Eintheilung der Wohnung dieselbe geblieben; sie bestand, – und sie besteht noch heute, – aus drei großen Gemächern, einem Vorzimmer und einem Ankleidecabinet, Alles kostbar ausgeschmückt mit Sculpturen, Vergoldungen, indischen Tapeten, Meubles mit chinesischem Lackfirniß, das Ganze an die Gallerien anstoßend, in welchen man die Gemälde die Feste und Feierlichkeiten des Hofes zur Zeit von Maria Theresia und von Joseph II. darstellend sieht.

Das Portrait von Kaiser Franz von Lothringen, das von Leopold, von Joseph und das vom regierenden Kaiser, gemalt in seiner Kindheit bei seiner Mutter, schmückten den Empfangsaal, in welchem man eine ziemlich schöne Statue der Klugheit in Marmor ausgehauen bemerkt.

Das Zimmer des Prinzen war die dritte Pièce und hatte hinter sich nur das Ankleidecabinet. – Die Eingangsthüre lag diesem Cabinet gegenüber. – Dieses Zimmer war mit ungeheuren Spiegeln gefaßt in geschnitzte und vergoldete Füllungen ausgestattet. Sein ein wenig düsteres Ameublement, dem es indessen nicht an einer gewissen Großartigkeit gebrach, war von brochirter grüner Seide mit gelben Blumen in goldenen Reflexen spielend; diese Blumen, Fantasieblumen, näherten sich, durch einen seltsamen Zufall, der Form der Bienen.

Längs einer der Seitenwände stand das Canapé, von dem schon in der Inscenirung des vorhergehenden Kapitels die Rede gewesen ist; das Bett hatte seinen Platz gegenüber dem Kamine, über welchem ein Spiegel angebracht war.

Dieses Canapé, Napoleon hatte darauf gesessen; dieses Bett, er war darin gelegen; dieser Spiegel, er hatte die Züge des Siegers von Austerlitz und Wagram reflektiert.

Lag nicht in der einfachen Anordnung der Wohnung, die er inne hatte, wie wir so eben sagten, reicher Stoff zu Betrachtungen für den Herzog von Reichstadt, und die Erinnerungen, die sie vom Vater enthielt, sollten sie nicht die Träumerei erklären, in welche der Sohn versunken war? *

Einige Minuten vor Mitternacht schien er indessen aus seiner Träumerei zu erwachen, so tief sie auch war; er erhob sich, ging in Aufregung in der größten Länge seines Zimmers aus und ab und fragte sich selbst:

»Wie wird er kommen?«

Sodann mit einem Lächeln:

»Wird er übrigens kommen?«

Als er diese Frage an sich machte, wurde jenes Knirschen, das in den Pendeluhren dem Geräusche des Glöckchens vorhergeht, hörbar, und der erste Schlag von Mitternacht ertönte.

Der junge Mann schauerte: erwartete er nicht um diese Stunde eine Erscheinung, welche unmöglicher, fantastischer, als die eines Gespenstes?

Er lehnte sich an den Kamin an; seine Beine zitterten.

So stehend hatte er zu seiner Linken die in den Salon führende Eingangsthüre; zu seiner Rechten die Thüre des Ankleidecabinets. Seine Augen waren natürlich gegen die Thüre des Salon gerichtet, da das Ankleidecabinet keinen Ausgang hatte, wenigstens keinen sichtbaren.

Plötzlich, und in dem Augenblicke, wo das Vibriren des zwölften Schlages erlosch, wandte er sich um.

Es schien ihm, es habe ein Geräusch ähnlich einem Krachen im Ankleidecabinet stattgefunden.

Auf das Geräusch dieses Krachens folgte das eines Trittes, der sich mit Zögern auf den Boden aufzusetzen schien.

Wie gesagt, der Herzog erwartete Niemand und konnte Niemand von dieser Seite erwarten: das Ankleidecabinet hatte keinen Ausgang.

Das Geräusch wurde indessen so merkbar, daß der junge Mann nicht mehr an der Gegenwart von Jemand im Ankleidecabinet zweifeln konnte. Er eilte nach der Thüre, indem er instinctartig die rechte Hand an den Griff seines Degens legte, während er die linke nach dem Vorhange ausstreckte, der an dieser Thüre herabfiel.

Doch ehe diese Hand Zeit gehabt hatte, ihn zu berühren, bewegte sich der Vorhang, und der Herzog von Reichstadt machte zwei Schritte rückwärts, als er zwischen den dunklen Daperien das bleiche Gesicht eines Mannes erscheinen sah, der aus einem Zimmer herauskam, welches keinen Eingang hatte.

»Wer sind Sie?« fragte der Prinz, während er mit einer Bewegung rasch wie der Gedanke seinen Degen aus der Scheide zog.

Der Geheimnisvolle Mann machte zwei Schritte vorwärts, ohne daß er sich um diese bloße Klinge, welche in der Hand des jungen Mannes flammte, zu bekümmern schien, setzte ehrerbietig ein Knie aus die Erde und antwortete:

»Ich bin derjenige, welchen Eure Majestät erwartet.«

»Leiser, mein Herr!« sagte der Prinz, »leiser!«

Und Sarranti eine Hand reichend, die dieser mit Küssen bedeckte:

»Leiser, und sprechen Sie den Namen Majestät nicht aus.«

»Und mit welchem Titel ist es mir erlaubt, den Erben Napoleons, den Sohn meines Kaisers zu nennen?« fragte Sarranti immer knieend.

»Nennen Sie mich einfach Prinz oder Hoheit . . . nennen Sie mich, wie man mich hier nennt. Doch vor Allem . . . mein Gott! sagen Sie mir, wie haben Sie hereinkommen, durch dieses Cabinet gehen, bis zu mir gelangen können?«

»Vor Allem, Hoheit, lassen Sie mich Ihnen beweisen, daß ich wirklich der Mann bin, der Ihnen angekündigt worden ist, und daß ich im Auftrage Ihres Vaters hierher komme.«

»Oh! obschon ich weder weiß, wie Sie kommen, noch woher Sie kommen, glaube ich Ihnen doch.«

Da zog Sarranti aus seiner Tasche ein Papier, das sorgfältig in ein anderes eingewickelt war, und sagte:

»Hoheit, erlauben Sie, daß ich die Ehre habe, Ihnen meinen Beglaubigungsbrief zu überreichen.«

Der Herzog ergriff den Brief, nahm den ersten Umschlag davon ab, öffnete den zweiten und sah eine Locke von schwarzen seidenen Haaren.

Er begriff, daß dies Haare seines Vaters waren.

Zwei große Thränen stürzten zwischen seinen Augenlidern hervor; er drückte die Haare an seine Lippen, küßte sie mit Zärtlichkeit und kindlicher Pietät und sagte:

»O fromme Reliquien! einziges materielles Andenken, das ich von meinem Vater habe, ihr werdet mich nie verlassen!«

Und diese Worte wurden mit einem Ausdrucke von Liebe und Zärtlichkeit gesprochen, der Sarranti bis in die Tiefe seines Herzens schauern machte: das Kind war also, wie er es gehofft hatte, der Sohn war also seines Vaters würdig.

Sarranti erhob zu dem jungen Mann seine in Thränen gebadeten Augen und sagte:

»Oh! ich bin für meine Ergebenheit, für meine Anstrengung, für meine Sorgen belohnt . . . Weinen Sie, weinen Sie, Hoheit! es sind Löwenthränen, die Thränen, die Sie hier vergießen!«

Der Herzog nahm die Hand von Sarranti und drückte sie kräftig und stillschweigend; sodann, nach einem Momente, schlug er die Augen ebenfalls zu Sarranti auf, und als er das rauhe, männliche Gesicht von diesem ganz in Thränen gebadet sah, rief er:

»Mein Herr, mein Vater hat Ihnen also nicht empfohlen, mich für ihn zu umarmen?«

Sarranti fiel in die Arme des jungen Mannes, und so einander umschlingend, – die starke Eiche und das schwache Rohr, – vermischten Beide ihre Thränen.

Als diese erste Gemüthsbewegung vorüber war, bezeichnete Sarranti dem Prinzen mit dem Finger, daß unter der Haarlocke ein paar mit der Feder geschriebene Zeilen durchschienen.

»Von meinem Vater?« fragte der junge Mann.

Sarranti nickte bejahend mit dem Kopfe.

»Von der Hand meines Vaters geschrieben?«

Sarranti wiederholte das Zeichen, das er schon gemacht hatte.

»Oh!« rief der Prinz, »ich habe zehnmal meine Mutter um Etwas von dieser Handschrift gebeten: sie hat es mir immer verweigert.«

Und nachdem er frommer Weise das Papier geküßt hatte, las er die folgenden, mit einer für jeden Andern als für einen Sohn mit unlesbarer Schrift geschriebenen, Worte:

 

»Mein geliebter Sohn,

»Die Person, die Dir diesen Brief und das Andenken, das derselbe enthält, übergeben wird, ist Herr Sarranti. Es ist ein Kampfgenosse, ein Verbannungsgefährte, den ich mit der Ausführung meiner geheimsten Gedanken und meiner theuersten Hoffnungen betraue. Höre seine Worte, als ob Du sie von meinem Munde hörtest, und welche Rathschläge er Dir auch geben mag, befolge sie, als ob Du die meinigen befolgen würdest.

»Dein Vater, der nur noch für Dich lebt!

»Napoleon.«

»Oh!« rief der junge Mann, »er lebte also! es ist seine Hand, die diese Zeilen geschrieben hat! Sei geliebt, sei gesegnet mein Vater, wie Du es zu sein verdienst! – Herr Sarranti, umarmen Sie mich noch einmal! . . . Ja, ja,« fuhr er fort, während er den Verbannungsgefährten seines Vaters an sein Herz drückte, »ja, ich werde Ihre Rathschläge befolgen, als ob sie aus dem Munde von demjenigen kämen, welcher nicht mehr ist, der aber gerade dadurch, daß er nicht mehr ist, uns sieht, uns hört, vielleicht da ist.«

Und mit einer Art von Schrecken streckte der Herzog die Hand gegen den dunkelsten Winkel des Zimmers aus.

»Doch zuvor sagen Sie, mein Herr, wie sind Sie hierher gekommen? wie sind Sie hier eingedrungen? wie werden Sie von hier weggehen?«

»Kommen Sie, Hoheit,« erwiderte Sarranti, indem er den jungen Mann ans Licht führte und ihm ein zweites Papier, einen geometrischen Plan vorstellend, mit Andeutungen von der Handschrift des Kaisers, zeigte.

»Was ist das?« fragte der Herzog.

»Es ist Ihnen nicht unbekannt, Hoheit, daß Sie im Schlosse Schönbrunn dieselben Gemächer inne haben, welche Ihr Vater bewohnte?«

»Ich weiß das, ja, und das ist zugleich eine Qual und ein Trost.«

»Nun wohl, werfen Sie den Blick aus diesen Plan; hier sehen Sie ein Vorzimmer, einen Salon, ein Schlafzimmer, ein Ankleidecabinet; hier findet sich Alles bis aus die Oeffnung der Thüren, bis aus den Platz der Meubles.«

»Das ist ja der Plan der Wohnung, wo wir sind.«

»Aus der Erinnerung gemacht von Ihrem erhabenen Vater, ja, Hoheit, nach zehn Jahren und zwar Ihnen zu Liebe.«

»Ich fange an den Nutzen dieses Planes für Sie zu begreifen, sobald Sie einmal in das Ankleidecabinet eingetreten sind; doch wie haben Sie es gemacht, um in dasselbe einzutreten?«

Sarranti nahm eine Kerze, ging aus die Thüre des Cabinets zu und sagte:

»Haben Sie die Güte, mir zu folgen, Hoheit, und Sie werden mit Ihren Augen sehen.«

Der Prinz ging hinter diesem Manne, der ihm eine Art von abergläubischer Angst einflößte, wie es ein übernatürliches Wesen gethan hätte, und gelangte mit ihm in das Ankleidecabinet.

Dieses war hermetisch verschlossen.

»Nun?« fragte ungeduldig der Prinz.

»Warten Sie, Hoheit.«

Sarranti näherte sich dem Spiegel, beleuchtete den Rahmen mit der Kerze, drückte auf einen in der Randleiste verborgenen Knopf, und die ganze Füllung drehte sich, die mit Toilettengegenständen beladene Console mit sich fortziehend, aus ihren Angeln und demaskierte die Oeffnung einer Treppe.

Der Prinz näherte sich neugierig.

»Oh!« fragte er, »was soll das heißen?«

»Das soll heißen, Hoheit: in dem Augenblicke, wo er im Jahre 1809 in Schönbrunn wohnte, ließ der Kaiser Napoleon, müde, daß er die Empfangszimmer zu durchschreiten hatte, müde, daß er das Lächeln der in seinem Vorzimmer wartenden Höflinge erwidern sollte, damit es ihm frei stehe, am Morgen, am Abend, bei Nacht, bei Tage in die schönen Gärten hinabzugehen, die sich unter ihren Fenstern ausdehnen, der Kaiser Napoleon, sage ich, ließ diese Geheimtreppe anbringen, deren letzte Stufe in eine Art von öder Orangerie geht, wohin Niemand kommt; und da diese Treppe von den Officieren des Genie angebracht worden ist, so kennt wahrscheinlich Niemand hier ihre Existenz, und Niemand seit dem Kaiser ist hier gewesen, wenn nicht sein Schatten, der Sie vielleicht aus diesem Wege besucht.«

»Aber dann,« sagte der Herzog ganz erstaunt, »aber dann . . . «

Er wagte es nicht, seinen Satz zu vollenden.

»Dann wird diese vom Vater angebrachte Treppe nach einundzwanzig Jahren dem Sohne dienen können.«

»Und ich war noch nicht geboren, als sie gemacht wurde!«

»Gott sieht bis in das Nichts, Hoheit, und seine Beschlüsse stehen zum Voraus im Buche des Schicksals geschrieben. Nur, wenn er sich so sichtbar zeigt, muß man ihn unterstützen. Hoheit.«

Der junge Prinz reichte Herrn Sarranti die Hand und sprach:

»Was auch der Wille Gottes in Betreff meiner sein mag, mein Herr, ich werde mich seiner Erfüllung nicht widersetzen, das verspreche ich Ihnen.«

Herr Sarranti schloß die Geheimthüre wieder und kehrte ins Schlafzimmer zurück, indem er diesmal den Prinzen vorausgehen ließ,

»Und nun, da ich ruhiger bin, höre ich, mein Herr, reden Sie,« sprach der junge Mann.

Sodann die Hand dem Corsen aus die Schulter legend:

»Lassen Sie sich Zeit, beeilen Sie sich nicht: Sie begreifen, es ist wichtig, daß ich Alles erfahre.«

CIII
Delenda Carthago

»Hoheit,« sprach der Corse, »es gab einst zwei Städte, die zwischen sich die ganze Breite des Meeres hatten, und dennoch fanden sie, es sei unter der Sonne nicht Raum genug für sie Beide. Zu drei verschiedenen Malen umschlossen sie sich, wie Antäus und Hercules, in einem erbitterten, furchtbaren, tödtlichen Kampfe, und der Streit hörte erst auf, als eine derselben unter dem Fuße der andern verschieden war. Diese Städte waren Rom und Carthago: Rom repräsentierte den Gedanken, Carthago die That.

»Es war die Materie, was zu Grunde ging: Carthago unterlag! – Dasselbe ist bei Frankreich und England der Fall; wie Cato, hatte Ihr erhabener Vater, nur einen Gedanken: Carthago zerstören! Delenda Carthago!

»Dieser Gedanke war es, der ihn den Feldzug in Aegypten machen ließ, dieser Gedanke war es, der ihn die Lager von Boulogne machen ließ, dieser Gedanke war es, der ihn den Frieden von Tilsit machen ließ, dieser Gedanke war es, der ihn den russischen Feldzug machen ließ.

Einmal glaubte er sein Ziel erreicht zu haben: das war in dem Augenblicke, wo er auf der Rhede des Niemen dem Kaiser Alexander die Hand drückte.

An demselben Abend standen die zwei Kaiser jeder an einem Tische, auf welchem eine Weltkarte ausgebreitet war: der Eine schaute sie mit einem unbestimmten, gleichgültigen, zerstreuten Blicke an, berührte sie mit einer kalten, mit einem Handschuh bedeckten Hand; der Andere verschlang sie mit einem gierigen, ehrgeizigen, tiefen Blicke, berührte sie mit einer bewegten, fieberhaften Hand.

»Es handelte sich zwischen diesen zwei Männern um nichts Geringeres, als um die Theilung der Welt. – Etwas Aehnliches hatte zweitausend Jahre vorher zwischen Octavius, Antonius und Lepidus stattgefunden. Diese zwei Männer waren der Kaiser Napoleon und der Kaiser Alexander.

›Sehen Sie,‹ sagte Ihr Vater mit seiner sanften, aber zugleich gebieterischen Stimme, ›Ihnen den Norden, mir den Süden; Ihnen Schweden, Dänemark, Finnland, Rußland, die Türkei und das innere Indien bis Thibet; mir Frankreich, Spanien, Italien, den Rheinbund, Dalmatien, Aegypten, Jemen und Indien, von den Küsten bis China. Wir werden die lebendigen Pole der Erde sein: Alexander und Napoleon werden die Erde im Gleichgewichte halten.‹

›Und England?‹ fragte unbestimmt Alexander.

›England verschwindet wie Carthago; kein Indien mehr, kein England mehr, und wir Beide nehmen Indien.‹

»Ein Lächeln des Zweifels schwebte über die Lippen von Alexander.

»Napoleon sah dieses Lächeln.

›Sie hallen die Sache für schwierig, für unmöglich sogar,‹ sagte er, ›weil sich Ihre Augen nie auf dieses Problem gerichtet haben, weil Ihr Geist diese Idee nie durchgründet hat. Bei mir ist es mein ewiger Traum, und seitdem unsere Hände sich berührt haben, Sire, ist England todt!‹

›Ich höre, Sire,‹ sprach Alexander. ›Ich kenne die ganze Gewalt Ihrer Rede und will sehr gern von ihr besiegt werden.‹

›Ah!‹ sagte Ihr Vater, ..»das wird leicht sein; doch um wahrhaft besiegt zu sein, müssen Sie Indien sehen, nicht wie es zu sein scheint, sondern so wie es ist. Wollen Sie es so sehen, mein Bruder? Dann müssen Sie mit mir eine Viertelstunde dieser großen Frage weihen, von der die Zukunft der Welt abhängt; und in einer Viertelstunde werde ich für Sie die Arbeit von fünfzehn Jahren zusammenfassen.‹

›Diese Viertelstunde wird eine große, glorreiche Erinnerung in meinem Leben sein, Sire,‹ erwiderte Alexander mit der dreifachen russischen, griechischen und französischen Höflichkeit, die ihn charakterisierte.

›Hören Sie also, ich werde kurz sein. – Eure Majestät gibt wohl zu, daß die Macht der Engländer in Indien eine despotische Macht ist, nicht wahr?‹

›Es ist mehr als Despotismus,‹ antwortete Alexander: ›es ist Eroberung!‹

›Jede despotische Macht ist aber auf eine der zwei Basen: die Liebe oder die Furcht, gegründet.‹

Alexander lächelte.

›Zuweilen auf beide,‹ sagte er.

›Am öftesten aber aus die letzte. Fragen Sie nur den aus der Schwelle seiner elenden Hütte, wo sich seine Familie im Ungeziefer wälzt, hockenden Radscha; fragen Sie den Ackersmann, der das Lastthier um seine Existenz beneidet; fragen Sie den arbeitslosen Weber, der vor seinen Augen die englischen Percale und Mousselines verkaufen sieht; fragen Sie den durch die Abgaben zu Grunde gerichteten Zemindar; fragen Sie den Brahminen, der den Engländer sich mit dem unreinen Thiere nähren sieht; fragen Sie den Muselmann, der ihn seine Erinnerungen und seine Traditionen verachten und mit seinen Stiefeln, fast mit seinem Pferde in seine glänzende Moscheen kommen sieht; fragen Sie die ganze Hindu-Race, ob sie das Joch liebe, das dieselbe niederbeugt; und Hindu, Brahmine, Muselmann, Weber, Ackersmann, Radscha werden antworten: ›Tod den rothen Männern, welche über’s Meer von unbekannten Ländern und von einer unbekannten Insel gekommen sind.‹

›Lieben sie ihre tartarischen Fürsten mehr?‹ fragte der Czaar.

›Ja, hundertmal ja, denn die tartarischen Fürsten wohnten im Lande, verzehrten hier ungeheure Einkünfte, und es kam immer etwas davon dem ärmsten Paria zu. Der Engländer aber, dieser vorübergehende Herr, der Engländer, wie die Raupe im Frühling, bleibt nur eine Jahreszeit in Indien, und sobald er ein Schmetterling mit goldenen Flügeln geworden ist, entfliegt er nach dem Mutterlande.‹

›Und warum, Sire,‹ fragte der Kaiser Alexander, ›warum sind bei dem allgemeinen Hasse, den man gegen die Engländer hegt, die Revolutionen nicht häufiger?‹

›Weil es in Indien nur individuelle Ausstände geben kann, nie einen allgemeinen Sturm. Damit eine ernste, compacte, universelle Revolution stattfinde, müßten die Massen nicht getheilt sein, wie sie es durch die Interessen, den Haß, den Glauben sind; es wird nie eine allgemeine Bewegung stattfinden, weil man, sobald sich zwei Secten in einer Verschwörung vereinigen, sicher ist, daß am Vorabend des Tages, wo die Verschwörung ausbrechen soll, eine von den zwei Seiten die andere verräth. Das wird unfehlbar geschehen, so lange diese Völker sich selbst überlassen sind. Wäre es aber ebenso, Sire, wenn England in Indien durch eine andere europäische Macht angegriffen würde? Würden die indischen Völkerschaften England treu bleiben? nein! neutral zwischen dem neuen Angreifer und England? nein! Sie wären feindlich gegen England; sie würden die Verbündeten seines Feindes, wer auch dieser Feind sein möchte, von welcher Seite er auch heranmarschierte, in welcher Absicht er auch käme. Sire, für den Mann, der, wie ich, seit fünfzehn Jahren, den Kopf gegen Indien geneigt, träumt, ist diese ganze Seite Asiens nur ein weites Bassin, wo über einander gelegt die Trümmer von fünfzig Civilisationen. die Ruinen von fünfzig Reichen ruhen; das geringste Erdbeben, der geringste Sturmeshauch genügt, um sie zu erschüttern, zu vereinigen, zu amalgamiren, wie Wetterwirbel emporzutreiben! Das ist ein socialer Stand voller zerstörender Atome, wenn man ihn sich aufs Gerathewohl ergehen läßt, voller befruchtender Principe, wenn man ihn mit Verstand aussät. Was fehlte bis jetzt diesen auf den Zufall, unter bizarren, unerwarteten, fantastischen Formen umherschweifenden Wirbeln? Irgend ein Cement, ein einiger Geist des Patriotismus, eine gemeinschaftliche Religion; es fehlt das, was einst Dupleix und Bassy, diese zwei von Frankreich verlassenen und verleugneten Genies, gethan hatten. Der der geschickte, verwegene energische Führen der wie ein zweiter Alexander käme, der diese ganze Menge durch glückliche Erfolge blenden würde, dieser Führer, würde die Menge verdichten. er würde ein Volk, eine Nation daraus machen; die bewegliche Oberfläche Indiens würden eine feste Oberfläche . . . Sie glauben das nicht, Sire?« Sehen Sie die Newa; ein Kind in einem Nachen durchschneidet ihren Lauf, ihr Wasser mit zwei Rudern peitschend; es erhebe sich der Nordwind von einem einem Pole, komme herbei und wehe, und die Welle der Newa wird ein fester Kristall, an dem sich Axt und Haue brechen, wo Eisen unnütz ist und das Feuer machtlos. Glauben Sie mir, Sire, stark gegen einen Tippa Sahib, einen Haider Ali, einen Sevadi oder einen Amir Khan, wird England immer schwach sein, so oft ein Riese von gleicher stärke von Europa zu ihm kommt, um mit ihm an den Ufern des Indus zu kämpfen; der Zusammenstoß der zwei Collosse wird den Sturm gebären, der die Erde erschüttert, die Atmosphäre aufregen; da werden sich alsbald die Wirbel erheben, von denen ich so eben sprach; da werden sie auf allen Punkten agieren, kraft des Formations- und Condensationsgesetzes; dann wehe England! In diesem Augenblicke erst wird es erfahren, wie sehr es gehaßt, in welchem Grade es verabscheut ist; je mehr sich der Kampf in die Länge zieht, desto mehr werden die Abfälle, die Angriffe, die Verrathe zunehmen; desto mehr wird das ungeheure Meer seiner Feinde sich tosend erheben, wird die von Cabul nach Bengalen herabströmende Woge es bis aus seine Schiffe zurücktreiben, welche in seinen Häfen von Madras. Calcutta und Bombay wiederzufinden es nur zu glücklich sein wird.‹

 

›Sie sind wunderbar, Sire!‹ sagte Alexander; ›wenn Sie nicht Wunder thun, so träumen Sie solche.‹

›Ei! das ist kein Traum, das ist kein Wunder, sobald Sie mich unterstützen. Wissen Sie, Sire, was die Engländer an Soldaten in Indien haben?‹

›Etwa sechzigtausend Mann.‹

›Weil Sie die eingeborenen Truppen zählen; ich zähle sie nicht. Die Engländer haben in Indien zwölftausend Mann englische Truppen. Diese zähle ich; ich zähle sie sogar für vierundzwanzigtausend, wenn Sie wollen! Doch die vierzigtausend Mann Eingeborene, Clpayes.46 zähle ich nicht.‹

Alexander lächelte.

›Zählen wir sie,‹ sagte er, ›und wäre es nur der Erinnerung wegen.‹

›Gut, zählen wir sie. Vierzigtausend Mann eingeborene Truppen und zwölftausend Mann englische Truppen: zwei und fünfzigtausend Mann im Ganzen . . . Hören Sie, mein Bruder: Indien wird immer der Macht gehören, welche aus das Schlachtfeld die größte Anzahl europäischer Truppen führt . . . Wir thun Folgendes . . . Dreißigtausend Mann Russen ziehen an der Wolga hinab bis Astrakan, schiffen sich in dieser Stadt ein und gehen bis ans andere Ende des Caspischen Meeres, um Asterabad zu besetzen, wo sie die französische Armee erwarten. Dreißigtausend Franzosen ziehen die Donau hinab bis ins Schwarze Meer; von hier werden sie auf russischen Schiffen bis Taganrog transportiert. Sie marschieren sodann zu Lande am Don hinauf bis Pratisbianskaia, von wo sie sich nach Tzaritsin an der Wolga begeben, aus der sie in Schiffen bis Astrakan hinabfahren, wo sie sich dann wieder einschiffen, um mit dem russischen Corps in Asterabad zusammenzutreffen. Die beiden Corps, das französische und das russische, werden also, fast ohne Anstrengung, diesen ungeheuren Raum zurückgelegt haben; von da begeben sie sich durch Khorossan und Cabul nach dem Indus.‹

›Durch die große Salzwüste ziehend?‹

›Ich kenne die Wüste, ich habe mit ihr zu thun gehabt; verlassen Sie sich auf mich, daß ich die Riesenkaravane sich durchwinden mache.‹

›Werden Sie denn diese Expedition in Person anführen?‹

›Allerdings,‹ erwiderte Napoleon.

›Und wer wird über Frankreich wachen, wenn Sie dreitausend Meilen davon entfernt sind?‹

›Sie, Sire,‹ antwortete Napoleon einfach.

»Alexander erbleichte: der Grieche war erschrocken über diese ganz französische Antwort.

›Aber . . . ‹ sagte er, ›außer der großen Salzwüste werden wir entsetzliche Schwierigkeiten haben.‹

›Afghanistan, nicht wahr? dessen Geographie völlig unbekannt ist, und dessen ungastfreundlichen Stämme mit zahllosen Plätzern, Plünderern und Mördern den Marsch unseres Heeres beunruhigen werden?‹

›Gewiß.‹

›Ich habe das Hinderniß vorhergesehen, und zum Voraus ist das Hinderniß vernichtet. Ich schicke einen meiner besten Generale an einen der kleinen Fürsten von Beludschistan, Labore, Sindiah oder Mavah; er organisiert seine Truppen auf europäische Art, und macht uns einen Verbündeten, der uns entgegenkommt, und dem wir zur Belohnung die Souverainetät des ganzen Landes lassen, das er durchzogen hat.‹

›Wohl, es sei, Sire, wir sind nun im Pendschab. Wie nähren und verproviantieren wir die Armee?‹

›Was das betrifft. – wir brauchen uns nicht darum zu bekümmern, so lange wir eine wohlgespickte Börse und in Teheran und Cabul Sohoears47 haben, die unsere Tratten honoriren. Dort finden wir ein bewunderungswürdiges, ungeheures, ganz organisiertes Commissariat, und zwar seit Jahrhunderten organisiert, man sollte glauben in der Absicht, alle Eroberer zu unterstützen, die sich gefolgt sind und in der Eroberung Indiens folgen werden.‹

›Ich weiß durchaus nicht, was Sie hiermit sagen wollen.‹ sprach der Kaiser Alexander, ›und ich gestehe offenherzig meine Unwissenheit.‹

›Nun wohl, Sire, Sie sollen erfahren, daß in der ganzen ungeheuren Ausdehnung der hindostanischen Halbinsel ein Riesenstamm von Zigeunern in Indien unter dem Namen Brinjaries bekannt existiert. Sie sind es, welche in Indien ausschließlich den Kornhandel treiben; auf Ochsen und Kameelen transportieren sie das Korn nach unerhörten Entfernungen und in so zahlreichen Karavanen, daß man glauben sollte, es seien Armeecorps. Diese Menschen sind es, welche 1791 Lord Cornwallis in seinem Kriege gegen Tippa Saib ernährt,haben; es sind nomadische Indier, welche sehr wenig belästigen, da sie nie in Häusern, sondern immer unter Zelten wohnen; sehr nützlich, weil sie unter anderen seltsamen Gebräuchen den haben, daß sie nie Fluß oder Teichwasser trinken. Eine Folge hiervon ist, daß sie vortreffliche Marschgefährten in der Wüste werden, weil es nicht einen Tropfen Wasser in der Nachbarschaft gibt, den sie nicht zu finden wissen, in welcher Tiefe er auch sein mag . . . Nun wohl, Sire, diese Leute, deren Leben der Handel ist, welche die strengste Neutralität zwischen den kriegführenden Heeren beobachten, welche keinen andern Zweck haben, als ihr Korn zu verkaufen und ihre Gespanne an denjenigen zu vermiethen, der sie am theuersten bezahlt, diese Leute werden, gut bezahlt, uns gehören.‹

›Sie werden aber zu gleicher Zeit England gehören?‹

›Gewiß! Ich rechne in meinen Siegesvorhersehungen nicht aus den Hunger und aus den Durst: ich rechne auf unsere Kanonen und aus unsere Bajonnete.‹

»Der Czaar knipp sich in seine dünnen Lippen.

›Nun bleibt uns der Indus,‹ sagte er.

›Der Indus zu überschreiten?‹

›Ja.‹

»Napoleon lächelte.

›Es ist eines von den von den englischen Schriftstellern verbreiteten Vorurtheilen,‹ sagte er, ›der Indus sei ein genügendes Hinderniß, um eine Invasion aufzuhalten, und das englische Heer, wenn es sich aus dem linken User des Flusses concentrire, könne den Uebergang einer Armee verwehren, so mächtig sie auch sein möge: Sire, ich habe den Indus sondieren lassen von Dera Ismael Khan bis Attok: er hat eine Tiefe von zwölf bis fünfzehn Fuß mit sieben untersuchten Furten, die uns erwarten. Ich habe seinen Lauf berechnen lassen: sein Lauf beträgt kaum eine Lieue in der Stunde. Der Indus existiert also nicht für einen Mann, der über den Rhein, den Niemen und die Donau gegangen ist.‹

»Der Kaiser von Rußland blieb einen Augenblick wie niedergeschmettert unter der Macht des Genies, das ihn beherrschte.

›Lassen Sie mich athmen, Sire,‹ sagte er; ›diese Welt, die Sie ausheben wie ein zweiter Atlas, fällt aus meine Brust zurück und erstickt mich!‹

»Und ich,« unterbrach der junge Prinz, »ich sage Ihnen auch wie der Kaiser von Rußland: lassen Sie mich athmen, mein Herr!«

Sodann seine beiden Hände und seine Augen zum Himmel erhebend, sprach er:

»Oh! mein Vater, mein Vater, wie groß warst Du!«

Der ehemalige Soldat des Kaisers, der ehemalige Verbannungsgefährte von Napoleon hatte nur so lange bei den Einzelheiten des weit umfassenden Planes verweilt, um zu der Wirkung zu gelangen, die er auch hervorgebracht; das heißt, um den Sohn die Größe des Vaters ermessen zu lassen, und ihn dem zu Folge zur Erkenntniß der Pflichten zu führen, die ihm der Welt gegenüber der Riesenname auferlegte, der aus ihm lastete.

46Seapons.
47Banquiers.