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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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CXXIV
Wo der Abbé Fortier in Betreff der Mutter Billot die Drohung vollführt, die er gegen die Tante Angélique ausgesprochen hatte

Catherine schloß in frommer Weise die Augen ihrer Mutter zuerst mit der Hand, sodann mit den Lippen.

Frau Clément hatte längst diese letzte Stunde vorhergesehen und zum Voraus zwei Kerzen gekauft.

Während Catherine, ganz triefend von Thränen, in ihr Zimmer ihr Kind, das weinte, zurücktrug und es dadurch einschläferte, daß sie ihm ihre Brust gab, zündete Frau Clément die zwei Kerzen auf beiden Seiten des Bettes an, kreuzte die Hände der Todten auf ihrer Brust, gab ihr ein Crucifix in die Hände und stellte auf einen Stuhl eine Schüssel mit Weihwasser mit einem Buchszweige vom letzten Palmsonntag.

Als Catherine zurückkam, hatte sie nur noch beim Bette ihrer Mutter mit ihrem Gebetbuche in der Hand niederzuknieen.

Während dieser Zeit besorgte Pitou die anderen Leichenangelegenheiten: das heißt, da er es nicht wagte, zum Abbé Fortier zu gehen, mit welchem er, wie man sich erinnert, über den Fuß gespannt war, so ging er zum Sacristan, um die Todtenmesse zu bestellen, zu den Trägern, um sie von der Stunde zu unterrichten, zu der sie den Sarg abholen sollten, zum Todtengräber, um ihn mit der Bereitung des Grabes zu beauftragen.

Von da begab er sich nach Haramont und benachrichtigte seinen Lieutenant, seinen Unterlieutenant und seine neununddreißig Mann Nationalgarde, die Beerdigung von Frau Billot finde am andern Tage Morgens um elf Uhr statt.

Da die Mutter Billot zu ihren Lebzeiten, die arme Frau, weder ein öffentliches Amt, noch irgend einen, Grad bei der Nationalgarde oder beim Heere inne gehabt hatte, so war die Mittheilung von Pitou officiös und nicht officiell, wohl verstanden; es war eine Einladung, der Beerdigung beizuwohnen, und nicht ein Befehl.

Doch man wußte zu genau, was Billot für die Revolution gethan hatte, welche die Kopfe verdrehte und alle Herzen entflammte, man wußte zu genau, welche Gefahr noch in diesem Augenblick Billot auf seinem Schmerzenslager lief, er, der in Vertheidigung der heiligen Sache verwundet worden, um nicht die Einladung als einen Befehl zu betrachten; die ganze Nationalgarde von Haramont versprach also ihrem Chef, freiwillig in Waffen am andern Tage um elf Uhr beim Hause der Todten zu erscheinen.

Am Abend war Pitou im Pachthose zurück; vor der Thüre traf er den Schreiner, der den Sarg auf seinen Schultern brachte.

Pitou halte instinctartig alle Zartheiten des Herzens, die man so selten bei den Bauern, und selbst bei den Leuten der Gesellschaft trifft; er ließ den Schreiner und seinen Sarg im Stalle verbergen, und um Catherine den Anblick der Todtenlade, das gräßliche Getöse des Hammers zu ersparen, trat er allein ein.

Catherine betete am Fuße des Bettes ihrer Mutter! der Leichnam war durch die fromme Sorge der zwei Frauen gewaschen und in sein Tuch genäht worden.

Pitou erstattete Catherine Bericht über die Verwendung eines Tages, und forderte sie auf, ein wenig Luft zu schöpfen.

Catherine wollte aber ihre Pflichten bis zum Ende erfüllen und weigerte sich, ins Freie zu gehen.

»Es wird Ihrem lieben kleinen Isidor schädlich sein, wenn Sie nicht ausgehen,« sagte Pitou.

»Nehmen Sie ihn mit und lassen Sie ihn Luft schöpfen, Herr Pitou.«

Catherine mußte ein sehr großes Vertrauen zu Pitou haben, um ihm ihr Kind zu übergeben, und war es auch nur auf fünf Minuten.

Pitou ging hinaus, als wollte er gehorchen, doch nach fünf Minuten kam er zurück.

»Er will nicht mit mir gehen,« sagte er: »er weint.«

Catherine hörte in der That durch die offenen Thüren das Schreien ihres Kindes.

Sie küßte die Stirne des Leichnams, dessen Form und sogar Züge man durch das Tuch unterschied, und geheilt zwischen ihren zwei Gefühlen der Mutter und der Tochter, verließ sie ihre Mutter, um zu ihrem Kinde zu gehen.

Der kleine Isidor weinte in der That. Catherine nahm ihn in die Arme und ging Pitou folgend aus dem Pachthofe weg.

Hinter ihr trat der Schreiner mit seinem Sarge ein.

Pitou wollte Catherine ungefähr auf eine halbe Stunde entfernen.

Wie durch Zufall führte er sie auf den Weg nach Boursonne.

Dieser Weg war so voll von Erinnerungen für die Arme, daß sie hier eine halbe Meile ging, ohne ein Wort zu Pitou zu sagen: die hörte auf die verschiedenen Stimmen ihres Herzens und antwortete ihnen stillschweigend, wie sie sprachen.

Als Pitou glaubte, die Einsargungsarbeit sei beendigt, sagte er:

»Mademoiselle Catherine, wenn wir nach dem Pachthose zurückgingen?«

Catherine erwachte aus ihren Gedanken wie aus einem Traume.

»Ah! ja,« antwortete sie. »Sie sind sehr gut, mein lieber Pitou.«

Und sie schlug wieder den Weg nach Pisseleu ein.

Bei der Rückkehr bedeutete Frau Clément mit dem Kopfe nickend, die Leichenoperation sei beendigt.

Catherine ging in ihr Zimmer, um den kleinen Isidor zu Bette zu bringen.

Nachdem dieser mütterlichen Sorge Genüge gethan war, wollte sie wieder ihren Platz am Bette ihrer Mutter einnehmen.

Doch auf der Schwelle ihres Zimmers fand sie Pitou.

»Mademoiselle Catherine,« sagte er, »Alles ist beendigt.«

»Wie, Alles ist beendigt?«

»Ja. ., In unserer Abwesenheit . . . «

Pitou zögerte.

»In unserer Abwesenheit hat der Schreiner., .«

»Ah! deshalb drangen Sie so darauf, daß ich ausgehe . . . Ich begreife, guter Pitou.«

Und zur Belohnung erhielt Pitou von Catherine einen dankbaren Blick.

»Ein letztes Gebet, und ich komme zurück,« fügte das Mädchen bei.

Catherine ging gerade auf die Stube ihrer Mutter zu und trat ein, Pitou folgte ihr auf den Fußspitzen, doch er blieb auf der Schwelle stehen.

Der Sarg war ans zwei Stühle mitten im Zimmer gestellt.

Bei diesem Anblick blieb Catherine auch stehen, und neue Thränen entflossen ihren Augen.

Dann kniete sie vor dem Sarge nieder und stützte ihre durch die Ermüdung und den Schmerz bleich gewordene Stirne auf das Eichenholz.

Auf dem peinvollen Wege, der den Todten von seinem Sterbebette zum Grabe, seiner ewigen Wohnung, führt, stoßen die Lebenden, die ihm folgen, jeden Augenblick auf einen neuen Umstand, welcher bestimmt scheint, ihren leidenden Herzen alle ihre Thränen bis auf die letzte entstürzen zu machen.

Das Gebet war lang; Catherine konnte sich vom Sarge nicht losreißen; sie begriff wohl, die Arme, daß sie seit dem Tode von Isidor nur zwei Freunde auf Erden hatte: ihre Mutter und Pitou.

Ihre Mutter hatte sie gesegnet und von ihr Abschied genommen; heute im Sarge, würde ihre Mutter morgen im Grabe sein.

Pitou blieb ihr allein.

Man verläßt nicht ohne Kummer seinen vorletzten Freund, wenn dieser vorletzte Freund eine Mutter ist.

Pitou fühlte wohl, daß er Catherine zu Hilfe kommen mußte; er trat ein, und da er sah, daß seine Worte vergeblich waren, so suchte er Catherine unter den Armen aufzuheben.

»Noch ein Gebet, Herr Pitou! ein einziges!«

»Sie werden sich krank machen, Mademoiselle Catherine,« sagte Pitou.

»Und dann?«

»Dann hole ich eine Amme für Herrn Isidor.«

»Du hast Recht. Du hast Recht, Pitou,« versetzte Catherine. »Mein Gott! wie gut bist Du, Pitou! mein Gott! wie liebe ich Dich!«

Pitou wankte und wäre beinahe rückwärts gefallen.

Er lehnte sich bei der Thüre an die Wand an, und stille Thränen, fast der Freude, flossen über seine Wangen.

Hatte Catherine nicht gesagt, sie liebe ihn?

Pitou täuschte sich nicht über die Art, wie ihn Catherine liebte; doch auf welche Art sie ihn auch liebte: es war viel für ihn?

Nachdem sie ihr Gebet beendigt, stand Catherine, wie sie es Pitou versprochen, ans, ging langsamen Schrittes gegen ihn zu und stützte sich auf seine Schulter.

Pitou schlang seinen Arm um den Leib von Catherine, um sie fortzuziehen.

Diese ließ mit sich machen; doch ehe sie über die Schwelle trat, drehte sie den Kopf über die Schulter von Pitou, warf noch einen Blick auf den, traurig durch die zwei Kerzen beleuchteten, Sarg und sprach:

»Gott befohlen, meine Mutter! zum letzten Male Gott befohlen!«

Und sie ging hinaus.

Vor der Thüre des Zimmers von Catherine und in dem Augenblicke, wo diese hier eintreten wollte, hielt sie Pitou zurück.

Catherine fing an Pitou so gut zu kennen, daß sie begriff, Pitou habe ihr etwas zu sagen.

»Nun?« fragte sie.

»Mademoiselle Catherine,« stammelte Pitou ein wenig verlegen, »finden Sie nicht, es sei der Augenblick gekommen, den Pachthof zu verlassen?«

»Ich werde den Pachthof erst verlassen, wenn ihn meine Mutter verlassen hat,« antwortete Catherine.

Catherine sprach diese Worte mit einer solchen Festigkeit, daß Pitou wohl sah, es sei ein unwiderruflicher Entschluß.

»Und wenn Sie den Pachthof verlassen,« sagte Pitou: »Sie wissen, daß es eine halbe Meile von hier zwei Orte gibt, wo sie einer guten Aufnahme sicher sind: das ist die Hütte des Vaters Clouis und das kleine Hans von Pitou.«

Pitou nannte seine Stube und sein Cabinet ein Haus.

»Ich danke, Pitou!« erwiederte Catherine, indem sie zu gleicher Zeit mit dem Kopfe nickend bezeichnete, sie werde das eine oder das andere von diesen Asylen annehmen.

Catherine kehrte in ihr Zimmer zurück, ohne sich um Pitou zu bekümmern, der seinerseits immer sicher war, er werde ein Lager finden.

Am andern Morgen, von zehn Uhr an, erschienen die zum Leichenbegängniß berufenen Freunde beim Pachthofe. Alle Pächter der Umgegend fanden sich am Zusammenkunftsorte ein. Der Maire von Villers-Coterets, der gute Herr von Longpré, war unter den Ersten.

Um halb elf Uhr kam die Nationalgarde von Haramont mit klingendem Spiele und flatternder Fahne, ohne daß ein Mann fehlte.

Ganz schwarz gekleidet, in ihren Armen ihr Kind haltend, das wie sie schwarz angethan war, empfing Catherine jeden Ankommenden, und Keiner, wir müssen es sagen, hatte ein anderes Gefühl, als das der Ehrfurcht für diese Mutter und dieses Kind mit ihrer doppelten Trauerkleidung.

 

Um elf Uhr waren über dreihundert Personen beim Pachthofe versammelt.

Der Priester, der Kirchendiener, die Träger fehlten allein.

Man wartete eine Viertelstunde.

Nichts kam.

Pitou stieg auf den höchsten Speicher des Pachthofes.

Vom Fenster aus überschaute man die Ebene, die sich von Villers-Coterets zum Dörfchen Pisseleu erstreckt.

So gute Augen Pitou auch hatte, er sah nichts.

Er stieg wieder herab und theilte Herrn von Longpré nicht nur seine Beobachtungen, sondern auch seine Reflexionen mit.

Seine Beobachtungen waren, es komme gewiß nichts; seine Reflexionen, es werde wahrscheinlich nichts kommen.

Man hatte ihm den Besuch des Abbé Fortier und die Weigerung von diesem, die Mutter Billot mit den Sacramenten zu versehen, erzählt.

Pitou kannte den Abbé Fortier; er errieth Alles: der Abbé Fortier wollte den Beistand seines heiligen Amtes der Beerdigung von Frau Billot nicht gewähren, und der Vorwand, nicht die Ursache, war der Mangel der Beichte.

Diese von Pitou Herrn von Longpré und von Herrn von Longpré den Anwesenden mitgetheilten Reflexionen brachten einen schmerzlichen Eindruck hervor.

Man schaute sich stillschweigend an, dann sagte eine Stimme:

»Nun, was! wenn der Herr Abbé Fortier die Messe nicht lesen will, so kann man sie auch entbehren.«

Diese Stimme war die von Désiré Maniquet.

Désiré Maniquet war bekannt wegen seiner antireligiösen Ansichten.

Es trat ein Augenblick des Stillschweigens ein.

Offenbar schien es der Versammlung sehr kühn, sich der Messe zu überheben.

Und man war doch mitten in der Schule Voltaire und Rousseau.

»Meine Herren,« sprach der Maire, »gehen wir immerhin nach Villers-Coterets. In Villers-Coterets wird sich Alles erklären.«

»Nach Villers-Coterets!« riefen alle Stimmen.

Pitou winkte vier von seinen Leuten; man schob die Läufe von zwei Flinten unter den Sarg und hob die Tobte auf.

Bei der Thüre kam der Sarg an Catherine, welche kniete, und am kleinen Isidor, den sie neben sich hatte knieen lassen, vorüber.

Als man den Sarg vorbeigetragen hatte, küßte Catherine die Schwelle dieser Thüre, wohin sie nie mehr einen Fuß zu setzen gedachte, stand dann auf und sagte zu Pitou:

»Sie werden mich in der Hütte von Vater Clouis finden.«

Und sie entfernte sich rasch durch den Hof des Hauses und die Gärten, welche auf die Gründe von Naue gingen.

CXXV
Wo der Abbé Fortier sieht, daß es nicht immer so leicht ist, als man glaubt, das gegebene Wort zu halten

Das Trauergeleite zog schweigsam, in einer langen Linie auf der Straße hin, als plötzlich diejenigen, welche den Schluß bildeten, einen Ruf vernahmen.

Sie wandten sich um.

Ein Reiter sprengte im stärksten Galopp von der Seite von Ivors, das heißt auf der Straße von Paris, herbei.

Ein Theil seines Gesichtes war von zwei schwarzen Bandstreifen durchfurcht; er hielt seinen Hut in der Hand und machte ein Zeichen, daß man warte.

Pitou wandte sich um wie die Andern.

»Ah!« sagte er, »Herr Billot! . . . Gut! ich möchte nicht in der Haut des Abbé Fortier stecken!«

Beim Namen Billot machte Jedermann Halt.

Der Reiter kam rasch näher, und sowie er näher kam, erkannte ihn Jeder seinerseits, wie ihn Pitou erkannt hatte.

An der Spitze des Zuges angelangt, sprang Billot von seinem Pferde, dem er den Zügel auf den Hals warf, und nachdem er mit so kräftiger Stimme, daß Jeder es hörte, gesagt hatte: »Guten Morgen und meinen Dank, Bürger!« nahm er hinter dem Sarge den Platz von Pitou ein, der in seiner Abwesenheit das Trauergeleit anführte.

Ein Stallknecht übernahm das Pferd und brachte es nach dem Pachthofe.

Jeder warf einen neugierigen Blick auf Billot.

Er war ein wenig mager und sehr bleich geworden.

Ein Theil seiner Stirne und die nächste Umgebung seines linken Auges hatte die bläuliche Farbe des ausgetretenen Blutes behalten.

Seine aneinander gepreßten Zähne, seine zusammengezogenen Brauen bezeichneten einen finstern Zorn, der nur auf den Augenblick, sich nach außen zu verbreiten, wartete.

»Wissen Sie, was vorgefallen ist?« fragte Pitou.

»Ich weiß Alles,« antwortete Billot.

Sobald Gilbert dem Pächter mitgetheilt, in welchem Zustande sich seine Frau befand, hatte er ein Cabriolet gemiethet, das ihn bis Nanteuil geführt.

Sodann, da ihn das Pferd nicht mehr weiter hatte bringen können, hatte Billot, so schwach er noch war, einen Postklepper genommen: in Levignan hatte er gewechselt, und er kam nach dem Pachthose, als das Leichengeleit eben abgegangen war.

Mit zwei Worten hatte ihm Frau Clément Alles gesagt. Billot war wieder zu Pferde gestiegen: bei der Biegung der Mauer hatte er das Geleit erblickt, das die Straße entlang zog, und er hatte es durch sein Rufen aufgehalten.

Nun war, wie gesagt, er es, der, die Stirne gefaltet, den Mund drohend, die Arme auf der Brust gekreuzt, den Zug anführte.

Schon schweigsam und düster, wurde der Zug noch schweigsamer und noch düsterer.

Beim Eingange von Villers-Coterets fand man eine Gruppe von Personen, welche warteten.

So wie der Zug durch die Straßen vorrückte, kamen Männer, Weiber, Kinder aus den Häusern, grüßten Billot, der ihnen mit dem Kopfe nickend antwortete und schlossen sich den Reihen an ihrem Schweife an.

Als der Zug auf den Platz kam, zählte er über fünfhundert Personen.

Vom Platze aus fing man an die Kirche zu erschauen.

Was Pitou vorher gesehen, geschah: die Kirche war geschlossen.

Man kam an die Thüre und machte Halt.

Billot war leichenbleich geworden; der Ausdruck seines Gesichtes wurde immer drohender.

Die Kirche und die Mairie stießen aneinander. Der Kirchendiener, der zugleich Hausmeister der Mairie war und folglich sowohl vom Maire als vom Abbé Fortier abhing, wurde gerufen und von Herrn von Longpré befragt.

Der Abbé Fortier hatte allen Leuten der Kirche verboten, bei der Beerdigung mitzuwirken.

Der Maire fragte, wo die Kirchenschlüssel seien.

Die Schlüssel waren beim Meßner.

»Hole die Schlüssel,« sagte Billot zu Pitou.

Pitou öffnete den Cirkel seiner langen Beine, kam nach fünf Minuten zurück und sagte:

»Der Abbé hat die Schlüssel zu sich bringen lassen, um sicher zu sein, daß die Kirche nicht geöffnet werde.«

»Man muß die Schlüssel beim Abbé holen,« rief Désiré Maniquet, ein geborener Anstifter bei allen extremen Mitteln.

»Ja, ja, holen mir die Schlüssel beim Abbé.« riefen zweihundert Stimmen!

»Das wäre sehr langwierig,« versetzte Billot, »und wenn der Tod an eine Thüre klopft, so pflegt er nicht zu warten.«

Da schaute er umher: der Kirche gegenüber baute man ein Haus.

Die Zimmerleute vierten einen Balken ab.

Billot ging gerade auf sie zu und bedeutete ihnen durch ein Zeichen mit der Hand, er bedürfe des Balkens, den sie abvierten.

Die Arbeiter traten auf die Seite.

Der Balken war ans Bohlen gelegt.

Billot schob seinen Arm zwischen dem Balken und der Erde, ungefähr um die Mitte des Holzstückes, durch! dann hob er ihn mit einer einzigen Anstrengung auf.

Doch er hatte auf mangelnde Kräfte gerechnet.

Unter dem ungeheuren Gewichte wankte der Coloß, und man glaubte einen Augenblick, er werde fallen.

Das war das Zucken eines Blitzes; Billot erlangt:, auf eine erschreckliche Weise lächelnd, sein Gleichgewicht wieder; dann rückte er, den Balken unter dem Arme, mit langsamem, aber festem Schritte vor.

Man hätte glauben sollen, es sei einer von den Sturmböcken des Alterthums, mit denen die Alexander, die Hannibal und die Cäsar die Mauern umstürzten.

Er stellte sich mit aufgespreizten Beinen vor die Thüre, und die furchtbare Maschine fing an zu spielen.

Die Thüre war von Eichenholz; die Riegel, die Schlösser, die Angeln waren von Eisen.

Beim dritten Stoße waren die Riegel, die Schlösser, die Angeln gesprengt; die Thüre gähnte geöffnet.

Billot ließ den Balken fallen.

Vier Männer hoben ihn auf und trugen ihn mit Mühe an den Platz, wo ihn Billot genommen.

»Herr Maire,« sprach Billot, »lassen Sie nun den Sarg meiner armen Frau, die Niemand etwas zu Leide gethan, mitten in den Chor bringen, und Du, Pitou, versammle die Kirchendiener, die Cantoren und die Chorknaben; ich übernehme den Priester;

Der Maire trat, dem Sarge voran, in die Kirche ein. Pitou suchte die Cantoren, die Chorknaben und die Kirchendiener auf, wobei er sich von seinem Lieutenant Désiré Maniquet und vier Mann für den Fall, daß er sie widerspänstig finden würde, begleiten ließ; Billot wandte sich nach dem Hause des Abbé Fortier.

Mehrere Männer wollten Billot begleiten.

»Laßt mich allein,« sagte er; »vielleicht wird das, was ich zu thun im Begriffe bin, ernst werden: Jedem die Verantwortlichkeit für seine Werke.«

Und er entfernte sich rasch.

Es war das zweite Mal im Zeitraume von einem Jahre, daß sich der revolutionäre Pächter dem royalistischen Priester gegenüber finden sollte.

Man erinnert sich, was das erste Mal vorgefallen war; man sollte wahrscheinlich Zeuge einer ähnlichen Scene sein.

Als man ihn raschen Schrittes nach der Wohnung des Abbé gehen sah, blieb auch Jeder unbeweglich auf der Schwelle der Thüre und folgte ihm, den Kopf schüttelnd, mit den Augen, jedoch ohne einen Schritt zu machen.

»Er hat verboten, ihm zu folgen,« sagten die Zuschauer zu einander.

Die große Thüre des Abbé war geschlossen wie die der Kirche.

Billot schaute umher, ob in der Gegend nicht ein Gebäude sei, von dem er einen neuen Balken entlehnen könnte; es war nur ein durch müßige Kinder losgemachter und in seiner Höhle wie ein Zahn in seiner Lade zitternder Weichstein da.

Der Pächter ging auf den Weichstein zu, rüttelte ihn heftig, erweiterte seine Höhle und riß ihn aus seiner Umschließung mit Pflastersteinen.

Dann hob er ihn über seinen Kopf empor, wie ein anderer Ajax oder ein zweiter Diomedes, wich drei Schritte zurück und schleuderte den Granitblock mit derselben Kraft, wie es eine Catapult gethan hätte.

Die zerbrochene Thüre flog in Stücke.

Zu gleicher Zeit, da sich Billot auf diese furchtbare Weise Bahn brach, öffnete sich das Fenster des ersten Stockes, und der Abbé Fortier erschien, aus Leibeskräften seine Pfarrkinder zu Hilfe rufend.

Doch die Stimme des Hirten fand kein Gehör bei der Herde, welche fest entschlossen, den Wolf und den Schäfer die Sache mit einander ausfechten zu lassen.

Billot brauchte eine gewisse Zeit, um die zwei oder drei Thüren, welche ihn noch vom Abbé Fortier trennten, zu sprengen, wie er die erste gesprengt hatte.

Die Sache nahm ihm ungefähr zehn Minuten weg.

Nach Ablauf von zehn Minuten, nachdem die erste Thüre zertrümmert war, konnte man auf dem immer heftigeren Geschrei und den immer ausdrucksvolleren Geberden des Abbé entnehmen, diese wachsende Agitation komme davon her, daß sich ihm die Gefahr immer mehr nähere.

Man sah in der Thai plötzlich hinter dem Priester, den bleichen Kopf von Billot erscheinen, dann eine Hand sich ausstrecken und sich mächtig auf seine Schulter niedersenken.

Der Priester klammerte sich an das hölzerne Querstück an, das dem Fenster als Gesims diente; er war selbst ein Mann von einer sprichwörtlichen Stärke, und es wäre für Hercules nichts Leichtes gewesen, ihn zum Loslassen zu bringen.

Billot schlang seinen Arm wie einen Gürtel um den Leib des Priesters, stemmte sich auf seinen Beinen an und riß mit einem Rucke, um eine Eiche zu entwurzeln, den Abbé Fortier von dem in seinen Händen zerbrechenden Querstücke.

Der Pächter und der Priester verschwanden in den Tiefen des Zimmers, und man, hörte nur noch das Geschrei des Abbé, das sich immer mehr entfernte, wie das Gebrülle eines Stieres, den ein Löwe des Atlas nach seiner Höhle schleppt.

Mittlerweile hatte Pitou zitternd Cantoren, Chorknaben, den Meßner und den Thürsteher herbeigeführt; Alles dies hatte sich beeilt, zuerst Chorrock und Chorhemd anzuziehen, und dann die Kerzen anzuzünden und alle Dinge für die Todtenmesse vorzubereiten.

Man war so weit, als man auf dem kleinen Ausgange, der auf den Schloßplatz führte, Billot hervorkommen sah.

Er schleppte den Priester nach sich, und zwar, trotz seines Widerstandes, mit so raschem Schritte, als ob er allein gegangen wäre.

Das war kein Mensch mehr; es war eine der Kräfte der Natur, etwas wie ein Strom oder eine Lawine; nichts Menschliches schien fähig, ihm zu widerstehen: es hätte eines Elementes bedurft, um gegen ihn zu kämpfen.

 

Der arme Abbé hörte hundert Schritte von der Kirche auf sich zu sträuben.

Er war völlig gebändigt.

Alle Anwesende traten auf die Seite, um diese zwei Männer durchgehen zu lassen.

Der Abbé warf einen erschrockenen Blick auf die wie eine Glasscheibe zerbrochene Thüre, und als er an ihren Plätzen, – ihr Instrument, ihre Hellebarde oder ihr Buch in der Hand, – alle diese Leute sah, denen er einen Fuß in die Kirche zu setzen verboten hatte, schüttelte er den Kopf, als hätte er erkannt, etwas Mächtiges, Unwiderstehliches laste nicht nur auf der Religion, sondern auch auf ihren Dienern.

Er trat in die Sacristei ein und kam nach einem, Augenblicke in seiner Amtstracht und das heilige Sacrament in der Hand wieder heraus.

Doch in dem Momente, wo er, nachdem er die Stufen des Altars hinaufgestiegen war und das heilig Ciborium auf den heiligen Tisch gesetzt hatte, sich umwandte, um die ersten Worte der Messe zu sprechen streckte Billot die Hand aus und rief:

»Genug, schlechter Diener Gottes! ich habe Deinen Stolz zu beugen gesucht; doch man soll erfahren, daß eine fromme Frau, wie die meinige, die Gebete eines fanatischen und haßerfüllten Priesters Deiner Art entbehren kann.«

Dann, als ein gewaltiger Lärm in Folge dieser Worte unter den Gewölben der Kirche aufstieg, sprach er:

»Ist das eine Entheiligung, so falle sie auf mich zurück.«

Und sich gegen das ungeheure Geleit umwendend, das nicht nur die Kirche, sondern auch den Platz der Mairie und den des Schlosses füllte, rief er:

»Bürger, nach dem Friedhofe!«

Alle Stimmen wiederholten: »Nach den, Friedhofe! Die vier Träger schoben aufs Neue die Läufe ihre Flinten unter den Sarg, hoben den Körper ans und gingen wie sie gekommen waren, ohne Priester, ohne Kirchengesänge, ohne das Leichengepränge, mit dem die Religion den Schmerz der Menschen zu geleiten pflegt, unter Anführung von Billot, welchem ein Trauerzug von sechshundert Personen folgte, nach dem Friedhofe, der, wie man sich erinnert, fünfundzwanzig Schritte vom Hause der Tante Angélique entfernt lag.

Die Thüre des Friedhofes war geschlossen wie die des Abbé Fortier, wie die der Kirche.

Hier, vor diesem schwachen Hindernisse, hielt Billot seltsamer Weise an.

Der Starke achtete die Ruhe der Todten.

Auf einen Wink des Pächters lief Pitou zum Todtengräber.

Der Todtengräber hatte den Schlüssel des Friedhofes, das war ganz richtig.

Nach fünf Minuten brachte Pitou nicht nur den Schlüssel, sondern auch zwei Spaten.

Der Abbé Fortier hatte die arme Todte sowohl aus der Kirche, als von der heiligen Erde verbannt: der Todtengräber halte Befehl erhalten, kein Grab zu graben.

Bei dieser letzten Kundgebung des Hasses des Priesters gegen den Pächter durchlief etwas wie ein Drohungsschauer, die Anwesenden. Wäre im Herzen von Billot ein Viertel von der Galle gewesen, welche in die Seele der Devoten tritt, so brauchte Billot nur ein Wort zu sagen, und der Abbé Fortier hatte endlich die Satisfaction des Märtyrthums, das er mit gewaltigem Geschrei an dem Tage herbeigerufen, wo er sich geweigert, die Messe am Altar des Vaterlands zu lesen.

Billot hatte aber den Zorn des Volkes und des Löwen; er zerriß, zerbrach, zermalmte im Vorübergehen, kam jedoch nicht wieder auf seinen früheren Weg zurück.

Er machte Pitou, dessen Absicht er begriff, ein Zeichen des Dankes, nahm den Schlüssel aus seinen Händen, öffnete die Thüre, ließ den Sarg zuerst hineintragen und folgte demselben, wonach ihm das Leichengeleit folgte, das sich ans Allem, was gehen konnte, rekrutirt hatte.

Die Royalisten und die Devoten waren allein zu Hanse geblieben.

Es versteht sich von selbst, daß Tante Angélique, welche zu den Letzteren gehörte, mit Schrecken ihre Thüre, über abscheuliche Ruchlosigkeit schreiend und die himmlischen Blitze auf das Haupt ihres Neffen herabrufend, geschlossen hatte.

Doch Alles, was ein gutes Herz, einen guten Mine und die Familienliebe besaß; Alles, was der der Barmherzigkeit unterschobene Haß, die der Milde unterschoben Rache empörte, kurz drei Viertel der Stadt waren nicht gegen Gott, nicht gegen die Religion, sondern gegen die Priester und ihren Fanatismus protestirend, da.

An dem Orte angelangt, wo das Grab hätte sein sollen, und wo der Todtengräber, der nicht gewußt, er werde den Befehl erhalten, es nicht zu graben, schon seinen Platz bezeichnet hatte, streckte Billot die Hand gegen Pitou aus, und dieser gab ihm einen von seinen zwei Spaten.

Da begannen Billot und Pitou, mit entblößtem Haupte, inmitten eines Kreises von Bürgern, die das Haupt wie sie entblößt, unter der verzehrenden Sonne der letzten Julitage, das Grab der Unglücklichen zu graben, welche, fromm und ergeben unter Allen, sehr erstaunt gewesen wäre, hatte man ihr zu ihren Lebzeiten gesagt was für ein Aergerniß sie nach ihrem Tode verursacht, werde.

Die Arbeit dauerte eine Stunde, und weder den Einen, noch dem Anderen der zwei Arbeiter fiel es ein sich zu erheben, ehe sie beendigt war.

Mittlerweile hatte man Seile geholt, und als die Arbeit beendigt war, lagen die Seile bereit.

Es waren abermals Billot und Pitou, die den Sarg in das Grab versenkten.

Diese zwei Menschen erwiesen auf eine so einfache und natürliche Art die letzte Pflicht derjenigen, welch, sie erwartete, daß keinem der Anwesenden der Gedanken kam, ihnen Hilfe zu leisten.

Man hätte es als eine Ruchlosigkeit betrachtet, sie nicht bis zum Ende machen zu lassen.

Nur strich bei den ersten Schaufeln voll Erde, die auf dem eichenen Sarge erschollen, Billot mit der Hand über seine Augen und Pitou mit dem Aermel.

Dann füllten sie entschlossen die Grube mit der Erde auf.

Als dies beendigt war, schlenderte Billot seinen Spaten fern von sich und streckte seine Arme gegen Pitou aus, Pitou warf sich dem Pächter an die Brust, und Billot sprach:

»Gott ist mein Zeuge, daß ich in Dir umarme, was es Alles an einfachen und großen Tugenden auf Erden gibt: die Menschenliebe, die aufopfernde Ergebenheit, die Selbstverleugnung und die Brüderlichkeit, und daß ich mein Leben dem Triumphe dieser Tugenden weihen werde.«

Und die Hand über dem Grabe erhebend:

»Gott ist mein Zeuge, daß ich einen ewigen Krieg schwöre dem König, der mich hat morden lassen; den Adeligen, die meine Tochter entehrt; den Priestern, die meiner Frau das Begräbniß verweigert.«

Hiernach wandte sich Billot gegen die Zuschauer um, welche voll Sympathie für diese doppelte Beschwörung, und sagte:

»Brüder! eine neue Nationalversammlung wird statt der Verräther, welche zu dieser Stunde bei den Feuillants sitzen, zusammenberufen werden; wählet mich zum Repräsentanten bei dieser Versammlung, und Ihr sollt sehen, ob ich meine Eide zu halten weiß.«

Ein Ruf allgemeiner Beistimmung erfolgte auf den Vorschlag von Billot, und zur Stunde wurde auf dem Grabe seiner Frau, einem erschrecklichen Altar würdig des furchtbaren Schwures, den er empfangen, die Candidatur von Billot für die gesetzgebende Versammlung festgestellt; wonach, und nachdem Billot seinen Landsleuten für die Sympathie, die sie ihm in seiner Freundschaft und in seinem Hasse bewiesen, gedankt hatte. Jeder, Bauer oder Städter, sich nach Hause zurückzog, – in seinem Herzen jenen Geist revolutionärer Propaganda mitnehmend, dem in ihrer Verblendung seine tödtlichsten Waffen gerade diejenigen, – Könige, Adelige und Priester sie gerade denjenigen lieferten, welche er verschlingen sollte.