Za darmo

Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

CXVIII
Der Abschied von Barnave

Am 2. Oktober, das heißt, zwei Tage nach der Auflösung der constituierenden Versammlung, zur Stunde, wo er die Königin zu sehen pflegte, wurde Barnave, nicht mehr in das Entresol von Madame Campan, sondern in das Zimmer, welches man das große Cabinet nannte, eingeführt.

Am Abend des Tages, wo der König die Constitution beschworen, waren Schildwachen, Adjutanten von Lafayette aus dem Innern des Schlosses verschwunden und wenn der König nicht wieder mächtig geworden, so war er doch wenigstens wieder frei geworden.

Das war ein kleiner Ersatz für die Demüthigung über die wir ihn sich so bitter bei der Königin haben beklagen sehen.

Ohne öffentlich und mit dem Gepränge einer feierlichen Audienz empfangen zu werden, sollte also Barnave diesmal nicht mehr den Vorsichtsmaßregeln unterworfen sein, welche bis dahin seine Gegenwart in den Tuilerien nöthig gemacht hatte.

Er war sehr bleich und schien sehr traurig, diese Traurigkeit und diese Blässe fielen der Königin auf.

Sie empfing ihn stehend, obschon sie wußte, welche Achtung der junge Advocat für sie hegte, und sicher war er würde, wenn sie sich setzte, nicht thun, was der Präsident Thouret gethan hatte, als er sah, daß der König nicht aufstand.

»Nun, Herr Barnave,« sagte sie, »Sie sind wohl zufrieden: der König hat Ihren Rath befolgt und die Constitution beschworen.«

»Die Königin ist sehr gut, daß sie sagt, der König habe meinen Rath befolgt,« erwiederte Barnave, indem er sich verbeugte. »Wäre dieser Rath nicht zugleich der des Kaisers Leopold und des Fürsten Kaunitz gewesen, so würde, Seine Majestät vielleicht mehr gezögert haben diesen Act zu vollbringen, – der einzige indessen, der den König zu retten vermochte, konnte der König . . . «

Barnave hielt inne.

»Konnte der König gerettet werden, nicht wahr mein Herr, das ist es, was Sie sagen wollten?« versetzte die Königin, die Frage ins Gesicht mit dem Muthe und wir können sagen, mit der Kühnheit, die ihr eigenthümlich, angreifend.

»Gott behüte mich, Madame, daß ich mich zum Propheten solcher Mißgeschicke mache.

Und dennoch, im Begriffe, Paris zu verlassen, im Begriffe, mich auf immer von der Königin zu entfernen, möchte ich Ihre Majestät weder zu sehr in Verzweiflung bringen, noch ihr zu viel Illusionen lassen.«

»Sie verlassen Paris, Herr Barnave, Sie entfernen sich von mir?«

»Die Arbeiten der Nationalversammlung, deren Mitglied ich war, sind beendigt, Madame, und da die Versammlung beschlossen hat, kein Constituierender könne an der gesetzgebenden Versammlung Theil nehmen, so habe ich keinen Grund mehr, in Paris zu bleiben.«

»Nicht einmal den, uns nützlich zu sein, Herr Barnave?«

Barnave lächelte traurig.

»Nicht einmal den, Ihnen nützlich zu sein, Madame, denn in der That, von heute an, oder vielmehr von vorgestern an, kann ich Ihnen nichts mehr nützen.«

»Oh mein Herr,« sprach die Königin, »Sie haben zu wenig Vertrauen zu Ihren Kräften.«

»Ach! nein, Madame, ich beurtheile mich, und ich bin schwach . . . ich wäge mich ab, und ich finde mich leicht . . . Was meine Stärke bildete, eine Stärke, der sich als eines Hebels zu bedienen ich die Monarchie anflehte, das war mein Einfluß auf die Nationalversammlung, meine Herrschaft bei den Jacobinern, das war endlich meine so mühsam erworbene Popularität; doch die Nationalversammlung ist aufgelöst, doch die Jacobiner sind die Feuillants geworden, und ich befürchte sehr, die Feuillants spielen, indem sie sich von den Jacobinern trennen, ein sehr schlimmes Spiel . . . Kurz, meine Popularität . . . «

Barnave lächelte noch trauriger als das erste Mal.

»Kurz, meine Popularität ist verloren!«

Die Königin schaute Barnave an und ein seltsamer, Schimmer, der einem Blitze des Triumphes glich, zuckte in ihren Augen.

»Nun!« sagte sie, »Sie sehen also, daß die Popularität sich verliert.«

Barnave stieß einen Seufzer ans.

Die Königin begriff, daß sie eine von den kleinen Grausamkeiten begangen hatte, welche bei ihr Gewohnheit waren.

In der That, wenn Barnave seine Popularität verloren, wenn ein Monat hierzu genügt hatte, wenn er genöthigt gewesen, das Haupt unter dem Worte von Robespierre zu beugen, wessen Schuld war es? War es nicht die Schuld dieser unseligen Monarchie, welche Alles, was sie berührte, nach dem Abgrunde fortriß, dem sie selbst zulief? war es nicht die Schuld des entsetzlichen Geschickes, das auf Marie Antoinette, wie auf Maria Stuart, eine Art von Engel des Todes machte, der dem Grabe alle diejenigen weihte, denen er erschien?

Sie gehörte daher gewisser Maßen um, und da sie Barnave dafür Dank wußte, daß er mit einem einfachen Seufzer geantwortet hatte, während er mit den niederschmetternden Worten: »Für wen habe ich meine Popnlarität verloren, Madame, wenn nicht für Sie?« hätte antworten können, so sagte sie:

»Doch nein, Sie reisen nicht ab, nicht wahr, Herr Barnave?«

»Gewiß,« erwiederte Barnave, »wenn die Königin mir zu bleiben befiehlt, so werde ich bleiben, wie unter der Fahne ein Soldat bleibt, der seinen Abschied hat, und den man für die Schlacht behält; doch wenn ich bleibe, wissen Sie, was geschehen wird, Madame? Statt schwach zu sein, werde ich Verräter werden!«

»Wie so, mein Herr?« fragte die Königin leicht verletzt; »erklären Sie sich, ich verstehe Sie nicht.«

»Erlaubt mir die Königin, sie wohl vor die Lage, nicht nur in der sie sich befindet, sondern in der sie sich befinden wird, zu stellen?«

»Thun Sie das, mein Herr; ich bin gewohnt, die Abgründe zu sondieren, und wenn ich leicht empfänglich für den Schwindel wäre, so müßte ich längst hinabgestürzt sein.«

»Die Königin betrachtet vielleicht die Nationalversammlung, die sich zurückzieht, als ihre Feindin?«

»Unterscheiden wir, Herr Barnave; in dieser Versammlung habe ich Freunde gehabt; doch Sie werden nicht leugnen, daß die Majorität dieser Versammlung dem Königthum feindlich gesinnt war.«

»Madame,« erwiederte Barnave, »die Nationalversammlung hat nur einen Act der Feindseligkeit gegen den König und Sie begangen: das war an dem Tage, wo beschlossen wurde, keines ihrer Mitglieder könne an der gesetzgebenden Versammlung Theil nehmen.«

»Ich verstehe Sie nicht recht: erklären Sie mir das,« sagte die Königin mit einem Lächeln des Zweifels.

»Das ist ganz einfach: sie hat den Schild vom Arme Ihrer Freunde gerissen.«

»Und, wie mir scheint, auch ein wenig das Schwert aus den Händen meiner Feinde.«

»Ach! Madame, Sie täuschen sich dieser Streich kommt von Robespierre, und er ist furchtbar wie Alles, was von diesem Menschen kommt! Vor Allem wirft er Sie, der neuen Versammlung gegenüber, ins Unbekannte. Bei den Constituierenden wußten Sie, wen Sie zu bekämpfen hatten, was Sie zu bekämpfen hatten; bei den Legislativen ist ein neues Studium zu machen. Dann bemerken Sie wohl, Madame, indem er beantragte, daß Keiner von uns wiedergewählt werden könne, wollte Robespierre Frankreich in die Alternative versetzen, entweder die Schicht zu nehmen, die über uns ist, oder die Schicht, die unter uns ist. Ueber uns existirt nichts mehr; die Emigration hat Alles desorganisiert, und selbst angenommen, der Adel sei in Frankreich geblieben, – nicht unter den Adeligen würde das Volk seine Vertreter suchen. Unter uns, es mag sein! unter uns hat das Volk seine Abgeordneten genommen: dann wird die ganze Versammlung demokratisch sein; es wird Nuancen bei dieser Demokratie geben, nichts Anderes!«

Man sah ans dem Gesichte der Königin, daß sie mit tiefer Aufmerksamkeit der Demonstration von Barnave folgte und, da sie allmälig begriff, zu erschrecken anfing.

»Ich habe sie gesehen, diese Abgeordneten,« fuhr Barnave fort, »denn schon seit drei bis vier Tagen strömen Sie nach Paris; ich habe besonders diejenigen gesehen, welche von Bordeaux kommen.

Es sind fast lauter Menschen ohne Namen, die es aber drängt, sich einen zu machen, um so mehr drängt, als sie jung sind. Abgesehen von Condorcet, Brissot und einigen Anderen, sind die Aeltesten von ihnen kaum dreißig Jahre alt. Das ist die Thronbesteigung der das reifere Alter verjagenden und die Tradition entthronenden Jugend. Keine weiße Haar mehr! ein neues Frankreich wird mit schwarzen Haaren im Rathe der Gesetzgeber sitzen.«

»Und Sie glauben, mein Herr, wir haben mehr von denjenigen, welche kommen, als von denen, welche gehen, zu befürchten?«

»Ja, Madame, denn diejenigen, welche kommen, kommen bewaffnet mit einem Mandat! den Krieg gegen die Adeligen und die Priester führen! Was den König betrifft; man spricht sich noch nicht über ihn aus, man wird sehen . . . Will er sich damit begnügen, daß er executive Gewalt ist, so wird man ihm vielleicht die Vergangenheit verzeihen.«

»Wie!« rief die Königin, »wie! ihm die Vergangenheit verzeihen? . . . Ich denke, es wäre am König, zu verzeihen!«

»Das ist es gerade; Sie sehen, hierüber wird man sich nie verständigen: diejenigen, welche kommen, – und Sie werden leider den Beweis hiervon erhalten, – werden nicht einmal die heuchlerische Schonung der Abgehenden beobachten! . . . Für sie, – ich weiß das von einem Abgeordneten der Gironde, einem meiner Collegen Namens Vergniaud, – für sie ist der König der Feind!«

»Der Feind?« versetzte die Königin ganz erstaunt.

»Ja, Madame,« wiederholte Barnave, »der Feind! das heißt, der freiwillige oder unfreiwillige Mittelpunkt aller inneren und äußeren Feinde; ach! ja, man muß es wohl zugestehen, – und sie haben nicht ganz Unrecht, diese Neukommenden, welche eine Wahrheit entdeckt zu haben glauben, während ihnen kein anderes Verdienst gebührt, als daß sie laut sagen, was Ihre heftigsten Gegner nicht leise zu sagen wagten.«

»Feind?« wiederholte die Königin; »der König Feind seines Volkes? Oh! Herr Barnave, das ist eine Sache, die Sie mich nicht nur nie zuzugeben bewegen werden, sondern die Sie mich auch nie werden begreifen machen!«

 

»Es ist dennoch die Wahrheit, Madame; Feind von Natur, Feind von Temperament! Nicht wahr, vor drei Tagen hat er die Constitution angenommen?«

»Ja; nun?«

»Nun, als er, der König, hierher zurückkam, war ihm übel vor Zorn, und am Abend schrieb er an den Kaiser.«

»Ei! warum sollen wir denn solche Demüthigungen ertragen?«

»Ah! Madame, Sie sehen es wohl: Feind, unseliger Weise Feind. Freiwilliger Feind, denn von Herrn de la Vauguyon, dem General der Jesuiten-Partei, erzogen, hat der König sein Herz in der Hand der Priester, welche die Feinde der Nation sind! unfreiwilliger Feind, denn er ist das gezwungene Haupt der Gegenrevolution; und nehmen Sie sogar an, er verlasse Paris nicht, so ist er doch in Koblenz mit der Emigration, in der Vendée mit den Priestern, in Wien und in Preußen mit seinen Verbündeten Leopold und Friedrich. Der König thut nichts . . . ich gebe zu, daß er nichts thut, Madame,« sprach Barnave traurig; »nun wohl! in Ermangelung seiner Person, beutet man seinen Namen aus: in der Hütte, auf der Kanzel, im Schlosse ist es der arme König, der gute König, der fromme König! so daß man der Herrschaft der Revolution eine erschreckliche Revolte entgegensetzt: die Revolte des Mitleids.«

»Wirklich, Herr Barnave, sind Sie es, der mir diese Dinge sagt, und sind Sie nicht der Erste gewesen, der uns beklagte?«

»Oh! Ja, Madame, ich beklage Sie, ja, ich beklage Sie noch, und zwar aufrichtig! doch es findet der Unterschied zwischen mir und denjenigen, von welchen ich spreche, statt, daß diese Sie beklagen, um Sie ins Verderben zu stürzen, und daß ich Sie beklage, um Sie zu retten.«

»Aber, mein Herr, ist unter denjenigen, welche kommen und, wenn man Ihnen glauben muß, kommen, um einen Vernichtungskrieg gegen uns zu führen, zum Voraus etwas ausgemacht, ein Plan festgestellt?«

»Nein, Madame, und ich habe bis jetzt nur unbestimmte Ansinnungen in Erfahrung gebracht: die Unterdrückung des Titels Majestät für die Eröffnungssitzung; statt des Thrones ein einfaches Fauteuil links vom Präsidenten . . . «

»Sehen Sie hierin etwas mehr als in der Handlung von Herrn Thouret, der sich setzte, weil der König saß?«

»Das ist wenigstens ein neuer Schritt vorwärts, statt ein Schritt rückwärts zu sein . . . Dann ist noch das Erschreckliche, Madame, daß Lafayette und Bailly ersetzt werden sollen!«

»Oh! was diese betrifft,« erwiederte lebhaft die Königin, »ich bedaure ihren Verlust nicht.«

»Und Sie haben Unrecht, Madame, Herr Bailly und Herr von Lafayette sind Ihre Freunde . . . «

Die Königin lächelte bitter.

»Ihre Freunde, Madame! Ihre letzten Freunde vielleicht! Seien Sie also behutsam mit ihnen; haben sie einige Popularität gerettet, so benützen Sie dieselbe, beeilen Sie sich aber: ihre Popularität wird bald auswandern, wie es die meinige gethan hat.«

»Am Ende von Allem dem, mein Herr, zeigen Sie mir den Abgrund, Sie führen mich bis an seinen Krater, Sie lassen mich eine Tiefe ermessen, doch Sie sagen mir nicht das Mittel, ihn zu vermeiden.«

Barnave blieb einen Augenblick stumm.

Dann stieß er einen Seufzer aus und sprach:

»Ach! Madame, warum hat man Sie auf der Straße von Montmédy verhaftet!«

»Gut!« sagte die Königin, »nun billigt Herr Barnave die Flucht nach Varennes!«

»Ich billige sie nicht, Madame, denn die Lage, in der Sie sich heute befinden, ist die natürliche Folge dieser Flucht; da aber diese Flucht eine solche Folge haben sollte, so beklage ich, daß sie nicht besser abgelaufen ist.«

»So, daß heute Herr Barnave, Mitglied der Nationalversammlung, von dieser Versammlung mit den Herren Pétion und Latour-Maubourg abgesandt, um den König und die Königin nach Paris zurückzuführen, es beklagt, daß der König und die Königin nicht im Auslande sind?«

»Oh! verstehen wir uns recht, Madame; derjenige, welcher dies beklagt, ist nicht das Mitglied der Nationalversammlung, es ist nicht der College der Herren Latour-Maubourg und Pétion; es ist der arme Barnave, der nichts mehr ist, als Ihr unterthäniger Diener, bereit, Sie sein Leben, das heißt: Alles, was er besitzt, zu geben.«

»Ich danke, mein Herr,« sprach die Königin; »der Ausdruck, mit dem Sie mir dieses Anerbieten machen, beweist mir, daß Sie der Mann wären, es zu halten; doch ich hoffe, ich werde keine solche Aufopferung von Ihnen zu verlangen haben.«

»Desto schlimmer für mich,« versetzte einfach Barnave.

»Warum desto schlimmer?«

»Ja, soll ich einmal fallen, so hätte ich wenigstens gern kämpfend fallen mögen, während Folgendes geschehen wird: in der Tiefe meines Dauphiné, wo ich Ihnen, unnütz sein werde, werde ich wohl mehr noch Wünsche für die junge und schöne Frau, für die zärtliche und hingebende Mutter, als für die Königin hegen; dieselben Fehler, welche die Vergangenheit gemacht haben, werden die Zukunft vorbereiten; Sie werden auf eine fremde Hilfe rechnen, welche nicht, ankommen oder zu spät kommen wird; die Jacobiner werden die Gewalt in der Nationalversammlung und außerhalb derselben an sich reißen; Ihre Freunde werden Frankreich verlassen, um der Verfolgung zu entfliehen; diejenigen, welche bleiben, werden verhaftet, eingekerkert werden: ich werde zu diesen gehören, denn ich will nicht fliehen! Dann wird man mich richten, verurtheilen; mein dunkler Tod wird Ihnen vielleicht unnütz, sogar unbekannt sein, oder wenn das Gerücht von diesem Tode zu Ihnen gelangt, bin ich eine so geringe Unterstützung für Sie gewesen, daß Sie die paar Stunden, während welcher ich Ihnen nützlich sein zu können hoffen durste, werden vergessen haben.«

»Herr Barnave,« sprach die Königin mit großer Würde, »ich weiß durchaus nicht, welches Loos die Zukunft dem König und mir vorbehält; was ich aber weiß, ist, daß die Namen der Menschen, die uns Dienste geleistet haben, gewissenhaft in unser Gedächtniß eingetragen sind, und daß nichts von Dem, was diesen Glückliches oder Unglückliches begegnen mag, uns fremd sein wird . . . Mittlerweile, Herr Barnave: vermögen wir etwas für Sie?«

»Viel . . . Sie persönlich, Madame, Sie können mir beweisen, daß ich kein ganz werthloses Wesen in Ihren Augen war.«

»Und was muß ich zu diesem Ende thun?«

Barnave setzte ein Knie auf die Erde.

»Mir Ihre Hand zu küssen geben, Madame.«

Eine Thräne trat an die trockenen Augenlider von Marie Antoinette; sie streckte gegen den jungen Mann diese weiße, kalte Hand aus, welche im Zeitraume eines Jahres die beredtesten Lippen der Nationalversammlung: die von Mirabeau und von Barnave, küssen sollten.

Barnave berührte sie nur leicht; man sah, daß der arme Wahnsinnige befürchtete, wenn er seine Lippen auf diese schöne Marmorhand drücke, könne er sich nicht mehr davon losmachen.

Dann erhob er sich und sprach:

»Madame, ich werde nicht so hoffärtig sein, zu Ihnen zu sagen: »»Die Monarchie ist gerettet!«« doch ich sage Ihnen: »»Ist die Monarchie verloren, so Ist derjenige, welcher nie die Gunst, die ihm eine Königin bewilligt hat, vergessen wird, mit ihr verloren!««

Und er verbeugte sich vor der Königin und ging ab.

Marie Antoinette schaute ihm, während er sich entfernte, seufzend nach, und als die Thüre hinter Barnave geschlossen war, sagte sie:

»Arme, leere Citrone! sie haben nicht viel Zeit gebraucht, um von Dir nur die Schale übrig zulassen! . . . «

CXIX
Das Schlachtfeld

Wir haben die entsetzlichen Ereignisse, welche auf dem Marsfelde am Nachmittag des 17. Juli 1791 vorgefallen waren, zu schildern versucht; suchen wir einen Begriff von dem Schauspiele zu geben, das die Scene bot, nachdem wir den Lesern das Drama, das hier gespielt worden, und dessen Hauptschauspieler Bailly und Lafayette gewesen waren, vor die Augen gestellt haben.

Dieses Schauspiel war es, was einen als Officier der Nationalgarde gekleideten jungen Mann ergriff, der, aus der Rue Saint-Honoré ausmündend, über den Pont Louis XV. gegangen war und durch die Rue de Grenelle nach dem Marsfelde kam.

Dieses Schauspiel, – das bei zwei Dritteln seiner zunehmenden Periode ein Mond beleuchtete, der sich zwischen schweren schwarzen Wolken hinrollend von Zeit zu Zeit in diesen verlor, – war unheimlich anzusehen.

Das Marsfeld hatte den Anblick eines Schlachtfeldes bedeckt mit Tobten und Verwundeten, unter denen wie Schatten Menschen umherirrten, welche beauftragt waren, die Todten in die Seine zu werfen und die Verwundeten nach dem Militärhospital des Gros-Cailou zu bringen.

Der junge Mann, dem wir von der Rue Saint-Honoré an folgen, blieb einen Augenblick beim Eingange des Marsfeldes stehen, faltete die Hände mit einer Gebärde naiven Schreckens und murmelte:

»Jesus Gott! die Sache ist also noch schlimmer gewesen, als man mir gesagt hat?«

Sodann, als er einige Minuten die seltsame Operation, welche man hier vollbrachte, angeschaut hatte, ging er auf zwei Männer zu, die er einen Leichnam nach der Seine tragen sah, und fragte sie:

»Bürger, wollt Ihr mir wohl sagen, was Ihr mit diesem Menschen macht?«

»Folge uns, und Du wirst es sehen,« antworteten die zwei Männer.

Der junge Officier folgte ihnen.

Als sie die hölzerne Brücke erreicht hatten, schaukelten die zwei Männer den Leichnam, indem sie: »Eins, zwei, drei!« zählten, und bei drei warfen sie den Körper in die Seine.

Der junge Mann stieß einen Schreckensschrei aus.

»Aber was macht Ihr denn da, Bürger?« fragte er.

»Sie sehen es wohl, mein Officier,« antworteten die zwei Männer; »wir räumen den Boden ab.«

»Und Ihr habt Befehle, um so zu handeln?«

»Offenbar.«

»Von wem?«

»Von der Municipalität.«

»Oh!« machte der junge Mann erstaunt.

Dann, nach einem Augenblicke des Stillschweigens und nachdem er mit ihnen auf das Marsfeld zurückgekehrt war:

»Habt Ihr schon viele Leichname in die Seine geworfen?«

»Fünf oder sechs,« antwortete einer von den zwei Männern.

»Verzeiht, Bürger,« sagte der junge Mann, »ich habe ein großes Interesse bei der Frage, die ich an Euch thun will: habt Ihr unter den fünf bis sechs Leichnamen einen Mann bemerkt, sechsundvierzig bis achtundvierzig Jahre alt, ungefähr fünf Fuß sechs Zoll groß untersetzt, kräftig, halb Bauer, halb Bürger?«

»Bei meiner Treue,« erwiederte einer von den Männern, »wir haben nur eine Bemerkung zu machen: ob die Leute, die hier liegen, todt oder lebendig sind; sind sie todt, so werfen wir sie in den Fluß, sind sie nicht todt, so bringen wir sie nach dem Hospital des Gros-Cailou.«

»Ah!«sprach der junge Mann, »einer meiner Freunde ist nicht nach Hanse zurückgekommen, und da man mir gesagt hat, man habe ihn einen Theil des Tages hier gesehen, so befürchtete ich, er sei unter den Verwundeten oder den Todten.«

»Ei!« erwiederte einer von den Trägern, der einen Leichnam rüttelte, indeß ihn der andere mit einer Laterne beleuchtete, »war er hier, so ist er wahrscheinlich noch hier; ist er nicht nach Hause gekommen, so wird er wahrscheinlich nicht mehr kommen.«

Und der Mann der Municipalität rüttelte doppelt stark den zu seinen Füßen liegenden Körper und rief:

»He! bist Du todt oder lebst Du? Bist Du nicht todt, so suche zu antworten.«

»Oh! dieser ist es wohl!n sagte der Zweite; »er hat eine Kugel mitten in die Brust bekommen.«

»In den Fluß also!« versetzte der Erste.

Und die zwei Männer hoben den Leichnam auf und schlugen wieder den Weg nach der Brücke ein.

»Bürger,« sprach der Officier, »Ihr braucht Eure Laterne nicht, um diesen Menschen ins Wasser zu werfen: habt die Gefälligkeit, sie mir einen Augenblick zu leihen; während Ihr Euren Gang macht, suche ich meinen Freund.«

Die Träger gewährten die Bitte, und die Laterne ging in die Hände des jungen Officiers über; dieser begann seine Nachforschung mit einer Sorgfalt und mit einem Ausdrucke der Physiognomie, woran zu erkennen, daß er dem Todten oder dem Verwundeten, den er suchte, einen Titel gegeben, der nicht nur von seinen Lippen, sondern auch aus seinem Herzen kam,

Zehn bis zwölf ebenfalls mit Laternen versehene Menschen waren wie er mit der traurigen Nachforschung beschäftigt.

Von Zeit zu Zeit, mitten unter dem Stillschweigen, – denn die erschreckliche Feierlichkeit des Schauspiels schien beim Anblicke des Todes die Stimme der Lebenden zu ersticken, – von Zeit zu Zeit, mitten unter dem Stillschweigen, durchzog ein mit lauter Stimme ausgesprochener Name den Raum.

Zuweilen antwortete eine Klage, ein Stöhnen, ein Schrei auf diesen Namen; am öftesten aber erhielt er nur ein unheimliches Schweigen zur Antwort! Der junge Officier, nach einem Zögern, als wäre seine Stimme durch eine gewisse Angst gefesselt, folgte endlich dem Beispiel, das man ihm gab, und rief dreimal:

 

»Herr Billot! . . . Herr Billot! . . . Herr Billot! . . . «

Doch keine Stimme antwortete ihm.

»Oh! er ist sicherlich todt!« murmelte er, während er mit seinem Aermel die Thränen abwischte, die seinen Augen entflossen. »Armer Herr Billot!«

In diesem Augenblicke gingen zwei Männer, einen Leichnam nach der Seine tragend, an ihm vorüber.

»Ei!« sagte derjenige, welcher den Rumpf hielt und folglich am nächsten beim Kopfe war, »ich glaube, unser Leichnam hat einen Seufzer von sich gegeben!«

»Gut!« versetzte der Andere lachend, »wenn man auf alle diese Bursche hören wollte, so gäbe es nicht einen Todten.«

»Bürger,« sprach der Officier, »ich bitte, laßt mich den Mann sehen, den Ihr tragt.«

»Oh! gern, mein Officier,« antworteten die beiden Träger.

Und sie setzten den Körper auf sein Hintertheil, da mit es dem Officier leichter würde, sein Gesicht zu beleuchten.

Der junge Mann näherte seine Laterne und stieß einen Schrei ans.

Trotz der furchtbaren Wunde, die ihn entstellte, glaubte er den Menschen, den er suchte, erkannt zu haben.

Nnr fragte es sich, war er todt oder lebte er?

Demjenigen, welcher schon den halben Weg zu seinem feuchten Grabe gemacht hatte, war, der Kopf durch einen Säbelhieb gespalten. Die Wunde war, wie gesagt, erschrecklich; sie hatte die ganze behaarte Haut! vom linken Seitenmandsbeine losgemacht, so daß sie über die Backe herabhing und den Knochen des Schädels entblößt ließ; die Schlafpulsader war durchschnitten worden, und der ganze Leib des Verwundeten oder des Todten war von Blut überströmt.

Auf der Seite der Wunde war er unkenntlich.

Der Officier hielt mit einer zitternden Hand die Laterne auf die andere Seite.

»Oh! Bürger,« rief er, »er ist es! . . es ist der, welchen ich suche: es ist Herr Billot.«

»Ah! Teufel!« versetzte einer von den beiden Trägern. »Nun, er ist ein wenig beschädigt, Ihr Herr Billot!«

»Sagtet Ihr nicht, er habe einen Seufzer von sich gegeben?«

»Ich glaubte es wenigstens zu hören.«

»Dann thut mir einen Gefallen . . . «

Der Officier zog einen kleinen Thaler aus der Tasche.

»Welchen?»fragte der Träger voll guten Willens beim Anblicke des Geldstückes.

»Lauft zum Flusse und holt Wasser in Eurem Hute.«

»Gern.«

Der Mann lief nach der Seine zu. Der junge Officier hatte seinen Platz eingenommen und hielt den Verwundeten.

Nach fünf Minuten kam der Bote zurück.

»Sprengt ihm Wasser ins Gesicht,« sagte der junge Mann.

Der Träger gehorchte; er benetzte seine Hand im Hute, schüttelte sie, wie man es mit einem Weihwedel thut, und besprengte das Gesicht des Verwundeten.

»Er hat geschauert!« rief der junge Mann, der den Sterbenden in seinen Armen hielt; »er ist nicht todt! . . . Oh! lieber Herr Billot, welch ein Glück, daß ich hierher gekommen bin!«

»Ja, bei meiner Treue, das ist ein Glück!« sagten die zwei Männer; »noch zwanzig Schritte, und Ihr Freund kam in den Netzen von Saint-Cloud zu sich.«

»Besprengt ihn noch einmal mit Wasser.«

Der Träger wiederholte die Operation; der Verwundete schauerte und gab einen Seufzer von sich.

»Ah! ah!« sagte der zweite Träger, »er ist offenbar nicht todt.«

»Nun, was machen wir mit ihm?«

»Helft mir ihn nach der Rue Saint-Honoré zum Herrn Doctor Gilbert transportiren, und Ihr sollt eine gute Belohnung bekommen!« erwiederte der junge Mann.

»Wir können nicht.«

»Warum nicht?«

»Wir haben Befehl, die Todten in die Seine zu werfen und die Verwundeten nach dem Hospital des Gros-Cailou zu bringen . . . Da er behauptet, er sei nicht todt und wir ihn folglich nicht in die Seine werfen können, so müssen wir ihn nach dem Hospital tragen.«

»Nun, so tragen wir ihn nach dem Hospital, und zwar so rasch als möglich,« sagte der junge Mann.

Er schaute rings umher.

»Wo ist das Hospital?«

»Ungefähr dreihundert Schritte von der Ecole Militaire.«

»Es ist also dort?«

»Ja.«

»Wir haben über das ganze Marsfeld zu gehen?«

»Der Länge nach.«

»Mein Gott! habt Ihr denn keine Tragbahre?«

»Ei! das findet sich wohl,« antwortete der zweite Träger; »das ist wie Wasser, und mit einem zweiten kleinen Thaler . . . «

»Ganz richtig!« versetzte der junge Mann, »Ihr habt nichts bekommen . . . Hier ist ein zweiter kleiner Thaler: findet nur eine Tragbahre.«

Nach zehn Minuten war die Tragbahre gefunden.

Der Verwundete wurde auf einer Matratze darauf gelegt; die zwei Träger ergriffen die Gabeln, und der traurige Zug wanderte nach dem Hospitale vom Gros-Cailou, escortirt von dem jungen Manne, der mit seiner Laterne in der Hand am Kopfe des Verwundeten ging.

Es war etwas Gräßliches, dieser nächtliche Marsch auf einem von Blut überströmten Boden, mitten unter unbeweglichen, starren Leichen, an die man auf jedem Schritte stieß, oder Verwundeten, die sich aufrichteten, um nach Hilfe rufend wieder niederzufallen.

Nach einer Viertelstunde schritt man über die Schwelle des Hospitals vom Gros-Cailou.