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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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CIX
Ein wenig Schatten nach der Sonne

Am 18. Juli 1791, das heißt, einige Tage nach den so eben von uns erzählten Ereignissen, schrieben zwei neue Personen, mit denen wir unsre Leser bekannt zu machen bis zu diesem Augenblick gezögert haben, um sie ihnen unter ihrem wahren Lichte vorzustellen, beide an einem Tische, in einem kleinen Salon im dritten Blocke des in der Rue Guénégaud liegenden Hotel Britannique.

Dieser kleine Salon ging durch eine seiner Thüren auf ein bescheidenes Speisezimmer, in welchem man übrigens in allen Punkten die gewöhnliche Ausstattung von Hotels garnis erkannte, und durch eine andere Thüre auf ein Schlafzimmer, in dem ein Zwillingsbett stand.

Die zwei Schreiber waren von verschiedenem Geschlecht und verdienen je eine besondere Erwähnung.

Der Mann schien sechzig Jahre alt zu sein, vielleicht etwas weniger; er war groß, er war mager; er hatte etwas zugleich Strenges und Leidenschaftliches in seinem Aeußern; die geraden Linien seines Gesichtes bezeichneten einen ruhigen und ernsten Denker, bei dem die starren Eigenschaften des Geistes die Phantasien der Einbildungskraft beherrschten.

Die Frau sah aus, als zählte sie erst dreißig bis zwei und dreißig Jahre, während sie in Wirklichkeit über sechs und dreißig Jahre alt war. An einen, gewissen Glanze des Blutes, an einer gewissen kräftigen Fleischhaltung ließ sich erkennen, daß sie aus dem Volke stammte. Sie hatte reizende Augen von jener unbestimmten Farbe, welche die verschiedenen Nuancen des Grau, des Grün und des Blau entlehnt, sanfte und zugleich feste Augen, einen großen Mund, aber geschmückt mit frischen Lippen und weißen Zähnen, eine aufgestülpte Nase, eine schöne, obgleich etwas starke Hand, eine reiche, üppige, wohlgebogene Taille, einen wundervollen Hals und die Hüften der Venns von Syrakus.

Der Mann war Jean Marie Roland de la Platière, geboren 1732 in Villesranche, bei Lyon.

Die Frau war Manon Jeanne Philipon, geboren in Paris 1754.

Sie hatten sich elf Jahre vorher, das heißt 1780 geheirathet.

Wir haben gesagt, die Frau sei von der Volksrace gewesen; die Namen: Manon Jeanne Philipon deuten auf ihren Ursprung hin; Tochter eines Graveur, gravirte sie selbst, bis sie im Alter von fünf und zwanzig Jahren Roland heirathete, der zwei und zwanzig Jahre älter war als sie; dann versah sie Copisten-, Uebersetzers-, Compilators-Geschäfte. Bücher, wie die Kunst des Torfgräbers, die Kunst des Wollefabrikanten, das Wörterbuch der Manufacturen, absorbirten in einer harten und undankbaren Arbeit die schönsten Jahre dieser Frau mit der reichen Natur, welche Jungfrau hinsichtlich aller Sünden, wenn auch nicht aller Leidenschaften blieb, nicht aus Unfruchtbarkeit des Herzens, sondern aus Seelenreinheit.

In dem Gefühle, das sie ihrem Manne gewidmet, überwog die Ehrfurcht der Tochter die Liebe der Frau. Diese Liebe war eine Art von keuschem Cultus ohne alle physische Beziehungen, sie ging so weit, daß sie die gute Frau bewog, die Arbeiten des Tags zu verlassen, die sie in den Nachtstunden wieder einholte, um selbst das Mahl des Greises zu bereiten, dessen geschwächter Magen nur eine gewisse Art von Nahrung ertragen konnte.

Im Jahre 1789 führte Madame Roland dieses dunkle, arbeitsame Leben in der Provinz. Ihr Gatte wohnte damals in einem Garten, genannt la Platière, von dem er seinen Namen annahm. Dieser Garten lag, in Villefranche bei Lyon. Hier machte Beide der Kanonendonner der Bastille erbeben.

Beim Lärmen dieser Kanonen erwachte Alles, was darin Großes, Patriotisches, heilig Französisches lag, im Herzen des edlen Geschöpfes. Frankreich war nicht mehr ein Königreich, es war eine Nation! es war nicht mehr einfach ein Land, das man bewohnt, es war ein Vaterland! Es kam die Föderation von 1790; die von Lyon ging, wie man sich erinnert, der von Paris voran. Jeanne Philipon, die im väterlichen Hause aus dem Quai de l’Horloge alle Tage, wenn sie aus ihrem Fenster nach dem tiefen Blau des Himmels schaute, die Sonne aufgehen sah, der sie folgen konnte bis zum äußersten Ende der Champs-Elysées, wo sie sich aus die grünen, belaubten Gipfel der Bäume zu senken schien, hatte Morgens um drei Uhr von der Höhe von Fourvières die andere viel mächtiger verzehrende, viel heller leuchtende Sonne, die man die Freiheit nennt, aufgehen sehen; von hier hatte ihr Blick dieses ganze große bürgerliche Fest umfaßt; von hier war ihr Herz in den Verbrüderungsocean getaucht, und es war daraus, wie Achilles, überall unverwundbar, eine einzige Stelle ausgenommen, hervorgegangen. Au dieser Stelle traf sie die Liebe; doch sie unterlag wenigstens der Wunde nicht.

Ganz begeistert von dem, was sie gesehen, schrieb sie am Abend dieses großen Tags, sich Dichterin, Geschichtschreiberin fühlend, einen Bericht über das Fest. Diesen Bericht schickte sie ihrem Freunde Champagneux, dem Oberredacteur des Journal de Lyon. Völlig geblendet von dieser glühenden Erzählung, ließ sie der junge Mann in seine Zeitung drucken, und am andern Tage hatte das Journal, das gewöhnlich zwölf- bis fünfzehnhundert Exemplare abzog, sechzigtausend abgezogen.

Erklären wir mit zwei Worten, wie diese Dichterphantasie und dieses Frauenherz so sehr bei der Politik in’s Feuer geriethen: von ihrem Vater als Graveurgehilfe, von ihrem Manne als Secretär behandelt, in dem väterlichen oder dem ehelichen Hause nur mit den herben, strengen Dingen des Lebens in Berührung, betrachtete Madame Roland, durch deren Hände nie ein frivoles Buch gekommen, als eine große Zerstreuung, als einen herrlichen Zeitvertreib das Protocoll der Wähler von 89 oder die Erzählung der Einnahme der Bastille.

Was Roland betrifft, – er war ein Beispiel davon, welche Veränderung die Vorsehung, der Zufall oder das Verhängniß durch ein unbedeutendes Factum im Leben eines Menschen oder in der Existenz eines Reiches herbeiführen können.

Er war der Letzte von fünf Brüdern. Man wollte einen Priester aus ihm machen, er wollte ein Mensch bleiben. Mit neunzehn Jahren verläßt er das väterliche Haus und durchwandert allein, zu Fuß, ohne Geld, Frankreich, begibt sich nach Nantes, tritt bei einem Rheder ein, und bringt es dahin, daß man ihn nach Indien schickt. Im Augenblick der Abreise, in der Stunde, wo das Schiff unter Segel gehen will, erfaßt ihn aber ein so heftiges Blutspeien, daß ihm der Arzt die See verbietet.

Hätte sich Cromwell nach America eingeschifft, statt, durch den Befehl von Karl I. zurückgehalten, in England zu bleiben, so erhob sich vielleicht das Schafott von Whitehall nicht; reiste Roland nach Indien, so fand vielleicht der 10. August nicht statt!

Da Roland den Absichten, die der Rheder, bei dem er eingetreten ist, mit ihm hat, nicht entsprechen kann, so verläßt er Nantes und begibt sich nach Rouen. Hier erkennt einer seiner Verwandten, an den er sich wendet, den Werth des jungen Mannes und verschafft ihm den Platz eines Mannfacturen-Inspectors.

Von da an wird das Leben von Roland ein Leben der Studien, der Arbeiten. Die Oekonomie ist seine Muße, der Handel sein inspirirender Gott; er reist, er sammelt, er schreibt, er verfaßt Denkschriften über die Zucht der Heerden, Theorien über die mechanischen Künste, er schreibt Briefe aus Sicilien, Italien, Malta, den französischen Finanzmann und die anderen schon von uns angeführten Werke, die er seine Frau copiren läßt, welche er, wie gesagt, im Jahre 1780 geheirathet hat; vier Jahre nachher macht er mit ihr eine Reise nach England; bei seiner Rückkehr schickt er sie nach Paris, wo sie um einen Adelsbrief solicitiren und die Inspection von Lyon statt der von Rouen verlangen soll; bei der Inspection glückt es ihr, beim Adel aber scheitert sie. Roland ist nun in Lyon und unwillkürlich bei der Volkspartei, zu der ihn übrigens seine Instincte und seine Ueberzeugungen hintreiben. Er versieht die Functionen des Handels- und Manufacturen-Inspectors der Generalität von Lyon zur Zeit, da die Revolution ausbricht, und bei dieser neuen, wiedergebärenden Morgenröthe fühlen er und seine Frau in ihrem Herzen die schöne Pflanze mit den goldenen Blättern und der demantenen Blüthe keimen, die man die Begeisterung nennt. Wir haben gesehen, wie Madame Roland den Bericht über das Fest am 30. Mai schrieb, wie das Journal, das denselben veröffentlichte, sechzigtausend Exemplare davon abzog, und wie jeder Nationalgarde, der in seinen Flecken oder in seine Stadt zurückkehrte, einen Theil von der Seele von Madame Roland mitnahm.

Und da das Journal nicht unterzeichnet ist, da der Bericht nicht unterzeichnet ist, so kann Jeder denken, die Freiheit selbst habe, aus die Erde herabgestiegen, einem unbekannten Propheten den Bericht des Festes dictirt, wie ein Engel das Evangelium dem heiligen Johannes dictirte.

Die beiden Gatten waren hier, voll Glauben, voll Vertrauen, voll Hoffnung, und lebten inmitten eines kleinen Kreises von Freunden, Champagneux, Bosc, Lanthenas, und vielleicht ein paar Anderen, als der Kreis sich durch einen neuen Freund vermehrte.

Lanthenas, der ganz vertraulich bei den Roland lebte und hier Tage, Wochen, Monate zubrachte, führte eines Abends einen von den Wählern ein, deren Rechenschaftsbericht Madame Roland so sehr bewundert hatte.

Man nannte den Neuvorgestellten Bancal des Issarts.

Es war ein Mann von neununddreißig Jahren, schön einfach, ernst, zart und religiös; nichts gerade Glänzendes doch ein gutes Herz, eine milde Seele.

Er war Notar gewesen und halte seine Stelle aufgegeben, um sich ganz in die Politik und die Philosophie zu werfen.

Nachdem der Gast acht Tage im Hause war, sagten sich Roland, Lanthenas und er so gut zu, diese Gruppe bildete eine so harmonische Dreieinigkeit in ihrer Hingebung an das Vaterland, in ihrer Liebe für die Freiheit, in ihrer Ehrfurcht für alle heilige Dinge, daß die drei Männer sich nicht mehr zu verlassen, mit einander und auf gemeinschaftliche Kosten zu leben beschloßen.

 

Besonders als Bancal sie für den Augenblick verlassen hatte, machte sich das Bedürfniß dieses Vereins fühlbar.

»Kommen Sie, mein Freund,« schrieb ihm Roland, was zögern Sie? Sie haben unsere offene, runde Art, zu leben und zu handeln, gesehen? Nicht in meinem Alter wechselt man, wenn man nie gewechselt hat. Wir predigen den Patriotismus, wir erheben die Seele: Lanthenas treibt sein Doctorshandwerk; meine Frau ist die Krankenwärterin des Cantons. Sie und ich, wir heilen die Angelegenheiten der Gesellschaft.«

Der Verein dieser drei goldenen Mittelmäßigkeiten machte in der That etwas, was einem kleinen Glücke glich. Lanthenas besaß ungefähr zwanzigtausend Livres, Roland sechzigtausend, Bancal hunderttausend.

Mittlerweile erfüllte Roland seine Sendung, die Sendung eines Apostels; bei seinen Reisen als Inspector katechisirte er die Bauern der Gegend; ein vortrefflicher Fußgänger mit dem Stocke in der Hand, zog dieser Pilger der Menschheit vom Norden nach dem Süden, vom Osten nach dem Westen auf seinem Wege, rechts und links, vor sich und hinter sich, das neue Wort, das fruchtbare Korn der Freiheit aussäend; einfach, beredt, leidenschaftlich unter einer kalten Hülle, war Bancal für Roland ein Schüler, ein Gehilfe, ein zweites Er selbst; es kam dem Geiste des zukünftigen Collegen von Clavière und Dumouriez nicht einmal der Gedanke, Bancal könnte seine Frau lieben, und seine Frau diesen. War nicht seit fünf bis sechs Jahren Lanthenas, ein ganz junger Mann, bei der keuschen, arbeitsamen, nüchternen reinen Frau wie ein Bruder bei seiner Schwester? War nicht Madame Roland, seine Jeanne, die Bildsäule der Stärke und der Tugend?

Roland war auch ganz glücklich, als Bancal auf das angeführte Billet durch einen liebevollen Brief voll zärtlicher Anhänglichkeit antwortete. Roland empfing diesen Brief in Lyon und schickte ihn unmittelbar nach der Platière, wo seine Frau war.

Oh! lesen Sie mich nicht, lesen Sie Michelet, wenn Sie durch eine einfache Analyse dieses bewunderungswürdige Wesen, das man Madame Roland nennt, wollen kennen lernen.

Sie erhielt den Brief an einem der heißen Tage, wo die Elektrizität durch die Luft läuft, wo die kältesten Herzen sich beleben, wo selbst der Marmor träumt und schauert. Man war schon im Herbste, und dennoch toste ein schweres Gewitter am Himmel.

Mit dem Tage, wo sie Bancal gesehen, war etwas Unbekanntes im Herzen der keuschen Frau erwacht; dieses Herz hatte sich geöffnet, und es war wie aus dem Kelche einer Blume ein Wohlgeruch daraus hervorgekommen; ein Gesang süß wie der des Vogels in der Tiefe der Wälder zwitscherte an ihr Ohr. Man hätte glauben sollen, der Frühling bilde sich für ihre Einbildungskraft, und aus dem unbekannten Felde, das sie undeutlich hinter dem Nebel erschaute, der es noch bedeckte, bereite die Hand des mächtigen Maschinisten, den man Gott nennt, eine neue Decoration voller duftender Gebüsche, kühler Wasserfälle, schattenreicher Wiesen und sonniger Streiflichter.

Sie kannte die Liebe nicht, doch sie errieth sie, wie alle Frauen. Sie begriff die Gefahr, und Thränen in den Augen, aber lächelnd ging sie gerade auf einen Tisch zu und schrieb, ohne Zögern, ohne Umwege, an Bancal, zeigte ihm, eine arme verwundete Clorinde, ihre schwache Seite, legte das Bekenntniß ab, und tödtete mit demselben Schlage die Hoffnung, die dieses Bekenntniß entstehen machen konnte.

Bancal begriff Alles, sprach nicht mehr vom Vereine, ging nach England und blieb dort zwei Jahre.

Es waren antike Herzen, diese Herzen! Ich dachte auch, es wäre für meine Leser angenehm, nach allen den Tumulten und allen den Leidenschaften, die sie durchschritten haben, einen Augenblick im frischen, reinen Schatten der Schönheit, der Stärke, und der Tugend auszuruhen.

Man sage nicht, wir machen Madame Roland anders, als sie war, – keusch in der Werkstätte ihres Vaters, keusch am Lager ihres alten Gatten, keusch bei der Wiege ihres Kindes. In der Stunde, wo man nicht lügt, im Angesichte der Guillotine schrieb sie: »Ich habe immer meine Sinne beherrscht, und Niemand hat die Wollust weniger gekannt, als ich.«

Und man schreibe nicht der Kälte der Frau das Verdienst ihrer Ehrlichkeit zu. Nein, die Epoche, zu der wir gelangt sind, ist eine Epoche des Hasses, ich weiß es wohl, aber auch eine Epoche der Liebe. Frankreich gab das Beispiel: ein armes, lange Zeit eingekerkertes, in Ketten liegendes Wesen, löste man es von seinen Fesseln und setzte es in Freiheit. Wie Marie Stuart, da sie aus dem Gefängnisse kam, hätte es gern einen Kuß auf die Lippen der Schöpfung drücken, die ganze Natur in ihren Armen vereinigen, sie mit ihrem Hauche befruchten mögen, daß daraus die Freiheit des Landes und die Unabhängigkeit der Welt geboren werden.

Nein, alle diese Frauen liebten fromm, alle diese Männer liebten glühend: Lucile und Camille Desmoulins, Danton und seine Louise, Fräulein von Keralio und Robert, Sophie und Condorcet, Vergniaud und Fräulein Candeille. Jeder bis aus den kalten einschneidenden Robespierre, kalt und einschneidend wie das Messer der Guillotine, fühlte sein Herz zerschmelzen an diesem großen Liebesherde.

Und war es denn nicht auch Liebe, ich weiß, weniger reine Liebe, – doch gleichviel, die Liebe ist die große Tugend der Herzen, – die Liebe von Madame Tallien, die Liebe von Frau von Beauharnais, die Liebe von Frau von Genlis, alle diese Liebesleidenschaften, deren tröstender Hauch noch auf dem Schafott über das bleiche Gesicht der Sterbenden hinstreifte?

Ja, diese ganze Welt liebte in jener beseligenden Epoche; und man nehme hier das Wort Liebe in jedem Sinne. Die Einen liebten die Idee, die Andern die Materie; Diese das Vaterland, Jene das Menschengeschlecht. Seit Rousseau hatte das Bedürfniß, zu lieben, immer mehr zugenommen; es war, als müßte man sich beeilen, jede Liebe im Vorüberziehen festzunehmen, man hätte glauben sollen, beim Herannahen des Grabes, des Schlundes, des Abgrundes poche jedes Herz von einem unbekannten, leidenschaftlichen, verzehrenden Hauche bewegt, jede Brust schöpfe ihren Athem am allgemeinen Herde, und dieser Herd waren alle Liebesleidenschaften in eine einzige Liebe verschmolzen.

Wir sind nun fern von dem Greise und der jungen Frau, welche im dritten Stocke des Hotel Britannique schrieben. Kehren wir zu ihnen zurück.

CX
Die ersten Republikaner

Am 20. Februar 1781 hatte man Roland als außerordentlichen Abgeordneten von Lyon nach Paris geschickt: sein Auftrag war, für die Sache der zwanzigtausend brodlosen Arbeiter zu sprechen.

Er befand sich seil fünf Monaten in Paris, als sich das unglückliche Ereigniß von Varennes zutrug, welches einen solchen Einfluß aus das Geschick unserer Helden und aus das Loos von Frankreich übte, daß wir ihm einen ganzen Band widmen zu müssen glaubten.

Seit der Rückkehr des Königs am 26. Juni bis zu dem Tage zu dem wir gekommen sind, dem 16. Juli, waren aber viele Dinge vorgefallen.

Alle Welt hatte geschrieen: »Der König flüchtet sich!« alle Welt war dem König nachgelaufen, alle Welt halte ihn nach Paris zurückgebracht, und sobald der König zurückkam, sobald der König in Paris war, sobald der König in den Tuilerien war, wußte Niemand mehr, was man mit ihm machen sollte!

Jeder bringt seine Meinung, die Meinungen blasen von allen Seiten; man hätte glauben sollen, es seien Winde während des Sturmes. Wehe dem Schiffe, das bei einem solchen Ungewitter auf der See ist.

Am 20. Juni, dem Tage der Flucht des Königs, machten die Cordeliers ihren Anschlag, unterzeichnet, von Legendre, diesem französischen Schlächter, den die Königin das Seitenstück des englischen Schlächters Harrison nannte.

Der Anschlagzettel hatte als Ueberschrift folgende Worte:

Si parmi les Français il se trouvait un traître

Qui regrattât les rois et qui voulût un mâtre

Que lee perfide meure au milieu des tourments,

Et que sa cendre soit abandonnée aux vents.

Fände sich unter den Franzosen ein Verräther,

der den König beklagte und einen Herrn haben wollte,

so sterbe der Treulose unter Qualen,

und seine Asche werde den Winden preisgegeben.]

Die Verse waren von Voltaire, sie waren schlecht und reimten sich schlecht, doch sie hatten das Verdienst, daß sie den Gedanken der Patrioten, deren Anschlag sie schmückten, scharf ausdrückten.

Dieser Anschlag erklärte, alle Cordeliers haben geschworen, die Tyrannen zu erdolchen, welche es wagen würden, das Gebiet, die Freiheit oder die Constitution anzugreifen.

Marat, der immer allein geht und als Vorwand für seine Absonderung angibt, der Adler lebe einsam, und die Truthähne leben in Truppen, Marat schlägt einen Dictator vor.

»Nehmet,« spricht er in seinem Journal, »nehmet einen guten Franzosen, einen guten Patrioten, nehmet den Bürger, der seit dem Anfange der Revolution am meisten Erleuchtung, Eifer, Treue und Uneigennützigkeit zeigt, nehmet ihn, ohne zu zögern, oder die Sache der Revolution ist verloren!«

Was besagen wollte: »Nehmet Marat!«

Prudhomme, – er schlägt weder einen Menschen, noch eine neue Regierung vor; nur verabscheut er die alte in der Person des Königs und seiner Abkömmlinge: hören wir ihn:

»Zwei Tage nachher, am Montag, führte man den Dauphin, um Luft zu schöpfen, längs der nach dem Flusse gehenden Terrasse der Tuilerien spazieren; als man eine ziemlich beträchtliche Anzahl von Bürgern erblickte, nahm ein besoldeter Grenadier das Kind auf seine Arme und setzte es aus das steinerne Geländer der Terrasse: getreu der ihm am Morgen ertheilten Lection, sandte das königliche Bübchen dem Volke Küsse zu; das hieß um Gnade für seinen Papa und seine Mama schreien. Einige Zuschauer waren so feig, zu rufen: »»Es lebe der Dauphin!«« Bürger, seid auf Eurer Hut gegen die Schmeicheleien eines Hofes, der mit dem Volke kriecht, wenn er nicht der stärkere ist.«

Unmittelbar nach diesen Zeilen kamen dann die folgenden:

»Es geschah am 27. Februar 1649, daß das Parlament von England Karl I. Zur Enthauptung verurtheilte, weil er die königlichen Prärogative hatte ausdehnen und sich in den Usurpationen von Jacob I., seinem Vater, behaupten wollen; es geschah am 30. desselben Monats, daß er seine, beinahe durch den Gebrauch legitimierten und durch eine zahlreiche Partei geheiligten, Frevelthaten büßte. Doch die Stimme des Volkes hatte sich hören, lassen, das Parlament erklärte den König für einen Flüchtling, Verräther, öffentlichen Feind, und Karl Stuart wurde vor dem Bankettsaale des Palastes Whitehall enthauptet.«

Bravo! Bürger Prudhomme, Du bist wenigstens nicht im Vorzuge am 21. Januar 1793; wenn Ludwig XVI. auch enthauptet wird, hast Du das Recht, die Initiative anzusprechen, da Du am 27. Juni 1791 das Beispiel angegeben hast!«

Allerdings wird Prudhomme später Royalist und Reactionär werden und die Geschichte der während der Revolution begangenen Verbrechen herausgeben.

Es ist doch etwas Schönes um das Gewissen!

Die Bouche de fer40 ist offenherziger: keine Heuchelei, keine zweideutige Worte, keine Falschheit; es ist Bonneville, der redliche, der kühne, der junge Bonneville, ein bewunderungswürdiger Narr, der bei den gewöhnlichen Umständen ausschweift, bei den großen aber sich nie täuscht, er redigirt die Bouche defer, welche in der Rue de l’Ancienne Comédie, beim Odeon, zwei Schritte vom Club der Cordeliers geöffnet ist.

»Man hat vom Eide das schändliche Wort König weggestrichen,« sagt er; »keine Könige mehr, keine Menschenfresser mehr! Man wechselte bis jetzt oft den Namen und behielt immer die Sache: keinen Regenten, keinen Dictator, keinen Protector, keinen Orleans, keinen Lafayette! Ich liebe ihn nicht, diesen Sohn von Philipp von Orleans, der gerade diesen Tag nimmt, um die Wache in den Tuilerien zu beziehen, und eben so wenig seinen Vater, den man nie in der Nationalversammlung erblickt, während man ihn immer aus der Terrasse der Feuillants sieht. Braucht eine Nation immer unter Vormundschaft zu sein? Unsere Departements mögen sich conföderiren und erklären, sie wollen weder Tyrannen, noch Monarchen, noch Protector, noch Regenten, noch irgend einen von diesen Königsschatten, Schatten, welche so unheilvoll für die öffentliche Sache sind, als der Schatten jenes verfluchten Baumes Bohon-Upas, der tödtlich ist.

»Doch es genügt nicht, daß man sagt: »»Republik!«« Venedig war auch Republik. Man muß eine nationale Gemeinschaft, eine nationale Regierung haben. Versammelt das Volk im Angesichte der Sonne, verkündigt, das Gesetz allein sei souverän. Schwöret, es werde allein herrschen. Es gibt keinen Freund der Freiheit auf der Erde, der den Schwur nicht wiederholt!«

 

Camille Desmoulins war auf einen Stuhl im Palais Royal, das heißt auf dem gewöhnlichen Schauplatze seiner oratorischen Heldenthaten, gestiegen und hatte gesagt: »Meine Herren, es wäre ein Unglück, wenn dieser treulose Mensch zu uns zurückgebracht würde. Was würden wir mit ihm machen? Er käme, wie Theresites, und vergösse vor uns jene fetten Thränen, von denen Homer spricht. Bringt man ihn zu uns zurück, so mache ich die Motion, ihn, mit dem rothen Taschentuche auf dem Kopf, drei Tage dem öffentlichen Gelächter auszustellen und sodann etappenweise nach den Grenzen zu fuhren.«

Von allen diesen Vorschlägen, gestehen wir es, war der des furchtbaren Kindes, das man Camille Desmoulins nennt, nicht der tollste.

Noch ein Wort, welches ziemlich gut das allgemeine Gefühl schildern wird; Dumont sagt es, ein von England pensionirter Genfer, folglich ein Mann, der durchaus nicht der Parteilichkeit für Frankreich verdächtig ist:

»Das Volk schien von einer erhabenen Weisheit inspirirt. Eine große Verlegenheit ist abgereist, sagte es heiter; hat uns aber der König verlassen, so bleibt die Nation; es kann eine Nation ohne König leben, aber kein König ohne Nation.«

Man sieht, daß unter Allem dem das Wort Republik nur von Bonneville ausgesprochen worden ist: weder Brissot, noch Danton, noch Robespierre, noch sogar Pétion wagen es, dieses Wort in den Mund zunehmen; es erschreckt die Condeliers, es entrüstet die Jacobiner.

Am 13. Juli hat Robespierre aus der Tribüne ausgerufen: »Ich bin weder Republikaner, noch Monarchist.«

Hätte man Robespierre in die Enge getrieben, so müßte er, wie man sieht, sehr in Verlegenheit gewesen sein, zu sagen, was er war.

Nun wohl, – alle Welt war ungefähr so, Bonneville und diese Frau ausgenommen, welche, ihrem Manne gegenüber, eine Protestation in einem dritten Stocke der Rue Guénégaud abschreibt.

Am 22. Juni, am Tage nach der Abreise des Königs, schrieb sie:

»Das Gefühl der Republik, die Entrüstung gegen Ludwig XVI., der Haß gegen die Könige machen sich hier aus allen Seiten Luft.«

Das Gefühl, Sie sehen wohl, das Gefühl der Republik ist in den Herzen; doch die Republik ist kaum im Munde Einiger.

Die Nationalversammlung besonders ist feindlich gegen sie gesinnt.

Das große Unglück solcher Versammlungen ist, daß sie immer bei dem Augenblick, wo sie gewählt worden sind, stehen bleiben, daß sie den Ereignissen nicht Rechnung tragen, daß sie nicht mit dem Geiste des Landes gehen, daß sie nicht dem Volke dahin, wohin es geht, folgen, und dennoch behaupten, sie repräsentiren fortwährend das Volk.

Die Nationalversammlung sagte:

Die Sitten Frankreichs sind nicht republikanisch

Die Nationalversammlung brach Lanzen gegen Herrn de la Palisse, und trug, unserer Ansicht nach, den Sieg über den berühmten Wahrheitensprecher davon. Wer hätte die Sitten Frankreichs zur Republik gebildet? Die Monarchie etwa? Die Monarchie bedurfte des Gehorsams, der Servilität, der Corruption. Die Republik ist es, die die republikanischen Sitten bildet. Habt zuerst die Republik, und die republikanischen Sitten werden hernach kommen.

Es hatte übrigens einen Augenblick gegeben, wo es leicht gewesen wäre, die Republik auszurufen; dies war der Augenblick, wo man erfuhr, der König sei abgereist und habe den Dauphin mitgenommen. Statt ihnen nachzulaufen und sie zurückzuführen, mußte man ihnen die besten Pferde aus den Postställen, kräftige Postillons mit Peitschen in den Händen und Sporen an den Stiefeln geben; man mußte die Höflinge hinter ihnen, die Priester hinter den Höflingen wegtreiben, und die Thüre hinter Allem dem schließen.

Lafayette, der zuweilen Blitze, selten Ideen hatte, hatte einen von diesen Blitzen.

Um sechs Uhr Morgens kam man, um ihm zu melden, der König und die königliche Familie seien abgereist; man hatte alle Mühe der Welt, ihn aufzuwecken; er schlief jenen historischen Schlaf, den man ihm schon in Versailles zum Vorwurf gemacht.

»Abgereist?« sagte er; »unmöglich, ich habe Gouvion schlafend an die Thüre ihres Schlafzimmers angelehnt verlassen.«

Er steht indessen auf, kleidet sich an und geht hinab. Vor der Thüre trifft er Bailly, den Maire von Paris, und Beauharnais, den Präsidenten der Nationalversammlung, – Bailly hat eine längere Nase und einen gelberen Finger als je, Beauharnais ist bestürzt.

Nicht wahr, das ist seltsam? der Gatte von Josephine, der, aus dem Schafott sterbend, seine Witwe auf dem Wege zum Throne zurückläßt, ist bestürzt über die Flucht von Ludwig XVI.

»Welch ein Unglück!« ruft Bailly aus, »welch ein Unglück, daß die Nationalversammlung noch nicht beisammen ist!«

»Oh! ja,« sagt Beauharnais, »das ist ein großes Unglück!«

»Nun,« fragt Lafayette, »er ist also abgereist?«

»Ach! ja,« antworten im Chor die zwei Staatsmänner.

»Warum ach?« spricht Lafayette.

»Wie! Sie begreifen nicht?« ruft Bailly. »Weil er mit den Preußen, mit den Oesterreichern, mit den Emigranten zurückkommen wird, weil er uns den Bürgerkrieg, den Krieg mit dem Auslande bringen wird!«

»Also,« versetzt Lafayette schlecht überzeugt, »Sie denken also, das öffentliche Wohl verlange die Rückkehr des Königs?«

»Ja,« antworten einstimmig Bailly und Beauharnais.

»In diesem Falle eilen wir ihnen nach,« sagt Lafayette.

Und er schreibt folgenden Zettel:

»Da die Feinde des Vaterlands den König entführt haben, so wird den Nationalgarden der Befehl ertheilt, sie zu verhaften.«

In der That, man bemerke dies wohl: die ganze Politik des Jahres 1791, das ganze Ende der Nationalversammlung werden sich hierum drehen.

Da der König Frankreich nothwendig ist, da man ihn zurückführen soll, so muß er entführt worden, und nicht geflohen sein.

Alles dies hatte Lafayette nicht überzeugt; als er Romeuf abschickte, empfahl er ihm auch, sich nicht zu sehr zu beeilen. Er ging aus der Straße ab, die der entgegengesetzt, welcher Ludwig XVI. folgte, um sicher zu sein, ihn nicht zu erreichen.

Zum Unglück war auf der rechten Straße Billot.

Als die Nationalversammlung die Neuigkeit erfuhr, gerieth sie in Schrecken. Der König hatte wirklich bei seiner Abreise einen sehr bedrohlichen Brief hinterlassen; er machte vollkommen begreiflich, er beabsichtige, den Feind zu holen, und werde zurückkommen, um die Franzosen zur Vernunft zu bringen.

Die Royalisten ihrerseits erhoben das Haupt und die Stimme. Einer von ihnen, Suleau, glaube ich, schrieb:

»Alle diejenige, welche in der Amnestie begriffen sein wollen, die wir unseren Feinden im Namen des Prinzen von Condé anbieten, können sich in unseren Bureau; von jetzt an bis zum Monat August einschreiben. Wir werden fünfzehnhundert Register für die Bequemlichkeit des Publicums haben.«

Einer von denjenigen, welche die größte Angst hatten, war Robespierre. Als die Sitzung von drei Uhr bis halb fünf Uhr unterbrochen wurde, lief er zu Pétion. Der Schwache suchte den Starken.

Nach seiner Meinung war Lafayette ein Mitschuldiger des Hofes. Es handelte sich um nichts Geringeres, als eine Bartholomäus-Nacht mit den Deputirten zu machen.

»Ich werde unter den Ersten getödtet werden!« rief er mit kläglichem Tone. »Ich habe keine vierundzwanzig Stunden mehr zu leben.«

Pétion, ein Mann von ruhigem Charakter und lymphatischem Temperamente, sah, ganz im Gegentheil, die Dinge anders an.

»Gut,« sagte er, »nun kennt man den König, und man wird dem gemäß handeln.«

Brissot kam, er war einer von den Männern jener Zeit, welche am weitesten vorgerückt, er schrieb in den Patriote.

»Man gründet ein neues Journal, von dem ich einer der Redacteurs sein werde,« sagte er.

»Welches«« fragte Pétion.

»Den Republicain.«

Robespierre grimassirte ein Lächeln.

»Den Republicain?« versetzte er; »ich möchte wohl, daß Sie mir erklärten, was die Republik ist.«

Sie waren so weit, als bei Pétion, ihrem Freunde, die zwei Roland erschienen, – der Mann ernst und entschlossen wie immer, die Frau eher lächelnd als erschrocken, mit ihren schönen, klaren, sprechenden Augen. Sie kamen von ihrer Wohnung in der Rue Guénégaud und hatten den Anschlag der Cordeliers gesehen. Wie die Cordeliers glaubten sie ganz und gar nicht, ein König sei für die Nation nothwendig.

40Der eiserne Mund.