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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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Lasciate ogni speranza.39

CVIII
Date lilia

Sagen wir ein wenig, wie es der Gräfin von Charny erging, während zwischen der Königin und Charny die so eben von uns erzählte Scene stattfand, welche den Schluß einer so langen Reihe von Schmerzen bildete.

Uns, die wir den Zustand ihres Herzens kennen, ist es vor Allem leicht, uns eine Vorstellung von dem zu machen, was sie von der Abreise des Grafen an litt.

Zitternd befürchtete sie zugleich, daß dieser große Plan, von dem sie errathen, er sei der einer Flucht, gelinge oder scheitere.

Von der Minute an, wo Isidor von ihr Abschied genommen, hatte daher die Gräfin das Auge beständig offen gehabt, um jeden Schimmer aufzufassen, das Ohr immer aufmerksam, um jedes Geräusch zu vernehmen.

Am andern Tage erfuhr sie, mit der übrigen Bevölkerung der Hauptstadt, der König und die Königin haben Paris in der Nacht verlassen.

Kein Unfall hatte diese Abreise bezeichnet.

Da die Abreise stattgefunden, wie sie vermuthet, so war Charny dabei gewesen; Charny verließ sie also.

Sie gab einen tiefen Seufzer von sich, kniete nieder und betete für eine glückliche Reise.

Dann blieb Paris zwei Tage lang stumm und ohne Echo.

Endlich, am Morgen des dritten Tages, brach ein gewaltiges Getöse über der Stadt aus: Der König war in Varennes angekommen.

Es gab keine Einzelheiten. Außer diesem Donner, kein Geräusch; außer diesem Blitze, Nacht!

Andrée wußte nicht, was Varennes war. Diese kleine Stadt, welche seitdem eine so unselige Berühmtheit erlangt hat, dieser Flecken, der später eine Drohung für jedes Königthum werden sollte, theilte die Dunkelheit, die auf zehntausend eben so wenig wichtigen und ebenso unbekannten Gemeinden Frankreichs lastete und noch lastet.

Andrée schlug in einem geographischen Lexicon nach und las:

»Varennes in Argonne, Cantonshauptort, 1607 Einwohner.«

Dann suchte sie auf einer Karte und entdeckte Varennes als Dreiecksmittelpunkt zwischen Stenay, Verdun und Chalons gestellt, am Saume seines Waldes, am User seines Flüßchens.

Aus diesem dunklen Punkte Frankreichs concentrirte sich also fortan ihre ganze Aufmerksamkeit. Hier lebte sie in Gedanken, Hoffnungen und Befürchtungen.

Dann, allmälig, im Gefolge der großen Neuigkeit, kamen die secundären Neuigkeiten, wie beim Aufgange der Sonne nach dem großen Ganzen, das sie aus dem Chaos zieht, allmälig die kleinen Einzelheiten kommen.

Diese kleinen Einzelheiten waren für sie ungeheuer.

Herr von Bouillé, sagte man, sei dem König gefolgt, habe die Escorte angegriffen und sich nach einem heftigen Kampfe, die königliche Familie in den Händen der siegenden Patrioten lassend, zurückgezogen.

Ohne Zweifel hatte Charny an diesem Kampfe Theil genommen; ohne Zweifel hatte sich Charny als der Letzte zurückgezogen, wenn überhaupt Charny nicht auf dem Schlachtfelde geblieben war.

Bald verbreitete sich die Nachricht, einer von den drei Gardes du corps, die den König begleiteten, sei getödtet worden.

Dann wurde der Name genannt.

Nur wußte man nicht, ob es der Vicomte oder der Graf, Isidor oder Olivier war.

Es war ein Charny, mehr konnte man nicht sagen.

Während der zwei Tage, in denen diese Frage unentschieden blieb, schwebte das Herz von Andrée in unaussprechlichen Bangigkeiten!

Endlich kündigte man die Rückkehr des Königs und der königlichen Familie aus Sonnabend den 26. an.

Die erhabenen Gefangenen waren in Meaux über Nacht gewesen.

Berechnete man die Zeit und den Raum nach dem gewöhnlichen Maße, so mußte der König vor Mittag in Paris sein; nahm man an, der König werde aus der directesten Straße in die Tuilerien zurückkehren, so mußte er durch den Faubourg Saint-Martin kommen.

Um elf Uhr war Frau von Charny in der allereinfachsten Tracht, das Gesicht mit einem Schleier bedeckt, bei der Barrière.

Sie wartete bis drei Uhr.

Um drei Uhr verkündigten die ersten Volkswogen, Alles vor sich her treibend, der König umgehe die Stadt und werde durch die Barrière der Champs-Elysées einfahren.

Da mußte man ganz Paris durchschneiden, und zwar zu Fuße. Niemand hätte es gewagt, sich im Wagen unter dieser compacten Menge, welche die Straßen füllte, zu bewegen.

Seit der Einnahme der Bastille hatte man nie ein solches Gedränge auf dem Boulevard gesehen.

Andrée zögerte nicht, sie schlug den Weg nach den Champs-Elysées ein und kam unter den Ersten an.

Hier wartete sie drei Stunden, drei tödtliche Stunden.

Endlich erschien der Zug. Wir haben gesagt, in welcher Ordnung und unter welchen Verhältnissen er ging.

Andrée sah den Wagen vorüberfahren: sie gab einen Freudenschrei von sich, denn sie hatte Charny auf dem Bock erkannt.

Ein Schrei, der das Echo des ihrigen geschienen hätte, wäre es nicht ein Schmerzensschrei gewesen, antwortete ihr.

Andrée wandte sich nach der Seite um, woher dieser Schrei kam; eine junge Person zerarbeitete sich in den Armen von drei bis vier barmherzigen Menschen, welche ihr Hilfe zu leisten sich beeiferten.

Sie schien der heftigsten Verzweiflung preisgegeben.

Andrée würde vielleicht dem Mädchen eine wirksamere Aufmerksamkeit gewährt haben, hätte sie nicht um sich her alle Arten von Verwünschungen gegen die vorne aus dem königlichen Wagen sitzenden drei Männer murmeln hören.

Auf sie würde der Zorn des Volkes fallen; sie würden die Sündenböcke dieses großen königlichen Verraths sein; sie würden ohne Zweifel in dem Augenblicke, wo der Wagen anhielte, in Stücke zerrissen.

Und Charny war einer von diesen drei Männern.

Andrée beschloß, Alles, was sie könnte, zu thun, um in den Tuilerien-Garten einzudringen.

Zu diesem Ende mußte man aber die Menge umgehen, auf dem Ufer des Flusses, das heißt, aus dem Quai de la Conférence zurückkehren und in den Garten, wenn das möglich war, über den Quai der Tuilerien gelangen.

Andrée nahm den Weg durch die Rue de Chaillot und erreichte den Quai.

Nach vielen Versuchen, auf die Gefahr, zermalmt zu werden, glückte es ihr, durch das Gitter einzugehen; doch es drängte sich eine solche Menge bei der Stelle, wo der Wagen anhalten sollte, daß man nicht daran denken durfte, in die ersten Reihen zu kommen.

Andrée dachte, von der Terrasse am User werde sie diese ganze Menge überschauen. Allerdings wäre die Entfernung zu groß, als daß sie etwas im Einzelnen unterscheiden, etwas sicher hören könnte.

Gleichviel, sollte sie auch schlecht sehen und schlecht hören, so war dies doch besser, als nichts sehen und gar nichts hören.

Sie stieg also auf die Terrasse.

Von hier aus sah sie in der That den Bock des königlichen Wagens, Charny und die zwei Gardes du corps; Charny, der nicht vermuthete, daß hundert Schritte von ihm ein Herz so heftig für ihn schlug; Charny, der in diesem Augenblicke wahrscheinlich keine Erinnerung für Andrée hatte; Charny, der nur an die Königin dachte, der seine eigene Sicherheit vergaß, um über der Sicherheit der Königin zu wachen.

Oh! wenn sie gewußt hätte, daß er in diesem Augenblick ihren Brief an sein Herz drückte und ihr im Geiste den letzten Seufzer bot, welchen auszuhauchen er sich ganz nahe glaubte!

Endlich hielt der Wagen unter Geschrei und Gebrülle an.

Beinahe in demselben Momente entstand um den Wagen ein gewaltiger Lärmen, eine große Bewegung, ein ungeheurer Tumult.

Die Bajonnete, die Pieken, die Säbel erhoben sich; man hätte glauben sollen, eine eiserne Ernte werde unter einem Sturme gemacht.

Die drei vom Bocke gestürzten Männer verschwanden, als ob sie in einen Schlund gefallen wären. Dann bildete sich ein solcher Wirbel in dieser ganzen Menge, daß ihre letzten Reihen, rückwärts strömend, sich an der Schützmauer der Terrasse brachen.

Andrée war von einem Angstschleier umhüllt: sie sah nichts mehr, sie hörte nichts mehr; sie streckte die Arme aus und gab keuchend unarticulirte Laute, unter diesem entsetzlichen Concert von Flüchen, von Gotteslästerungen und Mordschreien, von sich.

Dann wußte sie sich nicht mehr Rechenschaft von dem zu geben, was vorging: die Erde drehte sich, der Himmel wurde roth, ein Geräusch, ähnlich dem der steigenden Meeresfluthen, brauste in ihren Ohren.

Das war das Blut, das vom Herzen zum Kopfe stieg und sich des Gehirns bemächtigte.

Sie fiel ohnmächtig nieder und begriff nur noch, daß sie lebte, weil sie liebte.

Der Eindruck von etwas Frischem, Kühlem machte, daß sie wieder zu sich kam; eine Frau drückte ihr auf die Stirne ein in Seine-Wasser getauchtes Taschentuch, indeß sie eine andere an einem Salzfläschchen riechen ließ.

Sie erinnerte sich dieser andern Frau, die sie sterbend, wie sie, an der Barrière gesehen, ohne zu wissen, welche instinctartige Analogie durch ein unbekanntes Band den Schmerz dieser Frau mit ihrem Schmerze verknüpfte.

Als sie zu sich kam, war ihr erstes Wort:

»Sind sie todt?«

Das Mitleid ist verständig. Diejenigen, welche Andrée umgaben, begriffen, daß es sich um die drei Männer handelte, deren Leben so grausam bedroht gewesen war.

»Nein,« antwortete man ihr, »sie sind gerettet.«

»Alle Drei?« fragte sie.

»Ja, alle Drei!«

»Oh! der Herr sei gepriesen!  . . . Wo sind sie?«

»Man glaubt, sie seien im Schlosse.«

»Im Schlosse? ich danke.«

Und die junge Frau stand auf, schüttelte den Kopf, suchte sich mit irrem Auge zu orientieren, und ging durch das Gitter am Ufer hinaus, um durch den Einlaß des Louvre zurückzukommen.

 

Mit Recht dachte sie, aus dieser Seite werde die Menge weniger gedrängt sein.

Die Rue des Orties war in der That beinahe leer.

Sie schritt über einen Winkel der Place du Carrousel hin, trat in den Prinzenhof ein, und eilte zum Concierge.

Dieser Mann kannte die Gräfin: er hatte sie in den ersten paar Tagen der Rückkehr von Versailles im Schlosse aus- und eingehen sehen.

Dann hatte er sie daraus weggehen sehen, um nicht mehr zurückzukehren, an dem Tage wo, von Sebastian verfolgt, Andrée den Knaben in ihrem Wagen entführte.

Der Concierge zeigte sich bereit, Erkundigungen einzuziehen. Durch die inneren Corridors gelangte er bald in das Herz des Schlosses.

Die drei Officiere waren gerettet. Herr von Charny hatte sich unversehrt in sein Zimmer zurückgezogen.

Nach einer Viertelstunde war er in der Uniform eines Marine-Officiers wieder herausgekommen und hatte sich zur Königin begeben, wo er in diesem Augenblick sein mußte.

Andrée athmete, reichte ihre Börse dem, der ihr so gute Nachrichten gab, und verlangte, ganz betäubt, ein Glas Wasser.

Ah! Charny war also gerettet!

Sie dankte dem braven Manne und kehrte nach ihrem Hause in der Rue Coq-Héron zurück.

Hier angekommen, fiel sie, nicht aus einen Stuhl, sondern vor ihrem Betpulte nieder.

Das geschah nicht, um mit dem Munde zu beten; es gibt Augenblicke, wo die Dankbarkeit gegen den Herrn so groß ist, daß die Worte fehlen; dann sind es die Arme, es sind die Augen, es ist der ganze Körper, das ganze Herz, die ganze Seele, was sich zu Gott erhebt.

Sie war in diese selige Extase versunken, als sie die Thüre öffnen hörte; sie wandte sich um, denn sie begriff nicht dieses irdische Geräusch, das sie in der Tiefe ihrer Träumerei aufsuchte.

Ihre Kammerfrau stand da und suchte sie mit den Augen, da sie in der Dunkelheit verloren war.

Hinter der Kammerfrau erhob sich ein Schatten, eine unbestimmte Form, der aber ihr Instinct sogleich Umrisse und einen Namen gab.

»Der Herr Graf von Charny,« sagte die Kammerfrau.

Andrée wollte sich erheben, doch es gebrach ihr an den Kräften hierzu; sie sank mit den Knien wieder aus das Kissen, und halb sich umwendend, stützte sie ihren Arm aus die abhängige Fläche des Betpultes.

»Der Graf!« murmelte sie, »der Graf!«

Und obgleich er hier vor ihren Augen war, konnte sie doch nicht an seine Gegenwart glauben.

Andrée machte ein Zeichen mit dem Kopfe: sie war nicht im Stande, zu sprechen. Die Kammerfrau trat aus die Seite, um Charny vorbeigehen zu lassen, entfernte sich dann und schloß wieder die Thüre.

Charny und die Gräfin waren allein.

»Madame, man hat mir gesagt, Sie seien so eben nach Hause gekommen; bin ich nicht indiscret, daß ich Ihnen so aus dem Fuße gefolgt?« sprach Charny.

»Nein,« erwiderte sie mit zitternder Stimme, »nein, Sie sind willkommen. Ich fühlte mich so unruhig, daß ich ausging, um zu erfahren, was sich zutrug.«

»Sie waren, . . schon lange ausgegangen?«

»Schon am Morgen; zuerst ging ich an die Barrière Saint-Martin, dann an die der Champs-Elysées; dort habe ich gesehen  . . . « Sie zögerte  . . .  »ich habe den König, die königliche Familie gesehen  . . .  ich habe Sie gesehen, und ich war, wenigstens für den Augenblick, beruhigt  . . .  man befürchtete für Sie beim Absteigen vom Wagen. Dann kehrte ich in den Tuilerien-Garten zurück  . . .  Ah! hier glaubte ich zu sterben  . . . «

»Ja,« versetzte Charny, »die Menge war groß, Sie sind gepreßt, beinahe erstickt worden  . . .  ich begreife  . . . «

»Nein, nein,« sagte Andrée den Kopf schüttelnd, »oh! nein, das ist es nicht  . . .  Endlich erkundigte ich mich, und ich erfuhr, Sie seien gerettet; ich kehrte hierher zurück, und Sie sehen  . . .  ich lag aus den Knieen  . . .  ich betete, ich dankte Gott.«

»Da sie auf den Knieen lagen, Madame, da sie zum Herrn sprachen, erheben Sie sich nicht, ohne ein paar Worte für meinen armen Bruder zu sagen.«

»Herr Isidor! Ah! er war es also!« rief Andrée. »Unglücklicher junger Mann!«

Und sie ließ ihren Kopf in ihre beiden Hände fallen.

Charny machte ein paar Schritte vorwärts und betrachtete mit einem tiefen Ausdruck von Zärtlichkeit und Schwermut dieses betende keusche Geschöpf.

Es lag überdies in seinem Blicke ein ungeheures Gefühl von Mitleid und sanftem Erbarmen.

Dann etwas wie ein verhaltener Wunsch.

Hatte ihm die Königin nicht gesagt oder sich die seltsame Offenbarung entschlüpfen lassen, Andrée liebe ihn?

Als ihr Gebet beendigt war, wandte sie sich um und fragte:

»Und er ist gestorben?«

»Gestorben, Madame, wie der arme Georges gestorben ist, für dieselbe Sache und dieselbe Pflicht erfüllend.«

Und unter diesem großen Schmerze, den Ihnen der Tod eines Bruders bereiten mußte, haben Sie Zeit gehabt, an mich zu denken, mein Herr?« sagte Andrée mit so schwacher Stimme, daß ihre Worte kaum verständlich waren.

Zum Glück hörte Charny mit dem Herzen und mit den Ohren zugleich.

»Madame,« sprach er, »hatten Sie meinen Bruder nicht mit einem Auftrage für mich betraut?«

»Mein Herr!« stammelte Andrée, indem sie sich aus ein Knie erhob und den Grafen mit Bangigkeit anschaute.

»Hatten Sie ihm nicht einen Brief an mich übergeben?«

»Mein Herr!« wiederholte Andrée mit bebender Stimme.

»Nach dem Tode des armen Isidor sind mir seine Papiere eingehändigt worden, Madame, und Ihr Brief befand sich unter diesen Papieren.«

»Sie haben ihn gelesen?« rief Andrée, ihren Kopf in ihren Händen verbergend. »Ach!«

»Madame, ich sollte den Inhalt dieses Briefes nur kennen lernen, wenn ich auf den Tod verwundet wäre, und Sie sehen, ich bin wohlbehalten.«

»Also ist der Brief . . . «

»Hier ist er unberührt und so, wie Sie ihn meinem Bruder übergeben haben, Madame.«

»Oh!« murmelte Andrée, während sie den Brief nahm, »was Sie da thun, ist sehr schön oder sehr grausam!«

Charny streckte den Arm aus, nahm die Hand von Andrée und legte sie in seine Hände.

Andrée machte eine Bewegung, um ihre Hand zurückzuziehen.

Dann, als Charny flüsternd: »Ich bitte, Madame,« dies nicht duldete, gab sie einen Seufzer beinahe der Angst von sich; doch, ohne Kraft gegen sich selbst, ließ sie ihre feuchte, schauernde Hand in den Händen von Charny.

In tiefer Verlegenheit, nicht wissend, wohin sie ihre Augen wenden, wie sie den Blick von Charny, den sie aus sich geheftet fühlte, fliehen sollte, der Möglichkeit, zurückzuweichen, beraubt, weil sie an ihr Betpult angelehnt war, sagte sie dann:

»Ja, ich begreife, mein Herr, und Sie sind gekommen, um mir diesen Brief zurückzugeben?«

»Deshalb, ja, und auch aus einem andern Grunde . . .  Ich habe Sie sehr um Verzeihung zu bitten, Gräfin.«

Andrée bebte bis in den Grund ihres Herzens; es war das erste Mal, daß ihr Charny den Titel Gräfin gab, ohne das Wort Frau vorhergehen zu lassen.

Dann hatte seine Stimme den ganzen Satz mit einer Biegung von unendlicher Milde gesprochen.

»Um Verzeihung, mich, Herr Graf? Und aus welchem Anlaß, wenn ich fragen darf?«

»Wegen der Art, wie ich mich seit sechs Jahren gegen Sie benommen habe  . . . «

Andrée schaute ihn mit einem tiefen Erstaunen an und erwiderte:

»Habe ich mich je beklagt, mein Herr?«

»Nein, Madame, weil Sie ein Engel sind.«

Unwillkürlich verschleierten sich die Augen von Andrée, und sie fühlte ihnen Thränen entquellen.

»Sie weinen, Andrée?« sagte Charny.

»Oh!« rief Andrée in Thränen zerfließend, »entschuldigen Sie mich, mein Herr, ich bin nicht daran gewöhnt, daß Sie so mit mir sprechen . . .  Ah! Mein Gott! mein Gott!«

Und sie sank auf ein Canapé und ließ ihren Kopf in ihre Hände fallen.

Nach einem Augenblick aber that sie ihre Hände wieder auseinander, schüttelte den Kopf und rief:

»Wahrhaftig, ich bin toll!«

Plötzlich hielt sie inne. Während sie die Augen in ihre Hände versenkt hatte, war Charny vor ihr niedergekniet.

»Sie! vor mir auf den Knieen, zu meinen Füßen!« sprach sie.

»Habe ich Ihnen nicht gesagt, Andrée, ich komme, um Sie um Verzeihung zu bitten?«

»Auf den Knieen, zu meinen Füßen!« wiederholte sie, wie eine Frau, welche nicht glauben kann, was sie sieht.

»Andrée, Sie haben mir Ihre Hand entzogen,« sagte Charny.

Und er reichte ihr abermals die Hand.

Doch sie wich mit einem Gefühle, das dem Schrecken glich, zurück und murmelte:

»Was will das bedeuten?«

»Andrée,« antwortete Charny mit seiner sanftesten Stimme, »das will bedeuten, daß ich Sie liebe.«

Andrée drückte ihre Hand an ihr Herz und stieß einen Schrei aus.

Dann richtete sie sich hoch auf, als ob sie eine Feder auf ihre Füße gestellt hätte, preßte ihre Schläfe zwischen ihren beiden Händen und wiederholte:

»Er liebt mich! er liebt mich! Das ist ja unmöglich!«

»Sagen Sie, es sei unmöglich, daß Sie mich lieben, Andrée, sagen Sie aber nicht, es sei unmöglich, daß ich Sie liebe.«

Sie senkte ihren Blick aus Charny, als wollte sie sich versichern, daß er wahr spreche; die großen schwarzen Augen des Grafen sagten weit mehr, als seine Worte gesagt hatten.

Andrée, welche an den Worten hätte zweifeln können, zweifelte nicht am Blicke.

»Oh! mein Gott! mein Gott!« murmelte sie; »gibt es aus der Welt ein Geschöpf, das unglücklicher ist, als ich?«

»Andrée,« sprach Charny, »sagen Sie mir, daß Sie mich lieben, sagen Sie mir wenigstens, daß Sie mich nicht hassen.«

»Ich, Sie hassen?« rief Andrée.

Und ihren so ruhigen, so klaren, so durchsichtigen Augen entschlüpfte ein doppelter Blitz.

»Oh! mein Herr, Sie wären sehr ungerecht, wenn Sie das Gefühl, das Sie mir einflößen, für Haß hielten.«

»Aber wenn es nicht Haß ist, wenn es nicht Liebe ist, was ist es denn, Andrée?«

»Es ist nicht Liebe, weil es mir nicht erlaubt ist, Sie zu lieben; haben Sie mich nicht zu Gott aufschreien hören, ich sei das unglücklichste Geschöpf der Erde?«

»Und warum ist es Ihnen nicht erlaubt, mich zu lieben, wenn ich Sie, Andrée, mit allen Kräften meines Herzens liebe?«

»Ah! das will ich nicht, das kann ich nicht, das darf ich Ihnen nicht sagen,« erwiderte Andrée, die Hände ringend.

»Wenn aber,« versetzte Charny, den Klang seiner Stimme noch mehr mildernd, »wenn aber das, was Sie mir nicht sagen wollen, können, dürfen, eine andere Person mir gesagt hätte?«

Andrée stützte ihre beiden Hände aus die Schultern von Charny und rief erschrocken:

»Was höre ich?«

»Wenn ich es wüßte!« fuhr Charny fort.

»Mein Gott!«

»Und wenn ich mich, weil ich Sie gerade durch dieses Unglück ehrwürdiger gefunden, dieses entsetzliche Geheimniß erfahrend, entschlossen hätte, Ihnen zu sagen, daß ich Sie liebe?«

»Wenn Sie das gethan hätten, so wären Sie der Edelste, der Hochherzigste der Menschen!«

»Ich liebe Sie, Andrée,« wiederholte Charny, »ich liebe Sie! ich liebe Sie!«

»Ach!« rief Andrée, ihre Arme zum Himmel erbebend, »mein Gott! ich wußte nicht, daß es eine solche Freude in dieser Welt geben könne.«

»Aber sagen Sie mir nun, Andrée, daß Sie mich lieben.«

»Oh! nein, ich werde es nie wagen!« erwiderte Andrée; »lesen Sie jedoch diesen Brief, der Ihnen aus Ihrem Sterbebette übergeben werden sollte.«

Und sie reichte dem Grafen den Brief, den er ihr zurückgebracht.

Während Andrée ihr Gesicht mit ihren beiden Händen bedeckte, erbrach Charny lebhaft das Siegel dieses Briefes, las seine ersten Zeilen und gab einen Schrei von sich; dann entfernte er von ihrem Gesichte die Hände von Andrée, zog sie beinahe mit derselben Bewegung an sein Herz und sprach:

»Seit dem Tage, wo Du mich gesehen, seit sechs Jahren! o heiliges Wesen, wie werde ich Dich je genug lieben, um Dich vergessen zu lassen, was Du gelitten hast.«

»Mein Gott!« flüsterte Andrée, sich biegend wie ein Rohr unter dem Gewichte von so viel Glück, »wenn das ein Traum ist, gib, daß ich nie erwache, oder daß ich erwachend sterbe!  . . . «

Und nun wollen wir diejenigen, welche glücklich sind, vergessen, um zu denen zurückzukehren, welche leiden, welche kämpfen oder hassen, und vielleicht wird sie ihr böses Geschick vergessen wie wir.

39Verzichtet auf jede Hoffnung.