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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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»Mein Herr,« sagte er zu dem alten Ritter vom Ludwigs-Orden, »die Königin und ich sind sehr gerührt von dem Zeichen der Ergebenheit, das Sie uns so eben auf eine so öffentliche Weise dargebracht haben; aber um Gottes willen, entfernen Sie sich, Ihr Leben ist nicht in Sicherheit!«

»Mein Leben gehört dem König,« erwiderte der alte Ritter, »und der letzte Tag meines Lebens wird sein schönster sein, wenn ich für den König sterbe.«

Es vernahmen Einige diese Worte und murrten noch lauter.

»Ziehen Sie sich zurück, mein Herr! entfernen Sie sich!« rief der König.

Dann neigte er sich hinaus und sprach:

»Meine Freunde, ich bitte, machen Sie Herrn von Dampierre Platz.«

Die Nächsten, diejenigen, welche die Bitte des Königs hörten, leisteten Folge und machten Platz. Zum Unglück kamen in einiger Entfernung vom königlichen Wagen Roß und Reiter in’s Gedränge; der Reiter trieb sein Pferd mit dem Zügel und mit dem Sporn an, doch die Menge war so compact, daß sie selbst nicht Herrin in ihren Bewegungen; einige gequetschte Weiber schrieen, ein erschrockenes Kind weinte, die Männer wiesen die Faust, der hartnäckige Greis zeigte die Peitsche; da verwandelten sich die Drohungen in Gebrüllt; dieser große Volks- und Löwenzorn brach los. Herr von Dampierre war schon am Saume dieses Waldes von Menschen: er gab seinem Pferde beide Sporen; es setzte muthig über den Graben und galoppirte querfeldein. In diesem Augenblick wandte sich der alte Edelmann um, nahm den Hut in die Hand und rief: »Es lebe der König!« Die letzte Huldigung seinem Souverain dargebracht, aber auch die größte Beleidigung für das Volk!

Es krachte ein Flintenschuß.

Er zog eine Pistole aus dem Holfter und erwiderte Schuß durch Schuß.

Dann feuerte Alles, was eine geladene Flinte hatte, zugleich auf diesen Wahnsinnigen.

Das von Kugeln durchlöcherte Pferd stürzte nieder.

War der Mann verwundet, war er getödtet durch das entsetzliche Feuer? Die Menge wälzte sich wie eine Lawine nach dem Ort, wo der Mann und das Pferd gefallen waren; dann entstand einer von den Tumulten, wie sie nur um Leichname stattfinden, verworrene Bewegungen, ein ungestaltes Chaos, ein Abgrund von Lärmen und Geschrei, woraus man plötzlich am Ende einer Pieke einen Kopf mit weißen Haaren sich erheben sah.

Das war der des unglücklichen Chevalier von Dompierre.

Die Königin stieß einen Schrei aus und warf sich in den Wagen zurück.

»Ungeheuer! Cannibalen! Mörder!« brüllte Charny.

»Schweigen Sie, schweigen Sie. Herr Graf,« sagte Billot, »sonst würde ich nicht mehr für Sie stehen.«

»Gut!« erwiderte Charny, »ich bin des Lebens müde! Was kann mir Schlimmeres geschehen, als meinem armen Bruder?«

»Ihr Bruder war strafbar, Sie sind es nicht,« versetzte Billot.

Charny machte eine Bewegung, um vom Bocke zu springen; die zwei Gardes du corps hielten ihn zurück; zwanzig Bajonnete wandten sich gegen ihn.«

»Freunde,« sprach Billot mit seiner festen und eindrucksvollen Stimme, »was dieser auch thun oder sagen mag,« und er deutete aus Charny, »ich verbiete, daß ein Haar von seinem Haupte falle . . .  Ich hafte für ihn seiner Frau.«

»Seiner Frau!« murmelte die Königin bebend, als ob eines der Bajonnete, welche Charny bedrohten, ihr ins Herz gestochen hätte. »Seiner Frau! warum?«

Warum? Billot hätte es selbst nicht sagen können. Er hatte den Namen und das Bild der Frau von Charny angerufen, weil er wußte, wie mächtig diese Namen auf die Mengen wirken, welche im Ganzen aus Vätern und Gatten bestehen.

CI
Der Schmerzensweg

Man kam spät nach Chalons. Der Wagen fuhr in den Hof der Intendanz; Couriere waren vorausgeschickt worden, um die Wohnungen bereit halten zu lassen.

Dieser Hof war gefüllt von der Nationalgarde und den Neugierigen.

Man sah sich genöthigt, die Zuschauer auf die Seite zu treiben, daß der König aus dem Wagen steigen konnte.

Der König stieg zuerst aus, dann die Königin, den Dauphin in ihren Armen tragend, dann Madame Elisabeth und Madame Royale, endlich Frau von Tourzel.

In dem Augenblick, wo Ludwig XVI. den Fuß auf die Treppe setzte, ging ein Schuß los, und die Kugel pfiff an den Ohren des Königs hin.

War hierbei eine königsmörderische Absicht? War es ein einfacher Zufall?

»Gut!« sagte der König, indem er sich mit viel Ruhe umwandte, »das ist ein Ungeschickter, der sein Gewehr hat losgehen lassen!«

Dann sprach er laut:

»Meine Herren, Sie müssen sich in Acht nehmen; es ist bald ein Unglück geschehen!«

Charny und die zwei Gardes du corps folgten der königlichen Familie ohne Hinderniß.

Abgesehen von dem unglücklichen Schusse, hatte es der Königin schon geschienen, als trete sie in eine mildere Atmosphäre ein. Vor der Thüre, wo der stürmische Zug der Landstraße angehalten, hatte das Geschrei auch Halt gemacht; ein gewisses Gemurmel des Mitleids war sogar in dem Augenblick hörbar geworden, wo die königliche Familie aus dem Wagen stieg. Als man in den ersten Stock kam, fand man eine Tafel so kostbar als möglich, und servirt mit einer Eleganz, daß die Gefangenen sich ganz erstaunt anschauten.

Bedienten standen wartend da; doch Charny forderte für sich und die zwei Gardes du corps das Vorrecht der Bedienung. Unter dieser Demuth, welche heute seltsam scheinen könnte, verbarg der Graf den Wunsch, den König nicht zu verlassen, in seiner Nähe zu bleiben und sich für jedes Ereigniß bereit zu halten.

Die Königin begriff, doch sie wandte sich nicht einmal noch seiner Seite um, doch sie dankte ihm weder mit der Hand, noch mit dem Blicke, noch mit der Rede. Das Wort von Billot: »Ich hafte für ihn seiner Frau!« toste wie ein Sturm in der Tiefe des Herzens von Marie Antoinette.

Charny, den sie aus Frankreich zu entführen glaubte, Charny, den sie mit sich aus dem Vaterlande zu entfernen glaubte, Charny kam mit ihr nach Paris zurück! Charny sollte Andrée wiedersehen.

Er seinerseits wußte nichts von dem, was im Herzen der Königin vorging. Er konnte nicht vermuthen, sie habe diese Worte gehört; überdies fing sein Geist an Hoffnungen zu fassen.

Wie wir erwähnt haben, war Charny vorher abgeschickt worden, um alle Verhältnisse der Straße auszukundschaften, und er hatte seine Sendung gewissenhaft erfüllt. Er wußte also, wie der Geist des geringsten Dorfes war. In Chalons, einer alten Stadt ohne Handel und bevölkert mit Bürgern, Rentiers, Edelleuten, war die Gesinnung royalistisch.

So kam es, daß die erhabenen Gäste kaum bei Tische saßen, als ihr Wirth, der Intendant des Departement, vortrat, sich vor der Königin, die nichts Gutes mehr erwartete, tief verbeugte, sie mit Bangigkeit anschaute und sprach:

»Madame, die jungen Mädchen von Chalons sind unten und bitten um die Gnade, Eurer Majestät Blumen überreichen zu dürfen.«

Die Königin wandte sich ganz erstaunt gegen Madame Elisabeth, dann gegen den König um.

»Blumen?« sagte sie.

»Madame,« versetzte der Intendant, »ist der Augenblick schlecht gewählt oder die Bitte zu kühn, so werde ich Befehl geben, daß diese Mädchen nicht heraufkommen.«

»Oh! nein, nein! mein Herr, im Gegentheil!« rief die Königin. »Junge Mädchen! Blumen! Oh! lassen Sie sie kommen!«

Der Intendant entfernte sich, und einen Augenblick nachher erschienen zwölf vierzehn- bis sechzehnjährige Mädchen, die schönsten, die man in der Stadt hatte finden können, im Vorzimmer und blieben bei der Thürschwelle stehen.

»Oh! tretet ein! tretet ein, meine Kinder!« rief die Königin, indem sie die Arme gegen sie ausstreckte.

Eine von den jungen Personen, die Dolmetscherin nicht nur ihrer Gefährtinnen, nicht nur ihrer Eltern, sondern auch der Stadt, hatte eine schöne Rede auswendig gelernt, die sie zu wiederholen sich anschickte; doch bei diesem Rufe der Königin, bei diesen gegen sie geöffneten Armen, bei dieser Gemüthsbewegung der königlichen Familie fand die Arme nur Thränen und die aus der tiefsten Tiefe der Brust hervorgehenden, die allgemeine Meinung zusammenfassenden Worte:

»Oh! Eure Majestät, welch ein Unglück!«

Die Königin nahm den Strauß und küßte das Mädchen.

Charny neigte sich während dieser Zeit an das Ohr des Königs und sagte leise:

»Sire, vielleicht ist ein Vortheil aus der Stadt zu ziehen; vielleicht ist noch nicht Alles verloren; will mir Eure Majestät auf eine Stunde Urlaub geben, so werde ich hinabgehen, und ihr dann, wenn ich zurückkomme, Bericht erstatten über das, was ich gesehen, gehört und vielleicht auch gethan habe.«

»Gehen Sie, mein Herr,« erwiderte der König, »doch seien Sie vorsichtig; wenn Ihnen Unglück widerfahren würde, so könnte ich mich nie trösten. Ach! es ist schon genug mit zwei Todesfällen in derselben Familie!«

»Sire,« sprach Charny, »mein Leben gehört dem König, wie ihm das meiner Brüder gehörte.«

Und er ging hinaus.

Während er aber wegging, wischte er sich eine Thräne ab.

Es bedurfte der Gegenwart der ganzen königlichen Familie, um auf diesem Manne mit dem festen, aber zärtlichen Herzen den Stoiker zu machen, der zu scheinen er sich anstrengte; fand er sich wieder sich selbst gegenüber, so fand er sich seinem Schmerze gegenüber.

»Armer Isidor!« murmelte er.

Und er drückte mit seiner Hand an seine Brust, um zu sehen, ob in seiner Tasche immer noch die ihm von Herrn von Choiseul überbrachten Papiere seien, welche auf dem Leichname seines Bruders gefunden worden, und die er im ersten Augenblick der Ruhe mit derselben frommen Gewissenhaftigkeit, mit der er ein Testament gelesen hätte, zu lesen sich gelobte.

Hinter den Mädchen, welche Madame Royale wie Schwestern küßte, erschienen die Eltern: es waren, wie gesagt, beinahe alle entweder würdige Bürger oder alte Edelleute; sie kamen schüchtern und baten in Demuth um die Gnade, ihren unglücklichen Souverain begrüßen zu dürfen. Der König stand auf, als sie erschienen, und die Königin sprach mit ihrer weichsten Stimme:

 

»Treten Sie ein!«

War man in Chalons? war man in Versailles? hatten wirklich ein paar Stunden vorher die Gefangenen den unglücklichen Herrn von Dampierre unter ihren Augen ermorden sehen?

Nach einer halben Stunde kam Charny zurück.

Die Königin hatte ihn weggehen und zurückkehren sehen, doch selbst dem schärfsten Auge wäre es unmöglich gewesen, aus ihrem Gesichte etwas von dem Gegenschlage zu lesen, den ihrer Seele dieser Abgang und diese Rückkehr gaben.

»Nun?« fragte der König sich gegen Charny neigend.

»Sire,« antwortete der Graf, »Alles steht aus das Beste, Die Nationalgarde erbietet sich, Eure Majestät morgen nach Montmédy zurückzuführen.«

»Sie haben also etwas beschlossen?«

»Ja. Sire, ich habe mit den obersten Chefs Verabredung getroffen. Morgen vor der Abfahrt wird der König die Messe zu hören verlangen; man kann sich diesem Verlangen Eurer Majestät nicht widersetzen, es ist das Fronleichnamsfest. Der Wagen wird den König vor der Thüre der Kirche erwarten; wenn er herauskommt, wird der König in den Wagen steigen, die Vivat werden erschallen, und unter diesen Vivat wird der König den Befehl geben, umzukehren und nach Montmédy zu fahren.«

»Es ist gut, ich danke, Herr von Charny,« sagte der König; »hat sich bis morgen nichts geändert, so werden wir es machen, wie Sie sagen. Nun ruhen Sie aus, Sie und Ihre Gefährten, Sie müssen der Ruhe mehr bedürfen, als wir.«

Dieser Empfang junger Mädchen, guter Bürger und wackerer Edelleute dehnte sich, wie man begreift, nicht lange in die Nacht aus; der König und die königliche Familie zogen sich um neun Uhr zurück.

Als sie zu ihrem Gemache kamen, erinnerte eine Schildwache, die sie vor ihrer Thüre sahen, den König und die Königin daran, daß sie immer noch Gefangene waren.

Diese Schildwache präsentirte vor ihnen das Gewehr.

An der pünktlichen Bewegung, mit der diese Ehrenbezeigung gegen die königliche Majestät, selbst gegen die gefangene, geschah, erkannte der König einen alten Soldaten.

»Wo haben Sie gedient, mein Freund?« fragte er die Schildwache.

»Bei den Gardes françaises Sire,« antwortete der Mann.

»Dann wundere ich mich nicht, Sie hier zu sehen,« versetzte der König mit trockenem Tone.

Ludwig XVI. konnte nicht vergessen, daß schon am 13. Juli 1789 die Gardes françaises zum Volke übergegangen waren.

Der König und die Königin traten ein.

Diese Schildwache stand gerade vor der Thüre des Schlafzimmers.

Eine Stunde nachher, als sie abgelöst wurde, verlangte die Schildwache mit dem Anführer der Escorte zu sprechen. Dieser Anführer war Billot.

Er speiste auf der Straße zu Nacht mit den Leuten, welche von den verschiedenen am Wege liegenden Dörfern gekommen waren, und suchte sie zu bestimmen, am andern Tage zu bleiben.

Doch die Meisten von diesen Menschen hatten gesehen, was sie hatten sehen wollen, nämlich den König, und mehr als die Hälfte wollte durchaus das Fronleichnamsfest in ihrem Dorfe feiern.

Billot gab sich alle Mühe, sie zurückzuhalten, weil ihn die Gesinnung der aristokratischen Stadt beunruhigte.

Sie aber, wackere Landleute, antworteten ihm: »Wenn wir nicht nach Hause gingen, wer würde denn morgen dem guten Gott zu seinem Feste Glück wünschen und Tücher vor unseren Häusern aufspannen?«

Mitten unter dieser Beschäftigung trat die Schildwache auf ihn zu.

Beide sprachen leise und sehr lebhaft.

Dann ließ Billot Drouet holen.

Dasselbe Gespräch mit leiser Stimme, aber belebt und mit einer Menge von Geberden erneuerte sich.

In Folge dieser Unterredung gingen Billot und Drouet zum Postmeister, dem Freunde des Letztern.

Der Postmeister ließ ihnen zwei Pferde satteln, und zehn Minuten nachher galoppirte Billot aus der Straße nach Rheims, und Drouet aus der nach Vitry-le-Français.

Der Tag brach an; es waren kaum noch hundert und sechzig Mann von der Escorte vom vorigen Tag übrig, – die erbittertsten oder die müdesten; sie hatten die Nacht auf der Straße auf den Strohbünden zugebracht, die man ihnen herbeigeschafft; als sie sich in der ersten Morgendämmerung schüttelten, schien es ihnen, als sähen sie ein Dutzend Menschen in Uniform bei der Intendanz eintreten und einen Augenblick nachher wieder herauslaufen.

Es war in Chalons ein Standquartier der Garden von der Compagnie Villeroy; ein Dutzend von diesen Herren befand sich noch in der Stadt.

Sie hatten die Befehle von Charny entgegengenommen.

Charny hatte ihnen gesagt, sie sollen ihre Uniformen anziehen und sich zu Pferde vor der Thüre der Kirche im Augenblick des Abgangs des Königs einfinden.

Sie trafen die Vorkehrungen zu diesem Manoeuvre.

Einige von den Bauern, welche am Abend die Escorte des Königs gebildet, hatten sich, wie gesagt, nicht zurückgezogen, weil sie müde waren, doch am Morgen zählten sie die Meilen: die Einen waren zehn Meilen, die Andern fünfzehn von Hause entfernt. Hundert bis zweihundert gingen ab, trotz der dringenden Vorstellungen, die ihnen ihre Kameraden machten.

Die Getreuen waren auf vierhundert oder höchstens vierhundert und fünfzig zusammengeschmolzen.

Man konnte aber auf eine wenigstens gleiche Anzahl von Nationalgarden rechnen, die dem König ergeben, ohne die königlichen Garden und die Officiere zu zahlen, die man rekrutiren sollte, – eine Art von heiligem Bataillon bereit, allen Gefahren sich aussetzend, das Beispiel zu geben.

Ueberdies war, wie man weiß, die Stadt aristokratisch.

Am Morgen, von sechs Uhr an, waren die für die royalistische Sache eifrigsten Einwohner auf den Beinen und warteten im Hofe der Intendanz. Charny und die zwei Gardes du corps befanden sich mitten unter ihnen und warteten auch.

Der König stand um sieben Uhr aus und ließ sagen, es sei seine Absicht, der Messe beizuwohnen.

Man suchte Drouet und Billot, um ihnen den Wunsch des Königs mitzutheilen, doch man fand weder den Einen, noch den Andern.

Nichts widersetzte sich also der Erfüllung dieses Wunsches.

Charny ging zum König hinaus und meldete ihm die Abwesenheit der zwei Anführer der Escorte.

Der König freute sich hierüber; Charny aber schüttelte den Kopf; wenn er Drouet nicht kannte, so kannte er dagegen Billot.

Die Vorzeichen schienen indessen günstig. Die Straßen waren mit Menschen gefüllt, es ließ sich aber leicht sehen, daß diese ganze Bevölkerung eine theilnehmende war. So lange die Läden des Zimmers des Königs und die des Zimmers der Königin geschlossen geblieben, war diese Menge, um den Schlaf der Gefangenen nicht zu stören, geräuschlos, mit leisen Tritten, die Hände und die Augen zum Himmel erhebend, und so zahlreich umhergegangen, daß man kaum, in ihren Reihen verloren, die vier- bis fünfhundert Bauern der Umgegend sah, welche beharrlich nicht in ihre Dörfer zurückgekehrt waren.

Sobald sich aber die Läden bei dem erhabenen Fürstenpaare öffneten, erschollen die Rufe: »Es lebe der König!« und: »Es lebe die Königin!« mit solcher Energie, daß, ohne sich ihren Gedanken mitgetheilt zu haben, von selbst und jedes aus seiner Seite, der König und die Königin auf ihren Balcons erschienen.

Da waren die Rufe einstimmig, und ein letztes Mal konnten sich die zwei Verurtheilten des Geschicks Illusion machen.

»Oh! es geht Alles gut.« sagte von einem Balcon zum andern Ludwig XVI. zu Marie Antoinette.

Marie Antoinette schlug die Augen zum Himmel aus, antwortete aber nicht.

In diesem Momente verkündigte ein Glockengeläute das Oeffnen der Kirche.

Zu gleicher Zelt klopfte Charny leise an die Thüre.

»Es ist gut,« sagte der König, »ich bin bereit.«

Charny warf einen raschen Blick auf den König: er war ruhig, beinahe fest; er hatte so viel gelitten, daß man Hätte glauben sollen, in Folge des großen Leidens verliere er seine Unentschlossenheit.

Der Wagen wartete vor der Thüre.

Der König, die Königin und die königliche Familie stiegen ein, umgeben von einer Menge, welche wenigstens ebenso beträchtlich war, als am vorhergehenden Tage; doch statt die Gefangenen zu schmähen und zu beschimpfen, bat sie die Menge um ein Wort, um einen Blick, und fühlte sich glücklich, die Flügel vom Rocke des Königs zu berühren, den Saum des Kleides der Königin zu küssen.

Die drei Officiere nahmen wieder ihre Plätze aus dem Bock ein.

Der Kutscher erhielt den Befehl, den Wagen an die Kirche zu fuhren, und gehorchte, ohne eine Bemerkung zu machen.

Woher hätte übrigens ein Gegenbefehl kommen können? Die zwei Anführer waren immer noch abwesend.

Charny schaute nach allen Seiten und suchte vergebens Billot und Drouet.

Man kam zur Kirche.

Die Escorte der Bauern hatte sich wohl um den Wagen her geschaart; doch jede Minute vermehrte sich die Zahl der Nationalgarden: an jeder Straßenecke marschirten sie in Compagnien hervor.

Als man die Kirche erreichte, schätzte Charny die Leute, über die er verfügen könnte, zu sechshundert.

Man hatte Plätze für die königliche Familie unter einer Art von Thronhimmel vorbehalten, und obgleich es erst acht Uhr Morgens war, begannen die Priester doch eine große Messe, Charny bemerkte es; er fürchtete nichts so sehr, als einen Verzug; ein Verzug könnte tödtlich für die Hoffnungen sein, an welche er sich wieder angeklammert. Er ließ dem das Amt haltenden Priester sagen, es sei wesentlich, daß die Messe nicht über eine Viertelstunde dauere.

»Ich begreife,« ließ der Priester antworten, »und ich will zu Gott beten, daß er Ihren Majestäten eine glückliche Reise bewillige.«

Die Messe dauerte gerade die bezeichnete Zeit, und dennoch zog Charny mehr als zwanzigmal seine Uhr; der König selbst konnte seine Ungeduld nicht verbergen; zwischen ihren beiden Kindern knieend, stützte die Königin den Kopf auf das Kissen des Beipultes; ruhig und klar wie eine Jungfrau von Alabaster, mochte sie nun nichts von dem Vorhaben wissen, mochte sie schon ihr Leben und das ihres Bruders in die Hände des Herrn gelegt haben, gab Madame Elisabeth kein Zeichen der Ungeduld von sich.

Endlich sprach der Priester, sich umwendend, die sacramentalen Worte: Ite, missa est.

Und er stieg, das Ciborium in der Hand, die Stufen des Altares herab und segnete im Vorübergehen den König und die königliche Familie.

Diese verneigten sich ihrerseits und antworteten auf den Wunsch, der sich im Herzen des Priesters belebte, leise: »Amen!«

Dann gingen sie nach der Thüre.

Alle, die mit ihnen die Messe gehört hatten, knieten an ihrem Wege nieder; die Lippen Aller bewegten sich, ohne daß ein Ton aus ihrem Munde hervorkam; doch es war leicht zu errathen, um was alle diese stummen Lippen baten.

Vor der Thüre der Kirche fand man die zehn bis zwölf Garden zu Pferde.

Das royalistische Geleite nahm colossale Verhältnisse an.

Und dennoch war es offenbar, daß die Bauern mit ihrem rohen, ungeschlachten Willen, mit ihren Waffen, welche vielleicht weniger tödtlich als die der Stadtbürger, aber furchtbarer anzuschauen, – ein Drittel hatte sich mit Flinten, die Uebrigen hatten sich mit Sensen und Spießen bewaffnet, – es war offenbar, daß die Bauern im entscheidenden Augenblick ein unheilvolles Gewicht in die Waagschale legen konnten.

Nicht ohne eine gewisse Bangigkeit neigte sich daher Charny zum König, von dem man seine Befehle verlangte, und sagte, um ihn zu ermuthigen:

»Auf, Sire, auf!«

Der König war entschlossen.

Er beugte sich mit dem Kopfe aus dem Schlage, wandte sich an diejenigen, welche den Wagen umgaben, und sprach:

»Meine Herren, gestern in Varennes hat man mir Gewalt angethan: ich hatte den Befehl gegeben, nach Montmédy zu fahren, und mit Gewalt hat man mich nach einer empörten Hauptstadt zurückgeführt; doch gestern war ich mitten unter Rebellen, heute bin ich unter wackeren Unterthanen, und ich wiederhole: Nach Montmédy, meine Herren!«

»Nach Montmédy!« rief Charny.

»Nach Montmédy!« wiederholten die Garden von der Compaguie Villeroy.

«Nach Montmédy!« wiederholte nach ihnen die ganze Nationalgarde von Chalons.

Dann ließ ein allgemeiner Chor den Ruf: »Es lebe der König!« ertönen.

Der Wagen drehte sich um die Straßenecke und nahm wieder, um zu gehen, den Weg, dem man am Tage vorher gefolgt war, um zu kommen.

Charny hatte die Augen auf dieser ganzen Bevölkerung der Dörfer; sie schien, in Abwesenheit von Drouet und Billot, befehligt von dem Garde française, der vor der Thüre des Königs Schildwache gestanden war; er folgte der Bewegung und ließ derselben seine Leute folgen, deren düsteres Auge ziemlich klar andeutete, sie haben wenig Gefallen an dem Manoeuvre, das ausgeführt werde.

 

Nur ließen sie die ganze Nationalgarde vorüberziehen und ordneten sich dahinter in Massen als Nachhut.

In den ersten Reihen marschirten die mit Pieken, Heugabeln und Sensen bewaffneten Leute.

Dann kamen ungefähr hundert und fünfzig Mann mit Flinten bewaffnet.

Dieses Manoeuvre, das so gut ausgeführt wurde, als wären es an Kriegsübungen gewöhnte Truppen gewesen, beunruhigte Charny; doch er hatte kein Mittel, sich zu widersetzen, und konnte, von dem Platze, den er einnahm, nicht einmal nach einer Erklärung fragen.

Die Erklärung wurde ihm bald gegeben.

So wie man dem Thore der Stadt näher rückte, schien es, als hörte man, trotz des Geräusches des Wagens, trotz des Lärmens derjenigen, welche ihn umgaben, etwas wie ein dumpfes Rollen, das immer mehr zunahm.

Plötzlich erbleichte Charny, legte die Hand auf das Knie des Garde du corps, der neben ihm saß, und sagte zu ihm:

»Alles ist verloren!«

»Warum?« fragte der Garde du corps.

»Erkennen Sie denn dieses Geräusch nicht?«

»Man sollte glauben, es wäre das Getöse von Trommeln . . .  Nun?«

»Sie werden sehen!« sprach Charny.

In diesem Augenblicke wandte man sich um die Ecke eines Platzes.

Zwei Straßen mündeten auf diesen Platz, die Straße von Rheims und die Straße von Vitry-le-Français.

Durch jede dieser Straßen rückten mit Trommlern an der Spitze und mit fliegenden Fahnen zwei beträchtliche Schaaren Nationalgarden hervor.

Die eine von ungefähr achtzehnhundert Mann, die andere von zweitausend fünfhundert bis dreitausend Mann.

Jede von diesen zwei Schaaren schien befehligt von einem Manne zu Pferde.

Der Eine von diesen Männern war Billot, der Andere Drouet.

Charny brauchte nur einen Blick auf die Richtung zu werfen, der jede Schaar folgte, um Alles zu begreifen.

Die Abwesenheit von Drouet und Billot, eine unerklärliche Abwesenheit, wurde nur zu klar.

Ohne Zweifel waren sie in Kenntniß gesetzt worden von dem Streiche, den man in Chalons machinirte; sie waren abgegangen, der Eine, um die Ankunft der Nationalgarde von Rheims zu beschleunigen, der Andere, um die Nationalgarde von Vitry-le-Français zu holen.

Ihre Maßregeln waren im Einklang getroffen worden: Beide kamen zu rechter Zeit an.

Sie ließen ihre Leute Halt machen aus dem Platze, den sie völlig absperrten.

Dann wurde, ohne Irgend eine andere Demonstration, der Befehl gegeben, die Gewehre zu laden.

Der Zug hielt an.

Der König steckte den Kopf durch den Schlag.

Er fand Charny stehend, bleich, die Zähne an einander gepreßt.

»Was gibt es?« fragte der König.

»Sire, unsere Feinde haben Verstärkung geholt, und man ladet, wie Sie sehen, die Gewehre, während hinter der Nationalgarde von Chalons die Bauern mit ihren schon geladenen Gewehren aufgepflanzt sind.«

»Was denken Sie hiervon, Herr von Charny?«

»Ich denke, Sire, daß wir zwischen zwei Feuern gefaßt sind! was indessen kein Hinderniß ist, daß Sie, wenn Sie passiren wollen, passiren werden; nur, wie weit Eure Majestät gehen wird, weiß ich nicht.«

»Es ist gut,« sprach der König, »kehren wir um.«

»Eure Majestät ist fest entschlossen?«

»Herr von Charny, es ist schon genug Blut für mich geflossen, und zwar Blut, das ich mit bitteren Thränen beweine. Es soll kein Tropfen mehr vergossen werden. Kehren wir um.«

Bei diesen Worten sprangen die zwei jungen Leute vom Bocke an den Schlag; die Garden von der Compagnie Villeroy eilten herbei; diese wackeren, glühenden Militäre verlangten nichts Anderes, als den Kampf mit den Bürgern zu beginnen. Doch der König wiederholte den Befehl noch bestimmter, als er ihn schon gegeben.

»Meine Herren,« sprach Charny mit lauter und gebietender Stimme, »kehren wir um, der König will es.«

Und er selbst nahm ein Pferd am Zügel und ließ den schweren Wagen umdrehen; am Pariser Thore trat die Nationalgarde von Chalons, welche unnütz geworden, ihren Platz den Bauern, der Nationalgarde von Vitry und der Nationalgarde von Rheims ab.

»Finden Sie, daß ich wohl gethan habe, Madame?« sagte Ludwig XVI. zu Marie Antoinette.

»Ja, mein Herr,« antwortete diese; »nur finde ich, daß Ihnen Herr von Charny zu leicht gehorcht hat . . . «

Und sie versank in eine finstere Träumerei, welche nicht ganz der Lage, so erschrecklich sie war, in der man sich befand, angehörte.