Za darmo

Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Von da an begriff er, daß er nichts von seinen Leuten zu erwarten hatte. Er versammelte durch einen Blick die Officiere um sich und sprach:

»Meine Herren, die Soldaten verrathen den König . . .  Ich appellire von den Soldaten an die Edelleute: wer mich liebt, folge mir nach Varennes!«

Und er drückte die Sporen seinem Pferde in die Flanken und sprengte zuerst durch die Menge, gefolgt von Herrn von Floirac und drei Officieren.

Diese drei Officiere, oder vielmehr Unteroffiziere, waren der Adjutant Foucq und die Quartiermeister Saint Charles und la Potterie.

Fünf bis sechs getreue Dragoner ritten aus den Reihen vor und folgten Herrn von Damas.

Einige Kugeln, die man diesen heldenmüthigen Flüchtlingen nachsandte, waren verlorene Kugeln.

Darum hatten sich Herr von Damas und seine Dragoner nicht an Ort und Stelle befunden, um den König zu vertheidigen, als der König unter dem Gewölbe des Zollthurmes von Varennes angehalten, aus seinem Wagen zu steigen genöthigt und zum Gemeindeanwalt, Herrn Sausse, geführt wurde.

XCII
Das Haus von Herrn Sausse

Das Haus von Herrn Sausse bestand, wenigstens so weit es die erhabenen Gefangenen und ihre Unglücksgefährten sahen, aus einem Specereiladen, in dessen Hintergrund durch ein Fensterwerk ein Speisezimmer erschien, von welchem aus man, wenn man bei Tische saß, die Kunden erschauen konnte, die in den Laden eintraten; diesen Eintritt verkündigte übrigens noch ein Glöckchen in Schwung gebracht durch die Oeffnung einer kleinen, niedrigen Gitterthüre in der Form derjenigen, welche am Tage die Provinzmagazine schließen, die ihre Eigenthümer, sei es aus Berechnung, sei es aus Demuth, den Blicken der Vorübergehenden zu entziehen nicht das Recht zu haben scheinen.

In einer Ecke des Ladens führte eine Treppe in den ersten Stock.

Dieser erste Stock bestand aus zwei Stuben; die eine, ein Zugehör des Magazins, war voll von Ballots, die man aus der Erde aufgehäuft, von Lichtern, welche am Plafond hingen, von Zuckerhüten, die auf dem Kamin in ihrem groben blauen Papier aufgestellt und mit Ihren grauen Hauben versehen waren, welche man abnahm, um die Feinheit und die Weiße ihres Korns zu sehen; die zweite war die Schlafstube des durch Drouet aufgeweckten Eigenthümers des Geschäftes, welche Stube noch die Spuren der durch dieses plötzliche Aufwecken verursachten Unordnung sehen ließ.

Frau Sausse kam halb angekleidet aus diesem ersten Zimmer heraus, durchschritt das zweite und erschien oben aus der Treppe in dem Augenblick, wo die Königin dann der König, dann die Kinder von Frankreich, dann endlich Madame Elisabeth und Frau von Tourzel über die Schwelle des Magazins traten.

Den Reisenden einige Schritte vorangehend, war der Gemeindeanwalt zuerst eingetreten.

Mehr als hundert Personen, die den Wagen begleiteten, blieben vor dem Hause von Herrn Sausse, das aus einem kleinen Platze lag.

»Nun?« fragte der König bei seinem Eintreten.

»Mein Herr,« erwiderte Sausse, »es ist vom Passe die Rede gewesen; will die Dame, welche sagt, sie sei die Herrin des Wagens, die Güte haben, mir den ihrigen zu zeigen, so werde ich ihn aus die Municipalität tragen, wo sich der Rath versammelt hat, um zu sehen, ob er gültig ist.«

Da im Ganzen der von Frau von Korff dem Grafen von Charny und vom Grafen von Charny der Königin gegebene Paß in Ordnung war, so bedeutete der König Frau von Tourzel, sie möge diesen Paß Sausse einhändigen.

Sie zog das kostbare Papier aus ihrer Tasche und übergab es Herrn Sausse.

Dieser beauftragte seine Frau, die Honneurs des Hauses seinen geheimnißvollen Gästen zu machen, und ging nach der Municipalität ab.

Die Geister waren hier sehr erhitzt, denn Drouet wohnte der Sitzung bei; Herr Sausse erschien mit dem Passe. Jeder wußte, daß die Reisenden zu ihm geführt worden waren, und bei seiner Ankunft trat die Stille der Neugierde ein.

Er legte den Paß vor dem Maire nieder.

Wir haben den Inhalt des Passes schon angegeben, der Leser weiß also, daß nichts daran auszusetzen ist.

Nachdem er ihn gelesen, sagte auch der Maire:

»Meine Herren, der Paß ist vollkommen gut.«

»Gut?« wiederholten acht bis zehn Stimmen mit Verwunderung.

Und zu gleicher Zeit streckten sie die Hände aus, um ihn in Empfang zu nehmen.

»Allerdings gut, da die Unterschrift des Königs darauf steht,« erwiderte der Maire.

Und er schob den Paß gegen die ausgestreckten Hände, die sich seiner alsbald bemächtigten.

Doch Drouet entriß ihn beinahe den Händen, die ihn hielten.

»Unterzeichnet vom König!« rief er; »ist er es aber auch von der Nationalversammlung?«

»Ja,« erwiderte einer von seinen Nachbarn, der den Paß zu gleicher Zeit mit ihm beim Scheine eines Lichtes las, »hier ist die Unterschrift der Mitglieder von einem der Ausschüsse.«

»Einverstanden,« versetzte Drouet, »doch ist er es vom Präsidenten? Und überdies ist das nicht die Frage,« schnitt der junge Patriot die Debatte kurz ab; »die Reisenden sind nicht Frau Korff, eine russische Dame, ihre Kinder, ihr Intendant, ihre zwei Gesellschafterinnen und drei Bedienten; die Reisenden sind der König die Königin, der Dauphin, Madame Royale, Madame Elisabeth, irgend eine Palastdame, drei Couriere, kurz die königliche Familie! Wollt Ihr oder wollt Ihr nicht die königliche Familie aus Frankreich weggehen lassen?«

Die Frage stellte sich unter ihren wahren Gesichtspunkt, doch so gestellt war sie noch viel schwieriger für arme Gemeinderäthe einer Stadt dritten Ranges, wie Varennes, zu lösen.

Man berathschlagte also, und da sich die Berathung in die Länge zu ziehen drohte, so beschloß der Gemeindeanwalt, die Municipalherren deliberiren zu lassen und nach Hause zurückzukehren.

Er fand die Reisenden in seinem Magazine stehend. Frau Sausse hatte ihnen dringend zugesprochen, sie mögen in ihr Zimmer hinaufgehen, dann, sie mögen sich im Laden setzen, und endlich, sie mögen etwas zu sich nehmen; doch sie hatten Alles zurückgewiesen.

Es schien ihnen, als würden sie, wenn sie sich in diesem Hause festsetzten oder etwas annähmen denjenigen, welche sie verhaftet hatten, eine Concession machen und auf ihre nahe Abreise, den Gegenstand aller ihrer Wünsche, verzichten.

Alle ihre Sinne blieben, so zu sagen, schwebend bis zur Rückkehr des Herrn vom Hause, der die Entscheidung der Municipalität über den so wichtigen Punkt des Passes bringen sollte.

Plötzlich sah man ihn die Menge, welche die Thüre belagerte, durchschneiden und sich gewaltig anstrengen, um in sein Haus hineinzukommen.

Der König ging ihm drei Schritte entgegen und fragte ihn mit einer Bangigkeit, die er vergebens zu verbergen bemüht war:

»Nun, wie ist es mit dem Passe?«

»Der Paß,« erwiderte Herr Sausse, »ich muß sagen, daß er in diesem Augenblick eine ernste Discussion im Municipalrath erregt.«

»In welcher Hinsicht?« fragte Ludwig XVI. »Sollte man zufällig an seiner Gültigkeit zweifeln?«

»Nein, doch man bezweifelt, daß er Frau Korff gehört und es verbreitet sich das Gerücht, wir haben wirklich das Glück, den König und seine Familie in unsern Mauern zu besitzen.«

Ludwig XVI. zögerte einen Augenblick, etwas hierauf zu erwiedern, doch plötzlich faßte n einen Entschluß und sprach:

»Nun wohl, ja! mein Herr, ich bin der König, hier ist die Königin, hier sind meine Kinder, und ich bitte Sie, uns mit den Rücksichten zu behandeln, welche die Franzosen immer für ihre Könige gehabt haben.«

Die Hausthüre war, wie gesagt, offen geblieben, viele Neugierige belagerten diese Thüre. Die Worte des Königs wurden nicht nur innen, sondern auch außen gehört.

Hatte sie derjenige, welcher sie ausgesprochen, mit einer gewissen Würde gesagt, so entsprachen doch zum Unglück der graue Rock, in den er gekleidet war, seine Basinweste, seine Hosen und seine grauen Strümpfe, wie die kleine Perücke à la Jean-Jacques, die er trug, durchaus nicht dieser Würde.

Wie hätte man in der That einen König von Frankreich unter dieser gemeinen Verkleidung erkennen sollen! Die Königin fühlte den auf diese Menge hervorgebrachten Eindruck und die Röthe stieg ihr zu Gesichte.

»Nehmen wir an, was uns Frau Sausse angeboten hat, und gehen wir in den ersten Stock hinauf,« sagte sie rasch.

Herr Sausse ergriff ein Licht und eilte nach der Treppe, um seinen erhabenen Gästen den Weg zu zeigen.

Die Kunde, es sei wirklich der König derjenige, welcher in Varennes angekommen, und das Geständniß sei durch seinen eigenen Mund gemacht worden, enteilte mit raschem Fluge und verbreitete sich in den Straßen der Stadt.

Ein Mann trat ganz bestürzt bei der Municipalität ein.

»Meine Herren,« sprach er, »die Reisenden, welche sich bei Herrn Sausse befinden, sind wirklich der König und die königliche Familie! Ich habe so eben das Geständniß aus dem eigenen Munde des Königs vernommen.«

»Nun! meine Herren,« rief Drouet, »was sagte ich Ihnen?«

Zu gleicher Zeit hörte man gewaltigen Lärmen in der Stadt, die Trommeln rasselten fortwährend und die Sturmglocke erscholl ohne Unterlaß.

Warum zogen diese verschiedenen Gerüchte und Geräusche nicht in das Herz der Stadt und zu den Flüchtlingen Herrn von Bouillé,32 Herrn von Raigecourt und die Husaren, welche in Varennes aufgestellt waren, um den König zu erwarten?

 

Wir werden es sogleich sagen.

Gegen neun Uhr Abends waren die zwei jungen Officiere nach dem Gasthause zum Großen Monarchen zurückgekehrt, als sie plötzlich das Geräusch eines Wagens hörten.

Beide befanden sich in einem Saale des Erdgeschoßes und liefen aus Fenster.

Dieser Wagen war ein einfaches Cabriolet. Die zwei Officiere hielten sich indessen bereit, wenn es nöthig wäre, die Relais herauskommen zu lassen.

Doch der Reisende, den sie erblickten, war nicht der König, sondern ein grotesker Mensch mit einem breitkrämpigen Hute aus dem Kopfe und in einen ungeheuren Ueberrock gehüllt.

Sie machten einen Schritt rückwärts, da rief ihnen der Reisende zu:

»Ei! meine Herren, ist nicht einer von Ihnen der Herr Chevalier Jules von Bouillé?«

Der Chevalier hielt in seinem Rückzuge an.

»Ja, mein Herr, ich bin es,« sprach er.

»Dann habe ich Ihnen viele Dinge zusagen,« rief der Mann mit dem ungeheuren Ueberrock und dem breitkrämpigen Hute.

»Mein Herr,« erwiderte der Chevalier von Bouillé, »ich bin bereit, Sie zu hören, obgleich ich nicht die Ehre habe, Sie zu kennen; wollen Sie indessen so gut sein, aus Ihrem Wagen auszusteigen und in dieses Wirthshaus einzutreten, so werden wir Bekanntschaft machen.«

»Gern, He« Chevalier, sehr gern!« rief der Mann mit dem Ueberrock.

Und er sprang aus seinem Wagen, ohne den Fuß- tritt zu berühren, und trat hastig in das Gasthaus ein.

Der Chevalier bemerkte, daß er ganz bestürzt zu sein schien.

»Ah! Herr Chevalier,« sagte der Unbekannte, »nicht wahr, Sie werden mir die Pferde geben, die Sie hier haben?«

»Wie! die Pferde, die ich hier habe?« versetzte Herr von Bouillé, ebenfalls bestürzt.

»Ja! Ja! Sie werden sie mir geben! Sie brauchen mir nichts zu verbergen, ich weiß Alles!«

»Mein Herr, erlauben Sie mir, zu gestehen, daß mich das Erstaunen verhindert, Ihnen zu antworten, und daß ich nicht ein Wort von dem, was Sie mir sagen wollen, begreife.«

»Ich wiederhole Ihnen, daß ich Alles weiß; der König ist gestern Abend von Paris abgereist  . . .  doch es hat nicht den Anschein, daß er seinen Weg zu verfolgen im Stande gewesen ist; ich habe schon Herrn von Damas davon in Kenntniß gesetzt, und er hat seine Posten zurückziehen lassen: das Dragoner-Regiment hat sich meuterisch gezeigt, und es ist ein Aufruhr in Clermont ausgebrochen  . . .  Ich hatte viel Mühe, durchzukommen, ich, der ich mit Ihnen spreche!«

»Aber wer sind Sie denn, Sie, der Sie mit mir sprechen?« rief Herr von Bouillé voll Ungeduld.

»Ich bin Leonard, der Friseur der Königin, Wie! Sie kennen mich nicht! Stellen Sie sich vor, daß mich Herr von Choiseul wider meinen Willen mit sich fortgeführt hat  . . .  Ich brachte ihm die Diamanten der Königin und von Madame Elisabeth, und wenn ich bedenke, mein Herr, daß mein Bruder, dessen Hut und Ueberrock ich habe, nicht weiß, was aus mir geworden ist, und daß diese arme Frau von der Aage, welche mich gestern erwartete, um sie zu frisiren, noch zu dieser Stunde auf mich wartet! Oh! mein Gott! was für eine Geschichte ist dies!« rief Leonard.

Und er ging mit großen Schritten im Saale auf und ab und hob seine Arme voll Verzweiflung zum Himmel empor.

Herr von Bouillé fing an zu begreifen.

»Ah! Sie sind Herr Leonard,« sagte er.

»Gewiß bin ich Leonard,« versetzte der Reisende, nach Art der großen Männer den Titel abschneidend, den ihm der Chevalier von Bouillé gegeben hatte, »und da Sie mich nun kennen, so werden Sie mir Ihre Pferde überlassen, nicht wahr?«

»Herr Leonard,« erwiderte der Chevalier, der beharrlich den erhabenen Friseur in die gewöhnliche Classe der Sterbenden zurückversetzte, »die Pferde, die ich hier habe, gehören dem König, und Niemand, als der König, wird sich derselben bedienen.«

»Aber wenn ich Ihnen sage, mein Herr, es sei nicht wahrscheinlich, daß der König hier durchkomme . . . «

»Allerdings, Herr Leonard; doch der König kann durchkommen, und käme er durch, ohne seine Pferde zu finden, und ich sagte ihm, ich habe sie Ihnen gegeben, so würde er mir vielleicht antworten, ich bezahle ihn mit einem ziemlich schlechten Grunde.«

»Wie, ein schlechter Grund!« versetzte Leonard. »Sie glauben, in einer extremen Lage, wie die ist, in welcher wir uns befinden, würde mich der König tadeln, daß ich seine Pferde genommen?«

Der Chevalier konnte sich eines Lächelns nicht erwehren.

»Ich behaupte nicht,« erwiderte er, »der König würde Sie tadeln, daß Sie seine Pferde genommen, doch er würde sicherlich finden, ich habe Unrecht gehabt, sie Ihnen zu geben.«

»Ah!« rief Leonard, »ah! Teufel  . . .  Ich hatte die Frage nicht von dieser Seite in Betrachtung gezogen! Sie verweigern mir also die Pferde, Herr Chevalier?«

»Entschieden.«

Leonard stieß einen Seufzer aus.

»Doch,« sagte er, seinen Angriff erneuernd, »doch Sie werden sich wenigstens dafür verwenden, daß ich Pferde bekomme.«

»Ah! was das betrifft, von Herzen gern, mein lieber Herr Leonard,« erwiderte Herr von Bouillé.

Herr Leonard war in der That ein ziemlich beschwerlicher Gast; er sprach nicht nur laut, sondern er verband auch mit seinen Worten eine äußerst ausdrucksvolle Pantomime, und diese Pantomime nahm durch die breite Krämpe seines Hutes und die übermäßige Weite seines Rockes eine groteske Form an, deren Lächerlichkeit immer aus diejenigen, mit welchen er sprach, zurücksprang.

Herr von Bouillé hatte also die größte Eile, sich von Leonard zu befreien.

Er rief dem zu Folge den Wirth zum Großen Monarchen und bat ihn, Pferde zu besorgen, welche den Reisenden bis nach Dun führen könnten, und nachdem dieser Auftrag gegeben war, überließ er Leonard seinem guten Glücke, indem er ihm sagte, er wolle, was der Wahrheit entsprach, auf Erkundigungen ausgehen.

Die zwei Officiere, Herr von Bouillé und Herr von Raigecourt, gingen wirklich wieder in die Stadt, durchschritten sie ganz, machten eine Viertelmeile auf dem Wege nach Paris, sahen nichts, hörten nichts, und da sie auch zu glauben anfingen, der König, der um acht bis zehn Stunden im Verzuge war, werde nicht passiren, so kehrten sie nach dem Gasthause zurück.

Leonard war weggefahren.

Es schlug elf Uhr.

Schon sehr unruhig und besorgt, ehe sie nur das gehört hatten, was ihnen der Friseur der Königin gesagt, hatten sie überdies ein Viertel nach neun Uhr eine Ordonnanz abgeschickt. Das war die Ordonnanz, welche sich mit den Wagen beim Abgange auf Clermont gekreuzt, und die wir bei Herrn von Damas ankommen sahen.

Die zwei Officiere warteten bis um Mitternacht.

Um Mitternacht warfen sie sich, jedoch ganz angekleidet, auf ihre Betten.

Um halb ein Uhr wurden sie durch die Sturmglocke, die Trommeln und das Geschrei aufgeweckt.

Sie traten an das Fenster des Gasthauses und sahen, wie die ganze Stadt im größten Tumulte gegen die Municipalität zulief oder vielmehr stürzte.

Viele bewaffnete Männer liefen in derselben Richtung. Diese Männer trugen die Einen Commißflinten, die Andern Doppelflinten, wieder Andere waren einfach mit Säbeln, Degen oder Pistolen bewaffnet.

Die zwei Officiere gingen in die Ställe und fingen damit an, daß sie die Pferde des Königs herausziehen ließen, welche sie sodann für jeden Fall und um sie zu erhalten, vor die Stadt führten: wäre der König durch die Stadt gefahren so würde er sie hier finden.

Hiernach kamen sie zurück, holten ihre eigenen Pferde und führten sie auch zu den, durch Postillons bewachten Pferden des Königs.

Doch dieses Hin- und Hergehen hatte Verdacht erregt, und um aus dem Gasthofe mit ihren eigenen Pferden herauszukommen, hatten sie eine Art von Kampf auszuhalten gehabt, wobei zwei- oder dreimal auf sie geschossen worden war.

Zu gleicher Zeit, mitten unter diesem Geschrei und diesen Drohungen, hatten sie erfahren, daß der König ungehalten und zum Gemeindeanwalt geführt worden war.

Sie berathschlagten sich, was sie zu thun hätten. Sollten sie ihre Husaren versammeln und einen Versuch wagen, um den König zu befreien? Sollten sie zu Pferde steigen und Herrn von Bouillé benachrichtigen, den sie aller Wahrscheinlichkeit nach in Dun und sicherlich in Stenay treffen würden?

Dun war von Varennes nur fünf Meilen, Stenay nur acht Meilen entfernt; in anderthalb Stunden konnten sie in Dun, in zwei Stunden konnten sie in Stenay sein, und dann unmittelbar mit dem kleinen Armeecorps, das Herr von Bouillé befehligte, aus Varennes marschiren.

Sie blieben bei Letzterem stehen, und eine halbe Stunde nach Mitternacht, als der König gerade in das Zimmer des Gemeindeanwalts im ersten Stocke hinaufstieg, entschlossen sie sich, das Relais, das ihnen anvertraut war, seinem Schicksale zu überlassen, und eilten im stärksten Galopp gegen Dun fort.

Das war abermals ein unmittelbarer Beistand, auf den der König rechnete, und der ihm so entging.

XCIII
Der Rath der Verzweiflung

Man erinnert sich der Lage, in der sich Herr von Choiseul, welcher den ersten Posten in Pont de Sommevelle commandirte, befunden hatte: als er den Aufruhr immer mehr um sich her zunehmen sah, hatte er, da er einen Kampf vermeiden wollte, nachlässig, ohne länger auf den König zu warten, geäußert, wahrscheinlich sei der Schatz schon passirt, und hatte sich dann gegen Varennes gewendet.

Nur hatte er, um nicht durch Saint-Menehould zu kommen, das, wie man sich erinnert, in völliger Aufregung begriffen war, einen Querweg genommen, wobei er indessen besorgt gewesen, bis zu dem Augenblick, da er die Landstraße verließ, im Schritt zu marschiren, um dem Courier die Chance, ihn einzuholen, zu geben.

Doch der Courier hatte ihn nicht eingeholt, und in Orbeval war er von der Landstraße abgegangen.

Herr von Choiseul glaubte fest, der König sei durch irgend ein unvorhergesehenes Ereigniß zurückgehalten worden. Sollte er übrigens das Glück haben, sich zu täuschen, und der König setzte seine Reise fort, würde er nicht Herrn Dandoins in Saint-Menehould und Herrn von Damas in Clermont finden?

Wir haben gesehen, was Herrn von Dandoins, der mit seinen Leuten auf der Municipalität zurückgehalten wurde, und Herrn von Damas, der sich beinahe allein zu fliehen genöthigt sah, begegnet war.

Doch was uns bekannt ist, die wir in der Höhe von sechzig Jahren über diesem erschrecklichen Tage schweben und unter unsern Augen den Bericht von jeder der bei diesem großen Drama handelnden Personen haben, war Herrn von Choiseul noch durch die Wolke der Gegenwart verborgen. Herr von Choiseul, der, wie gesagt, in Orbeval einen Querweg eingeschlagen hatte, kam also gegen Mitternacht im Walde von Varennes in dem Augenblicke an, wo Charny in einen andern Theil dieses Waldes in der Verfolgung von Drouet eindrang. In dem letzten am Saume liegenden Dorfe, nämlich in Neuville au Pont, war er genöthigt, eine halbe Stunde dadurch zu verlieren, daß er aus einen Führer wartete. Während dieser Zeit erscholl die Sturmglocke in allen umliegenden Dörfern, und eine Nachhut von vier Husaren war von den Bauern in Verhaft genommen worden. Sogleich hiervon benachrichtigt, eilte Herr von Choiseul zurück, machte einen gewaltigen Angriff auf die Bauern, und die vier Husaren waren befreit.

Doch von diesem Augenblicke ertönte die Sturmglocke voll Wuth, ohne mehr anzuhalten.

Der Weg durch diese Wälder war äußerst beschwerlich und sogar oft gefährlich; der Führer, geschah es nun absichtlich oder ohne daß er es wollte, leitete den kleinen Trupp irre; jeden Augenblick waren die Husaren, um einen steilen Hügel hinaufzuklettern oder hinabzureiten, genöthigt, vom Pferde zu steigen; zuweilen war der Weg so schmal, daß sie Einer hinter dem Andern marschiren mußten; ein Husar fiel in einen Absturz, und da man an seinem Hilferuf erkannte, daß er nicht todt war, so weigerten sich seine Kameraden, ihn zu verlassen. Man verlor drei Viertelstunden mit der Rettungsoperation; diese drei Viertelstunden waren gerade diejenigen, während welcher der König aus dem Wagen zu steigen genöthigt und zu Herrn Sausse geführt wurde.

Um halb ein Uhr in der Nacht, als die Herrn von Bouillé und von Raigecourt auf der Straße nach Dun stehen, erschien Herr von Choiseul am andern Ende der Stadt.

Auf der Höhe der Brücke wurde er von einem kräftigen: »Wer da?« empfangen.

Dieses: Wer da? rief ihm ein Nationalgarde, welcher Schildwache stand, zu.

»Frankreich! Lauzun-Husaren!« antwortete Herr von Choiseul.

In demselben Augenblick trat eine große Bewegung in der Bevölkerung ein; man sah in der Nacht Massen bewaffneter Leute sich zusammendrängen und beim Schimmer der Fackeln und der Lichter, die an den Fenstern erschienen, die Flinten in den Straßen glänzen.

Da er nicht wußte, mit wem er es zu thun hatte, noch was vorgefallen war, so wollte Herr von Choiseul sich vor Allem zurecht finden. Er fing damit an, daß er mit dem Polizeiposten des in Varennes stationirten Detachement in Verbindung gesetzt zu werden verlangte; dieses Verlangen führte weitschweifige Erörterungen herbei, endlich aber entschloß man sich, dem Wunsche von Herrn von Choiseul zu entsprechen.

 

Während man jedoch diesen Entschluß faßte und ihn ausführte, konnte Herr von Choiseul sehen, daß die Nationalgarden ihre Zeit benützten und Vertheidigungsanstalten dadurch trafen, daß sie Verhaue machten und gegen ihn und seine vierzig Mann zwei kleine Kanonen richteten. Als der Stückrichter eben seine Arbeit beendigte, kam der Polizeiposten an, jedoch unberitten; die Leute, aus denen er bestand, wußten nichts, wenn nicht, daß der König, wie man ihnen gesagt hatte, festgenommen und nach dem Gemeindehaus geführt worden war; sie selbst waren vom Volk überfallen und ihrer Pferde beraubt worden. Sie wußten auch nicht, wie es ihren Gefährten ergangen.

Als sie diese Erklärungen gegeben, glaubte Herr von Choiseul mitten in der Finsterniß einen kleinen Trupp zu Pferde vorrücken zu sehen und zu gleicher Zeit hörte er rufen: »Wer da?«

»Frankreich,« antwortete eine Stimme:

»Welches Regiment?»

»Monsieur-Dragoner.«

Bei diesem Worte knallte ein Flintenschuß von einem Nationalgarde abgefeuert.

»Gut,« sagte Herr von Choiseul zu einem Unterofficier, der sich in der Nähe befand, »das ist Herr von Damas mit seinen Dragonern.«

Und ohne länger zu warten, machte er sich von zwei Menschen los, die sich an den Zaum seines Pferdes angeklammert hatten und ihm zuriefen, es sei seine Pflicht, der Municipalität zu gehorchen und nur sie anzuerkennen, commandirte: im Trab! schlug unversehens diejenigen, welche ihn festhalten wollten, zurück, erzwang die Passage und drang in die beleuchteten und von Menschen wimmelnden Straßen ein.

Als er sich dem Hause von Sausse näherte, erblickte er den ausgespannten Wagen des Königs, sodann einen kleinen Platz, wo einem unscheinbaren Hause gegenüber eine zahlreiche Wache ausgestellt war.

Um seine kleine Schaar nicht in Berührung mit den Einwohnern zu bringen, ritt er gerade auf die Kaserne der Husaren zu, deren Lage er kannte.

Die Kaserne war leer.

Er schloß darin seine vierzig Husaren ein.

Sobald Herr von Choiseul aus der Kaserne heraustrat, hielten ihn zwei Männer, welche vom Gemeindehause kamen, an und forderten ihn auf, sich nach der Municipalität zu begeben.

Doch Herr von Choiseul, der noch von seinen Husaren gehört werden konnte, schickte diese zwei Männer fort, indem er ihnen sagte, er werde sich nach der Municipalität begeben, wenn er hierzu Zeit habe, und er befahl dann ganz laut der Schildwache, Niemand hineinzulassen.

Ein paar Stallwächter waren bei der Kaserne geblieben. Herr von Choiseul befragte sie und erfuhr von ihnen, die Husaren, da sie nicht gewußt, was aus ihren Chefs geworden, seien den Bürgern gefolgt, welche sie abgeholt, und trinken mit ihnen in der Stadt zerstreut.

Bei dieser Kunde kehrte Herr von Choiseul in die Kaserne zurück. Er sah sich auf die vierzig Mann beschränkt, welche über zwanzig Meilen am Tage gemacht hatten. Leute und Pferde waren kreuzlahm.

Es ließ sich indessen nicht mit der Lage feilschen. Herr von Choiseul fing damit an, daß er die Pistolen untersuchte, um zusehen, ob sie geladen waren; dann erklärte er deutsch den Husaren, welche, da sie kein Wort Französisch verstanden, nichts von dem, was um sie her vorging, begriffen hatten, sie seien in Varennes, man habe so eben den König, die Königin und die königliche Familie verhaftet, es handle sich darum, sie aus den Händen derjenigen, welche sie gefangen halten, zu ziehen oder zu sterben.

Die Anrede war kurz, aber warm: sie schien auf die Husaren einen lebhaften Eindruck hervorzubringen. »Der König! die Königin!« wiederholten sie mit Erstaunen.

Herr von Choiseul ließ ihnen nicht Zeit, wieder zu erkalten; er befahl ihnen, den Säbel in die Hand zu nehmen, zu Vieren abzubrechen, und ritt in scharfem Trab nach dem Hause, wo er eine Wache gesehen, wohl vermuthend, in diesem Hause werde der König gefangen gehalten.

Hier, mitten unter den Schmähungen der Nationalgarden, und ohne sich um diese Schmähungen zu bekümmern, stellte er zwei Kadetten vor die Thüre und stieg ab, um in das Haus hineinzugehen.

In dem Augenblick, wo er über die Schwelle treten wollte, fühlte er, daß man seine Schulter berührte.

Er wandte sich um und sah den Grafen Charles von Damas, dessen Stimme er, auf das: Wer da? der Nationalgarden antwortend, erkannt hatte.

Herr von Choiseul hatte vielleicht ein wenig auf diese Unterstützung gerechnet.

»Ah! Sie sind es?« sagte er; »sind Sie bei Kräften?«

»Ich bin allein oder beinahe allein,« erwiederte Herr von Damas.

»Warum dies?«

»Mein Regiment hat sich geweigert, mir zu folgen, und ich bin mit fünf bis sechs Mann hier.«

»Das ist ein Unglück, doch gleichviel, es bleiben mir meine vierzig Husaren, sehen wir, was mit ihnen zu machen ist.«

Der König empfing eine Deputation der Gemeinde unter Anführung von Herrn Sausse.

Diese Deputation sprach zu Ludwig XVI.:

»Da es für die Einwohner von Varennes nicht mehr zweifelhaft ist, daß sie das Glück haben, den König zu besitzen, so kommen sie, um seine Befehle entgegenzunehmen.«

»Meine Befehle?« versetzte der König; »dann lassen Sie sogleich meine Wagen bereit halten, damit ich abreisen kann.«

Man weiß nicht, was aus dieses bestimmte Verlangen die Gemeinde-Deputation zu antworten im Begriffe war, als man den Galopp der Pferde von Herrn von Choiseul hörte und durch die Scheiben die Husaren sich auf dem Platze mit dem Säbel in der Hand ausstellen sah.

Die Königin bebte, ein Strahl der Freude zuckte aus ihren Augen.

»Wir sind gerettet!« flüsterte sie Madame Elisabeth zu.

»Gott wolle es!« erwiderte das fromme königliche Lamm, das Alles, Gutes und Schlechtes, Hoffnung und Verzweiflung, Gott zutrug.

Der König richtete sich aus und wartete.

Die Municipalräthe schauten sich unruhig an.

In diesem Augenblick machte sich ein gewaltiges Geräusch im Vorzimmer hörbar, das mit Sensen bewaffnete Bauern bewachten; es wurden einige Worte gewechselt, dann fand ein Kampf statt, und Herr von Choiseul erschien ohne Hut und mit dem Degen in der Hand aus der Schwelle.

Ueber seinen Schultern sah man den bleichen, aber entschlossenen Kopf von Herrn von Damas.

In dem Blicke der beiden Officiere lag ein solcher Ausdruck von Drohung, daß die Abgeordneten auf die Seite traten und den Raum, der die Ankommenden von, König und der königlichen Familie trennte, frei ließen.

Als sie eintraten, bot das Innere des Zimmers folgendes Bild:

In der Mitte stand ein Tisch, daraus sah man eine angebrochene Flasche Wein, ein paar Gläser und Brod.

Der König und die Königin hörten stehend die Abgeordneten der Gemeinde an; beim Fenster waren Madame Elisabeth und Madame Royale; auf dem auseinander gemachten Bette lag der Dauphin, erschöpft vor Müdigkeit; neben ihm saß Frau von Tourzel, die den Kopf aus ihre Hände stützte, und hinter ihr standen die Frauen Brunier und von Neuville; die zwei Gardes du corps und, zugleich von Schmerz und Müdigkeit gelähmt, Isidor von Charny verloren sich im Helldunkel, halb auf Stühlen liegend.

Als sie Herrn von Choiseul erblickte, durchschritt die Königin das Zimmer in seiner ganzen Länge, nahm seine Hand und sprach:

»Ah! Herr von Choiseul! Sie da!  . . .  Seien Sie willkommen!«

»Ach! Madame,« erwiderte der Herzog, »mir scheint, ich komme sehr spät.«

»Gleichviel, wenn Sie nur in guter Gesellschaft eintreffen.«

»Ah! Madame, wir sind im Gegentheil beinahe allein. Herr Dandoins ist mit seinen Dragonern in der Municipalität von Saint-Menehould zurückgehalten worden und Herrn von Damas haben seine Leute verlassen.«

Die Königin schüttelte traurig den Kopf.

»Aber,« fuhr Herr von Choiseul fort, »wo ist denn der Chevalier von Bouillé, wo ist denn Herr von Raigecourt? Bei diesen Worten schaute Herr von Choiseul rings umher und suchte sie mit den Augen.

Mittlerweile hatte sich der König genähert.

»Ich habe diese Herren nicht einmal erblickt, sagte er.

»Sire,« sprach Herr von Damas, »ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich glaubte, sie seien vor den Rädern Ihres Wagens getödtet worden.«

»Was thun?»fragte der König.

»Sie retten, Sire,« antwortete Herr von Damas, »geben Sie Ihre Befehle.«

»Sire, ich habe hier vierzig Husaren,« sprach Herr von Choiseul, »sie haben zwanzig Meilen in einem Tage gemacht, doch sie werden wohl bis Dun reiten.«

»Aber wir?« versetzte der König.

»Hören Sie, Sire,« sagte Herr von Choiseul, »ich glaube, das Einzige, was sich thun läßt, ist Folgendes: Ich habe, wie gesagt, vierzig Husaren. Sieben davon lasse ich absitzen; Sie werden, den Dauphin in Ihren Armen haltend, auf einem der Pferde reiten; die Königin wird das zweite Pferd besteigen, Madame Elisabeth das dritte, Madame Royale das vierte, und die Damen von Tourzel, von Neuville und Brunier, welche Sie nicht zurücklassen wollen, werden die drei andern reiten  . . .  Wir umgeben Sie mit den drei und dreißig zu Pferde gebliebenen Husaren; wir brechen uns Bahn mit Säbelhieben, und so haben wir wenigstens eine Chance der Rettung. Doch bedenken Sie wohl, Sire, das ist eine Maßregel, welche aus der Stelle ergriffen werden muß, wenn Sie dieselbe annehmen; denn in einer Stunde, in einer Viertelstunde vielleicht, werden meine Husaren gewonnen sein!«

32Dieser Herr von Bouillé war Jules und nicht Louis von Bouillé, den wir schon im Laufe unserer Geschichte haben erscheinen sehen, dies besonders, da er als Schlossergeselle verkleidet in die Schmiede des Königs kam.