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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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Der General, nachdem er dem Schlafengehen des Königs beigewohnt, nachdem er seinen Freund Bailly davon in Kenntniß gesetzt, daß der König zu Bette gegangen, nachdem er Herrn Emmery, einem Mitgliede der Nationalversammlung, einen Besuch gemacht, war nach Hause zurückgekehrt und wollte sich eben auskleiden.

In diesem Augenblick klopfte man an das Hotel Noailles. Herr von Lafayette schickte seinen Kammerdiener ab, um sich zu erkundigen.

Dieser kam bald wieder und sagte, es seien fünf und zwanzig bis dreißig Bürger da, die den General aus der Stelle in einer Sache von der höchsten Wichtigkeit sprechen wollen.

In jener Zeit hatte der General Lafayette die Gewohnheit, zu jeder Stunde zu empfangen.

Da überdies am Ende eine Angelegenheit, wegen der sich fünf und zwanzig bis dreißig Bürger bemühten, eine wichtige Angelegenheit sein konnte und mußte, so befahl er, diejenigen, welche ihn zu sprechen wünschten, einzuführen.

Der General brauchte nur seinen Rock, den er so eben abgelegt hatte, wieder anzuziehen, und er befand sich in Empfangstracht.

Dann setzten ihm die Herren Buseby und Hucher in ihrem und ihrer Gefährten Namen ihre Befürchtungen auseinander; Herr Buseby stützte sie auf das, was er in den Tuilerien hatte sagen hören; die Anderen auf das, was sie täglich von allen Seiten sagen hörten.

Doch über alle diese Befürchtungen lachte der General nur, und da er ein guter Herr und ein starker Schwätzer war, so erzählte er ihnen, woher alle diese Gerüchte kamen, wie sie durch Frau von Rochereul und Herrn von Gouvion verbreitet worden waren; wie er, um sich von ihrer Falschheit zu überzeugen, den König habe zu Bette gehen sehen, gerade wie sie ihn, Lafayette, könnten sich schlafen legen sehen, wenn sie noch ein paar Minuten bleiben würden; als ihnen aber dieses ganze Geschwätz nicht genügend schien, sagte ihnen Herr von Lafayette, er hafte für den König und die königliche Familie mit seinem Kopfe.

Hiernach war es unmöglich, einen Zweifel kundzugeben; sie beschränkten sich also darauf, daß sie Herrn von Lafayette nach dem Losungsworte fragten, damit man sie bei ihrer Rückkehr nicht beunruhige. Herr von Lafayette sah keine Schwierigkeit darin, ihnen dieses Vergnügen zu machen, und gab ihnen das Losungswort.

Hiermit versehen, beschlossen sie indessen, den Saal der Reitschule, um zu erfahren, ob es nichts Neues aus dieser Seite gebe, und die Höfe des Schlosses, um zu sehen, ob nichts Außergewöhnliches hier vorgehe, in Augenschein zu nehmen.

Sie kamen die Rue Saint-Honoré entlang zurück und traten in die Rue de l’Echelle ein, als ein Reiter im Galopp mitten unter sie sprengte. Da in einer solchen Nacht Alles Ereigniß ist, so kreuzten sie ihre Flinten und riefen dem Reiter zu, er müsse halten.

Der Reiter hielt an.

»Was wollen Sie von mir?« fragte er.

»Wir wollen wissen, wohin Sie gehen?« riefen die Nationalgarden.

»Nach den Tuilerien.«

»Was wollen Sie in den Tuilerien thun?«

»Dem König Bericht machen über eine Sendung, mit der er mich beauftragt hat.«

»Zu dieser Stunde?«

»Allerdings zu dieser Stunde.«

Einer von den Schlausten bedeutete den Andern durch ein Zeichen, sie mögen ihn machen lassen.

»Aber zu dieser Stunde ist der König schlafen gegangen,« sagte er.

»Ja,« erwiderte der Retter, »doch man wird ihn aufwecken.«

»Wenn Sie mit dem König zu thun haben,« sagte derselbe Mensch, »so müssen Sie die Losung kennen.«

»Das wäre kein Grund,« bemerkte der Reiter, »in Betracht, daß ich könnte von der Grenze, statt von drei Meilen, kommen und vor einem Monat abgereist sein, statt daß ich vor zwei Stunden abgegangen bin.«

»Das ist richtig,« sprachen die Nationalgarden.

»Sie haben also den König vor zwei Stunden gesehen?« fuhr der Frager fort.

»Ja.«

»Sie haben ihn gesprochen?«

»Ja.«

»Was machte er vor zwei Stunden?«

»Er wartete nur aus den Abgang des General Lafayette, um sich schlafen zu legen.«

»Somit haben Sie das Losungswort?«

»Allerdings; der General, da er wußte, daß ich um ein Uhr oder zwei Uhr Morgens nach den Tuilerien zurückkehren sollte, gab es mir, damit ich keinen Verzug erleide?«

»Und dieses Losungswort?«

»Paris und Poltiers.«

»So ist es,« riefen die Nationalgarden. »Gute Heimkehr, Kamerad, und sagen Sie dem König, Sie haben uns vor der Thüre des Schlosses wachend gefunden, weil wir befürchtet, er wolle fliehen.«

Und sie traten vor dem Reiter aus die Seite.

»Ich werde nicht unterlassen, dies zu thun,« antwortete der Reiter.

Und er gab seinem Pferde beide Sporen und sprengte unter den Einlaß der Tuilerien, wo er verschwand.

»Wenn wir warteten, bis er aus den Tuilerien herauskommt, um zu erfahren, ob er den König gesehen hat?« sagte Einer von den Bürgern.

»Wenn er aber in den Tuilerien wohnt,« versetzte ein Anderer, »dann werden wir bis morgen warten.«

»Das ist richtig,« sprach der Erste, »und bei meiner Treue, da der König zu Bette gegangen ist, da Herr von Lafayette sich schlafen legt, gehen wir auch zu Bette, und es lebe die Nation!«

Die fünfundzwanzig bis dreißig Patrioten wiederholten im Chor: »Es lebe die Nation!« und legten sich schlafen, glücklich und stolz, daß sie aus dem Munde von Lafayette selbst erfahren hatten, es sei nicht zu befürchten, daß der König Paris verlasse.

LXXXVI
Die Landstraße

Wir haben, im scharfen Trabe von vier kräftigen Postpferden gezogen, den Wagen, der den König und seine Familie entführte, abgehen sehen; verfolgen wir die Reise in allen ihren Einzelheiten, wie wir dies bei der Flucht gethan haben. Das Ereigniß ist so groß und bat einen so unglücklichen Einfluß aus das Geschick der königlichen Familie ausgeübt, daß der geringste Vorfall dieser Reise der Wißbegierde oder des Interesses würdig zu sein scheint.

Es wurde gegen drei Uhr Morgens Tag: man wechselte die Pferde in Meaux. Der König hatte Hunger, und man fing an die Mundvorräthe anzugreifen. Diese Mundvorräthe bestanden aus einem Stücke kalten Kalbsbraten, das der Graf von Charny nebst Brod und vier Flaschen nicht moussirenden Champagner in den Flaschenkeller des Wagens hatte legen lassen.

Da man weder Messer, noch Gabeln besaß, so rief de r König Jean.

Jean war, wie man sich erinnert, der Reisenamen von Herrn von Malden.

Herr von Malden näherte sich.

»Jean,« sagte der König, »leihen Sie uns Ihr Jagdmesser, daß ich ich diesen Kalbsbraten zerschneiden kann.«

Mittlerweile neigte sich die Königin aus dem Wagen und schaute zurück, ohne Zweifel, um zu sehen, ob Herr von Charny nicht komme.

»Wollen Sie etwas zu sich nehmen, Herr von Malden?« fragte leise der König.

»Nein, Sire,« antwortete Herr von Malden eben so leise; »ich fühle noch kein Bedürfniß.«

»Weder Sie, noch Ihre Gefährten mögen sich Zwang anthun,« sagte der König.

Dann wandte er sich gegen die Königin um, welche immer zum Schlage hinausschaute, und sprach:

»Woran denken Sie, Madame?«

»Ich?« erwiderte die Königin, indem sie zu lächeln suchte, »ich denke an Herrn von Lafayette; wahrscheinlich ist es ihm zu dieser Stunde nicht sehr behaglich.«

Dann sagte sie zu Herrn von Valory, der sich ebenfalls dem Schlage näherte.

»François, mir scheint, es geht Alles gut, und wir wären schon angehalten, wenn wir dies hätten sein sollen. Man wird unsere Abreise nicht bemerkt haben,«

»Das ist mehr als wahrscheinlich,« antwortete Herr von Valory, »denn ich bemerke nirgends eine verdächtige Bewegung. Muth gefaßt, Madame: Alles geht gut.«

»Vorwärts,« rief der Postillon.

Herr von Valory und Herr von Malden stiegen wieder auf ihren Sitz, und der Wagen fuhr weiter.

Gegen acht Uhr Morgens kam man unten an einen langen Bergabhang.

Rechts und links von diesem Abhang war ein schöner Wald, wo die Vögel sangen, und durch den die ersten Sonnenstrahlen von einem der schönsten Junitage wie goldene Pfeile drangen.

Der Postillon ließ seine Pferde im Schritte gehen.

Die zwei Gardes du corps sprangen vom Bocke.

»Jean,« sagte der König, »lassen Sie den Wagen halten und öffnen Sie den Schlag: ich mochte gern gehen, und ich glaube, daß es der Königin und den Kindern auch nicht unangenehm wäre, diese kleine Strecke zu Fuß zu machen.«

Herr von Malden winkte: der Postillon hielt an; der Schlag wurde geöffnet: der König, die Königin, Madame Elisabeth und die zwei Kinder stiegen aus; Frau von Tourzel allein blieb, sie war zu leidend, um auszusteigen.

Sogleich verbreitete sich die ganze kleine königliche Colonie aus dem Wege. Der Dauphin lief Schmetterlingen nach und Madame Royale pflückte Blumen.

Madame Elisabeth nahm den Arm des Königs; Madame Royale ging allein.

Sah man diese so aus dem Wege zerstreute Familie, diese spielenden und laufenden Kinder, diese aus den Arm ihres Bruders gestützte und ihm zulächelnde Schwester, diese schöne, nachdenkende, rückwärts schauende Frau, Alles dies beleuchtet durch eine herrliche Morgensonne des Juni, welche den durchsichtigen Schatten des Waldes bis mitten aus die Straße warf, so hätte man glauben sollen, es sei eine heitere Familie, die nach ihrem Schlosse zurückkehre, um ihren friedlichen, regelmäßigen Lebenslauf fortzusetzen, und nicht eine Königin und ein König, die einen Thron fliehen, zu dem man sie nur zurückbringen sollte, um sie auf das Schafott zu führen.

Allerdings sollte bald ein Vorfall in dieses friedliche, heitere Gemälde die Unruhe der im Grunde der Herzen der verschiedenen Personen dieser Geschichte schlummernden Leidenschaften bringen.

Plötzlich blieb die Königin stehen, als hätten ihre Füße in der Erde Wurzel gefaßt.

Ein Reiter erschien in einer Entfernung von ungefähr einer Viertelmeile, in die Staubwolke gehüllt, welche der Galopp seines Pferdes auftrieb.

 

Marie Antoinette wagte nicht zu sagen: »Das ist der Graf von Charny.«

Doch ein Schrei entschlüpfte ihrer Brust.

»Ah! Nachrichten von Paris,« sagte sie.

Alle wandten sich um, nur der Dauphin nicht: das sorglose Kind hatte den Schmetterling erhascht, dem es nachlief; wenig lag ihm an den Nachrichten von Paris.

Ein wenig kurzsichtig, zog der König eine kleine Lorguette aus seiner Tasche.

»Ei!« rief er, »das ist, glaube ich, Herr von Charny!«

»Ja,« erwiderte die Königin, »er ist es.«

»Gehen wir weiter,« sprach der König, »er wird uns immerhin einholen, und wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Die Königin wagte nicht, zu entgegnen, es sei wohl der Mühe werth, wegen der Nachrichten, welche Herr von Charny bringe, zu warten.

Uebrigens war dies nur ein Verzug von ein paar Secunden: der Reiter eilte mit der ganzen Geschwindigkeit seines Rosses herbei.

Er selbst, sowie er näher kam, schaute mit großer Aufmerksamkeit und schien nicht zu begreifen, warum der riesige Wagen seine Reisenden aus der Landstraße verbreitet habe.

Er holte sie endlich in dem Augenblick ein, wo der wagen den Gipfel des Bergabhanges erreichte und auf diesem Gipfel Halt machte.

Es war wirklich Herr von Charny, wie es das Herz der Königin und die Augen des Königs errathen hatten.

Er trug einen kleinen grünen Ueberrock mit flatterndem Kragen, einen Hut mit breiter Rundschnur und stählerner Schnalle, eine weiße Weste, eine anliegende Lederhose und große, bis über die Kniee gehende militärische Stiefel.

Seine gewöhnlich matt weiße Gesichtsfarbe war belebt durch den scharfen Ritt, und die Funken der Flamme, welche sein Gesicht röthete, sprangen aus seinen Augensternen hervor.

Es war etwas von einem Sieger in seinem mächtigen Hauche und in seinen erweiterten Nasenflügeln. Nie hatte ihn die Königin so schön gesehen.

Sie stieß einen tiefen Seufzer aus.

Er sprang von seinem Pferde und verbeugte sich vor dem König.

Dann wandte er sich um und grüßte die Königin.

Alle gruppirten sich um ihn, die zwei Gardes du corps ausgenommen, welche aus Bescheidenheit entfernt blieben.

»Kommen Sie näher, meine Herren,« sagte der König, »die Nachrichten, welche Herr von Charny bringt, sind für Jedermann von Gewicht.«

»Sire, Alles geht gut,« sagte Charny, »und heute Morgen um zwei Uhr muthmaßte noch Niemand ihre Flucht.«

Jeder athmete.

Dann vervielfältigten sich die Fragen.

Charny erzählte, wie er nach Paris zurückgekehrt war, wie er in der Rue de l’Echelle die Patronille der Patrioten getroffen; wie er von dieser befragt worden war und sie überzeugt, der König sei zu Bette gegangen und schlafe, zurückgelassen hatte.

Dann sagte er, wie er, sobald er im Inneren der wie an den gewöhnlichen Tagen ruhigen Tuilerien gewesen, in sein Zimmer hinausgegangen sei, die Kleider gewechselt und durch die Corridors des Königs wieder hinabsteigend sich versichert habe, daß Niemand die königliche Flucht ahne, nicht einmal Herr von Gouvion, der, als er gesehen, daß die von ihm um die Gemächer des Königs aufgestellte Linie von Schildwachen nichts nütze, diese entlassen und Officiere und Bataillonchefs nach Hause geschickt habe.

Herr von Charny habe dann wieder sein Pferd genommen, das ihm einer der Diener von der Nachtwache gehalten, und da er gedacht, er könnte sich aus der Post von Paris zu dieser Stunde nur mit Mühe einen Klepper verschaffen, so sei er auf demselben Pferde wieder nach Bondy geritten.

Dieses unglückliche Pferd war beinahe rehe angekommen; doch es war angekommen, und mehr brauchte es nicht.

Hier hatte der Graf ein neues Pferd genommen und seinen Ritt fortgesetzt.

Im Uebrigen war ihm nichts Beunruhigendes auf dem Wege, den er zurückgelegt, aufgefallen.

Die Königin fand Veranlassung, Charny die Hand zu reichen: die guten Nachrichten, welche er brachte, waren wohl eine solche Gunst werth.

Charny küßte der Königin ehrerbietig die Hand.

Warum erbleichte die Königin?

Geschah es aus Freude, wenn Charny ihr die Hand gedrückt hatte?

Geschah es aus Schmerz, wenn er sie nicht gedrückt hatte.«

Man stieg wieder in den Wagen. Der Wagen ging ab. Charny galoppierte am Schlage.

Auf der nächsten Post fand man die Pferde bereit, nur war kein Reitpferd für Charny bestellt, Isidor hatte dieses Pferd nicht bestellen können, weil er nicht wußte, daß sein Bruder es brauchte.

Bei diesem Pferde fand also ein Verzug statt, doch nach fünf Minuten saß Charny im Sattel. Uebrigens war es verabredet, daß er dem Wagen folgen und ihn nicht escortiren sollte.

Nur sollte er ihm nahe genug folgen, daß die Königin, wenn sie ihren Kopf aus dem Schlage neigte, ihn erblicken würde, und daß er aus jeder Station zeitig genug ankäme, um ein paar Worte mit den hohen Reisenden zu sprechen.

Charny hatte in Montmirail sein Pferd gewechselt; er glaubte, der Wagen habe eine Viertelstunde Vorsprung vor ihm, da stößt plötzlich bei der Biegung einer Straße sein Pferd mit der Nase an den stille stehenden Wagen und die zwei Gardes, welche einen Zugriemen wieder zurecht zu richten suchen.

Der Graf springt von seinem Pferde herab und steckt seinen Kopf durch den Wagenschlag, um dem König zu empfehlen, er möge sich verbergen, und der Königin, sie möge nicht unruhig sein; dann öffnete, er eine Art von Koffer, in den man zum Voraus alle Gegenstände, welche ein Unfall nothwendig machen kann, gelegt hat: man findet darin ein Paar Zugriemen und nimmt einen davon, durch welchen man den zerrissenen ersetzt.

Die zwei Gardes benützen diese Zeit, um ihre Waffen zu verlangen; aber der König widersetzt sich förmlich, daß man sie ihnen übergebe. Man wendet ihm ein, es wäre dies für den Fall, daß der Wagen angehalten würde, doch er erwiedert, in keinem Falle wolle er, daß Blut fließe.

Endlich ist der Zugriemen wieder zurecht gerichtet, der Koffer wieder geschlossen; die zwei Gardes steigen auf ihren Bock: Charny schwingt sich in den Sattel, und der Wagen geht ab.

Nur hat man mehr als eine halbe Stunde verloren, und dies, während jede Minute ein unwiederbringlicher Verlust ist.

Um zwei Uhr kam man nach Chalons.

»Wenn wir nach Chalons kommen, ohne angehalten zu werden,« hatte die Königin gesagt, »wird Alles gut gehen.«

Man war nach Chalons gekommen, ohne angehalten zu werden, und wechselte die Pferde.

Der König hatte sich einen Augenblick gezeigt. Mitten unter den Gruppen, die sich um den Wagen gebildet, hatten ihn zwei Männer mit einer beharrlichen Aufmerksamkeit angeschaut.

Plötzlich entfernt sich einer von diesen zwei Männern und verschwindet.

Der Andere nähert sich und sagt leise:

»Sire, zeigen Sie sich nicht so, oder Sie sind verloren.«

Dann ruft er dem Postillons zu: »Vorwärts, Ihr trägen Bursche! Bedient man so brave Reisende, welche dreißig Sous Trinkgeld bezahlen?, . .«

Und er legte selbst Hand an und half den Postillons.

Das war der Postmeister.

Endlich sind die Pferde angespannt, die Postillons im Sattel. Der erste Postillon will seine Pferde fortführen.

Beide stürzen nieder.

Die Pferde erheben sich wieder unter den Peitschenhieben; man will den Wagen abfahren lassen: die zwei Pferde des ersten Postillon stürzen ebenfalls nieder.

Der Postillon liegt unter einem Pferde.

Charny, der stillschweigend wartet, zieht den Postillon unter seinem Pferde, wo er seine steifen Stiefel läßt, hervor.

»Oh! mein Herr!« ruft Charny dem Postmeister zu, dessen Anhänglichkeit er nicht kennt, »was für Thiere haben Sie uns gegeben?«

»Die besten vom Stalle! Nur sind diese Pferde dergestalt in die Stränge verwickelt, daß sie, je mehr sie sich zu erheben suchen, immer mehr gefesselt werden.«

Charny wirft sich aus die Pferde und sagt:

»Vorwärts, spannen wir sie aus und wieder an: das wird schneller geschehen sein.«

Der Postmeister geht weinend vor Verzweiflung wieder an die Arbeit.

Mittlerweile läuft der Mensch, der sich entfernt hat und verschwunden ist, zum Maire. Er meldet ihm, in diesem Augenblick wechsele der König und die ganze königliche Familie auf der Post die Pferde, und er verlangt von ihm einen Verhaftsbefehl.

Zum Glück ist der Maire sehr wenig Republikaner, oder er will eine solche Verantwortlichkeit nicht auf sich nehmen. Statt sich des Factums zu versichern, verlangt er alle Arten von Erklärungen, leugnet, daß die Sache wahr sein könne, und kommt endlich, auf das Aeußerste getrieben, nach dem Posthause in dem Augenblick, wo der Wagen an der Biegung der Straße verschwindet.

Man hat über zwanzig Minuten verloren.

Im königlichen Wagen herrscht die größte Bangigkeit. Diese Pferde, welche hinter einander ohne irgend eine Ursache niederstürzten, erinnern die Königin an jene Kerzen, welche ganz allein erloschen.

Während sie zu den Thoren der Stadt hinausfahren, sagen indessen der König, die Königin und Madame Elisabeth zu einander:

»Wir sind gerettet.«

Doch nachdem sie hundert Schnitte weiter gefahren sind, eilt ein Mann herbei, steckt seinen Kopf durch den Schlag und ruft den hohen Reisenden zu:

»Ihre Maßregeln sind schlecht getroffen: man wird Sie verhaften!«

Die Königin stößt einen Schrei aus; der Unbekannte wirft sich auf die Seite und verschwindet in einem Gehölze.

Zum Glück ist man bloß noch vier Meilen von Pont de Sommevelle entfernt, wo man Herrn von Choiseul und seine vierzig Husaren finden wird.

Nur ist es drei Uhr Nachmittags, und man ist um beinahe vier Stunden im Verzug.

LXXXVII
Das Verhängniß

Man erinnert sich, daß der Herzog von Choiseul mit Postpferden in Begleitung von Leonard fährt, der in Verzweiflung darüber ist, daß er die Thüre seines Zimmers offen gelassen, den Hut und den Ueberrock seines Bruders mitgenommen und sein der Frau von der Aage geleistetes Versprechen, sie frisiren zu wollen, nicht gehalten hat.

Was den armen Leonard tröstete, war, daß ihm Herr von Choiseul bestimmt erklärt hatte, er nehme ihn nur aus zwei bis drei Meilen mit, um ihm einen bestimmten Auftrag von der Königin zu geben, und dann sei er wieder frei.

Als man nach Bondy kam und er fühlte, daß der Wagen anhielt, athmete er auch und schickte sich an, auszusteigen.

Doch Herr von Choiseul hielt ihn zurück und sagte:

»Hier noch nicht.«

Man hatte die Pferde zum Voraus bestellt; in ein paar Secunden waren sie angespannt, und der Wagen ging wie ein Pfeil wieder ab.

»Aber, Herr Herzog, wohin gehen wir denn?« fragte der arme Leonard.

»Wenn Sie nur morgen früh wieder zurück sind,« erwiderte Herr von Choiseul, »was liegt Ihnen am Uebrigen?«

»Es ist wahr, wenn ich nur um zehn Uhr in den Tuilerien bin, um die Königin zu frisiren . .,«

»Nicht wahr, mehr brauchen Sie nicht?«

»Allerdings  . . .  Doch es wäre nicht schlimm, wenn ich früher zurückkäme, weil ich meinen Bruder beruhigen und Frau von der Aage erklären könnte, es sei nicht meine Schuld, daß ich mein Wort gebrochen.«

»Wenn es bloß das ist, seien Sie unbesorgt, mein lieber Leonard; Alles wird auf das Beste gehen,« sprach Herr von Choiseul.

Leonard hatte keinen Grund, zu glauben, Herr von Choiseul entführe ihn; er beruhigte sich auch, wenigstens für den Augenblick.

Doch in Claye, als er sah, daß man abermals umspannte, und daß vom Anhalten noch keine Rede war, rief der Unglückliche:

»Ah! Herr Herzog, wir gehen also bis an das Ende der Welt?«

»Hören Sie, Leonard,« sprach nun Herr von Choiseul mit einer ernsten Miene, »nicht in ein Haus in der Nähe von Paris führe ich Sie, sondern an die Grenze.«

Leonard stieß einen Schrei aus, stützte seine beiden Hände auf seine Kniee und schaute den Herzog mit einer erschrockenen Miene an.

»An die  . . .  an die  . . . Grenze!« stammelte er.

»Ja, mein lieber Leonard, ich soll dort bei meinem Regimente einen Brief von der höchsten Wichtigkeit für die Königin finden. Da ich ihn nicht selbst übergeben kann, so mußte ich eine sichere Person haben, um ihr denselben zu schicken. Ich bat die Königin, mir Jemand zu bezeichnen: sie hat Sie als Denjenigen gewählt, welcher durch seine Ergebenheit am meisten ihres Vertrauens würdig.«

»Oh! Herr Herzog! gewiß bin ich des Vertrauens der Königin würdig!« rief Leonard. »Doch wie werde ich zurückkommen? Ich bin in Escarpius, weißen seidenen Strümpfen und einer seidenen Hose. Ich habe weder Wäsche, noch Geld.«

Der arme Mann vergaß, daß er für zwei Millionen Diamanten von der Königin in seinen Taschen hatte.

»Seien Sie unbesorgt, mein lieber Freund,« erwiderte Herr von Choiseul, »ich habe in meinem Wagen Stiefel, Kleider, Wäsche, Geld, Alles, was Sie brauchen, und nichts wird Ihnen fehlen.«

 

»Ei! allerdings, Herr Herzog, wird mir, ich bin es fest überzeugt, nichts bei Ihnen fehlen; doch mein armer Bruder, dessen Hut und Ueberrock ich genommen habe; doch die arme Frau von der Aage, welche nicht von mir frisirt ist  . . .  Mein Gott! mein Gott! wie wird das Alles endigen?«

»Auf das Beste, mein lieber Leonard, ich hoffe es wenigstens,« sagte Herr von Choiseul.

Man ging wie der Wind; Herr von Choiseul hatte seinen Courier beauftragt, zwei Betten und ein Abendbrod in Montmirail, wo er den Rest der Nacht zubringen würde, bereit halten zu lassen.

Als man nach Montmirail kam, fanden die Reisenden die zwei Betten bereit und das Abendbrod aufgetragen.

Abgesehen von dem Ueberrock und dem Hute seines Bruders, abgesehen von dem Schmerze, daß er gezwungen gewesen, Frau von der Aage sein Wort zu brechen, war Leonard fast getröstet. Von Zeit zu Zeit entschlüpfte ihm sogar ein Ausdruck der Zufriedenheit, woraus man leicht ersehen konnte, es schmeichle seinem Stolze, daß ihn die Königin zu einer so wichtigen Sendung, wie die, mit welcher er betraut zu werden schien, gewählt habe.

Nach dem Abendbrode gab Herr von Choiseul Befehl, daß ihn sein Wagen um vier Uhr angespannt erwarten sollte; dann legten sich die beiden Reisenden zu Bette.

Um drei Viertel aus vier Uhr sollte man an die Thüre des Herzogs klopfen, um ihn aufzuwecken, falls er schlafen würde.

Um drei Uhr hatte Herr von Choiseul noch kein Auge zugemacht, als er von seinem Zimmer aus, das über der Eingangschüre der Post lag, das Rollen eines Wagens in Begleitung von Peitschenknallen hörte, wodurch die Reisenden oder die Postillons ihre Ankunft verkündigen.

Aus dem Bette springen und zum Fenster laufen, war für Herrn von Choiseul die Sache eines Augenblicks.

Ein Cabriolet hielt vor der Thüre. Zwei Männer in der Uniform der Nationalgarde stiegen aus und verlangten dringlich Postpferde.

Wer waren diese Nationalgarden? was wollten sie um drei Uhr Morgens? Und warum verlangten sie mit dieser Dringlichkeit Pferde?

Herr von Choiseul rief seinem Bedienten und befahl ihm, anspannen zu lassen.

Dann weckte er Leonard auf.

Die zwei Reisenden hatten sich angekleidet auf ihre Betten geworfen.

Sie waren also in einem Augenblick bereit.

Als sie hinabkamen, fanden sie beide Wagen angespannt.

Herr von Choiseul befahl dem Postillon, den Wagen der zwei Nationalgarden vorausfahren zu lassen, nur sollte er ihm so folgen, daß man ihn keine Minute aus dem Gesichte verlieren würde.

Dann untersuchte er die Pistolen, die er in den Taschen seines Wagens hatte, und schüttete neues Zündkraut auf.

Man fuhr so eine oder anderthalb Meilen; doch zwischen Etoge und Chaintry schlug das Cabriolet einen Querweg ein und entfernte sich in der Richtung von Jalons oder Epernay.

Die zwei Nationalgarden, von denen Herr von Choiseul glaubte, sie haben schlimme Absichten, waren zwei brave Bürger, welche von la Ferté kamen und nach Hause zurückkehrten.

Ueber diesen Punkt beruhigt, fährt Herr von Choiseul weiter.

Um zehn Uhr durchschneidet er Chalons; um elf Uhr kommt er in Pont de Sommevelle an.

Er erkundigt sich: die Husaren sind noch nicht eingetroffen.

Er hält beim Posthause, steigt aus, verlangt ein Zimmer und zieht seine Uniform an.

Leonard betrachtete alle diese Anstalten mit einer lebhaften Besorgniß und begleitete sie mit Seufzern, welche Herrn von Choiseul rührten.

»Leonard,« sagte er zu ihm, »es ist Zeit, daß ich Sie mit der Wahrheit bekannt mache.«

»Wie? mit der Wahrheit!« rief Leonard, der von einem Erstaunen zum andern überging; »ich weiß also die Wahrheit nicht?«

»Sie wissen einen Theil davon, und ich will Ihnen das Uebrige mittheilen.«

Leonard faltete die Hände.

»Sie sind Ihren Gebietern ergeben, nicht wahr, mein lieber Leonard?«

»Auf Leben und Tod, Herr Herzog!«

»Nun wohl! in zwei Stunden werden sie hier sein.«

»Oh! mein Gott! ist das möglich?« rief der arme Friseur.

»Ja,« fuhr Herr von Choiseul fort, »hier mit den Kindern, mit Madame Elisabeth . ., Sie wissen, welche Gefahren sie gelaufen sind? (Leonard machte mit dem Kopf ein bejahendes Zeichen;) welche Gefahren sie noch laufen? (Leonard schlug die Augen zum Himmel auf.) Nun wohl! in zwei Stunden werden sie gerettet sein!«

Leonard konnte nicht antworten; er weinte heiße Thränen. Nach einiger Zeit gelang es ihm jedoch, zu stammeln:

»In zwei Stunden hier? Sind Sie dessen sicher?«

»Ja, in zwei Stunden, Sie mußten von den Tuilerien um elf Uhr oder halb zwölf Abends abreisen; sie mußten um Mittag in Chalons sein. Setzen wir anderthalb Stunden, um die vier Meilen zurückzulegen, die wir so eben gemacht haben, so werden sie spätestens um zwei Uhr hier sein. Wir verlangen zu Mittag zu speisen. Ich erwarte eine Abtheilung Husaren, welche mir Herr von Goguelat zuführen soll. Wir werden das Mittagessen so lange als möglich dauern lassen  . . . «

»Oh! Herr Herzog!« unterbrach Leonard, »ich habe keinen Hunger.«

»Gleichviel! Sie müssen sich anstrengen und dennoch speisen.«

»ja, Herr Herzog.«

»Wir lassen also das Mittagessen so lange als möglich dauern, damit wir einen Vorwand haben, zu bleiben ., . Ei! sehen Sie, die Husaren kommen! Man hörte in der That zu gleicher Zeit die Trompete und den tritt der Pferde.

In diesem Augenblick trat Herr von Goguelat in das Zimmer ein und übergab Herrn von Choiseul ein Paquet im Auftrage von Herrn von Bonillé.

Dieses Paquet enthielt sechs Blanquette und einen förmlichen Befehl, erlassen vom König an alle Officiere des Heeres, was auch ihr Grad und ihre Aucienuets sein möchten, Herrn von Choiseul zu gehorchen.

Herr von Choiseul befahl, die Pferde anzubinden, ließ Brod und Wein an die Husaren austheilen und setzte sich dann selbst zu Tische.

Die Nachrichten, welche Herr von Goguelat brachte, waren nicht gut; überall auf seinem Wege hatte er eine große Aufregung gefunden. Seit mehr als einem Jahre waren die Gerüchte von der Abreise des Königs nicht nur in Paris, sondern auch in der Provinz im Umlaufe, und die Detachements von verschiedenen Waffen, welche in Sainte-Menehould und in Varennes stationirten, hatten Verdacht, erregt.

Er hatte sogar die Sturmglocke in einer der Gemeinden unfern von der Landstraße läuten hören.

Alles dies war wohl geeignet, um selbst Herrn von Choiseul den Appetit zu benehmen. Nachdem er eine Stunde bei Tische zugebracht und es halb ein Uhr geschlagen hatte, stand er auch auf, übergab den Befehl über das Detachement an Herrn Bondet und ging aus die Landstraße, welche, da sie sich über eine Anhöhe zieht, mehr als eine halbe Meile Weges zu umfassen gestattet.

Man sah weder Courier, noch Wagen; doch darüber durfte man sich nicht wundern. Man erwartete, wie gesagt, denn Herr von Choiseul brachte die kleinen Unfälle in Anschlag, den Courier nicht vor anderthalb Stunden, den König nicht vor zwei Stunden.

Die Zeit verging indessen, und nichts erschien aus der Landstraße, wenigstens nichts, was dem, was man erwartete, glich.

Von fünf zu fünf Minuten zog Herr von Choiseul sein Uhr; Leonard sagte:

»Oh! sie werden nicht kommen. Meine arme Herrschaft! es wird ihr Unglück widerfahren sein!«

Und der arme Mann vermehrte noch durch seine Verzweiflung die Besorgnisse von Herrn von Choiseul.

Um halb drei Uhr, um drei Uhr, um halb vier Uhr kein Courier, kein Wagen! Man erinnert sich, daß der König erst um drei Uhr Chalons verließ.

Während aber Herr von Choiseul so auf der Landstraße wartete, bereitete das Verhängniß in Pont de Sommevelle ein Ereigniß vor, das den größten Einfluß auf das Drama, welches wir erzählen, haben sollte.

Das Verhängniß, wiederholen wir das Wort, hatte gemacht, daß gerade ein paar Tage vorher die Bauern eines Frau von Elboeuf gehörenden Gutes, das bei Pont de Sommevelle lag, die Bezahlung der nicht ablösbaren Steuern verweigerten.

Man bedrohte sie dann mit militärischer Execution; doch die Föderation trug ihre Früchte, und die Bauern der umliegenden Dörfer versprachen den Bauern vom Gute der Frau von Elboeuf bewaffneten Beistand, sollten sich diese Drohungen verwirklichen.

Als sie die Husaren ankommen und Halt machen sahen, glaubten die Bauern, diese erschienen in einer feindlichen Absicht.

Eilboten wurden von Pont de Sommevelle in die benachbarten Dörfer geschickt, und gegen drei Uhr fing die Sturmglocke an in der ganzen Gegend zu ertönen.

Als er diesen Lärmen hörte, kehrte Herr von Choiseul nach Pont de Sommevelle zurück; er fand seinen Unterlieutenant Herrn Boudet sehr unruhig.