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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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Dann sprach er zum Prinzen:

»Louis Philipp Joseph Herzog von Orleans, von diesem Augenblick an bist Du befreit von dem Schwure, den Du dem Vaterlande und den Gesetzen geleistet; nur vergiß Eines nicht: daß der Blitz nicht schneller trifft als, an welchem Orte Du auch verborgen sein möchtest, das unsichtbare und unvermeidliche Messer treffen würde. Lebe nun im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.«

Nachdem er so geschlossen, bezeichnete der Präsident mit der Hand dem Prinzen die Thüre des Gewölbes, die sich vor ihm öffnete.

Wie ein Mensch, der eine das Maß seiner Kräfte übersteigende Last aufgehoben, fuhr der Prinz mit seiner Hand über seine Stirne, athmete geräuschvoll, machte eine Anstrengung, um seine Füße von der Erde loszureißen, und rief, während er in das Gewölbe stürzte:

»Ha! ich werde mich also rächen!  . . . «

LXXIII
Rechenschaftsbericht

Als sie allein waren, wechselten die sechs Verlarvten und der Präsident ein paar Worte mit leiser Stimme.

Dann sagte Cagliostro laut:

»Es mögen Alle eingeführt werden; ich bin bereit, die Rechenschaft, die ich versprochen, abzulegen.«

Sogleich wurde die Thüre geöffnet, die Mitglieder der Verbindung, welche zu zwei und zwei auf und ab gingen oder in Gruppen in den Gruftgewölben plauderten, wurden eingeführt und füllten abermals den gewöhnlichen Saal der Sitzungen.

Kaum hatte man die Thüre wieder hinter dem letzten Affiliirten geschlossen, als Cagliostro, die Hand ausstreckend wie ein Mensch, der den Werth der Zeit kennt und nicht eine Secunde davon verlieren will, mit lauter Stimme begann:

»Brüder, Einige von Euch wohnten vielleicht einer Versammlung bei, welche gerade vor zwanzig Jahren fünf Meilen vom Ufer des Rheins, zwei Meilen vom Dorfe Dannenfels, in einer der Grotten des Donnersbergs stattfand. Wohnten Einige von Euch derselben bei, so mögen diese ehrwürdigen Stützen der großen Sache, die wir ergriffen haben, die Hand ausheben und sagen: »»Ich war dabei!««

Füns bis sechs Hände erhoben sich aus der Menge und bewegten sich über den Köpfen.

Zu gleicher Zeit wiederholten fünf bis sechs Stimmen, wie es der Präsident verlangt hatte: »Ich war dabei.«

»Gut, das ist Alles, was ich brauche,« sprach der Redner; »die Andern sind todt oder arbeiten auf der Oberfläche der Erde zerstreut am gemeinschaftlichen Werke, einem heiligen Werke, weil es das der ganzen Menschheit ist. Vor zwanzig Jahren war dieses Werk, das wir in seinen verschiedenen Perioden verfolgen werden, kaum begonnen; damals war der Tag, der uns erleuchtet, kaum in seinem Osten, und die festesten Blicke sahen die Zukunft nur durch die Wolke, die das Auge der Auserwählten allein zu durchdringen vermag. Dieser Versammlung werde ich erklären, durch welches Wunder der Tod, der für den Menschen nur das Vergessen der abgelaufenen Zeiten und der vergangenen Ereignisse ist, nicht für mich bestand, oder mich vielmehr, seit zwanzig Jahrhunderten, zweiunddreißigmal ins Grab gelegt, ohne daß die verschiedenen Körper, die ephemeren Erben meiner unsterblichen Seele, dieses Vergessen erlitten hätten, das, wie gesagt, der einzige wahre Tod ist. Ich konnte also durch die Jahrhunderte der Entwickelung des Wortes Christi folgen und die Völker langsam, aber sicher von der Sklaverei zur Knechtschaft und von der Knechtschaft zu jenem Zustande des Aufathmens, der der Freiheit vorangeht, übergehen sehen. Wie Sterne der Nacht, die sich beeilen und ehe die Sonne untergegangen ist, schon am Himmel glänzen, haben wir nach und nach verschiedene kleine Völker, verschiedene Städte unseres Europa es mit der Freiheit versuchen sehen: Rom, Venedig, Florenz, die Schweiz. Genna, Pisa, Lucca, Arezzo, diese Städte des Süden, wo sich die Blüthen rascher öffnen, wo die Früchte früher reifen, machten nach einander Versuche mit Republiken, von denen zwei bis drei die Zeil überlebt haben und heute noch dem Bündnisse der Könige trotzen; doch alle diese Republiken waren und sind mit der Ursünde befleckt: die einen sind aristokratisch, die andern oligarchisch, wieder andere despotisch; Genua, zum Beispiel, eine von denen, welche noch bestehen, ist hochadelig; die Einwohner, einfache Bürger in ihr, sind außerhalb ihrer Mauern alle von Adel. Nur die Schweiz allein hat einige demokratische Institutionen; doch ihre mitten unter Gebirgen verlorenen, unmerkbaren Cantone sind weder ein Beispiel, noch eine Unterstützung für das Menschengeschlecht. Dies war es also nicht, was wir brauchten: wir brauchten ein großes Land, das den Impuls nicht empfing, sondern gab; ein ungeheures Räderwerk, in das Europa eingriff; einen Planeten, der, indem er sich entflammte, die Welt erleuchten konnte!«

Ein beifälliges Gemurmel durchlief die Versammlung, Cagliostro fuhr mit begeisterter Miene fort:

»Ich befragte Gott, den Schöpfer jedes Dinges, den Regierer jeder Bewegung, die Quelle jedes Fortschrittes, und ich sah, daß er mit dem Finger auf Frankreich deutete. In der Thal, Frankreich, katholisch seit dem 5. Jahrhundert, national seit dem 11., unitarisch seit dem 16., Frankreich, das der Herr selbst seine geliebte Tochter genannt hat, ohne Zweifel, um das Recht zu haben, es in den großen Stunden der Hingebung an das Kreuz der Menschheit zu schlagen, wie er es mit Christus gethan; in der That, Frankreich, nachdem es alle Formen der monarchischen Regierung, Feudalität, Oberherrschaft und Aristokratie, abgenutzt, Frankreich schien uns am meisten geeignet, unsern Einfluß zu erfahren und zu erwiedern, und wir beschlossen, geführt durch den himmlischen Strahl, wie es die Israeliten durch die Feuersäule waren, wir beschlossen, Frankreich sollte zuerst frei sein. Werft die Blicke auf Frankreich vor zwanzig Jahren, und Ihr werdet sehen, daß eine große Kühnheit oder vielmehr ein erhabener Glaube dazu gehörte, um ein solches Werk zu unternehmen.

»Frankreich vor zwanzig Jahren war noch, in den schwachen Händen von Ludwig XV., das Frankreich von Ludwig XIV., das heißt, ein großes, aristokratisches Königreich, wo alle Rechte den Adeligen, alle Privilegien den Reichen vorbehalten waren. An der Spitze dieses Staates stand ein Mann, der zugleich das, was es Erhabenstes und Niedrigstes, Größtes und Kleinstes gibt, Gott und das Volk repräsentirte. Dieser Mann konnte mit einem Wort einen Menschen reich oder arm, glücklich oder unglücklich, frei oder gefangen, lebendig oder todt machen. Dieser Mann hatte drei Enkel, drei Prinzen berufen, ihm auf dem Throne zu folgen. Der Zufall wollte, daß derjenige, welcher durch die Natur zu seinem Nachfolger bezeichnet worden war, es auch durch die öffentliche Stimme geworden wäre, wenn es damals eine öffentliche Stimme gegeben hätte. Man nannte ihn gut, gerecht, redlich, uneigennützig, unterrichtet, beinahe Philosoph. Um auf immer die unheilvollen Kriege zu vernichten, welche in Europa die unselige Erbfolge von Karl II. entzündet hatte, wählte man für ihn die Tochter von Maria Theresia; die zwei großen Nationen, welche das wahre Gegengewicht von Europa sind, Frankreich am Ufer des atlantischen Oceans, Oesterreich am Ufer des schwarzen Meeres, sollten unauflöslich verbunden sein; das war so von Marin Theresia, dem ersten politischen Kopfe Europas, berechnet worden. In diesem Augenblick, wo Frankreich, gestützt auf Oesterreich, Italien und Spanien, in eine neue ersehnte Regierung eingehen sollte, wählten wir, nicht Frankreich, um das erste der Königreiche daraus zu machen, sondern die Franzosen, um das erste der Völker aus ihnen zu bilden. Nur fragte man sich, wer in diese Höhle des Löwen eintreten, welcher christliche Thesens, geleitet durch das Licht des Glaubens, die Krümmungen des ungeheuren Labyrinthes durchlaufen und dem königlichen Minotaurus trotzen sollte. Ich antwortete: »»Ich.«« Dann, da einige glühende Geister, einige unruhige Organisationen sich erkundigten, wie viel Zeit ich brauche um die erste Periode meines Werkes, das ich in drei Perioden abgetheilt harte, zu vollbringen, verlangte ich zwanzig Jahre. Man schrie auf. Begreift Ihr wohl? die Menschen waren Sklaven oder Leibeigene seit zwanzig Jahrhunderten, und man schrie auf, als ich zwanzig Jahre verlangte, um sie frei zu machen!«

Cagliostro ließ seinen Blick auf der Versammlung umherlaufen, in der seine Worte ironisches Lächeln hervorgerufen hatten.

Dann fuhr er fort:

»Endlich erhielt ich diese zwanzig Jahre; ich gab unsern Brüdern den bekannten Wahlspruch: Lilia pedibus destrue, und ich schritt zum Werke, indem ich Jeden aufforderte, dasselbe zu thun. Ich trat in Frankreich im Schatten der Triumphbögen ein; die Lorbeeren und die Rosen machten eine Straße von Blumen und von Blätterwerk von Straßburg bis Paris. Jeder rief: »»Es lebe die Dauphine! es lebe die zukünftige Königin!«« Die ganze Hoffnung des Königreichs hing an der Fruchtbarkeit der rettenden Vermählung. Ich will mir nun weder den Ruhm der Initiative, noch das Verdienst der Ereignisse geben. Gott war mit mir, er hat gestattet, daß ich die göttliche Hand sah, welche die Zügel seines Feuerwagens hielt. Gott sei gelobt! Ich habe die Steine vom Wege entfernt, ich habe eine Brücke über die Flüsse geschlagen, ich habe die Abgründe aufgefüllt, und der Wagen ist fortgerollt, – das ist Alles. Seht nun, Brüder, was seit zwanzig Jahren in Erfüllung gegangen ist:

»Die Parlamente aufgelöst;

»Ludwig XV., genannt der Vielgeliebte, gestorben unter der allgemeinen Verachtung:

»Die Königin sieben Jahre unfruchtbar, nach Verlauf von sieben Jahren bestrittene Kinder gebärend; angegriffen als Mutter bei der Geburt des Dauphin, entehrt als Frau bei der Halsbandgeschichte;

»Der König gesalbt unter dem Titel Ludwig der Ersehnte, unmächtig in der Politik, wie in der Liebe, von Utopien zu Utopien bis zum Bankerott, von Minister zu Minister bis zu Herrn von Calonne getrieben;

»Die Versammlung der Notablen zusammenberufen und die Reichsstände decretirend;

 

»Die Reichsstände, ernannt durch allgemeine Abstimmung, sich zur Nationalversammlung erklärend;

»Der Adel und die Geistlichkeit durch den dritten Stand besiegt;

»Die Bastille genommen;

»Die fremden Truppen ans Paris und Versailles verjagt;

»Die Nacht vom 4. August der Aristokratie die Nichtigkeit des Adels zeigend;

»Die Nacht vom 5. und 6. October dem König und der Königin die Nichtigkeit des Königthums zeigend;

»Der 14 Juli 1790 der Welt die Einheit Frankreichs zeigend;

»Die Prinzen durch die Emigration um die Gunst des Volkes gebracht;

»Monsieur durch den Prozeß von Favras seiner Popularität verlustig;

Endlich die Constitution auf dem Altar des Vaterlandes beschworen; der Präsident der Nationalversammlung auf einem Throne, dem des Königs ähnlich, sitzend; das Gesetz und die Nation unter ihnen sitzend; das aufmerksame Europa, das sich gegen uns neigt, schweigt und wartet! Alles, was nicht Beifall klatscht, zittert.

»Brüder, ist Frankreich wohl das, was ich gesagt habe, daß es sein werde, das heißt, das Räderwerk, in welches Europa eingreift, die Sonne, in der sich die Welt erleuchtet?«

»Ja! ja! ja!« riefen alle Stimmen.

»Brüder,« fuhr Cagliostro fort, »glaubt Ihr das Werk sei genug vorgerückt, daß man es sich selbst überlassen könne, glaubt Ihr, nachdem die Constitution beschworen, könne man dem königlichen Eide trauen?«

»Nein! nein! nein!« riefen alle Stimmen.

»Dann muß man die zweite revolutionäre Periode des großen demokratischen Werkes beginnen. In Euren Augen, wie in den meinigen, ich bemerke es mit Freude, ist die Föderation von 1790 kein Ziel, sondern ein Halt. Wohl, der Halt ist gemacht, man hat ausgeruht, der Hof ist wieder zu seinem Werke der Gegenrevolution geschritten; umgürten wir auch unsere Lenden, begeben wir uns wieder auf den Weg. Ohne Zweifel werden für die furchtsamen Gemüther viele Stunden der Besorgniß, viele Augenblicke der Ohnmacht kommen; oft wird der Strahl, der uns erleuchtet, zu erlöschen, die Hand, die uns führt, uns zu verlassen scheinen. Mehr als einmal wird während dieser langen Periode, die wir noch zu vollbringen haben, die Partie gefährdet, verloren sogar durch einen unvorhergesehenen Vorfall, durch ein unvermuthetes Ereigniß scheinen; Alles wird uns Unrecht zu geben scheinen: die ungünstigen Umstände, der Triumph unserer Feinde, der Undank unserer Mitbürger; Manche, und zwar vielleicht sogar von den Gewissenhaftesten, werden dazu kommen, daß sie sich selbst nach so vielen wirklichen Anstrengungen und nach so vielem scheinbarem Unvermögen fragen, ob sie nicht einen falschen Weg eingeschlagen, ob sie nicht den schlimmen Pfad betreten haben. Nein, Brüder, nein! Ich sage es Euch zu dieser Stunde, und meine Worte mögen ewig in Eurem Ohre tönen, beim Siege wie das Geschmetter der Trompeten des Triumphes, bei der Niederlage wie eine Sturmglocke; nein, die leitenden Völker haben eine heilige Sendung, welche sie providentiell, nach dem Verhängniß, erfüllen müssen; der Herr, der sie fuhrt, hat seine geheimnißvollen Wege und offenbart sich unseren Augen nur im Glanze ihrer Vollendung; oft entzieht ihn eine Wolke unseren Blicken, und man glaubt, er sei abwesend; oft weicht eine Idee zurück und scheint im Abzuge begriffen zu sein, da nimmt sie im Gegentheil, wie jene Ritter der Turniere des Mittelalters, Raum, um ihre Lanze einzulegen und aufs Neue, erfrischt und glühender, auf ihren Gegner loszusprengen. Brüder! Brüder! das Ziel, nach dem wir streben, ist der auf dem hohen Berge entzündete Leuchtthurm; zwanzigmal auf dem Wege lassen uns die Unebenheiten des Terrain denselben aus dem Gesichte verlieren, und man hält ihn für erloschen; dann murren die Schwachen, beklagen sie sich, stehen stille und sagen: »»Wir haben nichts mehr, was uns führt, wir marschiren in der Nacht, bleiben wir, wo wir sind; warum sollen wir uns verirren?«« Die Starken gehen lächelnd und vertrauensvoll weiter, und bald erscheint der Leuchtthurm wieder, um abermals zu verschwinden und wieder zu erscheinen, und jedes Mal sichtbarer und glänzender, denn er ist näher! Und so werden kämpfend, ausdauernd und besonders glaubend die Auserwählten der Welt zum Fuße des rettenden Leuchtthurmes kommen, dessen Licht eines Tages nicht nur Frankreich, sondern alle Völker erhellen soll. Schwören wir also, Brüder, schwören wir für uns und unsere Nachkommen, denn die Idee oder das ewige Princip verbrauchen oft in ihrem Dienste meiner Generationen, schwören wir also für uns und unsere Nachkommen, nicht eher anzuhalten, als bis wir ihn aus der ganzen Erde festgestellt haben, den heiligen Wahlspruch Christi, dessen ersten Theil wir schon oder beinahe errungen, den Wahlspruch: Freiheit, Gleichheit, Brüderschaft!«

Aus diese Worte von Cagliostro folgte schallender Beifall; doch unter den Rufen und Bravos machten sich, auf die allgemeine Begeisterung niederfallend wie jene eiskalten Wassertropfen, weiche vom Gewölbe eines feuchten Felsen aus eine von Schweiß triefende Stirne fallen, ausgesprochen von einer scharfen, schneidenden Stimme die Worte hörbar: »Ja, schwören wir, doch zuvor erkläre uns, wie Du diese drei Worte verstehst, damit wir, Deine einfachen Apostel, sie nach Dir erklären können.«

Ein durchdringender Blick von Cagliostro durchfurchte die Menge und beleuchtete, wie der Strahl eines Spiegels, das bleiche Gesicht des Abgeordneten von Arras.

»Es sei!« sagte Cagliostro, »höre also, Maximilian.«

Dann erhob er zugleich die Hand und die Stimme, um sich an die Menge zu wenden, und rief:

»Höret. Ihr Alle!«

LXXIV
Freiheit! Gleichheit! Brüderschaft!

Es trat in der Versammlung jenes feierliche Stillschweigen ein, welches das Maß von der Wichtigkeit gibt, die man dem was man hören soll, gewährt.

Cagliostro sprach:

»Ja, man hat Recht gehabt, mich zu fragen, was die Freiheit sei, was die Gleichheit sei, was die Brüderschaft sei; ich will es Euch sagen: Fangen wir mit der Freiheit an. Und vor Allem, Brüder, vermengt die Freiheit nicht mit der Unabhängigkeit; das sind nicht zwei Schwestern, die sich gleichen, das sind zwei Feindinnen, die sich hassen. Beinahe alle Völker, welche ein Gebirgsland bewohnen, sind unabhängig; ich weiß nicht, ob man sagen kann, daß ein einziges, die Schweiz ausgenommen, wirklich frei ist. Niemand wird leugnen, daß der Calabrese, der Corse und der Schottländer unabhängig sind. Kein Mensch wird behaupten wollen, sie seien frei. Es finde sich der Calabrese in seiner Phantasie, der Corse in seiner Ehre, der Schottländer in seinen Interessen verletzt, so wird der Calabrese, der seine Zuflucht nicht zur Gerechtigkeit nehmen kann, weil es bei einem unterdrückten Volke keine Gerechtigkeit gibt, der Calabrese, sage ich, wird an seinen Dolch, der Corse an sein Stilett, der Schotte an seinen Dirk appelliren; er schlägt, sein Feind fällt, er ist gerächt; das Gebirge ist da, das ihm ein Asyl bietet, und in Ermangelung der, vergebens vom Menschen der Städte angerufenen, Freiheit findet er die Unabhängigkeit der tiefen Höhlen, der großen Wälder, der hohen Gipfel, das heißt, die Unabhängigkeit des Fuchses, der Gemse und des Adlers. Doch Adler, Gemse und Fuchs, unempfindliche, unveränderliche, gleichgültige Zuschauer des großen menschlichen Dramas, das sich unter ihren Augen entrollt, sind auf den Instinct beschränkte und der Einsamkeit geweihte Thiere; die ursprünglichen, alten, man könnte sagen, mütterlichen Civilisationen, die Civilisationen Indiens, Elrurieus, Kleinasiens, Griechenlands und Latiums, haben ihre Wissenschaften, ihre Religionen, ihre Künste, ihre Poesieen vereinigend wie ein Bündel von Lichtern, die sie aus die Welt schüttelten, um in ihrer Wiege und in ihren Entwickelungen die moderne Civilisation zu erleuchten, die Füchse in ihren Bauen, die Gemsen auf ihren Gipfeln, die Adler inmitten ihrer Wolken gelassen; für sie blühen die Wissenschaften, doch es gibt keinen Fortschritt; für sie werden die Nationen geboren, wachsen und fallen, doch es gibt keine Lehre. Das ist so, weil die Vorsehung den Kreis ihrer Fähigkeiten auf den Instinct der individuellen Erhaltung beschränkt hat, während von Gott dem Menschen die Kenntniß des Guten und des Bösen, das Gefühl des Gerechten und des Ungerechten, die Abneigung gegen die Vereinzelung, die Liebe für die Gesellschaft verliehen worden sind. Darum hat sich der Mensch, der einsam wie der Fuchs, scheu wie die Gemse, vereinzelt wie der Adler geboren worden ist, in Familien vereinigt, in Städten zusammengezogen, in Völkern constituirt. Somit, Bruder, hat, wie ich Euch sagte, das Individuum, das sich absondert, nur ein Recht auf die Unabhängigkeit, während im Gegentheil die Menschen, die sich vereinigen, ein Recht auf die Freiheit haben.

Die Freiheit

»Das ist keine ursprüngliche und an und für sich bestehende Substanz wie das Geld; es ist eine Blüthe, es ist eine Frucht, es ist eine Kunst, kurz, es ist ein Product: man muß sie pflegen, damit sie sich erschließt und reift. Die Freiheit ist das Recht für Jeden, zu Gunsten seines Interesses, seiner Befriedigung, seiner Wohlfahrt, seiner Belustigung, seines Ruhmes Alles zu thun, was das Interesse der Anderen nicht verletzt; es ist die Abtretung eines Theiles der individuellen Unabhängigkeit, um daraus einen Grundstock allgemeiner Freiheit zu machen, aus welchem Jeder, wenn die Reihe an ihm ist, und in gleichem Maße schöpft: die Freiheit ist mehr als Alles dies; es ist die im Angesichte der Welt übernommene Verbindlichkeit, die Summe der Lichter, der Fortschritte, der Privilegien, die man errungen hat, nicht in dem selbstsüchtigen Kreise eines Volkes, einer Nation, einer Race einzuschließen, sondern sie im Gegentheil mit vollen Händen zu verbreiten, sei es als einzelner Mensch, sei es als Gesellschaft, so oft ein armes Individuum oder eine dürftige Gesellschaft Euch auffordert, Euren Schatz mit ihm zu theilen. Und befürchtet nicht, diesen Schatz zu erschöpfen, denn die Freiheit hat das göttliche Vorrecht, sich gerade durch die Verschwendung zu vervielfältigen, ähnlich jener Urne der großen die Erde befeuchtenden Ströme, welche an ihrer Quelle um so voller ist, je mehr die Ströme an ihrer Mündung Ueberfluß an Wasser haben. Das ist die Freiheit; eine himmlische Manna, auf die Jeder ein Recht hat, und die das auserwählte Volk, für die sie fällt, mit jedem Volke theilen muß, das seinen Theil fordert. Das ist die Freiheit, wie ich sie verstehe,« fuhr Cagliostro fort, ohne daß er sich nur herabließ, demjenigen, welcher Ihn interpellirt hatte, persönlich zu antworten. »Gehen wir zur Gleichheit über.«

Ein ungeheures Gemurmel des Beifalls erhob sich bis zu den Gewölben und umschlang den Redner mit jener Liebkosung, der süßesten von allen, wenn nicht für das Herz, doch wenigstens für den Stolz des Menschen, die man die Popularität nennt.

Doch er, als ein an diese menschlichen Huldigungen gewöhnter Mann, streckte die Hand aus, um Stillschweigen zu verlangen.

»Brüder,« sprach er, »die Stunde vergeht, die Zeit ist kostbar, jede Minute von dieser Zeit gräbt, benützt von den Feinden unserer heiligen Sache, einen Abgrund unter unseren Schritten oder wirft ein Hinderniß auf unserem Wege auf. Laßt mich Euch also sagen, was die Gleichheit ist, wie ich Euch gesagt habe, was die Freiheit ist.«

Es wurde in Folge dieser Worte ein vielseitiges: St! st! hörbar, dann trat abermals ein tiefes Stillschweigen ein, unter dem sich die Stimme von Cagliostro klar, sonor, nachdrucksvoll erhob.

»Brüder,« sprach er, »ich thue Euch nicht die Beleidigung an, daß ich glaube, ein Einziger von Euch habe unter dem verführerischen Worte Gleichheit einen Augenblick die Gleichheit der Materie und der Intelligenz begriffen; nein, Ihr wißt sehr wohl, daß die eine und die andere Gleichheit der wahren Philosophie widerstreiten, und die Natur selbst hat diese große Frage scharf dadurch entschieden, daß sie den Isop zur Eiche, den Hügel zum Berge, den Bach zum Flusse, den See zum Ocean, die Dummheit zum Genie gestellt. Alle Decrete der Welt werden den Chimborazo, den Himalaya oder den Mont-Blanc nicht um eine Elle erniedrigen; alle Beschlüsse einer Versammlung von Menschen werden die Flamme, welche auf der Stirne von Homer, von Dante und Shakespeare glänzt, nicht auslöschen. Niemand konnte den Gedanken haben, die vom Gesetze sanctionirte Gleichheit werde die materielle und physische Gleichheit sein; von dem Tage, wo dieses Gesetz in die Tafeln der Constitution eingezeichnet sei, werden die Generationen die Größe von Goliath, den Muth des Cid, das Genie von Voltaire haben; nein, Individuen und Masse, haben wir vollkommen begriffen und müssen wir vollkommen begreifen, daß es sich einfach um die sociale Gleichheit handelt. Brüder, was ist aber die sociale Gleichheit?

Die Gleichheit

»Es ist die Aushebung aller übertragbarer! Privilegien; der freie Zugang zu jedem Amte, zu jedem Grade, zu jedem Range; es ist die dem Verdienste, dem Genie, der Tugend bewilligte Belohnung und nicht mehr die Apanage einer Kaste, einer Familie oder einer Race. So ist oder wird vielmehr der Thron, angenommen, es bleibe ein Thron, nur noch ein höherer Posten sein, zu welchem der Würdigste gelangen kann, während aus niedrigeren Stufen und nach ihren Verdiensten diejenigen stehen bleiben werden, welche secundärer Posten würdig sind, ohne daß man sich in Betreff der Könige, der Minister, der Räthe, der Generale, der Richter einen Augenblick mehr, wenn man sie angekommen sieht, darum bekümmert, von wo sie ausgegangen sind. Es werden also Königthum oder Magistratur, Monarchenthron oder Präsidentenstuhl nicht mehr die erbliche Apanage der Race sein: Wahl. Also für den Rath, für den Krieg, für die Rechtspflege kein Privilegium in der Race mehr: Befähigung. Also für die Künste, für die Wissenschaften, für die Literatur keine Gunst mehr: Wetteifer. Das ist die sociale Gleichheit! Dann, so wie mit der nicht nur unentgeldlichen und Allen zugänglichen, sondern für Alle zwangsweisen Erziehung die Ideen wachsen werden, muß die Gleichheit mit ihnen steigen; die Gleichheit, statt mit den Füßen im Kothe zu bleiben, muß ihren Sitz aus den höchsten Gipfeln haben; eine große Nation wie die französische darf nur die Gleichheit anerkennen, welche erhebt, und nicht die, welche erniedrigt; die Gleichheit, welche erniedrigt, ist nicht mehr die des Titanen, es ist die des Banditen; es ist nicht das kaukasische Lager von Prometheus, es ist das Bett von Prokrustes. – Das ist die Gleichheit.«

 

Eine solche Definition mußte nothwendig alle Stimmen in einer Gesellschaft von Menschen mit erhabenem Geiste, mit ehrgeizigem Herzen vereinigen, wo Jeder, abgesehen von einigen seltenen Ausnahmen von Bescheidenheit, natürlich in seinem Nachbar eine von den Stufen seiner zukünftigen Erhebung sehen durfte. Das Geschrei, das Stampfen mit den Füßen, die Hurrahs und die Bravos brachen auch los und bezeugten, daß selbst diejenigen, und es waren solche in der Versammlung, welche, im Augenblicke der Ausübung, die Gleichheit auf eine andere Art treiben sollten, als Cagliostro sie verstand, doch in dieser Stunde der Theorie die Gleichheit so annahmen, wie sie das mächtige Genie des seltsamen Hauptes, das sie sich gewählt, begriff.

Aber Cagliostro, glühend, erleuchteter glänzender, je mehr die Frage wuchs und größer wurde, verlangte Stillschweigen, wie er es schon gethan, und fuhr mit einer Stimme fort, in welcher man unmöglich die geringste Ermüdung erkennen oder das leichteste Zögern wahrnehmen konnte:

»Brüder, wir sind nun zum dritten Worte des Wahlspruches gelangt, zu dem, welches die Menschen zu begreifen am längsten brauchen werden, und das ohne Zweifel aus diesem Grunde der große Civilisator zuletzt gesetzt hat. Brüder, wir sind zur Brüderschaft gelangt.

Brüderschaft

»Oh! großes Wort, wenn es wohl begriffen wird! erhabenes Wort, wenn es gut erklärt wird! Gott behüte mich, daß ich sage, derjenige, welcher, da er die Höhe dieses Wortes schlecht gemessen, es in seiner engen Bedeutung nehme, um es auf die Einwohner eines Dorfes, auf die Bürger einer Stadt, auf die Menschen eines Königreichs anzuwenden, sei ein schlechtes Herz  . . .  Nein, Brüder, nein, das wird nur ein armseliger Geist sein. Beklagen wir die armseligen Geister, suchen wir die bleiernen Sandalen der Mittelmäßigkeit abzuschütteln. Als Satan Jesus in Versuchung führen wollte, brachte er ihn auf den höchsten Berg der Welt, von wo aus er ihm alle Reiche der Erde zeigen konnte, und nicht auf den Thurm von Nazareth, wo er ihn nur die armen Dörfer von Judäa sehen zu lassen vermochte. Brüder, nicht auf eine Stadt, nicht einmal auf ein Königreich muß man die Brüderschaft anwenden, man muß sie auf die ganze Welt erstrecken. Brüder, es wird ein Tag kommen, wo das Wort, das uns geheiligt scheint: das Vaterland, wo ein zweites Wort, das uns heilig scheint: die Nationalität, verschwinden werden wie jene Theatervorhänge, die man nur provisorisch herunterläßt, um den Malern und Maschinisten die Zeit zu geben, endlose Fernsichten, unermeßliche Horizonte vorzubereiten, Brüder, es wird ein Tag kommen, wo die Menschen, welche schon die Erde und das Wasser erobert haben, das Feuer und die Luft erobern werden; wo sie Flammenrosse nicht allein an den Geist, sondern auch an die Materie anspannen werden; wo die Winde, welche heute nur unbotmäßige Couriere des Sturmes sind, die verständigen und gelehrigen Boten der Civilisation sein werden. Brüder, es wird endlich ein Tag kommen, wo die Völker durch die Communicationsmittel der Erde und der Luft, gegen welche die Könige keine Macht besitzen, begreifen werden, daß sie mit einander durch die Solidarität der vergangenen Schmerzen verbunden sind, daß diese Könige, die ihnen die Waffen in die Hand gegeben, um sich einander zu vertilgen, sie nicht zum Ruhme, wie sie ihnen sagten, sondern zum Brudermorde angetrieben, und daß sie fortan der Nachwelt werden Rechenschaft geben müssen über jeden dem geringsten Mitgliede der großen menschlichen Familie entzogenen Blutstropfen. Dann, Brüder, werdet Ihr ein prächtiges Schauspiel im Angesichte des Herrn sich entrollen sehen; jede erkünstelte, jede ideale Grenze wird verschwinden; die Flüsse werden nicht mehr ein Hemmniß, die Berge werden nicht mehr ein Hinderniß sein; von einer Seite der Flüsse zur andern werden sich die Völker die Hand reichen, und auf jedem hohen Berggipfel wird sich ein Altar erheben, der Altar des Vaterlands. Brüder! Brüder! Brüder! ich sage Euch, das ist die wahre Brüderschaft des Apostels. Christus ist nicht gestorben, um die Nazaräer allein zu erlösen, Christus ist gestorben, um alle Völker der Erde zu erlösen. Macht also aus den drei Worten Freiheit, Gleichheit, Brüderschaft nicht nur den Wahlspruch von Frankreich; schreibt sie aus das Labarum der Menschheit als den Wahlspruch der Welt  . . .  Und nun gehet, Brüder, Eure Ausgabe ist groß, so groß, daß, durch welches Thal der Thränen oder des Blutes Ihr auch schreiten wöget, Eure Nachkommen Euch um die heilige Sendung, die Ihr erfüllt, beneiden, und, wie jene Kreuzfahrer, die sich immer zahlreicher und gedrängter auf den nach den heiligen Orten führenden Wegen folgten, werden sie nicht stille stehen, obgleich sie sehr oft ihre Straße nur an den gebleichten Knochen ihrer Väter zu erkennen im Stande sein dürften  . . .  Muth also, Apostel! Muth, Pilger! Muth, Soldaten!  . . .  Apostel bekehret! Pilger wandert! Soldaten kämpft! —«

Cagliostro hielt inne; doch er würde nicht inne gehalten haben, hätten ihn nicht die Bravos, das Beifallklatschen und die Rufe der Begeisterung unterbrochen.

Dreimal erloschen sie und dreimal erhoben sie sich wieder, unter den Gewölben der Ernst wie ein unterirdischer Sturm hinrollend.

Hierauf verbeugten sich die sechs Verlarvten einer nach dem andern vor ihm, küßten ihm die Hand und zogen sich zurück.

Dann verbeugte sich Jeder von den Brüdern vor dieser Estrade, wo, wie ein zweiter Peter der Einsiedler, der neue Apostel den Kreuzzug der Freiheit gepredigt hatte, wiederholte den verhängnißvollen Wahlspruch: »Lilia pedibus destrue,« und ging ab.

Mit dem Letzten erlosch die Lampe.

Und Cagliostro blieb allein, begraben in den Eingeweiden der Erde, verloren im Schweigen und in der Finsterniß, jenen Göttern Indiens ähnlich, in deren Mysterien er zweitausend Jahre vorher eingeweiht worden zu sein behauptete.