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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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Pitou trug sein Wörtchen zum Studiendirector, nahm ein Excat und ging in den Hof hinab.

Die Zusammenkunft mit dem Abbé Béradier hatte eine gewisse Befriedigung der Eitelkeit bei Pitou zur Folge gehabt; er hatte sich als den armen Bauernknaben zu erkennen gegeben, der mit einem Helme auf dem Kopfe, mit einem Säbel bewaffnet und ein wenig der Hose beraubt vor einem Jahre, gerade am Tage der Einnahme der Bastille, in der Anstalt zugleich durch die Waffen, die er besaß, und durch die Kleidung, die ihm fehlte, Aufruhr erregt hatte. Heute erschien er mit dem dreieckigen Hute, mit dem blauen Rocke, mit dem weißen Revers, mit der kurzen Hose und mit den Epauletten des Kapitäns auf der Schulter; heute erschien er mit jenem Selbstvertrauen, welches die Achtung verleiht, mit der man von seinen Mitbürgern umgeben wird; heute erschien er als Abgeordneter bei der Föderation; erhalte also ein Recht auf alle Arten von Rücksichten.

Beinahe zu gleicher Zeit, als Pitou die Treppe des Studiendirectors hinabstieg, ging Sebastian, der ein besonderes Zimmer hatte, die Treppe von seiner Wohnung hinab.

Sebastian war kein Kind mehr; er war ein reizender junger Mensch von sechzehn bis siebenzehn Jahren, dessen Gesicht schöne kastanienbraune Haare umrahmten, dessen blaue Augen die ersten jugendlichen Flammen, golden wie die Sonne des entstehenden Tages, schleuderten.

»Hier bin ich,« sagte er heiter zu Pitou, »laß uns gehen.«

Pitou schaute ihn mit einer so großen Freude gemischt mit einem so großen Erstaunen an, daß Sebastian genöthigt war, seine Einladung zu wiederholen.

Nach dieser Wiederholung folgte Pitou dem jungen Manne.

Als sie zum Gitter kamen, sagte Pitou zu Sebastian:

»Ah! ich weiß nicht, wohin wir gehen, an Dir ist es also, die Adresse zu geben.«

»Sei ruhig,« erwiderte Sebastian.

Und er wandte sich an den Kutscher und rief ihm zu: »Rue Coq-Héron Nro. 9. beim ersten Thorwege, wenn man durch die Rue Coquillière hereinkommt.«

Diese Adresse sagte Pitou durchaus nichts. Pitou stieg auch hinter Sebastian in den Wagen, ohne irgend eine Bemerkung zu machen.

»Aber, mein lieber Pitou,« sagte Sebastian, »wenn die Person, zu der ich gehe, zu Hause ist, so werde ich eine Stunde und vielleicht mehr bei ihr bleiben.«

»Sei hierüber unbesorgt,« versetzte Pitou, indem er seinen großen Mund öffnete, um lustig zu lachen, »es ist für den Fall vorhergesehen. He! Kutscher! halt!«

Man fuhr in der That an einem Bäcker vorbei; der Kutscher hielt an, Pitou stieg aus, kaufte sich einen zweipfündigen Laib Brod und setzte sich wieder in den Fiacre.

Ein wenig weiter hielt der Kutscher abermals an.

Das war vor einer Schenke.

Pitou stieg aus, kaufte eine Flasche Wein und nahm wieder seinen Platz neben Sebastian.

Endlich hielt der Kutscher zum dritten Male an; das war vor einem Speckhändler.

Pitou stieg aus und kaufte einen Vierling Schweinskäse.

»Nun, vorwärts,« sagte er, »fahren Sie, ohne anzuhalten, nach der Rue Coq-Héron, ich habe Alles, was ich brauche.«

»Gut,« sprach Sebastian, »ich begreife nun, was Du thun willst, und ich bin ganz ruhig.«

Der Wagen rollte bis zur Rue Coq-Héron und hielt erst bei Nro. 9 an.

Je näher er dem Hause kam, desto mehr schien Sebastian von einer fieberhaften Aufregung ergriffen zu sein. Er stand im Wagen, beugte den Kopf zum Schlage hinaus und rief dem Kutscher zu, ohne daß diese Aufforderung, wir müssen es zur Ehre des Kutschers und seiner zwei Rosse sagen, den Fiacre ein wenig rascher fahren machte:

»Vorwärts, Kutscher, fahren Sie doch! vorwärts!«

Da indessen jedes Ding sein Ziel erreichen muß, der Bach den Fluß, der Fluß den Strom, der Strom das Meer, so erreichte der Fiacre die Rue Coq-Héron und hielt, wie gesagt, vor Nro. 9 an.

Sogleich, ohne die Hilfe des Kutschers abzuwarten, öffnete Sebastian den Kutschenschlag, umarmte Pitou zum letzten Male, sprang zu Boden, klingelte lebhaft an der Thüre, fragte, als sie geöffnet wurde, den Concierge nach der Frau Gräfin von Charny, und eilte, ehe er ihm geantwortet hatte, nach dem Pavillon.

Der Concierge, der einen reizenden, wohlgekleideten jungen Menschen sah, versuchte es nicht einmal, ihn aufzuhalten, und da die Gräfin zu Hause war, beschränkte er sich darauf, daß er die Thüre wieder schloß, nachdem er sich versichert hatte, Niemand folge dem jungen Menschen und wünsche mit ihm einzutreten.

Nach Verlauf von fünf Minuten, während Pitou mit seinem Messer den Schweinskäse anschnitt, zwischen seinen Knieen die entpfropfte Flasche hielt und mit kräftigen Zähnen in das zarte Brod mit der krachenden Kruste biß, öffnete sich der Schlag des Fiacre, und der Concierge, mit seiner Mütze in der Hand, richtete an Pitou folgende Worte, die dieser sich zweimal wiederholen ließ:

»Die Frau Gräfin von Charny bittet den Herrn Kapitän Pitou, ihr die Ehre zu erweisen, bei ihr einzutreten, statt Herrn Sebastian im Fiacre zu erwarten.«

Pitou ließ sich, wie gesagt, diese Worte zweimal wiederholen; da aber beim zweiten Male keine Täuschung mehr möglich war, so sah er sich genöthigt, mit einem Seufzer seinen Mundvoll zu verschlucken, dem Papiere, in das er gewickelt war, den Theil vom Schweinskäse, welchen er schon vom Ganzen getrennt hatte, zurückzugeben und seine Flasche fest in die Ecke des Fiacre zu stützen, damit der Wein nicht herauslaufe.

Dann folgte er ganz betäubt von dem Abenteuer dem Concierge. Doch bald verdoppelte sich seine Verwirrung, als er sah, daß er im Vorzimmer von einer schönen Dame erwartet wurde, welche, während sie Sebastian an ihre Brust drückte, ihm, Pitou, die Hand reichte und zu ihm sagte:

»Herr Pitou, Sie haben mir, indem Sie mir Sebastian brachten, eine so große und unerwartete Freude gemacht, daß ich Ihnen selbst danken wollte.«

Pitou schaute, Pitou stammelte, Pitou ließ aber die Hand der schönen Dame gegen ihn ausgestreckt.

»Nimm diese Hand und küsse sie, Pitou,« sagte Sebastian, »meine Mutter erlaubt es.«

»Deine Mutter!« rief Pitou.

Sebastian nickte bejahend mit dem Kopfe.

»Ja, seine Mutter,« sprach Andrée mit einem vor Freude strahlenden Blicke; »seine Mutter, der Sie ihn nach einer Abwesenheit von neun Monaten zurückgebracht haben; seine Mutter, die ihn nur ein einziges Mal gesehen, und die, in der Hoffnung, Sie werden ihr ihn abermals bringen, kein Geheimniß für Sie haben will, obgleich dieses Geheimniß ihr Untergang sein müßte, wenn es bekannt würde.«

So oft man sich an das Herz und die Redlichkeit von Pitou wandte, durfte man sicher sein, daß der arme Junge auf der Stelle jede Befangenheit und jedes Stocken verlor.

»Oh! Madame!« rief er, während er die Hand, die ihn die Gräfin reichte, ergriff und sie küßte, »seien Sie unbesorgt, Ihr Geheimniß ist hier.«

Und er richtete sich hoch auf und legte mit einer gewissen Würde seine Hand aus sein Herz.

»Herr Pitou,« fuhr die Gräfin fort, »mein Sohn sagt mir, Sie haben nicht gefrühstückt; treten Sie in das Speisezimmer ein, und während ich mit Sebastian plaudere, (nicht wahr, Sie bewilligen dieses Glück einer Mutter?) wird man Sie bedienen, und Sie werden die verlorene Zeit wieder einbringen.«

Und sie grüßte Pitou mit einem von den Blicken, die sie nie für die reichsten Herren des Hofes von Ludwig XV. oder des Hofes von Ludwig XVI. gehabt hatte, zog Sebastian durch den Salon bis in ihr Schlafzimmer fort und ließ Pitou, der abermals sehr betäubt war, im Speisezimmer auf die Wirkung des Versprechens, das man ihm gegeben, warten.

Nach einigen Augenblicken ging dieses Versprechen in Erfüllung. Zwei Cotelettes, ein kaltes Huhn und ein Topf mit eingemachten Früchten waren auf dem Tische aufgestellt, bei einer Flasche Bordeauxwein, einem Stängelglase von venetianischem Krystall und einem Haufen Teller von chinesischem Porzellan.

Trotz der Eleganz des Service wagen wir es nicht, zu behaupten, daß sich Pitou nicht nach seinem zweipfündigen Brodlaibe, seinem Schweinskäse und seiner Flasche Wein mit dem grünen Siegel zurücksehnte.

Als er sein Huhn in Angriff nahm, nachdem er seine zwei Cotelettes verzehrt hatte, öffnete sich das Speisezimmer, und es erschien ein junger Cavalier, der dieses Zimmer durchschreiten wollte, um sich in den Salon zu begeben.

Pitou schlug die Augen auf, der junge Cavalier senkte die Augen; Beide erkannten sich gleichzeitig und gaben gleichzeitig den doppelten Ruf der Erkennung von sich:

»Der Herr Vicomte von Charny! Ange Pitou!«

Pitou stand auf, sein Herz schlug heftig: der Anblick des jungen Mannes erinnerte ihn an die schmerzlichsten Gemüthsbewegungen, die er je erlitten hatte.

Was Isidor betrifft, so erinnerte ihn der Anblick von Pitou durchaus an nichts, als an die Verbindlichkeiten, welche Catherine, wie sie ihm gesagt, gegen den braven Jungen hatte.

Er wußte ganz und gar nichts und hatte nicht einmal eine Vermuthung von der tiefen Liebe von Pitou für Catherine, eine Liebe, aus welcher Pitou seine Ergebenheit zu schöpfen die Kraft gehabt hatte. Er ging daher gerade auf Pitou zu, in welchem er aus Gewohnheit den Bauern von Haramont, den Sammler der Wolfsheide, den Knecht im Pachthofe von Billot sah.

»Ah! Sie sind es, Herr Pitou,« sagte er; »ich bin entzückt, Sie zu treffen, um Ihnen meinen innigen Dank für die Dienste auszusprechen, die Sie uns geleistet haben.«

»Herr Vicomte,« erwiderte Pitou mit ziemlich fester Stimme, obschon er seinen ganzen Körper beben fühlte, »diese Dienste habe ich in Absicht auf Mademoiselle Catherine, und auf sie allein geleistet.«

»Ja, bis zu dem Augenblick, wo Sie erfuhren, daß ich sie liebte; seit diesem Augenblick muß ich meinen Theil an Ihren Diensten erkennen, und da Sie sowohl um meine Briefe in Empfang zu nehmen, als um das Häuschen am Clouis-Stein zu bauen, Ausgaben gehabt haken müssen  . . . «

Hier legte Isidor die Hand an seine Tasche, als wollte er durch eine Demonstration das Gewissen von Pitou befragen.

 

Doch dieser hielt ihn zurück und sprach mit jener Würde, die man zuweilen bei ihm zu finden erstaunt war:

»Mein Herr, ich leiste Dienste, wenn ich kann, doch ich lasse sie mir nicht bezahlen; überdies wiederhole ich Ihnen, ich habe diese Dienste Mademoiselle Catherine geleistet. Mademoiselle Catherine ist meine Freundin; glaubt sie mir etwas schuldig zu sein, so wird sie diese Schuld mit mir abmachen; Sie aber, mein Herr, sind mir nichts schuldig, denn ich habe Alles für Mademoiselle Catherine und nichts für Sie gethan; Sie haben mir also nichts zu bieten.«

Diese Worte, und besonders der Ton, mit dem sie gesprochen wurden, fielen Isidor auf; vielleicht bemerkte er jetzt erst, daß derjenige, welcher sie sprach, eine Uniform anhatte und Kapitänsepauletten trug.

»Doch, Herr Pitou,« versetzte Isidor, indem er leicht den Kopf neigte, »ich bin Ihnen Etwas schuldig und habe Ihnen Etwas zu bieten. Ich bin Ihnen meinen Dank schuldig und habe Ihnen meine Hand zu bieten; ich hoffe, Sie werden mir das Vergnügen machen, den einen anzunehmen, und die Ehre erweisen, die andere zu berühren.«

Es lag eine solche Großartigkeit der Manier in der Antwort von Isidor und in der Geberde, die sie begleitete, daß Pitou besiegt die Hand ausstreckte und mit dem Ende der Finger die Finger von Isidor berührte.

In diesem Augenblick erschien die Gräfin von Charny aus der Schwelle der Thüre des Salon.

»Herr Vicomte,« sagte sie, »Sie haben nach mir verlangt, hier bin ich.«

Isidor grüßte Pitou und begab sich der Einladung der Gräfin entsprechend in den Salon.

Nur, da er die Thüre des Salon zumachen wollte, ohne Zweifel, um mit der Gräfin allein zu sein, hielt Andrée diese Thüre zurück, welche hierdurch ein wenig geöffnet blieb.

Es war sichtbar die Absicht der Gräfin, daß es so sein solle.

Pitou konnte also hören, was im Salon gesprochen wurde.

Er bemerkte, daß die mit der seinigen parallele Thüre des Salon, welche die des Schlafzimmers, auch offen war, so daß, obgleich er unsichtbar blieb, Sebastian hören könnte, was zwischen der Gräfin und dem Vicomte gesprochen würde, wie er es selbst zu hören vermochte.

»Sie haben mich bitten lassen?« sagte die Gräfin zu ihrem Schwager. »Darf ich wissen, was mir das Glück Ihres Besuches verschafft?«

»Madame, ich habe gestern Briefe von Olivier erhalten; wie er es in den anderen Briefen, die ich von ihm empfangen, gethan hat, beauftragt er mich, Ihnen sein Andenken zu Füßen zu legen; er weiß noch nicht die Zeit seiner Rückkehr und wäre glücklich, wie er mir schreibt, wenn er Nachricht von Ihnen erhielte. Wollen Sie mir nun einige Zeilen an ihn übergeben oder mich einfach mit Ihren Grüßen beauftragen?«

»Mein Herr,« erwiderte die Gräfin, »ich habe bis heute den Brief, den mir Herr von Charny bei seiner Abreise geschrieben, noch nicht erwiedern können, doch ich werde gern Ihre Vermittelung benützen, um ihn der Pflichtgefühle einer unterwürfigen und ehrerbietigen Frau zu versichern. Morgen also, wenn Sie die Güte haben wollen, einen Brief für Herrn von Charny in Anfang zu nehmen, werde ich denselben bereit halten.«

»Schreiben Sie immerhin den Brief, Madame, nur, statt ihn morgen abzuholen, werde ich ihn in fünf bis sechs Tagen abholen; ich habe eine durchaus nothwendige Reise zu machen und weiß nicht genau, wie lange sie dauern wird; doch unmittelbar nach meiner Rückkehr werde ich Ihnen meine Hochachtung bezeigen und Ihre Aufträge entgegennehmen.«

Hiernach grüßte Isidor die Gräfin, welche seinen Gruß erwiderte und ihm ohne Zweifel einen andern Ausgang bezeichnete, denn um sich zu entfernen, durchschritt er nicht das Speisezimmer, wo Pitou, nachdem er das Huhu verzehrt, wie er zuvor die zwei Cotelettes verzehrt hätte, den Topf mit eingemachten Früchten in Angriff zu nehmen begann.

Der Topf mit eingemachten Früchten war längst geleert und sauber, wie das Glas, aus welchem Pitou die letzten Tropfen seiner Flasche Bordeauxwein getrunken, als die Gräfin Sebastian zurückbrachte.

Es wäre schwierig gewesen, das strenge Fräulein von Tavernen oder die ernste Gräfin Charny in der jungen Mutter mit den vor Freude glänzenden Augen, mit den von einem unaussprechlichen Lächeln erleuchteten Munde zu erkennen, welche, aus ihren Sohn gestützt, wiedererschien; ihre bleichen Wangen hatten, unter Thränen von einer unbekannten Süßigkeit und zum ersten Male vergossen, eine rosenfarbige Tinte angenommen, welche Andrée selbst in Erstaunen setzte, Andrée, die die mütterliche Liebe, das heißt die Hälfte der Existenz der Frau, während dieser mit ihrem Kinde zugebrachten zwei Stunden in sich selbst zurückkehren gemacht hatte.

Sie bedeckte noch einmal mit Küssen das Gesicht von Sebastian; dann übergab sie ihn Pitou, indem sie die rauhe Hand des braven Jungen in ihren Händen drückte, welche von erhitztem und erweichtem Marmor zu sein schienen.

Sebastian seinerseits umarmte Andrée mit der Gluth, die ihm bei Allem, was er that, eigenthümlich war, und die allein in Beziehung auf seine Mutter für einen Augenblick jener unvorsichtige Ausruf hatte erkalten können, den Andrée, als sie mit ihm von Gilbert sprach, nicht zurückzuhalten im Stande gewesen war.

Doch während seiner Einsamkeit im College Saint- Louis, während seiner Spaziergänge in dem abgesonderten Garten war das sanfte, mütterliche Phantom wiedererschienen, und die Liebe war allmälig in das Herz des Knaben zurückgekehrt, so daß, als zu Sebastian der Brief von Gilbert kam, der ihm erlaubte, unter der Führung von Pitou ein paar Stunden bei seiner Mutter zuzubringen, dieser Brief die geheimsten und theuersten Wünsche des Kindes erfüllte.

Ein Zartgefühl von Gilbert hatte diese Zusammenkunft verzögert; er begriff, daß er, wenn er selbst Sebastian zu Andrée führte, ihr durch seine Gegenwart die Hälfte des Glückes, ihren Sohn zu sehen, benahm, und ließ er ihn durch einen Andern als Pitou, dieses gute Herz, diese naive Seele, dahin fuhren, so gefährdete er ein Geheimniß, das nicht das seinige war.

Pitou nahm Abschied von der Gräfin von Charny, ohne eine Frage zu machen, ohne einen Blick der Neugierde aus das zu werfen, was ihn umgab, und Sebastian fortziehend, welcher halb zurückgewendet Küsse mit seiner Mutter wechsele, erreichte er den Fiacre, wo er sein Brod, seinen in Papier gewickelten Schweinskäse und seine in der Ecke stehende Flasche Wein wiederfand.

Ebenso wenig hierbei als bei seiner Reise von Villers-Coterets war Etwas, was Pitou betrüben konnte.

Schon an demselben Abend arbeitete Pitou aus dem Marsfelde; er kehrte am anderen Tage und die folgende, Tage dahin zurück; er erhielt viele Complimente von Herrn Maillard, der ihn erkannt, und von Herrn von Bailly, dem er sich zu erkennen gegeben. Er traf wieder die Herren Elie und Hullin, Sieger der Bastille, wie er, und sah ohne Neid die Medaille, welche sie am Knopfloche trugen, und auf die er und Billot ebenso viel Recht als irgend Jemand in der Welt hatten. Endlich erschien der große Tag, und er nahm schon am Morgen seinen Platz mit Billot bei der Porte Saint-Denis ein. Er hakte vom Ende von drei verschiedenen Stricken einen Laib Brod, einen Schinken und eine Flasche Wein los. Er gelangte zu der Höhe vom Altar des Vaterlands, wo er eine Farandole, an einer Hand eine Künstlerin der Oper, an der andern eine Bernhardinernonne haltend, tanzte. Beim Einzuge des Königs nahm er wieder seinen Rang ein, und er hatte die Befriedigung, sich durch Lafayette repräsentirt zu sehen, was eine große Ehre für ihn, Pitou, war; dann, als die Schwüre geleistet, als die Kanonenschüsse gefeuert, als die Fanfaren in die Lüfte geschlendert waren, als Lafayette mit seinem Schimmel durch die Reihen seiner theuren Kameraden ritt, ward ihm die Freude zu Theil, daß er von ihm erkannt wurde, – und einen von den dreißig- bis vierzigtausend Händedrücken bekam, die der General an diesem Tage austheilte; wonach er das Marsfeld mit Billot verließ und da und dort stehen blieb, um den Spielen zuzuschauen, die Beleuchtungen und die Kunstfeuerwerke der Champs-Elysées zu betrachten; hierauf folgte er den Boulevards, und um nichts von den Belustigungen dieses großen Tages zu verlieren, ging er, statt sich zu Bette zu legen, wie es jeder Andere nach einer solchen Anstrengung gethan hätte, ging, sagen wir, Pitou, der nicht wußte, was müde sein heißt, nach der Bastille, wo er in einer Ecke des Thurmes einen unbesetzten Tisch fand, aus welchen er erwähnter Maßen zwei Pfund Brod, zwei Flaschen Wein und eine Fleischwurst bringen ließ.

Für einen Menschen, der nicht wußte, daß Frau von Charny eine Abwesenheit von sieben bis acht Tagen ankündigend, Isidor in Villers-Coterets diese sieben bis acht Tage zubringen wollte; für einen Menschen, der nicht wußte, daß sechs Tage vorher Catherine einen Knaben geboren, daß sie das kleine Haus beim Clouis-Steine in der Nacht verlassen, daß sie am Morgen in Paris mit Isidor angekommen, und da sie ihn und Billot bei der Porte-Saint Martin erblickt, einen Schrei ausgestoßen und sich in den Wagen zurückgeworfen hatte, war nichts sehr Trauriges, im Gegentheil, in dieser Arbeit auf dem Marsfelde, in diesem Zusammentreffen mit Herrn Maillard, Herrn Bailly, Herrn Elie und Herrn Hullin, in dieser zwischen einer Künstlerin der Oper und einer Bernhardinernonne getanzten Farandole, in diesem Wiedererkennen von Lafayette, in diesem Händedruck, den er von ihm zu empfangen die Ehre gehabt, in diesen Beleuchtungen endlich, in diesen Kunstfeuerwerken, in dieser nachgemachten Bastille und dem mit einem Laib Brod, einer Wurst und zwei Flaschen Wein belasteten Tische.

Die einzige Sache, welche Pitou hätte traurig machen können, war also die Traurigkeit von Billot.

LXXI
Das Rendez-vous

Pitou beschloß, wie man am Anfang des vorhergehenden Kapitels gesehen, ebenso sehr um sich selbst in Heiterkeit zu erhalten, als um die Traurigkeit von Billot zu zerstreuen, Pitou beschloß, sagen wir, den Pächter anzureden.

»Sprechen Sie, Vater Billot,« begann er nach einem kurzen Stillschweigen, unter welchem er einen Vorrath von Worten gesammelt zu haben schien, wie ein Tirailleur, ehe er das Feuer eröffnet, sich mit einem Vorrathe von Patronen versieht, »wer Teufels hätte gerade vor einem Jahre und zwei Tagen vermuthen können, als Mademoiselle Catherine mir einen Louis d’or gab und die Stricke, die meine Hände fesselten, mit diesem Messer  . . .  sehen Sie hier  . . .  durchschnitt, wer hätte vermuthen können, es werden in einem Jahre und zwei Tagen so viele Ereignisse vorfallen?«

»Niemand,« antwortete Billot, ohne daß Pitou bemerkte, welchen furchtbaren Blick das Auge des Pächters schlenderte, als er, Pitou, den Namen von Catherine aussprach.

Pitou wartete, um zu sehen, ob Billot nicht ein paar Worte dem einzigen Worte, das er auf einen langen Satz, der dem Redner ziemlich gut gedreht zu sein schien, erwiedert hatte, beifügen würde.

Als er aber wahrnahm, daß Billot schwieg, lud Pitou, wie jener Tirailleur, von dem wir so eben gesprochen, sein Gewehr wieder und fuhr, zum zweiten Male feuernd, fort:

»Sprechen Sie doch, Vater Billot, wer hätte uns gesagt, als Sie mir auf der Ebene von Ermenonville nachliefen; als Sie Cadet und mich beinahe zu Tode gejagt hätten; als Sie mich einholten, als Sie sich nannten, als Sie mich hinter Ihnen aufsitzen ließen; als Sie in Dammartin das Pferd wechselten, um schneller in Paris zu sein; als wir nach Paris kamen, um die Barrièren brennen zu sehen; als wir im Faubourg de la Villette von den Kaiserlichen herumgestoßen wurden; als wir eine Procession trafen, welche schrie: »»Es lebe Herr Necker!«« und: »»Es lebe der Herzog von Orleans!«« als Sie die Ehre hatten, einen von den Stäben der Bahre zu tragen, aus welcher die Büsten dieser zwei großen Männer standen, während ich Margot das Leben zu retten versuchte; als Royal-Allemand aus der Place Vendome nach uns feuerte und Ihnen die Büste von Herrn Necker auf den Kopf fiel; als wir durch die Rue Saint-Honoré flohen und: »»Zu den Waffen! man ermordet unsere Brüder!«« riefen, – wer hätte uns da gesagt, wir werden die Bastille nehmen?«

»Niemand,« antwortete der Pächter ebenso lakonisch als das erste Mal.

»Teufel!« sagte Pitou beiseit, nachdem er einen Augenblick gewartet hatte, »es scheint, das ist ein gefaßter Entschluß  . . .  Auf! feuern wir zum dritten Mal.«

Dann sprach er laut:

»Sagen Sie, Vater Billot, wer hätte geglaubt, als wir die Bastille genommen, nach einem Jahre auf den Tag nach dieser Einnahme werde ich Kapitän, werden Sie Föderirter sein, und wir werden Beide, ich besonders, in einer Bastille von Blätterwerk, welche gerade an dem Orte gepflanzt ist, wo die andere gebaut war, zu Nacht speisen?«

 

»Niemand,« wiederholte Billot mit einer noch düsterer Miene als die zwei ersten Male, Pitou sah ein, daß es nicht möglich war, den Pächter zum Sprechen zu bringen; doch er tröstete sich mit dem Gedanken, er habe sich keines Wegs des Rechtes allein zu sprechen, entäußert.

Er fuhr also fort, indem er Billot das Recht ließ, zu antworten, sobald es ihm Vergnügen machen würde:

»Wenn ich bedenke, daß es gerade ein Jahr ist, daß wir in das Stadthaus eingetreten sind, daß Sie Herrn von Flesselles (Armer Herr von Flesselles, wo ist er? wo ist die Bastille?) daß Sie Herrn von Flesselles am Kragen genommen haben, daß Sie ihn zwangen, das Pulver zu geben, während ich an der Thüre Wache hielt, und außer dem Pulver ein Billet an Herrn de Launay; daß wir, nachdem das Pulver ausgetheilt war, Herrn Marat, der zu den Invaliden ging, verließen, um unsererseits nach der Bastille zu gehen; daß wir bei der Bastille Herrn Gonchon, den Mirabeau des Volks, wie Sie ihn nannten, fanden ., . Wissen Sie, was aus Herrn Gonchon geworden ist, Vater Billot? Nun! wissen Sie, was aus ihm geworden ist?«

Billot beschränkte sich dies Mal darauf, daß er verneinend den Kopf schüttelte.

»Sie wissen es nicht?« fuhr Pitou fort; »ich auch nicht. Vielleicht das, was aus der Bastille geworden, was aus Herrn von Flesselles geworden ist, was aus uns Allen werden wird,« fügte Pitou philosophisch bei, »pulvis es et in pulverem revertis. Wenn ich bedenke, daß Sie durch das Thor, das dort war und nicht mehr da ist, eingetreten sind, nachdem Sie durch Herrn Maillard die treffliche Note über die Cassette hatten schreiben lassen, diese Note, welche ich dem Volke vorlesen sollte, wenn Sie nicht mehr erscheinen würden; wenn ich bedenke, daß Sie dort, wo jene Eisen, jene Ketten in dem großen Loche liegen, das einem Grabe gleicht, Herrn de Launay trafen! Der arme Mann! ich sehe ihn noch mit seinem leinblüthfarbenen Rocke, seinem dreieckigen Hute, seinem rothen Bande und seinem Degenstocke; auch Einer, der Herrn von Flesselles nachgefolgt ist! Wenn ich bedenke, daß dieser Herr de Launay Ihnen die Bastille vom Grunde auf bis zur Firste gezeigt hat, daß er Sie dieselbe hat studiren, messen lassen  . . .  Mauern von dreißig Fuß Dicke an ihrer Base und von fünfzehn Fuß an ihrem Gipfel! daß Sie mit ihm auf die Thürme gestiegen sind, und daß Sie ihm sogar gedroht haben, sich mit ihm, wenn er nicht vernünftig wäre, von den Thürmen hinabzustürzen; wenn ich bedenke, daß er Ihnen beim Hinabsteigen die Kanone gezeigt hat, welche mich zehn Minuten später dahin, wo dieser arme Herr von Flesselles ist, wo auch der arme Herr de Launay sein mag, geschickt haben würde, hätte ich nicht eine Ecke gefunden, um mich dahinter zu verbergen; wenn ich endlich bedenke, daß Sie, nachdem Sie Alles dies gesehen hatten, sagten, als ob es sich vom Erklettern eines Heubodens, eines Taubenschlags oder einer Windmühle handelte  . . .  »»Freunde, nehmen wir die Bastille!«« und daß wir sie genommen haben, diese berüchtigte Bastille, dergestalt genommen, daß wir heute an dem Orte wo sie war, sitzen, Wurst essen und Burgunder trinken, gerade an der Stelle des Thurmes, den man dritte Bertaudière nannte, und wo sich der Herr Doctor Gilbert fand! Wie seltsam! Und wenn ich an all diesen Lärmen, an all dieses Geschrei, an alle diese Geräusche denke! . . .  Ach!« unterbrach sich Pitou, »was die Geräusche betrifft, was bedeutet dieses? Sagen Sie doch, Vater Billot, es geht Etwas vor, oder es kommt Einer herbei; alle Welt läuft, alle Welt steht auf; lassen Sie uns doch sehen wie alle Welt; kommen Sie, Vater Billot.«

Pitou hob Billot auf, indem er seine Hand unter dem Arme des Pächters durchschlang, und Beide gingen, Pitou mit Neugierde, Billot mit Gleichgültigkeit, nach der Seite, woher der Lärm kam.

Dieser Lärm ward verursacht von einem Manne, der das seltene Vorrecht hatte, überall, wo er erschien, Aufsehen zu erregen.

Unter dem Getöse hörte man den Ruf! »Es lebe Mirabeau!« ausgestoßen von der kräftigen Brust der Männer, welche zuletzt die Meinung, die sie einmal über die Menschen angenommen, wechseln.

Es war in der That Mirabeau, der mit einer Frau am Arme herbeikam, um die Bastille zu besuchen, und da er erkannt worden, diesen ganzen Lärmen veranlaßte.

Die Frau war verschleiert.

Ein Anderer wäre über all diesem Tumult, den er nach sich zog, erschrocken gewesen, besonders erschrocken, hätte er unter dieser großen Stimme, die ihn verherrlichte, einige Schreie dumpfer Drohung gehört, —von jenen Schreien, welche dem Wagen des römischen Triumphators folgten und ihm sagten: »Cäsar, vergiß nicht, daß Du sterblich bist!«

Doch er, der Mann der Gewitter, dem es, wie dem Sturmvogel, nur unter Donner und Blitz wohl zu sein schien, durchschritt diesen ganzen Tumult mit lächelndem Gesichte, mit ruhigem Auge und gebieterischer Geberde, an seinem Arme die unbekannte Frau haltend, welche beim Hauche seiner entsetzlichen Popularität bebte.

Ohne Zweifel hatte die Unvorsichtige, wie Semele, Jupiter sehen wollen, und nun war der Blitz nahe daran, sie zu verzehren.

»Ah! Herr von Mirabeau!« sagte Pitou; »sieh da, das ist Herr von Mirabeau, der Mirabeau der Adeligen? Erinnern Sie sich, Vater Billot, daß wir ungefähr hier Herrn Gonchon, den Mirabeau des Volks, gesehen haben, und daß ich Ihnen gesagt habe: »»Ich weiß nicht, wie der Mirabeau der Adeligen ist, den des Volks finde ich aber ziemlich häßlich.«« Wissen Sie nun, daß ich heute, nachdem ich sie Beide gesehen habe, den Einen ebenso häßlich als den Andern finde; doch das soll uns nicht abhalten, lassen Sie uns dem großen Manne unsere Huldigung darbringen!«

Hiernach stieg Pitou auf einen Stuhl und vom Stuhle aus einen Tisch, steckte seinen dreieckigen Hut an das Ende seines Degens und rief:

»Es lebe Heu von Mirabeau!«

Billot entschlüpfte kein Zeichen den Sympathie oder der Antipathie; er kreuzte einfach seine beiden Arme aus seiner breiten Brust und murmelte mit düsterem Tone:

»Man sagt, er verrathe das Volk.«

»Bah!« versetzte Pitou, »man hat dies von allen großen Männern des Alterthums, von Aristides bis Cicero, gesagt.«

Und mit einer noch volleren, noch mächtiger schallenden Stimme rief er: »Es lebe Mirabeau!« während der berühmte Redner diesen Wirbel von Menschen und Geschrei nach sich ziehend verschwand.

»Gleichviel,« sagte Pitou, indem er vom Tische herabsprang, »es ist mir lieb, daß ich Herrn von Mirabeau gesehen habe  . . .  Leeren wir unsere zweite Flasche und verzehren wir vollends unsere Wurst, Vater Billot.«

Und er führte den Pächter zum Tische zurück, wo in der That die Ueberreste des von Pitou beinahe allein verzehrten Mahles ihrer harrten, als sie wahrnahmen, daß man einen dritten Stuhl an ihren Tisch gerückt hatte, und daß ein Mann, der sie zu erwarten schien, auf diesem Stuhle saß.

Pitou schaute Billot an, der den Unbekannten anschaute.

Allerdings war der Tag ein Tag der Verbrüderung und gestattete folglich eine gewisse Vertraulichkeit; doch in den Augen von Pitou, der seine zweite Flasche noch nicht getrunken und seine Wurst nicht ganz verspeist hatte, war dies eine Vertraulichkeit, welche beinahe ebenso groß als die des unbekannten Spielers beim Chevalier von Grammont.

Und derjenige, welchen Hamilton den kleinen Kürbis nennt, bat noch den Chevalier von Grammont wegen seiner großen Vertraulichkeit um Verzeihung, während der Unbekannte weder Billot, noch Pitou über irgend etwas um Verzeihung bat und im Gegentheil Beide mit einer gewissen spöttischen Miene, die ihm eigenthümlich zu sein schien, anschaute.

Wahrscheinlich war Billot nicht in der Laune, diesen Blick ohne Erklärung zu ertragen, denn er rückte rasch auf den Unbekannten zu; doch ehe der Pächter den Mund geöffnet oder eine Geberde gewagt hatte, machte der Unbekannte ein Freimaurerzeichen, das Billot erwiderte.