Za darmo

Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

LXIX
Der 14. Juli 1790

Die Arbeit, welche auf einer ungeheuren Ebene ein ungeheures Thal zwischen zwei Hügeln machen sollte, war in der That durch die Mitwirkung von ganz Paris vollendet worden.

Viele Arbeiter hatten sich, um sicher zu sein, am andern Tage ihren Platz zu haben, hier niedergelegt, wie sich Sieger auf das Schlachtfeld niederlegen.

Billot und Pitou waren zu den Föderirten zurückgekehrt und hatten unter ihnen auf dem Boulevard Platz genommen. Der Zufall wollte, wie wir gesehen, daß der den Abgeordneten des Departement der Aisne angewiesene Platz gerade der war, wo sich der Wagen, der Catherine und ihr Kind nach Paris brachte, stoßen sollte.

Diese nur aus Föderirten bestehende Linie erstreckte sich in der That von der Bastille bis zum Boulevard Bonne-Nouvelle.

Jeder hatte sein Bestes gethan, um seine geliebten Gäste zu empfangen. Als man erfuhr, die Bretannier, diese Alten der Freiheit, kommen an, gingen ihnen die Sieger der Bastille bis Saint-Cyr entgegen und geleiteten sie als ihre Gäste.

Die Vaterlandsliebe und die Uneigennützigkeit wurden in seltenem Aufschwunge geübt.

Die Wirthe vereinigten sich und erniedrigten einstimmig ihre Preise, statt sie zu erhöhen. Dies in Betreff der >Uneigennützigkeit.

Die Journalisten, diese herben Streiter aller Tage, welche ohne Unterlaß gegen einander einen Krieg mit jenen Leidenschaften fuhren, die im Allgemeinen den Haß schärfen, statt ihn auszulöschen, die die Herzen von einander entfernen, statt sie einander näher zu bringen, die Journalisten, zwei wenigstens, Loustalot und Camille Desmoulins, schlugen einen Föderativvertrag zwischen den Schriftstellern vor. Sie sollten auf jede Concurrenz, auf jede Eifersucht verzichten und fortan keinen andern Wettstreit verfolgen, als den des öffentlichen Wohls. Dies in Betreff der Vaterlandsliebe.

Leider fand der Vorschlag zu diesem Vertrage kein Echo bei der Presse und blieb für die Gegenwart wie für die Zukunft ein erhabenes Utopien.

Die Nationalversammlung hatte ihrerseits einen Theil von dem elektrischen Schlage empfangen, der Frankreich wie ein Erdbeben erschütterte. Einige Tage vorher hatte sie auf den Autrag der Herren Montmorency und von Lafayette den durch den Abbé Maury, den Sohn eines Schuhflickers, vertheidigten Erbadel aufgehoben.

Schon im Monat Februar hatte die Nationalversammlung damit angefangen, daß sie die Erblichkeit des Bösen aufgehoben. Sie hatte bei Gelegenheit des Aufhängens der Brüder Agasse, welche wegen Wechselfälschung verurtheilt worden waren, beschlossen, das Schafott solle weder mehr die Kinder noch die Verwandten des Schuldigen brandmarken.

An dem Tage, wo die Nationalversammlung die Vererbung des Privilegiums aufhob, wie sie die Vererbung des Bösen ausgehoben hatte, erschien überdies ein Deutscher, ein Mann von den Ufern des Rheins, der seinen Vornamen Johannes Baptiste gegen den Vornamen Anacharsis vertauscht hatte, Anacharsis Cloots,24 ein preußischer Baron, geboren in Cleve, erschien vor den Schranken als Abgeordneter des Menschengeschlechts. Er führte mit sich ungefähr zwanzig Menschen von allen Nationen in ihren Nationaltrachten, lauter Geächtete, und verlangte im Namen der Völker, der einzigen gesetzlichen Souverains, ihren Platz heim Bunde.

Es wurde dem Redner des Menschengeschlechts ein Platz angewiesen.

Andererseits machte sich der Einfluß von Mirabeau alle Tage fühlbar: durch diesen mächtigen Streiter gewann der Hof Parteigänger nicht nur in den Reihen der Rechten, sondern auch in denen der Linken. Die Nationalversammlung, votirte, wir möchten beinahe sagen mit Begeisterung vierundzwanzig Millionen Civilliste und vier Millionen Witthum für die Königin.

Das hieß reichlich Beiden die zweimalhundertundachttausend Franken Schulden, die sie für den beredten Tribun bezahlt hatten, sowie die sechstausend Livres Rente, welche sie ihm monatlich gaben, wiedererstatten.

Mirabeau schien sich übrigens auch nicht über den Geist der Provinzen getäuscht zu haben; diejenigen Förderirten, welche von Ludwig XVI. empfangen wurden, brachten nach Paris die Begeisterung für die Nationalversammlung, zu gleicher Zeit aber auch die Religion für das Königthum. Sie hoben ihre Hüte vor Herrn Bailly in die Höhe und riefen: »»Es lebe die Nation!«« Doch sie knieten vor Ludwig XVI. nieder, legten ihre Degen zu seinen Füßen und riefen: »»Es lebe der König!««

Leider antwortete der König, der sehr wenig poetisch, sehr wenig ritterlich, schlecht auf alle diese Herzensergüsse. Leider schätzte die Königin, welche zu stolz, zu sehr Lothringerin, wenn man so sagen darf, nicht, wie sie es verdienten, diese von Herzen kommenden Zeugschaften.

Dann hatte die arme Frau etwas Finsteres im Grunde des Geistes, etwas, was einem von jenen dunkeln Punkten ähnlich, welche das Gesicht der Sonne beflecken.

Dieses finstere Etwas, dieser Flecken, der ihr Herz zernagte, war die Abwesenheit von Charny.

Von Charny, welcher sicherlich hätte können zurückkommen, während er bei Herrn von Bouillé blieb! Einen Augenblick hatte sie, als sie Mirabeau gesehen, den Gedanken gehabt, zur Zerstreuung Coquetterie mit diesem Manne zu treiben. Sich zu ihren Füßen beugend, hatte das mächtige Genie ihrer königlichen und ihrer weiblichen Eitelkeit geschmeichelt; doch was ist im Ganzen für das Herz das Genie? was ist den Leidenschaften an diesen Triumphen der Eitelkeit, an diesen Siegen des Stolzes gelegen?

Vor Allem hatte die Königin in Mirabeau mit ihren Frauenaugen den materiellen Menschen gesehen, den Menschen mit seiner krankhaften Feistigkeit, mit seinen von den Pocken durchfurchten, ausgehöhlten, zerrissenen Backen, mit seinem rothen Auge und seinem verstopften Halse; sie hatte ihn sogleich mit Charny verglichen, mit Charny, dem schmucken Cavalier in der Blüthe des Alters, in der Reife der Schönheit, mit Charny in seiner glänzenden Uniform, die ihm das Aussehen eines Fürsten der Schlachten gab, während Mirabeau in seiner Tracht, belebte nicht das Genie sein mächtiges Gesicht, einem verkleideten Canonicus glich. Sie hatte die Achseln gezuckt; sie hatte einen tiefen Seufzer ausgestoßen; mit ihren durch die Nachtwachen und die Thränen gerötheten Augen hatte sie die Entfernung zu durchdringen gesucht und mit einer schmerzlichen, schluchzenden Stimme hatte sie gemurmelt: »Charny! o Charny!«

Was lag dieser Frau in solchen Augenblicken an den zu ihren Füßen aufgehäuften Bevölkerungen? Was lag ihr an diesen wie eine Fluch von den vier Winden des Himmels angetriebenen Menschenwogen, welche an die Stufen des Thrones schlugen und riefen: »Es lebe der König! es lebe die Königin!« Eine Stimme, die ihr ins Ohr die Worte geflüstert hätte: »Marie, nichts hat sich in mir geändert! Antoinette, ich liebe Sie!« diese Stimme würde sie glauben gemacht haben, es habe sich auch nichts um sie her geändert, und hätte mehr für die Befriedigung des Herzens, für die Heiterkeit dieser Stirne gethan, als alle diese Rufe, als alle diese Versprechungen, als alle diese Schwüre.

Endlich war der 14. Juli unempfindlich und zu seiner Stunde, die großen und die kleinen Ereignisse, welche zugleich die Geschichte der Niedrigen und der Mächtigen, des Volks und des Königthums bilden, mit sich führend, gekommen.

Als ob dieser hoffärtige 14. Juli nickt gewußt hätte, er komme, um ein unerhörtes, unbekanntes, glänzendes Schauspiel zu beleuchten, erschien er mit einer durch Wolken verschleierten Stirne, mit Wind und Regen.

Doch eine der Eigenschaften des französischen Volkes ist, daß es über Alles lacht, selbst über den Regen an Festtagen.

Die Pariser Nationalgarden und die Föderirten aus der Provinz, die seit fünf Uhr Morgens aus den Boulevards zusammengeschaart waren, lachten und sangen, obgleich vom Regen durchnäßt und Hungers sterbend.

Allerdings hatte die Pariser Bevölkerung, welche sie nicht vor dem Regen schützen konnte, wenigstens den Gedanken, sie vom Hunger zu heilen.

Von allen Fenstern fing man an an Stricken Brode, Schinken und Flaschen Wein herabzulassen.

Ebenso war es in allen Straßen, durch die sie kamen. Während ihres Marsches nahmen hundertundfünfzigtausend Personen Platz auf den Erdhügeln des Marsfeldes und hundertundfünfzigtausend andere stellten sich hinter sie.

Die Amphitheater von Chaillot und Passy waren beladen von Zuschauern, deren Zahl man unmöglich wissen konnte.

Ein herrlicher Circus, ein riesiges Amphitheater, eine glänzende Arena, wo die Förderation Frankreichs stattfinden soll, und wo auch die Förderation der Welt stattfinden wird!

Ob wir dieses Fest sehen oder nicht sehen, was liegt daran? Unsere Söhne werden es sehen, die Welt wird es sehen.

Eines von den großen Irrthümern des Menschen ist, daß er glaubt, die ganze Welt sei für sein kurzes Leben gemacht, während es die Verkettungen von unendlich kleinen, ephemeren, außer für das Auge Gottes, beinahe unsichtbaren Existenzen sind, welche die Zeit machen, das heißt die mehr oder minder lange Periode, während der die Vorsehung, diese Isis mit den vierfachen Brüsten, die über den Nationen wacht, an ihrem geheimnißvollen Werke arbeitet und ihre unablässige Genesis verfolgt.

Ei! sicherlich glaubten alle diejenigen, welche da waren, sie ganz in der Nähe an ihren Flügeln zu halten, die flüchtige Göttin, die man die Freiheit nennt,, welche nur entflieht und verschwindet, um jedes Mal stolzer und glänzender wiederzuerscheinen.

 

Sie täuschten sich, wie sich auch ihre Söhne täuschten, die sie verloren zu haben glaubten.

Welche Freude, welches Vertrauen herrschten auch in dieser Menge, in der, welche sitzend oder stehend wartete, wie in derjenigen, welche auf einer vor Chaillot gebauten Brücke über den Fluß zog und durch den Triumphbogen das Marsfeld überströmte.

Sowie die Bataillons der Föderirten eintraten, ertönten Schreie der Begeisterung und vielleicht auch ein wenig des Erstaunens bei dem Gemälde, das ihre Augen traf, gewaltige Schreie, durch das Herz ausgestoßen, aus Aller Mund.

Und in der That, nie hatte das Auge eines Menschen ein solches Schauspiel erblickt.

Das Marsfeld war wie durch einen Zauber umgestaltet! Eine Ebene in weniger als einem Monat in ein Thal von einer Meile im Umkreise verwandelt!

Auf den Böschungen dieses Thales saßen oder standen dreimalhunderttausend Personen.

In der Mitte der Altar des Vaterlands, zu dem man aus vier Treppen, den vier Seiten des Obelisks, der ihn überragt, entsprechend, hinaufsteigt!

An jeder Ecke des Monuments ungeheure Räucherpfannen, auf denen jener Weihrauch brennt, in Betreff dessen die Nationalversammlung beschlossen hatte, daß er nur noch für Gott verbrannt werden sollte.

Auf jeder der vier Seiten Inschriften, welche der Welt verkündigen, das französische Volk sei frei und lade die anderen Nationen zur Freiheit ein.

O große Freude unserer Väter! Bei diesem Anblick warst du so lebhaft, so tief, so ächt, daß die Bebungen davon bis zu uns gekommen sind.

Und der Himmel war doch sprechend wie ein Vorzeichen des Alterthums!

Jeden Augenblick schwere Gußregen, Windstöße, finstere Wolken: 1793, 1814, 1825!

Dann von Zeit zu Zeit mitten unter Allem dem eine glänzende Sonne: 1830, 1848!

O Prophet, der Du gekommen wärest, um dieser Million Menschen die Zukunft zu weissagen, wie hätten sie Dich empfangen?

Wie die Griechen Kalchas empfingen, wie die Trojaner Kassandra empfingen!

Doch an diesem Tage hörte man nur zwei Stimmen: die des Glaubens, auf welche die der Hoffnung antwortete.

Vor den Gebäuden der Militärschule waren Galerien errichtet.

Diese mit Tüchern geschmückten und von dreifarbigen Fahnen überragten Galerien waren für die Königin, für den Hof und für die Nationalversammlung vorbehalten.

Zwei ähnliche Throne, welche sich drei Fuß von einander entfernt erhoben, waren für den König und den Präsidenten der Nationalversammlung bestimmt.

Der König hatte, nur für diesen Tag zum obersten und unumschränkten Chef der Nationalgarden von Frankreich ernannt, sein Commando an Herrn von Lafayette übertragen.

Herr von Lafayette war also an diesem Tage Connetable-Generalissimus von sechs Millionen Bewaffneten.

Sein Glück hatte Eile, den Gipfel zu erreichen; größer als er, mußte es bald abnehmen und erlöschen.

An diesem Tage war es aus seiner höchsten Höhe, doch wie jene phantastischen nächtlichen Erscheinungen, welche nach und nach alle menschliche Verhältnisse übersteigen, war es nur übermäßig groß geworden, um sich in Dunst aufzulösen und zu verschwinden.

Und dennoch traten unter diesem winterlichen Regen, unter diesen heftigen Windstößen, beim Scheine dieser spärlichen Strahlen, nicht einmal der Sonne, sondern des Tags, welche durch das dunkle Gewölbe der Wolken sickerten, die Verbündeten in den ungeheuren Circus durch die drei Oeffnungen des Triumphbogens ein; dann, hinter ihrer Vorhut, welche aus ungefähr fünfundzwanzigtausend Menschen bestand, die sich aus zwei kreisförmigen Linien entwickelten, um die Conturen des Circus zu umfassen, kamen die Wähler von Paris, sodann die Repräsentanten der Gemeinde und endlich die Nationalversammlung.

Alle diese Körperschaften, welche ihre vorbehaltenen Plätze aus den an die Militärschule angelehnten Gallerten hatten, folgten einer geraden Linie, öffneten sich nur wie die Woge vor dem Felsen, um den Altar des Vaterlands zu umgehen, vereinigten sich wieder jenseits desselben, wie sie es diesseits gewesen waren, und berührten schon mit dem Kopfe die Galerien, während der Schweif, eine ungeheure Schlange, seine letzte Welle bis zum Triumphbogen ausstreckte.

Hinter den Wählern, den Repräsentanten der Gemeinde und der Nationalversammlung kam der übrige Zug: Föderirte, militärische Deputationen, Nationalgarden.

Jedes Departement trug sein unterscheidendes Banner, aber verbunden, umhüllt, nationalisirt durch jenen großen Gürtel von dreifarbigen Bannern, welche den Augen und den Herzen die zwei Worte sagten, die einzigen, mit denen die Völker, die Arbeiter Gottes, die großen Dinge thun: Vaterland, Einheit.

Zu gleicher Zeit, da der Präsident der Nationalversammlung seinen Stuhl bestieg, setzte sich der König auf den seinigen, und die Königin nahm Platz auf ihrer Tribune.

Ach! arme Königin, ihr Hof war kärglich. Ihre besten Freunde hatten sie verlassen: vielleicht, wenn man gewußt hätte, daß der König durch Mirabeau vierundzwanzig Millionen Civilliste und die Königin vier Millionen Witthum erlangt hatte, vielleicht wären Einige zurückgekommen, doch man wußte es nicht.

Was denjenigen betrifft, welchen sie vergebens mit den Augen suchte, so wußte Marie Antoinette wohl, daß diesen weder das Gold, noch die Macht zu ihr ziehen würden.

In Ermangelung seiner wollten sich ihre Augen wenigstens auf ein befreundetes, ergebenes Gesicht heften.

Sie fragte, wo Herr Isidor von Charny sei, und warum, da das Königthum so wenig Anhänger unter einer solchen Menge habe, ihre Vertheidiger sich nicht auf ihrem Posten um den König und zu den Füßen der Königin befinden.

Niemand wußte, wo Isidor von Charny war, und derjenige, welcher ihr geantwortet hätte, er führe zu dieser Stunde eine kleine Bäuerin, seine Geliebte, in ein bescheidenes, an dem Abhange des Berges von Bellevue gebautes Haus, hätte sicherlich gemacht, daß sie vor Mitleid die Achseln gezuckt, würde er ihr nicht etwa vor Eifersucht das Herz zusammengeschnürt haben.

Wer weiß in der That, ob nicht die Erbin der Cäsaren Thron und Krone gegeben hätte, ob sie nicht eingewilligt hätte, eine dunkle Bäuerin, die Tochter eines dunklen Pächters zu sein, um von Olivier noch geliebt zu werden, wie Catherine von Isidor geliebt wurde.

Ohne Zweifel waren es alle diese Gedanken, die sie in ihrem Geiste umherwälzte, als Mirabeau, einen von ihren zweifelhaften Blicken, der halb Strahl des Himmels, halb Blitz des Sturmes, auffassend, unwillkürlich laut sagte:

»Aber woran denkt sie denn, diese Zauberin?«

Wäre Cagliostro nahe genug gewesen, um diese Worte zu hören, vielleicht würde er ihm geantwortet haben:

»Sie denkt an die verhängnißvolle Maschine, die ich sie im Schlosse Taverney in einer Caraffe habe sehen lassen, und die sie eines Abends in den Tuilerien unter der Feder des Doctor Gilbert wiedererkannte.«

Und er hätte sich getäuscht, der große Prophet, der sich so selten täuschte.

Sie dachte an den abwesenden Charny und an die erloschene Liebe.

Und dies beim Lärmen von fünfhundert Trommeln und von zweitausend musikalischen Instrumenten, die man kaum hörte unter dem Geschrei: »Es lebe der König! Es lebe das Gesetz! Es lebe die Nation!«

Plötzlich trat eine tiefe Stille ein.

Der König saß wie der Präsident der Nationalversammlung.

Zweihundert in weiße Chorhemden gekleidete Priester schritten auf den Altar zu, dem Bischof von Autun, Herrn von Talleyrand, dem Patron aller vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Eidschwörern, folgend.

Er stieg die Stufen des Altars mit seinem hinkenden Fuße hinaus, dieser Mephistopheles, der den Faust erwartete, welcher am 13. Vendemiaire erscheinen sollte.

Die Banner der Departements und die dreifarbigen Fahnen in der Nähe den Altars bildeten ihm einen flatternden Gürtel, dessen tausend Farben der Südwest entrollte und heftig bewegte.

Nachdem die Messe beendigt war, ging Herr von Talleyrand ein paar Stufen herab und segnete die Nationalfahne und die Banner der dreiundachtzig Departements.

Dann begann die heilige Ceremonie des Eides.

Lafayette schwor zuerst im Namen der Nationalgarden des Königreichs.

Der Präsident der Nationalversammlung schwor als Zweiter im Namen Frankreichs.

Der König schwor als Dritter in seinem eigenen Namen, Lafayette stieg vom Pferde, durchschritt den Raum, der ihn vom Altar trennte, ging die Stufen hinaus, zog seinen Degen, stützte die Spitze aus das Evangelienbuch und sprach mit fester, sicherer Stimme:

»Wir schwören, stets getreu zu sein der Nation, dem Gesetze, dem König; mit unserer ganzen Macht die von der Nationalversammlung beschlossene und vom König angenommene Constitution aufrecht zu erhalten: den Gesetzen gemäß die Sicherheit der Person und des Eigenthums, die Circulation des Korns und der Lebensmittel im Innern des Reiches, die Erhebung der öffentlichen Steuern, unter welcher Form sie bestehen mögen, zu schützen; vereinigt zu bleiben mit allen Franzosen durch die unauflösbaren Bande der Verbrüderung!«

Es hatte eine tiefe Stille während dieses Schwures geherrscht.

Kaum war er vollendet, als hundert Kanonen sich gleichzeitig entflammten und den benachbarten Departements das Signal gaben.

Dann erhob sich der Präsident der Nationalversammlung ebenfalls und sprach:

»Ich schwöre, getreu zu sein der Nation, dem Gesetze, dem König und mit meiner ganzen Macht die von der Nationalversammlung beschlossene und vom König angenommene Constitution aufrecht zu erhalten.«

Und kaum halte er geendigt, als dieselbe Flamme glänzte, als derselbe Donner erscholl und von Echos zu Echos bis zu den äußersten Enden Frankreichs hinrollte.

Nun war die Reihe am König.

Nehmen Sie sich in Acht, Sire, die Wolke zerreißt, der Himmel öffnet sich, die Sonne erscheint.

Die Sonne, das ist das Auge Gottes, Gott schaut Sie!

»Ich, der König der Franzosen,« sprach Ludwig XVI., »schwöre, die ganze Macht, die mir durch das constitutionelle Gesetz des Staates übertragen ist, anzuwenden, um die von der Nationalversammlung beschlossene und von mir angenommene Constitution auf recht zu erhalten.«

Oh! Sire, Sire, warum haben Sie auch dies Mal nicht aus den Altar schwören wollen?

Der 21. Juni wird dem 14. Juli antworten, Varennes wird das Wort des Räthsels vom Marsfeldt sagen.

Doch falsch oder ächt, der Schwur rief nicht minder seine Flamme und seinen Lärmen hervor.

Die hundert Kanonen donnerten, wie sie es bei Lafayette und beim Präsidenten der Nationalversammlung gethan hatten, und das Geschütz der Departements brachte zum dritten Male den Königen Europas die drohende Warnung: Nehmt Euch in Acht, Frankreich steht! nehmt Euch in Acht, Frankreich will frei sein, und, wie jener römische Gesandte, der in einer Falte seines Mantels den Frieden und den Krieg trug, ist es bereit, auf die Welt seinen Mantel zu schütteln!

LXX
Hier wird getanzt

Es war eine Stunde ungeheurer Freude in dieser Menge.

Mirabeau vergaß darüber einen Augenblick die Königin. Billot vergaß einen Augenblick Catherine.

Der König zog sich unter allgemeinen Acclamationen zurück.

Die Nationalversammlung begab sich wieder in ihren Sitzungssaal, begleitet von demselben Gefolge, das sie bei ihrer Ankunft gehabt hatte.

Was die von der Stadt Paris den Veteranen des Heeres geschenkte Fahne betrifft, so wurde, sagt die Geschichte der Revolution von zwei Freunden der Freiheit, so wurde beschlossen, daß sie am Gewölbe des Saales der Nationalversammlung aufgehängt bleiben sollte, als ein Denkmal für die zukünftigen Gesetzgeber von der glücklichen Epoche, die man gefeiert, und als ein Emblem geeignet, die Truppen daran zu erinnern, daß sie den zwei Gewalten unterworfen seien, und daß sie dieselbe nicht entfalten können ohne ihre gegenseitige Intervention.

Sah denn Chapelier, auf dessen Antrag dieses Decret erlassen wurde, den 27. Juli, den 24. Februar und den 2, December vorher?

Es kam die Nacht; das Fest am Morgen hatte auf dem Marsfelde stattgefunden, das Fest am Abend fand in der Bastille statt.

Drei und achtzig Bäume, so viel als es Departements gab, repräsentirten, mit ihren Blättern bedeckt, die acht Thürme der Feste, auf deren Fundamente sie gepflanzt waren, Bänder von Lichtern liefen von Baum zu Baum; in der Mitte erhob sich ein riesiger Mastbaum, der eine Fahne trug, woran man das Wort Freiheit las. In einem absichtlich offen gelassenen Grabe lagen die Fesseln, die Ketten, die Gitter der Bastille und jenes bekannte Basrelies der Uhr, gefesselte Sklaven vorstellend, begraben. Ueberdies hatte man weit aufgesperrt und auf eine unheimliche Art beleuchtet die Kerker gelassen, welche so viele Thränen verschluckt, so viele Seufzer erstickt. Drang man endlich, angezogen durch die Musik, welche mitten unter dem Blätterwerk ertönte, bis zu dem Orte wo einst der innere Hof war, so fand man einen glänzend erleuchteten Ballsaal, über dessen Eingang man die Worte las, welche nur die Verwirklichung der Prophezeiung von Cagliostro waren:

 
Hier wird getanzt

Au einem von den tausend um die Bastille her errichteten Tischen stellten zwei Männer ihre durch einen ganzen Tag von Märschen, Gegenmärschen und Manoenvres erschöpften Kräfte wieder her.

Sie hatten vor sich eine ungeheure Fleischwurst, einen vierpfündigen Laib Brod und zwei Flaschen Wein.

»Ah! bei meiner Treue!« sagte, sein Glas auf einen Zug leerend, der jüngere von den zwei Männern, der die Kleidung eines Kapitäns der Nationalgarde trug, während der Andere, welcher wenigstens doppelt so alt, als Föderirter gekleidet war; »bei meiner Treue! es ist etwas Gutes um das Essen, wenn man Hunger hat, und um das Trinken, wenn man Durst hat.«

Dann, nach einer Pause, fragte er:

»Sie haben also weder Durst, noch Hunger, Vater Billot?«

»Ich habe gegessen und getrunken,« erwiderte dieser, »und mich hungert und dürstet nur noch nach Einem . . . «

»Wonach?«

»Ich werde Dir das sagen, Freund Pitou, wenn die Stunde, mich zu Tische zu setzen, gekommen ist.«

Pitou sah nichts Böses in der Antwort von Billot. Billot hatte wenig gegessen und wenig getrunken, trotz der Anstrengung des Tages und des Hungers, den sie machte, wie Pitou sagte; aber seit seinem Abgange von Villers-Coterets nach Paris und während der fünf Tage oder vielmehr der fünf Nächte der Arbeit aus dem Marsfelde hatte Billot gleichfalls sehr wenig getrunken und sehr wenig gegessen.

Pitou wußte, daß gewisse Unpäßlichkeiten, ohne sonst gefährlich zu sein, für den Augenblick den krästigsten Organisationen den Appetit rauben, und so oft er wahrgenommen, wie wenig Billot aß, hatte er ihn, wie er es so eben gethan, gefragt, warum er so wenig esse, eine Frage, auf welche Billot stets antwortete, er habe keinen Hunger; eine Antwort, die Pitou genügte.

Nur war Eines Pitou verdrießlich: nicht die Mäßigkeit des Magens von Billot; Jedem steht es frei; wenig oder gar nicht zu essen. Ueberdies: je weniger Billot aß, desto mehr blieb Pitou. Es war die Wortkargheit des Pächters.

Wenn Pitou in Gesellschaft aß, liebte er es, zu sprechen; er hatte bemerkt, daß die Rede, ohne dem Verschlucken zu schaden, die Verdauung unterstützte, und diese Bemerkung hatte so tiefe Wurzeln in seinem Geiste geschlagen, daß Pitou, wenn er allein aß, sang.

Wenn Pitou nicht etwa traurig war.

Doch Pitou hatte keinen Grund, um traurig zu sein, – im Gegentheil.

Sein Leben in Haramont war seit einiger Zeit sehr angenehm geworden, Pitou, wie man gesehen hat, liebte Catherine oder er betete sie vielmehr an, und ich fordere den Leser aus, das Wort buchstäblich zu nehmen; »was braucht aber der Italiener oder der Spanier, der seine Madonna anbetet? die Madonna zu sehen, vor der Madonna niederzuknieen, die Madonna anzubeten  . . .

Was that Pitou? Sobald es Nacht geworden war, ging er zum Clouis-Stein; er sah Catherine! er kniete vor Catherine nieder; er betete zu Catherine.

Und dankbar für den ungeheuren Dienst, den er ihr geleistet, ließ ihn Catherine gewähren. Sie hatte Ihre Augen anderswo, weiter, höher!  . . .

Nur trat von Zeit zu Zell ein kleines Gefühl von Eifersucht bei dem armen Jungen ein, wenn er von der Post einen Brief von Isidor für Catherine brachte, oder wenn er auf die Post einen Brief von Catherine an Isidor trug.

Im Ganzen genommen war aber diese Lage unvergleichbar besser, als die, welche man ihm im Pachthofe bei seiner Rückkehr von Paris gemacht hatte, da Catherine, in ihm einen Demagogen, einen Feind der Adeligen und der Aristokraten erkennend, Pitou vor die Thüre gejagt und ihm gesagt hatte, es gebe keine Arbeit für ihn im Pachthofe.

Pitou, der nichts von den Umständen von Catherine wußte, hegte also keinen Zweifel, daß diese Lage ewig währen werde.

Er hatte auch Haramont mit einem großen Bedauern, aber durch seinen höheren Rang genöthigt, das Beispiel des Eifers zu geben, verlassen und von Catherine Abschied genommen, nachdem er sie dem Vater Clouis empfohlen und so bald als möglich wiederzukommen versprochen hatte.

Pitou hatte also nichts zurückgelassen, was ihn hätte traurig machen können.

In Paris hatte sich Pitou an keinem Ereignisse gestoßen, was dieses Gefühl in seinem Herzen hätte hervorbringen können.

Er hatte den Doctor Gilbert gefunden, welchem er Rechenschaft über die Verwendung der fünf und zwanzig Louis d’or ablegte und die Danksagungen und Wünsche der drei und dreißig Mann Nationalgarde überbrachte, die er mit Hilfe dieser fünf und zwanzig Louis d’or gekleidet, und der Doctor Gilbert hatte ihm weitere fünf und zwanzig gegeben, welche diesmal nicht mehr ausschließlich für die Bedürfnisse der Nationalgarde, sondern zugleich auch für seine eigenen verwendet werden sollten.

Pitou hatte einfach und naiv die fünf und zwanzig Louis d’or angenommen.

Gab Herr Gilbert, der ein Gott für ihn war, so konnte es nicht schlimm sein, anzunehmen.

Gab Gott den Regen oder die Sonne, so war es Pitou nie eingefallen, einen Regenschirm oder einen Sonnenschirm zu nehmen, um die Gaben Gottes zurückzuweisen.

Nein, er hatte den einen und die andere angenommen, und sich wie die Blumen, wie die Pflanzen, wie die Bäume immer wohl dabei befunden.

Ueberdies, nachdem er einen Augenblick nachgedacht, hatte Gilbert seinen schönen geistreichen Kopf emporgehoben und zu ihm gesagt:

»Mein lieber Pitou, ich glaube, Billot hat mir viele Dinge zu erzählen; wolltest Du nicht, während ich mit Billot plaudere, Sebastian einen Besuch machen?«

»Ob! gewiß, Herr Gilbert,« rief Pitou, der seine leiden Hände wie ein Kind an einander schlug; »ich hatte von selbst große Lust hierzu; doch ich wagte es nicht, Sie um Erlaubniß zu bitten.«

Gilbert überlegte abermals.

Dann nahm er eine Feder, schrieb ein paar Worte, faltete das Papier als Brief zusammen und adressirte es an seinen Sohn.

»Hier,« sagte er »nimm einen Wagen und suche Sebastian auf; wahrscheinlich wird er nach dem, was ich ihm schreibe, einen Besuch zu machen haben; Du fuhrst ihn, wohin er gehen soll, nicht wahr, mein lieber Pitou? und Du erwartest ihn vor der Thüre; er wird Dich vielleicht eine Stunde, vielleicht mehr warten lassen; doch ich kenne Deine Gefälligkeit, Du wirst Dir sagen. Du leistest mir einen Dienst, und dann langweilst Du Dich nicht.«

»Oh! nein, seien Sie unbesorgt,« erwiderte Pitou, »ich langweile mich nie; überdies werde ich, wenn ich an einem Bäcker vorbeikomme, ein gutes Stück Brod mitnehmen, und wenn ich mich im Wagen langweile, so esse ich es!«

»Ein gutes Mittel!« sagte Gilbert; »nur, Pitou, es sei Dir dies als Gesundheitsregel gesagt,« fügte er lächelnd bei, »nur muß man nicht trockenes Brod essen, und es ist gut, beim Essen zu trinken.«

»Dann werde ich,« versetzte Pitou, »dann werde ich außer dem Stücke Brod ein Stück Schweinskäse und eine Flasche Wein kaufen.«

»Bravo!« rief Gilbert.

Und aus diese Ermuthigung ging Pitou hinab, nahm einen Fiacre, ließ sich nach dem College Saint-Louis fahren, fragte nach Sebastian, der im Garten spazieren ging, hob ihn in seinen Armen auf, wie es Hercules mit Telephus gethan hat, umarmte ihn nach Herzenslust, stellte ihn dann wieder aus die Erde und übergab ihm den Brief seines Vaters.

Sebastian küßte zuerst den Brief mit der sanften Ehrfurcht und der zarten Liebe, die er für seinen Vater hegte; dann, nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, fragte er:

»Pitou, hat Dir mein Vater nicht gesagt, Du solltest mich irgend wohin fuhren?«

»Wenn es Dir genehm wäre, dahin zugehen?«

»Ja, ja,« erwiderte lebhaft das Kind, »es ist mir genehm, und Du wirst meinem Vater mittheilen, ich habe voll Eifer eingewilligt.«

»Gut!« sagte Pitou »es scheint, das ist ein Ort, wo Du Dich belustigst.«

»Es ist ein Ort, wo ich nur ein einziges Mal gewesen bin, wohin aber zurückkehren zu dürfen ich mich glücklich fühle.«

»Dann brauchst Du nur den Abbé Béradier davon in Kenntniß zu setzen, daß Du ausgehen willst,« sprach Pitou, »wir haben einen Fiacre vor der Thüre, und ich nehme Dich mit.«

»Um keine Zelt zu verlieren,« erwiederte der junge Mensch, bringe selbst dem Abbé dieses Wörtchen von meinem Vater; ich mache ein wenig Toilette und folge Dir in den Hof nach.«

24Cloots, Jean Baptiste du Val de Grace, gewöhnlich Anacharsis Cloots, eigentlich Klohts, ein rasender Jacobiner. Im Jahre 1795 Robespierre verdächtig, wurde er hingerichtet.