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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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»Ja,« entgegnete Mirabeau, »doch während dieses Tages erwärmen und erleuchten sie, was wohl etwas ist. Kommen Sie, Doctor, es wird spät, – ich werde über Alles dies nachdenken.«

»Denken Sie über Alles nach,« sagte der Doctor, indem er Mirabeau folgte, »doch als Ansang des Gehorsams gegen die Befehle der Facultät versprechen Sie mir vor Allem, dieses Schloß nicht zu miethen; Sie werden um Paris zehn, zwanzig, fünfzig finden, die Ihnen dieselben Vortheile bieten, wie dieses.«

Dieser Stimme der Vernunft nachgebend, war Mirabeau vielleicht im Begriffe, zu versprechen; plötzlich aber glaubte er unter den ersten Schatten der Nacht, hinter einem Blumenvorhange, den Kopf der Frau mit dem weißen Taffetrocke und den rosa Volants erscheinen zu sehen; diese Frau, Mirabeau meinte es wenigstens, lächelte ihm zu, doch er hatte nicht Zeit, sich hierüber Gewißheit zu verschaffen, denn in dem Momente, wo Gilbert, welcher errieth, es gehe etwas Neues bei seinem Kranken vor, mit den Augen suchte, um sich das nervöse Beben des Armes, auf den er gestützt war, zu erklären, zog sich der Kopf hastig zurück, und man sah am Fenster des Pavillon nur noch die leicht bewegten Zweige der Rosenstöcke, der Heliotropen und der Nelken.

»Nun,« fragte Gilbert, »Sie antworten nicht?«

»Mein lieber Doctor,« erwiderte Mirabeau, erinnern Sie sich dessen, was ich der Königin gesagt habe als sie mir, da sie von mir schied, die Hand zum Kuss reichte: »»Madame, durch diesen Kuß ist die Monarchie gerettet!««

»Ja.«

»Nun wohl, ich habe da eine schwere Verbindlichkeit übernommen, besonders wenn man mich verläßt wie man dies thut; doch dieser Verbindlichkeit will ich mich nicht entziehen. Verachten wir den Selbstmord nicht, von dem Sie sprachen, Doctor; dieser Selbstmord wird vielleicht das einzige Mittel sein, um mich auf eine ehrenhafte Art aus der Sache herauszuziehen.

Zwei Tag nachher hatte Mirabeau das Schloß vom Marais durch Erbpacht erworben.

LXVII
Das Marsfeld

Wir haben unseren Lesern schon begreiflich gemacht, durch welchen unauflösbaren Knoten ganz Frankreich sich verbunden, und welche Wirkung diese, dem allgemeinen Bunde vorhergehende Föderation aus Europa hervorgebracht hatte.

Europa sah ein, es werde eines Tages, wann? die Zeit war in den Wolken der unermeßlichen Zukunft verborgen, – Europa, sagen wir, sah ein, es werde eines Tags auch nur einen ungeheuren Bund von Bürgern, nur eine colossale Gesellschaft von Brüdern bilden.

Mirabeau hatte zu diesem großen Bündniß angetrieben. Auf die Befürchtungen, die der König gegen ihn ausgedrückt, hatte er geantwortet, wenn es ein Heil für das Königthum in Frankreich gebe, so müsse man es nicht in Paris, sondern in der Provinz suchen.

Ueberdies würde aus dieser Verbindung von Menschen, welche aus allen Winkeln Frankreichs herbeigekommen, ein großer Vortheil entspringen: der König würde sein Volk sehen und das Volk würde seinen König sehen. Würde die ganze Bevölkerung Frankreichs, vertreten durch dreimal hunderttausend Verbündete, Bürger, Beamte, Militäre, auf dem Marsfelde rufen: »Es lebe die Nation!« und ihre Hände aus den Trümmern der Bastille vereinigen, dann werden einige blinde oder bei der Verblendung des Königs interessirte Höflinge diesem nicht mehr sagen, durch eine Handvoll Meuterer angeführt, verlange Paris eine Freiheit, welche das übrige Frankreich zu verlangen weit entfernt sei; nein, Mirabeau zählte auf den damals in der Tiefe des Herzens der Franzosen noch so lebendigen Geist des Königthums, und er ahnte, aus dieser so ungewohnten, unbekannten, unerhörten Berührung eines Monarchen mit seinem Volke werde ein heiliger Bund hervorgehen, den keine Intrigue zu brechen vermöchte.

Die Menschen von Genie werden oft von jenen erhabenen Albernheiten befallen, welche zur Folge haben, daß die politischen Gimpel der Zukunft berechtigt sind, ihrem Andenken ins Gesicht zu lachen.

Schon hatte eine vorbereitende Föderation, so zu sagen, von sich selbst in den Ebenen von Lyon stattgehabt. Frankreich, das instinctartig zur Einheit hinmarschirte, hatte das entscheidende Wort dieser Einheit auf den Gefilden der Rhone zu finden geglaubt; hier aber hatte es wahrgenommen, daß Lyon wohl Frankreich mit dem Genius der Freiheit verloben konnte, daß aber zur Trauung Paris nothwendig war.

Als der Antrag einer allgemeinen Föderation in die Nationalversammlung durch den Maire und den Gemeinderath von Paris, welche nicht länger den Bitten anderer Städte widerstehen konnten, gebracht wurde, entstand eine große Bewegung unter den Zuhörern.

Diese nach Paris, dem ewigen Mittelpunkte der Agitation, geführte zahllose Menschenversammlung wurde zugleich von den beiden Parteien, welche die Kammer trennten, von den Royalisten und den Jacobinern, mißbilligt.

Das hieße, sagten die Royalisten, sich der Gefahr eines riesigen 14. Juli, nicht mehr gegen die Bastille, sondern gegen das Königthum aussetzen.

Was sollte aus dem König werden unter diesem furchtbaren Gemenge von verschiedenartigen Leidenschaften, unter diesem erschrecklichen Conflicte von entgegengesetzten Meinungen?

Andererseits befürchteten die Jacobiner, denen es nicht unbekannt war, welchen Einfluß Ludwig XVI. noch auf die Massen übte, diese Versammlung nicht weniger als ihre Feinde.

In den Augen der Jacobiner würde eine solche Versammlung den öffentlichen Geist dämpfen, das Mißtrauen einschläfern, die alte Götzendienerei wiedererwecken, kurz Frankreich royalisiren.

Doch es war nicht möglich, sich dieser Bewegung zu widersetzen, welche nicht ihres Gleichen gehabt hatte, seitdem sich im elften Jahrhundert ganz Europa erhoben, um das Grab Christi zu befreien.

Und man wundere sich nicht hierüber; diese zwei Bewegungen sind einander nicht so fremd, als man glauben könnte: der erste Baum der Freiheit war auf der Schädelstätte gepflanzt worden.

Nur that die Nationalversammlung, was sie konnte, um die Zusammenkunft weniger beträchtlich zu machen, als man sie werden fühlte. Man zog die Discussion in die Länge, so daß bei denjenigen, welche vom Ende des Königreiches kommen würden, das geschehen müßte, was bei der Föderation von Lyon den Abgeordneten von Corsica geschehen war: so sehr sie sich beeilt hatten, so waren sie doch erst am andern Tage gekommen.

Ueberdies wurden die Ausgaben den Oertlichkeiten aufgebürdet. Frankreich hatte aber so arme Provinzen, und das wußte man, daß man nicht annehmen durfte, sie könnten, selbst wenn sie die größten Anstrengungen machen wollten, die Kosten auch nur zur Hälfte der Reise ihrer Abgeordneten oder vielmehr des Viertels vom Wege, den sie zu machen hatten, da sie nicht allein nach Paris gehen, sondern auch zurückkehren mußten, bestreiten.

Doch man hatte ohne die öffentliche Begeisterung gerechnet. Man hatte ohne den Ueberschlag gerechnet, bei dem die Reichen zweimal geben würden, einmal für sich, einmal für die Armen. Man hatte ohne die Gastfreundschaft gerechnet, welche den ganzen Weg entlang rief: »Franzosen, öffnet Eure Thüren, hier sind Brüder, welche vom Ende Frankreichs zu Euch kommen.«

Und dieser letzte Ruf besonders hatte kein taubes Ohr, keine widerspenstige Thüre gefunden.

Keine Fremde, keine Unbekannte mehr, überall Franzosen, Verwandte, Brüder. »Kommt, zu uns, Ihr Pilger des großen Festes! Kommt Ihr Nationalgarden! Kommt, Soldaten! Kommt, Seeleute! Tretet bei uns ein; Ihr werdet Väter und Mütter, Ihr werdet Weiber finden, deren Söhnen und Männern die Gastfreundschaft anderswo geboten wird, die wir Euch bieten.«

Für denjenigen, welcher, wie Christus, nicht auf den höchsten Berg der Erde, sondern nur auf den höchsten Berg Frankreichs hätte versetzt werden können, wäre es ein glänzendes Schauspiel gewesen, sie zu sehen, diese dreimalhunderttausend auf Paris zuwandernden Pilger, alle diese gegen den Mittelpunkt zurückfließende Strahlen des Gestirns.

Und von wem wurden alle diese Wallfahrer der Freiheit angeführt? Von Greisen, von armen Soldaten des siebenjährigen Krieges, von Unterofficieren von Fontenoy, von Glücksofficieren, welche ein ganzes Leben der Arbeit, des Muthes und der aufopfernden Hingebung gebraucht hatten, um die Epaulette des Lieutenants oder die zwei Epauletten des Kapitäns zu erwerben; von Seeleuten, welche Indien mit Bussy und Dupleix erobert und mit Lally-Tollendal verloren hatten, – lebendige Trümmer gebrochen durch die Kanonen des Schlachtfeldes, abgenutzt bei des Meeres Ebbe und Fluth. In den letzten Tagen machten achtzigjährige Männer Tagesmärsche von zehn bis zwölf Meilen, um zu rechter Zeit anzukommen und sie kamen an.

In dem Augenblick, wo sie im Begriffe waren, sich für immer niederzulegen und den Schlaf der Ewigkeit zu schlafen, hatten sie die Kräfte der Jugend wieder gefunden: es hatte das Vaterland ihnen zugewinkt, es hatte sie mit einer Hand zu sich gerufen und ihnen mit der andern die Zukunft ihrer Kinder gezeigt.

Dann sangen sie ein und eben dasselbe Lied, mochten die Pilger von Norden oder von Süden, von Osten oder von Westen, vom Elsaß oder von Bretannien, von der Provence oder von der Normandie kommen. Wer hatte sie dieses Lied gelehrt, das so schwerfällig gereimt ist, als die alten Gesänge, welche die Kreuzfahrer durch die Meere des Archipels und die Ebenen von Kleinasien leiteten? Niemand weiß es: der Engel der Erneuerung, der im Vorüberziehen seine Flügel über Frankreich schüttelte.

Dieses Lied war das berühmte Ça ira, nicht das das von 93; 93 hat Alles verkehrt, verwandelt: das Lachen in Thränen, den Schweiß in Blut.

Nein, dieses ganze Frankreich, das sich sich selbst entriß, um nach Paris den allgemeinen Schwur zu bringen, sang nicht Worte der Drohung, es sagte nicht:

»Ah! Ça ira, ça ira, ça ira,

Les aristocrat’s à Ia lanterne;

Ah! ça ira, ça ira, ça ira,

Les aristocrat’s, on les pendra!22

 

Nein, sein Lied war kein Todeslied, sondern ein Lebenslied; es war nicht die Hymne der Verzweiflung, sondern der Gesang der Hoffnung.

Es sang aus eine andere Melodie folgende Worte:

Le peuple en ce jour sans cesse répète:

Ah! ça ira, ça ira, ça ira,

Suivant les maximes de l’Evangile;

Ah! ça ira, ça ira, ça ira,

Du législateur tout s’accomplira;

Celui qui s’élève, on l’abissera;

Celui qui s’abaisse, on élèvera!!23

Es bedurfte eines riesigen Circus, um Provinz und Paris, fünfmalhunderttausend Seelen, aufzunehmen; es bedurfte eines colossalen Amphitheaters, um einer Million Zuschauer Raum zu bieten.

Zum ersten wählte man das Marsfeld. Zum zweiten die Anhöhen von Passy und Chaillot.

Nur bot das Marsfeld eine ebene Oberfläche. Man mußte ein weites Bassin daraus machen, man mußte es ausgraben und die Erde rings darum aufhäufen, um Erhöhungen zu bilden.

Fünfzehntausend Arbeiter von jenen Menschen, die sich ewig laut beklagen, daß sie vergebens Beschäftigung suchen, und leise Gott bitten, er möge sie keine finden lassen, fünfzehntausend Arbeiter wurden mit Spaten und Hauen von der Stadt Paris abgeschickt, um diese Ebene in ein von einem großen Amphitheater eingefaßtes Thal zu verwandeln. Doch diesen fünfzehntausend Arbeitern blieben nur drei Wochen, um das Titanenwerk zu vollführen, und nach Verlauf von zwei Tagen bemerkte man, daß sie drei Monate nöthig hätten. Vielleicht wurden sie anderswoher besser bezahlt, um nichts zu thun, als man sie bezahlte, um zu arbeiten.

Da geschah eine Art von Wunder, nach welchem man von der Pariser Begeisterung urtheilen konnte. Die ungeheure Arbeit, die einige Tausende von Faulenzern nicht ausführen wollten oder konnten, unternahm die ganze Bevölkerung. An demselben Tage, an welchem sich das Gerücht verbreitete, das Marsfeld werde für den 14. Juli nicht bereit sein, erhoben sich hunderttausend Menschen und sagten mit einer Sicherheit, welche den Willen eines Volkes oder den Willen eines Gottes begleitet: »Es wird sein.«

Abgeordnete suchten den Maire von Paris im Namen dieser hunderttausend Arbeiter auf, und man kam überein, daß man ihnen, um nicht den Arbeiten des Tages Eintrag zu thun, die Nacht geben werde.

An demselben Abend um sieben Uhr verkündigte ein Kanonenschuß, das Geschäft des Tages sei beendigt und das Werk der Nacht beginne.

Und auf diesen Kanonenschuß wurde das Marsfeld von seinen vier Seiten überströmt.

Jeder brachte sein Werkzeug, Karst, Spaten, Schaufel oder Karren.

Andere rollten Fässer voll Wein in Begleitung von Geigen, Zithern, Trommeln und Pfeifen herbei.

Alle Alter, alle Geschlechter, alle Stände waren vermischt; Bürger, Soldaten, Weltgeistliche, Mönche, schöne Damen, Damen der Halle, barmherzige Schwestern, Schauspielerinnen, Alles dies handhabte die Haue oder zog den Karren; Kinder schritten mit Fackeln in der Hand voran; Orchester folgten, alle Arten von Instrumenten spielend, und über all diesem Geräusche, über all diesem Lärmen, über allen diesen Instrumenten schwebend, erhob sich das Ça ira, ein ungeheurer Chor, gesungen von hunderttausend Münden, aus welchen hunderttausend von allen Punkten Frankreichs kommende Stimmen antworteten.

Unter den thätigsten Arbeitern bemerkte man zwei, welche zuerst und in Uniform gekommen waren: der Eine war ein Mann von kräftigem, untersetztem Gliederbau, aber mit finsterem Gesichte.

Er sang nicht und sprach kaum.

Der Andere war ein junger Mensch von zwanzig Jahren mit offenem, freundlichem Gesichte, großen blauen Augen, weißen Zähnen, blonden Haaren und fester Haltung aus seinen großen Füßen und seinen dicken Knieen; er hob mit seinen breiten Händen ungeheure Lasten auf, rollte die schwersten Karren, ohne je anzuhalten, ohne je auszuruhen, sang immer, lachte aus dem Augenwinkel über seinen Gefährten, sagte ihm ein gutes Wort, worauf dieser nichts erwiderte, brachte ihm ein Glas Wein, das er zurückstieß, nahm, traurig die Achseln zuckend, wieder seinen Platz ein und fing abermals an zu arbeiten wie zehn und zu singen wie zwanzig.

Diese zwei Menschen waren zwei von den Abgeordneten des neuen Departement der Aisne, welche, nur zehn Meilen von Paris entfernt, als sie sagen hörten, es fehle an Armen, in aller Eile herbeigelaufen waren, um der Eine seine schweigsame Arbeit, der Andere seine heitere und geräuschvolle Mitwirkung anzubieten.

Diese Männer waren Billot und Pitou.

Sagen wir, was in Villers-Coterets in der dritten Nacht nach ihrer Ankunft in Paris, das heißt in der Nacht vom 5. auf den 6. Juli, gerade in dem Augenblick vorging, wo wir sie in voller Thätigkeit mitten unter Arbeitern wiedergefunden haben.

LXVIII
Wo man sieht, was aus Caterine geworden war, wo man aber nicht sieht, was aus ihr werden wird

Wahrend dieser Nacht vom 5. auf den 6. Juli, gegen elf Uhr Abends, wurde der Doctor Raynal, welcher sich in der bei den Aerzten so oft getäuschten Hoffnung, seine volle Nacht zu schlafen, zu Bette gelegt hatte, durch drei Schläge, die man mit kräftiger Faust an seine Thüre that, aufgeweckt.

Es war, wie man weiß, die Gewohnheit des Doctors, wenn man in der Nacht klopfte oder läutete, selbst zu öffnen, um rascher in Berührung mit den Leuten zu kommen, die ihn nöthig haben könnten.

Diesmal wie sonst sprang er aus seinem Bette, zog seinen Schlafrock und seine Pantoffeln an und ging so rasch als möglich seine schmale Treppe hinab.

So sehr er sich aber beeilt hatte, so schien er doch noch zu langsam für den nächtlichen Besuch, denn dieser fing wieder an zu klopfen, diesmal aber ohne Zahl und Maß, als plötzlich die Thüre geöffnet wurde.

Der Doctor Raynal erkannte denselben Lackei, der ihn in einer gewissen Nacht geholt hatte, um ihn zum Vicomte Isidor von Charny zu führen.

»Ho! ho!« >Sagte der Doctor, als er ihn erblickte, »abermals Sie, mein Freund? Das ist kein Wort des Vorwurfs, verstehen Sie wohl? Doch wenn Ihr Herr aufs Neue verwundet wäre, so müßte er sich in Acht nehmen; es ist nicht zuträglich, so an Orte zu gehen, wo es Kugeln regnet.«

»Nein, Herr Doctor,« erwiderte der Lackei, »ich komme nicht wegen meines Herrn, nicht wegen einer Wunde, sondern wegen einer Sache, welche nicht minder Eile heischt. Kleiden Sie sich vollends an, hier ist ein Pferd, und man erwartet Sie.«

Der Doctor verlangte nie mehr als fünf Minuten für seine Toilette. Diesmal aber schloß er aus den, Stimmtone des Lackei und besonders aus der Art, wie er geklopft hatte, seine Gegenwart sei dringend, und er brauchte nur vier.

»Hier bin ich,« sagte er, als er beinahe in demselben Augenblick, da er verschwunden, wiedererschien.

Der Lackei hielt, ohne abzusteigen, dem Doctor Raynal den Zügel des Pferdes; dieser befand sich sogleich im Sattel und wandte sich, dem Lackei folgend, der ihm den Weg bezeichnete, von seinem Hause aus nach rechts, statt sich, wie er es das letzte Mal gethan hatte, nach links zu wenden.

Man führte ihn diesmal aus die Boursonnes entgegengesetzte Seite.

Er ritt durch den Park, drang, Haramont links lassend, in den Wald ein und befand sich bald in einem so unwegsamen, so holperigen Theile des Gehölzes, daß es für das Pferd schwierig war, weiter zu gehen.

Plötzlich demasquirte sich ein hinter einem Baume verborgener Mann, indem er eine Bewegung machte, und fragte:

»Sind Sie es, Doctor?«

Der Doctor, der sein Pferd angehalten hatte, da er nicht wissen konnte, was der Vortretende im Sinne haben mochte, erkannte an diesen Worten den Vicomte Isidor von Charny.

»Ja,« erwiderte er, »ich bin es. Wohin des Teufels lassen Sie mich denn führen?«

»Sie werden es sogleich sehen,« sagte Isidor; »doch ich bitte Sie, steigen Sie ab und folgen Sie mir.«

Der Doctor stieg ab; er fing an Alles zu begreifen.

»Ah! ah!« versetzte er, »ich wette, es handelt sich um eine Entbindung?«

»Ja, Doctor, und Sie versprechen mir folglich, zu schweigen, nicht wahr?«

Der Doctor zuckte die Achseln wie ein Mensch, der sagen wollte: »Ei! mein Gott, seien Sie doch ruhig, ich habe wohl andere Dinge gesehen.«

»So kommen Sie hierher,« sagte Isidor, auf seinen Gedanken antwortend.

Und mitten unter Stechpalmen, aus dem dürren, raschelnden Laube, das unter der Dunkelheit riesiger Buchen verborgen, durch deren Blätterwerk man von Zeit zu Zeit das Funkeln eines Sternes erblickte, stiegen Beide in die Tiefen hinab, wohin, wie gesagt, der Tritt der Pferde nicht dringen konnte.

Nach einigen Augenblicken gewahrte der Doctor den oberen Theil des Clouis-Steines.

»Ho! ho!« sagte er, »sollte es die Hütte des guten Clouis sein, wohin wir gehen?«

»Nicht ganz, doch nahe dabei,« antwortete Isidor.

Und er drehte sich rings um den ungeheuren Felsen und führte den Doctor vor die Thüre eines von Backstein gebauten Häuschens, das so an die Hütte des alten Waldhüters angelehnt war, daß man hätte glauben können, und daß man wirklich in der Gegend glaubte, der gute Mann habe zu größerer Bequemlichkeit dieses Zugehör seiner Wohnung beigefügt.

Allerdings wäre man, sogar ohne Catherine, welche aus einem Bette lag, durch den ersten Blick, den man in das Innere dieser kleinen Stube geworfen, enttäuscht worden.

Eine hübsche Tapete, mit der die Wand beschlagen war, Vorhänge von einem dieser Tapete ähnlichen Stoffe, welche an den zwei Fenstern hingen; zwischen diesen zwei Fenstern ein zierlicher Spiegel; unter diesem Spiegel eine mit all ihrem Geräthe ausgestattete Toilette, ein kleines Canapé und eine kleine Bibliothek: so war das beinahe, wie man heute sagen würde, comfortable Innere, welches sich dem Blicke bot, wenn man in die kleine Stube eintrat.

Doch der Blick des guten Doctors verweilte bei nichts von Allem dem. Er hatte die auf dem Bette ausgestreckte Frau gesehen und ging gerade auf das Leiden zu.

Als sie den Doctor erblickte, verbarg Catherine ihr Gesicht in ihren beiden Händen, doch diese konnten weder ihr Schluchzen bedecken, noch ihre Thränen verbergen.

Isidor näherte sich ihr und sprach ihren Namen aus; sie warf sich in seine Arme.

»Doctor,« sagte der junge Mann, »ich vertraue Ihnen das Leben und die Ehre von derjenigen, welche heute nur meine Geliebte ist, eines Tags aber, wie ich hoffe, meine Frau sein wird.«

»Oh! wie gut bist Du, mein theurer Isidor, daß Du solche Dinge sagst, denn Du weißt wohl, es ist unmöglich, daß ein armes Mädchen wie ich Vicomtesse von Charny wird. Doch ich danke Dir darum nicht weniger; Du weißt, daß ich Kräfte nöthig haben werde, und Du willst mir geben; sei unbesorgt, ich werde muthig sein, und der erste, der größte Muth, den ich haben kann, ist, daß ich mich Ihnen, mein lieber Doctor, mit entblößtem Gesichte zeige und Ihnen die Hand biete.«

Und sie reichte dem Doctor Raynal die Hand.

Ein Schmerz noch heftiger, als irgend einer von denen, welche Catherine bis dahin ausgestanden hatte, zog ihre Hand krampfhaft in dem Augenblick zusammen, wo sie die des Doctor Raynal berührte.

Dieser machte Isidor mit dem Blicke ein Zeichen, und Isidor begriff, daß der Moment gekommen war.

Der junge Mann kniete vor das Bett der Patientin nieder und sprach:

»Catherine, mein geliebtes Kind, ohne Zweifel müßte ich hier bei Dir bleiben, um Dich zu unterstützen und zu ermuthigen; doch ich befürchte, es würde mir die Stärke fehlen; wenn Du es indessen willst  . . . «

Catherine schlang ihren Arm um den Hals von Isidor und erwiderte:

»Gehe, gehe, ich danke Dir für eine so große Liebe, daß Du mich nicht könntest leiden sehen.«

Isidor drückte seine Lippen auf die des armen Mädchens, preßte nach einmal dem Doctor Raynal die Hand und eilte aus dem Zimmer.

Zwei Stunden lang irrte er umher wie jene Schatten, von denen Dante spricht, die nicht stille stehen können, um auch nur kurze Zeit auszuruhen, und, wenn sie stille stehen, von einem Dämon, der sie mit einem eisernen Dreizacke sticht, fortgestoßen werden.

 

Alle Augenblicke kam er, nach einem mehr oder minder großen Kreise zu der Thüre zurück, hinter welchem das schmerzliche Mysterium der Geburt in Erfüllung ging. Doch alsbald traf ihn immer wieder ein von Catherine ausgestoßener Schrei, der bis zu ihm drang, wie der eiserne Dreizack des Verdammten, und nöthigte ihn, wieder umherzulaufen und unablässig sich von dem Ziele zu entfernen, zu dem er unablässig wieder zurückkehrte.

Mitten in der Nacht hörte er sich durch die Stimme des Doctors und durch eine noch sanftere und schwächere Stimme rufen. Mit zwei Sprüngen war er bei der dies Mal offenen Thüre, auf deren Schwelle ihn der Doctor, ein Kind in den Armen haltend, erwartete.

»Ach! ach! Isidor,« sprach Catherine, »nun bin ich doppelt Dein . . .  Dein als Geliebte, Dein als Mutter.«

Acht Tage nachher, zu derselben Stunde, in der Nacht vom 13. aus den 14. Juli, öffnete sich die Thüre abermals; zwei Männer trugen in einer Sänfte eine Frau und ein Kind; ein junger Mann begleitete sie zu Pferde und empfahl den Trägern die größte Behutsamkeit. Als sie zur Landstraße von Haramont nach Villers-Coterets kamen, fanden sie eine mit drei Pferden bespannte gute Berline, in welche die Mutter mit dem Kinde einstieg.

Der junge Mann gab sodann seinem Bedienten einige Befehle, sprang zu Boden, warf ihm den Zügel seines Pferdes zu und stieg ebenfalls in den Wagen, der, ohne in Villers-Coterets anzuhalten und ohne diesen Ort zu durchschneiden, längs dem Parke von der Fasanerie bis zum Ende der Rue de Largny hinfuhr und hier angelangt im starken Trabe seiner Pferde die Straße nach Paris verfolgte.

Ehe er abreiste, hatte der junge Mann eine mit Gold gefüllte Börse für den Vater Clouis und die junge Frau einen Brief mit der Adresse von Pitou zurückgelassen.

Der Doctor hatte auf eine Anfrage erwiedert, in Betracht der raschen Genesung der Kranken und der guten Constitution des Kindes, das ein Knabe war, könne die Reise von Villers-Coterets nach Paris in einem bequemen Wagen, ohne daß man einen Unfall zu befürchten habe, gemacht werden.

In Folge dieser Versicherung hatte sich Isidor zu der Reise entschlossen, welche überdies durch die nahe bevorstehende Rückkehr von Billot und Pitou nothwendig wurde.

Gott, der bis zu einem gewissen Augenblick zuweilen über denjenigen wacht, welche er später zu verlassen scheint, hatte erlaubt, daß die Niederkunft in Abwesenheit von Billot, der übrigens nichts von dem Zufluchtsorte seiner Tochter wußte, und von Pitou, welcher in seiner Unschuld den Zustand von Catherine nicht einmal geahnet hatte, stattgefunden.

Gegen fünf Uhr Morgens kam der Wagen zur Porte Saint-Denis, doch er konnte nicht über die Boulevards fahren, wegen der durch das Fest des Tages veranlaßten Zusammenschaarung.

Catherine wagte es, ihren Kopf aus dem Schlage hinauszubeugen, doch sie zog ihn, einen Schrei ausstoßend, auf der Stelle wieder zurück und verbarg ihn an der Brust von Isidor.

Die zwei ersten Personen, die sie unter den Förderirten erkannt hatte, waren Billot und Pitou.

22So wird«n gehen, so wird«s gehen, so wird«s gehen, mit den Aristokraten an die Laterne; so wird«n gehen u.s.w. die Aristokraten wird man henken.
23Das Volk wiederholt an diesem Tage unablässig: Ah! so wird’s gehen, u.s.w nach den Grundsätzen des Evangeliums. Ah! so wird«s gehen, u.s.w. Alles, was der Gesetzgeber gesprochen, wird in Erfüllung gehen. Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; wer sich erniedrigt, wird erhöht werden.