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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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»Ah! ah! es gibt also Leute, welche dies vom Grasen von Mirabeau denken?«

»Oh! mein Herr,« erwiderte der junge Mensch, »und auf die Gefahr, Ihnen zu mißfallen, ich zuallererst.«

»Junger Mann,« sprach Mirabeau lachend, »Sie müssen das nicht zu laut in diesem Hause sagen. oder die Mauern werden über Ihrem Kopfe zusammenstürzen.«

Dann grüßte er ehrerbietig den Greis und höflich die zwei jungen Mädchen, und durchschritt den Garten, indem er Cartouche freundschaftlich mit der Hand winkte, was der Hund mit einer Art von Knurren erwiderte, wobei sich ein Ueberrest von Empörung mit der Unterwürfigkeit vermischte.

Gilbert folgte Mirabeau. Dieser befahl dem Kutscher, in die Stadt hinein zu fahren und vor der Kirche zu halten.

Nur ließ er an der Ecke der ersten Straße den Wagen Halt machen, zog eine Karte aus seiner Tasche und sagte zu seinem Bedienten: »Teisch, übergeben Sie von mir diese Karte dem jungen Manne, der nicht meiner Ansicht über Herrn von Mirabeau ist.«

Dann sprach er mit einem Seufzer:

»Ah! Doctor, das ist Einer, der den großen Verrath von Herrn von Mirabeau noch nicht gelesen hat.«

Tetsch kam zurück.

Der junge Mann folgte ihm.

»Oh! Herr Gras,« sagte der mit einem Ausdrucke der Bewunderung, in welchem man sich nicht täuschen konnte, »bewilligen Sie mir das, was Sie Cartouche bewilligt haben, die Ehre, Ihre Hand zu küssen.«

Mirabeau öffnete seine Arme und drückte den jungen Mann an seine Brust.

»Herr Graf,« sprach dieser, »ich heiße Mornais; bedürfen Sie je eines Menschen, der für Sie sterben soll, so erinnern Sie sich meiner.«

Die Thränen traten Mirabeau in die Augen.

»Doctor,« sagte er, »das sind die Menschen, welche unsere Nachfolger sein werden. Bei meinem Ehrenwort, ich glaube, Sie sind mehr werth, als wir.«

LXV
Eine Frau, welche der Königin gleicht

Der Wagen hielt vor der Thüre der Kirche von Argenteuil.

»Ich habe Ihnen gesagt, ich sei nie mehr nach Argenteuil zurückgekommen, seit dem Tage, wo mich mein Vater mit Stockstreichen aus seinem Hause jagte; ich irrte mich: ich bin an dem Tage wieder hier gewesen, an welchem ich seinen Leib in diese Kirche führte,« sprach Mirabeau.

Und er stieg aus dem Wagen, nahm seinen Hut in die Hand und trat baarhaupt mit langsamem, feierlichem Schritte in die Kirche ein.

Es walteten bei diesem seltsamen Menschen so viele entgegengesetzte Gefühle ob, daß er zuweilen Velleitäten der Religion in der Zeit hatte, wo Alle Philosophen waren und Einige die Philosophie bis zum Atheismus trieben.

Gilbert folgte ihm in geringer Entfernung. Er sah Mirabeau die ganze Kirche durchschreiten und sich nahe beim Altar der Jungfrau an eine massive Säule anlehnen, an deren römisches Capital das Datum des zwölften Jahrhunderts geschrieben zu sein schien. Sein Haupt neigte sich, seine Augen hefteten sich auf eine den Mittelpunkt der Kapelle bildende schwarze Platte.

Der Doctor suchte sich Rechenschaft von dem zu geben, was so den Geist von Mirabeau in Anspruch nahm: seine Augen folgten der Richtung der Augen von Diesem und erblickten folgende Inschrift:

Hier ruht
Frauçoise von Castellane, Marquise
von Mirabeau,
Ein Muster von Frömmigkeit und Tugend; eine glückliche
Gattin, eine glückliche Mutter
Geboren im Dauphiné 1685; gestorben in Paris 1769
Beigesetzt in Saint-Sulpice;
dann hierher gebracht, um vereinigt zu sein in demselben
Grabe mit ihrem würdigen Sohne:
Victor von Riquetti, Marquis von
Mirabeau,
genannt der Menschenfreund;
Geboren in Pertuis, in der Provence, am 4. October 1715
Gestorben in Argenteuil am 11. Juli 1789
Betet zu Gott für ihre Seelen

Die Religion des Todes ist so mächtig, daß der Doctor einen Augenblick den Kopf senkte und in seinem Gedächtnisse suchte, ob ihm nicht irgend ein Gebet bleibe, um der Aufforderung zu gehorchen, welche an jeden Christen der Grabstein richtete, den er vor Augen hatte.

Doch wenn je Gilbert in seiner Kindheit, was ungewiß ist, die Sprache der Demuth und des Glaubens zu sprechen gewußt hatte, so hatte doch der Zweifel, dieser Brand des vorigen Jahrhunderts, bis aus die letzte Zeile das lebendige Buch verwischt, und die Philosophie hatte an ihre Stelle ihre Sophismen und ihre Paradoxen geschrieben.

Da er sein Herz trocken und seinen Mund stumm fand, so schlug er die Augen wieder aus und sah zwei Thränen über das mächtige Gesicht von Mirabeau rollen, das von den Leidenschaften durchfurcht war, wie es der Boden eines Vulcans durch die Lava ist.

Diese zwei Thränen von Mirabeau bewegten Gilbert seltsam. Er ging aus ihn zu und drückte ihm die Hand.

Mirabeau begriff.

Thränen vergossen zum Andenken an diesen Vater, der Mirabeau eingesperrt, gequält, gemartert hatte, wären unbegreifliche oder alltägliche Thränen gewesen.

»Es war eine würdige Frau,« sagte er, »diese Françoise von Castellane, die Mutter meines Vaters. Als mich alle Welt abscheulich fand, beschränkte sie sich darauf, mich häßlich zu finden; als mich alle Welt haßte, liebte sie mich beinahe! Was sie aber über Alles liebte, war ihr Sohn. Sie sehen auch, mein lieber Gilbert, ich habe sie wiedervereinigt. Mit wem wird man mich vereinigen? Welche Gebeine werden bei den meinigen ruhen?  . . .  Ich habe nicht einmal einen Hund, der mich liebt.«

Und er lachte schmerzlich.

»Mein Herr,« sprach eine Stimme mit dem herben, vorwurfsvollen Ausdruck, der nur den Devoten eigen ist, »man lacht nicht in der Kirche!«

Mirabeau wandte sein von Thränen überströmtes Gesicht nach der Seite, von welcher die Stimme kam, und erblickte einen Priester.

»Mein Herr,« fragte er mit sanftem Tone, »sind Sie der Priester, der in dieser Kapelle den Gottesdienst versieht?«

»Ja . . .  Was wollen Sie von ihm?«

»Haben Sie viele Arme in Ihrem Kirchspiele?«

»Mehr als Leute, welche geneigt sind, Almosen zu geben.«

»Sie kennen doch einige wohlthätige Herzen, einige philanthropische Geister?«

Der Priester lachte.

»Mein Herr,« bemerkte Mirabeau, »ich glaube, Sie haben mir die Ehre erwiesen, mir zu sagen, man lache nicht in den Kirchen?«

»Mein Herr« erwiderte der Priester verletzt, »sollten Sie sich erdreisten, mir eine Lection zu geben?«

»Nein, mein Herr, doch ich will Ihnen beweisen, daß sich die Leute, die sich für verpflichtet halten, ihren Brüdern zu Hilfe zu kommen, nicht so selten sind, als Sie denken. Aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich das Schloß vom Marais bewohnen. Mein Herr, jeder Arbeiter, dem es an Beschäftigung fehlt, wird dort Arbeit und einen guten Lohn finden; jeder Greis, der Hunger hat, wird dort Brod finden; jeder Kranke, was auch seine politische Meinung und seine religiösen Grundsätze sein mögen, wird Unterstützung finden; und von heute, Herr Pfarrer, biete ich Ihnen zu diesem Zwecke einen Credit von tausend Franken monatlich an.«

Und er riß ein Blatt ans seinen Tabletten und schrieb auf dieses Blatt mit Bleistift:

»Gut für die Summe von zwölftausend Franken, worüber der Herr Pfarrer von Argenteuil auf mich mit tausend Franken monatlich verfügen kann, welche von ihm zu guten Werken von dem Tage meines Einzugs in das Schloß vom Marais verwendet werden sollen.

»Gegeben in der Kirche von Argenteuil und unterzeichnet auf dem Altar der Jungfrau.

»Mirabeau der Aeltere.«

Mirabeau schrieb wirklich diesen Wechsel und unterzeichnete ihn auf dem Altar der Jungfrau.

Als er den Wechsel geschrieben und unterzeichnet hatte, übergab er ihn dem Pfarrer, welcher erstaunt war, ehe er ihn gelesen, und noch mehr erstaunte, nachdem er ihn gelesen.

Dann verließ er die Kirche mit dem Doctor Gilbert.

So kurz Mirabeau in Argenteuil geblieben war, so ließ er doch von seiner Erscheinung zwei Erinnerungen zurück, welche in der Nachwelt an Größe gewinnen sollten.

Das Eigenthümliche gewisser Organisationen ist, daß sie ein Ereigniß aus jedem Orte, auf den sie den Fuß setzen, hervorspringen machen.

So säet Kadmus Soldaten aus dem Boden von Theben aus.

So zerstreut Hercules seine zwölf Arbeiten auf der Oberfläche der Welt.

Heute noch, und Mirabeau ist doch seit sechzig Jahren todt, heute noch machet in Argenteuil an demselben Orte, wo sie Mirabeau machte, die zwei von uns so eben bezeichneten Stationen, und wenn das Haus nicht unbewohnt oder die Kirche nicht verödet ist, so werdet Ihr Einen finden, der Euch in allen seinen Einzelheiten und als ob es ein Ereigniß von gestern wäre, erzählen wird, was wir so eben erzählt haben.

Der Wagen folgte der großen Straße bis an ihr Ende, dann verließ er Argenteuil und rollte aus dem Wege nach Besons fort. Er hatte nicht hundert Schritte auf diesem Wege zurückgelegt, als Mirabeau zu seiner Rechten die durch die Schieferdächer des Schlosses und der dazu gehörigen Gebäude getrennten blätterreichen Bäume eines Parkes erblickte.

Das war das Marais.

Rechts von der Landstraße, der der Wagen folgte, ehe er zu dem Wege kam, welcher von dieser Straße nach dem Gitter des Schlosses mündet, stand eine dürftige Hütte.

Vor der Schwelle dieser Hütte saß aus einem hölzernen Schemel eine Frau, die in ihren Armen ein mageres, bleiches, vom Fieber verzehrtes Kind hielt.

Die Mutter, während sie diese halbe Leiche wiegte, schlug die Augen zum Himmel aus und weinte.

Sie wandte sich an denjenigen, an welchen man sich wendet, wenn man nichts mehr von den Menschen erwartet.

 

Mirabeau heftete von fern den Blick aus dieses traurige Schauspiel.

»Doctor,« sagte er zu Gilbert, »ich bin abergläubisch wie ein Alter: stirbt dieses Kind, so nehme ich das Schloß vom Marais nicht. Sehen Sie, das geht Sie an.«

Und er ließ seinen Wagen vor der Hütte halten und fügte bei:

»Doctor, da ich nur noch zwanzig Minuten Tag habe, um das Schloß in Augenschein zu nehmen, so lasse ich Sie hier; Sie werden mir nachfolgen und mir sagen, ob Sie das Kind zu retten hoffen.«

Dann sprach er zur Mutter:

»Gute Frau, dieser Herr hier ist ein großer Arzt; dankt der Vorsehung, der ihn Euch schickt: er will es versuchen, Euer Kind zu heilen.«

Die Frau wußte nicht, ob das ein Traum war. Sie stand, ihr Kind auf ihren Armen haltend, auf und stammelte Danksagungen.

Gilbert stieg aus.

Der Wagen fuhr weiter. Fünf Minuten nachher läutete Teisch am Gitter des Schlosses.

Es verging einige Zeit, ohne daß man Jemand erscheinen sah. Endlich öffnete ein Mann, der an seiner Kleidung leicht als der Gärtner zu erkennen war.

Mirabeau erkundigte sich zuerst nach dem Zustande, in welchem sich das Schloß befand.

Das Schloß war sehr bewohnbar, wenigstens wie der Gärtner sagte, und, es ist nicht zu leugnen, auch nach dem zu urtheilen, wie es beim ersten Anblicke erschien.

Es bildete einen Theil der Domäne der Abtei Saint-Denis, als Hauptort der Priorei Argenteuil, und war in Folge der in Betreff der Güter der Geistlichkeit erlassenen Decrete zum Verkauf ausgesetzt.

Mirabeau kannte es, wie gesagt, schon, doch er hatte nie Gelegenheit gehabt, es so genau zu betrachten, als es ihm bei dieser Veranlassung zu thun vergönnt war.

Nachdem man ihm das Gitter geöffnet, sah er sich in einem ersten fast viereckigen Hofe. Rechts stand ein vom Gärtner bewohnter Pavillon, links ein zweiter Pavillon, der, selbst äußerlich, so zierlich geschmückt war, daß man einen Augenblick bezweifeln konnte, ob es der Bruder des ersten sei.

Es war indessen sein Bruder; doch aus dem bürgerlichen Pavillon hatte die Verzierung ein beinahe aristokratisches Wohnhaus gemacht: mit Blumen bedeckte riesige Rosenstöcke gaben ihm ein buntscheckiges Kleid, während ein Gürtel von Weinreben seinen ganzen Leib mit einem grünen Bande umrankte. Jedes der Fenster war durch einen Vorhang von Nelken, Heliotropen und Fuchsias geschlossen, deren dichte Zweige, deren volle Blüthen zugleich die Sonne und den Blick in die Wohnung einzudringen verhinderten; ein Gärtchen ganz von Lilien, Cactus, Narcissen, ein wahrer Teppich, von dem man von fern hätte glauben sollen, er sei von der Hand von Pelenope gestickt, stieß an das Haus und erstreckte sich in der ganzen Länge des ersten Hofes, während eine riesige Trauerweide und herrliche Ulmen aus der entgegengesetzten Seite standen.

Wir haben von der Leidenschaft von Mirabeau für die Blumen gesprochen. Als er diesen in den Rosen verlorenen Pavillon, als er diesen reizenden Garten sah, der einen Theil des Häuschens von Flora zu bilden schien, gab er einen Freudenschrei von sich.

»Oh?« sagte er zum Gärtner, »dieser Pavillon ist zu vermiethen oder zu verkaufen, mein Freund?«

»Allerdings, mein Herr, da er zum Schlosse gehört und das Schloß zu verkaufen oder zu vermiethen ist,« erwiderte der Gärtner. »Nur wird er in diesem Augenblicke bewohnt; da aber die Person, die hier wohnt, keinen Miethvertrag hat, so könnte man sie wegschicken, wenn der Herr beim Schlosse eins würde.«

»Ah!« versetzte Mirabeau. »Und wer ist diese Person?«

»Eine Dame.«

»Jung?«

»Dreißig bis fünfunddreißig Jahre.«

»Schön?«

»Sehr schön.«

»Gut,« sagte Mirabeau, »wir werden sehen. Eine schöne Nachbarin verdirbt nichts  . . .  Lassen Sie mich das Schloß besichtigen, mein Freund.«

Der Gärtner schritt Mirabeau voran und ging über eine Brücke, welche den ersten Hof vom zweiten trennte und unter der ein kleiner Bach durchfloß.

Hier blieb der Gärtner stehen und sagte:

»Wenn der Herr die Dame vom Pavillon ungestört lassen wollte, so wäre dies um so leichter zu thun, als dieser Bach völlig den an den Pavillon anstoßenden Theil des Parkes vom übrigen Garten absondert: sie wäre bei sich und der Herr ebenfalls  . . . «

»Gut, gut.« sprach Mirabeau. »Sehen wir das Schloß an.«

Und er stieg behende die fünf Stufen der Freitreppe hinauf.

Der Gärtner öffnete die Hauptthüre.

Diese Thüre ging in ein Vestibule von Stuck mit Nischen, in denen Statuen enthalten waren, und mit Säulen, welche Vasen, nach der Mode jener Zeit, trugen.

Eine im Hintergrunde dieses Vestibule, der Eingangsthüre gegenüber, angebrachte Thüre bildete den Ausgang gegen den Garten.

Rechts vom Vestibule waren das Billardzimmer und das Speisezimmer.

Links zwei Salons, ein großer und ein kleiner.

Diese erste Einrichtung gefiel ziemlich Mirabeau, der übrigens zerstreut und ungeduldig zu sein schien.

Man stieg in den ersten Stock hinauf.

Der erste Stock bestand aus einem großen Salon, welcher sich nach seiner Disposition ganz für ein Arbeitszimmer eignete, und auf drei bis vier Schlafzimmern für die Herrschaft.

Die Fenster des Salon und der Schlafzimmer waren geschlossen.

Mirabeau ging von selbst auf eines der Fenster zu und öffnete es.

Der Gärtner wollte die andern öffnen; Mirabeau winkte ihm aber mit der Hand, und der Gärtner unterließ es.

Gerade unter dem Fenster, das Mirabeau geöffnet hatte, am Fuße einer ungeheuren Trauerweide, las eine Frau halb liegend, während ein Kind von fünf bis sechs Jahren ein paar Schritte von ihr aus den Rasen und unter Blumensträuchen spielte.

Mirabeau begriff, daß dies die Dame vom Pavillon war.

Man konnte unmöglich graziöser und eleganter gekleidet sein als es diese Frau war mit ihrem Mäntelchen von Mousseline, mit Spitzen verziert, welches eine Weste von weißem Taffet, besetzt mit weißen und rothen Bändern, bedeckte, mit ihrem Rocke von weißer Mousseline mit Volants, welche wie die Weste rosa und weiß verziert waren; mit ihrem Leibchen von Rosataffet, woran Schleifen von derselben Farbe, und ihrer kleinen Capuce ganz mit Spitzen garniert, die wie ein Schleier herabfielen, und durch die man, wie durch einen Dunst, ihr Gesicht unterscheiden konnte.

Feine, lange Hände mit aristokratischen Nägeln, Fuße eines Kindes, welche in Pantöffelchen von weißem Atlaß mit rosa Bandknoten spielten, vervollständigten dieses harmonische und verführerische Ganze.

Vom Kopf bis zu den Füßen in weißen Atlaß gekleidet trug das Kind, – eine seltsame Mischung, welche indessen in jener Zeit ziemlich gewöhnlich war, – einen kleinen Hut à Ia Henri IV. mit einem von jenen Gürteln, die man einen Nationalgürtel nannte.

So war überdies das Costume, das der junge Dauphin trug, als er das letzte Mal mit seiner Mutter auf dem Balcon des Tuilerien erschien.

Mirabeau hatte durch seinen Wink dem Gärtner bezeichnen wollen, er möge die schöne Leserin nicht stören.

Es war wirklich die Frau vom Blumenpavillon; es war wirklich die Königin der Lilien, der Cactus und der Narcissen; es war wirklich diese Nachbarin, welche Mirabeau, der Mann mit den stets nach der Wollust hinstrebenden Sinnen, gewählt hätte, würde sie der Zufall nicht zu ihm geführt haben.

Eine Zeit lang verschlang er mit den Augen das reizende Geschöpf, das unbeweglich blieb wie eine Statue, denn es wußte nichts von dem glühenden Blicke, von dem es umhüllt war. Doch, mochte es Zufall, mochte es eine magnetische Strömung sein, ihre Augen machten sich von dem Buche los und wandten sich nach der Seile des Fensters.

Sie erblickte Mirabeau, gab einen kleinen Schrei des Erstaunens von sich, rief ihren Sohn, entfernte sich, diesen bei der Hand haltend, jedoch nicht ohne mehrere Male den Kopf umzudrehen, und verschwand mit dem Kinde unter den Bäumen, durch deren Zwischenräume Mirabeau dem öfteren Wiedererscheinen ihres glänzenden Gewandes folgte, dessen Weiße mit den ersten Schatten der Nacht kämpfte.

Auf den Schrei des Erstaunens der Unbekannten antwortete Mirabeau durch einen Schrei der Verwunderung.

Diese Frau hatte nicht nur den königlichen Gang, sondern auch, so weit der Spitzenschleier, mit dem ihr Gesicht halb bedeckt war, dies zu beurtheilen erlaubte, die Züge von Marie Antoinette.

Das Kind vermehrte die Aehnlichkeit: es war gerade vom Alter des zweiten Sohnes der Königin, – der Königin, deren Gang, deren Gesicht, deren geringste Bewegungen nicht nur dem Gedächtnisse, sondern, wir möchten sagen, dem Herzen von Mirabeau seit der Zusammenkunft in Saint Cloud so gegenwärtig geblieben waren, daß er die Königin, überall wo er sie getroffen, erkannt hätte, und wäre sie mit jener göttlichen Wolke umgeben gewesen, in welche Virgil Venns hüllt, da sie ihrem Sohne aus dem Gestade von Carthago erscheint.

Welches seltsame Wunder führte denn in den Park des Hauses, das Mirabeau miethen wollte, eine geheimnißvolle Frau, die, wenn sie nicht die Königin, wenigstens ihr lebendiges Ebenbild war?

In diesem Augenblick fühlte Mirabeau, daß sich eine Hand aus seine Schulter legte.

LXVI
Wo sich der Einfluß der unbekannten Dame fühlbar zu machen anfängt

Mirabeau wandte sich bebend um.

Derjenige, welcher ihm die Hand aus die Schulter legte, war Gilbert.

»Ah!« sagte Mirabeau, »Sie sind es, Doctor? Nun?«

»Ich habe das Kind gesehen,« erwiderte Gilbert.

»Und Sie hoffen es zu retten?«

»Nie darf ein Arzt die Hoffnung verlieren, und wäre es im Angesichte des Todes!«

»Teufel,« rief Mirabeau, »damit wollen Sie sagen, die Krankheit sei ernst.«

»Mehr als ernst, mein lieber Graf, sie ist tödtlich.«

»Was für eine Krankheit ist es denn?«

»Es ist mir lieb, in einige Details über diesen Gegenstand eingehen zu dürfen, in Betracht, daß diese Details nicht ohne Interesse für einen Mann sein werden, der, ohne zu wissen, was er sich aussetzt, den Entschluß gefaßt hat, dieses Schloß zu bewohnen.«

»Ei! werden Sie mir etwa sagen, man laufe Gefahr, die Pest zu bekommen?«

»Nein, doch ich will Ihnen sagen, wie das Kind das Fieber bekommen hat, an dem es aller Wahrscheinlichkeit nach in acht Tagen gestorben sein wird. Seine Mutter schnitt das Gras des Schlosses mit dem Gärtner; um freier zu sein, hatte sie das Kind ein paar Schritte von diesen mit stehendem Wasser gefüllten Gräben, die den Park umgürten, niedergesetzt. Die gute Frau, welche keinen Begriff von der doppelten Bewegung der Erde besitzt, hatte das kleine Geschöpf in den Schatten gelegt, ohne zu vermuthen, in einer Stunde werde der Schatten der Sonne Platz gemacht haben. Als sie ihr Kind, herbeigezogen durch sein Geschrei, holen wollte, fand sie es doppelt angegriffen: angegriffen durch das zu anhaltende Brennen der Sonne auf das junge Gehirn, angegriffen durch das Einsaugen der sumpfigen Ausdünstungen, welches jene Art von Vergiftung herbeigeführt hatte, die man die paludische nennt.«

»Entschuldigen Sie, Doctor, ich verstehe Sie nicht recht.«

»Haben Sie nicht von den Fiebern der Pontinischen Sümpfe reden hören? Kennen Sie nicht, wenigstens dem Rufe nach, die tödtlichen Miasmen welche die toscanischen Maremmen ausdünsten? Haben Sie nicht im florentinischen Dichter den Tod von Pia déi Tolomei gelesen?«

»Doch, Doctor, ich weiß Alles dies, aber als Weltmann und als Dichter, und nicht als Chemiker und Arzt. Cabanis hat mir, als ich ihn das letzte Mal sah, etwas Aehnliches über den Saal der Manége gesagt, wo wir sehr schlecht sind; er behauptete sogar, wenn ich nicht dreimal in jeder Sitzung hinaus gehe, um die Luft der Tuilerien einzuathmen, so werde ich vergiftet sterben.«

»Und Cabanis hatte Recht.«

»Wollen Sie mir das erklären, Doctor? Sie werden mir ein Vergnügen machen.«

»Im Ernste?«

»Oh! ich verstehe ziemlich gut mein Griechisch und mein Latein; ich habe während der vier bis fünf Jahre, die ich zu verschiedenen Zeiten in Folge der socialen Empfindlichkeiten meines Vaters im Gefängniß zubrachte, das Alterthum wohl studirt. Ich habe sogar in meinen verlorenen Augenblicken ein obscönes Buch geschrieben, dem es nicht an einer gewissen Kenntniß gebricht. Doch ich weiß durchaus nicht, wie man im Saale der Nationalversammlung vergiftet werden kann, wenn man nicht etwa dort vom Abbé Maury gebissen wird oder das Blatt von Herrn Marat liest.«

»So will ich es Ihnen sagen; die Erklärung wird vielleicht ziemlich dunkel für einen Mann sein, der die Bescheidenheit hat, zu gestehen, er sei durchaus nicht stark in der Chemie und unwissend in der Physik. Indessen werde ich es versuchen, mich so klar als möglich zu machen.«

»Sprechen Sie, Doctor, nie werden Sie, einen wißbegierigeren Zuhörer gefunden haben.«

 

»Dem Architekten, der den Saal der Manége gebaut hat, und leider, mein lieber Graf, sind die Architekten, wie Sie, ziemlich schlechte Chemiker, – dem Architekten, der den Saal der Manage gebaut hat, ist es nicht eingefallen Kamine zu bauen zu Ausführung der verdorbenen Luft oder innere Röhren zu Erneuerung derselben. Eine Folge hiervon ist, daß die elf hundert Münde, welche in diesen Saal eingeschlossen Sauerstoff einathmen, dagegen kohlensaure Dünste von sich geben, wodurch nach einer Sitzung von einer Stunde, besonders im Winter, wenn die Fenster geschlossen und die Oefen geheizt sind, die Lust nicht mehr athembar ist.«

»Das ist gerade die Arbeit, von der ich mir Rechenschaft geben wollte, und wäre es nur, um es Bailly mitzutheilen.«

»Nichts kann einfacher sein, als folgende Erklärung: die reine Lust, so wie sie von unserer Lunge absorbirt werden soll, die Luft, wie man sie in einer aus einer kleinen Anhöhe gegen Morgen, mit einem Bache in der Nähe, liegenden Wohnung, das heißt unter den besten Bedingungen, in denen man athmen kann, einathmet, besteht aus 77 Theilen Sauerstoff, 21 Theilen Stickstoff und 2 Theilen Wasserstoff.

»Sehr gut! bis daher begreift ich, und ich merke mir Ihre Ziffern.«

»Hören Sie weiter: das venöse Blut wird schwarz und mit Kohlensäure geschwängert in die Lunge gebracht, wo es durch die Berührung der äußeren Luft, das heißt des Sauerstoffs, der die Athmungsthätigkeit von der freien Lust entlehnt, wiederbelebt werden soll. Hier bewerkstelligt sich ein doppeltes Phänomen, das wir mit dem Namen Hematose bezeichnen. Der Sauerstoff, mit dem Blute in Berührung gebracht, combinirt sich mit ihm, macht es von schwarz, wie es war, roth, und gibt ihm so das Lebenselement, welches in jeder Oekonomie sein muß; zu gleicher Zeit geht der Kohlenstoff, der sich mit einem Theile des Sauerstoffs combinirte, in den Zustand der Kohlensäure oder des Kohlensauerstoffs über und wird bei dem Acte des Athmens, vermischt mit einem gewissen Quantum Wasserstoff, ausgedünstet. Diese durch das Einathmen absorbirte reine Lust, diese durch die Ausdünstung verdorben zurückgegebene Luft bilden in einem geschlossenen Saale eine Atmosphäre, welche nicht nur in den Bedingungen des Athemholens zu sein aufhört, sondern sogar eine wahre Vergiftung hervorbringen kann.«

»So daß ich Ihrer Ansicht nach schon halb vergiftet bin, Doctor?«

»Ganz richtig. Ihre Leibschmerzen kommen von keiner andern Ursache her; wohlverstanden, ich füge den Vergiftungen der Manége die des erzbischöflichen Palastes, die des Thurmes von Vincennes, die des Fort Joux und die des Schlosses If bei. Erinnern Sie sich nicht, daß Frau von Bellegarde gesagt hat, es gebe im Schlosse von Vincennes eine Stube, welche nicht durch Arsenik aufgewogen werden könne?«

»Somit, mein lieber Doctor, ist das arme Kind ganz und gar das, was ich nur halb bin, nämlich vergiftet?«

»Ja, und die Vergiftung hat bei ihm ein verderbliches Fieber herbeigeführt, dessen Sitz im Gehirn und in den Gehirnhäuten ist. Dieses Fieber hat eine Krankheit erzeugt, die man einfach Gehirnentzündung nennt, und die ich mit einem neuen Namen taufe, die ich, wenn Sie wollen, Hydrocephalus acutus20 nennen werde. Hiervon Convulsionen; hiervon das angeschwollene Gesicht; hiervon die bläulichen Lippen; hiervon das Einwärtsdrehen des Augapfels; hiervon der ausgesprochene Krampf der Kinnlade; hiervon das keuchende Athmen, das Beben des Pulses an der Stelle der Schläfe; hiervon endlich der kleberige Schweiß, der seinen ganzen Leib bedeckt!«

»Teufel! Doctor, wissen Sie, daß die Aufzählung, die Sie mir da machen, Schauer erregen kann? Wahrhaftig, höre ich einen Arzt in technischen Worten reden, so ist es mir, wie wenn ich einen Stempelbogen in spitzfindigen Ausdrücken lese: mir scheint immer, das Mindeste, was ich erwarten könne, sei der Tod. Und was haben Sie denn dem armen Kleinen verordnet?«

»Die energischste Behandlung, und ich bemerke Ihnen sogleich, daß ein paar Louis d’or in die Verordnung gewickelt die Mutter in den Stand gesetzt haben, sie zu befolgen. So die Kühlmittel auf den Kopf, die erregenden Mittel an den Extremitäten, Emetin als Vometiv, Fieberrinde als Decoct!«

»Wahrhaftig? Und Alles dies wird nichts nützen?«

»Alles dies, ohne die Hilfe der Natur, wird nicht viel nützen. Zu Befreiung meines Gewissens habe ich diese Behandlung verordnet.21 Sein Engel, wenn das arme Kind einen hat, wird das Uebrige thun.«

»Hm!« machte Mirabeau.

»Nicht wahr, Sie begreifen?« fragte Gilbert.

»Ihre Theorie des Kohlensauerstoffs? Ungefähr.«

»Nein, das ist es nicht: ich meine, Sie begreifen, daß Ihnen die Luft des Schlosses vom Marais nicht zuträglich sei?«

»Sie glauben, Doctor?«

»Ich bin fest davon überzeugt.«

»Das wäre sehr ärgerlich, denn das Schloß behagt mir ungemein.«

»Daran erkenne ich Sie, ewiger Feind Ihrer selbst. Ich rathe Ihnen eine Anhöhe, Sie wählen ein flaches Terrain, ich empfehle Ihnen ein fließendes Wasser, Sie wählen ein stehendes.«

»Aber welch ein Park! Schauen Sie doch diese Bäume an, Doctor!«

»Schlafen Sie eine einzige Nacht bei offenem Fenster, Graf, oder gehen Sie nach elf Uhr Abends im Schatten dieser schönen Bäume spazieren, und Sie werden mir am andern Tage Nachricht von sich geben.«

»Das heißt, statt halb vergiftet zu sein, wie ich es bin, werde ich am andern Tage ganz vergiftet sein!«

»Haben Sie die Wahrheit von mir verlangt?«

»Ja, und Sie sagen sie mir, nicht so, Doctor?«

»Oh! in ihrer ganzen Rohheit, Ich kenne Sie, mein lieber Graf. Sie kommen hierher, um die Welt zu fliehen, die Welt wird sie hier aufsuchen; Jeder schleppt seine Kette nach sich, – von Eisen, von Gold oder von Blumen! Ihre Kette ist das Vergnügen bei Nacht und das Studium bei Tag. So lange Sie jung gewesen sind, haben Sie in der Wollust ausgeruht; doch die Arbeit hat Ihre Tage abgenutzt, die Wollust hat Ihre Nächte ermüdet, Sie sagen es mir selbst mit Ihrer immer so ausdrucksvollen und so farbenreichen Sprache: Sie fühlen sich vom Sommer zum Herbste übergehen. Nun wohl, mein lieber Graf, bin ich in Folge eines Arbeitsexcesses bei Tag, in Folge eines Vergnügensexcesses bei Nacht genöthigt, Ihnen zur Ader zu lassen, – in diesem Augenblicke des Abganges von Kräften, bedenken Sie das wohl, werden Sie mehr als je fähig sein, die bei Nacht durch die großen Bäume des Parkes und bei Tag durch die paludischen Miasmen des stehenden Wassers verdorbene Luft einzuathmen. Was wollen Sie dann? Sie werden zwei gegen mich sein, Beide stärker als ich: Sie und die Natur. Ich muß wohl unterliegen.«

»Sie glauben also, ich werde durch die Eingeweide sterben, mein lieber Doctor? Teufel! es ist mir peinlich, wenn Sie mir das sagen. Die Krankheiten der Eingeweide währen lange und sind schmerzlich! Ein guter Schlagfluß oder ein Aneurysma wären mir lieber. Könnten Sie mir das nicht machen?«

»Oh! mein lieber Graf,« erwiderte Gilbert, »verlangen Sie in dieser Hinsicht nichts von mir: was Sie wünschen, ist geschehen oder wird geschehen. Meiner Ansicht nach sind Ihre Eingeweide nur secundär, und bei Ihnen spielt das Herz die erste Rolle und wird sie spielen. Leider sind die Herzkrankheiten bei Männern von Ihrem Alter zahlreich und verschiedenartig, und haben nicht alle einen augenblicklichen Tod zur Folge. Allgemeine Regel, mein lieber Graf, hören Sie das wohl, das steht nirgends geschrieben, doch ich sage es Ihnen, ich, der ich viel mehr philosophischer Beobachter, als Arzt bin: die acuten Krankheiten des Menschen folgen einer beinahe absoluten Ordnung; bei den Kindern ist es das Gehirn, was ergriffen wird; beim Jüngling ist es die Brust; beim Erwachsenen sind es die unteren Eingeweide; beim Greise ist es das Gehirn oder das Herz, – das, was viel gedacht und viel gelitten hat. Wenn die Wissenschaft ihr letztes Wort gesprochen, wenn die ganze vom Menschen befragte Natur ihr letztes Geheimniß preisgegeben, wenn jede Krankheit ihr Mittel gefunden hat, wenn der Mensch, abgesehen von einigen Ausnahmen, wie die Thiere, die ihn umgeben, nur noch vor Alter sterben wird, dann werden die zwei einzigen angreifbaren Organe bei ihm das Gehirn und das Herz sein, und auch der Tod durch das Gehirn wird zum Ursprung die Krankheit des Herzens haben!«

»Teufel!« rief der Graf, »Sie haben keinen Begriff, wie sehr Sie mich interessiren; man sollte glauben, mein Herz wisse, daß Sie von ihm sprechen, sehen Sie, wie es schlägt.«

Mirabeau nahm die Hand von Gilbert und legte sie an sein Herz.

»Wohl,« sagte der Doctor, »das dient zur Unterstützung dessen, was ich Ihnen erklärte. Wie soll ein Organ, das an allen Ihren Gemüthsbewegungen Theil nimmt, das seine Schläge beschleunigt oder hemmt, um einem einfachen pathologischen Gespräche zu folgen, – wie soll dieses Organ, bei Ihnen besonders, nicht angegriffen werden? Sie haben durch das Herz gelebt, Sie werden durch das Herz sterben; begreifen Sie also Folgendes: es kommt keine lebhafte moralische Affection vor, es kommt keine hitzige körperliche Affection vor, die dem Menschen nicht eine Art von Fieber gibt; es kommt kein Fieber vor, das nicht eine mehr oder minder große Beschleunigung der Schläge des Herzens erzeugt. In dieser Arbeit nun, die ein Leiden und eine Beschwerlichkeit ist, da sie sich außerhalb der normalen Ordnung bewerkstelligt, nutzt sich das Herz ab, verdirbt sich das Herz; hiervon bei den Greisen die Hyperthonie des Herzens, das heißt seine übermäßige Vergrößerung: hiervon die Herzverengerung: diese fuhrt zu Zerreißungen des Herzens, zum einzigen augenblicklichen Tode; die Hypertrophie fuhrt zum Hirnschlage, ein Tod, der zuweilen langsamer, wobei aber der Verstand getödtet ist und folglich der wahre Schmerz nicht mehr besteht, da es keinen Schmerz gibt, ohne das Gefühl, welches diesen Schmerz beurtheilt und ermißt. Stellen Sie sich nun vor, Sie haben geliebt, Sie seien glücklich gewesen, Sie haben Augenblicke der Freude und Stunden der Verzweiflung gehabt, wie sie kein Anderer vor Ihnen gehabt haben wird; Sie haben unbekannte Triumphe erreicht; Sie seien in unerhörte Täuschungen hinabgesunken; Ihr Herz habe Ihnen vierzig Jahre das Blut in brennenden oder hastigen Katarakten vom Mittelpunkt zu den Extremitäten zurückgeschickt; Sie haben ganze Tage lang gedacht, gearbeitet, gesprochen; Sie haben Nächte hindurch getrunken, gelacht, geliebt, und Ihr Herz, von dem Sie vollen Gebrauch gemacht, das Sie mißbraucht, werde Sie nicht eines Tags verlassen?  . . .  Ah! mein lieber Freund: das Herz ist wie eine Börse, so gut sie gespickt sein mag, dadurch, daß man immer von ihr entlehnt, erschöpft man sie am Ende. Nachdem ich Ihnen aber die schlimme Seite der Lage gezeigt habe, lassen Sie mich Ihnen die gute entwickeln. Das Herz braucht Zeit, um sich abzunutzen; verfahren Sie nicht mehr gegen das Ihrige, wie Sie es thun; verlangen Sie nicht mehr Arbeit von ihm, als es hervorbringen kann, geben Sie ihm nicht mehr Bewegungen, als es auszuhalten vermag, unterziehen Sie sich den Bedingungen, welche keine ernste Unordnungen in die drei Hauptfunctionen des Lebens bringen, – ich meine das Athmen, das seinen Sitz in der Lunge hat, den Umlauf des Blutes, der seinen Sitz im Herzen hat, die Verdauung, die ihren Sitz im Gedärme hat, – und Sie können noch zwanzig, dreißig Jahre leben, und Sie können nur vor Alter sterben; während Sie, wenn Sie im Gegentheil auf den Selbstmord losgehen wollen, – oh! mein Gott! nichts ist leichter für Sie, – Ihren Tod nach Belieben verzögern oder beschleunigen werden, Stellen Sie sich vor, Sie führen ein Paar ungestüme Pferde, die Sie, ihren Führer, fortreißen; zwingen Sie dieselben, im Schritte zu gehen, und sie werden in einer langen Zeil eine lange Reise vollbringen; lassen Sie dieselben im Galopp gehen, und sie werden, wie die der Sonne, in einem Tage und einer Nacht den ganzen Himmelskreis durchlaufen.«

20Hitziger Wasserkopf.
21Im Jahre 1790 kannte man die schwefelsaure China noch nicht und wandte man nicht noch die Blutegel hinter dem Ohr an. Die Verordnung des Doctor Gilbert war also so vollkommen, als es der Zustand der Wissenschaft am Ende den 18. Jahrhunderts erlaubte.