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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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LXI
Sturm ist vorübergegangen

Es ist mit den menschlichen Stürmen, wie mit den himmlischen Orkanen: der Himmel bedeckt sich, der Blitz leuchtet, der Donner rollt, die Erde scheint aus ihrer Achse zu wanken: es gibt einen furchtbaren Augenblick des Paroxysmus, wo man an die Vernichtung der Dinge und der Menschen glaubt, wo Jeder zittert, bebt, und die Hände zum Himmel als zur alleinigen Güte, als zur alleinigen Barmherzigkeit erhebt. Dann bildet sich allmälig die Ruhe, die Nacht verschwindet, der Tag kommt wieder, die Sonne wird neugeboren, die Blumen öffnen sich wieder, die Bäume richten sich wieder auf, die Menschen gehen an ihre Geschäfte, überlassen sich wieder ihren Vergnügungen, ihrer Liebe; das Leben lacht und singt am Rande der Wege und auf der Schwelle der Thüren, und man bekümmert sich nicht um die theilweise Verwüstung, die da, wo das Gewitter niedergefallen, entstanden ist.

Eben so war es beim Pachthofe: die ganze Nacht tobte ohne Zweifel ein furchtbarer Sturm im Herzen des Mannes, der seinen Racheplan beschlossen und zur Ausführung gebracht hatte. Als er die Flucht seiner Tochter wahrnahm, als er vergebens in der Dunkelheit die Spur ihrer Tritte suchte, als er sie zuerst mit der Stimme des Zorns, dann mit der des Flehens, dann mit der Verzweiflung rief, und sie auf keine von diesen Stimmen antwortete, brach gewiß etwas vom Leben dieser mächtigen Organisation; als aber auf diesen Sturm von Schreien und Drohungen, der seinen Blitz und seinen Donner gehabt hatte, wie der himmlische Sturm, die Stille der Erschöpfung gefolgt war; als die Hunde, welche keine Ursache der Unruhe mehr hatten, zu heulen aufgehört; als ein mit Hagel vermischter Regen eine Blutspur vertilgt hatte, welche wie ein halb ausgelöster Gürtel eine ganze Seite des Pachthofes umgab; als die Zeit, dieser unbemerkbare und stumme Zeuge von Allem dem was hienieden vorgeht, in die Lust aus den bebenden ehernen Flügeln die letzten Stunden der Nacht geschüttelt hatte, nahmen die Dinge wieder ihren gewöhnlichen Lauf: das Hofthor ächzte aus seinen verrosteten Angeln; die Tagelöhner kamen heraus, die Einen, um zu säen, die Anderen, um zu eggen, wieder Andere, um zu pflügen; dann erschien auch Billot, die Ebene in allen Richtungen durchkreuzend; endlich kam der Tag, das übrige Dorf erwachte, und Einige, welche weniger gut geschlafen hatten, als die Andern, sagten mit einer halb neugierigen, halb gleichgültigen Miene: »Die Hunde von Vater Billot haben stark geheult heute Nacht, und man hat zwei Schüsse hinter dem Pachthofe gehört.«

Das war Alles.

Oh! nein, wir täuschen uns.

Als der Vater Billot, wie gewöhnlich, um neun Uhr zum Frühstücke nach Hause kam, fragte ihn seine Frau:

»Sage, Mann, wo ist Catherine?«

»Catherine?« erwiderte der Pächter mit einer Anstrengung: »die Luft des Pachthofes war ihr schädlich, und sie ist nach der Sologne zu ihrer Muhme abgereist.«

»Ah!« versetzte die Mutter Billot. »Und sie wird lange bei ihrer Muhme bleiben?«

»So lange, als es nicht besser bei ihr geht,« antwortete der Pächter.

Die Mutter Billot stieß einen Seufzer aus und entfernte ihre Tasse Milchkaffee von sich.

Der Pächter wollte sich zwingen, um zu essen, doch beim dritten Mund voll, als erstickte ihn diese Speise, nahm er die Flasche Burgunder beim Halse und leerte sie auf einen Zug; dann fragte er mit einer heiseren Stimme:

»Man hat hoffentlich mein Pferd nicht abgesattelt?«

»Nein, Herr Billot,« antwortete schüchtern ein Knabe, der jeden Morgen sein Frühstück im Pachthofe hatte.

»Gut,« sagte der Pächter.

Und er schob ungestüm den Knaben zurück, bestieg sein Pferd und sprengte es auf die Felder, während seine Frau, zwei Thränen trocknend, wieder ihren gewöhnlichen Platz unter dem Kaminmantel einnahm.

Und abgesehen von dem Singvogel, abgesehen von der holden Blume, welche, unter den Zügen eines Mädchens, die alten Mauern erheiterte und durchduftete, war der Pachthof am andern Tage wieder, wie er am Tage vorher gewesen.

Pitou sah den Tag in seinem Hause in Haramont anbrechen, und diejenigen, welche um sechs Uhr Morgens bei ihm eintraten, fanden ihn von einem Lichte, das schon lange brennen mußte, durfte man seinem hohen Dochte glauben, beleuchtet und eine Rechnung über die Verwendung der fünfundzwanzig Louis d’or ins Reine schreibend, die er für die Montirung und Equipirung der Nationalgarde von Haramont erhalten hatte, welche Rechnung er mit allen Belegen Gilbert schicken wollte.

Allerdings sagte ein Holzhauer, er habe gegen Mitternacht Pitou, in seinen Armen etwas Schweres tragend, was das Aussehen einer Frau gehabt, die Abhänge, welche zur Einsiedelei des Vater Clouis führten, hinabsteigen sehen. Doch das war nicht möglich, insofern der Vater Lajeunesse behauptete, er habe ihn gegen ein Uhr Morgens aus allen Krästen auf der Straße von Boursonnes laufen sehen, während Maniquet, der ganz am Ende des Dorfes, auf der Seite von Longpré, wohnte, angab, er habe ihn um zwei Uhr oder halb drei Uhr an seiner Thüre vorübergehen sehen und ihm zugerufen: »Gute Nacht, Pitou!« auf welche Artigkeit ihm Pitou geantwortet: »Gute Nacht, Maniquet!«

Es war also nicht zu bezweifeln, daß Maniquet um zwei Uhr oder halb drei Pitou gesehen hatte.

Sollte aber der Holzhauer Pitou in der Gegend des Clouis-Steines, um Mitternacht, in seinen Armen etwas Schweres, was einer Frau glich, tragend gesehen haben; sollte der Vater Lajeunesse Pitou aus allen Kräften laufend gegen ein Uhr Morgens aus der Straße von Boursonnes gesehen haben; sollte Maniquet, als er um zwei Uhr oder halb drei Uhr an seiner Thüre vorübergegangen, Pitou gute Nacht gesagt haben, so hätte Pitou, den wir gegen zehn Uhr oder halb elf Uhr mit Catherine in den Schluchten, welche das Dorf Pisseleu von dem Pachthofe von None trennen, aus dem Gesichte verloren, von da nach dem Clouis-Stein gehen, das heißt, ungefähr anderthalb Meilen machen müssen; er wäre dann vom Clouis-Stein nach Boursonnes gelaufen, zwei weitere Meilen; er wäre von Boursonne zum Clouis-Stein zurückgekehrt, hätte sich dann vom Clouis-Stein nach Hause begeben, was zur Annahme führen würde, er habe, um zuerst Catherine in Sicherheit zu bringen, um sich sodann nach dem Vicomte zu erkundigen und hernach Catherine Nachricht vom Vicomte zu geben, zwischen elf Uhr Abends und halb drei Uhr Morgens etwas wie acht bis zehn Meilen gemacht. Diese Annahme wäre nun nicht einmal für die fürstlichen Läufer zulässig, von denen die Leute aus dem Volke einst behaupteten, man habe ihnen die Milz ausgenommen; doch ein solches Kraftstück würde, im Ganzen, nur in geringem Grade diejenigen in Erstaunen gesetzt haben, welche einmal im Stande gewesen waren, die locomotiven Fähigkeiten von Pitou zu schätzen.

Nichtsdestoweniger, da Pitou Niemand die Geheimnisse dieser Nacht offenbarte, in der er mit der Gabe der Allgegenwart ausgerüstet gewesen zu sein schien, ging hieraus hervor, daß, abgesehen von Desiré Maniquet, auf dessen »Gute Nacht!« er geantwortet, weder der Holzhauer, noch der Vater Lajeunesse es gewagt hätten, mit einem Eidschwure zu bekräftigen, es sei Pitou in Person, und nicht ein Schatten gewesen, ein Geist, ein Gespenst, das eine Aehnlichkeit mit Pitou angenommen, was sie beim Clouis-Steine oder auf der Landstraße von Boursonnes gesehen.

Gewiß ist, daß man Pitou um sechs Uhr Morgens, als Billot zu Pferde stieg, um seine Felder zu besuchen, ohne einen Anschein von Müdigkeit oder Unruhe, einen Auszug auf den Rechnungen des Schneiders Dulauroy machen sah, denen er als Belege die Empfangscheine seiner drei und dreißig Mann beifügte.

Noch eine andere Person von unserer Bekanntschaft hatte in dieser Nacht ziemlich schlecht geschlafen.

Das war der Doctor Raynal.

Er war um ein Uhr Morgens durch den Lackei des Vicomte von Charny, der mit aller Gewalt an seinem Hause läutete, geweckt worden.

Er halte selbst geöffnet, wie dies seine Gewohnheit war, wenn die Nachtglocke ertönte.

Der Lackei des Vicomte holte ihn wegen eines schweren Unfalls, der seinem Herrn zugestoßen.

Er hielt ein zweites gesatteltes Pferd an der Hand, damit der Doctor Raynal nicht einen Augenblick aufgehalten wäre.

Der Doctor kleidete sich eiligst an, bestieg das Pferd und entfernte sich, im Galopp dem Lackei folgend, der ihm wie ein Courier voranritt.

Was für ein Unfall war dies? Er würde es erst bei seiner Ankunft im Schlosse erfahren. Man hatte ihn nur aufgefordert, seine chirurgischen Instrumente mitzunehmen.

Der Unfall war eine Wunde in der linken Seile und eine Schramme an der reckten Schulter, gemacht mit zwei Kugeln, welche von demselben Caliber zu sein schienen, das heißt von einem Caliber von vier und zwanzig.

Doch der Vicomte schwieg über die einzelnen Umstände dieses Ereignisses.

Eine von den beiden Wunden, die aus der Seite, war ernst, bot jedoch keine Gefahr: die Kugel war in das Fleisch eingedrungen, ohne ein wichtiges Organ zu verletzen.

Was die andere Wunde betrifft, so schien es nicht der Mühe werth, sich damit zu beschäftigen.

Als der Verband angelegt war, gab der junge Mann vier und zwanzig Louis d’or dem Doctor, daß er schweige.

»Wenn ich schweigen soll, so müssen Sie mir meinen Besuch zum gewöhnlichen Preise bezahlen, nämlich mit einer Pistole,« sagte der wackere Doctor.

Und er nahm einen Louis d’or und gab auf diesen Louis d’or vierzehn Livres dem Vicomte heraus, so sehr auch dieser in ihn drang, um ihn zu bewegen, mehr zu nehmen. Doch vergebens!

Nur bemerkte der Doctor, er glaube, es werden drei Besuche nothwendig sein, und er werde folglich am zweiten und am vierten Tage wiederkommen.

Beim zweiten Besuche fand der Doctor seinen Kranken schon auf: mit Hilfe eines Gürtels, der den Verband an der Wunde festhielt, hatte er schon am andern Tage zu Pferde steigen können, als ob nichts geschehen wäre; so daß Niemand, seinen vertrauten Lackei ausgenommen, etwas von dem Vorfalle wußte.

 

Als der Doctor zum dritten Male kam, war sein Patient abgreist. Er wollte deshalb für diesen vergeblichen Besuch nur eine halbe Pistole nehmen.

Der Doctor Raynal war einer von den seltenen Aerzten, welche würdig sind, in ihrem Zimmer den berühmten Kupferstich: Hippokrates die Geschenke von Artaxerxes ausschlagend, zu haben.

LXII
Der große Verrath von Herrn von Mirabeau

Man erinnert sich der letzten Worte, welche Mirabeau zu der Königin in dem Augenblick sprach, wo sie ihm, da er Saint-Cloud verließ, die Hand zum Kusse reichte:

»Durch diesen Kuß, Madame, ist die Monarchie gerettet.«

Es handelte sich darum, dieses von Promethens Juno, welche der Entthronung nahe, geleistete Versprechen zu verwirklichen.

Mirabeau hatte, seiner Stärke vertrauend, den Kampf begonnen, ohne zu bedenken, daß man ihn nach so vielen Unvorsichtigkeiten und drei gescheiterten Complotten zu einem unmöglichen Kampfe antrieb.

Mirabeau, und das wäre klüger gewesen, hätte vielleicht noch eine Zeit lang unter dem Schutze der Maske gestritten. Doch zwei Tage, nachdem er bei der Königin gewesen, als er in die Nationalversammlung ging, sah er Gruppen und hörte er Ausrufungen.

Er näherte sich den Gruppen und erkundigte sich nach der Ursache dieser Ausrufungen.

Man reichte sich Brochuren, und von Zeit zu Zeit rief eine Stimme:

»Der große Verrath von Herrn von Mirabeau! der große Verrath von Herrn von Mirabeau!«

»Ah! ah!« sagte er, während er ein Goldstück aus der Tasche zog, »es scheint, das geht mich an! Mein Freund,« fuhr er fort, indem er sich an den Colporteur wandte, der die Brochuren austheilte und mehrere Tausende in Körben hatte, die ein Esel geduldig trug, wohin es ihm seine Bude zu versetzen beliebte, »was kostet der große Verrath von Herrn von Mirabeau?«

Der Colporteur schaute Mirabeau ins Gesicht und erwiderte:

»Herr Graf, ich gebe ihn umsonst.«

Und leise fügt er bei:

»Es sind hunderttausend Exemplare von dieser Brochure gedruckt worden.«

Mirabeau entfernte sich nachdenkend.

Diese Brochure, von der man hunderttausend Exemplare abgezogen!

Diese Brochure, die man umsonst gab!

Dieser Colporteur, der ihn kannte!

Doch ohne Zweifel war diese Brochure eine von den albernen oder gehässigen Veröffentlichungen, wie sie zu Tausenden um jene Zeit erschienen.

Das Uebermaß des Hasses oder das Uebermaß der Albernheit benahm ihr jeden Werth.

Mirabeau warf einen Blick aus die erste Seite und erbleichte.

Die erste Seite enthielt das Verzeichniß der Schulden von Mirabeau, und seltsamer Weise war dieses Verzeichniß genau:

Zweimal hundert und achttausend Franken.

Unter dem Verzeichniß stand das Datum des Tages, an welchem diese Summe an die verschiedenen Gläubiger von Mirabeau durch Herrn von Fontanges, dem Almosenier der Königin, bezahlt worden war.

Dann kam der Betrag der Summe, die ihm der Hof monatlich bezahlte:

Sechs tausend Franken.

Dann endlich die Erzählung seiner Zusammenkunft mit der Königin.

Das war unbegreiflich; der anonyme Pamphletschreiber hatte sich nicht in einer Zahl, man könnte beinahe sagen, nicht in einem Worte geirrt.

Welcher entsetzliche Feind voll von unerhörten Geheimnissen verfolgte ihn so oder verfolgte vielmehr in ihm die Monarchie?

Der Colporteur, der mit ihm gesprochen, der ihn erkannt, der ihn Herr Graf genannt hatte, – es schien Mirabeau, sein Gesicht sei ihm nicht ganz fremd.

Er kehrte um.

Der Esel stand immer noch mit seinen zu drei Vierteln leeren Körben da; doch der erste Colporteur war verschwunden, und ein anderer hatte seinen Platz eingenommen.

Dieser war Mirabeau völlig unbekannt.

Er betrieb die Austheilung mit nicht weniger Eifer.

Der Zufall wollte, daß im Augenblick dieser, Austheilung der Doctor Gilbert, der beinahe alle Tage den Debatten der Nationalversammlung beiwohnte, besonders wenn diese Debatten einige Wichtigkeit hatten, über den Platz ging, wo sich der Colporteur aufgestellt.

Träumerisch und in Gedanken versunken, wäre er vielleicht bei diesem Lärmen und diesen Gruppen nicht stehen geblieben, doch mit seiner gewöhnlichen Dreistigkeit ging Mirabeau gerade aus ihn zu, nahm ihn beim Arme und führte ihn zum Austheiler der Brochuren.

Dieser that bei Gilbert, was er bei den Andern gethan hatte: er streckte den Arm gegen ihn aus und sagte:

»Bürger, der große Verrath von Herrn von Mirabeau!«

Als er aber Gilbert erblickte, hielten sein Arm und seine Zunge wie gelähmt an.

Gilbert betrachtete ihn ebenfalls, ließ mit Ekel die Brochure fallen und entfernte sich mit den Worten:

»Sie treiben da ein häßliches Handwerk, Herr Beausire.«

Er nahm den Arm von Mirabeau und ging weiter zur Nationalversammlung, die den erzbischöflichen Palast mit der Manage vertauscht hatte.

»Kennen Sie denn diesen Menschen?« fragte Mirabeau Gilbert.

»Ich kenne ihn, wie man solche Menschen kennt,« erwiderte Gilbert; »es ist ein ehemaliger Gefreiter, ein Spieler, ein Gauner, er hat sich zum Verleumder gemacht, da er nicht mehr wußte, was er thun sollte.«

»Ah!« murmelte Mirabeau, indem er die Hand an die Stelle legte, wo er sein Herz gehabt hatte, und wo nur noch ein Portefeuille, das Geld des Hofes enthaltend, war, »wenn er verleumdete  . . . «

Und der große Redner setzte seinen Gang fort.

»Wie,« sprach Gilbert, »sollten Sie so wenig Philosoph sein, daß Sie sich durch einen solchen Angriff niederschlagen lassen?«

»Ich?« rief Mirabeau. »Ah! Doctor, Sie kennen mich nicht . . .  Oh! sie sagen, ich sei verkauft, während sie einfach sagen müßten, ich sei bezahlt! Nun, morgen kaufe ich ein Hotel, morgen nehme ich Wagen, Pferde, Bedienten, morgen nehme ich einen Koch und halte offene Tafel. Ich, niedergeschlagen? Ei! was liegt mir an der Volksbeliebtheit von gestern und an der Unbeliebtheit von heute? Habe ich nicht die Zukunft?  . . .  Nein, Doctor, was mich niederschlägt, ist ein geleistetes Versprechen, das ich wahrscheinlich nicht halten kann, es sind die Fehler, ich möchte beinahe sagen, die Verräthereien des Hofes gegen mich. Ich habe die Königin gesehen, nicht wahr? Sie schien voll Vertrauen zu mir; einen Augenblick träumte ich, – wahnsinniger Traum bei einer solchen Frau, – einen Augenblick träumte ich, nicht der Minister eines Königs zu sein, wie Richelieu, sondern der Minister, sagen wir es gerade heraus, und die Welt hätte sich dabei nicht schlimmer befunden, der Geliebte einer Königin, wie Mazarin. Was that sie nun? An demselben Tag, als sie mich kaum verlassen, und ich habe den Beweis hiervon, schrieb sie an ihren Agenten in Deutschland, Herrn von Flachsland: »»Sagen Sie meinem Bruder Leopold, ich befolge seinen Rath; ich bediene mich des Herrn von Mirabeau, doch es sei nichts Ernstes in meinen Beziehungen zu ihm?«

»Sind Sie dessen sicher?« fragte Gilbert.

Sicher, materiell sicher  . . .  Doch das ist noch nicht Alles  . . .  Wissen Sie, von was heute in der Kammer die Rede sein soll?«

»Ich weiß, daß vom Kriege die Rede sein soll, doch ich bin schlecht unterrichtet über die Ursache dieses Krieges.«

Oh! mein Gott, das ist ganz einfach: in zwei Parteien, Oesterreich und Rußland einerseits, England und Preußen andererseits, getrennt, strebt doch ganz Europa zu einem Hasse, zum Hasse gegen die Revolution hin. Für Rußland und für Oesterreich ist die Kundgebung nicht schwierig, es ist die ihrer eigenen Meinung, doch das liberale England, das philosophische Preußen brauchen Zeit, um sich zu entscheiden, um von einem Pole zum andern überzugehen, um abzuschwören, zu verleugnen, um zu gestehen, sie seien das, was sie in Wirklichkeit sind, Feinde der Freiheit. England hat für seinen Theil Brabant Frankreich die Hand reichen sehen, das hat seine Entscheidung beschleunigt. Unsere Revolution, mein lieber Doctor, ist ansteckend; es ist mehr als eine nationale Revolution, es ist eine Revolution der Menschheit. Der Irländer Burke, ein Zögling der Jesuiten von Saint-Omer, ein erbitterter Feind von Herrn Pitt, hat gegen Frankreich ein Manifest geschlendert, das ihm in schönem Golde von Herrn Pitt bezahlt worden ist. England fuhrt nicht den Krieg gegen Frankreich ., . nein, es wagt dies noch nicht; doch es überläßt Belgien dem Kaiser Leopold, und es geht an das Ende der Welt, um Streit mit Spanien, und deren Verbündeten, zu suchen. Ludwig XVI. hat nun gestern der Nationalversammlung zu wissen gethan, er rüste vierzehn Kriegsschiffe aus. Hierüber große Discussion heute in der Nationalversammlung. Wem gehört die Initiative des Kriegs? Das ist die Frage. Der König hat schon das Innere, er hat schon die Justiz verloren, verliert er auch den Krieg, was bleibt ihm dann? Andererseits, greifen wir offenherzig hier von Ihnen zu mir, mein lieber Doctor, den Punkt an, den man in der Kammer noch nicht zu berühren wagte, andererseits ist der König verdächtig; die Revolution hat sich bis jetzt, und ich rühme mich, mehr als irgend Jemand hierzu beigetragen zu haben! Die Revolution hat sich nur dadurch gemacht, daß man das Schwert in der Hand des Königs gebrochen. Von allen Gewalten ist die gefährlichste, die man in seinen Händen lassen könnte, sicherlich der Krieg. Nun denn, getreu dem geleisteten Versprechen bin ich im Begriffe, zu verlangen, daß man ihm diese Gewalt lasse, ich bin im Begriffe, meine Volksbeliebtbeit, mein Leben vielleicht zu wagen, indem ich dieses Verlangen durchzusetzen suche; ich bin im Begriffe, die Annahme eines Decretes zu bewirken, das den König zum Sieger machen wird. Was thut nun der König zu dieser Stunde? Er läßt durch den Siegelbewahrer in den Archiven des Parlaments die alten Formeln der Protestationen gegen die Reichsstände suchen, ohne Zweifel, um eine geheime Protestation gegen die Nationalversammlung abzufassen. Ah! das ist das Unglück, mein lieber Gilbert, man treibt zu viel geheime Dinge und thut zu wenig öffentliche Dinge mit entblößtem Gesichte, und darum will ich, Mirabeau, vernehmen Sie wohl? und darum will ich, daß man wisse, ich gehöre dem König und der Königin. Sie sagen mir, diese gegen mich gerichtete Schändlichkeit beunruhige mich; nein Doctor, sie dient mir; ich brauche, was die Stürme brauchen, um auszubrechen: finstere Wolken und widrige Winde. Kommen Sie, kommen Sie, Doctor, Sie sollen eine schöne Sitzung sehen, dafür stehe ich Ihnen.«

Mirabeau log nicht, und schon bei seinem Eintritt in die Manage hatte er einen Beweis von Muth zu geben. Jeder schrie ihm ins Gesicht: Verrath! und der Eine zeigte ihm einen Strick, der Andere eine Pistole.

Mirabeau zuckte die Achseln und schob diejenigen, welche sich auf seinem Wege fanden, mit den Ellenbogen auf die Seite.

Das Geschrei verfolgte ihn bis in den Saal und schien hier neues Geschrei zu erwecken. Kaum erblickte man ihn, da riefen hundert Stimmen: »Ah! hier kommt er, der Verräther! der abtrünnige Redner! der verkaufte Mensch!«

Barnave war auf der Tribune: er sprach gegen Mirabeau. Mirabeau schaute ihn fest an.

»Nun, ja,« sagte Barnave, »Du bist es, den man Verräther nennt, und gegen Dich spreche ich.«

»Wenn Du gegen mich sprichst,« erwiderte Mirabeau, »so kann ich einen Gang nach den Tuilerien machen; ich werde Zeit haben, zurückzukommen, bevor Du geendigt.«

Und den Kopf hoch tragend, das Auge drohend, ging er unter Gezische, unter Flüchen und Drohungen weg, erreichte die Terrasse der Feuillants und stieg in die Tuilerien hinab.

Ungefähr im Drittel der großen Allee hatte eine junge Frau, welche einen Eisenkrautzweig in der Hand hielt, dessen Wohlgeruch sie einathmete, einen Kreis um sich versammelt.

Ein Platz war aus ihrer Linken frei; Mirabeau nahm einen Stuhl und setzte sich an ihre Seite.

Die Hälfte von denjenigen, welche sie umgaben, stand auf und ging weg.

Die junge Frau reichte ihm die Hand.

»Ah! Baronin.« sagte er, »Sie haben also nicht Angst, von der Pest angesteckt zu werden?«

»Mein lieber Graf,« antwortete die junge Frau, man versichert, »Sie neigen sich auf unsere Seite, ich ziehe Sie zu uns herüber.«

Mirabeau lächelte und plauderte drei Viertelstunden mit der jungen Frau, welche keine Andere war, als Anna Louise Germaine Necker, Baronin von Staël.

Nach drei Viertelstunden aber schaute er auf seine Uhr und sagte:

»Ah! Baronin, ich bitte um Verzeihung! Barnave sprach gegen mich; er sprach seit einer Stunde, als ich die Nationalversammlung verließ, es sind drei Viertelstunden, daß ich das Glück habe, mit Ihnen zu plaudern, es sind also bald zwei Stunden, daß mein Ankläger spricht: seine Rede muß ihrem Ende nahe sein, und ich muß ihm antworten.«

 

»Gehen Sie,« erwiderte die Baronin, »antworten Sie, und guten Muth!«

»Geben Sie mir diesen Eisenkrautzweig, Baronin, er wird mir als Talisman dienen.«

»Nehmen Sie sich in Acht, mein lieber Graf, Eisenkraut ist die Pflanze, welche bei den Libationen für die Verstorbenen dient!«

»Geben Sie immerhin, es ist gut, bekränzt zu sein wie ein Märtyrer, wenn man in den Circus hinabsteigt.«

»Man kann allerdings nicht mehr Thier sein, als die Nationalversammlung gestern war,« versetzte Frau von Staël.

»Ah! Baronin,« rief Mirabeau, »warum datiren?« Und er nahm aus ihren Händen den Eisenkrautzweig, den sie ihm ohne Zweifel als Belohnung für dieses Wort bot, grüßte artig, stieg die Stufen hinauf, welche zur Terrasse der Feuillants führte, und kehrte in die Nationalversammlung zurück.

Barnave verließ gerade die Tribune unter den Acclamationen des ganzen Saales; er hatte eine von den nebeligen Reden gehalten, welche allen Parteien anstehen.

Kaum sah man Mirabeau aus der Tribune, als ein Donner von Geschrei und Flüchen gegen ihn losbrach.

Doch er erhob seine mächtige Hand, wartete und rief dann, einen von den Augenblicken der Stille benützend, wie sie beim Sturme und beim Aufruhr eintreten:

Ich wußte wohl, daß es nicht weit vom Capitol bis zum tarpejischen Felsen ist.«

So groß ist die Majestät des Genies, daß dieses Wort den Erbittertsten Stillschweigen auferlegte.

Sobald Mirabeau Stille erlangt hatte, war der Sieg halb gewonnen, Er forderte, daß dem König die Initiative gegeben werde; das hieß zu viel fordern, und man weigerte sich. Da entspann sich der Kampf über die Amendements; der Hauptangriff war zurückgeschlagen worden, man mußte das Terrain durch partielle Angriffe wiedererobern: er bestieg fünfmal die Tribune. Endlich erlangte er Folgendes:

Der König habe das Recht, die Anstalten zum Kriege zu treffen, die Streitkräfte zu lenken, wie er wollte, er schlage den Krieg der Nationalversammlung vor, welche nichts entscheide, was nicht durch den König sanctionirt sei.

Was hätte er nicht erlangt ohne die Anfangs durch den unbekannten Colporteur und sodann durch Herrn von Beausire ausgetheilte kleine Brochure, welche, wie gesagt betitelt war: Großer Verrath von Herrn von Mirabeau.

Als er die Sitzung verließ, wäre Mirabeau beinahe in Stücke zerrissen worden.

Dagegen wurde Barnave im Trinmphe vom Volk getragen.

Armer Barnave, der Tag ist nicht fern, wo Du Deinerseits wirst rufen hören:

»Großer Verrath von Herrn Barnave.«