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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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»Ja, Herr Billot,« antwortete demüthig Pitou, »ich bin deshalb gekommen und aus keinem anderen Grunde, das schwöre ich Ihnen.«

»Nun also?«

»Also gehe ich. Herr Billot.«

Und er entfernte sich durch das Hofthor, indeß Catherine in Thränen zerfließend in ihre Stube zurückkehrte, deren Riegel sie hinter sich vorschob.

»Ja,« murmelte Billot, »ja, schließe Dich ein, Unglückliche! Gleichviel, denn nicht auf dieser Seite werde ich auf dem Anstande sein.«

LIX
Das Kämmerchenspiel

Pitou verließ den Pachthof ganz betäubt; nur hatte er nach den Worten von Catherine Tag in Allem dem gesehen, was bis dahin Finsterniß für ihn gewesen war, und dieser Tag hatte ihn geblendet.

Pitou wußte, was er hatte wissen wollen, und, sogar mehr.

Er wußte, daß der Vicomte Isidor von Charny am Morgen in Boursonnes angekommen war, und daß er, wenn er es wagte, Catherine im Pachthofe sehen zu wollen, Gefahr lief, von einer Flintenkugel getroffen zu werden.

Es unterlag keinem Zweifel mehr: die Anfangs gleichnißweisen Worte von Billot hatten sich bei den paar Silben, welche Catherine gesprochen, aufgeklärt, der Wolf, den man im vergangenen Jahre um die Schäferei hatte herumstreichen sehen, den man für immer verschwunden glaubte, während man ihn an demselben Morgen bei dem Gehölze von Ivors, aus der Straße von Boursonnes nach Paris, wiedergesehen, war der Vicomte Isidor von Charny.

Für ihn war die Flinte geputzt worden; für ihn waren die Kugeln gegossen worden.

Die Sache wurde ernst, wie man sieht.

Pitou, welcher zuweilen, wenn es die Gelegenheit erforderte, die Starke des Löwen besaß, besaß immer die Klugheit der Schlange. In Contravention seit dem Tage, wo er das Alter der Vernunft erreicht hatte, in Betreff der Feldhüter, unter deren Nase er die mit Hecken umschlossenen Obstgärten oder die im freien Felde stehenden Bäume verwüstete, die Gesetzt verletzend den Jagdhütern gegenüber, auf deren Fersen er seine Leimruthen und seine Schlingen legte, hatte sich Pitou eine tiefe Ueberlegung und eine rasche Entscheidung so sehr zur Gewohnheit gemacht, daß es ihm bei allen schwierigen Fällen, in die er sich verwickelt gesehen, gestattet gewesen war, sich unter den bestmöglichen Bedingungen aus der Verlegenheit zu ziehen. Diesmal wie sonst rief er vor Allem die rasche Entscheidung zu Hilfe, und er beschloß, sogleich nach dem ungefähr achtzig Schritte vom Pachthofe entfernt liegenden Walde zu gehen.

Der Wald bildet eine Decke, und unter dieser Decke wo man leicht unbemerkt bleibt, kann man nach seinem Belieben nachdenken.

Bei dieser Veranlassung hatte Pitou, wie man sieht, die gewöhnliche Ordnung der Dinge umgekehrt und die rasche Entscheidung vor die tiefe Ueberlegung gesetzt.

Pitou aber hielt sich diesmal mit seinem instinctartigen Verstande an das Dringendste, und das Dringendste war für ihn, eine Decke zu haben.

Er ging also nach dem Walde mit einer so ungezwungenen Miene, als hätte sein Kopf nicht eine Welt von Gedanken in sich getragen, und er erreichte den Wald, nachdem er die Stärke gehabt, nicht einen Blick zurückzuwerfen.

Sobald er berechnet hatte, er sei vom Pachthause aus nicht mehr zu erschauen, bückte er sich allerdings, als wollte er das Untertheil seiner Kamasche zuknöpfen, und, den Kopf zwischen seinen zwei Beinen, befragte er den Horizont.

Der Horizont war frei und schien für den Augenblick keine Gefahr zu bieten.

Als Pitou dies sah, nahm er wieder die senkrechte Linie an und befand sich mit einem Sprunge im Walde.

Der Wald, das war das Gebiet von Pitou.

Hier war er zu Hause; hier war er frei, hier war er König.

König wie das Eichhörnchen, dessen Behendigkeit er besaß, wie der Fuchs, mit dessen List er vertraut war, wie der Wolf, dessen Augen, welche bei Nacht sehen, er hatte!

Doch zu dieser Stunde brauchte er weder die Behendigkeit des Eichhörnchens, noch die List des Fuchses, noch die in der Nacht sehenden Augen des Wolfes.

Es handelte sich für Pitou einzig und allein darum, schräge den Theil des Waldes, in welchen er eingedrungen, zu durchschneiden und zum Saume des Waldes zurückzukommen, welcher sich in der ganzen Länge des Pachthofes erstreckte.

In einer Entfernung von sechzig bis siebzig Schritten würde Pitou Alles sehen, was vorginge; mit einer Entfernung von sechzig bis siebenzig Schritten trotzte Pitou jedem Wesen, welches es auch sein mochte, war es nur genöthigt, sich seiner Füße und seiner Hände zu bedienen, um anzugreifen.

Es versteht sich von selbst, daß er noch mehr einem Reiter trotzte, denn nicht Einer wäre im Stande gewesen, hundert Schritte im Walde auf den Wegen zu machen, auf die ihn Pitou geführt haben würde.

Im Walde halte Pitou auch keine Vergleichung, welche geringschätzend genug, um zu sagen, wie sehr er einen Reiter verachte.

Pitou legte sich der Länge nach in ein Gebüsch, stützte seinen Hals auf einen Zwillingsbaum, der sich an seinem Stamme trennte, und versenkte sich in eine tiefe Ueberlegung.

Er bedachte, daß es seine Pflicht war, so viel, als in seinen Kräften lag, zu verhindern, daß der Vater Billot die entsetzliche Rache, auf die er sann, zur Ausführung brachte.

Das erste Mittel, das sich dem Geiste von Pitou bot, war, nach Boursonnes zu laufen und Herrn Isidor von der Gefahr zu unterrichten, die seiner harrte, wenn er sich in die Gegend des Pachthofes wagte.

Doch beinahe in demselben Augenblick fielen ihm zwei Dinge ein.

Einmal, daß er von Catherine keinen Austrag erhalten hatte, dies zu thun.

Zweitens, daß die Gefahr Herrn Isidor wohl nicht zurückhalten könnte.

Welche Gewißheit hatte Pitou ferner, der Vicomte, dessen Absicht es ohne Zweifel war, sich zu verbergen, werde auf der für Wagen gebahnten Straße und nicht auf einem von den kleinen Fußpfaden kommen, welche die Holzhauer benützen, um ihren Weg abzukürzen? Suchte Pitou Isidor auf, so verließ er überdies Catherine, und Pitou, dem es im Ganzen leid gethan hätte, wenn dem Vicomte Unglück widerfahren wäre, würde in Verzweiflung gerathen sein, hätte Catherine ein Unglück betroffen.

Das Vernünftigste schien ihm also, da zu warten, wo er war, und je nach dem was sich ereignen würde, mit den Umständen zu Rathe zu gehen.

Mittlerweile hefteten sich seine Augen auf den Pachthof starr und glänzend wie die einer Tigerkatze,«welche aus ihre Beute lauert.

Die erste Bewegung, die sich beim Pachthofe bewerkstelligte, war der Abgang des Vater Clouis.

Pitou sah ihn unter dem Thorwege von Billot Abschied nehmen, sodann längs der Mauer hinhinken und in der Richtung von Villers-Coterets verschwinden, das er durchschneiden oder umgehen mußte, um sich zu seiner ungefähr anderthalb Stunden von Pisseleu entfernten Hütte zu begeben.

In dem Augenblick, wo er wegging, trat die Abenddämmerung ein.

Da der Vater Clouis nur eine sehr untergeordnete Person, eine Art von Comparse in dem Drama war, das man spielte, so schenkte ihm Pitou keine große Aufmerksamkeit, und nachdem er ihm zu Befreiung seines Gewissens bis zu dem Momente gefolgt war, da er an der Ecke der Mauer verschwand, lenkte er seine Augen nach dem Mittelpunkte des Gebäudes, das heißt dahin zurück, wo sich der Thorweg und die Fenster öffneten.

Nach ein paar Secunden erleuchtete sich eines von den Fenstern: es war das der Stube von Billot.

Von der Stelle aus, wo sich Pitou befand, tauchte der Blick ungehemmt in die Stube; Pitou konnte also Billot mit aller vom Vater Clouis empfohlenen Vorsicht seine Flinte laden sehen.

Mittlerweile wurde es vollends Nacht.

Billot, nachdem er seine Flinte geladen hatte, löschte sein Licht aus und zog die zwei Läden seines Fensters an, doch so, daß sie ein wenig geöffnet blieben, ohne Zweifel, damit sein Blick durch diese kleine Oeffnung die Umgegend beobachten konnte.

Von dem im ersten Stocke liegenden Fenster von Billot sah man, wir glauben dies schon gesagt zu haben, das Fenster der im Erdgeschosse liegenden Stube von Catherine wegen einer Biegung, welche die Mauern des Pachthofes bildeten, nicht; doch man überschaute völlig den Weg von Boursonnes und den ganzen Kreis des Waldes, der sich vom Berge der Ferté-Milon bis zu dem Punkte rundete, den man das Gehölze von Ivors nannte.

Während er das Fenster von Catherine nicht sah, konnte Billot, welcher vermuthete, Catherine werde durch dieses Fenster hinaussteigen und den Wald zu erreichen suchen, seine Tochter in dem Moment erschauen, wo sie in den von seinem Blicke umfaßten Rayon eintreten würde; nur, da die Nacht immer finsterer wurde, dürfte Billot eine Frau sehen, er könnte vermuthen, diese Frau sei Catherine, aber er wäre nicht im Stande, aus eine sichere Art Catherine in ihr zu erkennen.

Wir machen zum Voraus alle diese Bemerkungen weil es die waren, welche sich Pitou machte.

Pitou bezweifelte nicht, wenn es völlig Nacht geworden, würde Catherine einen Ausgang versuchen, um Isidor zu benachrichtigen.

Ohne das Fenster von Billot gänzlich aus dem Blicke zu verlieren, hefteten sich also seine Augen ganz besonders auf das von Catherine.

Pitou täuschte sich nicht. Als die Nacht einen Grad von Dunkelheit erreicht hatte, der dem Mädchen genügend zu sein schien, sah Pitou, für den es, wie gesagt, keine Dunkelheit gab, langsam den Laden von Catherine sich öffnen, dann diese auf das Fenstergesimse steigen, den Laden zurückstoßen und an der Wand hinabgleiten.

Catherine lief nicht Gefahr, gesehen zu werden, so lange sie dieser Linie folgen würde, und angenommen, sie hätte in Villers-Coterets zu thun gehabt, so konnte sie unbemerkt dahin kommen; hatte sie aber dagegen bei Boursonnes zu thun, so mußte sie nothwendig in den Rayon eintreten, den der Blick vom Fenster ihres Vaters umfaßte.

Als sie zum Ende der Mauer gelangt war, zögerte sie ein paar Secunden, so daß Pitou einen Augenblick hoffte, sie gehe nach Villers-Coterets und nicht nach Boursonnes; doch plötzlich hörte dieses Zögern auf, sie bückte sich, um sich so viel als möglich den Augen zu entziehen, schritt quer über den Weg und warf sich auf einen kleinen Fußpfad, aus welchem sie endlich nach ungefähr einer Viertelmeile auf den Weg nach Boursonnes gelangen sollte.

 

Dieser Fußpfad mündete gegen einen kleinen Kreuzweg aus, den man den Kreuzweg von Bourg-Fontaine nannte.

Sobald sich Catherine auf diesem Fußpfade befand, waren der Weg, den sie verfolgen würde, und die Absicht, welche sie dahin führte, so klar für Pitou, daß er sich nicht mehr mit ihr, sondern nur mit den ein wenig geöffneten Läden beschäftigte, durch welche, wie durch die Schießscharte einer Citadelle, der Blick den Wald von einem Ende zum andern erschaute.

Der ganze vom Auge von Billot umfaßte Rayon war, abgesehen von einem Schäfer, welcher seinen Pferch aufschlug, völlig verlassen.

Hieraus ging hervor, daß Catherine, sobald sie in diesen Rayon eintrat, obgleich ihr schwarzer kleiner Mantel sie beinahe unsichtbar machte, doch dem durchdringenden Blicke des Pächters nicht entgehen konnte.

Pitou sah die Läden sich öffnen, den Kopf von Billot durch die Oeffnung hervorkommen und dann einen Moment starr und unbeweglich bleiben, als hätte er in dieser Finsterniß am Zengnisse seiner Augen gezweifelt; doch da die Hunde des Schäfers in der Richtung dieses Schattens weggelaufen und, nachdem sie einige Male leicht gebellt hatten, zu ihrem Herrn zurückgekommen waren, so bezweifelte Billot nicht mehr, dieser Schatten sei Catherine.

Die Hunde hatten sie, als sie in ihre Nähe gekommen, erkannt und sie erkennend zu bellen aufgehört.

Es versteht sich von selbst, daß sich für Pitou Alles dies so klar übersetzte, als wäre er zum Voraus mit den verschiedenen Vorfällen dieses Drama vertraut gewesen.

Er erwartete also die Läden der Stube von Billot wieder schließen und den Thorweg sich öffnen zu sehen.

Nach einigen Secunden öffnete sich in der That die Thüre, und als Catherine den Saum des Gehölzes erreichte, trat Billot mit seiner Flinte auf der Schulter über die Schwelle und ging mit großen Schritten auf den Wald zu, wobei er dem Wege von Boursonnes folgte, gegen welchen nach einer halben Viertelmeile der von Catherine verfolgte Fußpfad einmünden mußte.

Es war kein Augenblick zu verlieren, sollte das Mädchen nicht in zehn Minuten seinem Vater gegenüber stehen.

Das begriff Pitou.

Er erhob sich, sprang durch das Gebüsche wie ein scheu gemachtes Reh, durchschnitt schräge den Wald in einer seinem ersten Laufe entgegengesetzten Richtung und befand sich am Rande des Fußpfades in dem Augenblick, wo man schon die hastigen Schritte und den keuchenden Athem des Mädchen hörte.

Pitou blieb verborgen hinter dem Stamme einer Eiche stehen.

Nach Verlauf von zehn Secunden kam Catherine so nahe an der Eiche vorüber, daß man sie mit der Hand erreichen konnte.

Pitou trat vor, versperrte dem Mädchen den Weg und nannte sich gleichsam mit einem Schlage.

Er hatte die Einheit einer dreifachen Handlung für nöthig erachtet, um Catherine nicht zu sehr zu erschrecken.

Sie gab in der That nur einen schwachen Schrei von sich, blieb ganz zitternd, weniger von der gegenwärtigen, als von der vergangenen Aufregung, stehen und sagte:

»Sie hier, Herr Pitou!  . . .  Was wollen Sie von mir?«

»Um des Himmels willen, gehen Sie nicht einen Schritt weiter, Mademoiselle!« erwiderte Pitou die Hände faltend.

»Und warum nicht?«

»Weil Ihr Vater weiß, daß Sie ausgegangen sind, weil er der Straße nach Boursonnes mit seiner Flinte folgt, weil er Sie auf dem Kreuzwege von Bourg-Fontaine erwartet.«

»Doch er, er!  . . . « versetzte Catherine beinahe wahnsinnig: »er wird also nicht unterrichtet sein?«

Und sie machte eine Bewegung, um weiter zu gehen. »Wird er es mehr sein, wenn Ihnen Ihr Vater den Weg versperrt hat?« sprach Pitou.

»Was ist zu thun?«

»Kehren Sie zurück, Mademoiselle Catherine, gehen Sie wieder in Ihr Zimmer; ich werde mich in der Gegend Ihres Fensters in den Hinterhalt legen, und wenn ich Herrn Isidor sehe, so benachrichtige ich ihn.«

»Sie wollen dies thun, lieber Herr Pitou?«

»Für Sie werde ich Alles thun, Mademoiselle Catherine! Oh! ich liebe Sie so sehr!«

Catherine drückte ihm die Hände.

Dann, nach einer kurzen Ueberlegung, sagte sie:

»Ja, Sie haben Recht, fuhren Sie mich zurück.«

Und da ihre Beine zu wanken anfingen, so schlang sie ihren Arm um den von Pitou, und er schlug mit ihr den Weg nach dem Pachthofe ein.

Nach zehn Minuten kam Catherine, ohne daß man Sie gesehen hatte, in ihre Stube zurück und schloß ihr Fenster hinter sich, während Pitou auf die Gruppe von Weiden deutete, in der er wachen und warten wollte.

LX
Der Anstand auf den Wolf

Die Weidengruppe stand aus einer kleinen Anhöhe zwanzig bis fünfundzwanzig Schritte vom Fenster von Catherine und überragte einen sieben bis acht Fuß tiefen Graben, durch welchen ein Bach floß.

Dieser Bach, der sich drehte wie der Weg, war stellenweise beschaltet von Weiden ähnlich denen, welche die von uns erwähnte Gruppe bildeten, das heißt von Bäumen, die bei Nacht besonders jenen Zwergen gleichen, welche aus einem kleinen Leibe einen großen zerzausten Kopf tragen.

In den letzten von diesen durch die Zeit ausgehöhlten Bäumen legte Pitou alle Morgen die Briefe für Catherine, und Catherine holte sie hier, wenn sie ihren Vater hatte sich entfernen und in einer entgegengesetzten Richtung verschwenden sehen.

Pitou seinerseits und Catherine ihrerseits hatten übrigens stets so viel Vorsicht gebraucht, daß nicht hier die Lunte gerochen worden war; es war durch einen reinen Zufall geschehen, der an demselben Morgen den Schäfer des Pachthofes auf den Weg von Isidor gestellt hatte; der Schäfer hatte die Rückkehr des Vicomte als eine Neuigkeit ohne Bedeutung erzählt; diese geheime Rückkehr, welche um fünf Uhr Morgens stattgefunden, hatte Billot mehr als verdächtig geschienen. Seitdem er von Paris zurückgekommen, seit der Krankheit von Catherine, seit der Ermahnung des Doctor Raynal, nicht in das Zimmer der Kranken einzutreten, so lange sie das Delirium hätte, war er überzeugt gewesen, der Vicomte von Charny sei der Geliebte seiner Tochter, und da er am Ende dieser Verbindung nur die Schande sah, weil der Herr Vicomte von Charny Catherine nicht heirathen würde, so hatte er beschlossen, dieser Schande auf eine blutige Weise vorzubeugen.

Hiervon rührten alle diese von uns erzählten Umstände her, welche, unbedeutend in nicht unterrichteten Blicken, ein furchtbares Gewicht in den Augen von Catherine und, nach der von dieser gegebenen Erklärung, auch in den Augen von Pitou angenommen hatten. Man hat gesehen, daß Catherine, während sie das Vorhaben ihres Vaters errathen, sich demselben nur dadurch, daß sie Isidor unterrichten wollte, zu widersetzen versucht hatte, ein Schritt, bei welchem sie glücklicher Weise durch Pitou zurückgehalten worden war, da sie statt Isidor ihren Vater auf dem Wege getroffen haben würde.

Der Anstand.


Sie kannte zu genau den furchtbaren Charakter des Pächters, um etwas mit Hilfe von Bitten zu versuchen; dadurch wäre nur der Sturm beschleunigt, nur der Blitz herausgefordert, statt abgelenkt worden.

Einen Zusammenstoß ihres Geliebten mit ihrem Vater verhindern, das war Alles, wonach sie trachtete.

Oh! wie glühend wünschte sie in diesem Augenblick, diese Abwesenheit, über der sie zu sterben geglaubt, hätte sich verlängert! Wie würde sie die Stimme gesegnet haben, welche zu ihr gesagt hätte: »Er ist abgereist,« hätte diese Stimme beigefügt: »Für immer!«

Pitou hatte Alles dies so gut begriffen, als Catherine, darum hatte er sich dem Mädchen als Vermittler angeboten; mochte der Vicomte zu Fuß, mochte er zu Pferde kommen, er hoffte ihn zu rechter Zeit zu sehen oder zu hören, ihm entgegen zu eilen, ihn von der Lage der Dinge mit zwei Worten zu unterrichten und ihn zu bestimmen, zu fliehen, mit dem Versprechen, demselben am andern Tage Nachricht von Catherine zu bringen.

Pitou hielt sich also fest an seine Weide angedrückt, als wäre er ein Theil der vegetabilischen Familie gewesen, in deren Mitte er sich befand, und wandte die ganze Macht seiner an die Nacht, an die Ebenen und an die Wälder gewöhnten Sinne an, um einen Schatten zu unterscheiden oder einen Ton aufzufassen.

Plötzlich schien es ihm, als hörte er hinter sich, vom Walde kommend, das Geräusch des Trittes eines Menschen, der in den Furchen geht; da ihm dieser Tritt zu schwer dünkte, um der des jungen und eleganten Vicomte zu sein, so drehte er sich langsam und auf eine beinahe unmerkliche Art um seinen Weidenbaum und erblickte dreißig Schritte von sich den Pächter mit seiner Flinte aus der Schulter. Dieser hatte, wie es Pitou vorhergesehen, beim Kreuzwege von Bourg-Fontaine gewartet; da aber Niemand auf dem Fußpfade herbeikam, so glaubte er sich getäuscht zu haben, und er kehrte zurück, um sich, wie er selbst gesagt, vor dem Fenster von Catherine auf den Anstand zu stellen, überzeugt, durch dieses Fenster werde der Vicomte zu ihr hineinzuschlüpfen suchen.

Zum Unglück wollte der Zufall, daß er für seinen Hinterhalt dieselbe Weidengruppe wählte, in der sich Pitou versteckt hatte.

Pitou errieth die Absicht des Pächters; er konnte ihm den Platz nicht streitig machen, glitt an der Böschung hinab und verschwand im Graben, den Kopf unter den hervorspringenden Wurzeln des Weidenbaums verbergend, an den sich Billot angelehnt hatte.

Glücklicher Weise wehte der Wind mit einer gewissen Heftigkeit; sonst hätte Billot sicherlich das Klopfen des Herzens von Pitou hören können.

Doch zur Ehre der bewunderungswürdigen Natur unseres Helden müssen wir sagen, daß es weniger seine persönliche Gefahr, als die Verzweiflung, Catherine unwillkürlich sein Wort zu brechen, war, was ihm so bange machte.

Kam Herr von Charny und es widerfuhr ihm ein Unglück, was würde Catherine von Pitou denken?

Vielleicht, er habe sie verrathen?

Pitou hätte den Tod der Idee, Catherine könne denken, er habe sie verrathen, vorgezogen.

Doch er konnte nichts Anderes thun, als bleiben, wo er war, und besonders unbeweglich bleiben: die geringste Bewegung hätte seine Anwesenheit geoffenbart.

Es verging eine Viertelstunde, ohne daß etwas die Stille der Nacht unterbrach: Pitou hegte eine letzte Hoffnung, die, wenn der Vicomte glücklicher Weise spät käme, so würde Billot des Wartens überdrüssig werden, an seinem Kommen zweifeln und in seine Wohnung zurückkehren.

Doch plötzlich glaubte Pitou, der durch seine Lage das Ohr an die Erde gedrückt hielt, den Galopp eines Pferdes zu hören; dieses Pferd, wenn es eines war, mußte auf dem Fußpfade kommen, der gegen den Wald zulief.

Bald konnte man nicht mehr zweifeln, daß es ein Pferd war; es ging quer über den Weg, ungefähr sechzig Schritte von der Gruppe der Weidenbäume; man hörte die Füße des Pferdes auf den Kieselsteinen schallen und eines von seinen Hufeisen machte anstoßend ein paar Funken hervorspringen.

Pitou sah, wie der Pächter den Kopf vorneigte und in der Dunkelheit zu unterscheiden suchte.

Doch die Nacht war so schwarz, daß selbst das Auge von Pitou, so sehr es sonst die Finsterniß zu durchdringen vermochte, nur eine Art von Schatten erblickte, der über den Weg sprang und an der Ecke der Mauern des Pachthofes verschwand.

Pitou bezweifelte nicht einen Augenblick, daß es Isidor war, doch er hoffte, der Vicomte habe, um in den Pachthof zu gelangen, einen andern Eingang, als den durch das Fenster.

Billot befürchtete dies, denn er murmelte etwas wie einen Fluch.

Dann herrschte zehn Minuten lang eine entsetzliche Stille.

Nach Verlauf dieser zehn Minuten unterschied Pitou mit Hilfe seines scharfen Gesichtes eine menschliche Gestalt am Ende der Mauer.

Der Reiter hatte sein Pferd an einen Baum angebunden und kam zu Fuß zurück.

Die Nacht war so finster, daß Pitou hoffte, Billot werde diese Art von Schatten nicht sehen, oder zu spät sehen.

Er täuschte sich, Billot sah den Schatten, denn Pitou hörte zweimal über seinem Kopfe das harte Geräusch, das der Hahn einer Flinte macht, wenn er gespannt wird.

Der Mensch, der an der Mauer hinschlüpfte, hörte ohne Zweifel auch dieses Geräusch, in welchem sich das Ohr eines Jägers nicht täuscht, denn er blieb stehen und suchte die Finsterniß mit dem Blicke zu durchdringen, das war aber unmöglich.

Während dieses Haltes von einer Secunde sah Pitou über dem Graben das Rohr der Flinte sich erheben, doch ohne Zweifel war der Pächter auf diese Entfernung seines Schusses nicht sicher, oder er befürchtete wahrscheinlich, einen Irrthum zu begehen, denn der Lauf, der sich rasch erhoben hatte, senkte sich langsam.

 

Der Schatten nahm wieder seine Bewegung und schlüpfte weiter längs der Mauer hin.

Er näherte sich sichtbar dem Fenster von Catherine.

Diesmal war es Pitou, der das Herz von Billot klopfen hörte.

Pitou fragte sich, was er thun könnte, durch welchen Schrei er den unglücklichen jungen Mann unterrichten könnte, durch welches Mittel er ihn retten könnte.

Doch nichts bot sich seinem Geiste, und aus Verzweiflung drückte er seine Hände in seine Haare.

Er sah den Lauf zum zweiten Male sich erheben, doch zum zweiten Male senkte sich der Lauf wieder.

Das Opfer war noch zu weit entfernt.

Es verging ungefähr eine halbe Minute, während welcher der junge Mann die zwanzig Schritte machte, die ihn vom Fenster trennten.

Sobald er vor dieses gekommen, klopfte er sachte dreimal in gleichen Zwischenräumen an.

Diesmal gab es keinen Zweifel mehr, es war ein Liebhaber, und dieser Liebhaber kam wegen Catherine.

Der Laus der Flinte erhob sich auch zum dritten Male, während Catherine, das gewöhnliche Zeichen erkennend, ihr Fenster halb öffnete.

Keuchend fühlte Pitou gewisser Maßen die Feder der Flinte sich abspannen, das Anschlagen des Steines an die Batterie wurde hörbar; ein Schein, ähnlich dem eines Blitzes, erleuchtete den Weg, doch kein Knall folgte auf diesen Schein.

Nur das Zündkraut hatte gebrannt.

Der junge Edelmann sah, welche Gefahr er gelaufen war, und machte eine Bewegung, um gerade auf das Feuer zuzugehen; doch Catherine streckte den Arm aus, zog ihn an sich und flüsterte ihm zu:

»Unglücklicher! es ist mein Vater!  . . .  er weiß Alles  . . .  komm!  . . . «

Und mir einer übermenschlichen Stärke half sie ihm durch ihr Fenster steigen, dessen Laden sie hinter ihm zumachte.

Es blieb dem Pächter ein zweiter Schuß, doch die zwei jungen Leute hatten einander so umschlungen, daß er ohne Zweifel, auf Isidor schießend, seine Tochter zu tödten befürchtete.

»Oh!« murmelte er, »er muß wohl herauskommen, und wenn er herauskommt, werde ich seiner nicht fehlen.«

Zu gleicher Zeit öffnete er mit der Nadel seines Pulverhorns das Zündloch seiner Flinte und schüttete neues Pulver auf die Pfanne, damit sich nicht das Wunder wiederhole, dem Isidor das Leben verdankte.

Fünf Minuten lang blieb alles Geräusch, selbst das des Athmens zweier Herzen, unterbrochen.

Plötzlich, mitten unter dieser Stille, erscholl das Gebelle der Kettenhunde im Hofe.

Billot stampfte mit dem Fuße, horchte einen Augenblick, stampfte abermals und sagte:

»Ah! sie läßt ihn durch den Obstgarten entfliehen!  . . .  gegen ihn bellen die Hunde!«

Und er sprang über den Kopf von Pitou auf die andere Seite des Grabens und verschwand, trotz der Nacht, mit Hilfe der Kenntniß, die er von den Oertlichkeiten hatte, mit der Geschwindigkeit des Blitzes an der Ecke der Mauer des Pachthofes.

Er hoffte zugleich mit Isidor aus die andere Seite des Pachthofes zu kommen.

Pitou begriff das Manoeuvre mit dem Verstande des Naturmenschen, er sprang auch aus dem Graben, durchschnitt den Weg in directer Linie, ging gerade auf das Fenster von Catherine zu, zog den Laden, der sich öffnete, an sich, stieg in das leere Zimmer ein, erreichte die durch eine Lampe erleuchtete Küche, eilte in den Hof, kam in den Gang, der in den Obstgarten führte, und erblickte hier mittelst der Fähigkeit, die er besaß, im Finstern zu unterscheiden, zwei Schatten, von denen der eine auf die Mauer kletterte und der andere mit ausgebreiteten Armen am Fuße dieser Mauer stand.

Doch ehe er sich vollends über die Mauer hinüberschwang, drehte sich der junge Mann zum letzten Male um und sagte:

»Auf Wiedersehen, Catherine, vergiß nicht, daß Du mir gehörst!«

»Oh! ja, ja,« erwiderte das Mädchen; »doch gehe, gehe!«

»Ja, gehen Sie, gehen Sie, Herr Isidor!« rief Pitou, »gehen Sie!«

Man hörte das Geräusch, das der junge Mann auf die Erde fallend machte, dann das Wiehern seines Pferdes, das ihn erkannte, dann die raschen Sprünge des ohne Zweifel durch den Sporn angetriebenen Thieres, dann einen ersten Schuß, dann einen zweiten.

Beim ersten stieß Catherine einen Schrei aus und machte eine Bewegung, als wollte sie Isidor zu Hilfe eilen; beim zweiten gab sie einen Seufzer von sich und sank, da ihr die Kräfte entschwanden, in die Arme von Pitou.

Dieser horchte ängstlich, um zu vernehmen, ob das Pferd seinen Lauf mit derselben Geschwindigkeit wie vor den Schüssen fortsetze, und als er hörte, daß der Galopp des Pferdes, das sich entfernte, nicht langsamer wurde, sprach er mit entschiedenem Tone:

»Gut, es ist Hoffnung vorhanden; man zielt nicht so fest bei Nacht, als bei Tag, und die Hand ist nicht so sicher, wenn man auf einen Menschen schießt, als wenn man aus einen Wolf oder aus ein Wildschwein schießt.«

Und er hob Catherine aus und wollte sie in seinen Armen forttragen. Doch durch eine mächtige Willensanstrengung raffte diese alle ihre Kräfte zusammen, glitt auf den Boden, hielt Pitou beim Arm zurück und fragte ihn:

»Wohin fuhrst Du mich?«

»Aber, Mademoiselle,« versetzte Pitou erstaunt, »ich führe Sie in Ihre Stube.«

»Pitou, hast Du einen Ort, wo Du mich verbergen kannst?«

»Oh! was das betrifft, ja, und wenn ich keinen habe, so werde ich einen finden.«

»So führe mich weg.«

»Aber der Pachthof?«

»In fünf Minuten hoffe ich ihn verlassen zu haben, um nie mehr dahin zurückzukehren.«

»Aber Ihr Vater?«

»Alles ist gebrochen zwischen mir und dem Manne, der meinen Geliebten hat tödten wollen.«

»Aber, Mademoiselle . . . «

»Weigerst Du Dich, mich zu begleiten, Pitou?« fragte Catherine, während sie den Arm des jungen Menschen losließ.

»Nein, Mademoiselle Catherine, Gott behüte mich!«

»Nun, so folge mir,« sprach Catherine.

Und sie ging voran durch den Obstgarten in den Küchengarten.

Am Ende des Küchengartens war eine kleine Thüre, welche auf die Ebene von Noue führte.

Catherine öffnete sie, ohne zu zaudern, nahm den Schlüssel, schloß die Thüre wieder doppelt hinter sich und Pitou, und warf den Schlüssel in einen Brunnen in der Nähe der Mauer.

Dann entfernte sie sich festen Schrittes querfeldein, auf den Arm von Pitou gestützt, und Beide verschwanden bald in dem Thale, das sich vom Dorfe Pisseleu bis zum Pachthofe von Noue erstreckt.

Niemand sah sie weggehen, und Gott allein wußte, wo Catherine den Zufluchtsort fand, den ihr Pitou versprochen hatte.