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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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LVII
Unter dem Fenster

Die von uns hier erzählte Festlichkeit, deren Zweck es war, durch partielle Bündnisse alle Gemeinden Frankreichs unter sich zu verbinden, war das das Vorspiel der großen Föderation, welche in Paris am 14. Juli 1790 stattfinden sollte.

Bei diesen partiellen Verbindungen warfen die Gemeinden zum Voraus die Augen aud die Abgeordneten, die sie zur allgemeinen Föderation schicken würden.

Die Rolle, welche Billot und Pitou am Sonntag den 18. October gespielt hatten, bezeichnete natürlich sie für die Stimmen ihrer Mitbürger, wenn der große Tag der allgemeinen Föderation gekommen wäre.

Doch in Erwartung dieses großen Tages war Alles in die gewöhnlichen Verhältnisse des Lebens zurückgekehrt, aus denen Jeder für den Augenblick durch den Stoß herausgetreten, welchen den ruhigen provinzialen Gewohnheiten dieses denkwürdige Ereigniß gegeben hatte.

Sprechen wir von ruhigen provinzialen Gewohnheiten, so wollen wir damit nicht sagen, in der Provinz habe das Leben weniger als anderswo seinen durch die Freuden erheiterten oder durch die Schmerzen verdüsterten Lauf. Es gibt kein Wasser, so klein es auch sein mag, von dem Bache, der unter dem Grase des Baumgartens eines armen Bauern murmelt, bis zu dem majestätischen Flusse, der von den Alpen wie von einem Throne herabkommt, um sich in das Meer zu werfen wie ein Eroberer, es gibt kein Wasser, sagen wir, das nicht aus seinem bescheidenen oder stolzen, mit Gänseblümchen besäten oder mit Villas besetzten Ufer seine Zwischenräume von Schatten und Sonne hat.

Und wenn wir hieran zweifelten, nach dem Palaste der Tuilerien, in den wir unsere Leser eingeführt, so könnte uns der Pachthos des Vater Billot, wohin wir unsere Leser zurückgeführt, ein Beispiel geben.

Nicht als hätte die Oberfläche nicht ruhig und beinahe lächelnd geschienen. Am Morgen gegen fünf Uhr öffnete sich in der That das große Thor, das nach der Ebene ging, wo sich der Wald im Sommer wie ein grüner Vorhang, im Winter wie ein Trauerflor ausdehnt. Der Sämann trat zu Fuße seinen Sack Weizen gemischt mit Asche auf der Schulter heraus; der Ackermann kam zu Pferde, um auf dem Felde den am Ende der Furche des vorhergehenden Tages ausgespannten Pflug zu holen; die Kuhhirtin führte ihre brüllende Herde, geleitet durch den Stier, den majestätischen Herrscher ihrer Kühe und ihrer Kalben, unter denen die Lieblingskuh geht, die man an ihren sonoren Glöckchen erkennt; hinter ihnen allen, auf einem kräftigen normanischen Wallachen, einem Paßgänger, reitend, kam Billot, der Herr, die Seele, das Leben dieser ganzen Welt in Miniatur, dieses Volkes in Abkürzung.

Ein nicht betheiligter Beobachter hätte in diesem von einer düsteren Braue bedeckten und die Umgegend befragenden Auge, in diesem auf alle Geräusche aufmerksamen Ohr, in diesem um den Pachthos beschriebenen Kreise, während dessen Dauer sein Blick wie der eines Jägers, weicher eine Fährte ausnimmt und eine Einkreisung zieht, nicht einen Moment den Boden verließ, ein gleichgültiger Zuschauer, sagen wir, hätte in Allem dem nur das Wesen eines Mannes gesehen, der sich versicherte, der Tag werde schön werden und in der Nacht seien die Wölfe nicht wegen seiner Schäfereien, die Wildschweine nicht wegen seiner Kartoffeln, die Kaninchen nicht wegen seines Klees aus dem Walde, dem Asyle, herausgekommen, in welchem sie allein noch das fürstliche Blei des Herzogs von Orleans und seiner Hüter erreichen konnte.

Doch für Einen, welcher gewußt hätte, was im Grunde der Seele des ehrlichen Pächters vorging, würde jeder seiner Schritte einen ernsteren Charakter angenommen haben.

Nach was er in der Dunketheit schaute, war, ob nicht irgend ein Herumschwärmer sich verstohlen dem Pachthose nähere oder sich daraus entferne. Aus was er in der Stille horchte, war, ob nicht irgend ein geheimnißvoller Ruf vom Zimmer von Catherine mit den Gruppen der die Landstraße einfassenden Weiden oder den die Ebene vom Walde trennenden Gräben correspondire. Was sein Blick so lebhaft die Erde befragte, war, ob sie nicht den Eindruck eines Trittes bewahrt habe, der durch seine Leichtigkeit oder seine Kleinheit die Aristokratie verrathen hätte.

Was Catherine betrifft, so fühlte sie, obgleich sich das Gesicht ihres Vaters für sie gemildert hatte, nichtsdestoweniger fortwährend jeden Augenblick das väterliche Mißtrauen um sie hergehen. Eine Folge hiervon war, daß sie sich in ihren langen, einsamen, angstvollen Winternächten fragte, ob sie es vorziehen würde, wenn Isidor nach Boursonnes zurückkäme, oder wenn er von ihr entfernt bliebe.

Die Mutter Billot hatte ihr Pflanzenleben wieder ausgenommen: ihr Mann war zurückgekehrt, ihre Tochter hatte ihre Gesundheit wiedererlangt; sie schaute nicht über diesen beschränkten Horizont hinaus, und es wäre ein viel geübteres Auge als das ihrige nöthig gewesen, um in der Tiefe des Geistes ihres Gatten den Verdacht, in der Tiefe des Herzens ihrer Tochter die Angst zu suchen.

Pitou, nachdem er mit einer Mischung von Stolz und Traurigkeit sich an seinem Kapitänstriumphe geweidet hatte, war wieder in seinen gewöhnlichen Zustand, das heißt in eine sanfte wohlwollende Melancholie verfallen. Nach seiner gewöhnlichen Regelmäßigkeit besuchte er am Morgen die Mutter Colombe. Waren keine Briefe für Catherine da, so kam er traurig nach Haramont zurück, denn er dachte, wenn Catherine an einem Tage keine Briefe von Isidor erhalte, so werde sie keine Gelegenheit haben, an denjenigen zu denken, welcher sie ihr bringe. Fand sich ein Brief, so legte er ihn dagegen gewissenhaft in den hohlen Baum und kam oft noch trauriger zurück, als an den Tagen, wo sich keiner fand, denn er meinte, Catherine denke an ihn nur durch einen Rückschlag, und weil der schöne Edelmann, den die Erklärung der Menschenrechte wohl seines Titels, aber nicht seiner Eleganz und seiner Anmuth hatte berauben können, der Leitfaden war, durch welchen er das beinahe schmerzliche Gefühl der Erinnerung empfing.

Pilon war indessen, wie sich leicht begreifen läßt, kein rein passiver Bote, und wenn auch stumm, war er doch nicht blind. In Folge seines Verhörs über Turin und Sardinien, das ihm das Ziel der Reise von Isidor geoffenbart, hatte er am Stempel der Briefe erkannt, der junge Edelmann sei in der Hauptstadt von Piemont. Dann, an einem schönen Tage, hatte der Stempel das Wort Lyon statt des Wortes Turin angegeben, und zwei Tage nachher, d. h. Am 25. December, war ein Brief mit dem Worte Paris statt des Wortes Lyon angekommen.

Ohne daß er seinen Scharfsinn sehr anzustrengen brauchte, begriff nun Pitou, der Vicomte Isidor von Charny habe Italien verlassen und sei nach Frankreich zurückgekehrt.

Befand er sich einmal in Paris, so würde er offenbar nicht zögern, Paris zu verlassen, um nach Boursonnes zu reisen.

Das Herz von Pitou schnürte sich zusammen; wohl war er zu einer aufopfernden Ergebenheit entschlossen, darum blieb aber sein Gemüth doch nicht unempfindlich für die verschiedenen Bewegungen, die einen Angriff aus dasselbe machten.

An dem Tage, wo der von Paris datirte Brief ankam, beschloß Pitou auch, um sich einen Vorwand zu geben, seine Schlingen auf der Hut der Wolfsheide zu legen, wo wir ihn am Anfange dieses Werkes auf eine Frucht tragende Art haben operiren sehen.

Der Pachthos von Pisseleu lag gerade am Wegs von Haramont nach demjenigen Theile des Waldes, welchen man die Wolfsheide nannte.

Man durfte sich also nicht darüber wundern, daß Pitou im Vorübergehen hier anhielt.

Um hier anzuhalten, wählte er die Stunde, wo Billot seinen Nachmittagsritt auf den Feldern machte.

Seiner Gewohnheit gemäß durchschritt Pitou die Ebene, wanderte von Haramont zur Landstraße von Paris nach Villers-Coterets, von der Landstraße zum Pachthofe von Noue und vom Pachthose von Noue durch die Schluchten nach dem von Pisseleu.

Dann umging er die Mauern des Pachthofes, zog sich an den Schäfereien und den Ställen hin, und befand sich am Ende vor dem großen Eingangsthor, auf dessen anderer Seite sich die Wohngebäude erhoben.

Vor dem Thore des Pachthofes angelangt, schaut er umher, wie es Billot hätte thun können, und erblickt Catherine an ihrem Fenster.

Catherine schien zu warten. Ohne sich auf irgend einen Punkt zu heften, schweifte ihr Auge auf der ganzen Ausdehnung des zwischen dem Wege von Villers-Coterets nach Ferté Milon und dem Wege von Villers-Coterets nach Boursonnes liegenden Walde umher.

Pitou suchte Catherine nicht zu überraschen: er stellte sich so, daß er sich in dem von ihrem Auge durchlaufenen Kreise befand, und als es ihn traf, verweilte das Auge des Mädchens auf ihm.

Sie lächelte ihm zu. Pitou war für Catherine nur noch ein Freund, oder er war vielmehr für sie mehr als ein Freund.

Pitou war ihr Vertrauter.

»Du bist es, mein lieber Pitou,« sagte das Mädchen; »welcher gute Wind führt Dich zu uns?«

Pitou zeigte seine um seine Faust gerollten Schlingen und erwiederte:

»Ich habe die Idee, Sie ein paar sehr zarte und schmackhafte Kaninchen essen zu lassen, und da die der Wolfsheide wegen des Quenels, der hier im Ueberfluß wächst, die besten sind, so habe ich mich lange vor der Zeit von Hause entfernt, um im Vorübergehen Sie zu sehen und mich zugleich nach Ihrer Gesundheit zu erkundigen.«

Catherine fing damit an, daß sie über diese Aufmerksamkeit von Pitou lächelte. Nachdem sie den ersten Theil seiner Rede durch dieses Lächeln erwiedert hatte, erwiederte sie auch den zweiten durch das Wort:

»Du willst Dich nach meiner Gesundheit erkundigen? Du bist sehr gut, lieber Pitou. Durch die Sorge, die Du, während ich krank war, für mich hattest, und die Du mir seit meiner Wiedergenesung fortwährend angedeihen ließest, bin ich beinahe geheilt.«

»Beinahe geheilt,« versetzte Pitou mit einem Seufzer. »Ich wollte, Sie wären es ganz.«

Catherine erröthete, seufzte ebenfalls, und nahm die Hand von Pitou, als wollte sie ihm etwas Wichtiges sagen; doch sie besann sich ohne Zweifel eines Andern, machte ein paar Schritte durch ihr Zimmer, als suchte sie ihr Taschentuch, und nachdem sie es gefunden, strich sie damit über ihre Stirne, welche mit Schweiß bedeckt war, obgleich man sich in den kältesten Tagen des Jahres befand.

 

Keine von diesen Bewegungen entging dem forschenden Blicke von Pitou.

»Sie haben mir etwas zu sagen, Mademoiselle Catherine?« fragte er.

»Ich?  . . .Nein  . . .Nichts  . . .Du täuschest Dich, mein lieber Pitou,« erwiederte das Mädchen mit bebender Stimme.

Pitou versetzte nach einer Anstrengung:

»Gehen Sie Mademoiselle Catherine, »wenn Sie meiner bedürfen, so müssen Sie sich keinen Zwang anthun.«

Catherine überlegte oder zögerte vielmehr einen Augenblick und sagte dann:

»Mein lieber Pitou, Du hast mir bewiesen, daß ich bei Gelegenheit auf Dich rechnen konnte, und ich bin Dir sehr erkenntlich hierfür; aber ich danke Dir zum zweiten Male.«

Dann fügte sie mit leiser Stimme bei:

»Es ist sogar unnöthig, daß Du in dieser Woche auf die Post gehst; ich werde ein paar Tage keine Briefe erhalten.«

Pitou war nahe daran, zu erwiedern, er vermuthe es. Doch er wollte sehen, wie weit das Vertrauen des Mädchens zu ihm ginge.

Sie beschränkte sich auf die von uns erwähnte Empfehlung, mit der sie einfach bezweckte, Pitou nicht jeden Morgen einen unnützen Gang machen zu lassen.

Diese Empfehlung hatte aber in den Augen von Pitou eine höhere Bedeutung.

Daß er nach Paris zurückgekommen, war für Isidor kein Grund, nicht zu schreiben.

Schrieb Isidor nicht mehr an Catherine, so zählte er darauf, sie zu sehen.

Wer sagte Pitou, daß der von Paris datirte Brief, welchen er am Morgen desselben Tages in die hohle Weide niedergelegt hatte, Catherine nicht die nahe bevorstehende Ankunft ihres Geliebten verkündigte? Wer sagte ihm, daß der, als er bei ihr erschien, im Raume umherschweifende Blick, den seine Anwesenheit auf ihn selbst zurückgeführt hatte, nicht am Saume des Waldes irgend ein Zeichen suchte, das Catherine andeutete, ihr Geliebter sei eingetroffen?

Pitou wartete, um Catherine alle Zeit zu lassen, mit sich selbst zu debattiren, ob sie ihm eine vertrauliche Mittheilung zu machen habe. Dann, als er sah, daß sie beharrlich schwieg, sagte er:

»Mademoiselle Catherine, haben Sie bemerkt, welche Veränderung bei Herrn Billot vorgeht?«

Catherine bebte.

»Ah!« sprach sie, auf eine Frage durch eine andere Frage antwortend, »hast denn Du etwas bemerkt?«

»Mademoiselle Catherine,« erwiederte Pitou den Kopf schüttelnd, »es kommt sicherlich, – wann, das weiß ich nicht, – ein Augenblick, wo derjenige, welcher an dieser Veränderung Schuld ist, eine schlimme Viertelstunde haben wird. Das sage ich Ihnen; verstehen Sie?«

Catherine erbleichte.

Nichtsdestoweniger aber schaute sie Pitou fest an und fragte ihn:

»Warum sagst Du Derjenige und nicht Diejenige? Es wird vielleicht eine Frau und nicht ein Mann unter diesem verborgenen Zorne zu leiden haben.«

»Ah! Mademoiselle Catherine, Sie erschrecken mich. Haben Sie denn etwas zu befürchten?«

»Mein Freund,« erwiederte Catherine traurig, »ich habe das zu befürchten, was ein armes Mädchen, welches seinen Stand vergessen hat und über demselben liebt, von einem aufgebrachten Vater befürchten kann.«

»Mademoiselle,« sagte Pitou, der es wagen wollte, Catherine einen Rath zu geben, »mir scheint, an Ihrer Stelle . . .«

Er hielt inne.

»Dir scheint, an meiner Stelle?  . . .« wiederholte Catherine.

»Mir scheint, an Ihrer Stelle  . . .Ah! nein, Sie wären wegen einer einfachen Abwesenheit von ihm beinahe gestorben! Wenn Sie auf ihn verzichten müßten, so würden Sie ganz sterben, und Sie sollen nicht sterben; müßte ich Sie auch krank und traurig sehen, so will ich Sie doch lieber so sehen, als dort am Ende des Pleux  . . .Ah! Mademoiselle Catherine, das ist eine unglückliche Geschichte.«

»Stille!« sagte Catherine,»sprechen wir von etwas Anderem, oder sprechen wir gar nicht. Dort kommt mein Vater.«

Pitou wandte sich in der Richtung des Blickes von Catherine um und sah in der That den Pächter im Trabe herbeireiten.

Als er einen Menschen beim Fenster von Catherine erblickte, hielt Billot an; doch er erkannte ohne Zweifel alsbald denjenigen, welchen er gesehen, und ritt weiter.

Pitou ging ihm lächelnd und seinen Hut in der Hand haltend ein paar Schritte entgegen.

»Ah! Ah! Du bist es, Pitou?»sagte Billot. »Willst Du Mittagsbrod von uns fordern, mein Junge?«

»Nein, Herr Billot,« erwiederte Pitou, »ich werde mir das nicht erlauben, doch  . . .«

In diesem Augenblick kam es ihm vor, als ermuthigte ihn ein Blick von Catherine.

»Doch was?« versetzte Billot.

»Doch wenn Sie mich einladen wollten, so würde ich es annehmen.«

»Nun,« sprach der Pächter, »ich lade Dich ein.«

»Dann nehme ich es an,« erwiederte Pitou.

Der Pächter gab seinem Pferde die Sporen und kehrte unter das Gewölbe des Thorwegs zurück.

Pitou wandte sich gegen Catherine um und fragte:

»War es das, was Sie mir sagen wollten?«

»Ja  . . .Er ist heute noch düsterer als an den andern Tagen . . . Dann fügte sie leise bei:

»Oh! mein Gott! sollte er wissen? . . .«

»Was, Mademoiselle?« fragte Pitou, der, so leise Catherine gesprochen, doch gehört hatte.

»Nichts,« antwortete Catherine, indem sie sich in ihr Zimmer zurückzog und ihr Fenster schloß.

Elftes bis sechszehntes Bändchen

LVIII
Der Vater Clouis erscheint wieder auf der Scene

Catherine hatte sich nicht getäuscht. Trotz des freundlichen Empfangs, den er Pitou gewährt, schien ihr Vater düsterer als je. Er gab Pitou einen Händedruck, und Pitou fühlte, daß seine Hand kalt und feucht war. Seine Tochter reichte ihm wie gewöhnlich ihre erbleichten und schauernden Wangen, doch er beschränkte sich darauf, daß er ihre Stirne mit seinen Lippen streifte; die Mutter Billot stand mit einer Bewegung auf, welche natürlich war, wenn sie ihren Gatten eintreten sah, mit einer Bewegung, an der zugleich das Gefühl ihrer Niedrigkeit im Vergleiche mit ihm und die Ehrfurcht, welche sie für ihn hegte, Theil hatten; doch der Pächter schenkte ihr keine Aufmerksamkeit.

»Ist das Mittagsbrod bereit? fragte er.

»Ja, mein Mann,« erwiderte die Mutter Billot.

»Dann zu Tische; ich habe für heute Abend noch Vieles zu thun.«

Man trat in das kleine Familienspeisezimmer ein. Dieses Speisezimmer ging aus den Hof, und Niemand, der von außen kam, konnte in die Küche eintreten, ohne an dem Fenster vorüberzukommen, durch welches dasselbe sein Licht empfing.

Ein Gedeck wurde für Pitou beigefügt, den man zwischen die zwei Frauen mit dem Rücken gegen das Fenster setzte.

So besorgt Pitou auch war, so hatte er doch ein Organ, auf das diese Besorgniß nie einen Einfluß übte, das war der Magen; in Folge hiervon konnte Billot, trotz der Schärfe seines Blickes, an seinem Gaste nichts Anderes wahrnehmen, als die Befriedigung, die er beim Anblick einer vortrefflichen Kohlsuppe und der Platte mit Ochsenfleisch und Speck, die ihr folgte, empfand.

Nichtsdestoweniger war es augenscheinlich, daß Billot zu wissen wünschte, ob der Zufall oder ein voraus überlegter Plan Pitou nach dem Pachthofe geführt habe.

In dem Augenblick, wo man das Ochsenfleisch und den Speck wegnahm, um ein gebratenes Lammsviertel, ein Gericht, dessen Eintritt Pitou mit einer sichtbaren Freude betrachtete, aufzustellen, demasquirte der Pächter auch plötzlich seine Batterien, wandte sich unmittelbar an Pitou und fragte ihn:

»Mein lieber Pitou, darf man nun, da Du weißt, daß Du im Pachthofe immer willkommen bist, wissen, was Dich heute in unsere Gegend zieht?«

Pitou lächelte, schaute umher, um sich zu versichern, daß es hier weder indiscrete Blicke, noch gefährliche Ohren gebe, schlug mit der linken Hand den rechten Aermel seines Wammses zurück und sagte, indem er ein Dutzend Schlingen von Metalldraht zeigte, welche wie eine Armspange um sein Faustgelenkt gerollt waren:

»Sehen Sie, Vater Billot.«

»Ah! ah!« versetzte der Vater Billot. »Du hast die Reviere Longpré und Taille-Fontaine entvölkert und wendest Dich hierher?«

»Das ist es nicht,« erwiderte Pitou naiv: »doch seitdem ich es mit diesen verdammten Kaninchen zu thun habe, erkennen sie, glaube ich, meine Schlingen und entfernen sich. Ich habe also beschlossen, heute Nacht ein paar Worte mit denen des Vater Lajeunesse zu sprechen; sie sind weniger schlau, aber schmackhaft, denn sie fressen Heidekraut und Quendel.«

»Teufel!« rief der Pächter, »ich wußte nicht, daß Du so leckerhaft bist, Pitou!«

»Ah! nicht für mich bin ich so leckerhaft, sondern für Mademoiselle Catherine; da sie kürzlich erst krank gewesen ist, so braucht sie zartes Fleisch  . . . «

»Ja, Du hast Recht,« unterbrach der Pächter Pitou, »denn Du siehst, daß sie noch keinen Appetit hat.«

Und er deutete auf den weißen Teller von Catherine, welche, nachdem sie ein paar Löffel voll Suppe gegessen, weder das Rindfleisch, noch den Speck angerührt hatte.

»Ich habe keinen Appetit, mein Vater,« versetzte Catherine erröthend, da sie so gleichsam zu einer Erklärung aufgefordert wurde, »ich habe keinen Appetit, weil ich eine große Tasse Milch mit Brod einen Augenblick, ehe Pitou an meinem Fenster vorüberging und ich ihn rief, zu mir genommen.«

»Ich suche nicht den Grund, warum Du keinen Appetit hast, ich bestätige nur die Thatsache,« sagte Billot.

Dann schaute er durch das Fenster in den Hof, stand auf und rief:

»Ah! da kommt Einer für mich.«

Pitou fühlte, daß der Fuß von Catherine rasch auf den seinigen drückte; er wandte sich gegen sie um und sah, daß sie ihm, bleich wie eine Todte, mit den Augen das Fenster bezeichnete, das nach dem Hofe ging.

Sein Blick folgte der Richtung des Blickes von Catherine, und er erkannte seinen alten Freund, den Vater Clouis, der, die Doppelflinte von Billot auf der Schulter, am Fenster vorüberging.

Die Flinte des Pächters zeichnete sich vor andern dadurch aus, daß der Bügel von Silber war.

»Ah!« sagte Pitou, der in Allem dem nichts sehr Erschreckliches sah, »das ist der Vater Clouis. Er bringt Ihr Gewehr zurück, Herr Billot.«

»Ja,« sprach Billot, während er sich wieder setzte, »und er wird mit uns zu Mittag essen, wenn er noch nicht gegessen hat. Frau,« fügte er bei, »öffne dem Vater Clouis die Thüre.«

Die Mutter Billot stand auf und öffnete die Thüre, indeß Pitou, die Augen aus Catherine geheftet, sich fragte, was Furchtbares in dem, was vorging, ihre Blässe verursachen könne.

Der Vater Clouis trat ein: er hielt mit derselben Hand aus seiner Schulter die Flinte des Pächters und einen Hasen, den er offenbar mit dieser Flinte geschossen.

Man erinnert sich, daß der Vater Clouis vom Herrn Herzog von Orleans die Erlaubniß erhalten hatte, an einem Tag ein Kaninchen und am andern einen Hasen zu schießen.

Das war, wie es scheint, der Hasentag.

Er legte seine zweite nicht beschäftigte Hand an eine Art von Pelzmütze, seine gewöhnliche Kopfbedeckung, an der kaum noch die Haut blieb, so sehr war sie aufgeritzt und abgerieben durch das Gestrüppe, durch das der Vater Clouis jeden Tag fast so unempfindlich für die Dorne als ein Wildschwein ging.

»Herr Billot und die Gesellschaft,« sagte er, »ich habe die Ehre, Sie zu grüßen.«

»Guten Morgen, Papa Clouis,« erwiderte Billot. »Sie sind ein Mann von Wort, und ich danke Ihnen.«

»Oh! was man versprochen hat, muß man auch halten, Herr Billot; Sie begegneten mir diesen Morgen und sagten zu mir: »»Vater Clouis, Sie sind ein guter Schütze, richten Sie mir doch ein Dutzend Kugeln für das Caliber meiner Flinte zu, Sie werden mir einen Gefallen erweisen.«« Woraus ich erwiderte: »»Für wann brauchen Sie das, Herr Billot?«« Sie sagten: »»Für heute Abend unfehlbar.«« Da antwortete ich: »»Gut, Sie werden es haben,«« und hier ist es.«

»Ich danke, Vater Clouis,« wiederholte Billot. Sie essen mit uns zu Mittag, nicht wahr?«

»Oh! Sie sind sehr gütig, ich habe kein Bedürfniß.«

Der Vater Clouis glaubte, die Höflichkeit heische, wenn man ihm einen Stuhl anbiete, zu sagen, er sei nicht müde, und wenn man ihn zum Essen einlade, zu antworten, er habe keinen Appetit.

Billot kannte dies.

»Gleichviel,« sagte er, »setzen Sie sich immerhin zum Tische: es ist zu essen und zutrinken da, und wenn Sie nicht essen, so werden Sie trinken.«

Mittlerweile hatte die Mutter Billot mit der Regelmäßigkeit und beinahe mit der Schweigsamkeit eines Automaten einen Teller, ein Besteck und eine Serviette auf den Tisch gelegt.

 

Dann rückte sie einen Stuhl an den Tisch.

»Nun! da Sie es durchaus wollen«  . . .  sagte der Vater Clouis.

Und er stellte die Flinte in eine Ecke, legte den Hasen auf den Rand des Schenktisches und setzte sich.

Er saß gerade Catherine gegenüber, die ihn voll Bangigkeit anschaute.

Das sanfte, freundliche Gesicht des alten Jägers schien so wenig gemacht, um dieses Gefühl einzuflößen, daß sich Pitou die Gemüthsbewegung nicht erklären konnte, welche nicht nur das Gesicht von Catherine, sondern auch das nervöse Zittern, das ihren ganzen Körper schüttelte, verriethen.

Billot hatte indessen das Glas und den Teller seines Gastes gefüllt, und dieser nahm, obgleich er erklärt, er habe kein Bedürfniß, Beides muthig in Angriff.

»Ah! das ist ein schöner Wein, Herr Billot,« rief er, als wollte er der Wahrheit seine Huldigung leisten. »Es scheint, Sie sind der Ansicht des Sprichworts, welches sagt:

»»Man muß die Lämmer zu jung essen und den Wein zu alt trinken.««

Niemand antwortete aus den Scherz von Vater Clouis, doch als dieser sah, daß das Gespräch fiel, glaubte er es in seiner Eigenschaft als Gast aufrecht halten zu müssen und fuhr fort:

»Ich habe mir also gesagt: »»Bei meiner Treue, es ist heute die Reihe an den Hasen; gleichviel, ob ich meinen Hasen auf der einen oder aus der andern Seite des Waldes schieße. Ich will also meinen Hasen in der Hut des Vater Lajeunesse schießen. Zugleich werde ich sehen, wie eine in Silber gefaßte Flinte die Kugel trägt.«« Ich goß also dreizehn Kugeln statt zwölf. Bei meiner Treue! Ihre Flinte trägt die Kugel gut.«

»Ja, ich weiß, es ist ein gutes Gewehr.«

»Ei! zwölf Kugeln,« bemerkte Pitou, »gibt es denn irgendwo einen Preis für die Flinte?«

»Nein,« antwortete Billot.

»Ah! ich kenne sie, die in Silber gefaßte, wie man sie in der Gegend nennt,« sagte Pitou: »ich habe sie vor zwei Jahren bei dem Feste in Boursonnes ihre Sache machen sehen. Dort hat sie das silberne Besteck gewonnen, mit dem Sie essen, Frau Billot, und den Becher, aus dem Sie trinken, Mademoiselle Catherine! Oh! was haben Sie denn, Mademoiselle?« rief Pitou erschrocken.

»Ich?«  . . .  nichts,« erwiderte Catherine, während sie ihre halb geschlossenen Augen wieder öffnete und sich auf dem Stuhle ausrichtete, an dessen Rücklehne sie halb ohnmächtig gesunken war.

»Catherine! was soll sie denn haben?« versetzte Billot, die Achseln zuckend.

»Ich muß Ihnen also sagen,« fuhr der Vater Clouis fort: »unter dem alten Eisen, bei Montoguon dem Waffenschmiede, fand ich eine Kugelform . ., ah! es ist selten, daß man einen Model findet, wie man ihn gerade braucht; diese kleinen Teufelsläuse von Leclerc haben beinahe alle das Caliber von vier und zwanzig, was sie nicht abhält, Gott weiß wohin zu tragen. Ich habe also gerade einen Model vom Caliber Ihrer Flinte gefunden, ein wenig kleiner sogar; doch das thut nichts, im Gegentheil, Sie wickeln die Kugeln in eine mit Fett beschmierte Haut. Brauchen Sie die Kugeln für den Pirschgang oder um aufgelegt zu schießen?«

»Ich weiß es nicht genau,« erwiderte Billot, »ich kann Ihnen nur bemerken, daß ich auf den. Anstand zu gehen gedenke.«

»Ah! ja, ich begreife,« rief der Vater Clouis, »die Wildschweine des Herrn Herzogs von Orleans sind lüstern nach Ihren Kartoffeln, und Sie haben sich gesagt: »»So viel im Pökelfasse liegen, so viel fressen nicht mehr.««

Es trat ein Stillschweigen ein, das nur durch das keuchende Athmen von Catherine gestört wurde.

Die Augen von Pitou gingen vom Jäger aus Billot und von Billot zu der Tochter über.

Er suchte zu begreifen, und dies gelang ihm nicht.

Was die Mutter Billot betrifft, so war es unnütz, von ihrem Gesichte eine Aufklärung zu fordern; sie begriff nichts von dem, was man sagte, und also um so viel mehr nichts von dem, was man sagen wollte.

»Ah!« fuhr der Vater Clouis seinen Gedanken verfolgend fort: »sind die Kugeln für die Wildschweine bestimmt, so sind sie vielleicht ein wenig klein; diese Herren haben eine harte Haut, abgesehen davon, daß das gegen den Jäger umkehrt! Ich habe Wildschweine gesehen, welche fünf, sechs, acht Kugeln zwischen Haut und Fleisch hatten, und zwar Musketenkugeln von sechszehn auf das Pfund, und sich darum doch ganz wohl befanden.«

»Es ist nicht auf Wildschweine gemünzt,« sagte Billot.

Pitou konnte seine Neugierde nicht überwinden.

»Verzeihen Sie, Herr Billot,« fragte er, »wenn es sich nicht um ein Preisschießen handelt, wenn Sie nicht aus Wildschweine schießen wollen, wozu brauchen Sie dann die Kugeln?«

»Um auf einen Wolf zu schießen,« erwiderte Billot.

»Ah! wenn Sie aus einen Wolf schießen wollen, dann ist es gut,« sprach der Vater Clouis; und er nahm die zwölf Kugeln aus seiner Tasche und ließ sie klirrend auf einen Teiler fallen. »Was die dreizehnte betrifft, sie ist im Bauche des Hasen . . .  Ich weiß nicht, wie Ihre Flinte die Schrote trägt, doch die Kugel trägt sie sehr artig.«

Würde Pitou Catherine angeschaut haben, so hätte er gesehen, daß sie einer Ohnmacht nahe war; doch ganz dem hingegeben, was der Vater Clouis sprach, schaute er das Mädchen nicht an.

Als er den alten Waldhüter sagen hörte, die dreizehnte Kugel sei im Bauche des Hasen, konnte er auch nicht widerstehen, und er erhob sich, um die Sache zu untersuchen und außer Zweifel zu setzen.

»Es ist bei meiner Treue wahr!« sagte er, indem er seinen kleinen Finger in das Loch der Kugel steckte; »das können nur Sie, Vater Clouis; Herr Billot, Sie schießen gut, doch Sie erlegen die Hasen noch nicht mit der Kugel.«

»Ah! gleichviel,« versetzte Billot, »sobald das Thier zwanzigmal so groß als ein Hase ist, werde ich es hoffentlich nicht fehlen.«

»Allerdings,« sagte Pitou, »ein Wolf ist  . . .  Doch Sie sprechen von Wölfen, es gibt also im Bezirke? Das ist wunderbar vor dem Schnee  . . . «

»Ja, es ist wunderbar, doch es ist so.«

»Sie sind dessen sicher, Herr Billot?«

»Sehr sicher,« antwortete der Pächter, der zugleich Pitou und Catherine anschaute, was leicht war, da sie neben einander saßen; »der Schäfer hat diesen Morgen einen gesehen.«

»Wo dies?« fragte Pitou naiver Weise.

»Auf der Straße von Paris nach Boursonnes, beim Gehölze von Ivors.«

»Ah!« rief Pitou, während er seinerseits Billot und Catherine anschaute.

»Ja,« fuhr Billot mit derselben Ruhe fort, »man hatte ihn schon im vergangenen Jahre bemerkt und mich davon in Kenntniß gesetzt; eine Zeit lang glaubte man, er sei verschwunden, um nicht wiederzukommen, doch . . . «

»Doch?« fragte Pitou.

»Doch es scheint, er ist zurückgekommen,« erwiderte Billot, »und er schickt sich an, wieder um den Pachthof herumzustreichen; darum habe ich den Vater Clouis gebeten, mir meine Flinte zu putzen und mir Kugeln zu gießen.«

Mehr konnte Catherine nicht aushalten; sie gab eine Art von ersticktem Schrei von sich, stand auf und wandte sich ganz schwankend nach der Thüre.

Halb naiv, halb besorgt, stand Pitou auch auf, und als er Catherine wanken sah, eilte er ihr nach, um sie zu unterstützen.

Billot warf einen entsetzlichen Blick nach der Thüre, doch das ehrliche Gesicht von Pitou offenbarte einen zu starken Ausdruck des Erstaunens, als daß Billot seinen Eigenthümer im Verdachte einer Mitschuld mit Catherine haben konnte.

Ohne sich weiter um Pitou oder um seine Tochter zu bekümmern, fuhr er fort:

»Sie sagen also, Vater Clouis, um den Schuß zu sichern, werde es gut sein, die Kugeln in ein Stück mit Fett getränkte Haut zu wickeln?»

Pitou hörte wohl die Frage, aber er hörte die Antwort nicht mehr, denn gerade in der Küche angelangt, wohin er Catherine nachgefolgt war, fühlte er, wie das Mädchen in seinen Armen zusammensank.

»Mein Gott, was haben Sie denn?« fragte er erschrocken.

»Oh!« erwiderte Catherine, »Sie begreifen also nicht? er weiß, daß Isidor in Boursonnes angekommen ist, und will ihn ermorden, wenn er sich dem Pachthofe nähert.«

In diesem Augenblicke wurde die Thüre des Speisezimmers geöffnet, und Billot erschien aus der Schwelle.

»Mein lieber Pitou,« sagte er mit einem so harten Tone, daß keine Erwiederung möglich war, »bist Du wirklich wegen der Kaninchen von Vater Lajeunesse gekommen, so glaube ich, daß es für Dich Zeit ist, zu gehen und Deine Schlingen zu legen; Du begreifst, später würdest Du nicht mehr sehen.«