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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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Um halb zehn Uhr waren diese verschiedenen Gegenstände noch nicht herbeigebracht.

Der Maire wurde unruhig. Er schickte seinen Secretäre nach der Kirche, um nachzusehen, ob man sich mit dem Transport der heiligen Gesäße beschäftige.

Der Secretär kam zurück und sagte, er habe die Kirche doppelt verschlossen gefunden.

Er erhielt den Befehl, zum Meßner zu laufen; der Meßner mußte natürlich der mit diesem Transporte beauftragte Mann sein.

Der unglückliche Meßner hatte sich eine Muskel verdreht.

Der Secretär erhielt nun Befehl, zu den Cantorei zu laufen.

Beide hatten sich den Magen verdorben. Um sich wiederherzustellen, hatte der Eine ein Brechmittel, der Andere ein abführendes Mittel genommen. Die zwei Arzneien wirkten aus eine wunderbare Art, und die beiden Kranken hofften, am andern Tage vollkommen wiederhergestellt zu sein.

Der Maire fing an eine Verschwörung zu argwohnen. Er schickte seinen Secretär zum Abbé Fortier.

Der Abbé Fortier hatte am Morgen einen Gichtanfall bekommen, und seine Schwester befürchtete sehr, die Gicht könnte ihm in den Magen treten.

Von da an gab es für Herrn von Longpré keine, Zweifel mehr. Nicht nur wollte der Abbé Fortier keine Messe am Altar des Vaterlands lesen, sondern, indem er den Meßner und die Cantoren vom Dienste befreite und alle Kirchenthüren schloß, verhinderte er es auch, daß ein anderer Priester, wenn sich zufällig einer gegenwärtig fand, die Messe an seiner Stelle las.

Die Lage der Dinge war ernst.

Zu jener Zeit glaubte man noch nicht, die bürgerliche Behörde könne sich bei großen Veranlassungen von der geistlichen trennen, und irgend ein Fest könne ohne Messe vor sich gehen.

Einige Jahre später verfiel man in den entgegengesetzten Exceß.

Alles dieses Hin- und Herlaufen des Secretärs war jedoch nicht geschehen, ohne daß dieser einige Indiscretionen in Betreff der Muskelverdrehung des Meßners, des Brechmittels des ersten Cantors, des Abführungsmittels des zweiten und der Gicht des Abbé beging.

Ein dumpfes Gerücht fing an die Bevölkerung zu durchlaufen.

Man sprach von nichts Geringerem, als daß man, um die heiligen Gesäße und die Ornamente des Gottesdienstes zu holen, die Kirchenthüren sprengen und den Abbé Fortier zum Altar des Vaterlands schleppen müsse.

Herr von Longpré, ein wesentlich versöhnender Mann, beschwichtigte diese ersten Bewegungen des Aufbrausens und erbot sich, selbst als Botschafter zum Abbé Fortier zu gehen.

Demzufolge begab er sich nach der Rue des Soisson und klopfte an die Thüre des würdigen Abbé, welche eben so sorgfältig verriegelt war, als die der Kirche.

Doch er mochte immerhin klopfen, die Thüre blieb geschlossen.

Herr von Longpré glaubte nun, es sei nothwendig, den Beistand der bewaffneten Macht zu requiriren.

Er gab Befehl, den Ouartiermeister und den Brigadier der Gendarmerie zu benachrichtigen.

Beide befanden sich auf dem großen Platze.

Sie liefen aus den Befehl des Maire herbei.

Ein ungeheurer Volksstrom zog ihnen nach.

Da man weder Balliste, noch Katapulte hatte, um die Thüre einzustoßen, so ließ man ganz einfach einen Schlosser holen.

Doch in dem Augenblick, wo der Schlosser den Haken in das Schloß steckte, wurde die Thüre geöffnet, und der Abbé Fortier erschien aus der Schwelle.

Nicht wie Coligny, der seine Mörder fragte:

»Meine Brüder, was wollt Ihr von mir?«

Sondern wie Kalchas, das Auge in Flammen und die Haare gesträubt, nach den Worten von Racine in Iphigenie.

»Zurück!« rief er, seine Hand mit einer drohenden, Geberde erhebend; »zurück, Ihr Ketzer, Ihr Gottlose, Ihr Hugenotten, Ihr Abtrünnige! Zurück, Ihr Amalekiter, Sodomiter, Gomorrhäer! Hebt Euch hinweg von der Schwelle des Herrn!«

Es entstand ein großes Gemurre in der Menge, ein Gemurre, das, wir müssen es sagen, nicht zu Gunsten des Abbé Fortier war.

»Verzeihen Sie,« sprach Herr von Longpré mit seiner sanften Stimme, der er den überredendsten Ausdruck gegeben, »verzeihen Sie, Herr Abbé, wir wünschten nur zu wissen, ob Sie die Messe am Altar des Vaterlands lesen oder nicht lesen wollen?«

»Ob ich die Messe am Altar des Vaterlands lesen will?« rief der Abbé in einem von jenen Zornausbrüchen, zu denen er so sehr geneigt war, »ob ich die Empörung, den Aufruhr, den Undank heiligen will? Ob ich Gott bitten will, die Tugend zu verfluchen und die Sünde zu segnen? Sie haben das nicht gehofft, Herr Maire! Sie wollen wissen, ja oder nein, ob ich Ihre gotteslästerliche Messe lesen werde; nun wohl: nein! nein! nein! Ich werde sie nicht lesen.«

»Gut, Herr Abbé erwiederte der Maire, »Sie sind frei, und man kann Sie nicht zwingen.«

»Ah! es ist ein Glück, daß ich frei bin,« sagte der Abbé, »es ist ein Glück, daß man mich nicht zwingen kann  . . .«

Und mit dem frechsten Hohngelächter fing er an die Thüre den Behörden vor der Nase zuzustoßen.

Die Thüre war im Begriff, ihr hölzernes Gesicht wie man in der Volkssprache sagt, der äußerst verblüfften Versammlung zu zeigen, als ein Mann rasch aus der Menge vortrat und mit einer mächtigen Anstrengung den zu drei Vierteln geschlossenen Flügel so wieder öffnete, daß er den Abbé, so stark er war, beinahe zurückgeworfen hätte.

Dieser Mann war Billot, Billot, bleich vor Zorn, mit gefalteter Stirne und mit den Zähnen knirschend.

Billot war, wie man sich erinnert, Philosoph. Als solcher verabscheute er die Priester, die er »Pfaffennarren« und »Faullenzer« nannte.

Eine tiefe Stille trat ein. Man begriff, daß etwas Erschreckliches zwischen diesen beiden Männern vorgehen sollte.

Billot aber, der, um die Thüre zurückzustoßen, mit so großer Heftigkeit zu Werke gegangen war, debutirte mit einer ruhigen, beinahe sanften Stimme.

»Verzeihen Sie, Herr Maire,« fragte er, »wie haben Sie da gesagt? Sie haben gesagt  . . .Ich bitte, wiederholen Sie doch  . . . Sie haben gesagt, wenn der Herr Abbé die Messe nicht lesen wolle, so könne man ihn nicht zwingen, es zu thun.«

»Ja, in der That,« stammelte Herr von Longpré, »ja, ich glaube dies gesagt zu haben.«

»Ah! dann haben Sie sich einen großen Irrthum zu Schulden kommen lassen, Herr Maire, und in unserer Zeit ist es wichtig, daß sich die Irrthümer nicht verbreiten.«

»Zurück, Ruchloser! zurück, Gottloser! zurück, Abtrünniger! zurück, Ketzer!« rief der Abbé Billot zu.

»Oh!« versetzte Billot, »schweigen wir, Herr Abbé, oder ich sage Ihnen, das wird ein schlimmes Ende nehmen. Ich beleidige Sie nicht, ich bestreite. Der Herr Maire glaubt, man könne Sie nicht zwingen, die Messe zu lesen; ich, ich behaupte, daß man Sie dazu zwingen kann.«

»Ah! Manichäer!« rief der Abbé, »ah! Heide!«

»Stille!« erwiederte Billot, »ich sage es, und ich beweise es.«

Stille!« rief alles Volk.

»Sie hören, Herr Abbé,« sprach Billot mit derselben Ruhe, »Jedermann ist meiner Ansicht. Ich predige nicht so gut, wie Sie; doch es scheint, ich sage interessantere Dinge, da man mich anhört.«

Der Abbé hatte große Lust, durch einen neuen Bannfluch zu antworten, doch diese mächtige Stimme der Menge imponirte ihm unwillkürlich.

»Sprich, sprich!« versetzte er mit einer spöttischen Miene, »wir werden sehen, was Du sagst.«

»Sie werden es in der That sehen, Herr Abbé.«

»Vorwärts, ich höre Dich.«

»Und Sie thun wohl daran,« sprach Billot.

Dann warf er einen Seitenblick aus den Abbé, als wollte er sich versichern, daß dieser schweigen werde, während er rede, und fuhr fort:

»Ich sage also etwas ganz Einfaches: Jeder, du einen Gehalt empfängt, ist verbunden, gegen diesen Gehalt das Gewerbe zu treiben, für welches er bezahlt wird.«

»Ah!« sprach der Abbé »ich sehe Dich kommen.«

»Meine Freunde,« sagte Billot mit derselben Sanftheit der Stimme, indem er sich an die zwei- bis dreihundert Zuschauer dieser Scene wandte, »wollt Ihr lieber die Beleidigungen des Herrn Abbé, oder meine Beweisführung hören?«

»Sprechen Sie, Herr Billot, sprechen Sie, wir hören! Stille! Abbé, stille!«

Billot begnügte sich diesmal damit, daß er den Abbé anschaute, und sprach dann weiter:

»Ich sagte also, Jeder, der einen Gehalt beziehe, müsse das Gewerbe treiben, für das er bezahlt wird. Hier ist z.B der Herr Secretär der Maire, er wird dafür bezahlt, daß er die Schreibereien des Herrn Maire macht, daß er seine Botschaften besorgt, daß er die Antworten von denjenigen, an welche diese Botschaften gerichtet sind, zurückbringt. Der Herr Maire hat ihn zu Ihnen geschickt, Herr Abbé, um Ihnen das Festprogramm zu überbringen; ihm wäre es nicht eingefallen, zu sagen: »»Herr Maire, ich will das Festprogramm nicht Herrn Fortier bringen.«« Nicht wahr, Herr Secretär, das wäre Ihnen nicht eingefallen?«

»Nein, Herr Billot,« erwiederte naiv der Secretär, »bei meiner Treue! Nein.«

»Sie hören, Herr Abbé?« sagte Billot.

»Gotteslästerer!« rief der Abbé.

»Stille!« wiederholten die Anwesenden.

Billot fuhr fort:

»Hier ist der Herr Quartiermeister der Gendarmerie, welcher dafür bezahlt wird, daß er gute Ordnung hält, wo die gute Ordnung gestört wird oder gestört werden kann. Als der Herr Maire vorhin dachte, die gute Ordnung könnte durch Sie, Herr Abbé gestört werden, und dem Herrn Quartiermeister sagen ließ, er möge ihm zu Hilfe kommen, da dachte der Herr Quartiermeister nicht daran, zu antworten: »»Herr Maire, stellen Sie die Ordnung wieder her, wie Sie eben können, thun Sie es aber ohne mich.«« Nicht wahr, Sie dachten nicht hieran, Herr Quartiermeister?«

»Bei meiner Treue, nein! Es war meine Pflicht, zu kommen, und ich bin gekommen,« erwiederte einfach der Ouartiermeister.

»Sie hören, Herr Abbé?« sagte Billot.

Der Abbé knirschte mit den Zähnen.

»Warten Sie,« sprach Billot, »hier ist ein wackerer Mann von einem Schlosser, Seine Ausgabe ist es, wie dies seine Benennung bezeichnet, Schlösser zu verfertigen, zu öffnen oder zu, schließen. Vorhin hat der Herr Maire ihn holen lassen, damit er Ihre Thüre öffne. Es ist ihm nicht einen Augenblick die Idee gekommen, dem Herrn Maire zu antworten: »»Ich will die Thüre von Herrn Fortier nicht öffnen.«« Nicht wahr, Picard, diese Idee ist Dir nicht gekommen?«

 

»Bei meiner Treue, nein erwiederte der Schlosser, »ich habe meinen Haken genommen und bin gekommen. Jeder treibe sein Handwerk, und die Kühe werden wohl gehütet sein.«

»Sie hören, Herr Abbé?« fragte Billot.

Der Abbé wollte ihn unterbrechen, doch Billot hielt ihn durch eine Geberde zurück und fuhr fort:

»Nun wohl, sprechen Sie, woher kommt es, daß Sie allein, der Sie auserwählt sind, um das Beispiel zu geben, während Jedermann seine Pflicht hier thut, daß Sie allein, sage ich, sie nicht thun?«

»Bravo, Billot! bravo!« riefen einstimmig die Anwesenden.

»Sie thun sie nicht nur nicht,« wiederholte Billot, »sondern Sie geben sogar das Beispiel der Unordnung und des Bösen.«

»Ah!« rief der Abbé Fortier, der nun einsah, daß er sich vertheidigen mußte, »die Kirche ist unabhängig, die Kirche gehorcht Niemand, die Kirche folgt nur sich selbst!«

»Ei! das ist gerade das Schlimme, daß Ihr eine Gewalt im Lande, einen Körper im Staate bildet. Ihr seid Franzose oder Ausländer, Ihr seid Bürger oder seid es nicht; seid Ihr nicht Bürger, seid Ihr nicht Franzose, seid Ihr Preuße, Engländer oder Oesterreicher?, ist es Herr Pitt, Herr Coburg oder Herr von Kaunitz, der Euch bezahlt, so gehorcht Herrn Pitt, Herrn Coburg oder Herrn von Kaunitz: seid Ihr aber Franzose, seid Ihr Bürger, bezahlt Euch die Nation, so gehorcht der Nation,«

»Ja! ja!« riefen dreihundert Stimmen.

»Und dann,« sprach Billot, die Stirne gefaltet, das Auge voll von Blitzen, und seine mächtige Hand bis aus die Schulter des Abbé ausstreckend,« und dann, im Namen der Nation, Priester, fordere ich Dich auf, Deine Friedenssendung zu erfüllen und die Gnade des Himmels, den Segen der Vorsehung, die Barmherzigkeit des Herrn aus Deine Bürger und Dein Vaterland herabzurufen. Komm! komm!«

»Bravo! Billot, es lebe Billot!« rief man einstimmig.

»Zum Altar! den Priester zum Altar!«

Und, ermuthigt durch diesen Zuruf, zog der Pächter mit seinem kräftigen Arme aus dem beschützenden Gewölbe der großen Thüre vielleicht den ersten Priester, der in Frankreich so offen das Signal der Gegenrevolution gegeben hatte.

Der Abbé Fortier sah ein, daß kein Widerstand möglich war.

»Nun, ja,« sagte er, »das Märtyrerthum, ich rufe das Märtyrerthum herbei, ich verlange das Märtyrerthum.«

Und mit voller Lunge stimmte er das Libera nos, Domine! an.

Dieser seltsame Zug rückte gegen den großen Platz mit dem Geschrei herbei, das Pitou in dem Augenblick vernahm, wo er nahe daran war, unter den Danksagungen, den zärtlichen Worten und dem Händedruck von Catherine ohnmächtig zu werden.

LVI
Die Erklärung der Menchenrechte

Pitou, den dieser Lärmen an die Pariser Ausstände die er mehr als einmal gehört, erinnert hatte, glaubte, er sehe eine Bande von Mördern herankommen, dachte, er werde einen neuen Flesselle, einen neuen Foulon, einen neuen Berthier zu vertheidigen haben, rief: »»Ins Gewehr und stellte sich an die Spitze seiner dreiunddreißig Mann.

Da öffnete sich die Menge, und er sah fortgezogen von Billot, den Abbé Fortier sich nähern, dem nur ein Palme fehlte, um den alten Christen zu gleichen, welche man in den Circus führte.

Eine natürliche Bewegung trieb ihn zur Vertheidigung seines ehemaligen Lehrers an, dessen Verbrechen er noch nicht wußte.

»Oh! Herr Billot!« rief er, dem Pächter entgegen eilend.

»Oh! mein Vater!« rief Catherine mit einer ganz ähnlichen Bewegung.

Doch es bedurfte nur eines Blickes, um Pitou einerseits und Catherine andererseits zurückzuhalten. Es war etwas vom Adler und vom Löwen in diesem Manne, der die Menschwerdung des Volkes repräsentirte.

Am Fuße der Bühne angelangt, ließ er von selbst den Abbé Fortier los, deutete mit dem Finger auf den Altar und sprach:

»Sieh, hier ist der Altar des Vaterlands, an welchem den Gottesdienst zu verrichten Du verschmähst, und dessen Priester zu sein ich Dich meinerseits für unwürdig erkläre. Um diese heiligen Stufen zu ersteigen, muß man das Herz voll haben von drei Gefühlen: von dem Verlangen nach Freiheit, von der Ergebenheit gegen das Vaterland, von der Liebe für die Menschheit! Priester, Wünschest Du die Befreiung der Welt? Priester, bist Du Deinem Vaterlande ergeben? Priester, liebst Du Deinen: Nächsten? Dann steige kühn zu diesem Altar hinaus und rufe Gott an; fühlst Du Dich aber nicht den Ersten unter uns als Bürger, so tritt den Platz dem Würdigeren ab und ziehe Dich zurück!  . . .verschwinde!  . . .gehe!«

»Oh! Unglücklicher!« rief der Abbé, während er sich zurückzog und Billot mit dem Finger drohte; »Du weißt ’nicht, wem Du den Krieg erklärst?«

»Doch, ich weiß es,« erwiederte Billot, »ich erkläre den Krieg den Wölfen, den Füchsen und den Schlangen, Allem, was sticht, Allem, was beißt, Alles, was in der Finsterniß zerreißt. Wohlan! es sei,« fügte er bei, indem er mit einer mächtigen Geberde an seine breite Brust mit beiden Händen schlug. »Zerreißt  . . .beißt  . . .sticht . . .es ist Etwas hierzu vorhanden!«

Es trat ein kurzes Stillschweigen ein; die ganze anwesende Menge öffnete sich, um den Priester abgehen zu lassen, schloß sich wieder und blieb unbeweglich und in Bewunderung vor dieser kräftigen Natur, die sich als Zielscheibe den Streichen der furchtbaren Gewalt darbot, deren Sklave damals noch die Hälfte der Welt war, und die man die Geistlichkeit nannte.

Es gab keinen Maire, keinen Adjuncten, keinen Municipalrath mehr, es gab nur noch Billot.

Herr von Longpré näherte sich ihm und sagte:

»Aber mit Allem dem, Herr Billot, haben wir keinen Priester mehr.«

»Nun, und dann?« fragte Billot.

»Da wir keinen Pfarrer mehr haben, so haben wir keine Messe mehr!«

»Ein großes Unglück!« sprach Billot, der seit seiner ersten Communion nur zweimal, an seinem Heirathstage und am Tage der Taufe seiner Tochter, den Fuß in die Kirche gesetzt hatte.

»Ich sage nicht, es sei ein großes Unglück,« erwiederte der Maire, dem aus Gründen daran lag, Billot nicht zu widersprechen. »Doch was werden wir an die Stelle der Messe setzen?«

»An die Stelle der Messe?« rief Billot im Aufschwunge einer wahren Begeisterung; »ich will es Ihnen sagen: steigen Sie mit mir zum Altar des Vaterlands hinauf, Herr Maire; steige auch mit hinauf, Pitou; Sie zu meiner Rechten, Du zu meiner Linken  . . .so ist es. Was wir an die Stelle der Messe setzen werden, höret Alle,« sprach Billot; »es ist die Erklärung der Menschen, rechte, es ist das Credo der Freiheit, es ist das Evangelium der Zukunft.«

Alle Hände klatschten gleichzeitig; alle diese seit dem vorhergehenden Tage freien oder vielmehr kaum entfesselten Menschen, alle diese Menschen waren begierig, die Rechte kennen zu lernen, welche man für sie erobert, und die sie noch nicht genossen hatten.

Sie hatten ganz anders Durst nach diesem Worte, als nach dem, welches der Abbé Fortier das himmlische Wort nannte.

Zwischen dem Maire, der die gesetzliche Macht vertrat, und Pitou, der die bewaffnete Macht repräsentirte, stehend, streckte Billot die Hand aus, und auswendig, aus dem Gedächtniß, aus der Erinnerung,– der ehrliche Pächter konnte nicht lesen, wie man weiß, – sprach er mit sonoren Stimme folgende Worte, welche die ganze Versammlung stillschweigend und mit entblößtem Haupte anhörte:

Erklärung der Menschenrechte
Artikel 1
»»Die Menschen werden geboren und bleiben frei und gleich in Rechten. Die socialen Unterschiede können nur aus den gemeinschaftlichen Nutzen gegründet sein
Art. 2
»»Der Zweck jeder politischen Association ist die Erhaltung der natürlichen und unverjährbaren Rechte des Menschen. Diese Rechte sind das Eigenthum, die Sicherheit und der Widerstand gegen die Unterdrückung.««

Die Worte: der Widerstand gegen die Unterdrückung, wurden von Billot als von einem Manne ausgesprochen, der die Mauern der Bastille hat fallen sehen und weiß, daß nichts dem Arme des Volkes widersteht, wenn das Volk den Arm ausstreckt.

Sie erhoben auch jenes Geschrei, das, von der Menge ausgestoßen, dem Gebrülle gleicht.

Er fuhr fort: .

Art. 3
»»Der Grundsatz jeder Souveränetät wohnt wesentlich der Nation inne. Kein Körper, kein Individuum kann eine Macht üben, die nicht wesentlich ihr entfließt  . . .««

Dieser letzte Satz erinnerte zu lebhaft diejenigen, welche ihn hörten, an den Streit, der zwischen Billot und dem Abbé Fortier stattgefunden, und wobei Billot diesen Grundsatz angerufen hatte, um unbemerkt vorüberzugehen; er wurde auch mit Bravos und Beifallklatschen überschüttet.

Billot ließ die Bravos und das Beifallklatschen er- löschen und fuhr dann fort:

Art. 4
»»Die Freiheit besteht darin, daß man Alles thun kann, was Anderen nicht schadet; so hat die Ausübung der natürlichen Rechte jedes Menschen keine andern Grenzen, als die, welche den übrigen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuß derselben Rechte sichert; diese Grenzen können nur durch das Gesetz festgestellt werden  . . .««

Dieser Artikel hatte etwas ein wenig Abstractes für die einfachen Geister, welche ihn hörten; er ging auch kälter vorüber als die andern, obgleich er ein Grundartikel war.

Art. 5
»»Das Gesetz,«« fuhr Billot fort, »»hat nur das Recht, die der Gesellschaft nachtheiligen Handlungen zu verbieten. Alles das, was nicht durch das Gesetz verboten ist, kann nicht verhindert werden, und Niemand kann gezwungen werden, das zu thun, was dasselbe nicht gebietet  . . .««

»Das heißt,« fragte eine Stimme aus der Menge »da das Gesetz die Frohne nicht befiehlt und den Zehnten aufgehoben hat, so können weder die Priester mehr kommen, um den Zehnten von meinem Felde zu nehmen, noch kann mich der König zur Frohne zwingen?«

»Ganz richtig,« entgegnete Billot dem Fragenden, »und wir sind von jetzt an und in Zukunft befreit von diesen schmählichen Plackereien.«

»Es lebe also das Gesetz!« rief der Fragende.

Und alles Volk wiederholte im Chor;

»Es lebe das Gesetz!«

Billot fuhr fort:

Art. 6
»»Das Gesetz ist der Ausdruck des allgemeinen Willens.««

Hierbei hielt er inne, hob feierlich den Finger empor und rief:

»Höret wohl, Freunde, Brüder, Mitbürger, Menschen!

»»Alle Franzosen haben das Recht, persönlich oder durch ihre Vertreter bei der Bildung des Gesetzes mitzuwirken . . .««

Und er errhob die Stimme, damit nicht eine Sylbe von dem, was er sagte, verloren gehe:

»»Es soll dasselbe für Alle sein, mag es beschützen, mag es strafen  . . .««

Dann sprach er noch lauter:

»»In seinen Augen sind alle Bürger gleich zulässig zu allen Würden, Stellen und öffentlichen Aemtern nach Maßgabe ihrer Fähigkeit und ohne andere Auszeichnungen als die ihrer Tugenden und ihrer Talente.««

Der Art. 6 wurde mit einem einstimmigen Beifallsgeschrei aufgenommen.

Billot ging zum Art. 7 über:
»»Jeder Mensch kann nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen und nach den von ihm vorgeschriebenen Formen angeklagt, verhaftet oder gefangen gehalten werden. Diejenigen, welche willkürliche Befehle nachsuchen, ausfertigen oder vollziehen, müssen bestraft werden; doch jeder Bürger, der kraft des Gesetzes vorgefordert oder ergriffen wird, muß auf der Stelle gehorchen; er macht sich durch den Widerstand schuldig.««
Art. 8
»»Das Gesetz soll nur streng nothwendige Strafen bestimmen, und Jeder kann nur kraft eines festgestellten und vor dem Vergehen bekannt gemachten Gesetzes bestraft werden
Art. 9
»»Da jeder Mensch als unschuldig angenommen wird, bis er für schuldig erklärt worden ist, so muß jede Strenge, die nicht, um sich seiner Person zu versichern, für unerläßlich erklärt würde, kräftig vom Gesetze unterdrückt werden
Art. 10
»»Niemand darf wegen seiner Gesinnung, selbst wegen der religiösen, beunruhigt werden, vorausgesetzt, daß ihre Kundgebung nicht die durch das Gesetz vorgeschriebene Ordnung stört
Art. 11
»»Der freie Austausch der Gedanken und der Meinungen ist eines der kostbarsten Rechte des Menschen. Jeder Bürger kann also frei sprechen, schreiben, drucken, unter der Bedingung, daß er für den Mißbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen verantwortlich ist
Art. 12
»»Die Garantie der Rechte des Bürgers macht eine öffentliche Macht nothwendig: diese Macht ist also gegründet für den Vortheil Aller und nicht für den Privatnutzen derjenigen, welchen man sie anvertraut
Art. 13
»»Für die Unterhaltung der öffentlichen Macht und für die Ausgaben der Verwaltung ist eine gemeinschaftliche Steuer unerläßlich; sie muß gleichmäßig unter allen Bürgern nach Maßgabe ihres Vermögens vertheilt, sein
Art. 14
»»Alle Bürger haben das Recht, durch sich selbst oder durch ihre Vertreter die Nothwendigkeit der öffentlichen Steuer zu constatiren, ihre Verwendung zu verfolgen und ihren Betrag, ihre Vertheilung, ihren Einzug und ihre Dauer zu bestimmen
Art. 15
»»Die Gesellschaft hat das Recht, von jedem öffentlichen Beamten Rechenschaft über seine Verwaltung zu verlangen
Art. 16
»»Keine Gesellschaft, in der weder die Garantie der Rechte gesichert, noch die Trennung der Gewalten bestimmt ist, hat eine Constitution
Art. 17
»»Da das Eigenthum ein heiliges und unverletzliches Recht ist, so kann Niemand desselben beraubt werden, wenn nicht, weil die gesetzlich nachgewiesene öffentliche Nothwendigkeit es entschieden fordert, und unter der Bedingung einer gerechten Entschädigung.««

»Und nun die Anwendung dieser Grundsätze,« fuhr Billot fort; »höret Brüder! höret Bürger! höret Ihr Menschen, die diese Erklärung Eurer Rechte frei gemacht hat, höret!«

 

»Stille! stille! laßt uns hören,« sprachen gleichzeitig zwanzig Stimmen in der Menge.

Billot fuhr fort:

»Die Nationalversammlung, welche die französische Constitution auf die Grundsätze bauen wollte, die sie anerkannt und erklärt hatte, hebt unwiderruflich die Institutionen auf, welche die Freiheit und die Gleichheit verletzen.«

Die Stimme von Billot nahm, während er weiter sprach, einen erschrecklichen Ausdruck von Haß und Drohung an.

»Es gibt weder mehr Adel, noch Pairie, noch erbliche Auszeichnungen, noch Feudalregierung, noch Patrimonialgerichtsbarkeit, noch irgend einen von den Titeln, irgend eine von den Benennungen, irgend eines von den Prärogativen, welche daraus entspringen, noch einen Ritterorden, noch eine von den Körperschaften oder von den Decorationen, für welche man Adelsproben verlangte, oder die eine ausgezeichnete Geburt voraussetzten, noch irgend einen anderen Vorrang, als den der öffentlichen Beamten in der Ausübung ihrer Functionen.

»Es gibt weder mehr Käuflichkeit, noch Erblichkeit irgend eines öffentlichen Amtes; es gibt weder für einen Theil der Nation, noch für ein Individuum irgend ein Privilegium bei dem gemeinschaftlichen Rechte aller Franzosen.

Es gibt weder Geschwornenämter, noch Innungen von Handwerkern und Künstlern.

Das Gesetz erkennt weder religiöse Gelübde, noch irgend eine Verbindlichkeit an, welche dem natürlichen Rechte oder der Constitution entgegen wäre  . . .«

Billot schwieg.

Man hatte ihm mit einer religiösen Stille zugehört.

Zum ersten Male vernahm das Volk zu seinem Erstaunen die Anerkennung seiner Rechte, verkündigt am hellen Tage, im Lichte der Sonne, im Angesichte des Herrn, von dem es schon so lange Zeit in seinen Gebeten diese natürliche Verfassung erflehte, die es nun nach Jahrhunderten der Sklaverei, des Elends und der Leiden erhielt.

Zum ersten Mal hatte der Mensch, der wirkliche Mensch, derjenige, aus welchem das Gebäude der Monarchie mit seinem Adel zur Rechten und mit seiner Geistlichkeit zur Linken seit sechs Jahrhunderten lastete, zum ersten Mal hatte der Arbeiter, der Handwerker, der Bauer seine Stärke erkannt, seinen Werth geschätzt, den Platz, den er aus der Erde einnahm, berechnet, den Schatten, den er der Sonne machte, gemessen, und dies nicht kraft des Beliebens eines Gebieters, sondern auf die Stimme von einem von seines Gleichen.

Als nach diesen letzten Worten:

»Das Gesetz erkennt weder religiöse Gelübde, noch irgend eine Verbindlichkeit mehr an, welche den natürlichen Rechten und der Constitution entgegen wäre,« als nach diesen Worten, sagen wir, Billot den Ruf erhob, der noch so neu, daß er strafbar schien, den Ruf: »Es lebe die Nation!« als er die Arme ausbreitend an seiner Brust in einer brüderlichen Umarmung die Schärpe des Maire und die Epauletten des Kapitäns vereinigte, wiederholte, obgleich dieser Maire der eines Dörfchens, obgleich dieser Kapitän der Anführer einer Handvoll Bauern, da der Grundsatz trotz der Niedrigkeit derjenigen, welche ihn vertraten, nicht minder groß war, es wiederholte Aller Mund: »Es lebe die Nation!« und alle Arme öffneten sich und schlossen sich zu einem allgemeinen Umfangen in der erhabenen Verschmelzung aller Herzen in einem einzigen Herz, in der überwiegenden Hinneigung aller Privatinteressen zur gemeinschaftlichen Aufopferung.

Das war eine von den Scenen, von welchen Gilbert mit der Königin gesprochen, und die die Königin nicht begriffen hatte.

Billot stieg vom Altar des Vaterlands unter dem Freudengeschrei und dem Zurufe der ganzen Bevölkerung herab.

Die Musik von Villers-Coterets stimmte im Vereine mit den Musiken der benachbarten Dörfer sogleich die Melodie der brüderlichen Versammlungen, die Melodie der Hochzeiten und der Taufen an: Ou peuton uêtre mieux qu’a sein de famille?17

Und in der That, von dieser Stunde an wurde Frankreich eine große Familie; von dieser Stunde an waren der Haß der Religionen verschwunden, die Vorurtheile der Provinzen vernichtet; von dieser Stunde an drang das, was für die Welt an das Licht durchdrang, auch für Frankreich durch; die Geographie war getödtet; keine Berge, keine Flüsse, keine Hindernisse mehr zwischen den Menschen; eine Sprache, ein Vaterland, ein Herz!

Und auf diese Melodie, mit welcher einst die Familie Heinrich IV. empfangen hatte, und mit der heute ein Volk die Freiheit begrüßte, begann eine ungeheure Farandole,18 die, auf der Stelle sich wie eine endlose Kette entwickelnd, ihre lebendigen Ringe vom Mittelpunkte des Platzes bis zum Ende der Straßen rollte, welche nach demselben ausmündeten.

Dann stellte man Tische vor den Thüren auf. Arm oder reich, Jeder brachte seine Schüssel, seine Kanne Obstmost, seinen Schoppen Bier, seine Flasche Wein oder seinen Krug Wasser, und eine ganze Bevölkerung nahm Gott preisend Theil an diesem großen Liebesmahl; sechstausend Bürger communicirten an demselben Tische an dem heiligen Tische der Brüderlichkeit.

Billot war der Held des Tages.

Er theilte großmüthig die Ehre desselben mit dem Maire und mit Pitou.

Es bedarf nicht der Erwähnung, daß bei der Farandole Pitou Mittel fand, um Catherine die Hand zu geben.

Es bedarf nicht der Erwähnung, daß bei Tische Pitou Mittel fand, neben Catherine zu sitzen.

Doch sie war traurig, die arme Catherine; ihre Freude am Morgen war verschwunden, wie ein frischer, lachender Sonnenstrahl unter den stürmischen Dünsten des Mittags verschwindet.

In seinem Streite mit dem Abbé Fortier, in seiner Erklärung der Menschenrechte hatte ihr Vater der Geistlichkeit und dem Adel eine Aufforderung zugeworfen, eine Aufforderung, welche um so erschrecklicher, je mehr sie von unten kam.

Sie hatte an Isidor gedacht, der nun nicht mehr hoher stand als irgend ein anderer Mensch.

Es war nicht der Titel, es war nicht der Rang, es war nicht der Reichthum, was sie in ihm bedauerte; sie hätte Isidor geliebt, wäre er ein einfacher Bauer gewesen; doch es schien ihr, man sei heftig, ungerecht, brutal gegen diesen jungen Mann; es schien ihr, ihr Vater müsse, indem er ihm seine Titel und seine Privilegien entreiße, statt ihr ihn eines Tages näher zu bringen, Isidor auf immer von ihr entfernen.

Was die Messe betrifft, so sprach Niemand mehr davon; man verzieh beinahe dem Abbé Fortier seinen contrerevolutionären Ausfall: nur bemerkte er am andern Tage an seiner fast leeren Classe den Schlag, den die Weigerung, am Altar der Freiheit den Gottesdienst zu verrichten, seiner Volksbeliebtheit bei den patriotischen Eltern von Villers-Coterets beigebracht hatte.

17Wo kann man besser sein, al, im Schooße seiner Familie?
18ein Tanz.