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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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L
Rückkehr zum Pachthofe

Während Marie Antoinette wieder der Hoffnung ihr ganz von Schmerzen zerfressenes Herz öffnet und, sich mit dem Heile der Königin beschäftigend, einen Augenblick die Leiden der Frau vergißt, während Mirabeau träumt, er könne wie der Athlet Alkidamas allein das Gewölbe der Monarchie stützen, das, dem Einsturze nahe, zusammenfallend ihn zu zerschmettern droht, wollen wir den durch so viel Politik ermüdeten Leser zu demüthigeren Personen und frischeren Horizonten zurückführen.

Wir haben gesehen, welche Befürchtungen, durch Pitou dem Herzen von Billot bei des Ersteren zweiter Reise von Haramont in die Hauptstadt eingeblasen, den Pächter an den Pachthos, oder vielmehr den Vater an seine Tochter erinnerten.

Diese Besorgnisse waren nicht übertrieben.

Die Rückkehr fand am zweiten Tage nach der bekannten Nacht statt, wo sich das dreifache Ereigniß der Flucht von Sebastian Gilbert, der Abreise des Vicomte Isidor von Charny und der Ohnmacht von Catherine auf dem Wege von Villers-Coterets nach Pisseleu zugetragen hat.

In einem andern Kapitel dieses Buches haben wir erzählt, wie Pitou, nachdem er Catherine in den Pachthof zurückgebracht, nachdem er von ihr, unter Weinen und Schluchzen, erfahren, der Unfall, der ihr zugestoßen, sei durch die Abreise von Isidor veranlaßt worden, nach Haramont, erdrückt unter der Last dieses Geständnisses, zurückkam, bei seiner Heimkehr den Brief von Sebastian fand und sogleich nach Paris abging.

In Paris sahen wir ihn mit einer solchen Unruhe auf Gilbert und Sebastian warten, daß es ihm nicht einmal einfiel, mit Billot von dem Ereignisse des Pachthofes zu sprechen.

Erst nachdem er sich über das Loos von Sebastian, als er diesen mit seinem Vater nach der Rue Saint-Honoré zurückkommen sah, beruhigt hatte, als er aus dem Munde des Knaben selbst die Einzelheiten seiner Reise erfahren und von ihm gehört hatte, wie er den Vicomte Isidor getroffen, der ihn dann aus dem Kreuze seines Pferdes mit nach Paris nahm, erinnerte er sich an Catherine, an den Pachthof und die Mutter Billot und sprach von der schlechten Ernte, von dem unaufhörlichen Regen und der Ohnmacht von Catherine.

Wir haben gesagt, von dieser Ohnmacht sei Billot besonders ergriffen gewesen, und sie habe ihn bestimmt, von Gilbert einen Urlaub zu verlangen, den ihm dieser bewilligte.

Den ganzen Weg entlang befragte Billot Pitou über diese Ohnmacht, denn er liebte seine Frau sehr, der würdige Pächter, er liebte seine Frau ungemein, der gute Gatte, was er aber über Alles liebte, war seine Tochter.

Und dennoch hätte ihn bei seinen unwandelbaren Begriffen von Ehre, bei seinen unbesiegbaren Grundsätzen der Redlichkeit, diese Liebe bei Gelegenheit zu einem ebenso unbeugsamen Richter gemacht, als er ein zärtlicher Vater war.

Von ihm befragt, antwortete Pitou.

Er hatte Catherine auf dem Wege liegend, stumm, unbeweglich, leblos gefunden; er hatte sie für todt gehalten; er hatte sie, ganz in Verzweiflung, in seinen Armen aufgehoben und auf seinen Schooß gelegt. Dann hatte er bald bemerkt, daß sie noch athmete, und laufend nach dem Pachthofe getragen, wo er sie mit Hilfe der Mutter Billot auf ihr Bett gebracht. Hier hatte er ihr, während die Mutter Billot wehklagte, ungeschlacht Wasser ins Gesicht gespritzt. Diese Frische hatte gemacht, das Catherine die Augen wieder geöffnet, und als er dies gesehen, fügte Pilon bei, habe er seine Gegenwart aus dem Pachthose nicht mehr für nöthig gehalten und sei weggegangen. Das Uebrige, nämlich Alles, was sich auf Sebastian bezog, hatte der Vater Billot einmal erzählen hören, und diese Erzählung genügte ihm.

Eine Folge hiervon war, daß Billot, unablässig auf Catherine zurückkommend, sich in Muthmaßungen über den Unfall, der ihr zugestoßen, und über die wahrscheinlichen Ursachen dieses Unfalls erschöpfte.

Diese Muthmaßungen übersetzten sich in Fragen an Pitou gerichtet, auf welche Fragen Pitou diplomatisch antwortete:

»Ich weiß es nicht.«

Und es war ein Verdienst von Pitou, daß er antwortete: »Ich weiß es nicht;« denn Catherine hatte, wie man sich erinnert, die grausame Offenherzigkeit gehabt, ihm Alles zu gestehen, und folglich wußte Pitou.

Er wußte, daß Catherine, weil ihr das Herz durch den Abschied von Isidor gebrochen, auf der Stelle, wo er sie gefunden, in Ohnmacht gefallen war.

Doch um kein Gold der Erde hätte er dies jemals dem Pächter gesagt.

Pitou hatte sich von einem großen Mitleiden für Catherine erfassen lassen.

Pitou liebte Catherine, er bewunderte sie besonders; wir haben seiner Zeit gesehen, wie diese Bewunderung und diese Liebe, schlecht geschätzt und besonders schlecht belohnt, Leiden in das Herz und Entzückungen in dm Geist von Pitou brachten.

Doch diese Entzückungen, so exaltirt sie waren, diese Schmerzen, so scharf er sie empfand, waren nie bis zur Ohnmacht gegangen.

Pitou stellte sich also folgendes, äußerst vernünftige Dilemma, welches er mit seiner gewöhnlichen Logik in drei Theile theilte:

»Liebt Mademoiselle Catherine Herrn Isidor, um ohnmächtig zu werden, wenn er sie verläßt, so liebt sie Herrn Isidor mehr als ich sie, Mademoiselle Catherine, liebe, da ich nie, wenn ich sie verlassen, in Ohnmacht gefallen bin.«

Von diesem ersten Theile ging er zum zweiten über, und er sagte zu sich selbst: »Liebt sie ihn mehr als ich sie liebe, so muß sie also noch mehr leiden, als ich gelitten habe; in diesem Falle leidet sie viel.«

Von wo aus er zum dritten Theile seines Dilemma, d. h. zum Schlusse kam, ein Schluß, der um so logischer, als er sich, wie jeder gute Schluß, mit dem Eingange wiederverband:

»Und in der That, sie leidet mehr als ich leide, da sie ohnmächtig wird und ich nicht ohnmächtig werde.«

Hiervon das große Mitleid, das Pitou stumm Billot gegenüber in Beziehung auf Catherine machte, eine Stummheit, welche die Besorgnisse von Billot vermehrten, die sich, so wie sie zunahmen, immer deutlicher in Peitschenhiebe übersetzten, die der würdige Pächter ohne Unterlaß mit kräftigem Arme den Lenden des von Dammartin gemietheten Pferdes ertheilte, so daß um vier Uhr Nachmittags das Pferd, der kleine Wagen und die zwei Reisenden, die er enthielt, vor der Thüre des Pachthofes ankamen, wo bald das Gebelle der Hunde ihre Gegenwart signalisirte.

Kaum hielt der Wagen still, als Billot zu Boden sprang und rasch in den Pachthof eintrat.

Doch ein Hinderniß, das er nicht erwartete, erhob sich aus der Schwelle des Schlafzimmers seiner Tochter. Das war der Doctor Raynal, dessen Namen wir, wie uns scheint, schon im Verlaufe dieser Geschichte auszusprechen Gelegenheit gehabt haben; er erklärte, jede Aufregung sei bei dem Zustande, in dem sich Catherine befand, nicht nur gefährlich, sondern könne sogar tödtlich sein, – ein neuer Schlag, der den armen Billot traf.

Er wußte die Thatsache der Ohnmacht, doch von dem Augenblicke an, wo Pitou hatte Catherine die Augen wieder öffnen und zu sich kommen sehen, bekümmerte er sich, wenn man so sagen darf, nur noch um die Ursachen und die moralischen Folgen des Ereignisses.

Und nun wollte das Unglück, daß außer den Ursachen und den moralischen Folgen auch ein körperliches Resultat vorhanden war.

Dieses körperliche Resultat war eine Gehirnentzündung, welche sich am Morgen des vorhergehenden Tages erklärt hatte und sich aus den höchsten Grad der Intensität zu steigern drohte.

Der Doctor Raynal war bemüht, diese Gehirnentzündung durch alle Mittel, welche bei einem solchen Falle die Adepten der alten Arzneiwissenschaft anwandten, nämlich durch Aderlässe und Senfpflaster zu bekämpfen.

Doch diese Behandlung, so thätig sie auch verfolgt wurde, war bis jetzt gleichsam nur an der Seite der Krankheit hingegangen; der Kampf zwischen dem Uebel und dem Mittel hatte sich kaum entsponnen, und Catherine war vom Morgen an einem heftigen Delirium preisgegeben.

In diesem Delirium sprach sie ohne Zweifel seltsame Dinge, denn unter dem Vormunde, ihr Aufregungen zu ersparen, hatte der Doctor Raynal schon ihre Mutter von ihr entfernt, wie er in diesem Augenblicke, ihren Vater fern zu halten suchte.

Die Mutter Billot saß aus einem Schemel im Hintergrunde des ungeheuren Kamins; sie hatte den Kopf in ihre Hände gedrückt und schien Allem, was um sie hervorging, fremd zu sein.

Unempfindlich für das Geräusch des Wagens, für das Bellen der Hunde, für den Eintritt von Billot in die Küche, erwachte sie indessen, als die Stimme von diesem, mit dem Doctor streitend, ihre in die Tiefe einer düstern Träumerei versunkene Vernunft ergriff.

Sie richtete den Kopf auf, öffnete die Augen, heftete ihren stumpfen Blick aus Billot und rief:

»Ah! da ist unser Mann!«

Und sie stand auf, ging ganz stolpernd und mit ausgestreckten Armen aus Billot zu und warf sich an seine Brust.

Dieser schaute sie mit einer erschrockenen Miene, als ob er sie kaum erkennete, an.

»Ei!« fragte er, Angstschweiß auf der Stirne, »was geht denn hier vor?«

»Es geht hier vor,« erwiederte Doctor Raynal, »daß Ihre Tochter das hat, was wir eine Gehirnentzündung nennen, und daß man, wenn man dies hat, wie man nur gewisse Dinge zu sich nehmen darf, ebenso auch nur gewisse Personen sehen darf.«

»Ist denn diese Krankheit gefährlich, Herr Raynal?« fragte der Vater Billot. »Stirbt man daran?«

»Man stirbt an allen Krankheiten, wenn man schlecht behandelt wird, mein lieber Herr Billot; lassen Sie mich aber Ihre Tochter nach meiner Weise behandeln, und sie wird nicht sterben.«

»Wahrhaftig, Doctor?«

»Ich stehe für sie; doch in den nächsten paar Tagen können nur ich und die Personen, die ich bezeichnen werde, in ihr Zimmer eintreten.«

Billot stieß einen Seufzer aus, man hielt ihn für besiegt; doch er wagte einen letzten Versuch und sagte mit dem Tone, mit dem ein Kind um eine Gnade gebeten hätte:

 

»Kann ich sie wenigstens sehen?«

»Und wenn Sie sie sehen, wenn Sie sie umarmen, werden Sie mich wenigstens drei Tage ruhig lassen und nichts mehr verlangen?«

»Ich schwöre es Ihnen, Doctor.«

»Nun, so kommen Sie.«

»Er öffnete die Thüre des Zimmers von Catherine, und der Vater Billot konnte seine Tochter mit einer in Eiswasser befeuchteten Binde um die Stirne, mit irrem Auge und das Gesicht glühend vom Fieber sehen.

Sie sprach unzusammenhängende Worte, und als Billot seine bleichen, zitternden Lippen aus ihre feuchte Stirne drückte, schien es ihm, als vernähme er den Namen Isidor.

Auf der Thürschwelle der Küche gruppirten sich die Mutter Billot mit gefalteten Händen, Pitou, der sich aus die Spitze seiner langen Füße erhob, um über die Schulter der Pächterin zu schauen, und ein paar Tagelöhner, welche gerade da waren und mit ihren eigenen Augen sehen wollten, wie es ihrer jungen Gebieterin ginge.

Seinem Versprechen getreu zog sich der Vater Billot zurück, als er sein Kind geküßt hatte, nur zog er sich mit gefalteter Stirne und düsterem Blicke zurück und murmelte:

»Ach! ich sehe, es war Zeit, daß ich zurückkam.«

Und er ging wieder in die Küche, wohin ihm seine ’Frau maschinenmäßig folgte, und wohin auch Pitou folgen wollte, als ihn der Doctor unten an seinem Wammse zog und zu ihm sagte:

»Verlasse den Pachthof nicht, ich habe mit Dir zu sprechen.«

Pitou wandte sich erstaunt um, und war im Begriffe, sich beim Doctor zu erkundigen, wozu er ihm dienlich sein könnte, doch dieser legte geheimnißvoll und Stillschweigen gebietend den Finger aus seinen Mund.

Pitou blieb also aus der Stelle, wo er war, auf eine mehr groteske, als poetische Art jene Götter des Alterthums versinnlichend, welche, die Füße im Steine festgehalten, den Leuten die Grenzen ihrer Felder bezeichneten.

Nach Verlauf von fünf Minuten öffnete sich die Thüre des Zimmers von Catherine wieder, und man hörte die Stimme des Doctors Pitou rufen.

»Was?« fragte dieser, aus der Tiefe des Traumes erwachend, in den er versunken schien, »was wollen Sie von mir, Herr Raynal?«

»Komm und hilf Frau Clement Catherine halten, während ich ihr zum dritten Male zur Ader lasse.«

»Zum dritten Male,« murmelte die Mutter Billot, »er will meinem Kinde zum dritten Male zur Ader lassen! Oh! mein Gott! mein Gott!«

»Weib, Weib,« sprach Billot mit ernstem Tone, »Alles dies wäre nicht geschehen, hättest Du besser über Deinem Kinde gewacht.«

Und er kehrte in sein Zimmer zurück, aus welchem er seit drei Monaten entfernt war, während Pitou, durch den Doctor Raynal zum Range eines Zöglings der Chirurgie erhoben, in das von Catherine eintrat.

LI
Pitou als Krankenwärter

Pitou war sehr erstaunt, daß er dem Doctor zu etwas nützen sollte; doch er wäre noch mehr erstaunt gewesen, hätte ihm dieser gesagt, er erwarte von ihm eher einen moralischen als einen physischen Beistand bei der Kranken.

Der Doctor hatte in der That bemerkt, daß Catherine in ihrem Delirium beinahe immer den Namen Pitou mit dem von Isidor verband.

Das waren, wie man sich erinnern wird, die zwei letzten Gestalten, welche im Geiste von Catherine hatten bleiben müssen, – Isidor, als sie die Augen geschlossen, Pitou, als sie dieselben wieder geöffnet.

Da jedoch die Kranke diese zwei Namen nicht mit demselben Tone aussprach und der Doctor Roynal, der nicht weniger Beobachter als sein berühmter Homonyme, der Verfasser der philosophischen Geschichte Indiens, sich sogleich sagte, von diesen zwei mit verschiedenem, aber dennoch bezeichnendem Tone ausgesprochenen Namen Isidor von Charny und Ange Pitou müsse der Name Ange Pitou der des Freundes und der Name Isidor von Charny der des Geliebten sein, so sah er nicht nur keinen Nachtheil, sondern sogar einen Vortheil darin, daß er zu der Kranken einen Freund einführte, mit, dem sie von ihrem Geliebten sprechen konnte.

Denn für den Doctor Raynal, – ohne daß wir seinem Scharfsinne etwas benehmen wollen, – war dies eine leichte Sache; für ihn war es klar, und er brauchte nur, wie bei den Fällen, wo die Aerzte legale Medicin treiben, die Thatsachen zu gruppiren, damit die volle Wahrheit vor seinen Augen erschien.

Jedermann wußte in Villers-Coterets, daß in bei Nacht vom 5. auf den 6. October Georges von Charny in Versailles getödtet worden, und daß am Abend des andern Tages sein Bruder Isidor, vom Grafen von Charny berufen, nach Paris abgereist war.

Pitou hatte nun Catherine ohnmächtig auf dem Wege von Boursonne nach Paris gesunden. Er hatte sie bewußtlos nach dem Pachthose zurückgetragen; in Folge dieses Ereignisses war Catherine von der Hirnentzündung befallen worden. Diese Hirnentzündung hatte das Delirium herbeigeführt; in diesem Delirium strengte sie sich an, einen Flüchtling zurückzuhalten, und dieser Flüchtling hieß Isidor.

Man sieht also, daß es für den Doctor leicht sein mußte, das Geheimniß der Krankheit von Catherine zu errathen, das nichts Anderes als das Geheimniß ihres Herzens war.

Unter diesen Umständen hatte sich der Doctor folgendes Raisonnement gemacht:

Das erste Bedürfniß einer durch das Gehirn angegriffenen Kranken ist die Ruhe.

Was kann die Ruhe in das Herz von Catherine bringen? Daß sie erfährt, was aus ihrem Geliebten geworden ist.

Bei wem kann sie sich nach ihrem Geliebten erkundigen? Bei dem, der etwas von ihm wissen kann.

Und wer ist derjenige, welcher etwas von ihm wissen kann? Pitou, der von Paris kommt.

Das Raisonnement war zugleich einfach und logisch; der Doctor hatte es auch ohne alle Anstrengung gemacht.

Indessen verwendete er Pitou zuerst beim Dienste eines Wundarztgehilfen; nur hätte er seiner bei diesem Dienste vollkommen entbehren können, insofern kein Aderlaß vorzunehmen, sondern einfach der alte wieder zu öffnen war.

Der Doctor zog sachte den Arm von Catherine aus dem Bette, nahm das Bäuschchen weg, das aus die Narbe gepreßt war, trennte mit seinen beiden Daumen das schlecht verbundene Fleisch, und das Blut sprang hervor.

Als er dieses Blut sah, für das er mit Freuden das seinige gegeben hätte, fühlte Pitou, daß ihm seine Kräfte entschwanden.

Er setzte sich in den Lehnstuhl von Frau Clement, drückte die Hände auf seine Augen, schluchzte und zog bei jedem Schluchzen aus der Tiefe seines Herzens die Worte:

»Oh! Mademoiselle Catherine, arme Mademoiselle Catherine!«

Und bei jedem dieser Worte sagte er sich in seinem Innern durch jene doppelte Arbeit des Geistes, welche aus die Gegenwart und die Vergangenheit operirt:

»Oh! sie liebt sicherlich ihren Isidor mehr, als ich sie liebe! Sicherlich leidet sie mehr, als ich je gelitten habe, da man genöthigt ist, ihr zur Ader zu lassen, weil sie die Hirnentzündung und das Delirium hat, zwei Dinge, welche sehr unangenehm zu haben sind, und die ich nie gehabt habe!«

Und während er Catherine zwei neue Näpfchen Blut abzapfte, wünschte sich der Doctor Raynal, der Pitou nicht aus dem Auge verlor, Glück, daß er so gut errathen, die Kranke habe in ihm einen ergebenen Freund.

Diese kleine Blutentziehung beruhigte, wie es der Doctor gedacht, das Fieber: die Pulsadern der Schläfe schlugen sanfter; die Brust löste sich; der Athem, zuvor pfeifend, wurde gelinde und gleichmäßig; der Puls fiel von hundert und zehn Schlägen aus fünf und achtzig, und Alles deutete für Catherine eine ruhige Nacht an.

Der Doctor Raynal athmete nun auch; er gab Frau Clement die nöthigen Vorschriften und empfahl ihr unter Anderem sonderbarer Weise, ein paar Stunden zu schlafen, während Pitou an ihrer Stelle wachen würde: dann winkte er Pitou, ihm zu folgen, und kehrte in die Küche zurück.

Pitou folgte dem Doctor, der die Mutter Billot im Schatten des Kaminmantels begraben fand.

Die arme Frau war so betrübt, daß sie kaum zu begreifen vermochte, was ihr der Doctor sagte.

Es waren doch gute Worte für das Herz einer Mutter.

»Auf! auf! Muth, Mutter Billot,« sprach der Doctor: »es geht so gut, als es gehen kann.«

Die arme Frau schien aus der andern Welt zu kommen.

»Oh! lieber Herr Raynal, ist das wirklich wahr, was Sie da sagen?«

»Ja, die Nacht wird nicht schlecht sein. Werden Sie indessen nicht ängstlich, wenn Sie einige Schreie in dem Zimmer Ihrer Tochter hören, und treten Sie besonders nicht in dasselbe ein.«

»Mein Gott! mein Gott!« versetzte die Mutter Billot mit einem Ausdrucke tiefen Schmerzes, »es ist sehr traurig, daß eine Mutter nicht in das Zimmer ihrer Tochter eintreten darf,«

»Was wollen Sie! das ist meine strenge Vorschrift: weder Sie, noch Herr Billot.«

»Wer wird aber mein armes Kind pflegen?«

»Seien Sie unbesorgt: Sie haben hierfür Frau Clemant und Pitou.«

»Wie! Pitou?«

»Ja, Pitou. Ich erkannte so eben in ihm bewunderungswürdige Anlagen für die Medicin. Ich nehme ihn mit nach Villers-Coterets, wo ich beim Apotheker einen Trank bereiten lassen will. Pitou bringt dann den Trank zurück; Frau Clement wird der Kranken einen Löffel um den andern eingeben, und ereignete sich ein Unfall, so würde Pitou, der mit Frau Clement wacht, seine langen Beine an den Hals nehmen, und in zehn Minuten wäre er bei mir, nicht wahr, Pitou?«

»In fünf, Herr Raynal,« erwiederte Pitou mit einem Selbstvertrauen, das im Geiste seiner Zuhörer keinen Zweifel lassen konnte.

»Sie sehen, Frau Billot,« sprach der Doctor Raynal.

»Gut, es sei,« versetzte die Mutter Billot, »das wird so gehen; nur sagen Sie dem armen Vater ein Wort von Ihrer Hoffnung.«

»Wo ist er?« fragte der Doctor.

»Hier in der Stube nebenan.«

»Unnöthig,« sprach eine Stimme von der Thürschwelle aus, »ich habe Alles gehört.«

Und die drei Redenden, die sich bei dieser unerwarteten Antwort schauernd umwandten, sahen in der That den Pächter mit bleichem Gesichte in der dunkeln Umrahmung stehen.

Dann kehrte Billot, als wäre dies Alles gewesen, was er zu hören und zu sagen hatte, in seine Stube zurück, ohne irgend eine Bemerkung über die vom Doctor Raynal für die Nacht getroffenen Anordnungen zu machen.

Pilon hielt Wort; nach einer Viertelstunde war er mit dem mit seiner Etiquette versehenen und durch das Siegel von Herrn Pacquenaud, Doctor-Apotheker vom Vater auf den Sohn in Villers-Coterets, versicherten beruhigenden Tranke zurück.

Der Bote durchschritt die Küche und trat in das Zimmer von Catherine ein, nicht nur ohne irgend eine Schwierigkeit, sondern sogar ohne eine andere Anrede von irgend Jemand, als die Worte, welche Frau Billot an ihn richtete:

»Ah! Du bist es, Pitou?«

Und ohne daß er etwas Anderes erwiederte, als:

»Ja, Frau.«

Catherine schlief, wie es der Doctor Raynal vorhergesehen, ziemlich ruhig. In ihrer Nähe, in einem großen Lehnstuhle ausgestreckt und die Füße auf die Feuerböcke gestützt, befand sich die Krankenwärterin in jenem Zustande von Schläfrigkeit, der dieser ehrenwerthen Classe der Gesellschaft eigenthümlich, welche, da sie weder das Recht hat, völlig zu schlafen, noch die Kraft, wach zu bleiben, jenen Seelen gleicht, denen es verboten ist, in die elysäischen Felder hinabzusteigen, während sie doch nicht bis zum Tage aufsteigen können, weshalb sie ewig an den Grenzen des Wachens und des Schlafens umherirren. Sie empfing in diesem somnambulen Zustande, der bei ihr zur Gewohnheit geworden, das Fläschchen aus den Händen von Pitou, entpfropfte es, stellte es auf den Nachttisch und legte unmittelbar daneben den silbernen Löffel, damit die Kranke so wenig als möglich zur Stunde des Bedürfnisses, zu warten habe. Dann streckte sie sich wieder in ihrem Lehnstuhle aus.

Pitou aber setzte sich aus den Rand des Fensters, um Catherine nach seinem Belieben anzuschauen.

Das Gefühl des Mitleids, das ihn beim Gedanken an Catherine ergriffen, hatte sich natürlich, als er sie gesehen, nicht vermindert. Nun, da es ihm gestattet war, so zu sagen, das Uebel mit dem Finger zu berühren und zu beurtheilen, welche furchtbare Verwüstung das abstracte Ding, das man die Liebe nennt, anrichten konnte, war er mehr als je geneigt, seine Liebe zu opfern, welche ihm von so leichtem Gehalte im Vergleiche mit der anspruchsvollen, fieberhaften, erschrecklichen Liebe dünkte, die sich des Mädchens bemächtigt zu haben schien.

Diese Gedanken versetzten ihn allmälig in die Stimmung des Geistes, in der er nothwendig sein mußte, um den Plan des Doctor Raynal zu begünstigen.

Der wackere Mann hatte in der That gedacht, das Heilmittel, dessen Catherine hauptsächlich bedürfe, sei dasjenige, welches man einen Vertrauten nennt. Er war vielleicht kein großer Arzt, doch, wie wir gesagt haben, sicherlich ein großer Beobachter, dieser Doctor Raynal.

 

Ungefähr eine Stunde nach der Rückkehr von Pitou bewegte sich Catherine, stieß einen Seufzer aus und öffnete die Augen.

Wir müssen Frau Clement die Gerechtigkeit widerfahren lassen, bei der ersten Bewegung, welche die Kranke gemacht hatte, stand sie bei ihr und stammelte:

»Hier bin ich, Modemoiselle Catherina! Was wünschen Sie?«

»Ich habe Durst,« murmelte die Kranke, zum Leben durch einen physischen Schmerz und zum Gefühle durch ein materielles Bedürfnis zurückkehrend.

Frau Clement goß in den Löffel ein paar Tropfen von dem schmerzstillenden Mittel, das Pitou gebracht hatte, und schob den Löffel zwischen die trockenen Lippen und die aneinander gedrückten Zähne von Catherine, welche maschinenmäßig den besänftigenden Trank schluckte.

Dann fiel Catherine aufs Neue mit dem Kopfe auf ihr Kissen zurück, und Frau Clement streckte sich, befriedigt durch die Ueberzeugung, eine Pflicht erfüllt zu haben, abermals in ihrem Lehnstuhle aus.

Pitou seufzte; er glaubte, Catherine habe ihn nicht einmal gesehen, als Frau Clement Catherine ausheben geholfen; während sie die paar Tropfen Arznei trank und wieder auf ihr Kissen zurücksank, hatte aber Catherine die Augen ein wenig geöffnet und mit dem sterbenden Blicke, der zwischen ihren Augenlidern durchglitt, Pitou zu erschauen geglaubt.

Doch während des Deliriums, das sie seit drei Tagen in seinen Klauen hielt, hatte sie so viele Gespenster gesehen, welche immer nur erschienen und wieder verschwunden waren, daß sie den wirklichen Pitou als einen phantastischen Pitou behandelte.

Der Seufzer, den Pitou von sich gegeben, war also nicht ganz übertrieben.

Die Erscheinung dieses alten Freundes, gegen den Catherine zuweilen so ungerecht gewesen, hatte indessen aus die Kranke einen Eindruck gemacht, der tiefer als die vorhergehenden, und obgleich sie die Augen geschlossen hielt, schien es ihr doch, mit einem übrigens ruhigern und weniger fieberhaften Geiste, als sähe sie vor sich den wackern Reisenden, den ihr der so oft abgerissene Faden ihrer Ideen als bei ihrem Vater in Paris befindlich darstellte.

Eine Folge hiervon war, daß sie, diesmal gequält von der Idee, Pitou sei eine Wirklichkeit und keine Ausgeburt ihres Fiebers, schüchtern die Augen öffnete und suchte, ob derjenige, welchen sie gesehen, immer noch an demselben Platze sei.

Es versteht sich, daß er sich nicht gerührt hatte.

Als er die Augen von Catherine sich wieder öffnen und aus ihm verweilen sah, erleuchtete sich das Gesicht von Pitou; als er ihre Augen wieder zum Leben und zum Verstande zurückkehren sah, streckte Pitou die Arme aus.

»Pitou!« murmelte die Kranke.

»Mademoiselle Catherine!« rief Pitou.

»Was gibt es?« fragte Frau Clement, indem sie sich umwandte.

Catherine warf einen besorgten Blick auf die Krankenwärterin und ließ mit einem Seufzer ihren Kopf wieder aus das Kissen fallen.

Pitou errieth, daß die Gegenwart von Frau Clement Catherine beengte.

Er ging auf sie zu und sagte leise zu ihr:

»Frau Clement, berauben Sie sich nicht des Schlafes, Sie wissen wohl, daß mich Herr Raynal hat hier bleiben heißen, damit ich bei Mademoiselle Catherine wache, und damit Sie während dieser Zeit einen Augenblick ruhen könnten.«

»Ah! das ist wahr,« erwiederte Frau Clement.

Und als hätte sie nur diese Erlaubnis erwartet, sank in der That die gute Frau in ihrem Lehnstuhle zusammen, stieß ebenfalls einen Seufzer aus und bezeichnete nach einem Augenblicke der Stille durch ein Anfangs schüchternes Schnarchen, das aber, immer kühner werdend, am Ende ganz und gar die Lage beherrschte, daß sie mit vollen Segeln in das Zauberland des Schlafes einlief, welches sie gewöhnlich nur im Traume durchwanderte.

Catherine war der Bewegung von Pitou mit einem gewissen Erstaunen gefolgt, und mit dem den Kranken eigenthümlichen scharfen Gehöre hatte sie nicht ein Wort von dem, was Pitou zu Frau Clement gesagt, verloren.

Pitou blieb einen Augenblick bei der Krankenwärterin, als wollte er sich versichern, daß ihr Schlaf ein ächter sei; dann, als er keinen Zweifel mehr in dieser Hinsicht hatte, näherte er sich Catherine, indem er den Kopf schüttelte und die Arme fallen ließ.

»Ah! Mademoiselle Catherine,« sagte er, »ich wußte wohl, daß Sie ihn lieben, doch ich wußte nicht, daß Sie ihn so sehr lieben.«