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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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Das Dictiren dieses Testaments hatte indessen mehr als zwei Stunden weggenommen; das Volk wartete vom Morgen an und wurde sehr ungeduldig: es fanden sich da viele wackere Leute, welche, weil sie nach der Hinrichtung zu frühstücken gedachten, mit leerem Magen gekommen und noch nüchtern waren.

Dem zu Folge erhob sich jenes drohende und entsetzliche Gemurre, das man schon aus demselben Platze am Tage der Ermordung von de Launay, des Aushängens von Foulon und Berthiern gehört hat.

Ueberdies glaubte das Volk allmälig, man habe Favras durch irgend eine Hinterthüre entweichen lassen.

In dieser Vermuthung machten schon Einige den Vorschlag, die Municipale an der Stelle von Favras zu henken und das Stadthaus niederzureißen.

Zum Glück erschien gegen neun Uhr Abends der Verurtheilte wieder. Man hatte Fackeln unter die Soldaten ausgetheilt, welche das Spalier bildeten; man hatte alle Fenster des Platzes erleuchtet; der Galgen allein war in eine geheimnißvolle, schreckliche Finsternis gehüllt geblieben.

Die Erscheinung des Verurtheilten wurde durch einen einstimmigen Schrei und durch eine große Bewegung unter den fünfzigtausend Personen, die den Platz füllten, begrüßt.

Diesmal war man ganz sicher, nicht nur, daß er nicht entkommen sei, sondern auch, daß er nicht entkommen werde.

Favras schaute umher, dann murmelte er, mit sich selbst sprechend, mit dem ihm eigenthümlichen ironischen Lächeln:

»Nicht eine Carrosse; ah! der Adel ist vergeßlich! er ist artiger gegen den Grafen von Horn gewesen, als gegen mich.«

»Weil der Graf von Horn ein Mörder war, und Du, Du bist ein Märtyrer,« erwiederte eine Stimme, Favras wandte sich um und erkannte den Starken der Halle, den er schon zweimal auf seinem Wege getroffen hatte.

»Gott befohlen, mein Herr,« sagte Favras zu ihm; »ich hoffe, Sie werden im Nothfalle Zeugniß für mich ablegen.«

Und mit festen Schritten stieg er die Stufen hinab und ging zum Galgen.

In dem Augenblick, wo er den Fuß aus die erste Sprosse der Leiter setzte, rief eine Stimme:

»Springe, Marquis!«

Die ernste, sonore Stimme des Verurtheilten erwiederte:

»Bürger, ich sterbe unschuldig; betet zu Gott für mich!«

Auf der vierten Stufe hielt er abermals an und wiederholte mit eben so festem und lautem Tone, wie das erste Mal:

»Bürger, ich bitte Euch um den Beistand Eures Gebets  . . .ich sterbe unschuldig!«

Auf der achten Stufe, das heißt aus der, von welcher er vorgestürzt werden sollte, sagte er zum dritten Male:

»Bürger, ich sterbe unschuldig  . . .betet zu Gott für mich!«

»Aber wollen Sie denn nicht gerettet sein?’ fragte ihn einer der Gehilfen des Henkers, der neben ihm die Leiter hinausstieg.

»Ich danke, mein Freund,« erwiederte Favras; »Gott belohne Sie für Ihre gute Absicht.«

Dann erhob er das Haupt gegen den Henker, welcher Befehle zu erwarten schien, statt zu geben, und sagte:

»Thun Sie Ihre Pflicht.«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als der Henker ihn anstieß und sein Körper im leeren Raume baumelte.

Während eine ungeheure Bewegung bei diesem Anblick auf der Grève entstand, während einige Liebhaber in die Hände klatschten und Da capo riefen, wie sie es nach einem Liede im Vaudeville oder nach einer großen Arie in der Oper gethan hätten, glitt der schwarz gekleidete junge Mann von dem Weichsteine herab, auf den er gestiegen war, durchschnitt die Menge, sprang an der Ecke des Pont Neuf in einen Wagen ohne Livree und ohne Wappen und rief dem Kutscher zu:

»Nach dem Luxembourg, rasch! rasch!«

Der Wagen fuhr im Galopp weg.

Drei Männer erwarteten in der That mit großer Ungeduld die Ankunft dieses Wagens.

Diese drei Männer waren der Herr Graf von Provence und zwei von seinen Cavalieren, die wir schon im Verlaufe unserer Geschichte genannt haben.

Sie warteten mit um so größerer Ungeduld, als sie sich um zwei Uhr zu Tische setzen sollten, was sie aber in ihrer Unruhe nicht gethan hatten.

Der Koch war in Verzweiflung, er fing bereits das dritte Diner an, und dieses dritte Diner, welches in zehn Minuten gerade recht wäre, würde in einer Viertelstunde verdorben sein.

Man hatte also den äußersten Augenblick erreicht, als man das Rollen eines Wagens im Innern der Höfe hörte.

Der Graf von Provence stürzte nach dem Fenster, doch er konnte nur einen Schatten sehen, der von der letzten Stufe des Fußtrittes vom Wagen aus die erste Stufe der Treppe des Palastes sprang.

Er verließ daher das Fenster und lief nach der Thüre; doch ehe sie der in seinem Gange immer etwas unbeholfene zukünftige König von Frankreich erreicht hatte, öffnete sich diese Thüre, und ein schwarz gekleideter junger Mann trat ein.

»Monseigneur,« sagte er, »Alles ist vorbei; Herr von Favras ist gestorben, ohne ein Wort zu sprechen.«

»Dann können wir uns ruhig zu Tische setzen, mein lieber Louis.«

»Ja, Monseigneur  . . .das war, bei meiner Treue, ein würdiger Edelmann!«

»Ich bin ganz Ihrer Ansicht,« sagte Seine Königliche Hoheit, »wir werden auch beim Nachtisch ein Glas Constantia aus seine Gesundheit trinken. Zu Tische, meine Herren!«

In diesem Augenblick wurden die beiden Flügel der Thüre geöffnet, und die hohen Gäste begaben sich aus dem Salon in den Speisesaal.

XLIX
Die Monarchie ist gerettet

Einige Tage nach der von uns erzählten Hinrichtung ritt ein Mann auf einem Apfelschimmel langsam die Allee von Saint-Cloud hinauf. Diesen langsamen Gang durste man weder der Müdigkeit des Reiters, noch der Ermattung des Pferdes zuschreiben: der eine und das andere hatten nur einen unbedeutenden Marsch gemacht; das war leicht zu sehen, denn der Schaum, der aus dem Maule des Thieres hervorkam, rührte davon her, daß es, nicht übermäßig angetrieben, sondern mit Hartnäckigkeit zurückgehalten worden war. Was den Reiter betrifft, der, wie man mit dem ersten Blicke bemerken konnte, ein Edelmann war, so zeugte sein ganzer von Flecken freier Anzug von der Vorsicht, die er beobachtet hatte, um seine Kleider vor dem Kothe, der den Weg bedeckte, zu bewahren.

Es hielt den Reiter vor Allem der tiefe Gedanke zurück, in welchen er sichtbar versunken war, dann vielleicht aber auch die Nothwendigkeit, erst zu einer gewissen Stunde, welche noch nicht geschlagen hatte, anzukommen.

Es mochte ein Mann von vierzig Jahren sein, dessen mächtiger Häßlichkeit es nicht an einem großartigen Charakter gebrach: ein zu dicker Kopf, aufgedunsene Backen, ein von den Pocken bearbeitetes Gesicht, ein Teint leicht zur Belebung, Augen rasch, um Blitze zu schleudern, ein Mund gewohnt, Sarkasmen zu kauen und, auszuspucken: so war das Aeußere dieses Manne«, von welchem man im ersten Augenblicke fühlte, er sei bestimmt, einen großen Platz einzunehmen und einen großen Lärmen zu machen.

Nur schien diese ganze Physiognomie bedeckt von einem Schleier, welchen auf sie eine von jenen organischen Krankheiten geworfen, gegen die sich vergebens die kräftigsten Temperamente zerarbeiten: eine dunkle graue, Gesichtshaut, matte rothe Augen, ein Anfang von Schwere und ungesunder Feistigkeit, – so erschien der Mann, den wir dem Leser vor die Augen gestellt haben.

Auf der Höhe der Allee angelangt, ritt er ohne Zögern durch das Thor, das in den Hof des Palastes ging, und durchforschte mit den Blicken die Tiefen dieses Hofes. Rechts zwischen zwei Gebäuden, welche eine Art von Sackgasse bildeten, wartete ein anderer Mann. Er winkte dem Reiter herbeizukommen.

Ein Thor stand offen; der Mann, welcher wartete, ging, unter diesem Thore durch, der Reiter folgte ihm und befand sich bald mit Jenem in einem zweiten Hofe.

Hier blieb der Mann stehen; er trug einen schwarzen Rock, eine schwarze Hose und eine schwarze Weste; nachdem er umhergeschaut und gesehen hatte, daß der Hof ganz verlassen war, näherte er sich mit dem Hute in der Hand dem Reiter.

Der Reiter kam ihm gewisser Maßen entgegen, denn er neigte sich auf den Kopf seines Pferdes und fragte leise:

»Herr Weber?«

»Der Herr Graf von Mirabeau?« antwortete dieser.

»Er selbst,« sagte der Reiter.

Und leichter, als man hätte denken sollen, stieg er ab.

»Treten Sie ein,« sprach Weber lebhaft, »und wollen Sie einen Augenblick warten, bis ich selbst das Pferd in den Stall gebracht habe.«

Zu gleicher Zeit öffnete er die Thüre eines Salon, von dem die Fenster und eine zweite Thüre nach dem Parke gingen.

Mirabeau trat in den Salon ein und wandte die paar Minuten, die ihn Weber allein ließ, dazu an, daß er eine Art von ledernen Stiefeln abschnallte, wodurch unversehrte seidene Strümpfe und Schuhe von einem tadellosen Firniß zum Vorschein kamen.

Weber kehrte, wie er versprochen hatte, nach fünf Minuten zurück.

»Kommen Sie, Herr Graf,« sagte er, »die Königin erwartet Sie.«

»Die Königin erwartet mich!« erwiederte Mirabeau. »Sollte ich das Unglück gehabt haben, auf mich warten zu lassen? Ich glaubte doch pünktlich gewesen zu sein.«

»Ich wollte nur sagen, die Königin sei ungeduldig, Sie zu sehen  . . .Kommen Sie, Herr Graf.«

Weber öffnete die in den Garten gehende Thüre und vertiefte sich in das Labyrinth von Alleen, das nach dem einsamsten und höchsten Orte des Parkes führte.

Hier, mitten unter Bäumen, die ihre trostlosen, des Blätterwerks beraubten Aeste ausstreckten, erschien in einer gräulichen, traurigen Atmosphäre eine Art von Pavillon, bekannt unter dem Namen: der Kiosk.

Die Vorhänge dieses Pavillon waren hermetisch geschlossen, mit Ausnahme von zweien, welche, nur an einander geschoben, wie durch die Schießscharten eines Thurmes zwei kaum zur Erleuchtung des Innern genügende Lichtstrahlen einließen.

Ein großes Feuer war im Herde angezündet und zwei Candelaber brannten auf dem Kamin.

Weber ließ denjenigen, welchem er als Führer diente, in eine Art von Vorzimmer eintreten. Dann öffnete er die Thüre des Kiosks, nachdem er sachte daran gekratzt hatte, und meldete:

 

»Der Herr Graf Riquetti von Mirabeau.«

Und er trat auf die Seite, um den Grafen an sich vorübergehen zu lassen.

Hätte er in dem Augenblick, wo der Graf vorüberging, gehorcht, so würde er sicherlich das Herz in dieser weiten Brust haben schlagen hören.

Als man die Anwesenheit des Grafen meldete, stand eine Frau in der entferntesten Ecke des Kiosks auf und machte mit einer Art von Zögern, von Angst sogar, ein paar Schritte ihm entgegen.

Diese Frau war die Königin.

Ihr Herz schlug auch gewaltig: sie hatte vor den Augen diesen gehaßten, verrufenen, verhängnißvollen Mann, diesen Mann, welchen man bezichtigte, er habe den 5. und den 6. Oktober gemacht, diesen Mann, dem man sich einen Augenblick zugewandt hatte, der aber von den Leuten des Hofes selbst zurückgestoßen worden war und seitdem die Nothwendigkeit, abermals mit ihm zu unterhandeln, durch zwei Donnerschläge, durch zwei herrliche Zornausbrüche, welche bis zum Erhabenen emporgestiegen waren, fühlbar gemacht hat.

Der erste war seine Anrede an die Geistlichkeit, der zweite die Rede, in der er erklärte, wie sich die Repräsentanten des Volks von Amtsabgeordneten zur Nationalversammlung gemacht hatten.

Mirabeau näherte sich mit einer Anmuth und einer Höflichkeit, welche mit dem ersten Blicke an ihm zu erkennen die Königin erstaunt war, und die auch diese kräftige Organisation auszuschließen schien.

Nachdem er ein paar Schritte gemacht hatte, verbeugte er sich ehrfurchtsvoll und wartete.

Die Königin brach zuerst das Stillschweigen und sagte mit einer Stimme, in der sie die Aufregung nicht mäßigen konnte:

»Herr von Mirabeau, Herr Gilbert hat uns einst die Versicherung gegeben, Sie seien geneigt, sich mit uns zu verbinden.«

Mirabeau verbeugte sich, um seine Beistimmung zu bezeichnen.

Die Königin fuhr fort:

»Es ist Ihnen sodann eine Eröffnung gemacht worden, die Sie durch den Entwurf eines Ministeriums erwiederten.«

Mirabeau verbeugte sich zum zweiten Male.

»Es ist nicht unsere Schuld, Herr Graf, wenn dieser erste Entwurf nicht durchdringen konnte,«

»Ich glaube es, Madame, und zwar besonders von Seiten Eurer Majestät,« erwiederte Mirabeau; »doch es ist die Schuld der Leute, die sich den Interessen der Monarchie ergeben nennen.«

»Was wollen Sie, Herr Graf, das ist ein Unglück unserer Lage. Die Könige können ebenso wenig ihre Freunde wählen als ihre Feinde; die Könige sind oft genöthigt, Unheil bringende Ergebenheiten anzunehmen. Wir sind umringt von Menschen, die uns retten wollen und uns zu Grunde richten; ihre Motion, welche aus der nächsten Legislatur die Mitglieder der gegenwärtigen Nationalversammlung entfernt, ist ein Beispiel gegen sie. Soll ich Ihnen eines gegen mich anführen? Würden Sie wohl glauben, daß einer meiner Getreusten, ein Mann, der, ich bin es fest überzeugt, sich für uns tödten ließe, zu unserem öffentlichen Mittagsmahle die Witwe und die Kinder von Herrn von Favras, alle drei schwarz gekleidet, geführt hat? Meine erste Bewegung, als ich sie erblickte, war, daß ich aufstand, auf sie zuging und den Kindern des Mannes, der so muthig für uns gestorben ist, – denn ich, Herr Graf, gehöre nicht zu denjenigen, welche ihre Freunde verleugnen, – Plätze zwischen dem König und mir geben ließ. Aller Augen waren aus uns geheftet. Man wartete, was wir thun würden. Ich wandte mich um  . . . Wissen Sie, wen ich hinter mir vier Schritte von meinem Stuhle hatte? Santerre! den Mann der Vorstädte!  . . .Ich sank auf meinen Stuhl zurück, weinte vor Wuth und mochte nicht einmal diese Witwe und diese Waisen anschauen. Die Royalisten werden mich tadeln, daß ich nicht Allem getrotzt habe, um dieser unglücklichen Familie ein Zeichen meiner Theilnahme zu geben; die Revolutionäre werden wüthend sein bei dem Gedanken, sie seien mir mit meiner Erlaubniß vorgestellt worden. Oh! mein Herr,« fuhr die Königin den Kopf schüttelnd fort, »man muß wohl untergehen, wird man angegriffen von Männern von Genie und vertheidigt von Leuten, welche allerdings sehr schätzbar sind, aber keinen Begriff von unserer Lage haben.«

Und die Königin drückte mit einem Seufzer ihr Taschentuch an die Augen.

»Madame,« sagte Mirabeau, gerührt von diesem großen Unglück, das sich nicht vor ihm verbarg und ihm, sei es durch die geschickte Berechnung der Königin, sei es durch die Schwäche der Frau, ihre Bangigkeiten zeigte und ihn ihre Thränen sehen ließ, »wenn Sie von Menschen sprechen, die Sie angreifen, so meinen Sie doch hoffentlich nicht mich? Ich bin ein Anhänger der monarchischen Grundsätze gewesen, als ich im Hofe nur seine Schwäche sah und weder die Seele, noch den Geist der erhabenen Tochter von Maria Theresia kannte. Ich habe für die Rechte des Thrones gekämpft, als ich mir Mißtrauen einflößte und alle meine Schritte, durch die Bosheit vergiftet, ebenso viele Fallen zu sein schienen. Ich habe dem König gedient, während ich genau wußte, ich dürfe von diesem gerechten, aber getäuschten König weder eine Wohlthat, noch eine Belohnung erwarten. Was werde ich nun thun, Madame, da das Vertrauen meinen Muth erhebt und die Dankbarkeit, die mir der Empfang Eurer Majestät einflößt, aus meinen Grundsätzen eine Pflicht macht? Es ist spät, ich weiß es wohl, Madame, sehr spät,« fuhr Mirabeau, ebenfalls den Kopf schüttelnd, fort; »die Monarchie, indem sie mir den Antrag macht, sie zu retten, schlägt mir vielleicht in Wirklichkeit nur vor, mich mit ihr zu Grunde zu richten. Hätte ich nachgedacht, so würde ich vielleicht um die Gnade dieser Audienz anzunehmen, einen andern Augenblick gewählt haben, als den, wo Seine Majestät gerade der Kammer das bekannte rothe Buch, das heißt die Ehre seiner Freunde überliefert hat.«

»Oh! mein Herr,« rief die Königin, »halten Sie den König für mitschuldig an diesem Verrathe, und wissen Sie nicht, wie sich die Dinge zugetragen haben? Vom König gefordert, ist das rothe Buch nur unter der Bedingung abgegeben worden, daß der Ausschuß es geheim halte; der Ausschuß hat es drucken lassen: das ist ein Wortbruch des Ausschusses gegen den König und nicht ein Verrath des Königs gegen seine Freunde.«

»Ach! Madame, Sie wissen, welche Ursache den Ausschuß zu dieser Veröffentlichung bestimmt hat. die ich als Mann von Ehre mißbillige, die ich als Abgeordneter verleugne. In demselben Augenblick, wo der König der Constitution Liebe schwor, hatte er einen beständigen Agenten in Turin mitten unter den Todfeinden dieser Constitution. Zur Stunde, wo er von pecuniären Reformen sprach und diejenigen, welche ihm die Nationalversammlung vorschlug, anzunehmen schien, bestand in Trier von ihm besoldet, von ihm gekleidet sein großer und sein kleiner Leibstall unter den Befehlen des Prinzen von Lambesc, dem Todfeinde der Pariser, welchen im Bildnisse aufzuhängen das Volk alle Tage verlangt. Man bezahlt dem Grafen d’Artois, dem Prinzen von Condé, allen Emigrirten ungeheure Pensionen, und zwar ohne Rücksicht auf ein vor zwei Monaten erlassenes Decret, das diese Pensionen aufhebt. Allerdings hat der König vergessen, das Decret zu sanctioniren. Was wollen Sie, Madame, man hat die letzten zwei Monate hindurch die Verwendung von sechzig Millionen gesucht und sie nicht gefunden. Gebeten, angefleht, zu sagen, wohin das Geld gekommen, hat sich der König geweigert, es anzugeben; der Ausschuß glaubte sich seines Versprechens entbunden und ließ das rothe Buch drucken. Warum liefert der König Waffen aus, die man so grausam gegen ihn wenden kann?«

»Also, mein Herr,« rief die Königin, »wenn Sie zur Ehre, dem König zu rathen, zugelassen wären, würden Sie ihm nicht die Schwächen rathen, mit denen man ihn ins Verderben führt, mit denen man  . . .oh! ja, sagen wir das Wort  . . .mit denen man ihn entehrt?«

»Würde ich zu der Ehre berufen, dem König zu rathen, Madame,« erwiederte Mirabeau, »so wäre ich bei ihm der Vertheidiger der durch die Gesetze geregelten monarchischen Gewalt und der Apostel der durch die monarchische Gewalt garantirten Freiheit. Die Freiheit, Madame, hat drei Feinde: die Geistlichkeit, den Adel und die Parlamente; die Geistlichkeit ist nicht mehr von diesem Jahrhundert, sie ist durch die Motion von Herrn von Talleyrand getödtet worden; der Adel ist von allen Jahrhunderten: ich glaube also, daß man mit ihm rechnen muß, denn ohne Adel keine Monarchie; aber man muß ihn im Zaume halten, und dies ist nur möglich, wenn man eine Coalition des Volkes mit dem königlichen Ansehen bildet. Die königliche Gewalt wird sich aber nie aufrichtig mit dem Volke verbinden, so lange die Parlamente gestehen, denn sie bewahren für den König und den Adel die unselige Hoffnung, ihnen die alte Ordnung der Dinge wiederzugeben. Nach der Vernichtung der Geistlichkeit die executive Gewalt wiederbeleben, die königliche Autorität wiederherstellen und sie mit der Freiheit aussöhnen, das ist meine ganze Politik, Madame; ist es die des Königs, so nehme er sie an, ist es nicht die seinige, so weise er sie zurück.«

»Mein Herr,« sprach die Königin, betroffen von der Klarheit, welche zugleich über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft die Ausstrahlung dieses weitumfassenden Verstandes verbreitete, »ich weiß nicht, ob diese Politik die des Königs wäre, doch was ich weiß, ist, daß es, wenn ich einige Macht besäße, die meinige wäre. Lassen Sie mich also Ihre Mittel, zu diesem Ziele zu gelangen, kennen, Herr Graf; ich höre Sie, ich sage nicht mit Aufmerksamkeit, mit Interesse, ich sage mit Dankbarkeit.«

Mirabeau warf einen raschen Blick auf die Königin, einen Adlerblick, der den Abgrund ihres Herzens sondirte, und er sah, daß sie, wenn nicht überzeugt, doch wenigstens fortgerissen war.

Dieser Sieg über eine so erhabene Frau wie Marie Antoinette, schmeichelte aus die süßeste Art der Eitelkeit von Mirabeau.

»Madame,« sprach er, »wir haben Paris verloren oder beinahe verloren, doch es bleiben uns noch in der Provinz große zerstreute Mengen, aus denen wir fest verbundene Massen machen können: darum ist es meine Ansicht, Madame, der König soll Paris verlassen, nicht Frankreich; er soll sich nach Rouen unter sein Heer zurückziehen. Von dort aus soll er Verordnungen ergehen lassen, welche volksthümlicher als die Decrete der Nationalversammlung; dann kein Bürgerkrieg, da sich der König revolutionärer macht als die Revolution.«

»Aber diese Revolution, mag sie uns vorangehen oder uns folgen, erschreckt sie Sie nicht?« fragte die Königin.

»Ach! Madame, ich glaube besser als irgend Jemand zu wissen, daß man ihr einen Theil zuscheiden, einen Kuchen zuwerfen muß; ich habe es der Königin schon gesagt: die Monarchie auf den alten Grundlagen, welche die Revolution zerstört hat, wiederherstellen zu wollen, ist ein menschliche Kräfte übersteigendes Unternehmen. Zu dieser Revolution hat Jedermann in Frankreich beigetragen, vom König an bis zum letzten seiner Unterthanen, sei es durch die Absicht, sei es durch die That, sei es durch Unterlassung. Es ist also nicht die alte Monarchie, die ich zu vertheidigen im Sinne habe, sondern ich gedenke sie zu modificiren, neu zu gestalten, kurz eine Regierungsform zu gründen, die mehr oder minder der ähnlich, welche England auf den höchsten Gipfel seiner Macht und seines Ruhmes gestellt hat. Nachdem er, wenigstens wie mir Herr Gilbert gesagt, das Gefängniß und das Schaffot von Karl I. im Halbdunkel erschaut, würde sich also der König nicht mit dem Throne von Wilhelm III. oder Georg I, begnügen?«

»Oh! Herr Graf,« rief die Königin, die ein Wort von Mirabeau durch einen tödtlichen Schauer an die Vision im Schlosse Taverney und an die Zeichnung des von Herrn Guillotin erfundenen Tödtungsinstrumentes erinnert hatte, »oh! Herr Graf, geben Sie uns diese Monarchie, und Sie werden sehen, ob wir Undankbare sind, wie man uns beschuldigt.«

»Nun,« rief Mirabeau, »das ist es, was ich thun werde, Madame. Der König unterstütze, die Königin ermuthige mich, und ich lege hier zu Ihren Füßen meinen Schwur als Edelmann nieder, daß ich das Versprechen, welches ich Eurer Majestät leiste, halten oder sterben werde!«

»Graf, Graf!« sagte Marie Antoinette, »vergessen Sie nicht, daß es mehr als eine Frau ist, die Ihren Schwur gehört hat: es ist eine Dynastie von fünf Jahrhunderten! Es sind sieben Könige von Frankreich, welche von Pharamond bis Ludwig XV. In ihrem Grabe ruhen und mit uns entthront sein werden, wenn unser Thron fällt!«

»Ich kenne die Verbindlichkeit, die ich übernehme. Madame; ich weiß, sie ist ungeheuer, doch sie ist nicht größer als mein Wille, nicht stärker als meine Ergebenheit. Bin ich sicher der Sympathie meiner Königin und des Vertrauens meines Königs, so werde ich das Werk unternehmen.«

»Wenn Sie nur dies brauchen, Herr von Mirabeau, so verpfände ich Ihnen Beides,« sprach Marie Antoinette.

 

Und sie grüßte Mirabeau mit jenem Lächeln einer Sirene, das ihr alle Herzen gewann.

Mirabeau begriff, daß die Audienz beendigt war.

Der Stolz des Mannes der Politik war befriedigt, doch der Eitelkeit des Edelmannes fehlte noch etwas.

»Madame,« sagte er mit einer achtungsvollen und zugleich kühnen Höflichkeit, »wenn Ihre erhabene Mutter, die Kaiserin Maria Theresia, zur Ehre ihrer Gegenwart einen ihrer Unterthanen zuließ, so verabschiedete sie ihn nie, ohne ihm ihre Hand zum Kusse zu reichen.«

Und er blieb flehen und wartete.

Die Königin schaute diesen gefesselten Löwen an, der nichts Anderes verlangte, als sich zu ihren Füßen niederzulegen. Mit dem Lächeln des Triumphes auf den Lippen, streckte sie dann langsam ihre schöne, wie der Alabaster kalte, beinahe wie dieser durchsichtige Hand aus.

Mirabeau verbeugte sich, berührte mit seinen Lippen diese Hand, erhob wieder das Haupt voll Stolz und sprach:

»Madame, durch diesen Kuß ist die Monarchie gerettet.«

Und er entfernte sich ganz bewegt, ganz freudig, selbst glaubend, der arme Mann von Genie! an die Erfüllung der Prophezeiung, die er gemacht.