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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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»Ich würde das begreifen, mein Herr,« sprach der Baron, »wenn Ihr Tod den Einfluß für das Königthum haben könnte, den der von Christos für die Welt hatte; aber die Sünden der Könige sind so beschaffen, Marquis, daß ich sehr befürchte, nicht nur das Blut eines einfachen Edelmanns, sondern sogar das eines Königs genüge nicht, um sie zu sühnen.«



»Es wird geschehen, was Gott gefällt, Herr Baron. Doch in dieser Zeit der Unentschlossenheit und des Zweifels, wo so viele Leute ihre Pflicht verletzen, werde ich mit dem Troste, die meinige gethan zu haben, sterben.«



»Ei! nein, mein Herr!« rief der Baron mit einer Geberde der Ungeduld: »Sie werden nur mit dem Bedauern sterben, ohne allen Nutzen gestorben zu sein.«



»Wenn der entwaffnete Soldat nicht fliehen will, wenn er dem Tode trotzt, wenn er ihn empfängt, weiß er vollkommen, daß dieser Tod unnütz ist; nur hat er sich gesagt, die Flucht wäre schmählich, und er wolle lieber sterben!«



»Mein Herr,« erwiederte der Baron, »ich halte mich nicht für geschlagen.«



Er zog seine Uhr: sie bezeichnete die dritte Stunde des Morgens.



»Wir haben noch eine Stunde,« fuhr er fort. »Ich will mich an diesen Tisch setzen und eine halbe Stunde lesen; mittlerweile überlegen Sie. In einer halben Stunde werden Sie mir eine entscheidende Antwort geben.«



Und er nahm einen Stuhl, setzte sich, dem Gefangenen den Rücken zuwendend, an einen Tisch, öffnete ein Buch und las.



»Gute Nacht, mein Herr,« sprach Favras.



Und er drehte sich gegen die Wand um, ohne Zweifel, um mit weniger Zerstreuung nachzudenken.



Ungeduldiger als der Gesangene, zog der Leser zwei- oder dreimal seine Uhr aus der Tasche.



Dann, als die halbe Stunde abgelaufen war, stand er auf und näherte sich dem Bette.



Doch er mochte immerhin warten, Favras wandte sich nicht wieder um.



Da neigte sich der Baron über ihn, und an seinem regelmäßigen, ruhigen Athmen erkannte er, daß der Gefangene schlief.



»Ah!« sagte er, mit sich selbst sprechend, »ich bin geschlagen; doch das Urtheil ist noch nicht gefällt: vielleicht zweifelt er noch  . . .«



Und da er den Unglücklichen, den in ein paar Tagen ein so langer und so tiefer Schlaf erwartete, nicht aufwecken wollte, so nahm er die Feder und schrieb auf ein weißes Blatt Papier:



»Wenn das Urtheil gefällt ist, wenn Herr von Favras zum Tode verdammt ist, wenn er weder auf seine Richter, noch aus Monsieur, noch auf den König mehr eine Hoffnung bat, wenn er seine Ansicht ändert, braucht er nur den Gefangenwärter Louis zu rufen und ihm zu sagen:

Ich bin entschlossen, zu fliehen!

 und man wird Mittel finden, seine Flucht zu begünstigen.



»Wenn Herr von Favras sich auf dem unseligen Karren befindet, wenn Herr von Favras vor Notre-Dame Buße thut, wenn Herr von Favras mit nackten Füßen und gebundenen Händen den kurzen Raum durchschreitet, welcher die Stufen des Stadthauses von dem aus der Grève errichteten Galgen trennt, hat er nur mit lauter Stimme die Worte:

Ich will gerettet sein!

 auszusprechen, und er wird gerettet werden.



»Cagliostro.«

Wonach der Besucher die Lampe nahm, sich zum zweiten Male dem Gefangenen näherte, um sich zu versichern, ob er aufgewacht sei, und, als er sah, daß er immer noch schlief, nicht ohne sich mehrere Male umzuwenden, die Thüre erreichte, vor der mit der unempfindlichen Resignation jener Adepten, welche zu allen Opfern bereit sind, um zu Vollbringung des großen Werkes zu gelangen, das sie unternommen haben, unbeweglich der Schließer Louis stand.



»Nun, Meister,« fragte dieser, »was soll ich thun?«



»Im Gefängnisse bleiben und bei Allem, was Dir Herr von Favras befehlen wird, gehorchen.«



Der Schließer verbeugte sich, nahm die Lampe aus den Händen von Cagliostro und ging ehrfurchtsvoll vor ihm her, wie ein Bedienter, der seinem Herrn leuchtet.




XLVII

Die Vorhersagung von Cagliostro geht in Erfüllung

An demselben Tage, um ein Uhr Nachmittags, stieg der Gerichtsschreiber des Chatelet mit vier Bewaffneten in das Gefängniß von Herrn von Favras hinab und kündigte ihm an, daß er vor seinen Richtern zu erscheinen habe.



Herr von Favras war von diesem Umstande in der Nacht von Cagliostro und gegen neun Uhr Morgens vom Untergouverneur des Chatelet in Kenntniß gesetzt worden.



Der allgemeine Bericht des Prozesses hatte um halb zehn Uhr Morgens begonnen und dauerte um drei Uhr Nachmittags noch fort.



Seit neun Uhr Morgens war der Saal überfüllt mit Neugierigen, die sich hier angehäuft hatten, um denjenigen zu sehen, dessen Urtheil gefällt werden sollte.



Wir sagen denjenigen, dessen Urtheil gefällt werden sollte, weil Niemand an der Verurtheilung des Gefangenen zweifelte.



Es gibt bei den politischen Verschwörungen Unglückliche, welche zum Voraus geopfert sind; man fühlt es, daß es eines Sühnopfers bedarf, und daß sie das Verhängniß hierfür bestimmt hat.



Vierzig Richter saßen im Kreise oben im Saale, der Präsident unter einem Himmel, ein Gemälde, die Kreuzigung Christi vorstellend, hinter ihm und vor ihm, am andern Ende des Saales, das Portrait des Königs.



Ein Spalier von Nationalgrenadieren war im Umkreise des Gerichtssaales innen und außen ausgestellt; vier Mann bewachten die Thüre.



Nach drei Uhr gaben die Richter den Befehl, den Angeklagten vorzuführen.



Eine Abtheilung von zwölf Grenadieren, die das Gewehr bei Fuß, auf diesen Befehl mitten im Saale wartete, setzte sich in Marsch.



Bon da an wandten sich alle Köpfe, selbst die der Richter nach der Thüre, durch welche Herr von Favras eintreten sollte.



Nach Verlauf von ungefähr zehn Minuten sah man vier Grenadiere wiedererscheinen.



Hinter ihnen ging der Marquis von Favras.



Die acht anderen Grenadiere folgten ihm.



Der Gefangene trat unter jenem furchtbaren Stillschweigen ein, das zweitausend in demselben Saale angehäufte Personen zu machen wissen, wenn endlich der Mensch oder die Sache erscheint, welche der Gegenstand der allgemeinen Erwartung ist.



Sein Gesicht war vollkommen ruhig; seine Toilette war mit der größten Sorgfalt gemacht; er trug einen gestickten Rock von hellgrauer Seide, eine weiße Atlaßweste, eine dem Rocke ähnliche Hose, seidene Strümpfe, Schnallenschuhe und das Kreuz des heiligen Ludwigs-Ordens an seinem Knopfloch.



Er war besonders mit einer seltenen Zierlichkeit frisirt, weiß gepudert,

und nicht ein Haar stand über dem andern hervor

, sagen in ihrer Geschichte der Revolution die »zwei Freunde der Freiheit.«



Während der kurzen Zeit, welche Herr von Favras brauchte, um den Zwischenraum zwischen der Thüre und der Bank der Angeklagten zurückzulegen, war jeder Athem gehemmt. Einige Secunden vergingen zwischen der Erscheinung des Angeklagten und den ersten Worten, welche der Präsident an ihn richtete.



Endlich machte dieser mit der Hand, was unnöthig war, die bei den Richtern gewöhnliche Geberde, um Stillschweigen zu empfehlen, und fragte mit bewegter Stimme:



»Wer sind Sie?«



»Ich bin Angeklagter und Gefangener,« antwortete Favras mit der größten Ruhe.



»Wie heißen Sie?«



»Thomas Mahi, Marquis von Favras.«



»Woher sind Sie?«



»Von Blois.«



»Was ist Ihr Stand?«



»Oberster im Dienste des Königs.«



»Wo wohnen Sie.?«



»Place Royale, Nro. 21.«



»Wie alt sind Sie?«



»Sechsundvierzig Jahre.«



»Setzen Sie sich!«



Der Marquis gehorchte.



Nun erst schien der Athen, bei den Anwesenden wiederzukehren; er ging in die Lust wie ein furchtbarer Hauch, wie ein Hauch der Rache. Der Angeklagte täuschte sich hierin nicht; er schaute umher. Aller Augen glänzten vom Feuer des Hasses, alle Fäuste drohten; man fühlte, daß es ein Opfer brauchte, dieses Volk, dessen Händen man so eben Augeard und Besenval entrissen hatte, und welches alle Tage mit großem Geschrei forderte, daß man wenigstens im Bildnisse den Prinzen von Lambesc aufhänge.



Mitten unter allen diesen erzürnten Gesichtern, unser, allen diesen stammenden Blicken erkannte der Angeklagte das ruhige Gesicht und das theilnehmende Auge seines nächtlichen Besuches.



Er grüßte ihn mit einer unmerklichen Geberde und setzte dann seine Rundschau fort.



»Angeklagter.« sprach der Präsident, »halten Sie sich bereit, zu antworten.«



Favras verbeugte sich und erwiederte;



»Ich bin zu Ihren Befehlen, Herr Präsident.«



Da begann ein zweites Verhör, welches der Angeklagte mit derselben Ruhe, wie das erste, ausstand.



Dann kam die Vernehmung der Belastungszeugen.



Favras, der sich weigerte, sein Leben durch die Flucht zu retten, wollte es durch die Discussion vertheidigen; er hatte vierzehn Entlastungszeugen vorladen lassen.



Nachdem die Belastungszeugen vernommen waren, erwartete er, die seinigen zu sehen, als plötzlich der Präsident die Worte sprach:



»Meine Herren, die Debatten sind geschlossen.«



»Verzeihen Sie, mein Herr,« entgegnete Favras mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit, »Sie vergessen Eines, was allerdings von geringer Wichtigkeit ist: Sie vergessen die auf mein Gesuch vorgeladenen vierzehn Zeugen ihre Aussagen machen zu lassen.«



»Der Gerichtshof hat beschlossen, sie sollen nicht gehört werden,« erwiederte der Präsident.



Etwas wie eine Wolke zog über die Stirne des Angeklagten; dann sprang ein Blitz aus seinen Augen hervor, und er sprach: »Ich glaubte durch das Chatelet von Paris gerichtet zu werden, doch ich täuschte mich: ich werde, wie es scheint, von der spanischen Inquisition gerichtet.«



»Man führe den Angeklagten ab!« sagte der Präsident.



Favras wurde in sein Gefängniß zurückgeführt. Seine Ruhe, seine Höflichkeit, sein Muth halten einen gewissen Eindruck aus diejenigen Zuschauer gemacht, welche ohne Vorurtheile gekommen waren.

 



Doch es ist nicht zu leugnen, das war die kleinere Zahl. Der Rückzug von Favras wurde von Schreien, Drohungen und mit Zischen begleitet.



»Keine Gnade! keine Gnade!« riefen fünfhundert Stimmen aus seinem Wege.



Dieses Geschrei verfolgte ihn bis jenseits der Thüren seines Gefängnisses.



Dann murmelte er, wie mit sich selbst sprechend:



»So ist es, wenn man mit den Prinzen conspirirt!«



Sobald der Angeklagte abgegangen war, begannen die Richter die Berathung.



Zu seiner gewöhnlichen Stunde legte sich Favras zu Bette.



Gegen ein Uhr Morgens trat man in sein Gefängniß ein und weckte ihn auf.



Es war der Schließer Louis.



Er hatte den Vorwand genommen, dem Gefangenen eine Flasche Bordeauxwein zu bringen, welche von Favras nicht verlangt worden war.



»Herr Marquis,« sagte er, »in diesem Augenblick fällen die Richter Ihr Urtheil.«



»Mein Freund,« erwiederte Favras, »wenn Du mich deshalb aufgeweckt hast, so hättest Du mich können schlafen lassen.«



»Nein, Herr Marquis, ich habe Sie aufgeweckt, um Sie zu fragen, ob Sie der Person, welche Sie in der vergangenen Nacht besucht hat, nichts wollen sagen lassen.«



»Nichts.«



»Bedenken Sie wohl, Herr Marquis: wenn das Urtheil gesprochen ist, werden Sie scharf bewacht; und so mächtig auch diese Person, so wird doch ihr Wille dann vielleicht durch die Unmöglichkeit gefesselt.«



»Ich danke, mein Freund,« entgegnete Favras, »Ich habe weder jetzt, noch später etwas zu verlangen.«



»So bedaure ich, Sie aufgeweckt zu haben,« sagte der Schließer; »doch Sie wären in einer Stunde geweckt worden . .,«



»So daß es Deiner Ansicht nach nicht der Mühe werth ist, daß ich wieder einschlafe, nicht wahr?« versetzte Favras lächelnd.«



»Urtheilen Sie selbst,« sagte der Schließer.



Man hörte in der Thai ein gewaltiges Geräusch in den oberen Stockwerken; Thüren wurden geöffnet und wieder zugeschlagen, Flintenkolben stießen aus den Boden.



»Ah! ah!« sagte Favras, »um meinetwillen findet all dieser Lärmen statt.«



»Man kommt, um Ihnen Ihr Urtheil vorzulesen, Herr Marquis!«



»Teufel! seien Sie dafür besorgt, daß mir der Herr Referent Zeit läßt, meine Hose anzuziehen.«



Der Schließer ging in der That hinaus und machte die Thüre hinter sich zu.



Während dieser Zeit zog Herr von Favras seine seidenen Strümpfe, seine Schnallenschuhe und seine Hose an.



Er war so weit mit seiner Toilette, als man die Thüre wieder öffnete.



Der Marquis hielt es nicht für geeignet, sie weiter fortzusetzen, und wartete. Er war wahrhaft schön mit seinem zurückgeworfenen Kopfe, seinen halb aufgelösten Haaren und seinem aus der Brust geöffneten Spitzenjabot.



In dem Augenblick, wo der Referent eintrat, schlug er seinen Hemdkragen auf seine Schultern zurück und sprach zum Referenten:



»Sie sehen, mein Herr, ich erwartete Sie, und zwar in der Haltung des Kampfes.«



Und er strich mit der Hand über seinen entblößten, für das aristokratische Schwert oder die gemeine Schlinge bereiten Hals.



»Sprechen Sie, mein Herr, ich höre Sie,« fügte er hinzu.



Der Referent las, oder stammelte vielmehr das Urtheil.



Der Marquis war zum Tode verurtheilt; er sollte Buße thun vor Notre-Dame und dann aus der Grève gehenkt werden.



Favras hörte diese ganze Lesung mit der größten Ruhe an und faltete nicht einmal die Stirne bei dem für einen Edelmann so harten Worte

gehenkt

.



Nur, nachdem er einen Augenblick geschwiegen, schaute er dem Referenten in’s Gesicht und sagte:



»Oh! mein Herr, wie sehr beklage ich Sie, daß Sie genöthigt gewesen sind, einen Menschen auf solche Beweise zu verurtheilen.«



Der Referent vermied die Antwort und sprach:



»Mein Herr, Sie wissen, daß Ihnen keine andere Tröstungen mehr bleiben, als die der Religion.«



»Sie täuschen sich, mein Herr,« entgegnete der Verurtheilte, »es bleiben mir noch die, welche ich aus meinem Gewissen schöpfe.«



Der Grève-Platz.



Hiernach grüßte Herr von Favras den Referenten, und dieser, da er nichts mehr bei ihm zu thun hatte, zog sich zurück.



An der Thüre wandte er sich aber noch einmal um und fragte den Verurtheilten:



»Wollen Sie, daß ich Ihnen einen Beichtiger schicke?«



»Einen Beichtiger von der Hand derjenigen, welche mich ermorden? Nein, mein Herr, er wäre mir verdächtig. Ich will Ihnen wohl mein Leben überlassen, doch mein Seelenheil bewahre ich mir  . . .Ich verlange den Pfarrer von Saint-Paul.«



Zwei Stunden nachher befand sich der ehrwürdige Geistliche, den er verlangt hatte, bei ihm.




XLVIII

Der Grève-Platz

Diese zwei Stunden waren wohl angewendet worden.



Hinter dem Referenten waren zwei Männer mit finsteren Gesichtern und in einer Galgentracht eingetreten.



Favras begriff, daß er es mit den Vorläufern des Todes, mit der Vorhut des Henkers zu thun hatte.



»Folgen Sie uns!« sagte einer von diesen zwei Menschen.



Favras verbeugte sich zum Zeichen der Einstimmung.



Dann deutete er mit der Hand auf den Rest seiner Kleider, der aus einem Stuhle lag, und fragte:



»Lassen Sie mir Zeit, mich anzukleiden?«



»Immerhin,« erwiederte einer von den Leuten.



Favras ging nun an den Tisch, aus welchem die verschiedenen Theile seines Necessaire ausgebreitet lagen, knöpfte mit Hilfe des kleinen Spiegels, der an die Wand angelehnt war, seinen Hemdkragen zu, ließ sein Jabot eine zierliche Falte annehmen und gab dem Knoten seiner Halsbinde die aristokratischste Form, die er ihm zu geben vermochte.



Dann zog er seine Weste und seinen Rock an.



»Soll ich meinen Hut nehmen, meine Herren?« fragte der Gefangene.



»Das ist unnöthig,« erwiederte derselbe Mensch, der schon gesprochen hatte.



Derjenige von Beiden, welcher geschwiegen, hatte Favras mit einer solchen Starrheit angeschaut, daß dadurch die Aufmerksamkeit des Marquis erregt worden war. Es schien ihm sogar, als hätte ihm dieser Mann ein unmerkliches Zeichen mit dem Auge gemacht.



Doch dieses Zeichen war so rasch gewesen, daß Herr von Favras im Zweifel blieb.



Was konnte ihm übrigens dieser Mensch zu sagen haben?



Er bekümmerte sich nicht weiter darum, machte dem Schließer Louis mit der Hand eine freundschaftliche Geberde und sagte:



»Es ist gut, meine Herren, gehen Sie, ich folge Ihnen.«



Vor der Thüre wartete ein Huissier. Er ging voran, dann kam Favras, dann folgten die zwei Leichenmenschen.



Der traurige Zug wandte sich nach dem Erdgeschosse.



Zwischen den zwei Kerkern wartete eine Abtheilung von der Nationalgarde.



Da sprach der Huissier, der sich nun unterstützt fühlte, zu dem Verurtheilten:



»Mein Herr, übergeben Sie mir Ihr Kreuz vom heiligen Ludwigsorden.«



»Ich glaubte zum Tode und nicht zur Degradirung verurtheilt zu sein,« versetzte Favras.



»Das ist der Befehl, mein Herr,« erwiederte der Huissier.



Favras machte sein Kreuz los, und da er es nicht dem Justizmann übergeben wollte, so legte er es in die Hände des Sergent-Major, welcher die Abtheilung von der Nationalgarde befehligte.



»Es ist gut,« sprach der Huissier, ohne weiter darauf zu bestehen, daß ihm das Kreuz persönlich übergeben werde; »folgen Sie mir.«



Man stieg wieder ungefähr zwanzig Stufen hinauf und hielt vor einer ganz mit Eisen beschlagenen eichenen Thüre an, vor einer von jenen Thüren, welche den Gefangenen, wenn sie sie anschauen, bis in den Grund der Adern kalt machen, vor einer von den Thüren, wie es zwei oder drei aus dem Wege zum Grabe gibt, hinter denen man, ohne zu wissen, was einen erwartet, etwas Entsetzliches erräth.



Die Thüre öffnete sich.



Man ließ Favras nicht einmal Zeit, einzutreten: man stieß ihn hinein.



Dann schloß sich die Thüre plötzlich wieder, wie unter dem Impulse eines eisernen Armes.



Favras befand sich in der Folterkammer.



»Ah! ah! meine Herren,« sagte er leicht erbleichend, »was Teufels, wenn man die Leute an solche Orte führt, so setzt man sie vorher davon in Kenntniß!«



Er hatte diese Worte noch nicht vollendet, als die zwei Menschen, welche ihm folgten, über ihn herfielen, ihm seinen Rock und seine Weste abrissen, seine so künstlich umgelegte Halsbinde aufknüpften und ihm die Hände hinter den Rücken banden.



Nur flüsterte ihm der Folterknecht, von dem er geglaubt, er habe ihm ein Zeichen gemacht, während er seinen Dienst aus halbe Rechnung mit seinem Kameraden versah, ganz leise ins Ohr:



»Wollen Sie gerettet seyn? Es ist noch Zelt!«



Dieses Anerbieten brachte das Lächeln aus die Lippen von Favras zurück, indem es ihn an die Größe seiner Sendung erinnerte. Er schüttelte sanft und verneinend den Kopf.



Eine Folterbank stand bereit. Man legte den Verurtheilten auf diese Bank.



Der Folterknecht näherte sich ihm mit eichenen Keilen in seiner Schürze und einem eisernen Schlägel in der Hand.



Favras bot selbst diesem Menschen sein zartes Bein, bekleidet mit seinem Schuhe mit rothem Absatz und seinem seidenen Strumpfe.



Da winkte der Huissier mit der Hand und sprach:



»Es ist genug; der Gerichtshof erläßt dem Verurtheilten die Folter.«



»Ah!« sagte Favras, »es scheint, der Gerichtshof befürchtet, ich könnte sprechen; nichtsdestoweniger danke ich ihm: ich werde zum Galgen auf zwei gesunden Beinen gehen, was etwas werth ist; und nun, meine Herren, wissen Sie, daß ich zu Ihrer Verfügung bin.«



»Sie müssen eine Stunde in diesem Saale zubringen,« erwiederte der Huissier.



»Das ist nicht ergötzlich, aber interessant,« sagte Favras.



Und er fing an im Saale umherzugehen und eines nach dem andern alle diese abscheulichen, colossalen eisernen Spinnen, riesigen Scorpionen ähnliche, Instrumente zu untersuchen. Man fühlte, daß in einem gegebenen Augenblicke und aus den Befehl einer verhängnißvollen Stimme Alles dies sich belebte und grausam biß.



Es waren Werkzeuge von allen Formen und allen Zeiten da, von Philipp August bis aus Ludwig XVI.; es waren Haken da, mit denen man die Juden im dreizehnten Jahrhundert zerrissen, es waren Räder da, mit denen man die Protestanten im siebenzehnten zermalmt hatte.



Favras blieb vor jeder Trophäe stehen, fragte nach dem Namen von jedem Instrumente.



Diese Kaltblütigkeit setzte am Ende selbst die Folterknechte, Leute, die sich bekanntlich nicht leicht über etwas wundern, in Erstaunen.



»In welcher Absicht machen Sie alle diese Fragen?« sagte einer von ihnen zu Favras, Dieser schaute ihn mit der den Edelleuten eigenthümlichen spöttischen Miene an und erwiederte:



»Mein Herr, es ist möglich, daß ich aus dem Wege, den ich zurückzulegen habe, Satan treffe, und es wäre mir nicht unangenehm, ihn mir dadurch zum Freunde zu machen, daß ich ihm, um seine Verdammten zu martern, Maschinen angäbe, die er nicht kennt.«



Der Gefangene hatte gerade seine Runde vollendet, als die Glocke des Chatelet fünf Uhr schlug.



Er hatte zwei Stunden vorher seinen Kerker verlassen. Man führte ihn dahin zurück, und er fand den Pfarrer von Saint-Paul, der aus ihn wartete.



Man hat gesehen, daß er die zwei Stunden des Wartens nicht verloren, und daß, wenn etwas aus eine geeignete Art ihn zum Tode vorbereiten konnte, dies das Schauspiel war, das er vor Augen gehabt.



Als ihn der Pfarrer erblickte, öffnete er ihm die Arme.



»Mein Vater,« sprach Favras, »entschuldigen Sie mich, wenn ich Ihnen nichts als mein Herz öffnen kann; diese Herren haben dafür gesorgt, daß ich Ihnen nur dieses öffne.«



Und er zeigte seine hinter seinen Rücken gebundenen Hände.



»Könnt Ihr nicht für die Zeit, die er mit mir sein wird, die Arme des Verurtheilten losbinden?« fragte der Priester.



Das steht nicht in unserer Macht,« antwortete der Huissier.



»Mein Vater,« sagte Favras, »fragen Sie diese Leute, ob sie mir nicht meine Hände vorne binden könnten, statt sie hinter meinen Rücken zu binden; es wäre gerade wie für den Augenblick, wo ich eine Kerze halten oder meinen Urtheilsspruch lesen werde.«



Die zwei Gehilfen schauten den Huissier an; dieser machte mit dem Kopfe ein Zeichen, welches besagen wollte, er finde nichts hiergegen einzuwenden, und die verlangte Gunst wurde dem Marquis bewilligt.



Dann ließ man ihn allein mit dem Priester.



Was geschah, während der Weltmann zum letzten Male mit dem Mann Gottes unter vier Augen zusammen war, weiß Niemand. Entsiegelte vor der Heiligkeit der Religion Favras sein Herz, das vor der Majestät der Gerechtigkeit verschlossen geblieben war? Befeuchteten die Tröstungen, welche ihm diese andere Welt bot, in die er eingehen sollte, seine durch den Hohn vertrockneten Augen mit einer von jenen Thränen, die sein Herz angehäuft und aus die geliebten Gegenstände, die er allein in dieser Welt, aus welcher er schied, lassen sollte, zu ergießen das Bedürfniß haben mußte? Das konnten diejenigen nicht offenbaren, die gegen drei Uhr Nachmittags in seinen Kerker eintraten und ihn mit lächelndem Munde, trockenen Augenlidern und festem Herzen fanden.

 



Man kam, um ihm anzukündigen, es sei für ihn Zeit, zu sterben.



»Meine Herren,« sprach er, »ich bitte um Verzeihung,

Sie

 haben mich warten lassen.«



Dann, da er schon seinen Rock und seine Weste anhatte, und da seine Hände gebunden waren, nahm man ihm seine Schuhe und seine Strümpfe ab und zog ein weißes Hemd über seine übrigen Kleidungsstücke.



Endlich hing man ihm aus die Brust eine Tafel, woraus die Worte standen:



Verschwörer gegen den Staat

Vor der Thüre erwartete ihn ein von einer zahlreichen Wache umgebener Karren.



In diesem Karren war eine angezündete Fackel. Als die Menge den Verurtheilten erblickte, klatschte sie in die Hände.



Seit sechs Uhr Morgens kannte man das Urtheil, und die Menge fand, es vergehe eine lange Zeit zwischen der Verurtheilung und der Hinrichtung.



Leute liefen in den Straßen umher und forderten von den Vorübergehenden

Trinkgelder

.



»Und aus welcher Veranlassung

Trinkgelder

?« fragten diese.



»Wegen der Hinrichtung von Herrn von Favras,« antworteten die Bettler des Todes.



Favras stieg mit festem Tritte in den Karren, er setzte sich auf die Seite, wo die Fackel befestigt war, denn er begriff, daß man diese Fackel seinetwegen hierher gestellt hatte.



Hernach stieg der Pfarrer von Saint-Paul ein und setzte sich auf seine Linke; dann kam der Scharfrichter, der sich hinter ihn setzte. Es war derselbe Mann mit dem traurigen, sanften Blicke, den wir im Hofe von Bicêtre dem Versuche der Maschine von Herrn Guillotin haben beiwohnen sehen.



Wir haben ihn gesehen, wir sehen ihn, es wird uns die Gelegenheit werden, ihn wiederzusehen. Das ist der wahre Held der Epoche, in die wir eintreten.



Ehe er sich setzte, schlang der Henker um den Hals von Favras den Strick, mit welchem dieser gehenkt werden sollte. Das Ende desselben behielt er in seiner Hand.



In dem Augenblick, wo sich der Karren in Marsch setzte, trat eine Bewegung in der Menge ein.



Favras richtete natürlich seinen Blick nach dem Orte, wo diese Bewegung stattfand.



Er sah Leute, die sich stießen und drängten, um in die erste Reihe zu kommen und bei seinem Vorüberfahren besser gestellt zu sein.



Plötzlich bebte er unwillkührlich, denn in der ersten Reihe, in der Mitte von fünf bis sechs von seinen Genossen, die sich eine Oeffnung durch die Menge gemacht hatten, erkannte er unter der Tracht eines Starken der Halle den nächtlichen Besuch, der ihm gesagt hatte, er wache bis zum letzten Augenblicke über ihm.



Der Verurtheilte machte ihm mit dem Kopfe ein Zeichen, jedoch ein Zeichen der Dankbarkeit, ohne irgend eine andere Bedeutung.



Der Karren fuhr weiter und hielt erst vor Notre-Dame an.



Die mittlere Thüre war offen und ließ im Hintergrunde der düstern Kirche den unter seinen angezündeten Kerzen glühenden Hochaltar sehen.



Der Zustrom von Neugierigen war so groß, daß der Karren alle Augenblicke stille halten mußte und nur wieder weiter fuhr, wenn es der Wache gelungen, auf’s Neue den Weg zu öffnen, den unablässig eine den schwachen Damm, welchen man ihr entgegengesetzt, durchbrechende Volkswoge wieder schloß.



Hier, aus dem Vorplatze der Kirche, brachte man es durch einen Kampf dahin, daß ein leerer Raum entstand.



»Sie müssen absteigen und Kirchenbuße thun,« sagte der Scharfrichter zum Verurtheilten.



Favras gehorchte, ohne zu antworten.



Der Priester stieg zuerst ab, dann der Verurtheilte, dann der Scharfrichter, welcher immer das Ende des Strickes in der Hand hielt.



Die Arme von Favras waren am Faustgelenke gebunden, was ihm den Gebrauch der Hände ließ. In seine rechte Hand steckte man die Fackel, in seine linke gab man ihm den Urtheilsspruch.



Der Verurtheilte schritt bis an die Kirche vor und kniete nieder.



In der ersten Reihe derjenigen, welche ihn umgaben, erkannte er abermals mit seinen Genossen denselben Starken der Halle, den er schon, als er aus dem Chatelet herauskam, gesehen hatte.



Diese Beharrlichkeit schien ihn zu rühren, doch nicht ein Wort kam, um ihn zu rufen, aus seinem Munde.



Ein Gerichtsschreiber des Chatelet erwartete ihn hier.



»Lesen Sie, mein Herr,« sagte er laut zu ihm.



Dann fügte er leise bei: »Herr Marquis, Sie wissen, daß Sie, wenn Sie gerettet sein wollen, nur ein Wort zu sagen haben.«



Ohne etwas zu erwiedern, begann der Verurtheilte seine Lesung. Er las mit lauter Stimme und nichts in ihrem Ausdrucke verrieth die geringste Gemüthserschütterung; als er bis zum Schlusse gelesen hatte, wandte er sich an die Menge, die ihn umgab, und sprach:



»Bereit, vor Gott zu erscheinen, vergebe ich den Menschen, die mich gegen ihr Gewissen verbrecherischer Pläne bezichtigt haben; ich liebte meinen König, ich werde diesem Gefühle getreu sterben, das ist ein Beispiel, das ich gebe, und das, wie ich hoffe, von einigen edlen Herzen befolgt werden wird. Das Volk verlangt meinen Tod mit gewaltigem Geschrei; es braucht ein Opfer, gut es ist mir lieber, daß die Wahl des Verhängnisses auf mich fällt, als wenn es aus einen Andern mit schwachem Herzen fiele, den die Gegenwart einer nicht verdienten Strafe in Verzweiflung bringen würde. Wenn ich also nichts Anderes hier zu thun habe, als das, was ich gethan habe, so lassen Sie uns weiter gehen, meine Herren.«



Man zog weiter.



Die Halle von Notre-Dame ist nicht fern von der Grève, und dennoch brauchte der Karren eine gute Stunde, um diesen Weg zurückzulegen.



Als er aus den Platz kam, fragte Favras:



»Meine Herren, kann ich nicht einen Augenblick in das Stadthaus hinausgehen?«



»Haben Sie Offenbarungen zu machen?« versetzte rasch der Priester.



»Nein, mein Vater, aber ich habe mein Testament zu dictiren; man hat mir gesagt, diese letzte Gnade, sein Testament zu machen, werde einem Verurtheilten nie verweigert.«



Der Karren wandte sich, statt gerade nach dem Galgen zu fahren, nach dem Stadthause.



Ein gewaltiges Geschrei erhob sich im Volke.



»Er will Offenbarungen machen!« rief man von allen Seiten.



Bei diesem Rufe hätte man können einen schönen jungen Mann erbleichen sehen, der ganz schwarz wie ein Abbé gekleidet war und auf einem Weichsteine an der Ecke des Quai Pelletier stand.



»Oh! seien Sie unbesorgt, Herr Graf Louis,« sprach Jemand in seiner Nähe mit spöttischer Stimme, »der Verurtheilte wird nicht ein Wort von dem sagen, was auf der Place Royale vorgegangen ist.«



Der schwarz gekleidete junge Mann wandte sich lebhaft um; die Worte, die man an ihn gerichtet, waren von einem Starken der Halle gesprochen worden, dessen Gesicht man nicht sehen konnte, weil der Redner, nachdem er den Satz vollendet, seinen weiten Hut auf seine Augen niedergedrückt hatte.



Blieb übrigens diesem schönen jungen Manne ein Zweifel, so war er bald zerstreut.



Als er oben aus der Freitreppe des Stadthauses war, bedeutete Favras durch ein Zeichen, er wollt sprechen.



Sogleich erlosch das Geräusch, als hätte es der Westwind, der in diesem Augenblick über den Platz strich, mit sich fortgetragen.



»Meine Herren,« sagte Favras, »ich höre, daß man um mich her wiederholt, ich gehe in das Stadthaus hinaus, um Offenbarungen zu machen; es ist dem nicht so, und sollte sich unter Ihnen, mag möglich ist, ein Mann befinden, der etwas zu befürchten hätte, wenn Offenbarungen gemacht würden, so mag er sich beruhigen: ich gehe hinauf, um mein Testament zu dictiren.«



Und er trat mit festem Schritte unter das düstere Gewölbe, stieg die Treppe hinauf, ging in die Stube hinein, in welche man gewöhnlich die Verurtheilten führte, und die man aus diesem Grunde die Offenbarungsstube nannte.



Hier warteten drei schwarz gekleidete Männer, und unter diesen drei Männern erkannte Herr von Favras den Gerichtsschreiber, welcher aus dem Vorplatze von Notre-Dame mit ihm gesprochen hatte.



Da fing der Verurtheilte, der, weil seine Hände gebunden waren, nicht schreiben konnte, an sein Testament zu dictiren.



Man hat viel vom Testamente von Ludwig XVI. gesprochen, weil man viel vom Testamente der Könige spricht. Wir haben das Testament von Herrn von Favras vor den Augen, und wir sagen dem Publ