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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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XXXIX
Wo bewiesen ist, daß es wirklich einen Gott für die Trunkenen gibt

An demselben Tage, gegen acht Uhr Abends, kam ein als Arbeiter gekleideter Mann, der vorsichtig die Hand auf die Tasche seines Wammses drückte, als enthielte an diesem Abend seine Tasche eine bedeutendere Summe, als die Tasche eines Arbeiters gewöhnlich enthält, kam ein Mann, sagen wir, aus den Tuilerien über den Pont Tournant, wandte sich links und folgte von einem Ende zum andern der großen Allee, welche aus der Seite der Seine diesen Theil der Champs-Elysées verlängert, den man früher den Port au Marbre oder Port aux Pierres nannte und heute den Cours-la-Reine nennt.

Am äußersten Ende dieser Allee befand er sich aus dem Quai de la Savonnerie.

Der Quai de la Savonnerie war zu jener Zeit sehr heiter am Tage und sehr erleuchtet am Abend durch eine Menge kleiner Schenken, wo am Sonntag die guten Bürger den flüssigen und festen Proviant kauften, den sie auf Schiffen, welche sie um zwei Sous für die Person mietheten, mit sich nahmen, um den Tag aus der Schwaneninsel zuzubringen; eine Insel, auf der sie, ohne diese Vorsicht, Hungers zu sterben Gefahr gelaufen wären, und zwar an gewöhnlichen Wochentagen, weil sie völlig verödet, und an Sonntagen, weil sie zu sehr bevölkert war.

Bei der ersten Schenke, die er an seinem Wege traf, schien der als Arbeiter gekleidete Mann einen heftigen Kampf mit sich selbst zu entspinnen, – einen Kampf, aus dem er siegreich hervorging: ob er nämlich in die Schenke eintreten oder nicht eintreten sollte.

Er trat nicht ein und ging weiter.

Bei der zweiten erneuerte sich dieselbe Versuchung, und diesmal konnte ein zweiter Mann, der ihm wie ein Schatten, ohne daß er es bemerkte, seit einiger Zeit folgte, glauben, er werde nachgeben, denn, von der geraden Linie abgehend, neigte er sich so sehr vor dieser Beikirche des Bacchus-Tempels, wie man damals sagte, daß er ihre Schwelle berührte.

Nichtsdestoweniger siegte auch diesmal die Mäßigkeit, und es ist wahrscheinlich, daß er, würde sich nicht eine dritte Schenke auf seinem Wege gesunden haben und er hätte zurückkehren müssen, um den Eid zu brechen, den er sich selbst geschworen zu haben schien, seine Wanderung fortgesetzt hätte, – nicht nüchtern, denn der Reisende halte wohl schon eine redliche Dosis von der Flüssigkeit, die des Menschen Herz erfreut, zu sich genommen, – aber in einem Zustande der Selbstbeherrschung, der seinem Kopfe erlaubte, seine Beine in einer hinreichend geraden Linie aus dem Wege zu führen, den er zu machen hatte.

Unglücklicher Weise gab es nicht nur eine dritte, sondern auch eine vierte, eine fünfte, eine zehnte, eine zwanzigste Schenke aus diesem Wege; eine Folge hiervon war, daß, da sich die Versuchungen zu oft wiederholten, die Widerstandskraft sich nicht im Einklange fand mit der Versuchungskraft und der dritten Probe unterlag.

Es ist nicht zu leugnen, daß durch eine Art von Transaction mit sich selbst der Arbeiter, der so glücklich den Dämon des Weines bekämpft hatte, als er in die Schenke eintrat, vor dem Schanktisch stehen blieb und nur einen Schoppen verlangte.

Der Dämon des Weins, gegen den er stritt, schien indessen siegreich durch den Unbekannten vertreten zu sein, der ihm in einiger Entfernung folgte, wobei er bemüht war, in der Dunkelheit zu bleiben, ohne jedoch den Ersten aus den Augen zu verlieren.

Ohne Zweifel, um diese Perspective zu genießen, die ihm angenehm zu sein schien, setzte er sich aus die Brustmauer gerade der Thüre der Schenke gegenüber, wo der Arbeiter seinen Schoppen trank, und begab er sich wieder auf den Weg, fünf Secunden, nachdem dieser sein Glas geleert hatte und über die Schwelle getreten war, um weiter zu gehen.

Doch wer kann sagen, wo die Lippen stille stehen werden, welche sich einmal am unseligen Becher der Trunkenheit befeuchtet und mit dem den Trunkenen eigenthümlichen, mit Befriedigung gemischten Erstaunen wahrgenommen haben, daß nichts so sehr Durst erregt, als das Trinken? Kaum hatte der Arbeiter hundert Schritte gemacht, da war sein Durst so mächtig, daß er abermals anhalten mußte, um ihn zu löschen; nur sah er diesmal ein, daß ein Schoppen zu wenig war, und verlangte eine halbe Flasche.

Der Schatten, der an ihn festgebunden zu sein schien, war wohl nicht unzufrieden mit dem wiederholten Verzuge, den das Bedürfniß, sich zu erfrischen, in die Vollendung seines Weges brachte. Er blieb an der Ecke der Schenke stehen, und obgleich der Trinker sich gesetzt hatte, um es sich bequemer zu machen, und eine Viertelstunde brauchte, um seine halbe Flasche Wein zu schlürfen, gab der Schatten doch kein Zeichen von Ungeduld von sich und folgte ihm nur wieder in dem Augenblick, wo er herauskam, mit demselben Schritte, den er bis zum Eingang gemacht hatte.

Nach hundert weiteren Schritten wurde diese Langmuth auf eine neue und gestellt; der Arbeiter machte einen dritten Halt, und diesmal, da sein Durst immer mehr zunahm, verlangte er eine ganze Flasche.

Das war abermals eine halbe Stunde des Wartens für den geduldigen Argus, der sich an seine Ferse angehängt hatte.

Diese nach und nach verlorenen fünf Minuten, fünfzehn Minuten, dreißig Minuten erregten ohne Zweifel Gewissensbisse im Herzen des Trinkers; denn da er, wie es schien, nicht mehr anhalten wollte, während er fortzutrinken wünschte, so ging er mit sich selbst eine Art von Vergleich ein, der darin bestand, daß er sich im Augenblick seines Abganges mit einer entpfropften Flasche Wein versah, aus der er seine Reisegefährtin zu machen beschloß.

Dies war ein weiser Entschluß, der denjenigen, welcher ihn gesehen, nur aushielt nach Maßgabe der immer mehr ausgedehnten krummen Linien und der immer öfter wiederholten Zickzacke, die das Resultat von jeder Annäherung waren, welche zwischen dem Halse der Flasche und den durstigen Lippen des Trinkers stattfand.

In einer dieser geschickt combinirten krummen Linien gelangte er durch die Barrière de Passy ohne irgend ein Hinderniß  . . .Die Flüssigkeiten sind bekanntlich beim Ausgange von jedem Octroi frei.

Der Unbekannte, der ihm folgte, ging hinter ihm und mit demselben Glücke wie er hinaus.

Hundert Schritte vor der Barrière mußte sich unser Mann Glück wünschen zu der sinnreichen Vorsichtsmaßregel, die er genommen, denn von da an wurden die Schenken immer seltener, bis sie am Ende völlig verschwanden.

Doch was war unserem Philosophen hieran gelegen? Wie der Weise des Alterthums, trug er nicht nur seine Habe, sondern auch seine Freude mit sich.

Wir sagen seine Freude, in Betracht, daß bei der Hälfte der Flasche unser Trinker zu singen anfing, und Niemand wird bestreiten daß der Gesang, mit dem Lachen, eines von den Mitteln ist, die dem Menschen gegeben sind, um seine Freude zu offenbaren.

Der Schatten des Trinkers schien sehr empfänglich für die Harmonie dieses Gesangs, den er leise wiederholte, und für den Ausdruck dieser Freude, deren Phrasen er mit einem ganz besonderen Interesse folgte. Leider aber war die Freude ephemer und der Gesang von kurzer Dauer. Die Freude währte nur gerade so lange, als der Wein in der Flasche, und sobald die Flasche leer und wiederholt vergebens zwischen den Händen des Trinkers gepreßt worden war, verwandelte sich der Gesang in ein Grunzen, das immer stärker wurde und am Ende in Verwünschungen ausartete.

Diese Verwünschungen waren an unbekannte Verfolger gerichtet, über welche sich stolpernd, unser armer Wanderer beklagte.

»Oh! der Unglückliche!« sagte er, »oh! der Unglückliche! einem, alten Freunde, einem Meister einen verfälschten Wein geben! . . . pfui! Er lasse mich wieder holen, um seine Schlösser zu verbessern; er schicke seinen schurkischen Gesellen, der mich verläßt, wieder zu mir, und ich werde kommen und ihm sagen: »»Gute Nacht, Sire, Deine Majestät verbessere ihre Schlösser selbst!«« Und wir werden sehen, ob man ein Schloß macht wie ein Decret!  . . . Ah! ich werde Dir Schlösser mit drei Bärten geben  . . .ah! ich werde Dir Schlösser mit Zuhaltung geben., . ich werde Dir geben gebohr  . . .gebohrte Schlüssel mit eingeschnittenem Kamm . . .Oh! Der Unglückliche! oh! die Unglückliche! sie haben mich offenbar vergiftet.«

Und während er diese Worte sprach, fiel er, ohne Zweifel besiegt durch die Macht des Giftes, der Länge nach zum dritten Male auf das Straßenpflaster, wo ihn alsbald eine dichte Kothlage umhüllte.

Die zwei ersten Male war unser Mann allein wieder aufgestanden. Die Operation war schwierig gewesen, doch er hatte sie zu seiner Ehre vollbracht; das dritte Mal war er nach verzweifelten Anstrengungen genöthigt, sich selbst zu gestehen, daß die Aufgabe seine Kräfte überstieg, und mit einem Seufzer, der einem Stöhnen glich, schien er sich zu entschließen, zur Lagerstätte für diese Nacht den Schooß unserer gemeinschaftlichen Mutter, der Erde, zu nehmen.

Bei diesem Punkte der Entmuthigung und der Schwäche erwartete ihn ohne Zweifel unser Unbekannter, der ihm von der Place Louis XV. an mit so viel Beharrlichkeit folgte, denn nachdem er, sich in der Entfernung haltend, ihn die fruchtlosen Anstrengungen, welche wir zu schildern versucht, hatte unternehmen lassen, näherte er sich ihm vorsichtig, ging im Kreise um seine zusammengesunkene Größe, rief einem Fiacre, der vorüberfuhr, und sagte zum Kutscher:

»Mein Freund, hier liegt mein Geselle, dem es unwohl geworden ist; nehmt diesen Sechs Livres-Thaler, schafft den armen Teufel in Euren Wagen und führt ihn nach der Schenke des Pont de Sèvres. Ich werde zu Euch hinaufsteigen.«

Man durste sich nicht wundern über den Vorschlag, seinen Sitz zu theilen, den derjenige von den zwei Gefährten, welcher stehen geblieben war, dem Kutscher machte, da er selbst ein Mensch von ziemlich geringem Stande zu sein schien. Mit dem rührenden Vertrauen, das die Menschen von solchen Verhältnissen zu einander haben, erwiederte auch der Kutscher:

 

»Sechs Franken  . . .und wo sind Deine sechs Franken?«

»Hier, mein Freund,« sagte, ohne daß er sich im Geringsten zu ärgern schien, indem er dem Kutscher den Thaler darreichte, der Mann, welcher diese Summe angeboten hatte.

»Und wenn wir dort sind, mein Bürger,« versetzte der durch das Bildniß des Königs besänftigte Automedon, »wird es nicht ein kleines Trinkgeld geben?«

»Je nachdem wir gefahren sind. Schaffe diesen armen Teufel in Deinen Wagen, schließe sorgfältig die Schläge, sei bemüht, bis dort Deine zwei Mähren auf ihren Beinen zu halten, und sind wir beim Pont de Sèvres, so werden wir sehen  . . .Hast Du uns gut gefahren, so sollst Du bedacht werden.«

»Schön,« sagte der Kutscher, »das heiße ich antworten. Seien Sie ruhig, Sie werden zufrieden sein. Steigen Sie auf den Bock und verhindern Sie die wälschen Hühner, Dummheiten zumachen; ah! zu dieser Stunde riechen sie den Stall und haben Eile, nach Hause zu kommen; das Uebrige ist meine Sache.«

Der freigebige Unbekannte folgte ohne irgend eine Bemerkung der Instruction, die man ihm gab. Der Kutscher hob mit aller Zartheit, der er fähig war, den Trunkenen in seinen Armen auf, legte ihn sanft zwischen die zwei Sitze seines Fiacre, schloß den Schlag, stieg auf seinen Bock, wo er den Unbekannten fand, ließ seinen Wagen sich umwenden und peitschte seine Pferde, welche bald mit den, bei diesen Vierfüßigen gewöhnlichen melancholischen Gang durch den Flecken Point-du-Jour trabten und nach einer halben Stunde zu der Schenke des Pont de Sèvres kamen.

Im Innern dieser Schenke finden wir nach zehn Minuten, die man der Auspackung de»Bürgers Gamain widmete, den der Leser ohne Zweifel längst erkannt hat, den würdigen Meister über Meister, Meister über Alle wieder; er sitzt an demselben Tische und demselben Waffenschmiede gegenüber, wie wir ihn im ersten Kapitel dieser Geschichte gesehen haben.

XL
Was der Zufall ist!

Wie hatte sich nun diese Auspackung bewerkstelligt, und wie war Meister Gamain aus dem beinahe starrsüchtigen Zustande, in welchem wir ihn verlassen, zu dem fast natürlichen Zustande, in dem wir ihn wiedersehen, übergegangen? Der Wirth der Schenke des Pont de Sèvres lag im Bette, und nicht der geringste Lichtfaden drang durch die Spalten seiner Fensterläden, als die ersten Faustschläge des Philanthropen, der Meister Gamain ausgenommen hatte, an seiner Thüre erschollen.

Diese Faustschläge wurden auf eine Art angebracht, daß sie nicht glauben ließen, die Besitzer des Hauses, so sehr sie dem Schlafe ergeben sein mochten, dürften eine lange Ruhe einem solchen Angriffe gegenüber genießen.

Ganz schlaftrunken, ganz stolpernd, ganz brummend, öffnete auch der Schenkwirt selbst denjenigen, welche ihn bemerkten, wobei er sich vornahm, sie einen der Störung würdigen Ersatz entrichten zu lassen, sollte, wie er sagte, das Spiel nicht das Licht werth sein.

Es scheint, daß das Spiel wenigstens dem Werthe des Lichtes das Gleichgewicht hielt, denn bei dem ersten Worte, das der Mann, welcher aus eine so unehrerbietige Art angeklopft hatte, dem Wirthe der Schenke des Pont de Sèvres in’s Ohr flüsterte, nahm dieser seine baumwollene Mütze ab, machte Bücklinge, welche durch sein Costume ganz sonderbar grotesk wurden, und führte den Unbekannten und Meister Gamain in das kleine Cabinet, wo wir diese schon den Burgunder, sein Lieblingsgetränke, haben verkosten sehen.

Diesmal aber, weil er zu viel verkostet, war Meister Gamain beinahe ohne Bewußtsein.

Vor Allem, da Kutscher und Pferde, der eine mit seiner Peitsche, die andern mit ihren Beinen gethan hatten, was sie thun konnten, fing der Fremde damit an, daß er sich seiner Zusage entledigte, indem er ein Vierundzwanzig-Sous-Stück als Trinkgeld den sechs Livres beifügte, die er schon als Bezahlung gegeben hatte.

Dann, als er Meister Gamain, den Kopf an das Täfelwerk angelehnt, mit einem Tische vor seiner Person, viereckig auf einem Stuhle sitzen sah, ließ er schleunig durch den Wirth zwei Flaschen Wein und eine Caraffe Wasser bringen und öffnete selbst das Fenster und die Läden, um die mephitische Luft zu verändern, die man im Innern der Schenke einathmete.

Diese Maßregel wäre unter anderen Umständen gefährdend gewesen. Jeder Beobachter weiß in der That, daß nur die Leute von einer gewissen Welt das Bedürfniß haben, die Luft in dem Verhältniß einzuathmen, in welchem die Natur sie macht, das heißt, bestehend aus siebenundsiebenzig Theilen Sauerstoff, einundzwanzig Theilen Stickstoff und zwei Theilen Wasser, während die gemeinen Leute, an ihre verpesteten Wohnungen gewöhnt, sie ohne Schwierigkeit einathmen, so sehr sie auch mit Kohlenstoff und Stickstoff geschwängert sein mag.

Zum Glück war Niemand da, um eine solche Bemerkung zu machen. Selbst der Wirth, nachdem er mit Eile die zwei Flaschen Wein und langsam die Caraffe Wasser gebracht, hatte sich ehrerbietig zurückgezogen und den Unbekannten unter vier Augen mit Meister Gamain gelassen.

Der Erste war, wie wir gesehen, gleich Anfangs besorgt gewesen, frische Luft einzulassen; dann, ehe er noch das Fenster wieder geschlossen, halte er ein Flacon an die weit geöffneten, pfeifenden Nasenlöcher des Schlossermeisters gehalten, welcher sich dem ekelhaften Schlafe des Rausches überließ, der gewiß die Trunkenbolde von der Weinliebe heilen würde, wäre es durch ein Wunder der Allmacht den Berauschten nur ein einziges Mal gegeben, sich schlafen zu sehen.

Als er den durchdringenden Geruch der im Flacon enthaltenen Flüssigkeit einathmete, riß Meister Gamain; die Augen weit auf und nieste sogleich ganz wüthend; dann murmelte er ein paar Sylben, welche ohne Zweifel unverständlich für jeden Andern, als den geübten Philologen, dem es, mit tiefer Aufmerksamkeit horchend, gelang, folgende Worte zu unterscheiden: »Der Unglückliche  . . .er hat mich vergiftet ., . vergiftet! ., .«

Der Waffenschmied schien zu seiner Zufriedenheit zu erkennen, daß Meister Gamain immer noch von derselben Idee beherrscht wurde; er hielt den Flacon abermals an seine Nase, was, einige Kraft dem würdigen Sohne Noä verleihend, diesem gestattete, den Sinn seines Satzes dadurch zu vervollständigen, daß er den schon ausgesprochenen Worten drei weitere Worte beifügte, welche eine um so schrecklichere Anschuldigung enthielten, als diese zugleich einen Vertrauensmißbrauch und ein Vergessen des Herzens bezeichnete.

»Einen Freund vergiften!  . . .einen Freund! . . .«

»Das ist in der That entsetzlich,« bemerkte der Waffenschmied.

»Entsetzlich!« stammelte Gamain.

»Schändlich!« sagte Nr. l.

»Schändlich!« wiederholte Nr. 2.

»Zum Glück war ich da,« sprach der Waffenschmied, »ich, um Ihnen Gegengift zu geben.«

»Ja, zum Glück!« murmelte Gamain.

»Doch da eine erste Dosis nicht für eine solche Vergiftung genügt, so nehmen Sie noch dieses,« fuhr der Unbekannte fort.

Und er goß in ein halbes Glas Wasser fünf bis sechs Tropfen von der im Flacon enthaltenen Flüssigkeit, was nichts Anderes war, als aufgelöster Ammoniak.

Dann näherte er das Glas den Lippen von Gamain.

»Ah! ah!« stammelte dieser, »das ist zu trinken durch den Mund; ich liebe das mehr, als durch die Nase!«

Und er verschluckte gierig den Inhalt des Glases.

Doch kaum war der Teufelstrank durch seinen Hals gelaufen, da riß er die Augen übermäßig weit aus und rief zwischen einem zweimaligen Niesen:

»Ha! Schurke, was Hast Du mir da gegeben? Pfui! Pfui!l«

»Mein Lieber,« erwiederte der Unbekannte, »ich habe Ihnen einen Trank gegeben, der Ihnen ganz einfach das Leben rettet.«

»Ah!« versetzte Gamain, »wenn er mir das Leben rettet, so thaten Sie wohl daran, mir denselben zu geben; doch wenn Sie das einen Trank nennen, so haben Sie Unrecht.«

Und er nieste abermals, zog den Mund zusammen und sperrte die Augen auf wie die Larve der alten Tragödie.

Der Unbekannte benützte diesen Augenblick der Pantomime, um, nicht das Fenster, sondern die Läden zu schließen.

Gamain hatte indessen nicht ohne Vortheil die Augen ein zweites oder drittes Mal geöffnet. Während dieser Bewegung, so krampfhaft sie war, schaute der Schlossermeister umher, und mit jenem Gefühle tiefer Dankbarkeit, das die Trunkenbolde für die Wände einer Schenke haben, erkannte er diese als ihm nichts weniger als fremd.

Bei den häufigen Reisen, welche nach Paris zu machen ihn sein Geschäft veranlaßte, kam es in der That selten vor, daß er nicht in der Schenke des Pont de Sèvres einkehrte. Sein Einkehren konnte sogar aus einem gewissen Gesichtspunkte als eine Nothwendigkeit betrachtet werden, da die fragliche Schenke ungefähr die Hälfte des Weges bezeichnete.

Dieses Erkennen brachte seine Wirkung hervor; es verlieh vor Allem ein großes Vertrauen dem Schlossermeister, indem es ihm bewies, daß er in befreundetem Lande war.

»Ei! Ei!« sagte er, »gut! es scheint, ich habe schon die Hälfte des Weges zurückgelegt.«

»Ja, mit meiner Hilfe,« versetzte der Waffenschmied.

»Wie, mit Ihrer Hilfe?« stammelte Gamain, der seine Augen von den leblosen Gegenständen zu den lebendigen überlenkte; »mit Ihrer Hilfe? Wer sind Sie denn?«

»Mein lieber Herr Gamain,« erwiederte der Unbekannte, »das ist eine Frage, welche mir beweist, daß Sie ein kurzes Gedächtniß haben.«

Gamain schaute den Sprechenden aufmerksamer als das erste Mal an und sagte:

»Warten Sie doch, warten Sie doch; mir scheint wirklich, ich habe Sie schon gesehen.«

»Ah! wahrhaftig? Das ist ein Glück!«

»Ja, ja, ja; aber wann und wo? das ist die Sache!«

»Wo dies? Wenn Sie umherschauen, werden vielleicht die Gegenstände, die Sie erblicken, ein wenig Ihre Erinnerungen unterstützen  . . .Wann? das ist etwas Anderes; wir werden vielleicht genöthigt sein, Ihnen eine neue Dosis Gegengift zu geben, damit Sie dies sagen können.«

»Nein, ich danke,« erwiederte Gamain, während er den Arm ausstreckte; »ich habe genug von Ihrem Gegengifte, und da ich beinahe gerettet bin, so werde ich hierbei stehen bleiben  . . .Wo habe ich Sie gesehen  . . .wo habe ich Sie gesehen? Nun, hier.«

»Ja wohl!«

»Wann ich Sie gesehen habe? warten Sie doch! an dem Tage, wo ich von Paris von einer  . . .geheimen Arbeit zurückkam  . . .Es scheint,« fügte Gamain lachend bei, »ich bin offenbar der Unternehmer von solchen Arbeiten.«

»Sehr gut. Und nun, wer bin ich?«

»Wer Sie sind? Sie sind ein Mann, der, mir zu trinken bezahlt hat, folglich ein wackerer Mann; schlagen Sie ein!«

»Mit um so viel mehr Vergnügen,« erwiederte der Unbekannte, »als der Schlossermeister vom Waffenschmied nur eine Hand breit entfernt ist.«

»Ah! gut, gut, gut! Ich erinnere mich nun. Ja, es war am 6. October, an dem Tage, wo der König nach Paris zurückkam; wir haben sogar an diesem Tage ein wenig von ihm gesprochen.«

»Und ich fand Ihre Conversation äußerst interessant, Meister Gamain, weshalb ich Sie, da ich sie noch ferner zu genießen wünsche und das Gedächtnis, bei Ihnen zurückkehrt, fragen möchte, wenn es keine Unbescheidenheit ist, was Sie vor einer Stunde machten, – Ihrer ganzen Länge nach über die Straße ausgestreckt und nur zwanzig Schritte von einem Frachtwagen entfernt, der nahe daran war, Sie entzweizuschneiden, wenn ich nicht in das Mittel trat. Haben Sie Kummer, Meister Gamain, und hatten Sie den Entschluß gefaßt, sich das Leben zu nehmen?«

»Mir das Leben nehmen? Bei meiner Treue, nein. Was ich dort mitten aus dem Wege, aus dem Pflaster liegend, machte?  . . . Wissen Sie auch gewiß, daß ich dort lag?«

»Bei Gott! schauen Sie sich an.«

Gamain warf einen Blick auf sich selbst.

»O ho!« machte er, »Madame Gamain wird ein wenig schreien, sie, welche gestern zu mir sagte:,»»Ziehe nicht Deinen neuen Rock an, nimm Dein altes Wamms, das ist gut genug, um in die Tuilerien zu gehen.««

»Wie, um in die Tuilerien zu gehen?« versetzte der Unbekannte; »Sie kommen aus den Tuilerien?«

Gamain kratzte sich am Kopf und suchte seine noch ganz verwirrten Erinnerungen zu sammeln.

»Ja, ja, so ist es,« sagte er, »gewiß kam ich aus den Tuilerien. Warum nicht? Es ist kein Geheimniß, daß ich Schlossermeister von Herrn Veto gewesen bin.«

»Wie, von Herrn Veto? Wen nennen Sie denn Herr Veto?«

»Ah! Sie wissen nicht, daß man den König so nennt? Woher kommen Sie denn? von China?«

»Was-wollen Sie? ich treibe mein Handwerk und beschäftige mich nicht mit Politik.«

»Sie sind sehr glücklich, ich beschäftige mich leider damit, oder man zwingt mich vielmehr, daß ich mich damit beschäftige; das wird mich zu Grunde richten.«

Hier schlug Gamain die Augen zum Himmel auf und stieß einen Seufzer aus,

»Bah!« versetzte der Unbekannte, »sind Sie nach Paris gerufen worden, um eine Arbeit in der Art von der zu machen, welche Sie gemacht hatten, als ich Sie zum ersten Male sah?«

 

»Ganz richtig, damals wußte ich nur nicht, wohin ich ging, und hatte die Augen verbunden, während ich diesmal wußte, wohin ich ging, und die Augen offen hatte.«

»So daß es Ihnen keine Mühe machte, die Tuilerien zu erkennen?«

»Die Tuilerien!« wiederholte Gamain, »Wer hat Ihnen gesagt, ich sei in den Tuilerien gewesen?«

»Sie selbst so eben, bei Gott! Wie sollte ich wissen, Sie kommen aus den Tuilerien, wenn Sie es mir nicht gesagt hätten?«

»Das ist wahr,« murmelte Gamain mit sich selbst sprechend; »wie sollte er es in der That wissen, wenn ich es ihm nicht gesagt hätte?«

Dann wandte er sich wieder an den Unbekannten und fuhr fort:

»Ich habe vielleicht Unrecht gehabt, es Ihnen zu sagen; doch bei meiner Treue, gleichviel! Sie sind nicht die ganze Welt. Nun wohl, ja, da ich es Ihnen gesagt habe, widerrufe ich nicht: ich bin in den Tuilerien gewesen.«

»Und,« sprach der Unbekannte, »Sie arbeiteten mit dem König, der Ihnen die fünfundzwanzig Louis d’or gab, welche Sie in Ihrer Tasche haben.«

»Wie!« rief Gamain; »ich hatte in der That fünfundzwanzig Louis d’or in meiner Tasche.«

»Und Sie haben sie immer noch.«

Gamain fuhr mit seinen Fingern in die Tiefen seiner Tasche und zog eine Handvoll Gold, gemischt mit kleiner Silbermünze und einigen Sous, heraus.

»Warten Sie doch, warten Sie doch; fünf, sechs, sieben  . . . gut! und ich hatte das vergessen  . . .zwölf, dreizehn, vierzehn . . . fünfundzwanzig Louis d’or sind eine Summe  . . .siebenzehn, achtzehn, neunzehn  . . .eine Summe, die man in gegenwärtiger Zelt nicht unter dem Fuße eines Pferdes findet ., . dreiundzwanzig, vierundzwanzig, fünfundzwanzig! Ah!« fügte Gamain freier athmend bei, »Gott sei Dank, die Rechnung ist richtig.«

»Da ich es Ihnen sagte, so konnten Sie sich aus mich verlassen, wie mir scheint.«

»Auf Sie? Und woher wußten Sie, daß ich fünfundzwanzig Louis d’or bei mir hatte?«

»Mein lieber Herr Gamain, ich hatte schon die Ehre Ihnen zu sagen, ich habe sie quer über die Landstraße liegend, zwanzig Schritte von einem Frachtwagen, der sie entzweizuschneiden im Begriffe war, gesunden. Ich hieß den Fuhrmann halten; ich rief einem Fiacre, der vorüber kam, ich machte eine von den Laternen seines Wagens los, und als ich Sie beim Scheine dieser Laterne betrachtete, erblickte ich ein paar Louis d’or, welche auf dem Pflaster rollten. Da diese Louis d’or in der Nähe Ihrer Tasche waren, so vermuthete ich, sie seien aus dieser herausgefallen. Ich steckte die Finger hinein, und an zwanzig weiteren Louis d’or, die Ihre Tasche enthielt, erkannte ich, daß ich mich nicht täuschte; doch da schüttelte der Kutscher den Kopf und sagte: »»Nein, mein Herr, nein.«« »»Wie so, nein?«« »»Nein, ich nehme diesen Mann hier nicht.«« »»Und warum nimmst Du ihn nicht?«« »»Weil er zu reich ist für seine Kleidung  . . .fünfundzwanzig Louis d’or in der Tasche einer Weste von Baumwollensammet, das riecht auf eine Stunde nach dem Galgen, mein Herr.«« »»Wie!«« sagte ich. »»Du glaubst, Du habest es mit einem Diebe zu thun?«« Es scheint, dieses Wort fiel Ihnen auf: »»Dieb?«« sagen Sie, »»Dieb, ich?«« »»Allerdings, Dieb Sie,«« erwiederte der Kutscher; »»wenn sie kein Dieb wären, wie hätten Sie fünfundzwanzig Louis d’or in Ihrer Tasche?«« »»Ich habe fünfundzwanzig Louis d’or in meiner Tasche, weil mein Schüler, der König von Frankreich, sie mir gegeben,«« erwiedern Sie. Bei diesen Worte glaubte ich in der That Sie zu erkennen; ich näherte die Laterne Ihrem Gesichte und rief: »»Er! Alles erklärt sich, das ist Herr Gamain, der Schlossermeister von Versailles; er hat mit dem König gearbeitet und der König hat ihm fünfundzwanzig Louis d’or für seine Mühe gegeben. Vorwärts, ich verbürge mich für ihn.«« Sobald ich mich für Sie verbürgte, machte der Kutscher keine Schwierigkeit mehr. Ich steckte die Louis d’or, welche herausgefallen waren, wieder in Ihre Tasche; man legte sie sachte in den Wagen, ich setzte mich aus den Bock, wir stiegen bei dieser Schenke ab, und hier sind Sie und beklagen sich, Gott sei Dank! über nichts, als daß Sie Ihr Gesell verlassen hat.«

»Ich habe von meinem Gesellen gesprochen? Ich habe mich über sein Verlassen beklagt?’ rief Gamain immer mehr erstaunt.

»Ah! gut, nun erinnert er sich nicht mehr dessen, was er so eben gesagt hat.«

»Ich?«

»Wie, haben Sie nicht in diesem Augenblicke gesagt: »»Das ist der Fehler von diesem Burschen, von diesem . . .Ich entsinne mich des Namens, den sie genannt, nicht mehr.«

»Louis Lecomte.«

»So ist es  . . .Wie! Sie haben nicht so eben gesagt: »»Das ist der Fehler von diesem Burschen, von diesem Louis Lecomte, der mit mir nach Versailles zurückzukehren versprochen hatte und sich im Augenblick meines Abgangs, ohne Abschied zu nehmen, von mir entfernte.«

»Das konnte ich allerdings wohl sagen, da es die Wahrheit ist.«

»Nun also, wenn es die Wahrheit ist, warum leugnen Sie es? Wissen Sie, daß bei einem Anderen als bei mir alle diese Geheimnißkrämereien in der Zeit, in der wir leben, gefährlich wären, mein Lieber?«

»Ja, doch bei Ihnen,« versetzte Gamain, dem Unbekannten schmeichelnd.

»Bei mir? Was will das besagen?«

»Das will besagen, bei einem Freunde.«

»Ah! ja. Sie bezeigen Ihrem Freunde großes Vertrauen. Sie sagen ihm ja und dann sagen Sie ihm nein; Sie sagen ihm: Das ist wahr, und dann: Das ist nicht wahr. Gerade wie damals hier, bei meinem Ehrenwort! Sie erzählten mir eine Geschichte  . . .man mußte von Pezenas sein, um sie nur einen Augenblick zu glauben.«

»Welche Geschichte?«

»Die Geschichte von der geheimen Thüre, welche Sie beschlagen hatten, bei dem vornehmen Herrn, dessen Adresse Sie mir nicht einmal nennen konnten.«

»Nun! Sie mögen mir diesmal glauben oder nicht glauben, es handelte sich abermals um eine Thüre.«

»Beim König?«

»Beim König. Nur, statt um eine Treppenthüre, um die Thüre eines Schrankes.«

»Und Sie werden mir zu verstehen geben, der König, der sich in die Schlosserei mischt, habe Sie holen lassen, um ihm eine Thüre zu beschlagen? Gehen Sie doch!«

»Es ist dennoch so. Ah! der arme Mann, er hielt sich freilich für stark genug, um meiner entbehren zu können. Er hatte sein Schloß so angefangen. »»Wozu Gamain? Was mit Gamain machen? Braucht man Gamain?«« Ja, doch man verhaspelt sich in den Barten, und man muß auf diesen armen Gamain zurückkommen!«

»Dann hat er Sie durch einen vertrauten Kammerdiener holen lassen: durch Hue, durch Durcy oder durch’ Weber?«

»Ei! gerade darin täuschen Sie sich. Er hatte, um sich von ihm helfen zu lassen, einen Gesellen genommen, der noch weniger verstand als er, und so kam dieser Geselle an einem schönen Morgen zu mir nach Versailles und sagte: »»Vater Gamain, wir wollten ein Schloß machen, der König und ich, ja, gute Nacht! das verdammte Schloß geht nicht!«« »»Was soll ich dabei thun?«« erwiederte ich. »»Sie sollen es in Stand setzen!«« Und da ich ihm entgegnete: »»Das ist nicht wahr; Sie kommen nicht im Auftrage des Königs, Sie wollen mich in eine Falle locken,«« da sprach er: »»Gut! der König hat mir Befehl gegeben, Ihnen fünfundzwanzig Louis d’or zuzustellen, damit Sie nicht zweifeln.«« »»Fünfundzwanzig Louis d’or!«« versetzte ich. »»Wo sind Sie?’« »»Hier.«« Und er gab sie mir.«

»Das sind also die fünfundzwanzig Louis d’or, die Sie bei sich haben?« fragte der Waffenschmied.

»Nein, das sind andere, die ersten fünfundzwanzig das war eine Abschlagszahlung.«

»Teufel! fünfzig Louis d’or, um ein Schloß zu verbessern! Dahinter steckt etwas, Meister Gamain.«

»Das sagte ich mir auch; um so mehr als der Geselle  . . .«

»Nun, der Geselle?«

»Das sieht mir aus wie ein falscher Geselle. Ich hätte ihn ausforschen, ihn über die einzelnen Umstände seiner Reise in Frankreich befragen sollen.«

»Sie sind aber nicht der Mann, der sich täuscht, wenn er einen Gesellen bei einer Arbeit sieht.«