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Je näher Agrippina der Küste kam, desto mehr schien sich diese zu beleben. Sie sah Lichter sinnlos am Ufer hin und her irren, und der Wind trug ihr ein Zetergeschrei zu, dessen Grund ihre besorgten Sinne zu erraten suchten. Anicetus hatte nämlich, als er in den Hafen von Bauli zurückkehrte, die Nachricht von dem Schiffbruch und dem Tode der Mutter des Kaisers verbreitet. Daraufhin hatten sich sofort alle ihre Sklaven, Klienten und Freunde an das Ufer begeben, in der Hoffnung, daß sie die Küste noch lebend erreichen oder wenigstens das Meer ihren Leichnam ans Land spülen werde. Sobald man in der Dunkelheit das weiße Segel bemerkte, lief alles an dem Landungsplatz zusammen, und als man erfuhr, daß sich Agrippina wirklich in der Barke befinde, verwandelte sich das Wehegeschrei in jauchzende Freude. So kehrte sie, wie im Triumph, getragen von den Armen ihrer Diener und von einer durch die Ereignisse erregten und aus dem Schlaf geschreckten Volksmenge geleitet, in ihre kaiserliche Villa zurück, deren Türen sich augenblicklich hinter ihr schlossen. Aber die gesamte Bewohnerschaft des Ufers von Puzzeoli bis Bajä blieb dem ungeachtet außen stehen und erging sich in lauten Bezeigungen der Freude und Liebe und in lebhaften Rufen des Verlangens, die Frau zu sehen, welcher der Senat auf Befehl des Kaisers den Titel der Erlauchten zuerkannt hatte.

Agrippina hatte sich jedoch tief in ihre Gemächer zurückgezogen; weit entfernt, sich dieses Entzückens der Bevölkerung zu freuen, empfand sie darüber die größte Bestürzung, denn jede Popularität galt am Hofe Neros für ein Verbrechen, um so mehr, wenn diese Popularität einem geächteten Haupte galt. Kaum hatte sie ihr Zimmer erreicht, so beschied sie den Freigelassenen Agerinus zu sich, den einzigen Menschen, auf den sie sich verlassen zu können glaubte, und übertrug ihm die Botschaft, die wir ihn haben bei Nero ausrichten sehen. Erst als diese Pflicht erfüllt war, dachte sie an ihre Wunden, und nachdem sie den ersten Verband hatte anlegen lassen, entließ sie alle ihre Frauen und legte sich zu Bett. Den Kopf in die Decken gehüllt, gab sie sich ganz den schrecklichen Gedanken hin, die sie bewegten, während draußen die Rufe der Menge immer mächtiger anwuchsen. Plötzlich schwiegen diese Tausende von Stimmen, die Rufe verstummten wie durch Zauber; die Lichter der Fackeln, die durch die Fenster geflackert hatten, wie der Wiederschein eines Brandes, erloschen. Die Nacht wurde wieder dunkel, und es trat eine geheimnisvolle, unheilschwangere Stille ein. Agrippina fühlte Todesschauer ihren Körper durchbeben, und kalter Schweiß bedeckte ihre Stirn. Sie erriet, daß die Menge nicht ohne Grund geschwiegen und ihre Lichter gelöscht hatte. In der Tat hörte sie gleich darauf einen Trupp Bewaffneter in den äußeren Hof eindringen, dann kamen Schritte die Gänge entlang von Zimmer zu Zimmer. Agrippina lauschte diesen unerklärlichen, drohenden Geräuschen, auf den Ellenbogen gestützt, nach Atem ringend, aber unbeweglich. Da ihr keine Möglichkeit zur Flucht mehr blieb, dachte sie auch nicht daran; endlich öffnete sich die Türe ihres Zimmers. Da raffte sie allen Mut zusammen und wandte sich um, bleich, aber entschlossen. Auf der Schwelle erschien der Freigelassene Anicetus und hinter ihm der Tetrarch Herkuleus und Olaritus, der Hauptmann des Seewesens. Als sie Anicetus erblickte, den sie als den Vertrauten und Vollstrecker von Neros Urteilen kannte, begriff sie, daß es um sie geschehen sei, und verzichtete auf jede Klage und auf jedes Flehen.

Wenn du als Bote kommst, melde meinem Sohn, das ich wieder hergestellt sei; wenn du als Henker kommst, so tu was deines Amtes ist!

Statt jeder Antwort, zog Anicetus sein Schwert und näherte sich dem Bette. Agrippina schlug die Decke zurück und sprach, zu dem Mörder gewandt, die Worte:

Verflucht sei mein Leib!

Der Mörder gehorchte, und sie starb, mit dieser Verwünschung ihres Schoßes, der einen solchen Sohn getragen hatte, auf den Lippen. Akte war, nachdem sie Agrippina verlassen hatte, dem Ufer zugeschwommen, aber als sie demselben näher kam, sah sie die Fackeln aufleuchten und hörte das Geschrei, und da sie nicht wußte, was dieser Tumult zu bedeuten hatte, und noch Kraft fühlte, beschloß sie erst jenseits von Puzzeoli ans Land zu gehen. Um den Blicken verborgen zu bleiben, folgte sie dem Schatten, den die Kaligula-Brücke auf das Meer warf, und hielt sich von Zeit zu Zeit an den Pfeilern fest, auf denen die Brücke ruhte, um wieder Kräfte zu sammeln. Als sie noch dreihundert Schritte von der Brücke entfernt war, sah sie den Helm einer Schildwache aufleuchten und suchte von neuem das Weite, obwohl ihre schweratmende Brust und ihre ermattenden Arme ihr die Notwendigkeit zum Bewußtsein brachten, daß sie so schnell als möglich das Ufer erreichen müsse. Endlich traf sie die Küste, wie sie gewünscht hatte, flach, dunkel und einsam, während die Lichter der Fackeln und der Freudenjubel von Bajä wie aus weiter Ferne zu ihr herüberdrangen. Übrigens schien das alles zu verschwimmen, und selbst das Ufer, das sie wenige Augenblicke zuvor noch gesehen hatte, verschwand jetzt in einer Wolke, die sich um ihre Augen legte, und die von blutigen Blitzen durchschossen war; ein Geräusch tönte an ihre Ohren, das unaufhörlich wuchs, wie wenn Seeungeheuer sie mit ihren Flügelschlägen durchs Meer begleiteten; sie wollte rufen, aber ihr Mund füllte sich mit Wasser, und eine Woge ging über ihren Kopf hinweg. Akte merkte, daß sie verloren sei, wenn sie nicht alle Kraft zusammennahm. Durch eine krampfhafte Bewegung tauchte sie mit dem Oberkörper über das Element empor, das sie zu ersticken drohte, und gewann Zeit, die Brust mit belebender Luft zu füllen. Sie war dem Ufer bedeutend näher gekommen, aber bald stellten sich alle Symptome der Erschöpfung von neuem ein, verwirrte und nie dagewesene Gedanken kreuzten sich in ihrem Gehirn. In einem Augenblick ging alles, was ihr teuer war, ihr ganzes Leben, an ihren Blicken vorüber. Sie glaubte einen Greis zu erkennen, der ihr vom Ufer die Arme entgegenbreitete und ihr zurief, während eine unbekannte Macht ihre Glieder lähmte und sie in die Tiefe zu ziehen drohte. Dann sah sie das Festmahl in seinem Glanz, die Gesänge tönten an ihre Ohren; Nero saß da mit der Leier in der Hand, seine Lieblinge klatschten seinen unzüchtigen Gesängen Beifall, die Kurtisanen traten ein und führten ihre schamlosen Tänze aus. Da wollte sie fliehen, wie sie es zuvor getan hatte, aber ihre Füße waren mit Blumenguirlanden gefesselt, doch erkannte sie am Ende des Ganges, der zu dem Festsaal führte, den Greis wieder, der sie zu sich heranwinkte. Dieser Greis hatte einen glänzenden Reif um seine Stirn, und sein Angesicht leuchtete durch die Dunkelheit. Er rief sie zu sich, und sie verstand, daß sie gerettet wäre, wenn sie zu ihm gelangen könnte. Dann erloschen alle Lichter, jedes Geräusch verstummte, sie fühlte sich versinken und stieß einen Schrei aus. Ein anderer Schrei schien zu antworten, aber das Wasser ging über ihrem Kopf hinweg und bedeckte sie wie mit einem Leichentuch, alles wurde unbestimmt bis auf das Lebensgefühl. Es schien ihr, als würde sie schlummernd fortgetragen und den Abhang eines Berges hinuntergerollt, an dessen Fuß sie gegen einen Stein stieß. Es war ein dumpfer Schmerz, wie man ihn während einer Ohnmacht empfindet, dann spürte sie nichts mehr als ein eisiges Gefühl, das allmählich zum Herzen emporstieg, und als es dieses erreicht hatte, verschwand das Bewußtsein des Lebens völlig.

Als sie wieder zu sich kam, war es noch nicht Tag geworden. Sie lag am Ufer, in einen weiten Mantel eingehüllt, und ein Mann kniete neben ihr und stützte ihren Kopf, aus dessen Haarschmuck das Wasser herabrieselte. Sie schlug die Augen auf zu dem, der ihr Hilfe brachte, und glaubte seltsamerweise den Greis wiederzuerkennen, den sie gesehen hatte, als die Schatten des Todes sie umringten. Es war dasselbe sanfte, ehrwürdige Gesicht, in das sie schaute, so daß die Wirklichkeit ihren Traum fortzusetzen schien.

O mein Vater! murmelte sie, du hast mich zu dir gerufen, und ich bin gekommen, hier bin ich – du hast mir das Leben gerettet. – Sage mir deinen Namen, damit ich ihn segnen kann.

Ich heiße Paulus.

Und wer bist du? fuhr das Mädchen fort.

Ein Apostel Jesu Christi, antwortete er.



Das verstehe ich nicht, entgegnete Akte sanft, aber das tut nichts, ich habe Vertrauen zu dir, wie zu einem Vater. Führe mich, wohin du willst, ich bin bereit, dir zu folgen.

Der Greis erhob sich und ging vor ihr her.

XI

Nero verbrachte die Nacht schlaflos und von Furcht gepeinigt. Er war bange, Anicetus könnte seine Mutter nicht mehr angetroffen haben, denn er glaubte, daß sie sich nur kurze Zeit in ihrer Villa aufhalten werde, und daß das, was sie ihm von ihrer Schwäche hatte sagen lassen, nur eine Vorspiegelung sei, um Zeit zu gewinnen und ungehindert nach Rom zu reisen. Er sah sie schon stolz und entschlossen in die Hauptstadt einziehen, das Volk aufrufen, die Sklaven bewaffnen, das Heer aufwiegeln und in die Pforten des Senats eindringen, um Genugtuung zu verlangen für den Schiffbruch, für ihre Wunden und den Tod ihrer Freunde. Bei dem leisesten Geräusch erbebte er wie ein Kind, denn, trotzdem er sie so schlecht behandelte, hatte er doch nicht aufgehört, seine Mutter zu fürchten. Er wußte, wessen sie fähig war; er ermaß, was sie gegen ihn unternehmen konnte, an dem, was sie für ihn getan hatte. Es war gegen sieben Uhr morgens, als ein Sklave des Anicetus im Palast zu Bauli eintraf und, nachdem er verlangt hatte, zu dem Kaiser geführt zu werden, vor diesem niederkniete und ihm seinen eigenen Ring zurückbrachte, den Nero dem Mörder zum Zeichen seiner Machtvollkommenheit übergeben hatte und den dieser nach ihrem blutigen Übereinkommen als Beweis zurücksandte, daß der Mord vollbracht sei. Da erhob sich Nero voll Freude mit dem Ruf, daß er erst von dieser Stunde an herrsche und dem Anicetus das Reich verdanke. Doch hielt er es für notwendig, den Schein zu wahren und das Volk über die Umstände, die den Tod seiner Mutter herbeiführten, auf falsche Spur zu leiten. Er ließ sogleich nach Rom schreiben, daß man in seinem Zimmer den Freigelassenen Agerinus, den Vertrauten Agrippinas, überrascht habe, der ihn mit einem Dolche habe ermorden wollen, und nachdem sie erfahren, daß dieser Anschlag gescheitert sei, habe Agrippina die Rache des Senats gefürchtet, und sich selbst den Tod gegeben. Er fügte noch hinzu, sie habe seit langem die Absicht gehabt, ihm die Herrschaft zu entreißen, und sich gerühmt, sobald der Kaiser tot sei, müsse das Volk, die Prätorianer und der Senat ihr, einer Frau, Gehorsam schwören. Er erklärte, die Verbannung der hervorragendsten Personen sei ihr Werk gewesen, und rief Valerius Capito und Licinius Gabolus, die früheren Prätoren, zurück, ebenso Calpurnia, eine Frau ersten Ranges, und Junia Calvina, die Schwester des Silanus, des früheren Verlobten der Oktavia. Er sprach auch, indem er mit seinen schamlosen Lügen selbst den Himmel nicht verschonte, von dem Schiffbruch wie von einer Rache der Götter. Übrigens mußte Seneka diesen Brief schreiben, denn Nero zitterte so sehr, daß er kaum unterzeichnen konnte.

 

Nachdem dieses erste Geschäft erledigt war, dachte er als geschickter Schauspieler daran, die Rolle des tiefbetrübten Sohnes durchzuführen. Er wischte das Rot ab, das noch seine Wangen bedeckte, löste seine Haare auf, die wirr um seine Schultern flatterten, und vertauschte die weiße, festliche Tunika mit einem dunkelfarbigen Gewande; so stieg er hinab, zeigte sich den Prätorianern und Höflingen, ja selbst den Sklaven, als ob er von dem Schlage, der ihn betroffen hatte, ganz niedergeschmettert sei.

Dann sprach er davon, daß er hingehen wolle, um seine Mutter noch ein letztes Mal zu sehen; er ließ eine Barke an den Ort bringen, wo er am Abend vorher so zärtlichen Abschied genommen, fuhr über den Golf, in den er sie zu versenken versucht hatte, stieg an das Ufer, wo sie verwundet und sterbend gelandet war, und näherte sich der Villa, wo sich die letzte Szene des großen Dramas abgespielt hatte. Einige Höflinge, Burrhus, Seneka und Sporus, begleiteten ihn stillschweigend und suchten auf seinem Gesicht den Ausdruck abzulesen, den sie ihren Mienen geben mußten. Er hatte den der tiefsten Trauer angenommen, und alle, die mit ihm in den äußeren Hof traten, wo die Soldaten zuerst Halt gemacht hatten, sahen aus, als ob sie wie er eine Mutter verloren hätten.

Nero stieg feierlich und langsam die Treppe hinauf, wie es sich für den frommen Sohn geziemt, der zum letzten Mal der Leiche derjenigen naht, die ihm das Leben gegeben hat. In dem Gange, der zu ihrem Gemach führte, machte er seinen Begleitern ein Zeichen, daß sie hier zurückbleiben möchten, und nahm nur Sporus mit sich, als ob er fürchte, daß der Schmerz ihn vor diesen Männern überwältigen könnte.

An der Türe stand er einen Augenblick still, lehnte sich an die Wand und bedeckte sein Gesicht mit dem Mantel, wie um seine Tränen zu verbergen, in Wirklichkeit aber, um den kalten Schweiß abzutrocknen, der seine Stirne bedeckte; dann öffnete er die Türe mit einer raschen, entschlossenen Bewegung und trat in das Sterbezimmer.

Agrippina lag noch auf ihrem Bett. Ohne Zweifel hatte der Mörder die Spuren des Todeskampfes aus ihren Zügen verwischt, denn sie erschienen ruhig und friedlich, als ob sie schlummere. Die Decke war wieder über sie gebreitet und ließ nur den Kopf und einen Teil der Brust unbedeckt, denen die Blässe des Todes den kalten, bläulichen Schimmer des Marmors angehaucht hatte.



Nero blieb am Fußende des Bettes stehen, immer gefolgt von Sporus, dessen Augen noch unbeweglicher als die seines Herren mit teilnahmloser Neugierde hinblickten, wie auf eine von ihrer Basis gestürzte Marmorstatue. Gleich darauf erheiterte sich das Gesicht des Muttermörders – alle seine Zweifel, seine Befürchtungen waren verschwunden. Der Thron, die Welt, die Zukunft gehörte ihm allein. Jetzt konnte er herrschen ohne Fessel, ohne Zwang – Agrippina war ja tot. Dieser Eindruck machte einem seltsamen Gefühle Platz. Ohne sich seines Tuns selbst bewußt zu sein, ergriff er die Decke, die über seine Mutter gebreitet lag, und hob sie langsam auf, daß er den ganzen Leichnam vor sich sah. Nachdem er so einen Moment starr auf den leblosen Körper geschaut hatte, ließ er die Hülle wieder darüber sinken. Hierbei soll er, wie berichtet wird, die Worte gesprochen haben: Sporus, ich habe nicht gewußt, daß sie so schön war.

Indessen war der Tag angebrochen, und im Golf begann das gewohnte Treiben rege zu werden. Jedoch schon hatte sich das Gerücht vom Tode Agrippinas verbreitet, und eine dumpfe Unruhe brütete über der ganzen Küste, die wie gewöhnlich von Handelsleuten, Fischern und Müßiggängern belebt war.

Man sprach von der Gefahr, die den Kaiser bedroht hatte, und dankte den Göttern, wenn man in Hörweite anderer war, laut für seine Rettung; dann ging man, ohne den Kopf zu wenden, an einem Holzstoß vorüber, den ein Freigelassener, namens Mnester, mit Hilfe einiger Sklaven an dem Weg von Misenum bei Bajä aufrichtete. Aber dieses Gerücht, diese Unruhe und dieser Lärm drangen nicht bis zu dem Zufluchtsort, an den Paulus Akte geführt hatte. Es war ein einsames kleines Haus, das sich auf der Spitze des Vorgebirges, Nisida gegenüber, erhob und von einer Fischerfamilie bewohnt war. – Obwohl der Greis der Familie fremd zu sein schien, stand er bei ihr in großem Ansehen. Der Gehorsam, mit dem man seine leisesten Wünsche erfüllte, war jedoch nicht knechtisch, sondern ehrfurchtsvoll, wie Kinder dem Vater und Schüler ihrem Meister folgen.

Akte bedurfte vor allem der Ruhe; voll Vertrauen in ihren Beschützer, und getragen von dem Gefühl, daß von jetzt ab jemand über ihr wache, hatte sie den Bitten des Greises nachgegeben und war eingeschlafen. Er hatte sich neben ihrem Lager niedergesetzt, wie ein Vater neben dem Kopfkissen seines Kindes, so daß das Mädchen ihren Beschützer nicht erst zu suchen brauchte, als sie die Augen wieder aufschlug, und obwohl tausend Erinnerungen ihr Herz bestürmten, streckte sie ihm wehmütig lächelnd die Hand entgegen.

Hast du Schmerzen? fragte der Greis.

Ich liebe, antwortete das Mädchen.

Beide schwiegen einen Augenblick, dann fuhr Paulus fort:

Was wünschest du?

Einen Zufluchtsort; wo ich an ihn denken kann und weinen.

Fühlst du dich stark genug, mir zu folgen?

Laß uns gehen, erwiderte Akte, indem sie sich zu erheben suchte.

Jetzt ist es unmöglich, meine Tochter; wie du fliehen mußtest, so bin ich geächtet. Wir können nur bei Nacht wandern. Bist du entschlossen, heute abend mit mir zu gehen?

Ja, mein Vater.

Scheust du dich nicht vor einem weiten, ermüdenden Wege, da du so zart und fein bist?

In meiner Heimat sind die Mädchen gewöhnt, der Hindin zu folgen auf ihrem Lauf durch die dichtesten Wälder und höchsten Berge.

Timotheus, sagte der Greis, indem er sich umwandte, rufe Silas.

Der Fischer nahm den braunen Mantel des Paulus, befestigte ihn an einem Stock, verließ damit die Hütte und steckte ihn draußen in die Erde.

Dieses Zeichen wurde sogleich bemerkt, denn nach kurzer Zeit stieg ein Mann von dem Berge Nisida herab an die Küste, trat in einen Nachen, löste ihn vom Ufer und ruderte von der Insel zu dem Vorgebirge herüber. Die Fahrt dauerte nicht lange. Ungefähr nach einer Viertelstunde erreichte er das Ufer hundert Schritt von dem Hause entfernt, wo er erwartet wurde, und fünf Minuten später erschien er auf der Türschwelle. Bei seinem Erscheinen erbebte Akte, die nichts von dem bemerkt hatte, was um sie her vorging, da sie beständig nach Bauli hinüberschaute.

Der Neugekommene, den man an der dunklen Gesichtsfarbe, dem Turban, der seinen Kopf umschlang, und der Feinheit seiner Glieder als einen Sohn Arabiens erkannte, näherte sich ehrfurchtsvoll und begrüßte Paulus in einer fremden Sprache. Paulus entgegnete ihm einige Worte in derselben Mundart, aus denen ebenso das Wohlwollen des Freundes wie die Autorität des Meisters herausklang. Statt jeder Antwort befestigte Silas seine Sandalen besser an seinen Füßen, umgürtete seine Lenden mit einem Strick, ergriff einen Wanderstab und kniete vor Paulus nieder, der ihm seinen Segen erteilte, dann ging er hinaus.

Akte schaute verwundert auf Paulus. Wer war dieser Greis, der so sanft und fest zu befehlen verstand, vor dem man sich beugte wie vor einem König, und den man liebte wie einen Vater? So kurze Zeit sie an dem Hofe Neros geweilt, hatte sie dort den knechtischen Gehorsam in allen Formen kennen gelernt, jene niedrige, ängstliche Dienstbeflissenheit, die von der Furcht erzeugt wird, nicht die freudige Bereitwilligkeit, die aus der Ehrfurcht stammt. Gab es denn zwei Kaiser in der Welt, und war der, welcher sich verbarg, ohne Schätze, ohne Sklaven, ohne Heer, mächtiger als der andere mit seinen irdischen Reichtümern, seinen hundertzwanzig Millionen Untertanen und zweimalhunderttausend Soldaten? Diese Gedanken folgten sich mit solcher Schnelligkeit in Aktes Geist und hatten sich darin mit solcher Überzeugung festgesetzt, daß sie sich zu Paulus wandte und die Hände zu ihm erhob, mit derselben Ehrfurchtsbezeigung wie sie es alle hatte tun sehen, die dem Greise nahten.

O Herr, sagte sie, wer bist du denn, daß jedermann dir gehorcht, ohne dich zu fürchten?

Ich habe es dir schon gesagt, meine Tochter, ich heiße Paulus und bin ein Apostel.

Ja, aber was ist das, ein Apostel? Ist es ein Redner wie Demosthenes, oder ein Philosoph wie Seneka? Bei uns wird die Beredsamkeit mit goldenen Ketten dargestellt, die aus ihrem Munde hervorgehen. Fesselst du die Zuhörer durch dein Wort?

Ich predige das Wort, welches erlöst, und nicht das, welches gefangen nimmt, antwortete Paulus lächelnd. Weit entfernt, den Menschen zu sagen, daß sie Sklaven seien, bin ich gekommen, ihnen zu verkündigen, daß sie frei sind.

Das verstehe ich nicht, und doch sprichst du meine Muttersprache, als ob du ein Grieche wärest.

Ich habe sechs Monate in Athen zugebracht und ein und ein halbes Jahr in Korinth.

In Korinth, murmelte das Mädchen, indem sie ihr Gesicht mit den Händen bedeckte, und ist das schon lange her?

Es sind jetzt fünf Jahre.

Und was tatest du in Korinth?

Die Woche über verfertigte ich Zelte für Soldaten, Matrosen und Reisende, denn ich wollte dem edelmütigen Wirt, der mich aufgenommen hatte, nicht zur Last fallen. An den Sabbattagen predigte ich in den Synagogen, empfahl den Frauen Bescheidenheit und den Männern Duldsamkeit und allen die evangelischen Tugenden.

Ja, ja, ich erinnere mich jetzt, daß ich von dir sprechen hörte, antwortete Akte; wohntest du nicht neben der jüdischen Synagoge bei einem edlen Greis namens Titus Justus?

Kanntest du ihn, rief Paulus mit lebhafter Freude.

Er war der Freund meines Vaters, antwortete Akte.

Ja, ja, ich besinne mich jetzt: Die Juden verleumdeten dich und führten dich zu Gallion, Senekas Bruder, den Prokonsul von Achaja. Mein Vater führte mich an die Türe, als du vorübergingst, und sagte zu mir: Siehe, meine Tochter, das ist ein Gerechter!

Und wer ist dein Vater? Wie heißest du?

Mein Vater heißt Amykles, und ich heiße Akte!

Ja, ja, ich erinnere mich auch, der Name ist mir nicht unbekannt. Aber warum hast du deinen Vater, deine Heimat verlassen? Wie kommt es, daß ich dich einsam und dem Tode nahe dort am Ufer fand? Sage mir alles, mein Kind. Wenn du keine Heimat mehr hast, so will ich dir eine bieten; wenn du keinen Vater mehr hast, will ich ihn dir ersetzen.

Oh! nie, nie kann ich es wagen, dir meine Geschichte zu erzählen.

Ist sie denn so schrecklich?

Oh! ich würde, ehe ich sie halb vollendet hätte, vor Scham sterben.

Wohlan! dann ist es an mir, mich zu demütigen, damit du dich erheben könnest; ich will dir sagen, wer ich bin, damit du mir sagen kannst, wer du bist. Ich will dir alle meine Verbrechen bekennen, damit du mir deine Fehler bekennst.

Deine Verbrechen!

Ja, meine Verbrechen, ich habe sie gesühnt, dem Himmel sei Dank, und der Herr hat mir vergeben, wie ich hoffe. Höre mir zu, mein Kind, denn ich werde dir Dinge sagen, von denen du jetzt keine Ahnung hast, die du aber eines Tages verstehen und dann heilig halten wirst.

Und mit schlichten Worten und in der ergreifenden Rede der lauteren Wahrheit erzählte Paulus von seiner Jugend und den weltbewegenden Ereignissen dieser Zeit, von der Erscheinung Christi und der grausamen Verfolgung des neuen Messias und seiner Anhänger, ohne nur mit einem Worte seine Teilnahme an diesen Verfolgungen zu beschönigen. Er fügte daran den Bericht über seine wunderbare Bekehrung auf dem Wege nach Damaskus, die aus dem pharisäischen, christenhassenden Saulus einen demutvollen, gläubigen Paulus machte.

 

Seither, fuhr er begeistert fort, bin ich so feurig in meinem Glauben, wie ich vorher erbittert in meinem Haß gewesen war. Ich habe Judäa durchreist von Sidon bis zum Arad und von dem Berge Seir bis an den Strom Besor; ich habe Kleinasien und Makedonien durchwandert, ich bin in Athen und Korinth gewesen; ich habe Malta berührt und bin in Syrakus gelandet, von da fuhr ich an der sizilischen Küste entlang und lief in den Hafen von Puzzeoli ein, wo ich seit vierzehn Tagen bin und Briefe von Rom erwartete, die mir gestern zugekommen sind. Diese Briefe sind von meinen Brüdern geschrieben, die mich zu sich rufen. Der Tag des Triumphes ist gekommen, der Herr bereitet uns selbst den Weg; denn wenn er dem Volke die Hoffnung schickt, schlägt er die Kaiser mit Torheit, damit das alte Weltgebäude an seiner Spitze und in seiner Grundlage zugleich untergraben werde. Es ist kein Zufall, daß die Vorsehung dem Tiberius die Furcht, dem Klaudius Schwachsinn und dem Nero den Wahnsinn zugeteilt hat. Solche Kaiser machen an den Göttern irre, die sie anbeten. Auch werden Götter und Kaiser miteinander stürzen, die einen verachtet, die anderen verflucht.

O mein Vater! rief Akte! halte ein, habe Mitleid mit mir!

Was hast du denn mit diesen blutgierigen Menschen zu schaffen? antwortete Paulus erstaunt.

Mein Vater, fuhr das Mädchen fort, ihr Gesicht mit den Händen verbergend, du hast mir deine Geschichte erzählt und fragst mich nach der meinigen; die meine ist kurz, schrecklich und verbrecherisch: Ich bin die Geliebte des Kaisers.

Ich sehe darin nur einen Fehler, mein Kind, antwortete der Apostel, der sich ihr mit Teilnahme genähert hatte.

Aber ich liebe ihn, liebe ihn mehr, als ich irgend einen Menschen auf Erden oder einen Gott im Himmel lieben kann.

Ach! ach! seufzte der Greis, das ist ein Verbrechen; er kniete in einem Winkel der Hütte nieder und fing an zu beten.