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Akte

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IX

Nero erhob sich und folgte dem Freigelassenen; nach einigen Wendungen in den geheimen Gängen, die nur dem Kaiser und seinen treusten Sklaven bekannt waren, traten sie in ein kleines Zimmer ohne Fenster, das Licht und Luft von oben erhielt. Auch war die Öffnung weniger dazu eingerichtet, das Gemach zu erhellen, als den Dampf abziehen zu lassen, der zu gewissen Zeiten von den bronzenen Feuerbecken aufstieg, die jetzt kalt waren, auf denen jedoch die Kohlen bereit lagen und nur den belebenden Funken und den Luftzug erwarteten. In dem Zimmer standen ringsum Instrumente umher von Steingut und Gläser in seltsam länglichen Formen, wie wenn ein launischer Künstler sie nach dunklen Erinnerungen an wunderliche Vogel- und unbekannte Fischformen modelliert hätte. Gefäße von verschiedenen Größen und sorgsam mit Deckeln verschlossen, auf denen man rätselhafte Schriftzeichen bemerkte, waren auf runden Tischchen aufgestellt und umzogen das Laboratorium wie die geheimnisvollen Binden die Körper der Mumien, und darüber hingen an goldenen Nägeln getrocknete und frische Pflanzen.

Diese wunderlichen Gefäße enthielten alles, was geheime Wissenschaft und Aberglaube des Altertums von tödlichen Giften wie von Verjüngungs- und andern Zaubermitteln kannte.

Eine schwarzgekleidete Frau, deren Gewand bis zur Höhe des Knies mit einem Karfunkelstein aufgerafft war, und die in der Hand als Wünschelrute eine Haselgerte hielt, erwartete Nero in diesem Zimmer. Sie saß in so tiefe Träumereien versunken, daß sie den Eintritt des Kaisers nicht bemerkte. Nero ging auf sie zu, und je näher er ihr kam, desto mehr drückten seine Mienen Furcht, Abscheu, Verachtung aus. Als er vor ihr stand, machte er Anicetus ein Zeichen, und dieser berührte die Schulter der Frau, die den Kopf erhob und die Haare aus dem Gesicht entfernte, die, weder von einem Kamm noch von einem Band zurückgehalten, jedesmal frei herabfielen und ihr Gesicht wie mit einem Schleier verhüllten, wenn sie das Haupt neigte. Jetzt konnte man das Gesicht der Zauberin sehen. Es waren die Züge einer Frau von fünfunddreißig bis siebenunddreißig Jahren, die schön gewesen sein mußte, aber die vor der Zeit verblüht war durch schlaflose Nächte, Ausschweifungen und vielleicht Gewissensbisse.

Sie richtete zuerst das Wort an Nero, ohne sich zu erheben und ohne etwas anderes zu bewegen als die Lippen.

Was willst du noch von mir? fragte sie ihn.

Vor allem, sagte Nero; erinnerst du dich des Vergangenen?

Frage Theseus, ob er sich der Unterwelt erinnert.


Du weißt noch, wovon ich dich erlöst habe. Aus einem ungesunden Gefängnis habe ich dich genommen, wo du langsam hinstarbst, wo du im Schmutz verkamst und dir die Reptilien über die Hände und das Gesicht krochen.

Es war so kalt, daß ich sie nicht fühlte.

Ein schönes Haus habe ich dir bauen lassen, das ich schmückte wie für eine Geliebte; man nannte dein Gewerbe ein Verbrechen, ich habe es eine Kunst genannt. Man verfolgte deine Mitschuldigen, ich gab dir Schüler.

Und ich gab dir dafür die Hälfte der Macht Jupiters. Ich habe den Tod, den tauben und blinden Sohn des Schlafes und der Nacht, dir untertan gemacht.

Es ist gut, ich sehe, daß du daran denkst; ich habe dich rufen lassen.

Wer soll denn sterben?

Das mußt du erraten, denn sagen kann ich es nicht. Es ist ein zu mächtiger und zu gefährlicher Feind, als daß ich seinen Namen selbst der Statue der Verschwiegenheit anvertrauen könnte. Habe nur acht, daß das Gift nicht langsam wirkt, wie bei Klaudius, oder versagt, wie bei dem ersten Versuch mit Britannikus. Es muß plötzlich töten und dem, der es genossen hat, keine Zeit mehr lassen, auch nur ein Wort auszusprechen oder eine Bewegung zu machen. Es muß ein Gift sein, wie wir es hier bereitet und an dem Eber erprobt haben.

Oh! sagte Lokuste, es ist nichts leichter als dieses Gift zu bereiten und ein viel schrecklicheres noch, wenn du willst. Aber damals, als ich dir jenes gab, von dem du sprichst, wußte ich, für wen ich es bereitete. Es war für ein argloses Kind, und da konnte ich für den Erfolg einstehen, aber es gibt Menschen, auf die das Gift keine Wirkung mehr hat, weil sie ihren Magen nach und nach daran gewöhnt haben, die giftigsten Pflanzensäfte und die tödlichsten Pulver zu ertragen. Wenn meine Kunst es unglücklicherweise mit einer so geschützten Person zu tun bekäme, bliebe der Erfolg aus, und du würdest sagen, ich habe dich getäuscht.

Und, fuhr Nero fort, ich würde dich wieder in jenes Gefängnis werfen und dir deinen früheren Gefängniswärter Pollio Julius zum Hüter setzen. Ja, das würde ich tun; sieh dich also vor!

Nenne mir den Namen des Opfers, und ich werde dir für den Erfolg einstehen.

Ich habe dir schon gesagt, daß ich ihn weder sagen kann noch will. Hast du keine dienstbaren Geister, um das Unbekannte zu entdecken, kennst du keinen Zauber, sie zu beschwören und zu befragen? Suche und forsche! Ich werde dir nichts sagen, aber ich hindere dich nicht am Erraten.

Hier kann ich nichts erreichen.

Du bist keine Gefangene.

In zwei Stunden werde ich wiederkommen.

Ich ziehe vor, dich zu begleiten.

Selbst auf den Esquilin?

Überall hin.

Und kommst du allein mit?

Allein, wenn es sein muß.

So komm.

Nero machte dem Anicetus ein Zeichen, daß er sich zurückziehen könne, und verließ mit Lokuste das goldene Haus, scheinbar nur mit seinem Schwert bewaffnet. Es wird jedoch auch überliefert, daß er Tag und Nacht einen Schuppenpanzer auf der Haut getragen habe, der ihm die Brust beschützte und der so geschickt gearbeitet war, daß er jeder Bewegung des Körpers nachgab und den schärfsten Waffen wie dem stärksten Arme standhielt.

Sie schritten durch die dunklen Straßen Roms, ohne daß ein Sklave voranleuchtete, bis zum Velabrum, wo das Haus der Lokuste lag. Die Magierin klopfte mit drei Schlägen an, eine alte Frau, die ihr zuweilen bei ihren Zauberbereitungen behilflich war, öffnete die Türe und trat lächelnd zur Seite, als sie den schönen, jungen Mann vorübergehen sah, der gewiß einen Liebestrank bestellen wollte.

Lokuste öffnete die Türe zu ihrer Werkstätte, trat zuerst hinein und lud den Kaiser durch ein Zeichen ein, ihr zu folgen.

Ein seltsames Gemisch von häßlichen und wunderlichen Dingen bot sich hier den Blicken des Kaisers. Ägyptische Mumien und etruskische Skelette waren an den Wänden aufgerichtet; Krokodile und Fische von sonderbarer Gestalt schwebten an unsichtbaren Eisendrähten von der Decke herab; auf Piedestalen standen Wachsfiguren von verschiedener Größe und verschiedenem Aussehen umher, in deren Herzen Nadeln und Dolche steckten. Mitten unter diesen merkwürdigen Apparaten flatterte geräuschlos eine aufgescheuchte Eule herum, deren Augen jedesmal, wenn sie sich niedersetzte, wie zwei glühende Kohlen leuchteten, und deren Schnabel vor Angst zusammenschlug. In einer Ecke des Zimmers blökte traurig ein schwarzes Schaf, als erriete es das Schicksal, das seiner wartete. In diesem mannigfachen Geräusch unterschied Nero bald Klagetöne; er blickte aufmerksam umher und bemerkte auf dem Fußboden einen Gegenstand, dessen Umriß er zuerst nicht deutlich erkennen konnte. Es war ein menschlicher Kopf ohne Körper, dessen Augen jedoch zu leben schienen; um seinen Hals ringelte sich eine Schlange, deren schwarze, bewegliche Zunge bald unruhig nach dem Kaiser hinzüngelte, bald in eine Schale mit Milch tauchte. Um diesen Kopf hatte man wie zum Hohn allerhand Gerichte und Früchte aufgestellt; übrigens blieb der Kaiser nicht lange im Zweifel; es war eben dieser Kopf, von dem die klagenden Töne herkamen.

Jetzt begann Lokuste, ihren Zauber zu bereiten. Nachdem sie das ganze Haus mit Wasser aus dem Avernischen See, dem Ursitz etruskischer Zauberkunst, besprengt hatte, zündete sie ein Feuer an mit Sykomoren- und Cypressenzweigen, die auf Gräbern gepflückt waren, warf Eulenfedern hinein, die sie in Krötenblut getaucht hatte, und Kräuter aus Jolkos und Iberien. Dann kauerte sie vor dem Feuer nieder und murmelte unverständliche Worte; als es zu verlöschen begann, blickte sie um sich, als suche sie etwas, das ihre Augen nicht gleich finden konnten. Dann ließ sie ein eigenes Pfeifen hören, worauf die Schlange ihren Kopf emporrichtete; gleich darauf pfiff sie zum zweiten Mal, da streckte sich das Tier langsam aus; endlich ließ sie das Pfeifen zum dritten Mal hören; als folge es diesem Ruf nur gezwungen, kroch das gehorsame Tier scheu und furchtsam zu ihr hin. Sie ergriff es am Halse und näherte seinen Mund der Flamme; sogleich ringelte die Schlange ihren ganzen Körper um den Arm der Magierin und stieß nun ihrerseits pfeifende Schmerzenslaute aus. Aber Lokuste hielt den Kopf immer noch näher an das Feuer, bis sich der Rachen mit weißem Schaum bedeckte. Drei oder vier Tropfen von diesem Geifer fielen auf die Asche, das war es, was Lokuste gewollt hatte, denn jetzt ließ sie das Reptil los, das schnell entfloh, an dem Bein eines Skelettes emporhuschte und sich in der Brusthöhle verkroch, wo man es noch einige Zeit zwischen den Knochen hindurch, die es wie ein Käfig umgaben, vor Schmerzen zucken sah.

Jetzt sammelte Lokuste die Asche und die glühenden Kohlen in ein Tuch von Asbest, ergriff das schwarze Schaf an einem Strick, der ihm um den Hals hing, und da sie offenbar das vollendet hatte, was sie nur zu Hause vollbringen konnte, wandte sie sich zu Nero, der ihrem Tun mit der Unbeweglichkeit einer Statue zugeschaut hatte, und fragte, ob er immer noch die Absicht habe, sie auf den Esquilin zu begleiten. Nero machte ihr ein Zeichen mit dem Kopfe. Lokuste ging hinaus, der Kaiser folgte ihr. Im Augenblick, wo er die Türe schließen wollte, hörte er eine Stimme, die in so schmerzensvollen Lauten um Mitleid flehte, daß er gerührt wurde und Lokuste zurückhalten wollte. Aber diese antwortete, daß die geringste Verzögerung die Beschwörung unwirksam mache, und daß sie genötigt sei, allein zu gehen, oder das Unternehmen auf den folgenden Tag zu verschieben, wenn der Kaiser sie nicht augenblicklich begleite. Nero schlug die Türe zu und beeilte sich, ihr zu folgen; übrigens waren ihm diese Geheimnisse der Wahrsagerin nicht fremd; er wußte schon, was der grausige Kopf bedeutete. Er gehörte einem Kinde, das bis zum Halse eingegraben war, und das Lokuste angesichts der Gerichte, die es nicht erreichen konnte, Hungers sterben ließ, damit sie nach seinem Tode aus dem Mark seiner Knochen und aus dem von Gier und Wut erfüllten Herzen jene Liebestränke bereiten konnte, welche die reichen Wüstlinge Roms oder die Geliebten der Kaiser zuweilen mit einem Preis bezahlten, für den man eine Provinz hätte kaufen können.

 

Nero und Lokuste schlichen wie zwei Schatten eine Zeit lang durch die gekrümmten Straßen des Velabrums, dann verschwanden sie rasch und schweigend hinter der Mauer des großen Zirkus und erreichten den Fuß des Esquilin. In diesem Augenblick stieg der Mond in seinem ersten Viertel hinter dem Hügel empor, und von dem versilberten Azurblau des Himmels hoben sich die zahlreichen Kreuze ab, an welche die Körper der Diebe, der Mörder und der Christen genagelt waren, die hier auf einer Richtstätte vereinigt wurden. Der Kaiser glaubte zuerst, die Zauberin werde mit einigen dieser Leichen zu schaffen haben, aber sie ging zwischen ihnen durch, ohne sich aufzuhalten, dann machte sie Nero ein Zeichen, daß er sie erwarten möge. Indessen kniete sie an einem kleinen Grabhügel nieder und fing an, wie eine Hyäne mit ihren Nägeln eine Grube in die Erde zu graben. In diese Höhlung goß sie die glühende Asche, die sie mitgebracht hatte, und in der ein vorüberstreichender Windhauch einige Funken entfachte. Dann ergriff sie das schwarze Schaf, das sie zu diesem Zweck hergeführt hatte, öffnete ihm die Schlagader am Hals mit den Zähnen und löschte die Funken mit dem ausströmenden Blut. In diesem Augenblick verschleierte sich der Mond, wie um eine solche Greueltat nicht ansehen zu müssen; aber trotz der Dunkelheit, die sich um den Hügel verbreitete, glaubte Nero vor der Zauberin einen Schatten aufsteigen zu sehen, mit dem sie einige Worte wechselte. Da erinnerte er sich, daß hier der Ort sein mußte, wo die wegen ihrer Mordtaten erhenkte Zauberin Canidie, von der Horaz und Ovid berichten, begraben lag, und er zweifelte nicht mehr, daß es ihr verruchter Geist sei, den Lokuste eben befragte. Gleich darauf schien der Schatten wieder in die Erde zurückzukehren, der Mond trat hinter dem Gewölk hervor, das ihn verdunkelt hatte, und Lokuste kam bleich und zitternd zu Nero heran.

Nun? fragte der Kaiser.

Alle meine Kunst würde vergeblich sein, murmelte Lokuste.

Hast du keine tödlichen Gifte mehr?

Doch, aber sie hat die beherrschenden Gegengifte.

So kennst du die, welche ich verurteilt habe? erwiderte Nero.

Es ist deine Mutter, antwortete Lokuste.

Es ist gut, sagte der Kaiser kalt; dann werde ich ein anderes Mittel finden.

Beide stiegen zusammen von dem verfluchten Hügel herab und verloren sich in den dunklen, verlassenen Straßen, die zum Velabrum und zum Palatin führten.

Am andern Tag erhielt Akte einen Brief von ihrem Geliebten, der sie einlud, nach Bajä abzureisen und den Kaiser zu erwarten, der dort mit Agrippina das Fest der Minerva feiern werde.

X

Acht Tage waren verflossen seit der Scene, die wir im vorhergehenden Kapitel geschildert haben. Es war zehn Uhr abends; der Mond, der eben am Horizont erschien und langsam hinter dem Vesuv emporstieg, beleuchtete mit seinen Strahlen das ganze Ufer von Neapel. In seinem reinen, hellen Licht erglänzte der Golf von Puzzeoli, den wie eine dunkle Linie die unsinnige Brücke überspannte, die, um eine Prophezeiung des Astrologen Thrasyllus zu erfüllen, der dritte Cäsar Kajus Kaligula von einem Ufer zum andern schlagen ließ. An ihren Grenzen und in der ganzen Ausdehnung des ungeheuren, halbmondförmigen Bogens, den sie von der Landspitze des Posilippo bis zum Kap Misenum bildete, sah man nacheinander wie Sterne am Himmel die Lichter der Städte, Dörfer und Villen verlöschen, die an diesem Ufer zerstreut lagen und sich in den schönen, blauen Wellen spiegelten. Einige Zeit noch glitten durch die Stille verspätete Barken hin, die Fackeln an ihrer Spitze trugen und mit Hilfe eines dreieckigen Segels oder doppelter Ruder in den Hafen von Oenarie, von Procida oder Bajä einliefen. Nachdem die letzte dieser Barken verschwunden war, schien der Golf ganz verlassen und schweigend dazuliegen; allein gegenüber den Gärten des Hortensius, zwischen dem Haus des Julius Cäsar und dem Palast von Bauli, schaukelte ein am Ufer angekettetes Fahrzeug auf den Wogen.

Kein Wölkchen trübte den Himmel, der klar wie das Meer sich ausspannte. Keine Welle kräuselte das Meer, das den Himmel wiederspiegelte. Der Mond, der seine leuchtende Bahn durch den flüssigen Azur hinzog, schien über dem Golf zu verweilen und sich wie im Spiegel zu beschauen. Die letzten Lichter von Puzzeoli waren erloschen, nur der Leuchtturm auf dem Kap Misenum flammte noch auf der Spitze des Vorgebirges, wie eine Fackel in der Hand eines Riesen. Es war eine jener üppigen Nächte, wo Neapel, die schöne Tochter Griechenlands, ihren Orangenblütenduft in die Lüfte haucht und die Wellen um ihren Marmorbusen spielen läßt. Von Zeit zu Zeit klang jenes geheimnisvolle Seufzen durch die Nacht, das die schlummernde Erde zum Himmel sendet, und am östlichen Horizont stieg die weiße Dampfsäule des Vesuv durch die unbewegte Atmosphäre wie eine riesige Alabastersäule, wie ein Trümmerstück, das von einem versunkenen Babel übrig blieb.

Inmitten der Stille und Dunkelheit der Nacht sahen die Matrosen, die in den Barken am Ufer schliefen, plötzlich brennende Fackeln aufleuchten zwischen den Bäumen hindurch, welche den Palast von Bauli halb verdeckten. Sie hörten jubelnde Stimmen dem Ufer nahen, und bald sahen sie aus einem Orangen- und Oleandergebüsch, das an das Ufer grenzte, von hellem Fackellicht umflossen einen lärmenden Zug hervortreten. Sogleich ließ der, welcher der Befehlshaber des größten Schiffes, einer prächtig vergoldeten, blumengeschmückten Trireme, zu sein schien, über die Brücke, die sein Schiff mit dem Ufer verband, einen Purpurteppich ausbreiten und wartete in banger, ehrfurchtsvoller Haltung, denn an der Spitze des Zuges nahte dem Schiffe Cäsar Nero selbst. Er kam, begleitet von Agrippina; die Mutter stützte sich auf den Arm des Sohnes, was seit dem Tode des Britannikus selten geschah; sie lächelten beide und tauschten vertrauliche Reden, so daß sie in bestem Einvernehmen miteinander zu stehen schienen. Bei der Trireme hielt der Zug an; angesichts des ganzen Hofstaates schloß Nero mit nassen Augen seine Mutter in die Arme, bedeckte ihr Gesicht und ihren Hals mit Küssen, wie wenn es ihm schwer fiele, sich von ihr zu trennen. Als sie sich endlich aus seiner Umarmung löste, wandte er sich an den Befehlshaber des Schiffes:

Anicetus, sagte er, du haftest mir mit deinem Kopfe für meine Mutter.

Agrippina überschritt die Brücke und bestieg die Trireme, die sich langsam vom Ufer entfernte und das Vorgebirge umsegelte, das zwischen Bajä und Puzzeoli lag. Nero verließ den Platz nicht; er blieb noch eine Zeit lang an der Stelle, wo er sich verabschiedet hatte, und winkte seiner Mutter Grüße zu, die diese vom Schiff aus erwiderte. Endlich, als sich das Schiff außerhalb der Tragweite seiner Stimme befand, kehrte er nach Bauli zurück, und Agrippina stieg in den Raum des Schiffes hinab, der festlich für sie zugerüstet war.

Kaum hatte sie sich auf dem purpurnen Ruhebett niedergelegt, so wurde der Vorhang zur Seite geschoben, und ein junges Mädchen stürzte bleich und zitternd ihr zu Füßen und rief:

O meine Mutter, meine Mutter, rette mich!

Agrippina erzitterte zuerst vor Überraschung und Furcht, dann erkannte sie die schöne Griechin.

Akte, sagte sie erstaunt, indem sie ihr die Hand reichte, du bist hier auf meinem Schiff und bittest mich um Schutz? Wovon soll ich dich erretten, dich, die du so mächtig bist und mir die Liebe meines Sohnes wiedergegeben hast?

Oh! von ihm, von mir, von meiner Liebe … von diesem Hof, der mich erschreckt, von dieser ganzen sonderbaren Welt, die so neu für mich ist.

In der Tat, antwortete Agrippina, du bist während des Festmahles verschwunden, Nero hat nach dir gefragt, hat dich suchen lassen; warum hast du das getan?

Warum? Du fragst noch? Vergib mir! Aber kann es denn eine Frau inmitten einer solchen Orgie aushalten, über die selbst unsere Venuspriesterinnen erröten würden? O, meine Mutter, hast du jene Gesänge nicht gehört? Hast du die schamlosen Kurtisanen nicht gesehen? Diese Gaukler, deren Bewegungen noch mehr als ihnen selbst denen zur Schande gereichen, die ihnen zusehen? Oh! Ich habe ein solches Schauspiel nicht ertragen können. Ich habe mich in die Gärten geflüchtet, aber auch da gab es Dinge, die mich erschreckten. Diese Gärten schienen bevölkert wie ehemals die Wälder. Jeder Brunnen schien von einer unkeuschen Nymphe, jedes Gebüsch von einem schwelgerischen Satyr bewohnt. Kannst du es glauben, meine Mutter? Unter diesen Männern und Frauen habe ich vornehme Matronen und Ritter erkannt. Da entfloh ich aus den Gärten wie aus dem Festsaal. Eine Türe stand offen, die zum Meere hinabführte; ich lief an das Ufer, ich sah die Trireme und erkannte sie als dein Schiff. Ich rief den Matrosen zu, daß ich zu deinem Gefolge gehöre und dich erwarte, da nahmen sie mich auf. Inmitten dieser groben Matrosen und Soldaten befand ich mich wohler als an Neros vom römischen Adel besetzter Tafel.

Armes Kind! Und was erwartest du von mir?

Einen Zufluchtsort in deinem Hause am Lukriner See, eine Stelle unter deinen Sklaven, einen Schleier, der dicht genug ist, die Schamröte auf meiner Stirn zu bedecken.

Willst du denn den Kaiser nicht wiedersehen?

O meine Mutter!

Willst du ihn dem Zufall preisgeben und wie ein verlorenes Schiff auf diesem Meere von Ausschweifungen umhertreiben lassen?

O, meine Mutter, wenn ich ihn weniger liebte, könnte ich vielleicht bei ihm bleiben, aber wie soll ich es mit ansehen, daß er andere Frauen ebenso liebt wie mich oder mehr noch, als ich geliebt zu werden glaubte? Das ist unmöglich! Ich kann nicht so viel hingeben, um so wenig dafür zu erhalten. Inmitten dieser verlorenen Welt würde ich zu Grunde gehen. Ich würde ebenso werden wie diese Frauen, ich würde einen Dolch im Gürtel tragen und Gift in einem Ring, und eines Tages …

Was gibt es, Acerronia? unterbrach sie Agrippina, zu einer jungen Sklavin gewendet, die eben eintrat.

Darf ich reden, Herrin? antwortete diese mit erregter Stimme.

Rede.

Wohin wolltest du fahren?

Zu meiner Villa am Lukriner See.

Ja, anfangs segelten wir in dieser Richtung, aber seit einigen Augenblicken hat das Schiff den Kurs geändert, und wir fahren dem offenen Meere zu.

Dem offenen Meere zu! rief Agrippina.

Sieh her, sagte die Sklavin, indem sie den Vorhang vom Fenster zurückzog; sieh her, der Leuchtturm sollte längst hinter uns sein, und er ist hier rechts von uns; statt daß wir uns Puzzeoli nähern, entfernen wir uns davon mit vollen Segeln.

In der Tat! rief Agrippina; was bedeutet das? Gallus, Gallus! … Ein junger römischer Ritter erschien an der Türe. Gallus! wiederholte Agrippina, sage dem Anicetus, daß ich ihn sprechen will. Gallus ging hinaus und nach ihm Acerronia. Gerechte Götter! jetzt erlischt der Leuchtturm wie durch einen Zauberschlag, fuhr sie fort … Akte, Akte, irgend etwas Schreckliches geht hier vor, ohne Zweifel. Man hat mich gewarnt, nach Bauli zu kommen, aber ich habe nicht hören wollen. Nun! Gallus?



Anicetus kann deinem Befehl nicht folgen; er läßt die Boote ins Meer setzen.

So werde ich selbst zu ihm gehen … Ah! … was ist das für ein Geräusch über uns? Beim Jupiter! wir sind verloren, das Schiff geht auseinander!!! In der Tat hatte Agrippina diese Worte kaum ausgesprochen und sich Akte in die Arme geworfen, so krachte die Decke über ihren Häuptern mit furchtbarem Geräusch zusammen. Die beiden Frauen glaubten sich verloren; aber durch einen seltsamen Zufall war der Baldachin, der sich über dem Bett befand, so tief und so fest in die Schiffsplanken eingefügt, daß er das Gewicht der Decke aufhielt, die bei ihrem Zusammensturz den jungen Römer am Eingang des Zimmers erdrückte. In demselben Augenblick ertönte auf dem ganzen Schiff großes Geschrei. Ein dumpfes Geräusch drang auch vom Grunde des Schiffes herauf. Die Frauen fühlten unter ihren Füßen den Boden wanken und ächzen. Mehrere Planken des Kiels hatten sich geöffnet, und durch die klaffende Lücke flutete das Meer in das Mittelschiff und schlug schon an die Zimmertüre. Agrippina erriet sofort alles. Der Tod sollte sie über ihrem Haupt und zu ihren Füßen erwarten. Sie blickte umher und sah die stürzende Decke bereit sie zu zermalmen und das Meer bereit sie zu verschlingen. Das Fenster, durch das sie geblickt hatte, als der Leuchtturm von Misenum erlosch, stand offen: das war der einzige Rettungsweg. Sie zog Akte mit sich fort zu dem Fenster, hieß sie schweigen durch eine gebietende Bewegung, die anzeigte, daß es sich um das Leben handle, und beide stürzten sich ohne Zögern ins Meer. In demselben Augenblick fühlten sie sich wie von einer höllischen Macht auf den tiefsten Meeresgrund hinabgezogen. Das Schiff versank in einem Wirbel, und sie wurden von dem Strudel in die Tiefe gerissen. Sie sanken einige Sekunden lang, die ihnen wie Jahrhunderte vorkamen. Endlich hörte die kreisende Bewegung auf; sie spürten, daß sie nicht weiter hinabsanken, und bald wurden sie von den Wellen emporgetragen und erschienen halb ohnmächtig an der Oberfläche des Wassers. In diesem Augenblick sahen sie wie durch einen Schleier in der Nähe der Boote einen dritten Kopf auftauchen und hörten wie im Traum eine Stimme, die rief: Ich bin Agrippina, die Mutter des Cäsar, rettet mich! Auch Akte wollte um Hilfe rufen, aber sie fühlte sich von neuem von Agrippina fortgerissen. Als sie zum zweitenmal auftauchten, waren sie beinahe aus der Sehweite der Boote. Agrippina zeigte, während sie mit einer Hand schwamm, mit der andern auf ein Ruder, das sich erhob und Acerronia den Kopf zerschmetterte, weil sie so töricht gewesen war, sich für die Mutter des Cäsar auszugeben.

 

Die beiden Flüchtlinge teilten schweigend die Fluten und schwammen auf das Ufer zu, während Anicetus seinen Mordauftrag erfüllt zu haben glaubte und nach Bauli zurücksegelte, wo ihn der Kaiser erwartete. Der Himmel war klar und das Meer wieder ruhig geworden; allein der Ort, wo Agrippina und Akte sich ins Meer geworfen hatten, war so weit vom Ufer entfernt, daß sie noch eine halbe Meile zurücklegen mußten, nachdem sie schon eine halbe Stunde geschwommen waren. Dazu hatte sich Agrippina beim Sturz ins Meer an der Schulter verletzt. Sie fühlte, daß ihr rechter Arm schwer wurde, so daß sie der ersten Gefahr nur entronnen schien, um einer anderen schrecklicheren zu erliegen. Akte bemerkte bald, daß sie nur mit Anstrengung schwamm; wenn auch keine Klage über Agrippinas Lippen kam, erriet sie deren hilflose Lage doch aus der schweratmenden Brust. Sie schwamm daher auf die andere Seite, ergriff den verletzten Arm und bot ihren Nacken als Stütze dar; so drang sie vorwärts, die Erschöpfte unterstützend, die sie vergebens anflehte, sich allein zu retten und sie sterben zu lassen.

Während dieser Zeit war Nero in den Palast von Bauli zurückgekehrt. Er nahm den Platz an der Tafel wieder ein, den er kurz zuvor verlassen hatte, ließ neue Kurtisanen und Gaukler kommen und befahl, daß das Fest seinen Fortgang nehme; er ließ sich seine Leier bringen und besang die Belagerung von Troja. Doch von Zeit zu Zeit erbebte er, ein Schauer rieselte durch seine Adern, und kalter Schweiß trat auf seine Stirn, denn manchmal glaubte er den letzten Schrei seiner Mutter zu hören, dann schien es ihm, als ob der Genius des Todes die heiße, duftende Atmosphäre durchschreite und seine Stirne mit den Schwingen berühre. Endlich, nach zwei langen, fieberhaft durchlebten Stunden, trat ein Sklave ein, näherte sich Nero und sagte ihm einige für die andern unhörbaren Worte ins Ohr, bei denen der Kaiser erbleichte. Sogleich ließ er seine Leier fallen, riß den Kranz von seinem Haupte, stürzte aus dem Festsaal, ohne jemanden ein Wort über die Ursache seines plötzlichen Schreckens zu sagen, und überließ es den Gästen, ob sie sich zurückziehen oder die Orgie fortsetzen wollten. Allein die Verwirrung des Kaisers war zu sichtbar und sein Aufbruch zu plötzlich gewesen als daß die Höflinge sich nicht gesagt hätten, es müsse irgend etwas Entsetzliches geschehen sein. Alle beeilten sich, dem Beispiel ihres Herrn zu folgen, und einige Minuten nach seinem Abgang war der Saal, der eben noch so geräuschvoll und belebt gewesen war, leer und schweigsam wie ein Grab.

Nero zog sich in sein Zimmer zurück und ließ Anicetus rufen. Dieser hatte nach seiner Rückkehr dem Kaiser von der Ausführung seiner Mission Bericht erstattet, und der Kaiser, überzeugt von seiner Treue, hatte nicht im geringsten an der Wahrheit dessen, was er hörte, gezweifelt. Wie groß war daher Anicetus' Erstaunen, als Nero bei seinem Eintritt auf ihn losstürzte und ihm zurief:

Was sagtest du mir denn, daß sie tot sei? Es ist ein Bote unten, den sie mir gesandt hat.

Dann muß er von der Hölle kommen, antwortete Anicetus; denn ich habe den Plafond einstürzen und das Schiff in den Wellen verschwinden sehen; ich habe eine Stimme rufen hören: Ich bin Agrippina, die Mutter des Kaisers, und habe gesehen, wie ein Ruder den Kopf der Hilferufenden zerschmetterte.

Nun wohl! Du hast dich getäuscht. Acerronia ist tot, und meine Mutter ist gerettet.

Wer sagt das?

Der Freigelassene Agerinus.

Hast du ihn gesehen?

Nein, noch nicht.

Was beschließt der göttliche Kaiser zu tun?

Kann ich auf dich rechnen?

Mein Leben gehört dem Kaiser.

Nun wohl! geh in dieses Kabinett, und wenn ich um Hilfe rufe, tritt rasch ein, halte Agerinus fest und sage, du habest ihn den Dolch gegen mich erheben sehen.

Dein Wunsch ist mir Befehl, antwortete Anicetus mit einer Verbeugung und trat in das Kabinett. Nero blieb allein, er nahm einen Spiegel, und da er sah, daß sein Gesicht entstellt war, legte er Rot auf, um seine Blässe zu verdecken; dann ordnete er seine Locken und die Falten seiner Toga, wie wenn er eine Bühne besteigen sollte, und legte sich in einer studierten Lage nieder, um den Boten Agrippinas zu empfangen.

Er war gekommen, um Nero mitzuteilen, daß seine Mutter gerettet sei; er erzählte ihm den doppelten Unglücksfall der Trireme, wobei Nero zuhörte, als ob er von nichts wüßte; dann fügte er hinzu: die erlauchte Agrippina sei von einer Fischerbarke aufgenommen worden, in dem Augenblick, wo ihre Kräfte sie zu verlassen drohten, und sie keine andere Hoffnung mehr hatte als den Beistand der Götter. Diese Barke hatte sie durch den Kanal des Kaisers Claudius in den Lukriner See geführt. Vom Ufer des Sees hatte sie sich in einer Sänfte in ihre Villa tragen lassen, von wo aus sie sogleich ihrem Sohn sagen ließ, die Götter hätten sie unter ihren Schutz genommen, und ihn beschwor, so sehr er auch wünschen möge sie wiederzusehen, seinen Besuch aufzuschieben, da sie für den Augenblick der Ruhe bedürfe. Nero hörte ihm bis zu Ende zu, indem er hintereinander Schrecken, Überraschung und Freude heuchelte. Als er erfahren hatte, was er wissen wollte, nämlich den Ort, wo sich seine Mutter befand, ging er sogleich an die Ausführung des Planes, den er in der Geschwindigkeit gefaßt hatte; er warf dem Boten ein blankes Schwert zwischen die Füße und rief um Hilfe. Sogleich stürzte Anicetus aus dem Kabinett, ergriff den Mann und hob das Schwert auf, das zu seinen Füßen lag. Ehe der Bote Zeit gehabt hatte, das angebliche Attentat zu leugnen, war er dem Hauptmann der Prätorianer überliefert, der mit seiner Wache herbeieilte, sobald er die Stimme des Kaisers hörte, und in die Gänge des Palastes hinausstürzte mit dem Ruf, es sei auf den Kaiser auf Anstiften seiner Mutter ein Mordversuch gemacht worden.

Während sich diese Vorgänge in Bauli abspielten, war Agrippina, wie erzählt, von einer Fischerbarke gerettet worden, die spät in den Hafen zurückkehrte. Aber in dem Augenblick, als Agrippina die Barke einholte, hatte sie Akte gefragt, ob sie sich noch stark genug fühle, das bereits sichtbare Ufer schwimmend zu erreichen, weil sie nicht wußte, ob Neros Zorn sie bis in ihre Villa am Lukriner See verfolgen werde, und sie das junge Mädchen, dem sie das Leben verdankte, nicht in ihren Untergang hineinziehen wollte. Akte erriet den Grund, der die Mutter des Kaisers zu dieser Handlungsweise bestimmte, und bat inständig, ihr folgen zu dürfen; aber diese befahl ihr, sich jetzt von ihr zu trennen, und versprach, sie rufen zu lassen, sobald die Gefahr vorüber sei. Akte gehorchte, und Agrippina, die bisher unbemerkt geblieben war, rief mit einem Notschrei die träge hintreibende Barke herbei, während Akte sich ungesehen entfernte und weiß und leicht an der Oberfläche des Golfes hinglitt, wie ein Schwan, der seinen Kopf unter dem Wasser verbirgt.