Killer sind auch nur Mörder: 7 Strand Krimis

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11


Roberto verließ das Haus, überquerte die Fahrbahn und betrat den Parkplatz. Der Bonneville von Rufus Maretti gewährte ihm zur Straße hin volle Deckung. Niemand war in der Nähe, der ihn beobachtete. Roberto öffnete mit dem Pontiac-Schlüssel den Kofferraum und sah darin, was er erwartet hatte.

Roberto fasste den Toten an.

Die Leichenstarre war längst eingetreten. Maretti blutete nicht mehr. Das ausgetretene Blut hatte sich in einer Vertiefung des Kofferraums gesammelt und vermutlich Stunden gebraucht, um sich einen Weg ins Freie zu bahnen.

Roberto schloss den Kofferraum ab, säuberte die Schlüssel von seinen Prints und legte sie in den Handschuhkasten des Pontiac. Dann kletterte er in den Monza und fuhr zum Washington Park.

Das Haus Columbia Drive 118 wies mit seinen schmalen, eleganten und ungewöhnlich hohen Fenstern zum Washington Park. Es gehörte zu den wenigen freistehenden Villengebäuden, die sich in dieser dicht besiedelten Gegend den Luxus eines eigenen Gartens leisten konnten.

Der im Kolonialstil gehaltene Mitteltrakt mit seinen weißen, hohen Säulen atmete eine fast offiziell anmutende Vornehmheit, aber das kleine Namensschild an der Gartenpforte machte klar, dass hier ein Privatmann wohnte.

Roberto betätigte den Klingelknopf. In der Sprechanlage knackte es. „Bitte?“, tönte eine Stimme aus dem Lautsprecher.

„Briggs“, sagte Roberto. „Ich möchte zu Mr. Aldrich, bitte. Ich komme von Archie Wingate.“

„Gedulden Sie sich bitte einen Augenblick, Sir. Ich erkundige mich, ob Mr. Aldrich zu sprechen ist.“

Nach knapp einer Minute erhielt Roberto die Aufforderung, einzutreten. Er durchquerte den makellos gepflegten Vorgarten. Am Hauseingang erwartete ihn der Butler. Ein kahlköpfiger Mann, der ohne seine würdevolle Dienstkleidung völlig nichtssagend ausgesehen haben würde.

Der Butler führte Roberto durch eine hohe, kühle Halle in einen großen Salon. Dort stand ein Mann an der Terrassentür und kehrte Roberto den Rücken zu.

„Mr. Aldrich?“, fragte Roberto, der hörte, wie die Tür leise hinter ihm ins Schloss gedrückt wurde. Der Raum war so elegant möbliert, wie man es in einem Haus dieses Formates erwarten durfte. Die Möbel entstammten der Regency-Epoche und sahen nicht so aus, als ob sie kopiert worden wären.

Der Mann am Fenster wandte sich um.

Roberto schätzte ihn auf fünfundvierzig.

Raymond Aldrich war schlank und ziemlich groß, er hatte ein schmales Gesicht mit Adlerprofil und dazu passenden, sehr stechenden Augen. Es war das Gesicht eines Mannes, der nicht mit sich spaßen lässt. Roberto bedauerte plötzlich, vor diesem Besuch nicht ein paar Erkundigungen über den Hausbewohner eingezogen zu haben. Roberto wusste nicht einmal, wovon Raymond Aldrich lebte. Alles sprach dafür, dass er es gewohnt war, sich dieser Umgebung und ihrer Aufwendigkeit mit gelassener Routine zu bedienen.

„Briggs, Briggs?“, fragte der Hausbesitzer. „Den Namen höre ich zum ersten Mal.“

„Dann haben Sie mich empfangen, weil ich ihn im Zusammenhang mit Archie Wingate nannte“, sagte Roberto, dem auffiel, dass Aldrich keine Anstalten traf, ihm einen Platz anzubieten.

„So ist es“, sagte Aldrich.

Roberto schwieg. Er hätte eine Menge sagen können, aber nach Lage der Dinge hielt er es für sinnvoller, sein Gegenüber aus der Reserve zu locken.

„Sie hatten eine italienische Mutter?“, fragte Aldrich.

„Ja, Sir.“

Aldrich schüttelte seufzend den Kopf. „Ich bewundere sie. Die italienischen Mütter, meine ich. Sie sind tüchtig, fabelhafte Köchinnen, sie sind treu und loyal, ihr Familiensinn ist nicht zu übertreffen. Und doch züchten sie statt guter Bürger den Abschaum der Menschheit heran – Leute wie Sie, Mafiosi und Gangster, die zu einer Plage unseres Landes geworden sind.“

„Ich glaube nicht, dass es an den Müttern liegt, Sir“, sagte Roberto.

Raymond Aldrich löste sich vom Fenster. Er kam langsam auf Roberto zu. „Woran sonst? Diese braven Töchter ihres Glaubens sollten doch wissen, welche Explosivität in ihren kleinen Lieblingen steckt. Warum tun sie nichts, um diese schwarze Kraft in die richtigen Kanäle zu lenken?“

„Es liegt nicht allein an den Müttern. Wollen Sie ihnen vorwerfen, dass sie der Macht der Zärtlichkeit vertrauen?“, fragte Roberto.

„Ich hatte Sie mir anders vorgestellt.“

„Nämlich?“

„Ich weiß nicht genau. Sind Sie wirklich allein gekommen?“

„Ja.“

„Wingate muss sich seiner Sache sehr sicher sein.“

„Das ist er immer.“

„Sagen Sie ihm, dass er das Geld nicht vor morgen Abend haben kann.“

Roberto verzog keine Miene. „Sie kennen Wingate“, sagte er. „Er legt Wert auf plausible und vertretbare Begründungen.“

„Eigentlich wollte ich überhaupt nicht zahlen“, sagte Aldrich. „Warum auch? Niemand garantiert mir, dass sich das Ganze nicht wiederholen wird. Hätte ich gewusst, wozu Cindy fähig ist, wäre ich zurückhaltender gewesen, das dürfen Sie mir glauben. Im Lichte dessen, was Cindy mir angetan hat, kann ich nicht länger bedauern, dass sie auf diese Weise enden musste.“

„Zahlen Sie zum ersten Male?“ Aldrich runzelte die Augenbrauen. Roberto begriff, dass seine neugierige Frage demaskierenden Charakter hatte und ihn als Nichteingeweihten bloßstellte. Aldrich hob das Kinn. „Sie stellen merkwürdige Fragen.“

„Ich sollte Ihnen sagen, dass ich auf Ihrer Seite stehe“, meinte Roberto.

„Was soll dieser dumme Trick?“

„Ich arbeite nicht für Wingate. Ich arbeite gegen ihn“, erklärte Roberto. „Ich habe mir lediglich erlaubt, seinen Namen als 'Sesam öffne dich' zu benutzen.“

„Ich verstehe“, höhnte Aldrich. „Sie wollen mir auf den Zahn fühlen.“

„Ich wiederhole, dass ich nicht von ihm geschickt worden bin.“

„Woher haben Sie meine Adresse?“ Roberto zog das Kärtchen aus seiner Tasche. Aldrich nahm es entgegen. „Wer hat das geschrieben?“

„Wingate, vermute ich. Das Kärtchen war für einen Mann namens Louis Black bestimmt.“

Aldrich wurde blass. „Sagten Sie Louis Black?“

„Sie wissen, wer er ist?“

Aldrich gab Roberto das Kärtchen zurück. Er setzte sich, fuhr sich mit einem Finger zwischen Hals und Kragen und meinte leise: „Ich wohne lange genug in dieser Stadt, um gewisse Namen zu kennen. Gute wie schlechte. Black gehört nicht in diese Kategorien. Er hat seine eigenen. Sie sind so schwarz wie sein Name.“

„Die Karte kann nur eine Bedeutung haben“, meinte Roberto. „Black hatte den Auftrag, Sie zu besuchen.“

„Ich wage nicht daran zu denken, was dabei herauskommen könnte“, meinte Aldrich. „Wenn Black einen Besuchsort verlässt, pflegt er nicht selten einen Toten zurückzulassen. Sie wissen das, nehme ich an.“

„Ja, ich weiß es.“

Aldrich starrte in Robertos Gesicht. „Ich kann nicht ausschließen, dass Ihr Kommen dem Zweck dient, mich einzuschüchtern. Ich soll glauben, dass Black die Sache in die Hand genommen hat. Man will mich damit zur Zahlung animieren.“

„So umständlich würde Wingate nicht vorgehen, glaube ich“, sagte Roberto.

„Sie haben recht“, meinte Aldrich und biss sich auf die Unterlippe. Er schwitzte. Die Angst, die sich in seinem Gesicht zeigte, wollte nicht so recht zu seiner stolzen, aristokratischen Erscheinung passen. Roberto zählte zwei und zwei zusammen und kam dabei zu einem überraschenden Ergebnis.

„Wingate erpresst Sie. Es hängt auf irgendeine Weise mit Cindy zusammen. Sie haben versucht, sich zur Wehr zu setzen. Sie haben sich jemand verkauft und auf Wingate schießen lassen.“

Aldrich zuckte zusammen. „Was sagen Sie da? Ich bin doch nicht verrückt! Ich wünsche Wingate die Pest und den Tod an den Hals, aber ich würde mir niemals einfallen lassen, ihn zu attackieren. Das wäre Selbstmord. Außerdem verstieße es gegen meine ethischen Prinzipien“, fügte er ziemlich lahm und wenig überzeugend hinzu.

„Ich habe Black auf Eis gelegt. Ich kann ihm einen Mord nachweisen und dafür sorgen, dass er für immer aus dem Verkehr gezogen wird“, sagte Roberto. „Aber ehe ich das tue, wünsche ich mich des Mannas als Faustpfand zu bedienen. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis. Wenn ich Black vernichte, ist das für Wingate wie der Verlust eines Werkzeuges. Er würde keine Mühe haben, sich ein neues zu beschaffen. Mir geht es nicht um Black, sondern um Wingate.“

„Ich weiß nicht warum – aber ich fange an, Ihnen zu glauben“, sagte Aldrich langsam und offenkundig über sich selbst verwundert.

„Das ist gut. Es bringt uns voran. Wir sitzen in einem Boot, nehme ich an“, erwiderte Roberto.

„Nicht so hastig“, bremste Aldrich den Besucher und wies auf den Sessel, der ihm gegenüberstand. „Setzen Sie sich. Ich kann mit Ihrem Namen nichts anfangen. Wer sind Sie? Für wen arbeiten Sie?“

 

Roberto setzte sich. „Es tut mir leid, Ihnen darauf keine präzise Antwort geben zu können. Ich arbeite unter einem Decknamen und habe den Auftrag, Wingates kriminelle Praktiken zu untersuchen und den Mann, der sie verübt, aus dem Verkehr zu ziehen.“

„Sie sind verrückt“, entfuhr es Aldrich. „Das schafft einer allein nicht!“

„Ich bin nicht allein.“ Roberto lächelte.

Aldrich biss sich auf die Unterlippe.

Er tat das ziemlich häufig und dokumentierte damit, wie ängstlich und entschlossen er war. Dann erklärte er: „Ich muss es wagen. Ich habe nichts zu verlieren. Ich setze auf Sie.“ Er blickte Roberto ins Gesicht. „Ich werde erpresst, stimmt. Von Wingate. Er macht keinen Hehl daraus. Er hat Fotos, die Cindy und mich in sehr eindeutigen Situationen zeigen. Er will dafür einhunderttausend Dollar haben.“

„Wann hat er das Geld gefordert?“

„Lange vor Cindys Tod, schon vor vierzehn Tagen“, sagte Aldrich. „Ich habe ihn ausgelacht. Ich bin Witwer, wissen Sie. Natürlich wäre es meinem Image nicht dienlich, wenn Kopien der Bilder in meinen Kreisen auftauchten, aber die Leute würden darüber eher lachen als wirklich schockiert sein. Ich war entschlossen, nicht zu zahlen. Das ist jetzt anders geworden. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, warum.“

„Ich verstehe“, sagte Roberto, dem plötzlich aufging, welche teuflischen Perspektiven sich Wingate mit Cindys Tod eröffnet hatten. „Wingate will es so aussehen lassen, als wären Sie von Cindy erpresst worden – und als hätte sie deshalb sterben müssen.“

„Genau“, nickte Aldrich. „Polizisten denken einfach und geradlinig. Cindys Tod wird sie dazu verleiten, den Mann zu verdächtigen, den sie in eine so fatale Situation gebracht hat.“

„Man kann Ihnen das Verbrechen nicht beweisen“, sagte Roberto.

„Natürlich nicht – aber was soll ich machen, wenn Wingate solche 'Beweise' konstruiert? Ich bin ihm nicht gewachsen, nicht auf diesem Gebiet“, sagte Aldrich bitter. „Deshalb zahle ich.“

„Dabei wird es nicht bleiben.“

„Ich denke, Sie wollen mir helfen?“, fragte Aldrich.

Roberto rieb sich das Kinn. „Ich bin schon dabei“, versicherte er. „Haben Sie auf Wingate geschossen, oder jemand beauftragt, es zu tun?“

„Nein.“

„Ich frage mich, wer es getan haben könnte – und warum“, sagte Roberto.

Der Butler tauchte auf.

„Zwei Herren, Sir“, meldete er. „Sie kommen gleichfalls von Mr. Wingate.“

„Haben Sie ihnen gesagt, dass ich bereits Besuch habe?“, fragte Aldrich.

„Nein, Sir.“

„Gut. Sie dürfen es nicht erfahren. Halten Sie die Männer noch eine Minute hin ...“

„Ja, Sir“, erklärte der Butler und zog sich zurück.

Aldrich blickte sich gehetzt um. Dann wies er auf eine Tür, die ins Nebenzimmer führte. „Stellen Sie sich dahinter“, bat er. „Hören Sie sich an, was mir die Männer zu sagen haben.“




12


Bert Cramer war siebenundzwanzig und betätigte sich normalerweise als Bankhalter im 'Top Five'. Er entstammte einer angesehenen englischen Familie, die erst vor wenigen Jahren eingewandert war und hatte durch seine Drogensucht und den damit verbundenen, konstanten Geldbedarf seinen Weg zu Wingate gefunden.

Albert Morani war einunddreißig. Er arbeitete gleichfalls im 'Top Five', und zwar als Barmixer. Genau wie Bert Cramer wurde er hin und wieder von Wingate dazu verwendet, sich bei delikaten Aufträgen zu bewähren.

Cramer und Morani waren sich sehr ähnlich, sie waren dunkelhaarig, schlank und ungefähr gleichgroß. Der äußerlich auf Anhieb ins Auge fallende Hauptunterschied war die Tatsache, dass Bert Cramer sich englisch-konservativ kleidete, während Morani zu dandyhaft auffälliger Kleidung neigte und bunte Farben liebte.

Cramer trat als Sprecher auf, während Morani sich damit beschied, zu assistieren.

„Sie wissen, weshalb wir kommen, Sir“, sagte Cramer höflich.

„Ich habe das Geld nicht. Noch nicht“, schränkte Aldrich ein.

„Das ist nicht in Mr. Wingates Sinne, fürchte ich“, sagte Cramer. Von ihm wurde behauptet, dass er selbst dann seine guten Manieren nicht einbüßte, wenn es jemand gefiel, ihm in den Hintern zu treten.

„Ich kann es nicht ändern. Bitten Sie ihn um einen Aufschub“, sagte Aldrich. „Oder nein, lassen Sie das. Ich spreche mit ihm. Ich rufe ihn an.“

„Wir sollten Sie nur auf ein paar Kleinigkeiten hinweisen, Sir“, sagte Cramer. „Mein Freund Al kann bezeugen, wie Cindy versucht hat, eine Stange Geld von Ihnen zu bekommen. Was würde wohl die Polizei dazu sagen? Im Lichte von Cindy Beils tragischem Tod würde diesem kleinen Vorfall eine besondere Bedeutung zukommen, finden Sie nicht auch?“

„Wer würde Ihrem Freund schon glauben?“, höhnte Aldrich. „Ich wette, er hat mehr Vorstrafen auf der Latte als Pickel im Gesicht.“

„So sollten Sie mit ihm nicht sprechen, Sir“, warnte Cramer. „Al ist sensibel. Er hat es nicht gern, wenn man sich über geringfügige Makel in seiner Hautstruktur lustig macht. Habe ich recht, Al?“

„Du hast recht, Bert“, sagte Morani.

„Sehen Sie“, meinte Cramer, „der Boss hat befürchtet, dass Sie nicht spuren. Er hat uns aufgetragen, Ihnen eine letzte Frist einzuräumen und Ihnen gleichzeitig klarzumachen, was Ihnen blüht, wenn Sie Ihre Verzögerungstaktik fortsetzen. Al wird es Ihnen demonstrieren.“

Al Morani nahm die Hand aus der Tasche. Um den Handrücken spannte sich ein mit scharfkantigen Höckern besetzter Metallring, ein Totschläger.

Aldrich sprang auf und ballte seine Hände zu Fäusten. „Wagen Sie es nicht, mich anzufassen!“, stieß er hervor. Er war sich seiner panischen Angst bewusst und schämte sich des Umstandes, dass er vor „Briggs“ so hysterisch reagierte. Aber er konnte nicht anders. Ihm wurde ganz schlecht bei dem Gedanken, dass die beiden Gangster es wagen könnten, sein Gesicht zu verunstalten.

„Sehen Sie, Aldrich“, spottete Cramer, „Sie machen es uns wirklich schwer. Schließlich war alles abgesprochen. Mr. Wingate hat Ihnen eine gute Offerte gemacht. Er ist bereit, Ihnen als eine Art von Freundschaftsdienst die Bilder zu verkaufen, die der Polizei klarmachen würden, dass nur Sie als Cindys Mörder in Betracht kommen. Mr. Wingate findet, dass hunderttausend Dollar dafür ein angemessener Preis sind. Ich wundere mich, dass Sie das anders sehen.“

„Ich sage ja, dass ich zahle. Sie und ich wissen, dass ich Cindy nicht getötet habe. Aber das können wir beiseite lassen, schließlich geht es hier nicht um die Wahrheitsfindung, sondern um das, was ich tun muss, wenn ich nicht in die fatale Lage geraten will, über Wochen hinweg für Schlagzeilen in den Zeitungen zu sorgen.“

„Das haben Sie mit bewundernswerter Klarheit und Schärfe erkannt“, grinste Cramer. „Ich denke, wir können uns jetzt verabschieden. Gib Mr. Aldrich die Hand, Al.“

Alfred Morani trat nach vorn. Er zeigte seine festen, bräunlichen Zähne. „Nein!“, schrie Aldrich und wich rückwärtsgehend vor dem Barmixer zurück. Er hob wie schützend die Hände, aber Moranis hochfliegende Faust fand eine Lücke. Der Schlagring schrammte erbarmungslos über Aldrichs Wange. Aldrich schrie vor Wut und Schmerz, er stürzte zu Boden.

„Machen Sie mit dem Boss den nächsten Termin aus, wir werden uns dann wiedersehen“, sagte Cramer und ging mit Morani zur Tür.

Die öffnete sich. Der Butler tauchte auf. Seine Augen wurden rund, als er seinen Boss blutend am Boden liegen sah. Er trat den Männern in den Weg. „Stopp! Ich rufe die Polizei“, rief er. „Ich verbiete Ihnen, das Haus zu verlassen!“

„Gib ihm eine Abreibung, Al“, sagte Cramer belustigt. „Sein Gesicht kann eine Korrektur vertragen.“

Morani schlug zu. Der Butler ging wimmernd zu Boden, und die Männer verließen das Haus.




13


Roberto betrat den Salon.

Raymond Aldrich hatte sich inzwischen erhoben. Er stand vor dem Spiegel und betastete die blutende Wange.

„Diese Schweine“, murmelte er. „Diese Schweine!“ Er wandte sich Roberto zu. „Sie hätten mir helfen können. Warum haben Sie es nicht getan?“

Roberto ging auf den Butler zu und war ihm beim Aufstehen behilflich. „Damit hätten wir alles kaputtgemacht“, erklärte er und ließ damit erkennen, dass er Aldrichs Verletzung nicht für gravierend hielt.

„Soll ich die Polizei verständigen, Sir?“, erkundigte sich der Butler mit bebender Stimme. Er hatte einen Schlag aufs Kinn bekommen, seine Haut war aufgerissen, aber er blutete nicht.

„Nein, um Himmels willen – auf keinen Fall!“, sagte Aldrich. „Pflegen Sie Ihre Wunde, Howard. Ich kann mich jetzt nicht um Sie kümmern. Wir sprechen später über das Ganze.“

Der Butler zog sich zurück.

Aldrich zog ein Taschentuch aus seiner Hose, tupfte sich das Blut ab und meinte achselzuckend: „Ich werde zahlen. Was soll ich sonst tun? Mit Wingate legt man sich nicht an. Ich weiß, was Sie mir vorschlagen wollen. Ich soll ihm eine Falle stellen, nicht wahr? Wir könnten seine Leute bei der Geldübergabe schnappen. Was wäre damit gewonnen? Die beiden Männer würden Wingate nicht belasten, und er würde bestreiten, in die Sache verwickelt zu sein. Er hat die Bilder von mir. Er hat die 'Beweise'. Ich bin ihm ausgeliefert.“

„Das sehe ich anders“, erklärte Roberto. „Ich erkläre Ihnen jetzt, was wir tun werden, um Wingate aus dem Verkehr zu ziehen. Wenn Sie mitspielen, bietet sich Ihnen eine gute Chance, seinen Namen von der Liste Ihrer Problemfälle zu streichen.“




14


Roberto fuhr zur 107ten Straße.

Er fand die Tür von Marettis Wohnung angelehnt vor, so wie er sie verlassen hatte. Roberto betrat das Apartment. Er kam keine Minute zu spät.

Louis Black hatte Robertos Warnungen ignoriert und versucht, sich von seinen Fesseln zu befreien. Die Knoten hatten sich dabei so weit zugezogen, dass Black Gefahr lief, ein Opfer der gebremsten Blutzirkulation zu werden.

 

Roberto verschaffte Black Erleichterung, band ihn aber nicht los. In Blacks Augen standen Tränen der Wut. „Willst du mich verrecken lassen?“, japste er.

„Im Gegenteil. Wäre ich sonst zurückgekommen?“, fragte Roberto.

„Ich kann dich nicht einordnen. Was hast du vor, wer bist du?“

„Ich wiederhole mich“, erklärte Roberto und richtete sich auf. „Hier stelle ich die Fragen.“

Black atmete mit offenem Mund. Er hatte eine qualvolle Stunde hinter sich. Sie war von der Furcht vor einem langsamen, schmerzhaften Tod bestimmt worden. Er war mit seinen Nerven am Ende.

„Das ist Folter“, klagte er.

„Ich hasse diese Dinge“, sagte Roberto. „Hätten Sie sich an meine Worte gehalten, wären Ihnen diese Schmerzen erspart geblieben.“

„Du bist kein Bulle. Wärest du einer, hätten sie mich längst abgeholt“, erkannte Black.

Roberto setzte sich. „Ich habe Maretti gefunden“, sagte er.

Black schloss die Augen. Er schwieg.

Roberto schwieg gleichfalls. Eine Uhr tickte. Von der Straße herauf ertönte das Kreischen eines scharf bremsenden Autos. Ihm folgte wütendes Hupen.

Black hob die Lider. Er schaute Roberto an. Roberto sah, wie es in dem Killer arbeitete. Es war nicht zu erwarten, dass Black den Mord an Maretti gestand, aber er würde vermutlich versuchen, sich aus der Affäre zu ziehen, indem er ein paar Informationen preisgab, die er unter normalen Umständen für sich behalten haben würde.

„Ich warte“, sagte Roberto geduldig.

„Was willst du wissen?“

„Alles über Wingate“, sagte Roberto.

„Wirst du von Gonella bezahlt?“

„Ich stelle hier die Fragen“, sagte Roberto geduldig.

„Archie ist ein Aufsteiger. Ein Mann, dem buchstäblich alles gelingt. Er hat sich den richtigen Goldfisch an die Angel gehängt, weißt du. Babs Gonella, das war seinerzeit die Wahl des Jahres. Mit so einer Puppe an seiner Seite konnte Archie nichts schiefgehen. Heute sieht das anders aus. Er hat den Bogen überspannt.“

„Tatsächlich?“, fragte Roberto. Es klang nicht sehr interessiert, aber er war hellwach.

„Die meisten Burschen sehen in Archie einen Mafia-Mann. Er ist es nicht. Er profitiert lediglich davon, dass man ihn wegen seines Mafia-Schwiegervaters der Ehrenwerten Gesellschaft zurechnet.“

„Weiter“, sagte Roberto.

„Ich habe schon alles gesagt. Archie betreibt einen Spielklub besonderer Art. Er zahlt dafür an die Bezirks-Mafia eine pauschale Lizenzgebühr. Mit dem Klub macht er einen Haufen Geld. Reiche Leute mit nicht enden wollender Spielleidenschaft gibt’s in dieser Stadt mehr als genug.“

„Das ist nicht seine Haupteinnahmequelle“, erklärte Roberto.

Black starrte zur Decke hoch. „Diese Leute bekommen, was sie verdienen“, meinte er. „Sie lassen sich mit irgendwelchen Gänschen ein, hüpfen mit ihnen auf die Spielwiese und wundern sich, wenn von diesem Ereignis pikante Fotos hergestellt werden. Bilder dieser Art sind teuer, das brauche ich nicht extra zu betonen.“

„Hängt Gonella mit drin?“

„Archie benutzt ihn als Aushängeschild. Es ist für ihn verdammt nützlich, Don Brunos Schwiegersohn zu sein. Aber in letzter Zeit gibt’s Probleme.“

„Nämlich?“

„Denk mal nach. Die Mafia hat wahrhaftig eine Menge für Archie getan“, sagte Louis Black. „Und warum? Bloß weil Archie Babs geheiratet hat. Aber was hat Archie denn für die Mafia getan? So gut wie nichts. Die mickrigen Lizenzgebühren und gelegentlich ein paar freundliche Worte, ein Tipp, eine Information – das ist alles, mehr war niemals drin. Archie hat seinen Einfluss im Bezirk zielstrebig ausgeweitet. Und sein Einkommen. Mit einer neuen Erpressertour kassiert er hunderttausende. Er ist zum Dollar-Hai von Calumet City geworden. Glaubst du im Ernst, die Mafia würde sich diese Entwicklung bieten lassen? Ich will dir sagen, wer nach meiner Ansicht auf Archie geballert hat. Das waren Mafia-Killer. Entweder wollten sie ihn warnen – oder umlegen.“

„Haben Sie Beweise für Ihre Theorie?“

„Beweise!“, schnarrte Black verächtlich. „Wie stellst du dir das vor? Man hört hier eine Kleinigkeit, man schnappt dort etwas auf, das Ganze rundet sich zu einem Bild ab, mehr ist nicht drin.“

„Weiß Archie, dass gegen ihn zur Treibjagd geblasen wird?“, fragte Roberto.

„Nein.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gonella seinen Schwiegersohn vernichten will. Damit trifft er die eigene Tochter“, sagte Roberto.

„Ich glaube nicht, dass sie Archie aus dem Verkehr ziehen wollen. Er soll bloß seine Grenzen aufgezeigt bekommen. Die wollen ihn nicht zum King von Calumet City werden lassen. Auf diesen Titel erheben andere den Anspruch. Nein, Archie hat keine Ahnung was ihn erwartet. Wenn einer wie er ständig auf Erfolgskurs steuert und niemals ernsthaft auf die Nase gefallen ist, wird er überheblich. Dann hält er sich für unfehlbar. In so einem Fall ist niemand bereit, ihn zu warnen. Er gehört zu denen, die glauben, ohne gute Ratschläge auskommen zu können, weil sie sich für super halten, für nicht angreifbar, für die Krone der Schöpfung.“

„Trotzdem arbeiten Sie für ihn?“

„Mich kümmert das nicht. Ich finde immer wieder einen Job“, sagte Black.

„Oder auch nicht.“

„Willst du mich fertigmachen?“

„Ich lege Ihnen das Handwerk, das ist alles“, sagte Roberto.

„Das ist nicht fair. Ich habe ausgepackt und versucht, dir zu helfen“, beklagte sich Black.

„Wissen Sie überhaupt, was das ist – Fairness?“, fragte Roberto. Er schüttelte den Kopf und stand auf. „Es hat wenig Zweck, mit Ihnen darüber zu reden. Ich weiß, dass Sie Maretti abserviert haben. Dafür müssen Sie geradestehen.“

„Maretti war ein Killer, er hat die Kleine umgepustet, Cindy Bell, meine ich.“

„Ich weiß.“

„Was hast du mit der Adresse angestellt, die sich in dem Umschlag befand?“, fragte Black lauernd.

„Ich habe dem Mann einen Besuch abgestattet. Zufrieden?“

„Binde mich los!“

Roberto trat ans Telefon. Als er Myers Geheimnummer wählte, deckte er den Apparat mit seinem Rücken ab. Der Anrufbeantworter meldete sich. Roberto legte auf und ging zur Tür. „Es kann etwas dauern, ehe ich mich erneut um Sie kümmere“, sagte er. „Ich hoffe, Sie haben etwas dazugelernt und versuchen kein zweites Mal, sich von den Fesseln zu befreien.“