Killer sind auch nur Mörder: 7 Strand Krimis

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2


Roberto Tardelli betrat den Saal.

Er trug geflochtene Ledermokassins, eine schlecht gebügelte Flanellhose, einen Tweedsakko, ein kariertes Hemd und eine Krawatte, die seinen Sinn für Ästhetik drangsalierte, die aber vermutlich keinem in dieser Umgebung auffiel. In Calumet City gehörten schreiende Farben zum guten Ton.

Roberto Tardelli war es gewöhnt, sich mit falschen Namen und Farben zu schmücken. Obwohl er für eine Dienststelle des Justizministeriums arbeitete, die sich Counter Organized Crime Department, kurz COUNTER CRIME, nannte, war es ihm aus vielerlei Gründen nicht vergönnt, sich als Mitglied dieser Organisation auszugeben.

Zum Ersten war sie geheim, zum Zweiten brauchte nicht publik werden, dass Roberto Tardelli noch immer auf den Fahndungslisten der Polizei stand.

Roberto wurde wegen Polizistenmordes gesucht. Die Fahndungslisten verschwiegen, dass es sich um einen Notwehrfall handelte. COUNTER CRIME kannte die wahren Zusammenhänge, war aber aus taktischen Gründen noch nicht imstande, Roberto zu helfen.

Immerhin bezahlte sie ihn großzügig. Er arbeitete fast immer allein, und seine Aufträge waren im Allgemeinen so explosiv wie eine Fünftonnenbombe mit schadhaftem Zünder.

Er sah, dass Cindy Bell tanzte.

Ihm gefiel nicht, dass sie es mit Herb Greene tat, aber das war in diesem Augenblick sekundär. Es war nicht seine Aufgabe, sich mit Cindys Partnerwahl auseinanderzusetzen; er war hergekommen, um sich von ihr ein paar entscheidende Tipps zu holen.

Der Name, den er ihr genannt hatte, stand auch auf seinen Ausweispapieren. Sie waren schon deshalb nicht von echten zu unterscheiden, weil COUNTER CRIME nur Spitzenkräfte beschäftigte und das Originalpapier mit allem notwendigen Drum und Dran verwendete.

Roberto war überrascht davon, wie gut besucht das Lokal war. Er hatte so kurz nach neun nicht mit diesem Betrieb gerechnet. Immerhin hatte er Glück. Er fand einen Zweiertisch etwas abseits der Tanzfläche, der es ihm gestattete, mit dem Rücken zur Wand zu sitzen und das Geschehen im Saal im Auge zu behalten.

Er orderte beim Kellner einen Whisky, obwohl er nicht vorhatte, ihn zu trinken. Der Whisky gehörte im gleichen Maße zu seiner Tarnung wie das Karohemd, der bunte Schlips und die geschmacklosen Mokassins.

Roberto sah, dass Greene sich beim Tanzen mit dem Mädchen unterhielt. Der Weißhaarige löste sich von Cindy, zog sie wieder zu sich heran, ließ sie unter dem gehobenen Arm hindurchtanzen und demonstrierte mit ein paar Figuren, wie elegant er sich zu bewegen vermochte.

Irgendetwas daran missfiel Roberto, aber er kam erst später dahinter, was es war.

Der Slow lud nicht zu einer Figurenauflösung ein. Im Gegenteil. Die meisten Tanzpaare zogen es vor, in den Clinch zu gehen und dem Partner die Qualitäten der eigenen Anschmiegsamkeit zu demonstrieren.

Roberto sah das Aufblitzen oberhalb der stuckreichen Bühneneinfassung aus den Augenwinkeln heraus. Das Krachen des Schusses fiel mit dem Einsatz der Bläsergruppe zusammen. Die Musik war laut, aber nicht laut genug, um den Knall zu übertönen.

Die Tanzpaare blieben stehen, Köpfe hoben und drehten sich, eine allgemeine Unruhe brachte die Menge auf dem Glasparkett aus dem Rhythmus.

Roberto sprang auf.

Er hatte früher als die meisten anderen gesehen und erfasst, was los war.

Ein Mädchen schrie.

Ihr hysterischer Ausbruch bildete das Signal für eine allgemeine Flucht von der Tanzfläche. Die Paare behinderten sich dabei gegenseitig. Zwei von ihnen stürzten, waren aber sofort wieder auf den Beinen.

Jetzt schrien auch andere, die aufkommende Panik war ansteckend.

Die Leute an den Tischen sprangen auf, um zu sehen, was es gab.

Die Musik zerfaserte mit grotesken Falsch- und Quietschlauten. Auf der Tanzfläche blieben nur zwei Menschen zurück. Ein Mann und ein Mädchen.

Cindy Bell lag am Boden.

Das großkalibrige Projektil hatte ihren Hinterkopf getroffen. Das ausströmende Blut färbte ihr blondes Haar. Die unter den Glassteinen angebrachten Lampen ließen den Lebenssaft noch einmal rot auf leuchten und verhalten ihm zu einer Kraft, den er seiner Besitzerin nicht länger geben konnte.

Herb Greene stand wie erstarrt, mit hängenden Schultern und weit aufgerissenen Augen. Im nächsten Moment presste er die Augen zusammen, unfähig, den entsetzlichen Anblick auch nur eine Sekunde länger zu ertragen.

Roberto Tardelli befand sich bereits auf dem Weg zur Tür. Er hatte es eilig, nach draußen zu kommen.

Roberto wusste, wo sich der Standort des Mörders befunden hatte. Der Killer würde versuchen, in der allgemeinen Aufregung zu entkommen. Roberto war entschlossen, diesen Fluchtversuch zu stoppen.




3


Im Foyer kamen ihm gut gelaunte Paare entgegen. Der Ausbruch von Panik und Entsetzen beschränkte sich auf den Saal, aber sicherlich würden die überschwappenden Wellen des Ereignisses bald das Umfeld erreichen.

Roberto betrat die Straße.

Er begann zu rennen.

Ihm war klar, dass der Schütze den Fluchtweg über die Seiten oder Hinterfront des alten Gebäudes wählen würde und damit rechnete, unerkannt vom Tatort zu entkommen.

Roberto erreichte die Zufahrt zum Bühnenhaus. Sie war durch eine einsam im Abendwind schaukelnde Lampe erhellt. Er sondierte mit einem Blick die Umgebung und zog sich auf die andere Straßenseite zurück.

Er beobachtete aus dem Dunkel einer Einfahrt heraus den Schatten, der sich an der Feuerleiter des Theaters herabbewegte. Als er nur eine halbe Minute später den Lichtkreis der Lampe erreichte, wurde er zu einer konkreten, männlichen Gestalt, die sich leicht gebückt und ohne erkennbare Eile vorwärtsbewegte.

Der Mann hatte ein Trompetenfutteral bei sich. Der Kragen des olivgrünen Raglans war hochgestellt. Der Mann verließ das Theatergelände, überquerte die Fahrbahn und näherte sich geradewegs der Einfahrt, in der Roberto lehnte und das Geschehen verfolgte.

Dann, ganz plötzlich, bog der Mann nach rechts ab. Er verschwand in einer Seitenstraße. Roberto folgte ihm. Der Mann stoppte nach knapp hundert Schritten an einer dunkelgrünen Pontiac Bonneville Limousine, schloss die Fahrertür auf und stieg ein.

Roberto war bereits unterwegs. Es war jetzt leicht, ein Taxi zu bekommen. Viele Besucher ließen sich mit diesem Transportmittel zum 'Plaza' bringen. Die sofort wendenden Wagen waren leer.

Roberto kletterte in das erstbeste Taxi und teilte dem Fahrer mit, worum es ging.

„Verfolgungsjagden kosten Zuschlag, Mister“, erklärte der Fahrer gelassen.

„Geht in Ordnung“, meinte Roberto ruhig. Er war mit der habgierigen Cleverness der Taxifahrer vertraut und sah keinen Sinn im Feilschen oder Argumentieren. Roberto überließ dem Fahrer eine Zehndollarnote als sichtbares Zeichen seiner Kooperationsbereitschaft. Der Fahrer steckte das Geld ein und machte mit seinen nächsten Worten klar, dass er sich in diesem Metier auskannte. „Ich bleibe auf Distanz, Mister. Der entkommt uns nicht. Aber wer ist es eigentlich?“

„Nächste Straße rechts. Ja, die. Drücken Sie ein bisschen auf die Tube“, sagte Roberto.

An der übernächsten Kreuzung hatten sie den Bonneville eingeholt. Der Trip endete wenig später in der 107ten Straße. Der Fahrer des Pontiac lenkte seinen Wagen auf einen Bauplatz, der zur Hälfte als Parkfläche genutzt wurde.

„Fahren Sie weiter“, bat Roberto und ließ das Taxi an der nächsten Kreuzung halten. Roberto zahlte, stieg aus und beobachtete, wie der Mann mit dem Trompetenfutteral die Straße überquerte und in einem sechsstöckigen roten Backsteinhaus verschwand. Roberto marschierte los und blieb knapp vierzig Sekunden später vor dem Haus stehen. Es war die 74. Hinter zwei Fenstern im dritten Stockwerk flammte Licht auf. Der Schatten des Mannes im Raglanmantel wurde sichtbar, die Rollos ließen von den hellen Fensterrechtecken nur schmale Seitenstreifen übrig.

 

Roberto betrat das Haus, ging nach oben und stellte fest, wem die Wohnung gehörte.

Rufus Maretti. Der Name sagte ihm nichts.

Roberto blieb eine volle Minute lang vor der Tür stehen, dann fasste er den Entschluss, kehrtzumachen.

Er betrat die Straße. Diesmal benötigte er fast zehn Minuten, um ein leeres Taxi zu stoppen. Er ließ sich zum 'Plaza' bringen, vor dessen Eingang sich uniformierte Polizisten gerade darum bemühten, eine neugierige Menschenmenge unter Kontrolle zu halten.

Etwas abseits der Menge hatte sich eine weitere Menschentraube gebildet; sie umlagerte einen weißhaarigen Mann, der von mehreren Reportern mit Fragen bombardiert wurde. Roberto trat hinzu.

„Ich kann Ihnen nicht mehr sagen als das, was Sie bereits wissen“, versicherte der Weißhaarige. „Das Geschehen traf mich wie ein Schock. Ich werde nicht vergessen, wie Cindys Lächeln plötzlich gefror, wie das Leben in ihrem Gesicht vom Tod abgelöst wurde ...“ Er rang nach Worten. „Lassen Sie mich jetzt gehen, bitte. Mir ist zumute, als müsste ich mich übergeben.“




4


Herb Greene schloss die Wohnungstür hinter sich. Er hängte die Kette ein, ging ins Bad, hielt seinen Kopf unter den kalten Wasserstrahl, starrte in den Spiegel und spuckte sich an.

„Du Scheißkerl“, keuchte er. Ein kurzes, würgendes Schluchzen überfiel ihn, dann war der Anfall von Reue und Selbstmitleid vorbei. Er ging ins Wohnzimmer, genehmigte sich einen Whisky, trank ihn mit maßvollen Schlucken und versuchte, den Anblick der in ihrem Blute liegenden Cindy zu vergessen.

Es ging nicht. Nicht nach einem Whisky. Vielleicht auch nicht nach zehn. Er fragte sich, wie lange er wohl brauchen würde, um das grauenvolle Erlebnis aus seinen Gedanken zu vertreiben.

Das Telefon klingelte.

Herb Greene warf einen Blick auf seine Uhr. Es war gleich zehn.

Er nahm nicht ab. Er konnte und wollte jetzt mit keinem Menschen sprechen. Weder mit der Polizei, noch mit diesen verdammten Reportern, die einem die Seele aus dem Leib fragen konnten. Seine Linie war festgelegt. Er hatte nicht vor, sie zu verlassen.

Das Telefon klingelte weiter. Greene stellte das Glas beiseite und nahm den Hörer ab. „Ja?“, bellte er mürrisch hinein.

„Alles okay?“, tönte ihm eine seidige, männliche Stimme entgegen.

Greene straffte sich wie ein Soldat, der am Telefon die Stimme seines Kompaniechefs vernimmt. „Ja, Sir.“

„Hat’s Komplikationen gegeben?“

„Keine.“

„Hat sie mit ihm gesprochen?“

„Nicht in meiner Gegenwart, Sir“, antwortete Greene. „Und auch sonst nicht.“

„Er wird an dich herantreten.“

„Warum sollte er das tun?“, fragte Greene verblüfft.

„Er nimmt an, dass du weißt, was sie ihm sagen wollte. Schließlich warst du ihr Freund.“

„Ja“, brummte Greene. Er hatte einen Kloß im Hals sitzen.

Arme Cindy!

Streng genommen war sie das Beste gewesen, das ihm jemals im Leben begegnet war. Er erinnerte sich an ihre saugenden Lippen, an ihren biegsamen Leib und an ihre Schlangenarme. Plötzlich hasste er den Anrufer fast noch mehr als sich selbst.

„Er wird die Informationen jetzt von dir haben wollen“, meinte der Anrufer. „Nagle ihn fest. Wir brauchen ihn.“

„Wofür?“

„Für den Friedhof. Neben Cindy ist noch ein Plätzchen frei“, sagte der Mann mit der seidigen Stimme.

Greene schwieg. Sein Hass nahm zu, aber daneben war noch etwas anderes in ihm lebendig, sein stets wacher Sinn, sein Hang zum Geldkassieren.

„Wie viel?“, fragte er.

„Fünf Riesen“, meinte der Anrufer, „immer vorausgesetzt, dass du deine Sache gutmachst.“

„Sie können sich auf mich verlassen, Sir“, erklärte Greene und spürte selbst, wie fremd und bitter seine Stimme klang.




5


Zweiundzwanzig Uhr fünfzig.

Es klingelte.

Rufus Maretti runzelte irritiert die Augenbrauen. Er stand auf und säuberte sich seine Finger mit einem weichen Lappen. Vor ihm lag das auseinandergenommene, gereinigte Gewehr auf dem Küchentisch. Der scharfe Geruch des Gewehröls hing in der Luft. Er war auch mit Hilfe des weit geöffneten Fensters nicht ohne weiteres zum Abzug zu bewegen. Rufus Maretti ging in die Diele. Er schloss die Küchentür hinter sich und rief misstrauisch: „Wer ist da?“

„Polizei. Öffnen Sie!“

Rufus Maretti fuhr zusammen. Er war sich seiner Sache völlig sicher gewesen, sonst hätte er schwerlich den Nerv gehabt, mit der Mordwaffe geradewegs in seine Wohnung zurückzukehren. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Er dachte an Flucht, begriff aber im nächsten Moment, wie sinnlos ein solcher Versuch sein würde. Wenn sie hinter ihm her waren, standen sie nicht nur vor der Tür, dann hatten sie das Haus umstellt und warteten nur darauf, dass er sich mit einer Panikaktion verriet.

Er durfte nicht die Nerven verlieren. Noch gab es dafür keinen Anlass. Er hatte häufig Ärger mit den Bullen. Oft bezichtigten sie ihn irgendeines Verbrechens, das scheinbar seine Handschrift trug, in Wahrheit aber von der Konkurrenz verübt worden war.

„Moment“, sagte er laut. „Nur eine halbe Minute. Ich ziehe mir was über.“

Er ging ins Bad und wusch sich die Hände. Er rieb sie trocken und hielt sie unter die kritisch schnuppernde Nase. Das Parfüm der Seife war außerstande, den Geruch des Gewehröls zu überdecken. Maretti zerquetschte einen Fluch zwischen den Zähnen, kehrte zurück in die Diele und öffnete die Wohnungstür.

Vor ihm stand ein Mann, den er nicht kannte.

Der Mann war nicht älter als dreißig, mittelgroß, breitschultrig und irgendwie sehr kompakt. Dieser Eindruck wurde verstärkt durch einen zu kurz geratenen Hals, der einen vierkantigen Schädel mit dunkelblondem Stoppelhaar, schorfigen Lippen und dunklen, weit auseinanderstehenden Augen trug.

Der Mann hatte ein mehr als unangenehmes Gesicht, aber es wirkte geradezu süß und anheimelnd im Vergleich zu dem, was seine Finger umspannten.

Es war ein Revolver mit aufgesetztem Schalldämpfer. Die Waffe zielte geradewegs auf Rufus Marettis Brustpartie.




6


Marettis Blut strömte vom Herzen weg und schlug in einer heißen Welle dorthin zurück.

Er starrte dem Fremden ins Gesicht und hatte wahrhaftig keinen Anlass, froh zu sein. Mit Bullen ließ sich reden, mit Gunmen nicht.

Trotzdem, irgendetwas musste geschehen, und zwar rasch. Er konnte nicht einfach dastehen und darauf warten, dass der Besucher den Finger am Abzug krümmte.

Maretti schlug die Tür zu. Er versuchte es jedenfalls, aber sie wurde hart gestoppt und schwang sofort wieder zurück. Der Fußkonter des Mannes zeichnete sich durch genaues Timing aus.

„He, was soll das?“, würgte Maretti hervor.

„Nimm die Klauen hoch, Killer“, sagte der Fremde.

Maretti gehorchte.

Die Stimme des Eindringlings war nicht sehr laut, ziemlich hell und für Maretti quälend unangenehm. Sie enthielt den gezielten Spott eines Mannes, der Vergnügen daran empfindet, sein Opfer zu demütigen.

Maretti machte kehrt. Er trabte mit erhobenen Händen ins Wohnzimmer, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Der Revolvermann folgte ihm, nachdem er die Schwelle überschritten und die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte.

Im Sideboard lag im oberen Schubfach eine geladene, entsicherte Pistole. Maretti hegte die Hoffnung, die Waffe gegen den Besucher ins Spiel bringen zu können. Jedenfalls war Maretti entschlossen, seine Haut so teuer wie nur möglich zu verkaufen.

Der anfängliche Schock ließ nach. Der Fremde hatte nicht sofort abgedrückt, das war ein gutes Zeichen und berechtigte zu einer etwas optimistischeren Lagebeurteilung. Maretti war gespannt, was der unheimliche späte Besucher von ihm zu wissen begehrte.

Maretti ging bis zum Sideboard, dort drehte er sich um und blickte dem Fremden ins Gesicht. „Ich habe nicht viel Geld im Hause“, sagte Maretti. „Nur vierzig oder fünfzig Dollar. Sie sind in meiner Geldbörse. Sie steckt im Mantel. Er hängt in der Garderobe.“

Der Besucher drückte mit dem Fuß die Wohnzimmertür hinter sich ins Schloss, dann lehnte er sich mit dem Rücken gegen deren weiß lackierte Füllung. Er ließ Maretti keine Sekunde aus den Augen.

„Du hast wie ein blutiger Anfänger gearbeitet“, sagte der Besucher. Seine sanfte Stimme war verächtlich und voller Hohn.

„He?“, entfuhr es Maretti. Er riss die Augen weit auf und begann zu ahnen, wen er vor sich hatte.

Der Fremde konnte nur von Archie Wingate geschickt worden sein.

ARCHIE WINGATES KILLER!

Maretti war zumute, als würde seine Kehle von einer Seidenkordel zugeschnürt. Er hatte Mühe zu atmen und begriff, wie falsch es gewesen war, den Auftrag als ein sicheres Indiz dafür zu werten, dass die Großen der Stadt ihn endlich bemerkt und anerkannt hatten.

Archie Wingate hatte ihn lediglich als billiges Werkzeug missbraucht und war, wie es schien, fest entschlossen, sich davon zu trennen.

„Du hast die Puppe umgelegt, okay“, sagte der Fremde. Seine kräftigen Hände steckten in dünnen, nagelneu aussehenden Lederhandschuhen. Sein Finger lag am Druckpunkt des Abzugs. „Dann bist du nach Hause gefahren. Wir haben dich beobachtet. Und wir haben beobachtet, dass du beobachtet wurdest.“

Maretti schluckte. Er hatte keinen Blick zurückgeworfen. Warum auch? Es war ihm gelungen, den Auftrag zu erledigen, glatt und ohne Pannen. Er hatte sich voller Stolz an die umfangreichen Vorbereitungen erinnert und gemeint, den perfekten Mord verübt zu haben. Jetzt zeigte es sich, wie dumm es gewesen war, in eine solche Euphorie zu verfallen.

Er hätte sich sagen müssen, dass Wingate ihm ein paar Aufpasser auf den Hals hetzen würde. Wingate überließ nichts dem Zufall, er traute keinem über den Weg. Wingate war stets gut informiert und galt als das größte organisatorische Talent der Stadt.

 

„Nach solch einem Job konzentriert man sich darauf, seine Flucht abzusichern“, meinte der Besucher. „Du hast nichts dergleichen getan. Du bist in deinen Wagen geklettert und ohne Umwege nach Hause gefahren – wie ein Angestellter es tut, der nach getaner Arbeit das Büro verlässt. So handeln nur Stümper oder Superprofis. Du bist kein Superprofi, du glaubtest nur, wie einer auftreten zu können. Ein Superprofi hätte nämlich bemerkt, dass er beschattet wird. Dir ist das entgangen.“

„Wenn du hinter mir her warst ...“

„Ich war nicht hinter dir her“, fiel der Fremde ihm ins Wort. „Ich saß dem Haus gegenüber in meinem Wagen und beobachtete deine Ankunft. Als du aufkreuztest, wurde mir sofort klar, welche Bedeutung das Taxi hatte, das dir folgte.“

„Ein Taxi?“

„Ein Mann von eins fünfundachtzig, noch jung, so um die sechsundzwanzig herum, würde ich sagen. Groß, schlank, Typ eines Italo-Amerikaners. Er fuhr mit dem Schlitten bis zur nächsten Kreuzung, stieg aus und kam zu Fuß zurück. Er wartete, bis in deiner Bude das Licht anging, dann betrat er das Haus und blieb kurze Zeit darin. Er weiß jetzt, wer du bist, Maretti. Er kennt Cindys Killer.“

„Das ist ... das ist ...“, murmelte Maretti.

„Gefährlich“, ergänzte der Fremde, da dem erregten und fassungslosen Maretti die passenden Worte nicht einfielen. „Zu gefährlich für uns“, fügte er hinzu. „Der Boss hasst es, Risiken einzugehen.“

„Ich war ihm gut genug für den Job, und ich habe die Aufgabe problemfrei gelöst!“

„Nicht ganz“, sagte der Besucher grinsend.

„Wer bist du?“

„Warum soll ich dir meinen Namen verschweigen? Ich bin Louis Black.“ Louis Black.

Der Name traf Maretti wie ein Faustschlag. Es war ein Name, der Gewicht hatte, den man flüsterte oder hinter vorgehaltener Hand nannte. Das Markenzeichen eines Killers, ein Symbol für Härte und Brutalität.

„Black“, murmelte Maretti und sah für sich so schwarz wie der Name des Killers es ausdrückte. Maretti bemühte sich, seine Angst zu überwinden. Er trat die Flucht nach vorn an. „Wenn du bemerkt hast, dass mir jemand gefolgt ist, wüsste ich gern, warum du nicht festgestellt hast, wie der Kerl heißt und wo er wohnt.“

„Warum hätte ich ihm folgen sollen?“, spottete Black. „Er wird wiederkommen.“

„Hierher?“

„Hierher“, nickte Black.

„Ich nehme ihn in Empfang“, erklärte Maretti, dem jetzt das Hemd am Leibe klebte. „Du musst mir nur sagen, was ich tun soll. Wenn du willst, blase ich ihm die grauen Zellen aus dem Schädel.“

„Das ist ein Job für Profis“, sagte Black.

„Ich bin ein Profi. Ich habe bewiesen, dass ich einer bin. Cindy Bell ist tot. Sie werden keine Spuren von mir finden, mein Wort darauf!“

„Ja, sie werden keine Spuren von dir finden“, bestätigte Louis Black. Seine Mundwinkel zuckten. In seine dunklen, weit auseinanderstehenden Augen trat ein harter, kalter Glanz.

Er hob die Waffe um wenige Millimeter, sein rechtes Auge schloss sich.

Maretti zuckte auf den Absätzen herum. Er wusste, dass er kaum eine Chance hatte, dem Killer zuvorzukommen, aber er musste einfach etwas tun, um die Herausforderung in den Griff zu bekommen. Wenn er schon Gefahr lief, wie eine Ratte abgeknallt zu werden, wollte er noch die Kraft finden, sich zu rächen. Maretti riss die Schublade auf und griff nach der Pistole.

Louis Black zog durch. Er schoss zweimal hintereinander. Der Revolver in seiner Hand bäumte sich auf.

Rufus Maretti warf den Kopf in den Nacken. Es schien, als träfen ihn heftige Stromstöße. Er wandte sich um und versuchte die Pistole zu heben, aber sie erschien ihm auf einmal tonnenschwer. In seinen Fingern war keine Kraft, und in seinen von Hass und Entsetzen erfüllten Augen zerbrach das Leben.

Rufus Maretti ließ die Pistole fallen. Er brach in die Knie. Seine Lippen bewegten sich, ein dünnes Blutrinnsal sickerte daraus hervor.

Dann kippte er nach vorn. Er blieb liegen, ohne sich zu rühren.

Louis Black schoss ein drittes Mal.

Er wusste, dass die Kugel einen Toten traf, aber er hielt es für ratsam, dem Motto seines Chefs nachzueifern und kein Risiko einzugehen.