David Copperfield

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David Copperfield
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Charles Dickens

David Copperfield

Impressum

Covergestaltung: Olga Repp

Digitalisierung: Gunter Pirntke

2017 andersseitig.de

ISBN

9783961183173 (ePub)

9783961183180 (mobi)

andersseitig Verlag

Dresden

www.andersseitig.de

info@new-ebooks.de

(mehr unter Impressum-Kontakt)

Inhalt

Impressum

Erster Teil.

Vorwort.

Charles Dickens. Sein Leben und Schaffen.

Charles Dickens.

David Copperfield. Einleitung des Herausgebers.

Erstes Kapitel. Meine Geburt.

Zweites Kapitel. Ich beobachte.

Drittes Kapitel. Eine Veränderung.

Viertes Kapitel. Ich falle in Ungnade.

Fünftes Kapitel. Von Hause fortgeschickt.

Sechstes Kapitel. Ich erweitere den Kreis meiner Bekanntschaften.

Siebentes Kapitel. Mein erstes Semester in Salemhaus.

Achtes Kapitel. Die Ferien. Ein glücklicher Nachmittag.

Neuntes Kapitel. Ich feiere einen denkwürdigen Geburtstag.

Zehntes Kapitel. Ich werde vernachlässigt und später wieder versorgt.

Elftes Kapitel. Ich beginne auf eigene Art zu leben, und finde daran keinen Gefallen.

Zwölftes Kapitel. Da mir das Leben auf eigene Faust durchaus nicht mehr gefällt, fasse ich einen großen Entschluß.

Dreizehntes Kapitel. Die Folgen meines Entschlusses.

Vierzehntes Kapitel. Meine Tante kommt zu einem Entschluß über mich.

Fünfzehntes Kapitel. Anfang eines neuen Lebens.

Sechzehntes Kapitel. Ich bin in mehr als einer Hinsicht ein Neuling.

Siebzehntes Kapitel. Es findet sich jemand.

Achtzehntes Kapitel. Ein Rückblick.

Neunzehntes Kapitel. Ich sehe mich um und mache eine Entdeckung.

Zwanzigstes Kapitel. Steerforth daheim.

Einundzwanzigstes Kapitel. Die kleine Emilie.

Zweiundzwanzigstes Kapitel. Alte Orte und neue Menschen.

Dreiundzwanzigstes Kapitel. Mr. Dicks Erzählung bestätigt sich und ich wähle einen Beruf.

Vierundzwanzigstes Kapitel. Meine erste Ausschweifung.

Fünfundzwanzigstes Kapitel. Gute und böse Engel.

Sechsundzwanzigstes Kapitel. Ich gerate in Gefangenschaft.

Siebenundzwanzigstes Kapitel. Tommy Traddles.

Achtundzwanzigstes Kapitel. Mr. Micawber wirft seinen Handschuh hin.

Neunundzwanzigstes Kapitel. Ich besuche Steerforth noch einmal in seinem Heim.

Dreißigstes Kapitel. Ein Verlust.

Einunddreißigstes Kapitel. Ein größerer Verlust.

Zweiter Teil.

Zweiunddreißigstes Kapitel. Der Anfang einer langen Reise.

Dreiunddreißigstes Kapitel. Wonnevoll.

Vierunddreißigstes Kapitel. Meine Tante überrascht mich.

Fünfunddreißigstes Kapitel. Sorgen.

Sechsunddreißigstes Kapitel. Enthusiasmus.

Siebenunddreißigstes Kapitel. Ein wenig kalt Wasser.

Achtunddreißigstes Kapitel. Eine Trennung.

Neununddreißigstes Kapitel. Wickfield und Heep.

Vierzigstes Kapitel. Der Wanderer.

Einundvierzigstes Kapitel. Doras Tanten.

Zweiundvierzigstes Kapitel. Unheil.

Dreiundvierzigstes Kapitel. Noch ein Rückblick.

Vierundvierzigstes Kapitel. Unser Haushalt.

Fünfundvierzigstes Kapitel. Mr. Dick erfüllt die Prophezeiungen meiner Tante.

Sechsundvierzigstes Kapitel. Nachrichten.

Siebenundvierzigstes Kapitel. Martha.

Achtundvierzigstes Kapitel. Unsere Häuslichkeit.

Neunundvierzigstes Kapitel. Mich umstrickt ein Geheimnis.

Fünfzigstes Kapitel. Mr. Peggottys Traum wird Wahrheit.

Einundfünfzigstes Kapitel. Der Beginn einer längeren Reise.

Zweiundfünfzigstes Kapitel. Eine Explosion.

Dreiundfünfzigstes Kapitel. Noch ein Rückblick.

Vierundfünfzigstes Kapitel. Mr. Micawbers Geldgeschäfte.

Fünfundfünfzigstes Kapitel. Sturm.

Sechsundfünfzigstes Kapitel. Neue und alte Wunden.

Siebenundfünfzigstes Kapitel. Die Auswanderer.

Achtundfünfzigstes Kapitel. Abwesenheit.

Neunundfünfzigstes Kapitel. Die Rückkehr.

Sechzigstes Kapitel. Agnes.

Einundsechzigstes Kapitel. Zwei interessante Büßer.

Zweiundsechzigstes Kapitel. Ein Licht fällt auf meinen Weg.

Dreiundsechzigstes Kapitel. Ein Besuch.

Vierundsechzigstes Kapitel. Ein letzter Rückblick.

Erster Teil.
Vorwort.

Eine Auswahl des Besten und Gediegensten, was der berühmte humoristische Novellist geschrieben hat, wird der deutschen Leserwelt gewiß um so willkommener sein, als sich die Anteilnahme für Dickens, die in Deutschland wohl nie ganz erloschen war, seit einigen Jahren wieder so bedeutend erhöht hat, daß man geradezu von einer Dickensrenaissance sprechen kann. Denn schien es noch vor zehn, zwölf Jahren, als ob die Popularität dieses Autors bei uns und auch unter seinen Landsleuten etwas nachgelassen habe, so hat seit einigen Jahren eine kräftige Gegenbewegung eingesetzt, die den Londoner Sittenschilderer wieder auf eine selbst zu seinen Lebzeiten kaum erreichte Höhe der Beliebtheit emporgehoben hat, die schon durch den bloßen buchhändlerischen Erfolg zu beweisen ist, wonach in den letzten zwei Jahren in England allein ungefähr anderthalb Millionen Exemplare von seinen Skizzen und Romanen abgesetzt worden sind. Darum soll ihm auch jetzt in London ein eigenartiges Denkmal errichtet werden, in Gestalt einer Dickensbibliothek, der National Dickens Library, um deren Begründung sich namentlich die Dickensgesellschaft und der Boz-Klub bemühen. Den Grundstock soll die reichhaltige Dickenssammlung bilden, die der vor einigen Jahren verstorbene M. F. G. Kitton zusammengebracht hat. Alle Ausgaben der Dickensschen Schriften in Original und Übersetzung, alle literarischen Veröffentlichungen über ihn, alle Plagiatversuche in Gestalt von »Fortsetzungen« seiner Romane, Parodien, Porträts, Illustrationen, Karikaturen, Kuriositäten usw. sollen dies Museum füllen, zu dessen Aufnahme die Guildhall-Bibliothek die erforderlichen Räume zur Verfügung gestellt hat.

 

Kein anderer Autor hat je einen solchen Grad von Volkstümlichkeit erreicht wie Dickens. Welcher Erzähler hätte es ihm auch gleichgetan? Welchem Erzähler hat je ein größeres und dankbareres Publikum gelauscht? Und wer hat solche andächtige Aufmerksamkeit und Liebe mehr verdient, als Dickens? Selten hat wohl auch einem Autor die Natur alle dem erzählenden Dichter unentbehrlichen Eigenschaften so verschwenderisch in den Schoß geschüttet, wie ihm. Vornan steht da die Schärfe seiner alles durchdringenden Beobachtungsgabe und die staunenswerte Gewandtheit in der Behandlung der Sprache, dann die Milde seiner Weltanschauung und der gesunde Humor, durch den er alle Gegensätze im Leben wohltuend zu versöhnen weiß. Und sind auch nicht wegzuleugnende Mängel in seiner Darstellungsweise vorhanden, so werden seine Werke doch immer infolge der erwähnten überwiegenden Vorteile zahlreiche und begeisterte Leser finden, und vor allem wegen der überall durchblickenden warmen Menschenliebe, die von jeher die Aufmerksamkeit auf die Armen und Verlassenen zu lenken wußte und schließlich deshalb, weil auch die Jugend und die Frauenwelt jeden, aber auch jeden seiner Romane ohne Scheu in die Hand nehmen kann, trotzdem der Dichter seine Leser häufig genug in die Niederungen des menschlichen Lebens, ja selbst in die Höhle des Verbrechens führt.

Bereitwillig bin ich daher dem Ansuchen der Verlagshandlung nachgekommen, eine Auswahl der Dickensschen Werke neu herauszugeben. Ich habe bei meiner Arbeit gute ältere Übersetzungen mitbenutzt, diese aber genau mit dem Original verglichen, überarbeitet und ergänzt; dies erschien um so nötiger, als viele der mir vorliegenden früheren Übersetzungen Auslassungen größerer und kleinerer Stellen zeigen. Möge der alte liebe Dichter in diesem Gewande seine früheren Freunde wiedergewinnen und sich zahlreiche neue dazu erwerben, wie er es wahrlich verdient in Deutschland, das ihm und seines Geistes anmutigen Kindern seit seinem ersten Auftreten vor fünfundsiebzig Jahren eine dauernde Stätte und zweite Heimat bereitete.

Berlin, 13, März 1909.

R. Z.

Charles Dickens. Sein Leben und Schaffen.

Charles Dickens, der vorzüglichste Dichter Londons, der volkstümlichste Novellist des 19. Jahrhunderts, nebst Thackeray der Gründer der Londoner Romanschule und einer der größten Humoristen Englands, wurde am Freitag den 7. Februar 1812 geboren, in Landport auf Portsea, der Insel am Eingang des Hafens von Portsmouth.

Sein Vater, John Dickens, war damals, als Beamter im Zahlamt der Marine, im Dockyard von Portsmouth angestellt. Charles war ein schwächliches Kind von Geburt an und mußte sich damit begnügen, den fröhlichen Spielen und dem ausgelassenen Getümmel seiner Altersgenossen vom Fenster aus zuzuschauen. Dadurch fand er sich früh genug auf den Umgang mit sich selbst angewiesen, indem er scharf seine Umgebung beobachtete und alles einem Gedächtnisse einzuprägen verstand, das ein geradezu eisernes genannt werden muß.

Walter Scott erzählt in dem Fragment seiner Selbstbiographie, wo er von den gegen seine Lahmheit angewandten Heilmitteln spricht, daß er sich erinnere, als noch nicht ganz dreijähriger Junge auf dem Fußboden des Wohnzimmers in dem Pachthause seines Großvaters gelegen zu haben, eingewickelt in ein Schafsfell, das noch warm vom Leibe des Tieres gekommen war. David Copperfield's, oder wie man hier sagen muß, das Gedächtnis von Dickens reicht noch weiter zurück. Er erzählt, daß er weit genug in die dunkle Ferne seiner Kindheit zurückblicken kann, um darin seine Mutter und deren Dienstmagd zu unterscheiden, wenn auch in verkleinerter Gestalt für sein Auge, weil sie auf den Boden niederknieten oder sich bückten, während er sich selbst mit schwankendem Schritt von der einen zur andern tappeln sieht. Auch hat er seinem Freunde und späteren Biographen John Forster erzählt, daß er sich des kleinen Gartens vor dem Hause in Portsea deutlich erinnere, das er verließ, als er zwei Jahre alt war und wo er, von dem Kindermädchen durch ein niedriges mit der Gartenfläche fast in gleicher Höhe liegendes Küchenfenster beobachtet, mit irgend etwas Eßbarem in der Hand, in Begleitung seiner älteren Schwester umherlief. Eines Tages trug man ihn aus dem Garten hinaus, um ihm zu zeigen, wie die Soldaten exerzierten, »und ich entsinne mich (sagt Forster), daß er, als wir zu der Zeit, da er seinen Nickleb schrieb, zusammen in Portsmouth waren, die Gestalt des Paradeplatzes genau wiedererkannte, den er ein Vierteljahrhundert vorher an derselben Stelle als Kind gesehen hatte.«

Er verkürzte sich, sobald er in die Geheimnisse des Alphabetes, eingeweiht war, die meiste Zeit mit Lesen, und ein günstiger Zufall fügte es, daß ihm aus seines Vaters Bücherei Cervantes, Lesage, Robinson Crusoe, Tausend und eine Nacht und die englischen Humoristen des achtzehnten Jahrhunderts in die Hände fielen. Sie waren eine Schar von Freunden, Lehrern und Spielkameraden für ihn gewesen, als er keinen anderen Freund und keine andere Beschäftigung hatte; diese Bücher verliehen seinem kleinen kränkelnden Leben Freude, Gestalt und Sonnenschein.

Jedoch sollte dieser kongeniale Verlauf seiner geistigen Entwicklung nur zu bald unterbrochen werden; denn sein Vater, der inzwischen nach London versetzt worden war, geriet in Geldverlegenheiten, die sich nach und nach vermehrten und schließlich so verwickelten, daß er in das Schuldgefängnis wandern mußte. Während Charles in Chatam, wo sein Vater vorübergehend im Dockyard angestellt gewesen war, noch wenigstens die Elementarschule des jungen Baptistenpredigers William Giles besucht hatte, hörte hier in London jeglicher Unterricht für ihn auf. Der kaum zehnjährige, schwächliche, aber auffallend hübsche Knabe mußte sich schon seinen Lebensunterhalt selbst verdienen! Was man bei dem Erscheinen des Copperfield vermutet hatte, bestätigt sich; daß er nämlich manche Züge und Szenen aus seinem wirklichen Leben in diesen Roman verwebt habe: aber keiner ahnte, wie weit das ging.

Dickens selbst ist der zehnjährige Knabe, den seine Eltern in ein schmutziges Wichsgeschäft gesteckt hatten, wo er von früh bis spät die Flaschen und Kruken mit kaltem Wasser auszuspülen und die gereinigten zuzubinden und mit Etiketten zu bekleben hat – und zwar für einen Wochenlohn von sechs Schillingen! Dickens selbst ist es, der für Micawber einzelne Hausratgegenstände versetzt und mit seinem Vater im Schuldgefängnisse sitzt. Nicht ein Stiefvater, nein sein rechter Vater hat ihn in den schmierigen Wichsladen gesteckt, und seine eigene Mutter wollte, ihn dahin zurückbringen, als er fortgelaufen war, weil er es bei dieser niedrigen unsaubern Beschäftigung unter rohen und gemeinen Menschen nicht mehr aushalten konnte.

»Es scheint mir wunderbar,« sagt er einmal, »wie man mich in einem solchen Alter so leicht in die Welt hinausstoßen konnte. Es scheint mir wunderbar, daß selbst nach meinem Herabsinken zu der Stellung des armen kleinen Sklaven, der ich seit unserer Ankunft in London gewesen war, niemand Mitleid genug hatte mit mir – einem Kinde von hervorstechenden Fähigkeiten, aufgeweckt, lernbegierig, zart und körperlich wie geistig leicht verletzt – um vorzuschlagen, daß man, wie ganz gewiß möglich gewesen wäre, etwas erübrigen könne, mich in eine gewöhnliche Schule zu schicken.... Keine Worte können die geheime Seelenqual ausdrücken, die ich erduldete, als ich zu dieser Kameradschaft hinabsank, diese alltäglichen Gefährten mit denen meiner glücklicheren Kindheit verglich und meine frühen Hoffnungen, ein gelehrter und berühmter Mann zu werden, in meiner Brust zusammenstürzen fühlte. Der tiefe Schmerz, den ich bei dem Gedanken empfand, völlig verwahrlost und hoffnungslos zu sein, die Scham über meine Lage, das Elend meines jungen Herzens bei dem Gedanken, daß Tag auf Tag alles, was ich gedacht und gelernt, und woran ich meine Freude gehabt und meine Phantasie und meine Nacheiferung begeistert hatte, nur entschwand, um nie wiederzukehren, läßt sich nicht beschreiben. Mein ganzes Wesen war so von dem Schmerz und der Demütigung dieser Gedanken durchdrungen, daß ich selbst jetzt, berühmt, geliebt und glücklich wie ich bin, in meinen Träumen oft vergesse, daß ich ein liebes Weib und Kinder habe – selbst jetzt, da ich ein Mann bin – und trostlos in jene Zeit meines Lebens zurückwandere« . . . . . . »Ich schreibe nicht«, sagt er ein andermal, »aus Groll oder Zorn; ich weiß, daß alles so kommen mußte, um mich zu dem zu machen, der ich bin. Aber ich habe niemals vergessen, ich werde nie vergessen, ich kann nie vergessen, daß es meine Mutter war, die mich in dies Geschäft zurückbringen wollte!«

Er hat es seine Eltern nie fühlen, geschweige denn entgelten lassen, er hat ihnen vielmehr, sobald er es nur vermochte, eine sorgenfreie, ja angenehme Lebensführung verschafft. Er hing mit einer gewissen Zärtlichkeit an diesem Micawber, diesem wunderlichen Vater, der gerade gestorben war, als er an seinem Copperfield schrieb. Eine gewisse Zärtlichkeit zeigt sich auch immer in der Schilderung dieser Romanfigur, besonders am Schlusse, wo er es mit meisterhafter Kunst verstanden hat, uns in Micawber eine Persönlichkeit zu hinterlassen, der man eine Art Achtung, und mehr noch eine gewisse Zuneigung nicht versagen kann. Aber es berührt einen doch seltsam, wenn man sich bei der Lektüre der Lebensgeschichte von Dickens erinnern muß, daß Micawber der Vater des Dichters ist! Dickens allerdings, und das versöhnt uns empfand nicht ebenso. Der Humor steckte so tief in seiner Natur, daß er durch Aufmerken auf die lächerlichen Züge das wohltuende Gesamtbild nicht zu beeinträchtigen glaubte. »Kenne ich einmal«, sagt er sehr bezeichnend, »einen Menschen mit all seinen kleinen und großen Fehlern, so wird er mir lieb und für mich ein interessanter Gegenstand.«

In der unwürdigen Stellung eines Wichsekrukenreinigers scheint der beklagenswerte Knabe bis zu seinem zwölften Jahre ausgehalten zu haben; wenigstens hatten sich die äußeren Verhältnisse seines Vaters um das Jahr 1824 herum wieder soweit aufgebessert, daß Charles von neuem eine Schule besuchen konnte. Er sagte darüber selbst: »Ein Mr. Jones, ein Walliser, hielt eine Schule in Hampstead-Road, wohin mich mein Vater schickte, um einen Prospectus mit den Preisen zu holen. Die Jungen waren gerade beim Essen und Mr. Jones war in einem Paar leinener Halbärmel mit dem Vorschneiden beschäftigt, als ich mich dieses Auftrages entledigte. Er kam heraus und gab mir was ich wünschte, und hoffte, ich würde sein Schüler werden. Ich wurde sein Schüler: um sieben Uhr eines Morgens, sehr bald nachher, trat ich als Tagschüler in das Institut von Mr. Jones, das in Mornington Place lag und dessen Schulzimmer abgerissen wurde, als man die Eisenbahn nach Birmingham durch diesen Stadtteil führte. Damals aber war das Schulzimmer weder durch Eisenbahndirektoren noch durch Ingenieure bedroht und über der Tür befand sich ein Schild, geziert mit den Worten: »Wellington House Academy«.

In der »Akademie« in Wellingtonhouse blieb er fast zwei Jahre, denn er war etwas über 14 Jahre alt, als er sie verließ. Sowohl in seinen kleineren Schriften als im Copperfield finden sich allgemeine Andeutungen darüber, und unter den aus den Household Words gesammelten Artikeln ist einer, der ganz besonders den Zweck hat, sie zu beschreiben. Er bezeichnet sie darin als besonders merkwürdig wegen ihrer weißen Mäuse. Er sagt, daß sich die Jungen allerhand Vögel, Finken, Hänflinge und Kanarienhähne in ihren Pulten, Schubkästen oder Hutschachteln hielten, daß aber weiße Mäuse die Haupttiere waren und daß die Jungen die Mäuse viel besser unterrichteten, als die Lehrer die Jungen. Nichtsdestoweniger erwähnt er, daß die Schule einer gewissen Berühmtheit in der Nachbarschaft genossen habe, obgleich niemand sagen konnte, worin sie bestanden hätte, und fügt hinzu, die Jungen seien der Ansicht gewesen, daß der Prinzipal nichts wisse und einer der Hilfslehrer alles!

 

Nach dem Austritt aus dieser Schule trat Dickens als Schreiber in das Bureau eines Sachwalters ein und verfiel, noch während er diese Stelle bekleidete, auf den Gedanken, sich durch Erlernung der Stenographie auf die Reporterlaufbahn vorzubereiten. Von der Mühe, die ihm diese, achtzehn Monate, hindurch eifrigst betriebenen stenographischen Studien verursachten, hat er ebenfalls einiges im Copperfield mitgeteilt. Sein Vater, bei dem er noch wohnte, war bereits als parlamentarischer Berichterstatter an einer der Morgenzeitungen angestellt und befand sich nun, auch infolge der Vermehrung seiner amtlichen Pension, durch den Ertrag dieser lobenswerten Beschäftigung in behaglicheren Verhältnissen, Um die Mittel für den Unterhalt seiner Familie zu vermehren, beschloß also der junge Dickens, es seinem Vater gleich zu tun. Und er erreichte sein Ziel durch die eiserne Konsequenz und die Selbstzucht, die ihm eigen war, und den Prozeß seiner Selbsterziehung erleichterte. Man würde auch keinen besseren erläuternden Kommentar über diese Jahre seines »Bureaujungentums« finden, als in der Antwort seines Vaters auf die Frage eines Freundes: »Wo hat Ihr Sohn denn seine Erziehung erhalten?« »Nun, Sir, man kann sagen – ha! ha! – er hat sich sozusagen selbst erzogen!« –

Von den zwei Arten der Erziehung, die nach Gibbons Ausspruch alle Menschen empfangen, die über das gewöhnliche Durchschnittsmaß hinaussteigen, der seiner Lehrer und der persönlicheren und wichtigeren, die er sich selbst gab, genoß er nur den Vorzug der letzteren. Nichtsdestoweniger reichte sie für ihn aus. Er machte sich also eifrig an das Studium der Stenographie und teils um seine allgemeinen Kenntnisse soweit zu vervollständigen, als man von einem jungen wohlerzogenen Mann erwarten durfte, teils der Befriedigung eines höheren Bedürfnisses wegen, wurde er ein fleißiger Besucher der Lesezimmer des Britischen Museums. Er wies oft auf jene Tage als auf die ihm persönlich nützlichsten hin, die er je verlebt habe, und nach den Resultaten zu urteilen, müssen sie dies in der Tat gewesen sein. Niemand, der ihn in späteren Jahren kannte und mit ihm eingehend von Büchern und Dingen sprach, würde geahnt haben, daß seine Erziehung im Knabenalter, fast völlig selbsterworben wie sie war, von so schwankender und zufälliger Art gewesen ist. Das Geheimnis lag darin, daß er sich stets auf die Höhe der Sache erhob, die ihn gerade beschäftigte, und daß er nie die Regeln unberücksichtigt ließ, die den Helden seines Romans leiteten. »Was ich in meinem Leben zu tun versucht habe, habe ich mit ganzem Herzen und gut zu tun versucht. Wenn ich mich einer Aufgabe widmete, so widmete ich mich ihr ganz. Niemals nur eine Hand an das zu legen, worauf ich mein ganzes Selbst wirken lassen konnte, und nie meine Arbeit zu unterschätzen, was sie auch sein mochte, das waren meine goldenen Regeln.«

Dickens war neunzehn Jahre alt, als er endlich in der Galerie der Berichterstatter im Parlament seinen Sitz einnahm. Anfänglich wurde er zwar nur dazu verwandt, Bericht über die Verhandlungen in Doctor's Commons und anderen Londoner Gerichtshöfen zu erstatten, indes schon nach kaum drei Jahren fand er als Dreiundzwanzigjähriger an der Morning Chronicle Anstellung als Parlaments-Reporter. Dieser Beschäftigung ist es gewiß zuzuschreiben, daß er später ein so gewandter Stilist wurde; andererseits trug sie ihm aber jene gründliche Verachtung des Parlamentarismus ein, die sich in so vielen seiner Romane kundgibt: er hatte eben aus allzu großer Nähe mitangesehen, wie Politik gemacht wird, und konnte daher vor ihr und ihren Helden keinerlei Ehrerbietung empfinden.

Einen weit bedeutungsvolleren Schritt als den zum Berichterstatter (obgleich er dies damals nicht wußte), hatte er kurz zuvor getan, indem er dem Old Monthly Magazine sein erstes schriftstellerisches Erzeugnis übersandte, das auch in der Dezembernummer von 1833 das Licht erblickte. Er selbst hat es beschrieben, wie er den – später als »Mr. Minns und sein Vetter« in das Londoner Skizzenbuch aufgenommenen – Artikel eines Abends im Zwielicht, mit Furcht und Zagen, verstohlen in einen dunkeln Briefkasten in einem dunkeln Postbureau in einem dunkeln Hofe bei Fleetstreet steckte, und er hat seine Aufregung geschildert, als der Artikel in vollem Glanze des Drucks erschien. »Ich ging bei dieser Gelegenheit nach der Westminsterhalle und blieb eine halbe Stunde dort, denn meine Augen waren so dunkel vor Stolz und Freude, daß sie die Straße nicht ertragen und sich dort nicht sehen lassen konnten.« Er hatte das »Magazin« in einem Laden am Strand gekauft, und genau zwei Jahre später erkannte er in dem jüngeren Teilhaber einer Verlagshandlung, der ihn in seiner Mietswohnung in Furnivals-Inn mit einem Vorschlage besuchte, aus dem die »Pickwickier« entstanden, dieselbe Person wieder, von der er jenes »Magazin« gekauft und die er weder vorher noch seitdem gesehen hatte.

Diese Zwischenzeit von zwei Jahren umfaßte mehr als den Rest seiner Laufbahn in der »Galerie« und der damit zusammenhängenden Arbeiten. Aber daß diese Beschäftigung in ihrem Einfluß auf sein Leben, für die Ausbildung seines Talents wie seines Charakters von höchster Bedeutung war, kann nicht bezweifelt werden, »Aus der heilsamen Schule der harten Zeitungsarbeit, die ich als ganz junger Mann durchmachte, leite ich immer meine ersten Erfolge her«, sagte er zu den Zeitungsredakteuren in Neuyork, als er auf seiner zweiten Amerikareise von ihnen Abschied nahm. Diese Schule eröffnete ihm einen weiten und abwechselungsreichen Kreis von Erfahrungen, die ihm seine wunderbare, ebenso getreue als humoristische Beobachtungsgabe ganz zu eigen machten. »Niemand, der je für Zeitungen gearbeitet hat (schrieb er 1845) hat innerhalb desselben Zeitraumes soviel Expreß- und Extraposterfahrungen gesammelt wie ich. Und was für Herren waren es, denen man am alten Morning Chronicle diente! Groß oder Klein, es kam nicht drauf an! Ich habe die Kosten für ein halb Dutzend Umstürze binnen einer Zeit von einem halben Dutzend mal sovielen Meilen zu berechnen gehabt. Ich habe Ersatz zu fordern gehabt für den Schaden, den das Herabtröpfeln von einer Wachskerze meinem Überzieher zufügte, wenn ich in den frühesten Morgenstunden in einem dahinsausenden Wagen schrieb. Ich habe wohl fünfzigmal während einer einzigen Reise für alle möglichen Beschädigungen Kosten berechnen müssen: solcherart waren die gewöhnlichen Folgen der Schnelligkeit, mit der wir uns fortbewegten. Ich habe für zerbrochene Hüte, zerbrochenes Gepäck, zerbrochene Stühle, zerbrochenes Pferdegeschirr Kosten berechnet; für alles: außer für einen zerbrochenen Kopf, das einzige, wofür man ungern bezahlt haben würde.«

In ähnlicher Weise äußerte er sich noch zwanzig Jahre später, als er im Mai 1865 bei dem zweiten jährlichen Festessen des Newspaperpreßfund, einer zum Besten notleidender Zeitungsangestellten gegründeten Gesellschaft, den Vorsitz führte und in seine Rede eine kurze Darstellung seines ganzen Berichterstatterlebens verflocht, »Ich vertrete hier«, sagte er, »nicht die Sache eines gewöhnlichen Klienten, von dem ich wenig oder nichts weiß. Ich vertrete hier die Angelegenheit meiner Brüder. Ich begann meine Tätigkeit als parlamentarischer Berichterstatter als achtzehnjähriger Knabe und gab sie – ich kann kaum an die unerbittliche Wahrheit glauben – vor ungefähr 30 Jahren auf! Und ich bin meinem Berufe unter Umständen nachgekommen, von denen sich meine hier anwesenden Brüder schwerlich eine hinreichende Vorstellung machen können. Oft habe ich wichtige öffentliche Reden, bei denen die peinlichste Genauigkeit erforderlich war und bei denen ein Versehen für einen jungen Mann äußerst bloßstellend gewesen sein würde, nach meinen stenographischen Skizzen für den Druck übertragen in der flachen Hand, bei dem Licht einer Laterne, in einer mit vier Pferden bespannten schaukelnden Postkutsche, die mit der damals erstaunlichen Geschwindigkeit von fünfzehn Meilen die Stunde in tiefer Nacht durch eine wilde Gegend dahingaloppierte. Als ich das letztemal in Exeter war, besuchte ich den dortigen Schloßhof, um einem Freunde zu Gefallen die Stelle zu identifizieren, wo ich einmal während des Wahlkampfes in Devonshire eine Rede Lord John Russels »aufnahm«, wie wir es nannten, inmitten eines von sämtlichen Vagabunden jener Gegend unterhaltenen lebhaften Handgemenges und in einem solchen Platzregen, daß zwei gutmütige Kollegen, die gerade nichts zu tun hatten, mir ein Taschentuch nach Art eines Thronhimmels bei geistlichen Prozessionen, schützend über mein Notizbuch hielten. Ich habe mir die Knie wundgeschrieben auf der alten Hinterbank der alten Galerie des alten Unterhauses, und ich habe mir die Füße wundgestanden in einem abgeschmackten Pferch im alten Oberhause, wo man uns wie ebensoviele zusammengedrängte Hammel warten ließ, bis etwa der Wollsack einer neuen Stopfung bedürfe. Bei der Rückkehr von aufgeregten politischen Meetings auf dem Lande zu den wartenden Londoner Druckern bin ich, wie ich glaube, in fast allen in England bekannten Arten von Fuhrwerken umhergeworfen worden. Auf schlammigen Landwegen wurde ich in der Nacht, vierzig bis fünfzig Meilen vor London, in alten Rumpelkästen, mit erschöpften Gäulen und betrunkenen Postillionen aufgehalten und kam doch noch vor Ausgabe der Zeitungen an Ort und Stelle rechtzeitig an, um von Mr. Black, dem verstorbenen Redakteur des Morning Chronicle in dem breitesten Schottisch, das aus dem weitesten aller Herzen kam, die ich je kannte, mit nie vergessenen Komplimenten empfangen zu werden. Ich erwähne diese kleinen Umstände zum Beweise, daß ich den Zauber jener alten Berufstätigkeit nie vergessen habe. Das Vergnügen, das ich über die Geschwindigkeit und das Geschick in der Ausübung zu empfinden pflegte, ist nie in meiner Brust erloschen. Von der Gewandtheit, die ich damals darin erwarb, ist mir noch soviel geblieben, daß ich fest überzeugt bin, ich könnte morgen wieder damit beginnen. Bis auf den heutigen Tag vertreibe ich mir, wenn ich (was mitunter vorkommt) eine langweilige Rede anhören muß, gelegentlich die Zeit damit, daß ich dem Redner in der alten, alten Weise folge, und manchmal ertappe ich mich sogar dabei, wie meine Hand, mit imaginären Aufzeichnungen beschäftigt, auf dem Tischtuch hin und her geht.«

Soviel von der Darstellung seiner Laufbahn in der »Galerie«. Inzwischen hatte er seine andere Beschäftigung nicht aus den Augen verloren. Seit dem Erscheinen der ersten Skizze im Monthly Magazine hatten schon neun andere die Seiten der späteren Nummern dieser Zeitschrift bereichert, die letzte im Februar 1835 und jene, die im August 1834 erschienen war, hatte zuerst die Unterschrift »Boz« getragen. Dies war der Spitzname seines von ihm zärtlich geliebten jüngeren Bruders Augustus, den er zu Ehren des Vicars von Wakefield Moses getauft hatte, was (scherzhaft durch die Nase gesprochen) zu Böses wurde, woraus dann die Abkürzung Boz entstand. »Boz war mir ein wohlbekannter Familienname, lange ehe ich mich der Schriftstellerei widmete, und so kam es, daß ich dies Pseudonym annahm.«