Religionsbegründung ohne Erkenntnis Gottes

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2.1.3 Verschiedene Bedeutungen von Notwendigkeit

Aus dem ebenen Gesagtem kann man ersehen, dass im Mittelpunkt der Debatte die Frage steht, ob das ens realissimum das Prädikat der Notwendigkeit besitzt. Die meisten Forscher stimmen zu, dass das ens realissimum nur eine subjektive Notwendigkeit hat. Da Kants Kritik am traditionellen ontologischen Beweis darin liegt, dass dieser ausgehend von der Idee des entis realissimi auf ein Wesen schließt, das notwendig existiert, lehnt Dieter Henrich die Notwendigkeit als das Prädikat des entis realissimi ab. Allerdings müssen wir die Bedeutungen von Notwendigkeit in der kantischen Philosophie sorgfältig unterscheiden. Ich vertrete die Auffassung, dass der Begriff der Notwendigkeit in Kants Philosophie wenigstens drei Bedeutungen hat: als subjektive, logische und existenzielle Notwendigkeit.

Zuerst diskutieren wir die logische Notwendigkeit. Sie bedeutet, dass das Prädikat logisch zum Subjekt gehören muss. Sie wird auch die Notwendigkeit des Urteils genannt. Im 4. Abschnitt des Theologie-​Hauptstückes, d.h. in der Kritik am ontologischen Beweis, nimmt Kant die drei Ecken des Dreiecks als Beispiel und betont: „Die unbedingte Nothwendigkeit der Urtheile aber ist nicht eine absolute Nothwendigkeit der Sachen. Denn die absolute Nothwendigkeit des Urtheils ist nur eine bedingte Nothwendigkeit der Sache, oder des Prädicats im Urtheile. Der vorige Satz sagte nicht, daß drei Winkel schlechterdings nothwendig sind, sondern, unter der Bedingung, daß ein Triangel da ist (gegeben ist), sind auch drei Winkel (in ihm) nothwendiger Weise da.“1 Das heißt, diese logische Notwendigkeit beruht auf der Existenz des Subjekts. In diesem Fall verursacht die bloße Aufhebung des Prädikats einen Widerspruch. Wenn das Subjekt (Dreieck) und das Prädikat (drei Ecken) gemeinsam aufgehoben werden, entsteht jedoch kein Widerspruch.2 Das notwendige Dasein Gottes, das Kant erforschen möchte, ist offensichtlich keine logische Notwendigkeit. Im Beweisgrund weist Kant darauf hin: „Man kann indessen die Nothwendigkeit in den Prädicaten blos möglicher Begriffe die logische Nothwendigkeit nennen. Allein diejenige, deren Hauptgrund ich aufsuche, nämlich die des Daseins, ist die absolute Realnothwendigkeit.“3 Das bedeutet, dass die traditionelle rationale Theologie, die den ontologischen Beweis unterstützt (einschließlich Kant in seiner vorkritischen Zeit), die Notwendigkeit der Existenz Gottes beweisen wollen. Mit anderen Worten, der traditionelle ontologische Beweis möchte Gott die existenzielle Notwendigkeit zuschreiben. Aufgrund dessen leugnet Dieter Henrich die Notwendigkeit als das Prädikat des entis realissimi. Genau dies entspricht der kantischen Meinung jedoch nicht. Die Notwendigkeit gehört offensichtlich zu den Prädikaten des entis realissimi. Diese Notwendigkeit ist aber weder eine logische noch eine existenzielle, sondern eine subjektive Notwendigkeit. Kant möchte aussagen, dass das Ideal des entis realissimi nur die subjektive Notwendigkeit enthält. So behauptet Knudsen: „Zu dem Zweck muß er zeigen, daß die vom Rationalismus behauptete Bestimmtheit des göttlichen Wesens als ein notwendiges und metaphysisch objektives Sein nur den Seinssinn einer auf die Vernunft bezogenen Idealität haben kann.“4

Die subjektive Notwendigkeit ist eigentlich eine Notwendigkeit des Denkens, das heißt, es ist notwendig, dieses Ideal als Voraussetzung anzusehen, um die wirkliche Welt besser zu verstehen. Mit anderen Worten, das ens realissimum ist notwendig, insofern es ein regulatives Prinzip der Vernunft ist. Obwohl wir die Existenz des entis realissimi nicht voraussetzen oder nicht garantieren, ist dieses Ideal für uns unabdingbar, um die Welt zu klären, wie Kant im 2. Abschnitt des Theologie-​Hauptstückes gesagt hat: „um ein Ding vollständig zu erkennen, muß man alles Mögliche erkennen und es dadurch, es sei bejahend oder verneinend, bestimmen.“5 Dies ist die Rolle, die das Ideal des entis realissimi spielt. Wie bereits erwähnt, haben Joseph Schmucker und Giovanni B. Sala behauptet, dass diese Schlussfolgerung von Kant bereits in der vorkritischen Periode gezogen worden ist. So sagt Kant beispielsweise in der Reflexion: „Alle Große Eigenschaften, die ich von Gott aus der willkührlichen Idee desselben sage, sind nur expositionen der hypothesis, die ich annehme.“6

So erschließt sich, dass das ens realissimum nur eine subjektive Notwendigkeit hat. Auch wenn hier behauptet wird, dass die Notwendigkeit zu den Prädikaten des entis realissimi gehört, sind wir nicht der Ansicht, dass das ens realissimum notwendigerweise existiert. Es ist nur eine Notwendigkeit in Bezug auf das Denken, wie Kant sagt: „Nehme ich nun das Subjekt (Gott) mit allen seinen Prädikaten (worunter auch die Allmacht gehört) zusammen, und sage: Gott ist, oder es ist ein Gott; so setzte ich kein neues Prädikat zum Begriffe von Gott, sondern nur das Subjekt an sich, mit allen seinen Prädikaten, und zwar den Gegenstand in Beziehung auf meinen Begriff.“7

Zusammenfassung. Diese Untersuchung behauptet, dass es im Abschnitt 2 des Theologie-​Hauptstückes zwei unterschiedliche Kritiken gibt, die gegen die Realisierung, Hypostasierung und Personifizierung des entis realissimi gerichtet sind: die Kritik in den Paragraphen 1–15 und in den Paragraphen 16–18. Die erste Kritik ist von der Selbstreflexion Kants in der vorkritischen Periode abgeleitet. Deshalb wird das ens realissimum als subjektive Gültigkeit oder Notwendigkeit betrachtet. Die letztere aber rekonstruiert dieses Ideal aus der Perspektive der kritischen Philosophie und deckt eine Illusion auf, die durch das Weglassen der sinnlichen und empirischen Einschränkung entsteht und damit zu einer transzendentalen Subreption führt. Allgemein gesagt, ist die Existenz Gottes als entis realissimi nicht gesichert. Eine kleine Anmerkung dazu: Wir können die Existenz des entis realissimi weder festlegen noch verneinen, wie Kant behauptet: „Auf der andern Seite ist es aber auch aller menschlichen Vernunft unmöglich, je zu beweisen, daß eine solche Zusammensetzung aller Vollkommenheiten in Einem Dinge unmöglich sey; denn dazu gehörte wieder eine Einsicht in den Umfang aller Wirkungen des Alles der Realität, indem dieselben Gründe, durch welche das Unvermögen der Menschlichen Vernunft in Ansehung der Behauptung des Daseyns eines der gleichen Wesens vor Augen gelegt wird, nothwendig auch zureichen, um die Untauglichkeit einer jeden Gegenbehauptung zu beweisen. Kurz, es ist unmöglich zu beweisen, daß Gott unmöglich sey. Vielmehr legt mir die Vernunft auch nicht das mindeste Hinderniß in den Weg, die Möglichkeit eines Gottes, wenn ich auf andere Art mich dazu verbunden fühle, anzunehmen.“8

2.2 Die höchste Intelligenz und der symbolische Anthropomorphismus

Die höchste Intelligenz wird aus der geordneten sinnlichen Welt abgeleitet und Gott zuschrieben. Ob die Gewissheit der Existenz Gottes als archetypi intellectus garantiert werden kann, müssen wir genau untersuchen. In diesem Abschnitt wird über folgende Inhalte diskutiert: Kant unterscheidet zwischen an sich und für uns, diese Unterscheidung wird im Theologie-​Hauptstück häufig erwähnt. In der KU definiert Kant diese Unterscheidung weiter als die zwischen κατ' αληθειαν (in Bezug auf die Wahrheit) und κατ' ανθρωπον (in Bezug auf den Menschen), d.h. was Gott an sich ist, ist uns unklar. Wir können nur behaupten, was Gott in Bezug auf die Welt ist1 (2.2.1). Bei der Behandlung von Gott als der höchsten Intelligenz hat Kant immer betont, dass Gott gedacht werden kann, als ob er der Grund der systematischen Einheit der Welt wäre. Die Frage ist nun, wie man das „als ob“ hier versteht. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte Hans Vaihinger die sogenannte „Als-​Ob-​Philosophie“. Sie verbindet Kants Ideenlehre mit Nietzsches Gedanken, die Welt als Spiel vom Willen zur Macht zu betrachten.2 Ausgehend von dieser Philosophie hält Hans Vaihinger die Idee Gottes bei Kant für eine nützliche Fiktion, eine Fälschung und Selbsttäuschung. Vaihingers Gedanken über das „als ob“ entwickeln sich zu einer Religionsphilosophie bei Henrich Scholz.3 Allerdings widerspricht Erich Adickes Vaihingers Interpretation über Kants Lehre vom „als ob“. Adickes hält daran fest, dass das „als ob“ Ungewissheit bedeutet, und dass die Existenz Gottes als der höchsten Intelligenz nicht bejaht oder verneint werden kann.4 Die folgende Untersuchung wird diese Debatte kurz behandeln, um letztendlich mit der Interpretation von Adickes übereinzustimmen (2.2.2). Der Grund für diese Übereinstimmung liegt darin, dass Kants Religionsphilosophie schließlich eine Art des Anthropomorphismus, nämlich den symbolischen Anthropomorphismus, befürwortet. In den Prolegomena kritisiert Kant Hume aufgrund dessen, dass Hume in den Dialogues concerning Natural Religion (im Folgend als Dialogues bezeichnet) das menschliche Denken über Gott völlig ablehnt. Wir werden Kants Begründung dafür untersuchen (2.2.3).

2.2.1 Die Unterscheidung zwischen „an sich“ und „für uns“

In dieser Untersuchung wird argumentiert, dass eine der wichtigsten Ursachen für den Mangel an Gewissheit der Existenz Gottes darin besteht, dass Gott als die höchste Intelligenz nicht so genau festgelegt wird, wie man ein konkretes Objekt bestimmt, sondern nur gemäß der Beziehung zwischen Gott und der Welt. Wie in Abschnitt 1.3 dargestellt wurde, können wir durch die Methode der Analogie das vierte Glied an sich nicht bestimmen, sondern nur das Verhältnis zwischen dem vierten und dritten Glied erhalten. Im Anhang zur transzendentalen Dialektik betont Kant unermüdlich, dass wir nicht aussprechen können, was Gott an sich ist. Zur Verdeutlichung dienen folgende Beispiele:

 

„Denn daß wir ein der Idee correspondirendes Ding, ein Etwas oder wirkliches Wesen, setzen, dadurch ist nicht gesagt, wir wollten unsere Erkenntniß der Dinge mit transscendenten Begriffen erweitern; denn dieses Wesen wird nur in der Idee und nicht an sich selbst zum Grunde gelegt, mithin nur um die systematische Einheit auszudrücken, die uns zur Richtschnur des empirischen Gebrauchs der Vernunft dienen soll.“1

Über Gott als die höchste Intelligenz sagt Kant das Folgende:

„Auf solche Weise aber können wir doch (wird man fortfahren zufragen) einen einigen, weisen und allgewaltigen Welturheber annehmen? Ohne allen Zweifel; und nicht allein dies, sondern wir müssen einen solchen voraussetzen. Aber alsdann erweitern wir doch unsere Erkenntniß über das Feld möglicher Erfahrung? Keinesweges. Denn wir haben nur ein Etwas vorausgesetzt, wovon wir gar keinen Begriff haben, was es an sich selbst sei (einen bloß transscendentalen Gegenstand); aber in Beziehung auf die systematische und zweckmäßige Ordnung des Weltbaues, welche wir, wenn wir die Natur studiren, voraussetzen müssen, haben wir jenes uns unbekannte Wesen nur nach der Analogie mit einer Intelligenz (ein empirischer Begriff) gedacht, d.i. es in Ansehung der Zwecke und der Vollkommenheit, die sich auf demselben gründen, gerade mit den Eigenschaften begabt, die nach den Bedingungen unserer Vernunft den Grund einer solchen systematischen Einheit enthalten können. Diese Idee ist also respectiv auf den Weltgebrauch unserer Vernunft ganz gegründet.“2

In Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft findet man noch ähnliche Sätze, die ich hier nicht mehr zu zitieren brauche.3 Wie oben erwähnt, wurzelt die Unterscheidung zwischen an sich und für uns im Erkennen Gottes durch die Analogie. In der Formel G1 : F1 = G2 : F2 wird das Glied G2 nicht unmittelbar definiert, sondern durch die Beziehung zwischen G2 und F2, die ein Analogon der Beziehung zwischen G1 und F1 ist. In Bezug auf das Erkennen Gottes ist die höchste Intelligenz keine direkte Bestimmung Gottes, denn über das, was Gott an sich ist, haben wir kein Wissen. Der Grund, warum wir Gott die höchste Intelligenz nennen, liegt darin, dass die systematische Einheit der Welt es uns ermöglicht, ihn als die höchste Intelligenz zu bestimmen, so wie unsere menschliche Intelligenz den Grund der künstlichen Werke bildet. Daher ist Gott nicht an sich selbst die höchste Intelligenz, sondern für uns oder für die systematische Einheit der Welt, wie in den Prolegomena ausgeführt wird: „Vermittelst dieser Analogie bleibt doch ein für uns hinlänglich bestimmter Begriff von dem höchsten Wesen übrig, ob wir gleich alles weggelassen haben, was ihn schlechthin und an sich selbst bestimmen könnte; denn wir bestimmen ihn doch respectiv auf die Welt und mithin auf uns, und mehr ist uns auch nicht nöthig.“4 Diese Passage macht deutlich, dass die höchste Intelligenz nicht die Bestimmung von Gott an sich selbst ist. Außerdem hat Kant die obige Auffassung in der KU auf eine neue Weise zum Ausdruck gebracht:

„Ein Beweis aber, der auf Überzeugung angelegt ist, kann wiederum zwiefacher Art sein, entweder ein solcher, der, was der Gegenstand an sich sei, oder was er für uns (Menschen überhaupt) nach den uns nothwendigen Vernunftprincipien seiner Beurtheilung sei (ein Beweis κατ' αληθειαν oder κατ' ανθρωπον, das letztere Wort in allgemeiner Bedeutung für Menschen überhaupt genommen), ausmachen soll. Im ersteren Falle ist er auf hinreichende Principien für die bestimmende, im zweiten bloß für die reflectirende Urtheilskraft gegründet.“5

In dieser Passage ist die Analogie eng mit der reflektierenden Urteilskraft verbunden. Daher ist es Kant zufolge ein Beweis κατ' ανθρωπον bzw. in Bezug auf die Menschen, dass Gott die höchste Intelligenz hat. Das unterscheidet sich von der bestimmenden Urteilskraft, die das hinreichende Prinzip ist, um die Mannigfaltigkeit unter einen einheitlichen Begriff oder unter die Kategorien zu bringen. Die Analogie oder der Beweis κατ' ανθρωπον bezieht sich aber auf die reflektierende Urteilskraft, die die intellektuellen Eigenschaften Gott zuschreiben, um die systematische Einheit der Welt zu interpretieren. Wie Kant in Von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft der KrV sagt: „Die Einheit aller möglichen empirischen Verstandeshandlungen systematisch zu machen, ist ein Geschäfte der Vernunft, so wie der Verstand das Mannigfaltige der Erscheinungen durch Begriffe verknüpft und unter empirische Gesetze bringt.“6 D.h. Gott ist nicht ein sinnlicher Gegenstand, der von den Kategorien bestimmt wird, er bezieht sich immer auf die systematische Einheit der Welt. Damit wird die höchste Intelligenz immer respektiv auf die Welt Gott zugeschrieben.

Zusammenfassend kann durch die Unterscheidung zwischen an sich und für uns festgelegt werden, dass die höchste Intelligenz keine direkte Bestimmung von Gott als Ding an sich ist, so wie der Verstand seinen Gegenstand direkt bestimmt. Nur in Bezug auf Gottes Verhältnis zur Welt und zum Menschen kann Gott als die höchste Intelligenz betrachtet werden. Anders gesagt, die systematische Einheit der Welt als Folge erfordert die höchste Intelligenz als Grund. Was Gott an sich angeht, ist die Gewissheit seiner Existenz jedoch noch unbekannt.

2.2.2 Die Als-Ob-Philosophie und die Gewissheit der Existenz Gottes

Aus den obigen Schlussfolgerungen ergibt sich das folgende Problem: Wenn die Eigenschaft Gottes respektiv auf den Menschen oder in Bezug auf das Verhältnis zwischen der Welt und Gott übertragen wird, kann dann daraus erschlossen werden, dass Gott nur eine freie Schöpfung des Menschen ist? Dieses Problem hängt mit der häufigen Verwendung des Wortes als ob in Kants Philosophie zusammen. In Unterabschnitt 1.3.2 zitieren wir viele Absätze, in denen Kant durch die Analogie Gott als höchste Intelligenz betrachtet hat. Jeder Absatz enthält das Wort „als ob“, beispielsweise „als ob sie Anordnungen einer höchsten Vernunft wären“, oder „wir sind genöthigt, die Welt so anzusehen, als ob sie das Werk eines höchsten Verstandes und Willens sei.“ Neben der theoretischen Philosophie ist „als ob“ von Kant sehr häufig in den Bereichen der praktischen Philosophie, der Religionsphilosophie, der Ästhetik usw. angewendet worden.1 Die Frage ist nun, wie das „als ob“ verstanden werden kann. Hans Vaihingers Als-​Ob-​Philosophie repräsentiert eine Tendenz, Kants Gottesbegriff als eine heuristische Fiktion zu betrachten.

Des Weiteren deckt Hans Vaihingers Als-​Ob-​Philosophie, wie der Untertitel seines Buches andeutet,2 ein breites Themenspektrum ab, das die theoretische, die praktische und die Religionsphilosophie umfasst. Vaihinger glaubt, dass Kant ein Vorläufer der Als-​Ob-​Philosophie ist und dass der so von ihm interpretierte Kant der wahre Kant ist.3 Diese Untersuchung befasst sich mit der Verwendung der Als-​Ob-​Philosophie in der Religionsphilosophie. Anhand der Zusammenfassung von Heinrich Scholz können wir Vaihingers Konzept der Religionsphilosophie bzw. die Verwendung der Als-​Ob-​Philosophie in der Religionsphilosophie veranschaulichen:

„(1) Im Zentrum der Religion steht der Gottesglaube.

(2) Die empirische Religion versteht unter dem Gottesglauben den Glauben an das Dasein Gottes.

(3) Dieser Glaube ist sinnlos, denn es gibt keinen Gott.

(4) Die Aufhebung dieses Glaubens ist aber nicht gleichbedeutend mit der Aufhebung der Religion.

(5) Religion im Vollsinne des Wortes ist mehr als bloßer Gottesglaube; sie ist die Gestaltung des Lebens durch diesen Glauben. Die Lebensgestaltung ist gewissermaßen der Ausweis der Religion.

[…]

(7) Da nun von einer Wirklichkeit Gottes schlechterdings nicht die Rede sein kann, so muß der Gottesglaube als Glaube an ein imaginiertes höchstes Wesen definiert werden.“4

Für die Als-​Ob-​Philosophie existiert Gott daher nicht, und das menschliche Konzept von Gott ist etwas, das sich die Menschen vorstellen, und damit eine Fiktion der menschlichen Vernunft. Die Religion ist nur ein Glaube an die von den Menschen selbst geschaffene Idee Gottes. Ausgehend von einem solchem Fiktionalismus betrachtet Hans Vaihinger Gott bei Kant schlechthin als Fiktion der menschlichen Vernunft, denn Gott existiert tatsächlich nicht. Hans Vaihinger hat das „als ob“ in Kants Schriften eingehend untersucht: von den vorkritischen Schriften bis zum Opus Postumum, von der theoretischen Philosophie über die praktische Philosophie bis hin zur Religionsphilosophie. Er ist der Meinung, dass die wahre kritische Philosophie Kants die Als-​Ob-​Philosophie ist. Dies kommt an folgenden Stellen zum Ausdruck. Zum Beispiel zitiert Hans Vaihinger einen Satz aus dem Abschnitt Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft der KrV: „wir müssen alles, was nur immer in den Zusammenhang der möglichen Erfahrung gehören mag, so betrachten, als ob diese eine absolute.[…] Einheit ausmache, […] zugleich aber, als ob der Inbegriff aller Erscheinungen (die Sinnenwelt selbst) einen obersten […] Grund […] habe, nämlich eine gleichsam selbständige, ursprüngliche und schöpferische Vernunft, […] als ob die Gegenstände selbst aus jenem Urbilde aller Vernunft entsprungen wären.“5 Daraus erschließt Hans Vaihinger: „d.h. man dürfe sich dieser Begriffe als heuristischer Fiktion bedienen.“6 Die folgenden Absätze repräsentieren die typische Auffassung von Hans Vaihinger:

„Also ‚die Voraussetzung, dass eine höchste Intelligenz alles nach den weisesten Zwecken geordnet habe‘ usw. – alle diese Vorstellungen, welche doch ‚blosse Ideen‘ sind, will Kant auch als ‚Glaube‘ bezeichnen. Also in diesem Sinne, in diesem Zusammenhang ist Glaube so viel als die Annahme, als ob etwas wäre, was nicht wirklich ist und nicht wirklich sein kann. Nicht nur Kant nennt hier diese fiktiven Annahmen ‚Glauben‘—auch rückwärts aus der Geschichte der Religionen, speziell aus der Geschichte der Mystik, lässt sich durch viele Beweise erhärten, dass auch umgekehrt vielfach vielen Gläubigen ihre Glaubenswelt nur eine bewusste Selbsttäuschung, d.h. eben eine Welt von bewusster Fiktion war – und noch heute ist.“7

Hans Vaihinger entlehnt seine Argumente aus dem philosophischen Denken Nietzsches und betrachtet den Gegenstand des Glaubens als bewusste Selbsttäuschung und Fiktion. Somit wird der Schluss gezogen, dass der kantische Gegenstand des Glaubens nur eine selbstgeschaffene Fiktion ist.

Hans Vaihingers Interpretation der kantischen Glaubenslehre wird von Erich Adickes entschieden widersprochen. Zunächst müssen die Behauptungen von Erich Adickes vorgelegt werden. Im von ihm herausgegebenen Opus Postumum widersetzt er sich ausdrücklich der Interpretation von Hans Vaihingers Fiktionalismus.8 Erich Adickes kritisiert den Fiktionalismus des Weiteren in Kant und die Als-​Ob-​Philosophie (1927). Er geht dabei von folgendem Postulat aus: „Historische Auffassung gegen unhistorische Vergewaltigung unter dem Drang nach aktuell-​systematischer Verwertung.“9 Adickes schreibt, dass Hans Vaihinger das Ding an sich, Gott, die Seele, die Willensfreiheit, die Unsterblichkeit nicht als „wirkliche Realitäten“, „sondern als bloße Fiktion“ betrachtet und damit das historische Studium von Kants Philosophie „ein Opfer seines systematischen Dranges“ wird.10 Erich Adickes untersucht ausführlich Hans Vaihingers Ansichten und prüft detailliert und systematisch die kantischen Texte. Was das Thema dieser Untersuchung betrifft, ist hier festzustellen, dass Erich Adickes die Ideentheorie in der transzendentalen Dialektik untersucht und zu einer anderen Schlussfolgerung als Hans Vaihinger kommt: „Unter den Stellen aus R.V. [sc. Kritik der reinen Vernunft], die V. [sc. Vaihinger] zugunsten seiner Theorie anführt, ist keine einzige, die irgendwie zwänge, die Vernunftidee als Fiktion in V.’schem Sinn anzusehen. Ja, nicht einmal eine, die eine solche Interpretation auch nur zuließe.“11 Was außerdem die Frage nach der Gewissheit der Existenz Gottes angeht, weist Erich Adickes darauf hin: „Auch in den meisten Als-​Ob-​Stellen deutet nicht nur nichts darauf hin, daß Kant sie in fiktivem Sinn verstanden wissen wollte; sie widerstreben vielmehr geradezu einer solchen Interpretation, sobald man sie in ihrem natürlichen Zusammenhang betrachtet. Was sie zum Ausdruck bringen sollen, ist nur die Unsicherheit und Ungewißheit, ja! das absolute Versagen der theoretischen Vernunft in transzendenten Dingen, ihre Unfähigkeit, die Gegenstände der Vernunftideen zu erkennen und ihre Realität zu erweisen.“ 12 D.h. gemäß Adickes sind die Gegenstände der Ideen (z. B. Gott und die Seele) niemals eine Fiktion. Was diese „Als-​Obs“ tatsächlich bedeuten, ist, dass die Existenz der diesen Ideen entsprechenden Gegenstände in Unsicherheit und Ungewissheit bleibt.13

 

Hans Vaihinger und Erich Adickes vertreten zwei gegensätzliche Ansichten über die Gewissheit der Existenz Gottes: Hans Vaihinger geht davon aus, dass Kant die Existenz Gottes direkt leugnet, während Erich Adickes argumentiert, dass Kant nur zugibt, dass die Gewissheit der Existenz Gottes nicht garantiert werden kann. Wir stimmen mit Erich Adickes’ Standpunkt überein. Wir werden im Folgenden weiter darüber nachdenken. Aufgrund des Themas dieser Dissertation beschränken wir uns darauf, die Idee von Gott als der höchsten Intelligenz zu thematisieren.

(1) Gott ist die höchste Intelligenz, und seine objektive Gültigkeit kann nicht garantiert werden. Der Grund liegt darin, dass Gott als Ding an sich kein Objekt der Anschauung ist, so dass die Kategorien des Verstandes ihn nicht direkt bestimmen können. Kant hat in der transzendentalen Deduktion der Vernunftideen im Anhang zur transscendentalen Dialektik der KrV klar gemacht, dass die Vernunftideen keine gleichermaßen objektive Gültigkeit haben wie die Kategorien, die das sinnliche Objekt direkt bestimmen können: „Es ist ein großer Unterschied, ob etwas meiner Vernunft als ein Gegenstand schlechthin, oder nur als ein Gegenstand in der Idee gegeben wird. In dem ersteren Falle gehen meine Begriffe dahin, den Gegenstand zu bestimmen; im zweiten ist es wirklich nur ein Schema, dem direct kein Gegenstand, auch nicht einmal hypothetisch zugegeben wird, sondern welches nur dazu dient, um andere Gegenstände vermittelst der Beziehung auf diese Idee nach ihrer systematischen Einheit, mithin indirect uns vorzustellen.“14 In dieser Dissertation wurde wiederholt betont, dass Kant die analogische Methode verwendet, um Gott als die höchste Intelligenz in der Beziehung zwischen Gott und der systematischen Einheit der Welt zu definieren. Die höchste Intelligenz ist letztendlich nur eine regulative Idee für uns.

(2) Da Gott das Ding an sich ist und alle Bestimmungen davon indirekt sind, ergeben sich folgende Fragen: (a) Kann die Existenz Gottes direkt geleugnet werden, wie Hans Vaihinger es getan hat? (b) Wenn Gott als die höchste Intelligenz definiert wird und dadurch diese Eigenschaft Gottes nur ein aus der Erfahrung entlehnter Begriff ist, kann man dann behaupten, dass dies unvermeidlich zum Anthropomorphismus führt?

Was die Frage (a) angeht, ist die Antwort relativ einfach. Hans Vaihinger leugnet nachdrücklich die Existenz Gottes. Allerdings entspricht diese Haltung nicht Kants Absicht. Kant behauptet: „denn ein Widerspruch ist in ihnen (den psychologischen und theologischen Ideen) nicht, wie sollte uns daher jemand ihre objective Realität streiten können, da er von ihrer Möglichkeit eben so wenig weiß, um sie zu verneinen, als wir, um sie zu bejahen!“15 Hier bedeutet „kein Widerspruch“ so viel wie „fehlerfrei denkbar“. Da die theologische Idee, bzw. Gott als höchste Intelligenz, keinen Widerspruch aufweist, besteht zumindest eine logische Möglichkeit, dass Gott auch tatsächlich existiert. Da es keine Möglichkeit gibt, dass irgendeine Anschauung dieser Idee entspricht, ist es für den Verstand unmöglich, in der empirischen oder sinnlichen Welt einen Grund zu finden, die Existenz ihres Gegenstandes zu bestätigen oder zu leugnen.

Kants Haltung zeigt sich besonders deutlich in den Prolegomena. Einerseits räumt Kant ein: „nach den allerklärsten Beweisen, die wir oben gegeben haben, würde es Ungereimtheit sein, wenn wir von irgend einem Gegenstande mehr zu erkennen hofften, als zur möglichen Erfahrung desselben gehört, oder auch von irgend einem Dinge, wovon wir annehmen, es sei nicht ein Gegenstand möglicher Erfahrung, nur auf das mindeste Erkenntniß Anspruch machten, es nach seiner Beschaffenheit, wie es an sich selbst ist, zu bestimmen.“16 Diese Passage steht in vollkommenem Einklang mit dem allgemeinen Geist der kritischen Philosophie, d.h. die unmittelbare Bestimmung des Dinges an sich überschreitet die Grenzen der Erfahrung und ist daher unzulässig. Dies ist jedoch nur die Hälfte der Geschichte, die andere Hälfte lautet wie folgt:

„Es würde aber andererseits eine noch größere Ungereimtheit sein, wenn wir gar keine Dinge an sich selbst einräumen, oder unsere Erfahrung für die einzig mögliche Erkenntnißart der Dinge, mithin unsre Anschauung in Raum und Zeit für die allein mögliche Anschauung, unsern discursiven Verstand aber für das Urbild von jedem möglichen Verstande ausgeben wollten, mithin Principien der Möglichkeit der Erfahrung für allgemeine Bedingungen der Dinge an sich selbst wollten gehalten wissen.

Unsere Principien, welche den Gebrauch der Vernunft blos auf mögliche Erfahrung einschränken, könnten demnach selbst transscendent werden und die Schranken unsrer Vernunft für Schranken der Möglichkeit der Dinge selbst ausgeben, wie davon Humes Dialogen zum Beispiel dienen können, wenn nicht eine sorgfältige Kritik die Grenzen unserer Vernunft auch in Ansehung ihres empirischen Gebrauchs bewachte und ihren Anmaßungen ihr Ziel setzte.“17

Kant kritisiert hier grundlegend jene Philosophen, die an den Grenzen der Erfahrung festhalten und „die Schranken unsrer Vernunft für Schranken der Möglichkeit der Dinge selbst ausgeben“. Er kritisiert diejenigen, die nicht über die Ideen sprechen und sogar dogmatisch die Existenz der Gegenstände der Ideen leugnen. Kant kritisiert hier David Hume. Ich bin jedoch der Meinung, dass auch Hans Vaihingers Konzept zur Zielscheibe dieser Kritik werden würde. Kurz gesagt, es ist völlig falsch, die Existenz Gottes direkt zu leugnen. Dies ist mit Kants Philosophie ganz unvereinbar.

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