Besteuerung von Unternehmen II

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3. Grundsatz der Bewertungsvorsicht (Vorsichtsprinzip im engeren Sinne)

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Das Konzept einer vorsichtigen Gewinnermittlung kommt in erster Linie in dem Nebeneinander von Realisations- und Imparitätsprinzip zum Ausdruck. Ergänzend zu diesen speziellen Unterformen des Vorsichtsprinzips ist der Grundsatz der Bewertungsvorsicht als allgemeine Fassung des Vorsichtsprinzips zu beachten (Vorsichtsprinzip ieS).

Der Grundsatz der Bewertungsvorsicht bezieht sich insbesondere auf die Behandlung unsicherer Sachverhalte. Er besagt, dass in den Fällen, in denen die für die Bilanzierung und Bewertung benötigten Informationen nicht vollständig vorliegen, der Bilanzierende bei der Aufstellung seines Jahresabschlusses eher von einer pessimistischen Grundeinstellung ausgehen soll. Aus einer Bandbreite subjektiver Alternativvorstellungen sind tendenziell eher die ungünstigeren Entwicklungen heranzuziehen. Dies bedeutet, dass Aktiva eher niedriger anzusetzen und Passiva eher höher zu bewerten sind.

Beispiel:

Kurz vor dem Abschlussstichtag wird über das Vermögen eines Kunden das Insolvenzverfahren eröffnet. Informationen über die zu erwartende Insolvenzquote sind noch nicht verfügbar. Da in der weit überwiegenden Zahl der Insolvenzen die Quote für nicht bevorrechtigte Gläubiger nahezu null beträgt, entspricht es dem Grundsatz der Bewertungsvorsicht, die Forderung als uneinbringlich anzusehen und vollständig auszubuchen.

Der Grundsatz der Bewertungsvorsicht findet seine Grenze darin, dass kaum wahrscheinliche Extremsituationen nicht unterstellt werden dürfen. Eine derartige „Übervorsicht“ verstößt gegen den Grundsatz der Richtigkeit. Auch bei einer stärkeren Betonung der negativen Aspekte muss die intersubjektive Nachprüfbarkeit gewährleistet sein und eine bewusste („willkürliche“) Unterbewertung von Aktiva bzw Überbewertung von Passiva unterbleiben.

Beispiele:

Beim Betrieb eines Kernkraftwerks kann trotz aller Sicherheitsmaßnahmen eine unkontrollierte Kettenreaktion nicht vollständig ausgeschlossen werden. Die Anhaltspunkte dafür, dass in nächster Zeit mit einem GAU zu rechnen ist, sind jedoch – hoffentlich – zu gering, um damit für die in diesem Fall entstehenden Schadensersatzverpflichtungen die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu begründen.

Für die Verpflichtung eines Herstellers zum Ausgleich der Schäden, die aus der Nutzung seiner Produkte entstehen, kann nur dann eine Rückstellung gebildet werden, wenn spezifiziert werden kann, in welchen Fällen mit einer Inanspruchnahme aus der Produkthaftung zu rechnen ist und welche Schäden voraussichtlich auszugleichen sind. Denkbare, aber nicht anhand von nachprüfbaren Argumenten zu konkretisierende Schäden dürfen nicht berücksichtigt werden.

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Die hinter dem Grundsatz der Bewertungsvorsicht stehenden Überlegungen lassen sich anhand eines theoretischen Idealfalls verdeutlichen: Bei der Bestimmung der Rückstellungshöhe für ein bestimmtes Einzelrisiko (zB Schadensersatzverpflichtung), bei dem für die verschiedenen möglicherweise eintretenden Belastungen jeweils Wahrscheinlichkeiten bekannt sind, ist ein Wert zwischen dem Erwartungswert und dem maximalen gerade noch, wenn auch mit minimaler Wahrscheinlichkeit, denkbaren Betrag zu wählen. Als angemessen gilt der Wert, der mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird. In Abhängigkeit von der subjektiven Einstellung der einzelnen Autoren werden in der Literatur Grenzwerte zwischen 80 und 95% genannt.[1] In den praktisch bedeutsamen Fällen kann aber regelmäßig keine Wahrscheinlichkeitsverteilung angegeben werden. Nach dem Grundsatz der Bewertungsvorsicht gilt ein Wert dann als angemessen, wenn – abgesehen vom Eintreten ungewöhnlicher Umstände – angenommen werden kann, dass keine höhere Belastung des Jahresergebnisses eintritt. In Verbindung mit dem Grundsatz der Richtigkeit erfordert der Grundsatz der Bewertungsvorsicht vom Bilanzierenden, dass er die von ihm getroffene Entscheidung plausibel begründet, dh er muss für die Höhe der entstandenen Wertminderungen bzw möglicherweise entstehenden Belastungen nachprüfbare Argumente nennen können. Der Bilanzierende muss alle wertbeeinflussenden Tatbestände in seine Betrachtung einbeziehen. Möglicherweise eingetretene Minderungen des Reinvermögens, für die keine nachprüfbaren Begründungen angegeben werden können, dürfen nicht berücksichtigt werden. Durch das Zusammenwirken des Vorsichtsprinzips mit dem Objektivierungsgedanken soll eine willkürliche Unterbewertung von Aktiva bzw eine nicht begründbare Überbewertung von Passiva vermieden werden.

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Das Nebeneinander des Grundsatzes der Bewertungsvorsicht sowie des Grundsatzes einer objektivierten Gewinnermittlung führt dazu, dass bei der Bewertung von mehreren gleichartigen Sachverhalten eine Annäherung an den Erwartungswert vorgenommen werden kann. Voraussetzung dafür ist, dass eine Wahrscheinlichkeitsverteilung bestimmt werden kann und dass ein statistischer Risikoausgleich möglich ist. Das typische Beispiel für eine Bewertung zum Erwartungswert bilden Pensionsrückstellungen für Versorgungszusagen.

Beim Grundsatz der Bewertungsvorsicht tritt also ein Zielkonflikt zwischen dem Grundsatz der Richtigkeit und dem Vorsichtsprinzip auf. Aufgrund des Grundsatzes der Tatbestandsmäßigkeit und Tatbestandsbestimmtheit sind für die steuerliche Gewinnermittlung an den Nachweis strengere Anforderungen zu stellen als in der Handelsbilanz. Der Objektivierungsgedanke führt im Vergleich zur Handelsbilanz zu einer stärkeren Betonung des Grundsatzes der Richtigkeit und damit gleichzeitig zu einem Zurückdrängen des Grundsatzes der Bewertungsvorsicht.

Anmerkungen

[1]

Vgl Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., Stuttgart 1995, § 252 HGB, Tz. 68; Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, Bonn (Loseblattausgabe), § 252 HGB, Rz. 144; Pittroff/Schmidt/Siegel, Allgemeine Bewertungsgrundsätze, in: Böcking/Castan/Heymann ua (Hrsg.), Beckʼsches Handbuch der Rechnungslegung, München (Loseblattausgabe), B 161, Rz. 129.

Erster Teil Steuerliche Gewinnermittlung › Zweiter Abschnitt Bilanzierung und Bewertung der aktiven Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz

Zweiter Abschnitt Bilanzierung und Bewertung der aktiven Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz

Erster Teil Steuerliche Gewinnermittlung › Zweiter Abschnitt Bilanzierung und Bewertung der aktiven Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz › A. Bilanzierung von Wirtschaftsgütern

A. Bilanzierung von Wirtschaftsgütern

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Aus der in Kapitel I. vorgestellten Bilanzierungskonzeption ergibt sich, dass bei der Entscheidung darüber, welche Vermögenswerte auf der Aktivseite der Steuerbilanz enthalten sind, zunächst der für die steuerrechtliche Gewinnermittlung grundlegende Begriff „Wirtschaftsgut“ zu definieren und gegenüber dem handelsrechtlichen Begriff „Vermögensgegenstand“ abzugrenzen ist (abstrakte Bilanzierungsfähigkeit, Kapitel II.). Im Zusammenhang mit der konkreten Bilanzierungsfähigkeit (Kapitel III.) sind im ersten Schritt die gesetzlichen Vorschriften zu untersuchen, die für die betreffende Bilanzposition gelten. Dabei ist danach zu unterscheiden, ob bzw unter welchen Voraussetzungen eine Ansatzpflicht, ein Ansatzwahlrecht oder ein Ansatzverbot besteht. Im zweiten Schritt sind die persönliche und sachliche Zurechnung zu prüfen. In diesem Zusammenhang ist die Frage zu beantworten, ob das Wirtschaftsgut in der Steuerbilanz (sachliche Zurechnung zum Betriebsvermögen) des Bilanzierenden (persönliche Zurechnung zum Steuerpflichtigen) anzusetzen ist.

I. Bilanzierungskonzeption

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(1) Überblick: Die Entscheidung, was in einer Bilanz auf der Aktiv- oder Passivseite anzusetzen ist, hängt vom Zweck der Rechnungslegung ab. In der Steuerbilanz erfolgt die Gewinnermittlung durch einen Betriebsvermögensvergleich. Da im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung keine Gesamtbewertung vorgenommen wird, sondern die Steuerbilanz auf einem Einzelvermögensvergleich beruht, ist abzugrenzen, was unter einem (einzelnen) Wirtschaftsgut zu verstehen ist.

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Wirtschaftsgüter unterteilen sich in aktive Wirtschaftsgüter (Vermögenswerte) und passive Wirtschaftsgüter (Verpflichtungen: Verbindlichkeiten und Rückstellungen). Beide Begriffe sind nicht gesetzlich definiert. Dies gilt auch für die vergleichbaren handelsrechtlichen Begriffe „Vermögensgegenstand“ und „bilanzielle Schuld“. Als Ausgangspunkt für die Definition dieser Begriffe lassen sich zwei Fragen formulieren:


Ist ein wirtschaftlicher Vorteil so weit konkretisiert, dass er als Aktivposten (insbesondere als aktives Wirtschaftsgut bzw Vermögensgegenstand) anzusehen ist?
Ist die in Zukunft anfallende Auszahlung so belastend, dass sie als Passivposten (insbesondere als passives Wirtschaftsgut bzw bilanzielle Schuld) zu betrachten ist?

Bei der Analyse, ob ein wirtschaftlicher Sachverhalt zu einem Ansatz dem Grunde nach führt, ist wie folgt vorzugehen: Nach der Überprüfung der abstrakten Bilanzierungsfähigkeit ist zu untersuchen, ob auch die konkrete Bilanzierungsfähigkeit vorliegt.

 

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(2) Abstrakte Bilanzierungsfähigkeit: Bei der abstrakten Bilanzierungsfähigkeit ist zu klären, ob der betrachtete wirtschaftliche Sachverhalt inhaltlich unter eine bestimmte Bilanzposition subsumiert werden kann. In diesem Zusammenhang ist festzulegen, ob er die Begriffsmerkmale dieser Position erfüllt. Hierbei kommt es insbesondere zu einer Konkretisierung der Begriffe „aktives Wirtschaftsgut“ und „passives Wirtschaftsgut“. Darüber hinaus ist der Inhalt von Rechnungsabgrenzungsposten sowie von steuerfreien Rücklagen zu bestimmen.

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(3) Konkrete Bilanzierungsfähigkeit: Bei der konkreten Bilanzierungsfähigkeit ist anhand der speziellen gesetzlichen Regelungen und der im Einzelfall geltenden Verhältnisse zu prüfen, ob ein wirtschaftlicher Sachverhalt, bei dem die abstrakte Bilanzierungsfähigkeit gegeben ist, tatsächlich in der Steuerbilanz angesetzt wird. Die konkrete Bilanzierungsfähigkeit unterteilt sich in zwei Bereiche:


Ansatzpflicht, -wahlrecht oder -verbot,
persönliche und sachliche Zurechnung.

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(a) Ansatzpflicht, -wahlrecht oder -verbot: Für jeden abstrakt bilanzierungsfähigen Sachverhalt ist festzulegen, ob die für die steuerrechtliche Gewinnermittlung geltenden Vorschriften die Bilanzierung verbindlich regeln (Ansatzpflicht oder Ansatzverbot) oder ob sie dem Steuerpflichtigen die Entscheidung überlassen (Ansatzwahlrecht).

In Teilbereichen sind die gesetzlichen Regelungen zum Ansatz dem Grunde nach in der Form differenziert ausgestaltet, dass die Bilanzierung nur unter bestimmten Bedingungen zwingend oder wahlweise zulässig ist. Liegen die zusätzlich geforderten Kriterien nicht vor, darf der Sachverhalt nicht in die Steuerbilanz aufgenommen werden.

Beispiel:

Immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens sind abstrakt bilanzierungsfähig, da sie die begrifflichen Merkmale eines Wirtschaftsguts erfüllen. Sie dürfen in der Steuerbilanz aber nur aktiviert werden, wenn der Steuerpflichtige sie entgeltlich erworben hat. Liegt das Zusatzkriterium „entgeltlicher Erwerb“ vor, besteht für die steuerliche Gewinnermittlung eine Ansatzpflicht. Fehlt diese zusätzliche Voraussetzung, dh es handelt sich um ein selbst erstelltes immaterielles Wirtschaftsgut des Anlagevermögens, gilt steuerrechtlich ein Aktivierungsverbot (§ 5 Abs. 2 EStG).[1]

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(b) Persönliche und sachliche Zurechnung: Bei einem abstrakt bilanzierungsfähigen Sachverhalt, der entweder ansatzpflichtig ist oder bei dem sich der Steuerpflichtige dazu entschieden hat, das Ansatzwahlrecht auszuüben, ist zusätzlich die Zurechnung zu prüfen. Die Zurechnungsprüfung lässt sich mit folgender Frage gleichsetzen: „Bei wem ist der abstrakt bilanzierungsfähige Sachverhalt im Betriebsvermögen zu bilanzieren?“

Die Zurechnungsproblematik weist also zwei Merkmale auf:


persönliche Zurechnung: Wer hat das Wirtschaftsgut zu aktivieren?
sachliche Zurechnung: Ist das Wirtschaftsgut im Betriebsvermögen zu erfassen, oder ist es dem Privatvermögen zuzuordnen? Bei einer Zuordnung zum Privatvermögen ist eine Bilanzierung in der Steuerbilanz nicht möglich.

Während die abstrakte Bilanzierungsfähigkeit sowie die gesetzlichen Regelungen zum Ansatz bei jeder Bilanzposition im Einzelnen zu untersuchen sind, stellt sich die Zurechnungsfrage in erster Linie für den Ansatz von aktiven Wirtschaftsgütern und Verbindlichkeiten. Bei den anderen Bilanzpositionen (Rechnungsabgrenzungsposten, Rückstellungen, steuerfreie Rücklagen) ist die Zurechnung im Regelfall eindeutig.

Abb. 12:

Prüfkriterien für die abstrakte und konkrete Bilanzierungsfähigkeit


[Bild vergrößern]

Anmerkungen

[1]

Handelsbilanziell wird ein Ansatzwahlrecht eingeräumt (§ 248 Abs. 2 S. 1 HGB).

II. Abstrakte Bilanzierungsfähigkeit

1. Begriff des aktiven Wirtschaftsguts

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(1) Begriffsinterpretation durch die Finanzrechtsprechung: Der Begriff des aktiven Wirtschaftsguts ist gesetzlich nicht definiert. Der in § 4 Abs. 1 S. 2 EStG enthaltene Klammerzusatz, wonach als Wirtschaftsgüter Barentnahmen, Waren, Erzeugnisse, Nutzungen und Leistungen anzusehen sind, ist zu unbestimmt, um als allgemein verbindliche Interpretation der abstrakten Bilanzierungsfähigkeit von wirtschaftlichen Werten verwendet werden zu können. Der Begriff des Wirtschaftsguts wurde vielmehr von der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs eingeführt und vom Bundesfinanzhof weiterentwickelt. Der Begriff des Wirtschaftsguts wird sowohl für Vermögensvorteile als auch für Belastungen verwendet, sodass von aktiven (positiven) Wirtschaftsgütern bzw von passiven (negativen) Wirtschaftsgütern gesprochen wird.[1]

Nach ständiger Rechtsprechung fallen unter den Begriff des Wirtschaftsguts (1) Sachen und Rechte im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie (2) sonstige wirtschaftliche Vorteile, die nach der Verkehrsauffassung selbständig bewertbar sind:[2]

Abb. 13:

Definition des aktiven Wirtschaftsguts


[Bild vergrößern]

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(2) Sachen und Rechte im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs: Das Vorliegen eines Wirtschaftsguts ist unstrittig gegeben, wenn es sich um einen körperlichen (materiellen) Gegenstand handelt, also um eine Sache im Sinne des § 90 BGB. Die abstrakte Bilanzierungsfähigkeit ist darüber hinaus bei immateriellen Werten gegeben, sofern diese nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch als Recht (unkörperlicher Gegenstand) angesehen werden.

Zu den Wirtschaftsgütern gehören auch finanzielle Vermögenswerte, wie Kassenbestände, Bankguthaben, Schecks, Forderungen, Beteiligungen (Aktien, GmbH-Anteile, Anteile an Genossenschaften) oder festverzinsliche Wertpapiere, da sie jeweils bestimmte Rechtspositionen repräsentieren.

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(3) Sonstige selbständig bewertbare wirtschaftliche Vorteile: Durch die Erweiterung des Begriffs des Wirtschaftsguts um sonstige wirtschaftliche Vorteile gelten auch tatsächliche Zustände, konkrete Möglichkeiten und sonstige vermögenswerte Vorteile als abstrakt bilanzierungsfähig, sofern diese nach der Verkaufsauffassung selbständig bewertbar sind.

Selbständige Bewertbarkeit liegt vor, wenn der wirtschaftliche Vorteil bei einer Übertragung als Einzelheit von Bedeutung und als solcher greifbar ist. Es wird darauf abgestellt, ob sich dem sonstigen wirtschaftlichen Vorteil ein Betrag zuordnen lässt, der im Rahmen des Unternehmens nicht unbedeutend ist und der sich von den übrigen Vermögenswerten des Betriebs abgrenzen lässt. Der betrachtete wirtschaftliche Wert muss sich insbesondere gegenüber dem Geschäfts- oder Firmenwert abheben. Die abstrakte Bilanzierungsfähigkeit ist zu verneinen, wenn sich der wirtschaftliche Vorteil ins Allgemeine verflüchtigt, sodass er nur indirekt über eine Steigerung des Geschäfts- oder Firmenwerts in Erscheinung tritt.

Die selbständige Bewertbarkeit wird aus Sicht eines potenziellen Erwerbers beurteilt. Es wird darauf abgestellt, ob ein gedachter Erwerber für den untersuchten wirtschaftlichen Vorteil ein ins Gewicht fallendes gesondertes Entgelt ansetzen würde. Es muss eine nachvollziehbare Relation zwischen dem Vorliegen eines bestimmten wirtschaftlichen Vorteils und der Höhe des Kaufpreises hergestellt werden können. Ein Anhaltspunkt dafür ist, ob der Steuerpflichtige sich die Erlangung des wirtschaftlichen Vorteils etwas hat kosten lassen oder – bei unentgeltlichem Erwerb – kosten lassen würde.

Für das Vorliegen eines Wirtschaftsguts wird nicht gefordert, dass der wirtschaftliche Wert einzeln veräußert oder durch Nutzungsüberlassung einzeln verwertet werden kann. Es ist ausreichend, wenn der wirtschaftliche Vorteil zusammen mit dem gesamten Unternehmen übertragbar ist.

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(4) Beispiele: Die abstrakte Bilanzierungsfähigkeit lässt sich bei materiellen Wirtschaftsgütern sowie bei finanziellen Vermögenswerten anhand zivilrechtlicher Kriterien prüfen. Das Vorliegen eines Wirtschaftsguts ist in folgenden Fällen unstrittig:


körperliche Gegenstände, dh Sachen iSd § 90 BGB (zB Grundstücke, Gebäude, Maschinen, Fahrzeuge, Betriebs- und Geschäftsausstattung, Rohstoffe oder Fertigerzeugnisse) und Tiere (§ 90a BGB)
finanzielle Vermögenswerte (nominalgüterliche Wirtschaftsgüter), wie Kassenbestände, Bankguthaben, Schecks, Forderungen, Beteiligungen (Aktien, GmbH-Anteile, Anteile an Genossenschaften) oder festverzinsliche Wertpapiere.

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Obwohl bei immateriellen wirtschaftlichen Werten hinsichtlich der abstrakten Bilanzierungsfähigkeit in Teilbereichen Meinungsverschiedenheiten bestehen, ist es allgemein anerkannt, dass folgende Rechte, Rechtspositionen und wirtschaftliche Werte Wirtschaftsgüter sind:


Zahlungen für den Erwerb sonstiger Rechte von Dritten, insbesondere Erbbaurechte, Anzahlungen auf bestellte Anlagen oder Vorräte, Gehalts- oder Honorarvorschüsse
gewerbliche Schutzrechte, insbesondere Patente, Warenzeichen, Gebrauchsmuster sowie Urheber- und Verlagsrechte, Domain-Namen
Nutzungsrechte, wie Nießbrauch (§ 1030, § 1068 BGB)
Optionsrechte (das Recht, Wertpapiere zu erwerben oder zu verkaufen)
Konzessionen (öffentlich-rechtliche Befugnisse), wie Güterfernverkehrslizenzen, Taxikonzessionen, Fischereirechte, Start- und Landerechte, UMTS-Lizenzen
selbständig bewertbare Vorteile, wie Ergebnisse von Entwicklungsaufträgen (einschließlich Prototypen), Software, Datenbanken (einschließlich Ausgaben zur Implementierung eines Internetauftritts), Adresssammlungen, ungeschützte Erfindungen, Geheimverfahren, Rezepte, Film- und Tonaufzeichnungen, Werbefilme, Kundenlisten.

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Kein Wirtschaftsgut stellen beispielsweise die erwarteten Vorteile eines Werbefeldzugs oder von Public-Relations-Maßnahmen dar. Da ihr Wert nicht mit hinreichender Sicherheit zu quantifizieren ist, liegt das zur Objektivierung herangezogene Kriterium der selbständigen Bewertbarkeit nicht vor. Bei den Vorteilen aus einem hohen Ausbildungsstand der Mitarbeiter, der Organisationsstruktur des Unternehmens und den Standortbedingungen ist gleichfalls die abstrakte Bilanzierungsfähigkeit abzulehnen. Diese wirtschaftlichen Vorteile gelten nicht als Wirtschaftsgut, vielmehr sind sie als unselbständige Teile des Geschäfts- oder Firmenwerts anzusehen.

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Obwohl in weiten Bereichen die Prüfung, ob die abstrakte Bilanzierungsfähigkeit gegeben ist, zu einem eindeutigen Ergebnis führt, verbleiben zahlreiche Fälle, in denen das Vorliegen eines Wirtschaftsguts kontrovers diskutiert wird. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Interpretation des Kriteriums „selbständige Bewertbarkeit“ von subjektiven Einschätzungen abhängt. Im Kern lassen sich die Meinungsverschiedenheiten darauf zurückführen, welches Gewicht dem Gedanken einer objektivierten Vermögensermittlung beigemessen wird:


Je mehr gefordert wird, dass die abstrakte Bilanzierungsfähigkeit intersubjektiv nachprüfbar sein muss, umso höhere Anforderungen werden an den Nachweis der selbständigen Bewertbarkeit gestellt und umso kleiner fällt der Kreis der wirtschaftlichen Vorteile aus, bei denen die Wirtschaftsguteigenschaft bejaht wird.
Umgekehrt gilt: Je weniger gefordert wird, dass die abstrakte Bilanzierungsfähigkeit intersubjektiv nachprüfbar sein muss, umso geringere Anforderungen werden an den Nachweis der selbständigen Bewertbarkeit gestellt und umso größer fällt der Kreis der wirtschaftlichen Vorteile aus, bei denen die Wirtschaftsguteigenschaft angenommen wird.

Da für diesen Abwägungsprozess kein eindeutiger Beurteilungsmaßstab zur Verfügung steht, bleibt der Umfang der Aktiva unbestimmt. Dies ist insbesondere deshalb unbefriedigend, weil bei einer Gewinnermittlung durch einen Betriebsvermögensvergleich die Höhe der in den einzelnen Perioden ausgewiesenen Einkünfte aus Gewerbebetrieb in starkem Maße davon abhängt, welche Vermögenswerte in die Berechnung des Reinvermögens einbezogen werden (Wirtschaftsguteigenschaft wird bejaht) und welche Ausgaben sofort als Betriebsausgabe verrechnet werden (Vorliegen eines Wirtschaftsguts wird verneint).