Besteuerung von Unternehmen I

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

B. Dependenzen und Interdependenzen

31

Die Komplexität der Unternehmensbesteuerung erhöht sich dadurch, dass die einzelnen Steuerarten nebeneinander anfallen können:


Bei der Einordnung eines wirtschaftlichen Sachverhalts in das Steuersystem wird zum Teil das gleiche Steuerobjekt von mehreren Steuerarten erfasst. Beispiele: Gewerbliche Gewinne unterliegen bei Einzelunternehmern sowohl der Einkommensteuer als auch der Gewerbesteuer, bei Kapitalgesellschaften sowohl der Körperschaftsteuer als auch der Gewerbesteuer. Entnahmen von Wirtschaftsgütern aus dem Unternehmen für private Zwecke sind sowohl bei der Einkommensteuer und Gewerbesteuer als auch bei der Umsatzsteuer steuerlich relevante Vorgänge.
Die verschiedenen Steuerarten sind in vielfältiger Weise miteinander verknüpft. Die Verknüpfungen können über die Bemessungsgrundlage oder durch die Abzugsfähigkeit einer Steuerart bei Ermittlung der Steuerschuld einer anderen Steuerart auftreten. Beispiele: Die Kirchensteuer bemisst sich nach der Einkommensteuer einer natürlichen Person. Die Kirchensteuer ist wiederum von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer abzugsfähig. Dies bedeutet, dass sich die Kirchensteuer und die Einkommensteuer gegenseitig beeinflussen.

Die effektive steuerliche Belastung der von Unternehmen erzielten Erträge, des unternehmerischen Zwecken dienenden Vermögens und von Verkehrsvorgängen ist deshalb im Regelfall nicht unmittelbar erkennbar.[10]

Erster Teil Einführung › Zweiter Abschnitt Merkmale des deutschen Steuersystems › C. Anknüpfung an zivilrechtliche Wertungen

C. Anknüpfung an zivilrechtliche Wertungen

32

Ziel der Unternehmensbesteuerung ist es, wirtschaftliche Tatbestände zu erfassen, wie beispielsweise das am Markt erwirtschaftete Einkommen oder das an einem Stichtag vorhandene Vermögen. Bei Konkretisierung der Steuergegenstände, dh bei der Festlegung dessen, was der Besteuerung unterliegt, wird aber nicht an betriebswirtschaftliche Zielgrößen – zB kapitaltheoretischer Gewinn, Kapitalwert, Deckungsbeitrag, Unternehmenswert nach der Discounted-Cash-Flow-Methode, Verkehrswert eines Grundstücks – angeknüpft, vielmehr bestimmt sich die Steuerbelastung nach juristisch definierten Bemessungsgrundlagen: das zu versteuernde Einkommen (§ 2 Abs. 5 EStG, § 7 Abs. 2 KStG), der Gewerbeertrag (§ 6 GewStG), die Bereicherung des Erwerbers (§ 10 ErbStG) oder der in einem speziellen Verfahren ermittelte Grundsteuerwert eines Grundstücks (§ 13 GrStG). Die für die Steuerbilanz geltenden Gewinnermittlungsvorschriften weichen erheblich von den betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zur Berechnung des Erfolgs eines Unternehmens ab.

Weitere Abweichungen vom betriebswirtschaftlichen Erfolgs- bzw Vermögensbegriff ergeben sich bei den Personensteuern durch die Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse eines Unternehmers (zB weitere Einkünfte oder Vermögenswerte außerhalb des Unternehmens, Familienstand, Zahl der Kinder, Alter).

Bei der Bestimmung des Steuersubjekts, dh bei der Frage, welche Person der Besteuerung unterliegt, wird gleichfalls auf zivilrechtliche Wertungen und nicht auf den betriebswirtschaftlichen Unternehmensbegriff abgestellt. Eine Kapitalgesellschaft unterliegt als juristische Person der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer. Unabhängig davon sind zusätzlich die Gesellschafter als natürliche oder juristische Personen steuerpflichtig (Trennungsprinzip). Personengesellschaften sind aufgrund der eingeschränkten zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit weder einkommen- noch körperschaftsteuerpflichtig. Als natürliche oder juristische Personen sind die Gesellschafter einer Personengesellschaft Steuersubjekte (Transparenzprinzip). Der Erfolg eines rechtlich unselbständigen Einzelunternehmens wird unmittelbar bei seinem Inhaber erfasst (Einheitsprinzip).

33

Die zivilrechtliche Form eines Rechtsgeschäfts wird im Steuerrecht prinzipiell anerkannt. Die steuerlichen Folgen einer Tätigkeit hängen deshalb häufig davon ab, ob diese über einen Kauf-, Miet- oder Pacht-, einen Darlehens-, einen Arbeitsvertrag oder auf gesellschaftsrechtlicher Basis abgewickelt wird.

Das Merkmal „Anknüpfung an zivilrechtliche Wertungen“ bildet die Hauptursache dafür,[11]


dass die Steuerbelastung eines Unternehmens von der gewählten Rechtsform abhängt,
dass die verschiedenen Formen der Außenfinanzierung (Eigen- und Fremdfinanzierung, Kreditkauf und Leasing) unterschiedlich besteuert werden,
dass bei Kapitalgesellschaften die Gesamtsteuerbelastung von der Art der Gewinnverwendung (Thesaurierung oder Ausschüttung) bestimmt wird und
dass die Vorteilhaftigkeit einer Investition von der Besteuerung beeinflusst wird.

Allgemein gilt: Je mehr die betriebswirtschaftliche Würdigung eines Sachverhalts von der steuerrechtlichen Einordnung abweicht, desto mehr wirkt sich die Besteuerung auf Rechtsform-, Investitions- und Finanzierungsentscheidungen aus. Ein entscheidungsneutrales Steuersystem würde sich demgegenüber dadurch auszeichnen, dass die ohne Berücksichtigung der Besteuerung feststellbare Rangfolge zwischen verschiedenen Handlungsalternativen mit der Reihenfolge übereinstimmt, die sich ergibt, wenn die steuerlichen Effekte dieser Handlungsalternativen mit einbezogen werden (Entscheidungsneutralität in Form von Rangfolgeinvarianz).[12] Im geltenden Steuerrecht ist es nicht ausgeschlossen, dass sich eine Handlungsalternative nur deshalb als vorteilhaft erweist, weil sie steuerlich geringer belastet wird als eine andere (ohne Berücksichtigung von Steuern vorzuziehende) Handlungsalternative. Besonders deutlich wird die fehlende Entscheidungsneutralität des Steuerrechts bei „Steuersparmodellen“, die sich in allgemeiner Form dadurch kennzeichnen lassen, dass sich ein Steuerpflichtiger nur aufgrund von (tatsächlichen oder vermuteten) steuerlichen Vorteilen für eine bestimmte Art der Vermögensanlage entscheidet, für die er sich ohne Betrachtung der steuerlichen Effekte nicht entschieden hätte.

Erster Teil Einführung › Zweiter Abschnitt Merkmale des deutschen Steuersystems › D. Wertungsabhängigkeit

D. Wertungsabhängigkeit

34

Ein weiteres Merkmal des deutschen Steuersystems ist die Wertungsabhängigkeit. Dieses Kriterium unterteilt sich in Beurteilungsabhängigkeit und Optionsabhängigkeit.

35

Die Beurteilungsabhängigkeit ergibt sich daraus, dass die Prüfung der Steuerbarkeit eines Vorgangs und der Befreiungsvorschriften, die Ermittlung der Bemessungsgrundlage sowie die Anwendung des Tarifs eine subjektive Komponente aufweisen. Die Einordnung eines wirtschaftlichen Sachverhalts in die steuerlichen Normen gelingt nicht immer in eindeutiger Weise. Die Höhe der Steuerbelastung bestimmt sich deshalb auch danach, wie der Steuerpflichtige, sein Berater, die Angehörigen der Finanzverwaltung und die Richter der Finanzgerichte den betrachteten wirtschaftlichen Sachverhalt beurteilen und wie sie das Steuerrecht interpretieren. Die beiden Hauptursachen für die Beurteilungsabhängigkeit bilden die Komplexität des Steuersystems sowie die Unbestimmtheit zahlreicher steuerlicher Vorschriften:


Aufgrund der Komplexität des Steuersystems bereiten das Erkennen und die Anwendung sämtlicher Regelungen, die für die steuerliche Behandlung eines konkreten Sachverhalts bedeutsam sind, erhebliche Schwierigkeiten. Die Beurteilungsabhängigkeit ergibt sich daraus, dass von den Beteiligten die für den Sachverhalt relevanten Normen nicht vollständig zur Kenntnis genommen oder unterschiedlich ausgelegt werden.
Die Beurteilungsabhängigkeit wird dadurch verstärkt, dass die steuerlichen Vorschriften zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe und unklare Formulierungen beinhalten (Unbestimmtheit der Rechtsnormen). Dies gilt insbesondere im Bilanzsteuerrecht und bei der Gewinnaufteilung zwischen verbundenen Unternehmen. Beispielsweise bereitet die Konkretisierung der Begriffe Teilwert, Herstellungskosten, verdeckte Gewinnausschüttung oder angemessener Verrechnungspreis für Leistungsbeziehungen zwischen zwei Konzernunternehmen erhebliche Probleme und führt zu zahlreichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Steuerpflichtigen und Finanzbehörden.

36

 

Aufgrund der Optionsabhängigkeit des Steuerrechts kann der Steuerpflichtige die Höhe der Steuerschuld zum Teil selbst beeinflussen. Dabei ist zwischen Wahlrechten innerhalb des Rechnungswesens und Wahlrechten außerhalb des Rechnungswesens zu differenzieren:


Wahlrechte innerhalb des Rechnungswesens (rechnungslegungspolitische Wahlrechte) sind Optionen, die sich auf die Bemessungsgrundlage auswirken. Sie finden sich insbesondere bei der steuerlichen Gewinnermittlung mithilfe der Steuerbilanz. Bedeutsame Beispiele für rechnungslegungspolitische Wahlrechte bilden die Wahl der Methode zur Berechnung der Abschreibungen von abnutzbaren Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die Entscheidung über die Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen, erhöhten Absetzungen oder von Bewertungsabschlägen, die Inanspruchnahme von Bewertungsvereinfachungen, die Passivierung von steuerfreien Rücklagen oder die Verrechnung eines Investitionsabzugsbetrags. Von erheblicher praktischer Bedeutung ist das im Umwandlungssteuergesetz beim Wechsel der Rechtsform eines Unternehmens im Regelfall gewährte Wahlrecht, die bisherigen Buchwerte fortzuführen oder die stillen Reserven vollständig oder teilweise aufzulösen.
Wahlrechte außerhalb des Rechnungswesens (Rechtswahlmöglichkeiten) erlauben dem Steuerpflichtigen eine Entscheidung über die steuerliche Einordnung eines Sachverhalts. Beispielsweise hängt es von der Ausübung der Umsatzsteueroption ab, ob eine Leistung umsatzsteuerpflichtig oder umsatzsteuerfrei ist (§ 9 UStG). Bei Verpachtung eines Betriebs kann der bisherige Betriebsinhaber bestimmen, ob das Entgelt als Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu qualifizieren ist (§ 16 Abs. 3b EStG). Bei ausländischen Einkünften stehen zum Teil mehrere Methoden zur Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung zur Verfügung (§ 34c EStG, § 26 KStG). Einzelunternehmer und Gesellschafter einer Personengesellschaft können darüber entscheiden, ob sie die Begünstigung für nicht entnommene Gewinne in Anspruch nehmen (§ 34a EStG).

Erster Teil Einführung › Zweiter Abschnitt Merkmale des deutschen Steuersystems › E. Spezielle steuerliche Ungewissheit

E. Spezielle steuerliche Ungewissheit

37

Die allgemeine Ungewissheit über die zukünftige Entwicklung wird im Steuerrecht dadurch verstärkt, dass die Höhe der Steuerzahlung, die durch ein Vorhaben ausgelöst wird, im Planungsstadium aufgrund der langen Verfahrensdauern und der Unbeständigkeit der Rechtsnormen häufig nicht bestimmt werden kann.

Bis zur verbindlichen Entscheidung über die Beurteilung des Sachverhalts können mehrere Jahre vergehen. Nicht nur die Realisierung des Sachverhalts selbst nimmt einige Zeit in Anspruch, zusätzlich sind die Erfassung im Rahmen der steuerlichen Veranlagung und unter Umständen das Ergebnis einer Außenprüfung sowie die Entscheidung über Rechtsmittel abzuwarten. Aufgrund der langen Verfahrensdauern vergeht zwischen der Verwirklichung einer betriebswirtschaftlichen Entscheidung und ihrer steuerrechtlichen Würdigung nicht selten ein Zeitraum, der sich über mehr als ein Jahrzehnt erstreckt.

Beispiele:

Für einen bestimmten Sachverhalt war strittig, zu welcher Einkunftsart die erzielten Mieteinnahmen gehörten. Das Finanzamt ging davon aus, dass die Voraussetzungen einer „Betriebsaufspaltung“ vorlagen, sodass die Einnahmen als gewerbliche Einkünfte behandelt wurden, während der Steuerpflichtige die Mieten als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung versteuern wollte. Im Anschluss an eine Außenprüfung erließ das Finanzamt im Jahr 1974 für die Jahre 1967–1970 entsprechend geänderte Steuerbescheide. Gegen diese Steuerbescheide erhob der Steuerpflichtige vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg Klage. Dieses entschied am 23.6.1977 im Sinne des Finanzamts, woraufhin der Kläger Revision beim Bundesfinanzhof einlegte. In seinem Urteil vom 5.2.1981 entschied auch der Bundesfinanzhof im Sinne des Finanzamts. Der Kläger wandte sich daraufhin mit der Begründung an das Bundesverfassungsgericht, dass die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs seine Grundrechte verletzen würde. Mit Beschluss vom 12.3.1985 hob das Bundesverfassungsgericht das Urteil des Bundesfinanzhofs auf und verwies die Sache an diesen zurück. Erst mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24.7.1986 wurde der Fall endgültig entschieden. Zwischen Streitjahr (1967) und endgültiger Beantwortung, welcher Einkunftsart die Mieteinnahmen zuzurechnen sind (1986), sind 19 Jahre vergangen.

Bei einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in Deutschland (Tochterunternehmen eines italienischen Unternehmens) bestand zwischen dem Unternehmen und den Finanzbehörden Uneinigkeit darüber, ob der für die Lieferung der Bekleidungsartikel durch das italienische Mutterunternehmen in Rechnung gestellte Preis in den Jahren 1980 bis 1990 angemessen war. Im Anschluss an zwei Außenprüfungen ergingen in den Jahren 1992 und 1993 geänderte Körperschaftsteuerbescheide. Über den Einspruch des Tochterunternehmens entschied das Finanzgericht Düsseldorf am 8.12.1998. Gegen dieses Urteil wurde sowohl von dem Tochterunternehmen als auch von der Finanzverwaltung Revision eingelegt. Der Bundesfinanzhof hat seine Entscheidung am 17.10.2001 getroffen. Die Finanzverwaltung hat dieses Urteil erst im Jahr 2004 im Bundessteuerblatt veröffentlicht. Für den Steuerpflichtigen bestand erst nach mehr als zwanzig Jahren Klarheit über die zu zahlende Körperschaftsteuer.

Aus der langen Verfahrensdauer resultiert Unklarheit über die abschließende Beurteilung von in der Vergangenheit verwirklichten Sachverhalten. Demgegenüber ergeben sich aus der Unbeständigkeit der steuerlichen Normen und deren Interpretation durch Finanzbehörden und Finanzgerichte erhebliche Schwierigkeiten bei der betragsmäßigen Festlegung der durch ein beabsichtigtes Vorhaben in zukünftigen Jahren ausgelösten steuerlichen Folgen. Verhältnismäßig unproblematisch sind in diesem Zusammenhang „große“ Steuerreformen, wie die Einführung des Mehrwertsteuersystems bei der Umsatzsteuer im Jahr 1967 oder die Änderung des Konzepts der Grunderwerbsteuer im Jahr 1983, da sich diese bereits frühzeitig abzeichnen. Weitaus weniger vorhersehbar sind ständige Modifikationen der Einzelsteuergesetze und Änderungen der Rechtsprechung. In den letzten Jahren wurden allerdings auch Änderungen des Besteuerungskonzepts innerhalb kürzester Zeit und ohne ausführliche Diskussion im Gesetzgebungsverfahren umgesetzt. Typische Beispiele hierfür sind die durch die Unternehmensteuerreform 2000 vorgenommenen Änderungen der für Einzelunternehmen, Personen- und Kapitalgesellschaften geltenden Besteuerungskonzeption und deren erneute Veränderung durch die Unternehmensteuerreform 2008. Die Bedeutung dieser speziellen Form der Ungewissheit wird auch daran erkennbar, dass allein im Einkommensteuergesetz die Übergangsvorschriften in § 52 EStG einen Umfang von 75 Absätzen erreichen. Eine weitere Erschwernis für die Steuerpflichtigen ergibt sich daraus, dass in den letzten Jahren bedeutsame Änderungen des Steuerrechts nur wenige Tage vor ihrer erstmaligen Anwendung verabschiedet wurden. So wurden beispielsweise das Jahressteuergesetz 2009 am 24.12.2008 und das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz am 31.12.2008 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht, obwohl beide Gesetze erhebliche Neuerungen beinhalten, die bereits ab dem 1.1.2009 zu beachten waren.

Der Gesetzgebungsprozess ist zum Teil so dynamisch, dass zahlreiche steuerliche Normen bereits vor ihrem Inkrafttreten geändert oder aufgehoben werden. Andererseits besteht zum Teil zu dem Zeitpunkt, zu dem ein steuerlich relevanter Vorgang ausgeführt wird, keine gültige steuerrechtliche Vorschrift. Bei der aufgrund eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts notwendigen Neugestaltung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes wurde das Gesetzgebungsverfahren erst Ende Dezember 1996 abgeschlossen. Angewendet wurde das neue Recht jedoch bereits für unentgeltliche Vermögensübertragungen, die ab dem 1.1.1996 vorgenommen wurden.

Erster Teil Einführung › Dritter Abschnitt Rechtsquellen

Dritter Abschnitt Rechtsquellen

38

In einer weiten Interpretation gehören zu den steuerlichen Rechtsquellen das Grundgesetz, völkerrechtliche Normen, das primäre und sekundäre Europarecht, Gesetze, Durchführungsverordnungen, Verwaltungsvorschriften und die Rechtsprechung.

39

(1) Grundgesetz: Von den Vorschriften des Grundgesetzes ist für die Besteuerung insbesondere die Finanzverfassung von Bedeutung, dh die Regelungen über die Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungshoheit (Art. 105 – Art. 108 GG). Darüber hinaus sind die allgemeinen Grundsätze eines Rechtsstaates (zB Gewaltenteilung, Gesetzesbindung, Art. 20 GG) sowie die Grundrechte (zB Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 GG, Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG, Eigentumsgarantie nach Art. 14 GG) zu beachten.

40

(2) Völkerrechtliche Normen: Bei den völkerrechtlichen Normen ist zwischen den allgemeinen Regeln des Völkerrechts und Doppelbesteuerungsabkommen zu unterscheiden. Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind zwar gegenüber dem innerstaatlichen Recht vorrangig anzuwenden (Art. 25 GG). Sie entfalten aber für die Besteuerung nur eine geringe Wirkung. Als Beispiel kann die Freistellung der Bezüge von ausländischen Diplomaten von der Besteuerung im Inland angeführt werden.

Wesentlich bedeutsamer sind Doppelbesteuerungsabkommen (DBA). Dies sind bilaterale völkerrechtliche Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den wichtigsten ausländischen Staaten. Doppelbesteuerungsabkommen werden in innerstaatliches Recht transformiert und gehen als spezielle Regelung den allgemeinen nationalen Steuergesetzen vor (§ 2 AO). Doppelbesteuerungsabkommen dienen in erster Linie dazu, bei grenzüberschreitender Geschäftstätigkeit eine internationale Doppelbesteuerung zu vermeiden oder zumindest abzuschwächen. Sie enthalten Regelungen, in denen die beiden beteiligten Staaten ihre nationale Steuerhoheit durch die Vereinbarung von gegenseitigen Steuerverzichten begrenzen, sodass grenzüberschreitend tätige Unternehmer nicht höher belastet werden als Steuerpflichtige, die ihre unternehmerischen Aktivitäten ausschließlich in einem Staat ausüben. Der Hauptanwendungsfall von Doppelbesteuerungsabkommen liegt im Bereich der Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer. Spezielle Doppelbesteuerungsabkommen bestehen für Erbschaften und Schenkungen, die Luft- und Schifffahrt sowie die gegenseitige Amts- und Rechtshilfe (insbesondere Informationsaustausch zwischen den in- und ausländischen Finanzbehörden). Zur Umsetzung der Ergebnisse des BEPS-Projekts (Base Erosion and Profit Shifting), das die Zielsetzung der Verhinderung von internationaler Steuergestaltung verfolgt, soll ein multilaterales Doppelbesteuerungsabkommen (Multilaterales Instrument) Anwendung finden. Dieses soll eine einheitliche und effiziente Anpassung des bestehenden Doppelbesteuerungsnetzwerks ermöglichen.

 

41

(3) Europarecht: Beim Europäischen Gemeinschaftsrecht handelt es sich um eine neben dem Völkerrecht bestehende supranationale Rechtsquelle, die gleichfalls dem innerstaatlichen Recht grundsätzlich vorgeht. Die Europäische Union besitzt als zwischenstaatliche Organisation eine eigenständige Rechtsetzungskompetenz. Diese wurde ihr im Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, der in Maastricht unterzeichnet und durch die Verträge von Amsterdam und Nizza reformiert wurde, übertragen. Durch den Vertrag von Lissabon (EUV, AEUV) wurde die Europäische Gemeinschaft in die Europäische Union überführt (primäres Gemeinschaftsrecht, Art. 23 Abs. 1 GG). Bei den vom Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission erlassenen Rechtsakten handelt es sich um sekundäres Gemeinschaftsrecht. Hierzu gehören insbesondere Verordnungen und Richtlinien.[13]

Vom primären Gemeinschaftsrecht sind für die Besteuerung in erster Linie die Grundfreiheiten der Gemeinschaftsbürger sowie das Beihilfeverbot bedeutsam. Die Grundfreiheiten umfassen folgende Rechte der Bürger der EU:


allgemeines Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV)
allgemeines Freizügigkeitsrecht, dh das Recht eines jeden Bürgers der EU, sich innerhalb der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Art. 21 AEUV)
Warenverkehrsfreiheit, dh das Verbot von mengenmäßigen und verschleierten Beeinträchtigungen sowie vergleichbarer Maßnahmen, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen (Art. 34 – Art. 37 AEUV)
Arbeitnehmerfreizügigkeit, dh das Recht eines jeden Arbeitnehmers auf Erwerbstätigkeit in jedem Mitgliedstaat, wobei hinsichtlich Beschäftigung, Entlohnung und den sonstigen Arbeitsbedingungen Gleichbehandlung zu gewährleisten ist (Art. 45 – Art. 48 AEUV)
Niederlassungsfreiheit, dh das Recht zur Aufnahme und Ausübung einer Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat sowie das Verbot einer Behinderung bei der Gründung und Leitung eines Unternehmens (Art. 49 – Art. 55 AEUV)
Dienstleistungsfreiheit, dh das Recht eines jeden Anbieters von Dienstleistungen auch in den anderen Mitgliedstaaten tätig zu sein (Art. 56 – Art. 62 AEUV)
Kapitalverkehrsfreiheit, dh das Verbot zur Behinderung des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten (Art. 63 – Art. 66 AEUV).

42

Die Grundfreiheiten sind unmittelbar anwendbares Recht. Jeder Bürger und jedes Unternehmen der Europäischen Union kann sich auf sie berufen, soweit grenzüberschreitende Sachverhalte betroffen sind. Die Grundfreiheiten beinhalten ein Diskriminierungsverbot und ein Behinderungsverbot: (a) Ausländische Steuerpflichtige dürfen bei ihrer Betätigung im Inland nicht höher belastet werden als inländische Steuerpflichtige, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden. (b) Grenzüberschreitende Aktivitäten eines inländischen Steuerpflichtigen dürfen nicht schlechter behandelt werden als vergleichbare rein nationale Vorgänge.

Nach dem Beihilfeverbot besteht grundsätzlich das Verbot von staatlichen Beihilfen oder aus staatlichen Mitteln gewährten Beihilfen, die durch Begünstigung ausgewählter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen (Art. 107, Art. 108 AEUV). Als Begünstigung wird eine Minderung der üblicherweise anfallenden Belastung verstanden. Dazu gehören überhöhte Abschreibungen (zB Sonderabschreibungen), Bildung von überhöhten Passiva (zB steuerfreie Rücklagen), außerbilanzielle Abzüge von der Bemessungsgrundlage (zB Investitionsabzugsbetrag), Steuerbefreiungen, Steuergutschriften (Steuerermäßigungen), Zahlungsaufschub (Stundung) oder sonstige außergewöhnliche Vereinbarungen. Eine Maßnahme gilt als Beihilfe, wenn sie zu einem Einnahmeverzicht des Staates und zu einer Verbesserung der Stellung des begünstigten Unternehmens gegenüber Konkurrenten führt und sie auf bestimmte Unternehmen oder Branchen beschränkt ist. Bestimmte Beihilfen (zB sozialer Art, Beseitigung von Schäden einer Naturkatastrophe oder Förderung von Gebieten, in denen die Lebenshaltung ungewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht) sind ausnahmsweise zulässig.

43

Verordnungen sind, wie nationales Recht, für jedermann verbindlich. Sie gelten in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union unmittelbar (Art. 288 Abs. 2 AEUV). Verordnungen dienen der Rechtsvereinheitlichung. Der alle grundlegenden zollrechtlichen Vorschriften zusammenfassende Unionszollkodex ist beispielsweise eine Verordnung.

Im steuerlichen Bereich sind Richtlinien von größerer Bedeutung als Verordnungen. Richtlinien verpflichten die Mitgliedstaaten zu einer Anpassung der nationalstaatlichen Vorschriften an die darin vorgegebenen Ziele (Art. 288 Abs. 3 AEUV). Richtlinien haben die Aufgabe der Rechtsangleichung, dh sie beschränken sich auf die Vorgabe eines Harmonisierungsziels. In welcher Form und mit welchen Mitteln dieses Vorhaben verwirklicht wird, bleibt innerhalb des vorgegebenen Rahmens den Mitgliedstaaten überlassen. Für den einzelnen Steuerpflichtigen sind die Regelungen einer Richtlinie grundsätzlich erst nach ihrer Transformation in innerstaatliches Recht verbindlich. Der Steuerpflichtige kann sich ausnahmsweise direkt auf eine Richtlinie berufen, wenn der Mitgliedstaat seiner Umsetzungsverpflichtung innerhalb der gesetzten Frist nicht nachgekommen ist, die getroffene Regelung inhaltlich hinreichend bestimmt ist und keine Bedingung enthält.

44

Das Schwergewicht der Richtlinien liegt bislang im Bereich der Umsatzsteuer. Rechtsgrundlage für die Harmonisierung der indirekten Steuern (Umsatzsteuer, spezielle Verbrauchsteuern) bildet Art. 113 AEUV, nach dem sicherzustellen ist, dass der innergemeinschaftliche Waren- und Dienstleistungsverkehr durch steuerliche Regelungen nicht behindert wird. Die Einführung des Mehrwertsteuersystems, die Regelungen über die Bemessungsgrundlage oder den Ort der Leistung im deutschen Umsatzsteuergesetz sind weitgehend das Ergebnis einer Harmonisierung auf europäischer Ebene. Erhebliche Änderungen des deutschen Umsatzsteuergesetzes ergaben sich im Zusammenhang mit der Errichtung des europäischen Binnenmarktes und der Neufassung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Bei der Auslegung des nationalen Umsatzsteuergesetzes muss immer geprüft werden, ob dieses mit den Richtlinien vereinbar ist. Die Beschränkung der Verbrauchsteuern auf Energieerzeugnisse, Tabakwaren und Alkohol sowie die Bandbreiten der zulässigen Steuersätze sind durch drei Richtlinien zu den speziellen Verbrauchsteuern vorgegeben. Die konkrete Ausgestaltung der Verbrauchsteuergesetze in Bezug auf grenzüberschreitende Lieferungen von verbrauchsteuerpflichtigen Waren steht gleichfalls im Zusammenhang mit dem freien Waren- und Dienstleistungsverkehr innerhalb der EU.

Da von den direkten Steuern (insbesondere Einkommen- und Körperschaftsteuer) im Prinzip keine unmittelbaren Beeinträchtigungen des innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehrs ausgehen, gibt es für die Ertragsteuern nur wenige Richtlinien. Die Begrenzung der Harmonisierung im Bereich der direkten Steuern durch die Grundsätze der Subsidiarität und Erforderlichkeit ermöglicht den „Wettbewerb der Steuersysteme“. Für die Harmonisierung im Bereich der Ertragsteuern existiert keine spezielle Vorschrift, sie erfolgt im Rahmen der allgemeinen Angleichung der Rechtssysteme der Mitgliedstaaten (Art. 115 AEUV). Ausnahmen sind die Richtlinie über Fusionen, Spaltungen, Einbringung von Unternehmensteilen und Austausch von Anteilen (Fusionsrichtlinie), die Richtlinie über die Besteuerung von Gewinnausschüttungen innerhalb eines grenzüberschreitend tätigen Konzerns (Mutter-Tochter-Richtlinie) sowie die Richtlinie über die Besteuerung von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten (Zins-Lizenz-Richtlinie). In den letzten Jahren wurden diese durch die Richtlinie über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der EU (Streitbeilegungsrichtlinie), die Richtlinie zur Bekämpfung von Steuermeidungspraktiken (ATAD-Richtlinie) und die Ergänzung der Amtshilferichtlinie mit einer europaweiten, einheitlichen Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle (DAC 6-Richtlinie) erweitert.

Auf dem Gebiet des Verfahrensrechts sind die Richtlinie in Bezug auf die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und die Beitreibungsrichtlinie hervorzuheben, die die rechtliche Grundlage für einen Informationsaustausch zwischen den Finanzbehörden der EU-Staaten sowie die gegenseitige Unterstützung bei der Erhebung von Steuern schaffen.