Czytaj książkę: «Gänseblut», strona 5

Czcionka:

Tag 5,
Polizeidienstgebäude Stadt Leer

Stefan Gastmann saß in seinem Büro und starrte entnervt auf den Zettel vor ihm. Aufgelistet hatte er die Namen, Adressen und Telefonnummern der Nachbarn von Gretchen Driever. Alle waren laut Einwohnermeldeamt Eigentümer der Häuser, die in der Nähe des Fundortes des »Ötzi« standen. Klinkenputzen per Telefon nannte Stefan inzwischen die telefonischen Befragungen von Zeugen, die eventuell etwas Licht in das Mysterium des Toten in den Salzwiesen, quasi vor deren Haustür, bringen konnten.

Bis jetzt blieb es allerdings dunkel. Gretchen Driever, die nette alte Dame von der Deichstraße, lag richtig mit ihrer Einschätzung. Die Häuser an der Deichstraße waren nur einige Wochen im Jahr bewohnt, weil ihre Eigentümer sie als Ferienhäuser nutzten. Die älteren Eigentümer waren weggezogen oder bereits verstorben. Gerade hatte er den Hörer aufgelegt. Wieder Fehlanzeige, und er hakte den Namen auf der Liste ab.

Vor ihm lag das Heft mit den Kriegserinnerungen von Frau Drievers Opa. Diese Sütterlinschrift verursachte ihm Kopfschmerzen. Schließlich hatte er mit einer speziellen Software versucht, den Text in die moderne Schrift zu übertragen. Die Handschrift des Mannes war undeutlich, eine Sauklaue, und das Programm funktionierte einfach nicht.

Stefan klappte das Heft zu, legte es zur Seite und stand auf. Er blieb vor einer weißen Metalltafel mit Fotos von der Leiche, dem Fundort und den Detailaufnahmen stehen. Die Identität des Toten war noch nicht geklärt, deshalb nannte auch Stefan ihn inzwischen Ötzi.

Tag 6,
Redaktion des Rheiderlandkuriers

Der Reporter Hilko Cordes griff zum Telefon. »Rheiderlandkurier …?«

»Ich hab eine Story für Sie!«, sagte der Mann am anderen Ende der Leitung.

»Mit wem spreche ich denn?«, wollte Cordes wissen.

»Das möchte ich lieber nicht sagen«, antwortete der Anrufer.

Hilko Cordes grinste. Die Stimme des Gänsevaters Menno Alting war ihm schon von anderen Zusammentreffen bestens bekannt. Alting lag im Dauer-Clinch mit den Jägern. Streitthema war meistens die Gänsejagd. Wie viele Artikel hatte er schon darüber geschrieben …! Menno hatte einen Hang zum Cholerischen, was nicht immer gut für seine Sache war.

»Eine Riesensauerei«, schrie die Stimme aus dem Hörer.

Jetzt war sich Cordes sicher, dass er mit Alting sprach. »Beruhigen Sie sich erst einmal, anonyme Hinweise mögen wir hier in der Redaktion überhaupt nicht.« Er wollte auflegen.

»Mein Name interessiert nicht, dann ende ich so wie die armen Tiere auf dem Deich!«

Jetzt wurde Cordes doch neugierig. »Welche Tiere und wo auf dem Deich?«

»Tote Gänse auf dem Deich am Coldeborger Siel. Fahren Sie doch hin und sehen sich die Sauerei selber an!« Der Anrufer legte auf.

Cordes überlegte, was er von dieser Meldung halten sollte. Menno Alting nannte sonst immer seinen Namen. Jetzt dieser anonyme Anruf … Angst vor einer eventuellen Rache seiner Gegner? Ein Unbekannter hatte ja vor einigen Tagen Mennos Modellmühle gesprengt, und die Gerüchteküche in Weener brodelte. Insgeheim vermutete man, ein Jäger sei dafür verantwortlich.

Hilko Cordes hatte als Reporter eine feine Nase für Strömungen und Stimmungen in der hiesigen Bevölkerung. Er spürte, dass sich seit der Sprengung der Mühle etwas verändert hatte. Vorher war es zwischen den Jägern und den Umweltschützern nur zu Wortgefechten gekommen, jetzt herrschte eine aggressivere Atmosphäre. Ein Beispiel dafür war die Prügelei zwischen Alting und dem Jäger Böltjer, von der er natürlich gehört hatte.

Schluss mit der Grübelei. Hilko Cordes nahm seinen Koffer mit der Fotoausrüstung und stieg in seinen Wagen. Die Fahrt ging über die Landstraße zum Coldeborger Siel bei Emskilometer 27, in einer Flusskurve. Das Fahrwasser führte sehr dicht am Siel vorbei. Die Strömung verursachte in der Kurve eine enorme Wasser­tiefe. Böse Zungen behaupteten, dass eines Tages der gesamte Deich in dieses Loch rutschen würde.

Cordes stellte seinen Wagen ab, schnappte seinen Fotokoffer und ging die Betontreppe zur Deichkrone hinauf. Rund fünfzig Meter entfernt, in Richtung Leer, flogen Krähen auf. Cordes näherte sich der Stelle. Zwei tote Graugänse lagen auf der Deichkrone auf dem Rücken. Als er näher kam, sah er zu seinem Entsetzen, dass man ihnen nur das Brustfleisch herausgeschnitten hatte. Das war das begehrteste Stück der Gans. Mit der Kamera machte Cordes einige Aufnahmen von der Umgebung und den toten Gänsen. Später würde er die Bilder am PC auswerten und entscheiden, welche in der morgigen Ausgabe des Rheiderlandkuriers erscheinen sollten.

Tag 7,
unterwegs auf der Autobahn in Richtung Norden

Sven Richter war mit seinem alten Geländewagen unterwegs in Richtung Norden. Aus dem Radiolautsprecher dröhnten die Bässe einer Hardrock-Band. Der Text gefiel ihm sehr gut und war durchaus passend. Es ging um TNT und darum, dass man sich besser nicht mit ihm anlegen sollte. Im Rückspiegel sah er die Aluminiumkisten, die hinter ihm standen. Heute besser keinen Unfall – mit dem Teufelszeug im Gepäckraum …

Im doppelten Boden der Kisten befand sich seine Spezialausrüstung. Dazu gehörten zwei Handgranaten, mehrere Pakete mit Sprengstoff und die entsprechenden Zünder. Den Sprengstoff hatte er aus den Blindgängern gekratzt und gesammelt. Außerdem hatte er mit neuartigen kleinen Drohnen experimentiert. Auf dem Schießplatz hatte ihn niemand bei seinen Versuchen damit gestört. Zuletzt war es ihm gelungen, mehrere kleine Sprengsätze unter den Drohnen zu montieren. Mit einer Fernsteuerung konnte er sie von der Drohne auf sein Ziel herabfallen und kontrolliert explodieren lassen.

Im Rheiderland, seiner alten Heimat, wollte er bewusst erst nachts ankommen. Seine Ausrüstung musste versteckt werden. Im Auto oder im Ferienhaus, das direkt neben dem Bauernhof der Familie Hortema stand, konnte das Zeug nicht bleiben. Für seinen Plan waren Aktionen nötig, die natürlich Folgen haben würden. Es war deshalb wichtig, dass sein Auto und das Ferienhaus, in dem er wohnen würde, sauber blieben.

Also wohin mit dem Zeug? In der letzten Nacht hatte er wieder von seinem Opa Trinus geträumt. Gemeinsam waren sie mit dem alten Holzboot über die Kanäle gerudert. Das Boot war natürlich auch zum Schwarzangeln oder zum Wildern eingesetzt worden. Sein Opa hatte es immer unter einer Brücke versteckt und Bug und Heck mit dicker Angelschnur am Geländer befestigt. So blieb es immer auf gleicher Position, war vor Regen geschützt und für Autofahrer und Fußgänger unsichtbar. Auf dem Wasserweg über die Kanäle und Tiefs kam man mit einem Boot im Rheiderland fast überall hin. Sie waren miteinander verbunden und sollten zusammen mit den Siel- und Schöpfwerken eine sichere Wasserentsorgung gewährleisten.

In der Nähe seines geplanten neuen Wohnortes lief ein Kanal vorbei, das hatte eine Satelliten-Aufnahme ihm am Computer gezeigt. Der Plan war wie von selbst in seinem Kopf entstanden. Sven Richter war davon überzeugt, dass ihm sein Opa Trinus im Schlaf dabei geholfen hatte.

Mit einer Internet-Kleinanzeige hatte er schnell gefunden, was er zusätzlich für seinen Plan benötigte: ein aufblasbares Kanu in Tarnfarbe. Es war gut zu tragen und robust. In der Nacht würde er am Kanal im Rheiderland an einer einsamen Stelle parken, das Kanu aufblasen und die Ausrüstung darin verstauen. Die Alukoffer mit dem Sprengstoff und den Zündern und die Drohnen würde er unter mehreren Brücken mit Tarnnetzen verstecken. Das Kanu würde er ebenfalls unter einer Brücke festbinden und zwar genau so, wie es ihm sein Opa gezeigt hatte.

Tag 8, morgens
Hof der Familie Hortema

Sven war hundemüde, als er sein Auto am frühen Morgen auf die lange Auffahrt zum Polderhof lenkte. Die lange Fahrt und dann der nächtliche Einsatz mit dem Kanu …

Er war beeindruckt vom Anwesen der Hortemas. Die Auffahrt säumte eine Allee alter Bäume. Vor dem Hof standen riesige Rotbuchen. Das Haus war zweigeschossig, die Mauern aufwändig verziert, mit Rundbogenfenstern und einem prachtvollen Eingangsportal. Hinter dem Wohnhaus lag die riesige Gulfscheune. Durch zwei große Torflügel konnten auch die neuen Traktoren hineinfahren.

Im krassen Gegensatz zu diesem offensichtlichen Wohlstand wirkte das kleine Haus rechts neben der Scheune armselig. Vermutlich sein neues Zuhause. Er parkte sein Auto zwischen der Scheune und dem Häuschen. Als er ausstieg, kam ihm ein Mann aus der Scheune entgegen.

»Mensch, Kuno!« Sven lachte. »Hast dich ganz schön verändert, hätte dich fast nicht erkannt!«

Kuno Hortema umarmte seinen Kameraden spontan. »Hallo, Sven, schön, dich zu sehen!« Er sah ihn besorgt an. »Die lange Fahrt hat dich sicher geschlaucht, du siehst müde aus. Komm mit, ich stell dich meiner Familie vor!«

Sven folgte ihm in das Wohnhaus. Im Flur betrachtete er kurz sein Spiegelbild. Schwarze Augenränder, tiefe Falten im Gesicht und sein Haar begann vorzeitig grau zu werden. Kunos besorgter Blick wunderte ihn nicht, sein Freund hatte ihn jahrelang nicht gesehen.

Teure antike Möbel standen in dem breiten Flur. Sven wurde klar, wie unterschiedlich ihrer beider Leben verlief. Kuno der Erbe eines Polderfürsten, und er selbst hatte seinen ganzen Besitz in seinem Auto …

Seine Gedanken wurden vom lauten Schreien eines Mannes unterbrochen. Sven hörte Wortfetzen heraus: Zeitungsartikel, verstümmelte Gänse und irgendein Idiot, der dafür verantwortlich war.

Kuno blieb unsicher vor der Bürotür stehen. »Ist vielleicht kein günstiger Moment. Komm, wir gehen in die Küche und holen den Schlüssel vom Ferienhaus.«

In der Küche trafen sie Kunos Mutter. »Darf ich dir meinen alten Kameraden Sven Richter vorstellen? Sven, meine Mutter Feekeline Hortema.«

Sie drückte Sven fest die Hand. »Nennen Sie mich bloß nicht so. Sie dürfen Lini zu mir sagen. Da ich die Ältere bin, schlage ich das Du vor. Du Ärmster bist bestimmt hundemüde von der langen Autofahrt. Möchtest du einen Tee oder lieber einen Kaffee?«

Sven nickte dankbar und unterdrückte ein Gähnen. »Ehrlich gesagt möchte ich mich gerne ein bisschen hinlegen, Frau Hortema, entschuldige bitte – Lini.«

Kuno Hortema zeigte in Richtung des Büros. »Was hat Vater denn? Den kann man ja draußen schreien hören!«

»Oha …!«, antwortete seine Mutter. »Heute Morgen auf Seite eins im Rheiderlandkurier: Gänse ohne Brustfleisch am Deich gefunden! Den Rest kannst du dir denken.« Sie nahm einen Schlüssel vom Schlüsselbrett und gab ihn Sven. »Bitte – der ist für dein neues Zuhause und entschuldige meinen schlecht gelaunten Mann. Der beruhigt sich auch wieder.«

Als er das kleine Ferienhaus betrat, dachte Sven sofort an seine Kindheit. Das alte Arbeiterhaus am Deich.

Frau Hortema hatte alles vorbereitet. Todmüde ließ er sich in das frisch bezogene Bett fallen.

Tag 8

Jan Broning und Maike der Buhr hatten schöne Tage auf dem Campingplatz an der Costa Brava verbracht. Abends besuchten sie die Turteltauben, wie Maike ihren Vater Johann und dessen Freundin Karin scherzhaft nannte.

Für Jan wurde es langsam Zeit, den Heimweg anzutreten. Für Maike gab es jetzt zwei Möglichkeiten: Sie konnte in Spanien bei den Turteltauben bleiben oder mit zurück nach Leer fahren. Die Wahl fiel ihr nicht schwer, und so verabschiedeten sich die beiden. Maike und Jan hatten eine Zwischenübernachtung in Frankreich geplant. Die Fahrt zurück sollte Maike nicht überanstrengen.

Jan und Maike waren seit Stunden mit dem Wohnmobil unterwegs. Maike saß auf dem Beifahrersitz und war glücklich, weil sie endlich wieder zusammen waren.

»Stell dir mal vor, Jan, wir könnten immer so weiterfahren.«

»Wenn wir Rentner sind, haben wir Zeit genug«, antwortete er gut gelaunt.

»Wo wollen wir denn übernachten?« Sie blätterte im Straßenatlas und sah ihn fragend an.

»Ein Geheimtipp, lass dich überraschen!«, antwortete er und freute sich schon diebisch darauf.

Kurze Zeit später fuhren sie auf einer Landstraße in Frankreich. Die Gegend wurde immer einsamer und Maike sah ihn zweifelnd von der Seite an. In diesem Moment setzte Jan den Blinker und fuhr auf ein Schloss zu. Er bremste das Wohnmobil vor einem Torbogen ab und Maike konnte vom Beifahrersitz aus durch den Bogen in den Schlosspark sehen. Dass es sich nicht um einen normalen Park handelte, wurde ihr klar, als sie die vielen Wohnwagen zwischen den großen Bäumen sah.

Jan freute sich über ihren überraschten Gesichtsausdruck. »Da staunst du, was? Ein Campingplatz in einem Schlosspark. Hinter dem Park verläuft der Fluss Saône und dort gibt es ein wunderschön gelegenes Restaurant. Komm mit, wir melden uns bei der Rezeption an.« Sie stiegen aus.

Hinter dem Tresen saß ein Mann und lächelte sie an. Maike kramte ihr verstaubtes Französisch heraus. Nach ihren ersten mühsamen Worten hob er seine Hände und lachte. »Bitte! Sie können Deutsch mit mir sprechen. Ich komme aus Ter Apel und das liegt ja bekanntermaßen in der Nähe von Leer, nur in den Niederlanden. Ein Campingplatz in einem französischen Schlosspark unter der Leitung eines Niederländers.«

Es stellte sich heraus, dass der Campingplatz bei den niederländischen Nachbarn sehr beliebt war. Er lag etwa auf der Hälfte der Strecke nach Spanien und wurde gerne als Zwischenübernachtungsplatz benutzt, wobei die Camper gern auch mal ein paar Tage länger blieben.

Kurze Zeit später spazierten Jan und Maike durch den Park, vorbei an alten Bäumen, riesigen Hecken, und sogar der Schlossteich mit einem Graben, der um das Gebäude herumführte, fehlte nicht. Sie gingen über einen schmalen Weg durch Wiesen zu dem kleinen Restaurant am Fluss.

Nach zwei Flaschen Rotwein und einem köstlichen Menü wanderten sie zurück zum Campingplatz. Maike umarmte Jan und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sie grüßten noch schnell einige Camper, die vor ihren Wohnwagen saßen, und verschwanden in Windeseile im Wohnmobil. Sie rissen und zerrten an ihrer Kleidung und fielen im Bett übereinander her. Schließlich lag Maike erschöpft in Jans Armen. Plötzlich hörten sie draußen Applaus.

Maike lief rot an. »Meinen die uns?«

Jan fasste sich an die Stirn. »Ich hab vergessen, die Stützen vom Wohnmobil herunterzudrehen und …«

»… unser Wohnmobil hatte dann wohl eben schweren Seegang!«, vermutete Maike. Sie prusteten los.

Tag 9

Sven Richter stand im Büro des Polderfürsten. Vor ihm saß Hero Hortema, sein zukünftiger Boss. Er sah aus wie sein ehemaliger Ausbilder beim Heer. Groß, athletische Figur, graues Haar und ein markantes Kinn. Hortema sah ihn geringschätzig von oben bis unten an.

»So, Sie sind also dieser Held aus Afghanistan, der meinem nichtsnutzigen Sohn den Arsch gerettet hat. Damit wir uns gut verstehen: Ich erwarte bedingungslosen Einsatz von meinen Leuten. Ich habe gehört, dass Sie nicht ungeschickt sein sollen. Bei uns gibt es einiges zu tun. Hier!« Hortema stand auf und drückte Sven eine Liste in die Hand. »Ihr Wochenplan.« Er lachte fies, als Sven sprachlos auf die lange Liste starrte. »Ja, Ihre kostenlose Unterkunft im Ferienhaus müssen Sie sich schon verdienen. Kennen Sie sich auch mit Dieselmotoren aus?«

Sven nickte. Ein Fehler, wie er kurz darauf feststellte.

»Dann fahren Sie jetzt erst einmal zum Lohnunternehmen Böltjer, die haben dort ein Problem mit einem Motor. – Kuno sagte mir, dass Sie bei uns Jäger werden möchten.«

»Ja, ich …«

Hortema unterbrach Sven sofort. »Dann geben Sie sich Mühe bei Böltjer, der ist nämlich mein Stellvertreter im Hegering und jetzt raus hier, an die Arbeit.«

Vor dem Bauernhof der Hortemas

Kuno Hortema traf seinen Freund Sven vor der Scheune. Sven zeigte ihm den Zettel mit seinen Aufträgen. Sprachlos starrte Kuno auf die lange Liste. »Für eine Woche!«, sagte Sven und atmete tief durch. Kuno war entsetzt, dafür brauchte Sven ja den ganzen Monat! Er sah seinen Freund mitleidig an. »Ich rede noch mal mit Vater, so ist das nicht in Ordnung. Lass den Zettel hier.«

»Jetzt soll ich zu einem Böltjer in die Firma, irgendetwas mit einem defekten Motor«, sagte Sven.

»Was, zu Böltjer?!«, fragte Kuno fassungslos. »Mensch, Sven, pass bloß auf, dieser Böltjer ist ein arroganter Arsch. Lass dich nicht provozieren. Der und seine Angestellten Specker und Hummers sind auch Jäger in unserem Hegering.« Er beschrieb Sven den Weg zum Lohnunternehmen Böltjer in Bunde. Sven setzte sich in seinen alten Geländewagen und fuhr los.

Kuno Hortema sah ihm hinterher. Vor einigen Tagen war passiert, was er schon lange befürchtet hatte: Ausgerechnet Böltjer hatte ihn und seine Freundin Gretje Alting bei ihrem Schäferstündchen im Hammrich überrascht. Böltjer hatte plötzlich von außen an die beschlagene Seitenscheibe des Autos geklopft. Gretje hatte sich furchtbar erschrocken, als der Mann durch die Scheibe auf ihre nackten Körper starrte. Böltjer hatte laut gelacht. »Schau an, Romeo Hortema und Julia Alting, das ist ja sehr interessant!« Dann war er verschwunden und Kuno hatte versucht, seine Freundin zu beruhigen.

Ihm wurde flau im Magen, als er daran dachte, was nach Böltjers Entdeckung nun alles passieren konnte. Menno Alting und Hero Hortema hatten keine Ahnung vom Verhältnis ihrer beiden Sprösslinge. Böltjer hatte den Nagel auf den Kopf getroffen – es war wie bei Romeo und Julia: ein unglückliches Liebespaar, weil ihre Väter sich leidenschaftlich hassten. Böltjer, dieses Schwein, würde versuchen, Vorteil aus seinem Wissen zu ziehen! Kunos Hände verkrampften sich zu Fäusten.

Unterwegs nach Bunde
zum Lohnunternehmen Böltjer

Sven hielt sich genau an Kunos Wegbeschreibung. Auf dem Parkplatz des Lohnunternehmens stellte er seinen Wagen ab. Kurz darauf stand er wieder in einem Büro, diesmal saß Jakobus Böltjer vor ihm.

Böltjer war das genaue Gegenteil seines Jagdkollegen Hortema. Klein, eine schlechte Körperhaltung, und der lange Schnurrbart sollte wohl die fehlende Haarpracht ersetzen. Seine linke Hand fummelte ständig an den Bartspitzen herum. Kleine, dunkle Augen sahen Sven prüfend an.

Wie eine Ratte, dachte Sven, und war auf der Hut. Er hatte sich kurz vorgestellt und wartete vergeblich darauf, dass ihm Böltjer die Hand gab oder ihm einen Stuhl anbot.

Böltjer stand schließlich auf, ging zu einer Tür, riss sie auf und schrie: »He, Max und Moritz, antraben!« Sven konnte in eine große Werkstatt sehen, wo einige Trecker und Arbeitsmaschinen standen.

Kurz darauf kamen zwei Männer in das Büro. Ihre Körpersprache war eindeutig, Angst und Unterwerfung. Sie wagten nicht, Böltjer anzusehen, sondern stierten auf den Fußboden. Böltjers Stimme triefte vor Sarkasmus. »Darf ich vorstellen, meine Chefmechaniker Siefko Specker, genannt Max, und sein ebenso ahnungsloser Gehilfe Wirtje Hummers, genannt Moritz.« Er drehte sich zu Sven um. »Haben Sie auch einen Spitznamen?« Sven schwieg. »Na gut, dieser Mann wird euch Idioten zeigen, wie man einen Motor zum Laufen bringt. Los, an die Arbeit!«

Wie geprügelte Hunde drehten sich Max und Moritz um und gingen in die Werkstatt. Sven wollte ihnen folgen, wurde aber von Böltjer aufgehalten. »Herr Richter, noch auf ein Wort.«

Er drehte sich zu Böltjer um. Dieser Mann hatte ihn in eine unmögliche Situation manövriert. Brachte er den Motor zum Laufen, hatte er Max und Moritz gegen sich aufgebracht. Schaffte er es nicht, war er bei Hortema und Böltjer unten durch und konnte gleich wieder nach Bayern zurückfahren. Das fiese Grinsen in Böltjers Gesicht wollte nicht verschwinden. Du Drecksack weißt genau, was du angerichtet hast, dachte Sven, und du freust dich noch darüber.

»Ich mag Sie nicht, Richter.« Böltjers Stimme war eiskalt. »Wir haben schon diese armen Schlucker Max und Moritz im Hegering. Noch so ein Niemand … Das Beste wird sein, Sie verpfeifen sich gleich wieder. Aber wer weiß«, Böltjer Hand spielte mit den Bartspitzen, als er mit arrogantem Ton sagte: »Jeder braucht doch einen nützlichen Idioten. Wenn Sie was können und mir den Arsch küssen, dürfen Sie vielleicht einmal mein Gewehr tragen und es saubermachen.« Er lachte hämisch und zeigte mit dem Finger in Richtung Werkstatt.

Sven wollte sich auf ihn stürzen und ihn erwürgen. Aber er hatte einen Plan und er durfte nicht auffallen.

In der Werkstatt standen Max und Moritz ratlos vor einem Trecker. Max, also Siefko Specker, war wohl der Wortführer. Er war größer als Wirtje Hummers. Ein seltsames Paar. Dick und Doof hätte auch gut auf die beiden gepasst.

Sie starrten ihn wütend an. Sven hob abwehrend die Hände. »Ich heiße Sven und Böltjer hat mich auch gerade angemacht …«

Siefko Specker, alias Max, unterbrach ihn. »Denk bloß nicht, du kannst dich bei uns ausheulen. Wir haben gehört, dass du hier Jäger werden möchtest. Damit eins klar ist: Wir beide, Wirtje Hummers und ich, sind arme Deichjäger und werden wie Dreck behandelt. Nach uns kommen nur die Jagdhunde, aber du stehst jetzt ganz unten. Du bist nichts und jetzt bring den Motor zum Laufen.« Der blanke Hass schlug Sven entgegen. Ihre Wut auf den Chef ließen sie in den nächsten Stunden an Sven aus.

Nachdem er den Motor endlich zum Laufen gebracht hatte, wusste Sven, warum man sich für Max und Moritz als Spitznamen entschieden hatte. Ungeziefer im Bett verstecken, Mühlen ansägen und Hühner quälen, so was hätten Dick und Doof nicht getan.

Darmowy fragment się skończył.

38,83 zł