Czytaj książkę: «Gänseblut», strona 4

Czcionka:

Tag 3, vormittags,
Wohnung von Jan Broning

Jan Broning hatte unruhig geschlafen. Das schlechte Gewissen, weil er seinen Kollegen allein weiterermitteln lassen wollte, und die Vorfreude auf die Reise zu seiner Maike wechselten sich ab. Er hatte schon einige Sachen zusammengesucht. Seine Nachbarin hatte ihm versprochen, die Post und die Zeitungen aus dem Briefkasten zu nehmen. Dann rief er in Spanien bei den de Buhrs an.

»Hallo, Jan!« Karins Stimme klang gut gelaunt. »Du, Maike ist am Strand.«

»Das hab ich gehofft, weil ich dich sprechen wollte«, antwortete er ebenfalls gut gelaunt. »Ich brauch eure Adresse, für einen Überraschungsbesuch.«

»Kommst du mit dem Flieger, Jan?«

»Nein, mit einem geliehenen Wohnmobil. Du hast doch erzählt, dass es ganz in der Nähe Campingplätze am Meer gibt. Da wollte ich das Wohnmobil für einige Tage abstellen.«

Karin lachte. »Ihr wollt sicher mal einige Tage für euch sein, kann ich gut verstehen. Die Campingplätze sind genau an der Bucht, wo Maike immer spazieren geht.«

»Morgen werde ich auf dem Platz mit dem Wohn­mobil stehen und ebenfalls einen Spaziergang am Strand machen.«

Karin war begeistert. »Und zufällig werdet ihr euch dort treffen. Oh, wie schön! Jan, du bist doch ein Romantiker.«

Sie erklärte Jan noch Maikes Spazierweg und versprach, nichts zu verraten.

Tag 3,
Bestattungsinstitut Erdmann

Stefan Gastmann und Jan Broning saßen im Zivilwagen und waren unterwegs zum Bestatter. Nach der Leichenschau wollte Jan abreisen.

»Stefan, ich hab immer noch ein schlechtes Gewissen.«

»Ich bin froh, mal meine Ruhe zu haben.« Stefan grinste. »Auch wenn es nur für eine Woche ist.«

»Danke, Stefan!«

Der Kollege zog eine Schnute. »Erdmann, der singende Bestatter. Hast du dir eigentlich mal seine CD angehört? Ich meine, falls er fragen sollte.« Die hatte ihnen der Bestatter bei ihrem letzten gemeinsamen Fall überreicht. Eine Zusammenstellung, sozusagen Best of Erdmann. Seine Hobbys waren Gesang und feierliche Reden.

»Mist«, Broning verzog schuldbewusst sein Gesicht, »habe ich nicht, muss ich wohl vergessen haben. Na ja, gleich bekommen wir ja die Live-Version.«

Ein gut gelaunter Bestatter öffnete die Tür des Instituts. Seine Singsang-Stimme war unverkennbar. »Ah, die Herren von der Kriminalpolizei! Bitte folgen Sie mir in meine bescheidenen Räumlichkeiten.« Er ging voraus, die Polizisten folgten ihm. In den Händen trugen sie die Aluminiumkoffer mit der Ausrüstung.

»Diesmal haben wir aber einen sehr speziellen Gast«, bemerkte Erdmann und begann eine Melodie zu summen. Gastmann bekam große Augen und Broning hörte noch mal genauer hin … Ja, ein Antikriegslied, und es handelte vom Schicksal eines Soldaten. Eigentlich sehr passend und einfühlsam gesummt.

Im Behandlungsraum lag auf einem Chromtisch ein Leichensack. Der Reißverschluss war komplett geöffnet. Schimmel, ein großer Feind der Spurensicherer – die Trocknung der Spuren vor der Asservierung war deshalb so wichtig. »Sofort, als wir unseren Gast einquartiert hatten, habe ich dafür gesorgt, dass die Sachen trocknen können«, erklärte der Bestatter.

»Sehr gut, Herr Erdmann!« Broning nickte anerkennend. »Stefan, fängst du schon mal mit den Fotos an?«

Stefan Gastmann entnahm einer Alu-Kiste die Spiegelreflexkamera und machte als Erstes die Übersichtfotos. Die Reste des alten Wehrmachtsmantels umhüllten das Skelett. Außer dem dicken Mantelstoff war von der Kleidung der Leiche nichts mehr zu erkennen.

Erdmann unterbrach sein Summen und bemerkte aus dem Hintergrund: »Die Todesursache zu bestimmen, dürfte schwierig sein, Herr Broning.«

»Ich weiß. Vielleicht haben wir Glück und finden ein Einschussloch im Mantel, Spuren einer Gewehrkugel, eines Messers oder eines Granatsplitters an den Knochen.« Broning beugte sich über das Skelett, das von starken Strahlern beleuchtet wurde. Mit einer großen Pinzette hob er die Reste des Mantels an. Ausgerechnet im Brustbereich hatte sich der Stoff stark zersetzt. Ein muffiger Geruch, wie in einem Keller, stieg ihm in die Nase.

Stefan machte weiter Fotos, auch im Nahbereich. Erdmann summte weiter das Lied vom unglücklichen Soldaten. Stefan sprach aus, was Broning dachte. »Der Stoff ist so vergammelt, da finden wir kein Einschussloch.«

Jetzt untersuchte Broning das Skelett, insbesondere den Schädel. Er sah in die leeren Augenhöhlen und hielt stumme Zwiesprache mit dem Toten. Was hast du als Letztes gesehen? Die Mündung eines Gewehrs, ein zustechendes Messer oder die Explosion einer Granate?

Wenn es Spuren im Knochenbereich gab, so konnte er sie bis jetzt nicht sehen. Am Fundort hatten sie keine Spuren gefunden. Ein Gewehrprojektil, das den Oberkörper durchschlagen hätte, ohne einen Knochen zu berühren, würde irgendwo in der Umgebung liegen und wäre längst verrostet. Bis auf die Knochen war kein organisches Gewebe mehr vorhanden. Ein Stich ins Herz mit einem Messer ließ sich nicht nachweisen, weil das Herz verwest war.

Broning sah seinen Kollegen an und schüttelte enttäuscht den Kopf. »Nada, nichts. Letzte Hoffnung Gerichtsmedizin.«

Aus dem Hintergrund fragte Erdmann: »Und, hatten Sie schon Gelegenheit, sich meine CD anzuhören?«

Jan Broning und Stefan Gastmann sahen sich entsetzt an.

Tag 3, nachmittags,
Mietwohnung von Sven Richter

Sven Richter hatte schlecht geschlafen. Immer wieder dachte er an seinen Opa Trinus, den man wie einen toten Hund in den Salzwiesen vergraben hatte. Er hatte seinen Opa über alles geliebt. So ein Ende hatte der nicht verdient. Irgendwann in der Nacht hatte Sven die doppelte Dosis Schlaftabletten genommen. Bis zum Mittag hatte er wie betäubt im Bett gelegen. Als er endlich wach wurde, fühlte er sich wie gerädert und es fiel ihm schwer, klar zu denken. Wie sollte es jetzt weitergehen?

Er war kein Soldat mehr. Diesen ersten Tag in Freiheit hatte er herbeigesehnt und gleichzeitig gefürchtet. Bis zu dem verhängnisvollen Einsatz hatte es ihm sehr gut bei der Bundeswehr gefallen. Die Kameradschaft mit den anderen Soldaten hatte ihm die Familie ersetzt.

Mit einer Tasse und einem Fotoalbum in den Händen setzte er sich an den kleinen Küchentisch, schlürfte den heißen Kaffee und blätterte im Album. Außer Fotos befanden sich Zeitungsausschnitte, Lehrgangsbescheinigungen und Teilnehmerlisten mit Adressen und Telefonnummern darin. Auf einem Foto saßen er und sein Kamerad Kuno Hortema nebeneinander in einem Bus der Bundeswehr. Ein Kamerad auf der Bank vor ihnen hatte auf den Kameraauslöser gedrückt. Ihr erster Einsatz in Afghanistan.

Als er das Foto betrachtete, wanderten seine Gedanken zurück zum Tag der Abreise. Er trug seine Bundeswehr­uniform mit dem neuen Abzeichen der Feuerwerker. Neben ihm standen seine Kameraden und verabschiedeten sich von ihren Frauen, Freundinnen oder der Familie. Er fühlte sich allein und verlassen. Niemand, der ihn in den Arm nahm, keine Träne für ihn zum Abschied.

Die Soldaten warteten im Regen auf den Bus, der sie zum Flughafen Köln-Wahn bringen sollte. In Afghanistan würden sie am ISAF-Einsatz der Bundeswehr teilnehmen. Sechs Stunden Flug aus ihrer Heimat in eine andere Welt lagen vor ihnen, mit einer Zwischenlandung im usbkekischen Termes, dann ging es weiter in den Norden. Ihr Einsatzgebiet: Kundus und Faizabad.

Der Bundeswehrbus hielt vor den wartenden Soldaten an. Sven wurde auf einen Kameraden aufmerksam, der von innen an die Scheibe klopfte und ihm zuwinkte. Die trübe Wolke über seiner Seele löste sich sofort auf, als er seinen Kumpel Kuno erkannte.

Sven verstaute seine Ausrüstung im Gepäckraum unter dem Bus. Er stieg als Erster ein, weil seine Kameraden sich noch nicht von ihren Angehörigen trennen konnten. Kuno winkte ihn zu sich und klopfte einladend auf den freien Sitz neben ihm. »Sven, setz dich zu mir, mein allerbester Kamerad und Freund des Longdrinks!« Die Männer lachten und gaben sich die Hand.

Kuno und Sven hatten sich bei der Grundausbildung im Heer kennengelernt. Der Ostfriese Kuno und der Bayer Sven hatten sich sofort verstanden. Vielleicht lag es daran, dass beide im Rheiderland das Licht der Welt erblickt hatten. Das war aber die einzige Gemeinsamkeit. Kuno Hortema, der Sohn reicher Eltern, war immer gut bei Kasse. Sven Richter, Geburtsname Visser, das Kind armer Leute, der Vater als Drogensüchtiger gestorben, hatte ständig Ebbe in der Geldbörse. Außerdem war sein Opa Trinus ein Wilderer gewesen. Nein, warum sollte er Kuno von den sechs Jahren seiner Kindheit im Rheiderland erzählen! Das ging nur ihn noch etwas an.

Kuno und Sven hatten sich erst einmal aus den Augen verloren. Ihre Wege hatten sich getrennt, als Sven zum Feuerwerker ausgebildet worden war. Und nun trafen sie sich hier, bei der Abfahrt zum Auslandseinsatz, wieder. »Na, wo wollen wir denn hin?«, fragte Kuno scheinheilig.

»Mallorca, sechs Monate Wellness am Ballermann«, antwortete Sven lachend. »Es ist doch der richtige Bus, oder?«

»Oh wat bün ick blied, dat du ock hier büst!« Als Kuno das fragende Gesicht seines Kollegen bemerkte, beeilte er sich, die Übersetzung nachzuliefern. »Sven, ich bin froh, dass du auch hier bist!«

Das war der Augenblick, den die Kamera festgehalten hatte.

Die Erinnerung verblasste und Sven blätterte weiter in seinem Fotoalbum.

Dann dieser entsetzliche Einsatz. Danach ein letztes Foto von ihm. Keine weiteren, nur noch leere Seiten.

Es fiel sofort auf, wie sich sein Gesicht nach diesem Vorfall verändert hatte. – Vorfall … was für eine kalte und nüchterne Beschreibung für das Töten eines Menschen. Wie oft hatte er schon an diesen Tag gedacht! Hätte er es verhindern können, was wäre wenn, und hätte ich doch. Er schloss die Augen, seine Hände stützten den Kopf und seine Schultern sanken herab.

Dieser schreckliche Tag in Afghanistan hatte zunächst wie die anderen Einsätze begonnen. Die Beseitigung einer Straßenbombe an einer Zufahrtsstraße zu ihrem Lager. Kuno war als Sicherungsposten auch dabei. Er gähnte ständig, weil er mit einigen Kameraden bis spät in die Nacht gepokert hatte. Sven hatte ihn dabei noch auf den bevorstehenden Einsatz hingewiesen. Kuno hatte nur abgewinkt, seine Glücksträhne hatte er nicht unterbrechen wollen. Sven war in der Nacht zweimal wachgeworden, weil die Kameraden beim Kartenspiel zu laut gewesen waren. Und drei Stunden Schlaf bis zum Einsatz waren dann doch wohl zu wenig für Kuno.

Sven legte sich gerade seine Ausrüstung zurecht, als er auf den Afghanen aufmerksam wurde. Irgendetwas war seltsam, wo war der Mann auf einmal hergekommen? Je näher der den Sicherungsposten kam, desto schneller wurden dessen Schritte. Der Afghane rannte jetzt auf Kuno zu. Mit Entsetzen sah Sven, dass sein Kumpel sich an das Sicherungsfahrzeug gelehnt hatte und eingeschlafen war.

Der Rest lief in Svens Erinnerungen immer in Zeitlupe ab. Sven schrie, seine Stimme klang dumpf und unnatürlich gedehnt. Er bückte sich zu seinem Gewehr. Kuno wurde endlich wach und begriff die Situation noch nicht. Der Afghane schrie jetzt auch, griff unter seinen Umhang und hielt eine Kalaschnikow in den Händen. Sven entsicherte seine Waffe, zielte und drückte ab. Der Afghane wurde in den Kopf getroffen und zur Seite geschleudert. Die anderen Sicherungsposten rannten zu dem am Boden liegenden Afghanen, nahmen die Kalaschnikow an sich. Sven stand da wie versteinert und hielt immer noch seine Waffe in der Hand. Er sah wie erstarrt auf den am Boden liegenden Afghanen, konnte sich nicht bewegen. Ein Sanitäter kniete inzwischen neben dem Mann und untersuchte ihn. Dann suchte der Sani den Blickkontakt zu Sven, der immer noch regungslos da stand. Der Sani schüttelte den Kopf und machte ein betroffenes Gesicht. In diesem Moment begriff Sven, dass man dem Mann, auf den er geschossen hatte, nicht mehr helfen konnte. Dann stand ein Kamerad neben Sven, redete beruhigend auf ihn ein und nahm ihm langsam die Waffe aus der Hand.

Danach war nichts mehr so, wie es vorher war.

Bei der späteren Untersuchung des Vorfalls stellten seine Vorgesetzten fest, dass Sven richtig gehandelt hatte. Der erschossene Afghane gehörte zu den Taliban. Ob es ein Selbstmordkommando gewesen oder ob der Afghane einfach durchgedreht war, konnte im Nachhinein nicht mehr festgestellt werden.

Seine Kameraden behandelten ihn mit Respekt. Ständig klopften sie ihm auf die Schulter. Kuno wusste genau, dass Sven ihn gerettet hatte. Trotzdem hatte Sven Schuldgefühle. Wieso hatte er nicht besser gezielt und den Afghanen nur kampfunfähig geschossen? Warum­ musste er ausgerechnet den Kopf treffen? In einer Endlosschleife drehten sich seine Gedanken. Es folgten Arztbesuche und man stellte schließlich eine Depression fest. Mit den Auslandseinsätzen und der Kameradschaft war es vorbei. Am Ende landete er einsam auf dem Truppenübungsplatz.

Sven Richter schloss das Fotoalbum und rieb sich seine Augen. Schluss mit diesen Grübeleien, er hatte jetzt ein neues Ziel. Sein Opa Trinus getötet und wie ein totes Tier vergraben. Wer war verantwortlich für dessen Tod und warum hatte sein Opa sterben müssen?

Die Antworten auf diese Fragen konnte er nur im Rheiderland bekommen. Sven suchte die Telefonnummer von Kuno Hortema, der genau wie sein Vater Hero Hortema Jäger war. Jäger in dem Gebiet, wo Svens Opa gestorben war.

Obwohl Sven damals noch klein gewesen war, hatte er gewusst, dass sein Opa im Dollart wilderte. An dem Tag, an dem Opa Trinus verschwand, war er auf der Jagd im Dollart gewesen. Svens Vater hatte immer davon gesprochen, dass Trinus einem Jäger in die Arme gelaufen war. Wer trieb sich denn sonst im Dollart rum? Entweder Fischer, die Reusen leerten, oder eben Jäger. Warum sollte ein Fischer seinem Opa etwas antun? Nein, für Sven gab es keinen Zweifel!

Er musste in diesen inneren Kreis der Jäger eindringen, ihr Vertrauen gewinnen, um Antworten zu erhalten. Da hatte er aber ein Riesenproblem. Ohne weiteres würde er nicht Mitglied bei denen werden. Er war schließlich ein Fremder aus Süddeutschland. Auch dabei musste ihm Kuno helfen.

Sven Richter griff zum Telefon.

Tag 3,
ein Bauernhof im nördlichen Rheiderland

Kuno Hortema legte den Hörer auf, in Gedanken noch bei seinem Kameraden Sven Richter. Das schlechte Gewissen stellte sich immer ein, wenn er an diesen Zwischenfall in Afghanistan dachte. Ja, hätte Sven damals nicht so schnell reagiert, dann stünde der Name Kuno Hortema jetzt auch auf dem Ehrenschrein für gefallene Kameraden in Afghanistan.

Sie waren gute Kameraden gewesen bis zu diesem verhängnisvollen Tag. Danach hatte sich Sven verändert. Niemand hatte ihn damals erreichen können; auch seine Versuche, Sven aus diesem Emotionsloch herauszuholen, waren gescheitert. Dann hatte man Sven auf diesen Übungsplatz abgeschoben. Kuno atmete schwer, als er daran dachte, dass er den Kontakt zu Sven verloren hatte. Die Wahrheit war, dass Kuno alles vergessen wollte, was in Afghanistan passiert war. Dazu hatte auch Sven gehört.

Kuno gab sich innerlich einen Ruck. Jetzt konnte er etwas für seinen Kameraden tun. Etwas von der Schuld abtragen. Er würde das kleine Ferienhaus neben dem Bauernhof für Sven herrichten, seinen Vater überreden, ihn einzustellen, und ihn auch in der Freizeit nicht hängen lassen. Die Aufnahme in den Hegering war nicht einfach, aber die Kameradschaft würde Sven sicher gut tun.

Aber eins nach dem anderen, zunächst lag das Gespräch mit seinem Vater vor ihm. Das würde ebenfalls nicht einfach werden, Hero Hortema war ein schwieriger Mensch. Manchmal dachte Kuno, sein Vater sei eine gut funktionierende Maschine. Keine Gefühle, berechnend und gnadenlos, wenn es um seine Interessen ging. Er war ein Polderfürst, der Hegeringleiter der hiesigen Jäger und Chef der Sielacht. Alle Konkurrenten um diese Ämter hatten schnell begriffen, dass man Hero besser nicht im Wege stand.

Kuno atmete tief durch und ging zum Büro, wo sein Vater zu dieser Zeit immer anzutreffen war. Er klopfte an die Tür und trat ein.

In dem kleinen Büro saßen sein Vater und seine Mutter, Lini. »Was willst du?«, fragte Hero Hortema schlecht gelaunt.

Kuno räusperte sich und erklärte die Situation.

»Nur um das mal klarzustellen«, Heros Stimme klang eiskalt, »ich soll einem Fremden das Ferienhaus langfristig überlassen, ihn einstellen und in den Hegering aufnehmen?«

»Genau, Vater. Es ist kein Fremder, sondern der Mann, der mir das Leben gerettet hat«, sagte Kuno. »Außerdem ist Sven ein fleißiger und geschickter Handwerker!«

»Ich bin auch der Meinung, dass wir diesem Sven sehr viel schulden«, sagte Lini Hortema mit fester Stimme.

Wütend sah Hero seinen Sohn und seine Frau abwechselnd an. »Ihr seid euch ja wohl wieder mal einig. Aber du, Kuno, du bürgst mir für deinen Freund! Geld bekommt er erst einmal nicht und wenn er Mist baut, schmeiße ich ihn eigenhändig vom Hof. Lebensretter hin oder her.«

Tag 4,
Spanien, Costa Brava, Küste am Mittelmeer

Maike de Buhr spazierte über ihren Lieblingsstrand. Es war später Nachmittag und die Sonne brannte nicht mehr so heiß. Sie liebte es, barfuß durch Wasser zu laufen, immer an der Wasserkante entlang. Die Küste verlief in einem weiten Bogen. Die lange Bucht war von Hügeln umgeben. Am kilometerlangen Strand befanden sich drei große Campingplätze.

Das klare, warme Meerwasser umspülte Maikes Füße. Sie atmete tief ein und aus und genoss die Zeit für sich alleine. Ihr Vater und seine Freundin Karin saßen bestimmt auf der Terrasse. Karin gehörte das Ferienhaus in den Hügeln an der Costa Brava. Maikes Vater Johann de Buhr hatte Karin am Uphuser Meer kennen und lieben gelernt. Wie Pech und Schwefel, die beiden, dachte Maike. Karin hatte sie eingeladen, damit sie sich von dieser Autoabgasvergiftung erholen sollte. Ihr Lächeln verschwand, als sie daran dachte, wie knapp sie bei ihrem letzten Einsatz dem Tod von der Schippe gesprungen war. Die spanische Luft würde ihrer angegriffenen Lunge sicher gut tun.

Aber Maike saß zwischen zwei Turteltauben, und heute Morgen war es besonders schlimm gewesen. Karins gute Laune ging ihr langsam auf den Keks. Ständig sah sie Maike an und lächelte dabei. »Hab ich Marmelade an der Schnute kleben?«, hatte Maike schließlich schlecht gelaunt gefragt. Dauernd hatte sie das frisch verliebte Paar vor Augen und sie saß ohne ihren Jan daneben. Prima, tolle Wurst, da konnte einem ja schon mal die gute Stimmung abhandenkommen. Als auch noch ihr Vater angefangen hatte, ihr Blicke zuzuwerfen und zu grinsen, hatte Maike beschlossen, es sei Zeit für den zweiten Spaziergang am Strand – und zwar allein. Und dann hatte ihr Vater mit Karin vor dem Haus gestanden und ihr nachgesehen. Maike hatte sich noch einmal umgedreht und bemerkt, wie die Turteltauben um die Wette lachten. Sie hatte die Augen zum spanischen Himmel verdreht und tief ein- und ausgeatmet, so wie es ihr der Arzt verordnet hatte.

Am Strand waren viele Leute unterwegs. Maike beobachtete, wie Surfer mit dem Wind und ihrem Brett kämpften. Kleine Kinder buddelten im Sand und andere Menschen lagen tief entspannt auf dem warmen Strand.

Beim dritten Campingplatz drehte sie meist um. Heute wollte sie etwas weiter gehen. Die Luft flimmerte vor Hitze. Ihre Gedanken waren wieder bei Jan Broning. Was machte er gerade, und dachte er auch an sie? In diesem Moment sah sie ihn tatsächlich, nur undeutlich, wie eine Fata Morgana.

Der Mann, der ihr entgegenkam, hatte große Ähnlichkeit mit Jan. Und dann begann die Fata Morgana ihren Namen zu rufen und rannte auf sie zu. In diesem Moment begriff sie und begann ebenfalls zu rennen. Kurz darauf lagen sie sich in den Armen.

»Jan, kneif mich, ich kann nicht glauben, dass du tatsächlich hier bist!«

»Ich weiß was Besseres als kneifen.« Er küsste sie auf den Mund.

»Wieso … womit … woher?«, stammelte sie.

Jan lachte und drückte sie fest an sich. »Weil ich Sehnsucht nach dir hatte, mit einem geliehenen Wohnmobil … und woher ich wusste, dass ich dich am Strand treffen kann …?«

»Karin!«, beantwortete sie seine Frage. »Sie hat dir erzählt, dass ich hier immer spazieren gehe. Deshalb haben sie sich heute Morgen so komisch verhalten. Na, wartet …«

»Sei ihnen nicht böse«, sagte Jan gut gelaunt. »Sie mussten mir versprechen, nichts zu verraten, es sollte doch eine Überraschung werden.«

Hand in Hand gingen sie weiter. Immer wieder blieben sie stehen, um sich zu umarmen und zu küssen.

»Du, Jan«, flüsterte Maike, »ich möchte mit dir allein sein. Richtig allein.«

»Das Wohnmobil steht da vorne auf dem Campingplatz«, sagte er mit rauer Stimme.

»Na, worauf warten wir noch«, lachte sie, »ich möchte es mir von innen ansehen.« Dabei kniff sie ein Auge zu.

38,83 zł