Invasive Arten

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Klimawandel und invasive Arten

Die aktuelle, durch den Menschen verursachte Klimaveränderung und die Ausbreitung von nicht-einheimischen Arten sind zwei hochdynamisch ablaufende Prozesse, die verschiedene Ursachen haben. Dennoch sind ihr Verhalten und ihre Auswirkungen nicht völlig unabhängig voneinander, denn es mehren sich Anzeichen, dass viele Aspekte der Klimaveränderung nicht-einheimische und invasive Arten fördern.

Die natürlichen Verbreitungsgrenzen mancher Arten haben sich als Folge der Klimaveränderung verschoben. Zwar sind Arten hiervon positiv wie negativ betroffen, da viele invasive Arten jedoch eher tolerant gegenüber ihrer Umwelt sind, ergeben sich für diese mehr Vorteile. In Europa ist mit höheren Durchschnittstemperaturen zu rechnen, und dies bedeutet für viele nicht-einheimische Arten, dass sie leichter in Europa Fuß fassen können und dort auf größere Gebiete treffen werden, die ihnen klimatisch zusagen. Auch all die nicht-europäischen Arten, die sich bereits im Mittelmeergebiet etabliert haben, können sich nun leichter nach Mitteleuropa ausbreiten. Natürlich ist es auch mediterranen Arten leichter möglich, ihr Areal weiter nach Norden auszubreiten.

Mildere Winter ermöglichen eine erfolgreiche Überwinterung an Orten außerhalb des bisherigen Verbreitungebietes, z. B. bei Pflanzen oder Wirbellosen, aber auch ein Überleben außerhalb der bisherigen wärmebegünstigten Vorkommen in Gewächshäusern oder anderen Gebäuden. Daher haben nun invasive Arten, die bisher die wärmeren Innenstädte als Inselpopulation nutzten, mehr Möglichkeiten, ihr Areal an die Peripherie der Städte auszudehnen. Wärmere Sommertage verlängern die Reproduktionsphase und erlauben ausgedehntere Verbreitungsflüge etwa bei Insekten (Walther et al. 2009).

In den letzten beiden Jahrzehnten haben Meldungen über das Auftreten neuer Pflanzenschädlinge wie Fransenflügler (Thysanoptera), Blattläuse (Aphidoidea) oder Schildläuse (Coccoidea) stark zugenommen. In ähnlicher Weise werden auch Dipteren, vor allem Sandmücken (Phlebotominae) und Stechmücken (Culicidae) oder Spinnentiere (z. B. Zecken, Ixodidae) nachgewiesen, die eine Reihe von Krankheiten auf den Menschen und seine Nutztiere übertragen. Die meisten dieser Arten sind wärmeliebend oder werden durch die klimatischen Veränderungen begünstigt.

Daneben gibt es aber auch einige von Neobioten leicht zu besiedelnde Lebensräume. In erster Linie werden hier «gestörte» Lebensräume genannt, also Standorte mit hohem menschlichem Einfluss wie die Agrarlandschaft, Randstrukturen an Straßen, Kanälen und Eisenbahnlinien sowie der gesamte urbane Siedlungsraum. Natürlich gestörte Lebensräume wie Flussufer gehören allerdings auch in diese Aufzählung. Solche Bereiche zeichnen sich durch geringere Konkurrenz, hohe Ressourcendynamik, Nährstoffreichtum und wenig natürliche Gegenspieler aus.

Rein theoretisch bietet die Feindfreiheit im Invasionsgebiet einen guten Ansatz, um das invasive Verhalten einer nicht-einheimischen Art zu erklären. Im eigenen Ursprungsgebiet ist jede Art Teil eines langen, koevolutiven Geschehens. Sie hat spezielle Krankheitserreger und Parasiten, Feinde und Konkurrenten. Ein beträchtlicher Anteil der verfügbaren Ressourcen geht in die Verteidigung gegen diese zahlreichen Gegenspieler, sodass weniger Energie in eigenes Körperwachstum und vor allem in die Vermehrung investiert werden kann. Der neue Lebensraum, das zukünftige Invasionsgebiet, zeichnet sich durch das Fehlen all dieser speziellen Gegenspieler aus, ist also feindfrei. Die verfügbaren Ressourcen können vollumfänglich für Wachstum und Reproduktion eingesetzt werden, sodass viele invasive Arten im neuen Gebiet größer sind und mehr Nachkommen haben als in ihrem Ursprungsgebiet. Diese erhöhte Fitness ist dann die Grundlage für ihre invasiven Eigenschaften.

Invasive Arten wurden gelegentlich als prinzipiell überlegen gegenüber den einheimischen Arten bezeichnet. In dieser extremen Form trifft das sicherlich nicht zu, viele invasive Arten sind jedoch bemerkenswert unspezialisiert, sodass sie in vielen verschiedenen Lebensräumen existieren können. Auch der Besitz von «neuen Waffen» kann für invasive Arten förderlich sein, wenn die Konkurrenz im neu eroberten Areal diese noch nicht kennt. Hierunter verstehen wir beispielsweise chemische Inhaltsstoffe, die, über die Wurzel abgesondert, das Wurzelwachstum benachbarter einheimischer Pflanzen hemmen (Allelopathie), oder die, in die Blätter eingelagert, Fraßfeinde abhalten (sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe). Mit solchen Waffen kann in der Tat der Erfolg einiger nicht-einheimischer Pflanzen erklärt werden.

Andere Erklärungsmuster setzen bei der Struktur des Lebensraumes an. In naturnahen Gesellschaften, so wird angenommen, sind alle ökologischen Nischen besetzt, die Artengesellschaft ist gesättigt und neue, nicht-einheimische Arten können sich nicht etablieren. Dieser Ansatz erklärt beispielsweise, warum Waldökosysteme weniger invasive Arten aufweisen als die oben erwähnten gestörten Lebensräume oder warum manche artenreiche Ökosysteme geschützter gegen biologische Invasionen sind als artenarme. In diesem Zusammenhang spricht man auch gerne vom biotischen Widerstand, der dem Invasionsdruck nicht-einheimischer Arten entgegenwirkt. Insgesamt geben die zahlreichen theoretischen Ansätze wichtige Hinweise auf die Frage, warum einige nicht-einheimische Arten invasiv werden, beziehen sich aber immer nur auf bestimmte Lebensräume und Arten. Als Prognoseinstrument helfen solche Ansätze jedoch nur begrenzt. Eine gute Übersicht zu den theoretischen Ansätzen findet sich in Hufbauer & Torchin (2007).

Artenzahlen einheimischer und nicht-einheimischer Arten

In Deutschland leben mindestens 70 000 einheimische Arten, hierunter etwa 14 000 Pilzarten, 8000 Pflanzenarten und 48 000 Tierarten (Tabelle 2). Die tatsächliche Zahl kann durchaus um etwa 10 000 Arten höher sein, da einige Gruppen (u. a. Pilze, Einzeller, Nematoden) nach wie vor nur ungenügend erforscht sind. Für Österreich liegt die Gesamtzahl bei rund 67 500, und für die Schweiz gibt es keine vergleichbare Auflistung der dort vorkommenden Arten.

Die Zahl der nicht-einheimischen Arten in Deutschland beträgt 1935, in Österreich 1381, in der Schweiz 824 (DAISIE-Datenbank von Oktober 2009, www.europe-aliens.org). Auch hier ist die Dunkelziffer groß, da in vielen Gruppen der Erforschungsgrad immer noch gering ist. So gibt die NOBANIS-Datenbank beispielsweise für Deutschland 2269 und für Österreich 2038 nicht-einheimische Arten an (www.nobanis.org). Auf die Artenzahlen in Deutschland bezogen, machen die nicht-einheimischen Arten rund 3 % aus, je nach Organismengruppe ergeben sich jedoch höhere Anteile. So sind 7 % der Ringelwurmarten nicht einheimisch, bei den Mollusken 14 %, bei den Gefäßpflanzen 21 % und bei den Wirbeltieren 24 %. Bei der größten Tiergruppe, den Insekten, die 48 % aller Arten ausmachen, beträgt der bekannte Anteil an nicht-einheimischen Arten lediglich 1,7 %, ein deutlicher Hinweis auf Erfassungslücken. Ähnlich ist die Situation bei den Pilzen: Sie umfassen 21 % aller bekannten Arten Deutschlands, unter den nicht-einheimischen Arten stellen sie aber nur 0,3 % dar.


Tab. 2: Anzahl nicht-einheimischer Arten im Vergleich zu einheimischen Arten, kombiniert nach Wittenberg (2005) und DAISIE (2009). Die NOBANIS-Datenbank gibt für Deutschland 2269 und für Österreich 2038 nicht-einheimische Arten an (www.nobanis.org), die Daten sind wegen unterschiedlicher taxonomischer Untergliederung jedoch nicht einfach miteinander verrechenbar.

DAISIE

Im EU-Projekt DAISIE (Delivering Alien Invasive Species Inventories for Europe) arbeiteten 182 Wissenschaftler von 2005 bis 2008 zusammen, um europaweit Daten über das Vorkommen und die Verbreitung von Neobioten zusammenzutragen. Bis heute umfasst diese Datenbank rund 11 000 Arten von Mikroorganismen, Pilzen, Pflanzen und Tieren, die in den terrestrischen, limnischen und marinen Lebensräumen Europas vorkommen. Die artenreichste Gruppe stellen mit 53 % Pflanzen, mit 23 % folgen Wirbellose. DAISIE listet das Vorkommen dieser Arten länderweise für Europa und die angrenzenden Meeresgebiete auf und enthält Angaben über den Status, also ob eine Art als etabliert oder unbeständig gilt oder ob sie inzwischen wieder erloschen ist. Zudem werden, sofern vorliegend, Berichte über Schäden zitiert, und dann gilt die Art als invasiv. Dies trifft für etwa 12 % der erfassten Arten zu.

Bei Gefäßpflanzen und Säugetieren ist der Kenntnisstand über die Verbreitung und den Status nicht-einheimischer Arten relativ gut, bei anderen Gruppen wie Pilzen, Milben und Würmern aber noch mangelhaft. Veränderungen in der Anzahl der vorkommenden Neobioten können deshalb derzeit nur für wenige Organismengruppen dargestellt werden. Über die Zeitspanne der letzten 100 Jahre betrachtet, zeigen die Artenzahlen der in Europa auftretenden nicht-einheimischen Moose und Flechten, Gefäßpflanzen, terrestrischen Insekten und Säugetiere eine exponentielle Zunahme (DAISIE 2009). Dies dürfte vermutlich auch für andere taxonomische Gruppen zutreffen.

Auf der Basis dieser zentralen Datenbank hat DAISIE 100 der schlimmsten invasiven Arten Europas mit einem Steckbrief, Fotos und einer Verbreitungskarte vorgestellt. Zudem wurde eine Expertendatenbank erarbeitet, die bisher rund 1700 Experten aus 90 Ländern mit ihrem Profil erfasst hat. Die Daten von DAISIE sind in der Projektdatenbank (www.europe-aliens.org) frei zugänglich, erste Auswertungen sind in DAISIE (2009) enthalten.

 

Neue Wissenschaft

Lange herrschte auch in Wissenschaftlerkreisen kein Unrechts- oder Gefahrenbewusstsein, wenn nicht-einheimische Arten in einem neuen Lebensraum ausgesetzt wurden. Schließlich wies der britische Ökologe Charles Elton als einer der Ersten 1958 in seinem wegweisenden Buch «The ecology of invasions by animals and plants» auf das große Gefahrenpotenzial hin, welches von invasiven Arten ausgeht (Elton 1958). Die Invasionsbiologie hat sich in den letzten Jahrzehnten als eigener Wissenschaftszweig etabliert und befasst sich mit den ökologischen Auswirkungen von invasiven Arten auf die einheimische Biodiversität und den Möglichkeiten, diese zu kontrollieren.

Konkret geht es bei den wissenschaftlich untersuchten Fragen beispielsweise um Analysen der Ausbreitungswege nicht-einheimischer Arten, ihren Einfluss auf andere Arten im gleichen Lebensraum und um hierdurch verursachte Veränderungen in der Struktur von Ökosystemen. Da es auch um Möglichkeiten der Früherkennung von invasiven Arten geht, interessieren die Eigenschaften invasiver Arten und die besonderen Umstände, unter denen sie invasiv werden. Sicherlich wirken sich gewisse Veränderungen unserer Umwelt direkt auf nicht-einheimische Arten aus. Daher stellen die Auswirkungen von Landnutzungsänderungen und moderner Klimaveränderung besondere Forschungsschwerpunkte dar. Durch genaue Untersuchungen zur Ökologie invasiver Arten hoffen die Wissenschaftler, Ansatzstellen für eine Bekämpfung dieser Arten zu finden. Schließlich werden auch im Sinne einer Erfolgskontrolle die Auswirkungen von Maßnahmen gegen diese Arten analysiert.

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Invasive Arten im Profil

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Absichtliche Freisetzung

Zusammenfassung

Menschen nahmen während ihrer globalen Ausbreitung und der Eroberung ihrer Umwelt ihre jeweiligen Haustiere, besonders gut zur Bejagung geeignete Wildtiere sowie ihre Nutzpflanzen mit, damit sie überall eine möglichst gute Lebensgrundlage hatten. Auch Zierpflanzen und Heimtiere wurden weltweit verbreitet, denn man wollte sich am neuen Standort wohlfühlen. Viele dieser am neuen Ort nicht-einheimischen Arten entkamen der menschlichen Obhut und konnten sich in der neuen Umgebung als selbstständige Population etablieren.

Haustiere

Die Kulturgeschichte des Menschen ist seit vielen Tausend Jahren untrennbar mit seinen Haustieren verbunden (Nentwig 2005). Pferd, Rind und Schwein gehören seit 6000–9000 Jahren, Ziege, Schaf und Hund seit 10 000–16 000 Jahren zu den regelmäßigen Begleitern des Menschen in Eurasien, wo diese Tiere domestiziert wurden. Es erstaunt daher nicht, dass diese Haustiere überall dahin mitgenommen wurden, wohin sich die Menschen ausbreiteten. Sofern die Tiere unter menschlicher Kontrolle blieben, war außerhalb des durch den Menschen genutzten Bereiches kein nennenswerter Einfluss auf die Umwelt zu befürchten. Die Tierhaltung war jedoch oft extensiv, das heißt, das Vieh wurde in großen und nicht abgegrenzten Bereichen lange Zeit sich selbst überlassen, sodass regelmäßig Tiere entkamen und verwildernde Populationen aufbauen konnten. Diese wurden oftmals als zusätzlich jagdbares Wild hoch geschätzt. Hieraus entstand der Brauch, bei Entdeckung einer bis dahin unbekannten Insel einige Haustiere auszusetzen, meist Ziegen, Schafe, Schweine oder Esel. Die Tiere etablierten sich leicht und waren bei einem nächsten Besuch der Insel willkommenes Jagdwild. Im Laufe weniger |25◄ ►26| Jahrhunderte sorgte die europäische Seefahrt auf diese Weise dafür, dass alle geeigneten Inseln der Weltmeere, aber auch alle neu besiedelten Festlandbereiche durch die häufigsten Haustiere besiedelt wurden.

Verwilderte Ziegen (Capra hirta) haben vermutlich den stärksten Einfluss auf die natürliche Vegetation, da sie beim Fressen sehr wenig wählerisch sind. Sie können selbst dann noch Nahrung finden, wenn andere Pflanzenfresser dies nicht mehr können, da sie Stängelteile und Wurzeln, Äste und Baumrinde fressen, ja auch in die Bäume hineinklettern, sodass ein Gebiet völlig überweidet werden kann. Hierdurch verschwinden viele Pflanzenarten, und der Lebensraum verändert seine Struktur. Einheimische Arten können daher in einer Region mit vielen verwilderten Ziegen verhungern.

Verwilderte Schafe (Ovis ammon aries), Esel (Equus asinus asinus) und Pferde (Equus caballus) wirken sich in vielen Bereichen ähnlich wie Ziegen aus, wenngleich sie etwas weniger destruktiv sind. Verwilderte Esel kommen beispielsweise auf Zypern, in den USA und in Australien vor. In den USA ist bekannt, dass einheimische Dickhornschafe (Ovis canadensis) unter der Konkurrenz durch Esel leiden (Marshal et al. 2008). Im Inneren von Australien leben schätzungsweise 1,5 Millionen verwilderte Esel, die einen starken Einfluss auf die einheimische Vegetation haben und hierdurch auch einheimische Herbivore gefährden. Ähnlich verhält es sich in Australien mit verwilderten Dromedaren (Camelus dromedarius), die im 19. Jahrhundert als Packtiere aus Asien eingeführt wurden, später aber entkamen oder freigelassen wurden. Über eine Million verwilderte Dromedare machen in vielen Regionen dieses trockenen Kontinents Schutzmaßnahmen für die Vegetation zunichte und bedrohen einheimische Pflanzen und Herbivore (McLeod & Pople 2008).

Katzen (Felis silvestris catus) erfahren als Haustiere seit ihrer Domestikation vor 5000 Jahren in Ägypten in allen Kulturen große Wertschätzung. Daher erstaunt es nicht, dass Katzen weltweit verbreitet wurden und überall Populationen aus verwilderten Hauskatzen aufbauen konnten. Als Raubtiere haben sie einen großen negativen Einfluss vor allem auf die lokalen Populationen der Reptilien, Kleinsäuger und Vögel. In vielen urbanen Gebieten reduziert der überhöhte Katzenbestand einheimische Brutvögel (Lepczyk et al. 2003). In abgeschlossenen Arealen wie ozeanischen Inseln wirken sich verwilderte Hauskatzen noch dramatischer auf einheimische Vogelarten aus. Viele Populationen wurden stark zurückgedrängt, sogar die völlige Ausrottung von einzelnen Vogelarten ist belegt. Verwilderte Hunde (Canis lupus familiaris) stellen vor allem in Siedlungsgebieten ein nicht zu unterschätzendes Hygieneproblem dar. Herumstreunende Rudel zeigen zudem aggressives Verhalten gegenüber dem Menschen, und es kommt regelmäßig zu Bissverletzungen, manchmal mit tödlichen Folgen für Menschen.

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Akklimatisierungsgesellschaften

In der Mitte des 19. Jahrhunderts war die Welt weitgehend auf die Kolonialmächte aufgeteilt. Viele Europäer lebten in Übersee, vermissten aber ihre europäische Tier- und Pflanzenwelt, von der sie annahmen, dass sie besonders schön und nützlich sei. Gleichzeitig entdeckten sie in den Kolonien Arten, von denen sie überzeugt waren, dass diese auch in Europa gebraucht werden könnten. Unter den Auswanderern bildete sich daher schnell eine Gruppierung heraus, die mit einer fast systematischen Prüfung der möglichen Einbürgerung von Arten in Europa und in Übersee begann, die sie «wissenschaftlich» nannten. Man glaubte in dieser vordarwinistischen Zeit, dass es leicht möglich sei, den ausgewählten Arten die Eigenschaften anzuzüchten, die sie für ein Überleben in der neuen Heimat benötigten. Um dies in einem größeren und wirtschaftlich abgesicherten Rahmen betreiben zu können, wurde 1854 von französischen «Wissenschaftlern» und Bewohnern der französischen Überseegebiete in Paris die erste Akklimatisierungsgesellschaft mit dem Ziel gegründet, exotische Tiere und Pflanzen vor allem in Frankreich einzubürgern. Mit unterschiedlichem Erfolg versuchte man in den folgenden Jahren, Frankreich mit importiertem Bambus und Eukalyptus, Seidenraupen, Fasanen und Zebras zu bereichern. Schnell gründeten sich nach diesem Muster weitere Akklimatisierungsgesellschaften. 1860 entstand die Acclimatisation Society of the United Kingdom, nach deren Vorbild sich allein in Neuseeland 30 lokale Gesellschaften bildeten. Diese Gesellschaften waren für den Import von Tieren und Pflanzen nach Neuseeland verantwortlich, aus dem sich manch zweifelhafte Bereicherung der Natur ergab. Die Beteiligung von «Wissenschaftlern» an diesen Gesellschaften, die Durchführung von sogenannten Tests und die Diskussion von Sicherheitsmaßnahmen erzeugten eine Art Pseudosicherheit, zumal Begriffe wie Floren- und Faunenverfälschung oder die Vorstellung von invasiven Arten noch nicht existierten. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts änderte sich der Blickwinkel, und Importe neuer Arten wurden weitgehend eingestellt. Nun änderte sich die Einstellung zu diesem Vorgehen, die Akklimatisierungsgesellschaften wurden an den Pranger gestellt und geschlossen, manche wandelten sich in Jagd- und Angelvereine um, einige sogar in Naturschutzvereine.

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Alle Haustiere haben ihre speziellen Krankheiten und Parasiten, und viele übertragen sie auch auf verwandte Wildtierarten. Oft genug reagieren diese dann empfindlicher als die Haustiere, und es kommt zu Massensterben unter den Wildtieren. Die Rinderpest, eine meist tödlich verlaufende Viruserkrankung der Rinder und anderer Wiederkäuer, wurde bereits mit den Hunnen und Mongolen im 4. bzw. 13. Jahrhundert von Asien nach Europa verschleppt. Noch im 18. Jahrhundert fiel ihr der größte Teil der europäischen Rinderbestände zum Opfer. Intensive seuchenhygienische Bemühungen führten einerseits dazu, dass die Krankheit seit 1881 in Deutschland nicht mehr ausbrach. Andererseits brachte die italienische Armee noch 1887 infizierte Rinder nach Äthiopien, von wo aus sich das Virus in ganz Afrika ausbreitete. In den 1890er-Jahren und 1982–1984 kam es südlich der Sahara zu einem großflächigen Ausbruch der Rinderpest, die nicht nur einen großen Teil der Hausrinder tötete, sondern auch auf verwandte Wildtiere übersprang, sodass es unter den Streifengnus (Connochaetes taurinus) und Kaffernbüffeln (Syncerus caffer) zu einem Massensterben kam. Da diese Massensterben der Rinder auch Hungersnöte bei den Hirtenvölkern auslösen und eine Schutzimpfung möglich ist, führte die Food and Agriculture Organization (FAO) der UNO ein spezielles Impfprogramm durch, das zum Ziel hat, die Rinderpest weltweit bis 2010 auszurotten.

Nutz- und Zierpflanzen

Die ausgeprägte Gartenkultur, die sich in den letzten Jahrhunderten in vielen Regionen Europas entwickelt hat, verlangte immer mehr und immer ungewöhnlichere Pflanzenarten. Daher wurden ständig neue, nicht-einheimische Zierpflanzen eingeführt und gehandelt. Aus den Gärten entkamen viele Pflanzen durch Samen, mit Gartenabfällen oder durch Erdtransporte und siedelten sich in der Umgebung an (Abb. 4). Ein kurzer Auszug aus der deutschen Liste der nicht-einheimischen Pflanzen liest sich wie eine Gattungsliste aus einem Gartenkatalog: Achillea, Adonis, Alchemilla, Allium, Alyssum, Anchusa, Anthemis, Aster, Campanula, Centaurea, Consolida, Delphinium, Geranium, Hemerocallis, Impatiens, Iris, Lamium, Linaria, Malva, Matricaria, Mimulus, Muscari, Nepeta, Oenothera, Ornithogalum, Papaver, Potentilla, Reseda, Rosa, |28◄ ►29| Sedum, Sempervivum, Senecio, Solidago, Tanacetum und Viola sind nur einige bekannte Gattungen von Gartenpflanzen, von denen in der Regel mehrere Arten und Zuchtformen verwildert sind.


Abb. 4: Kumulativ dargestellte Anzahl nicht-einheimischer Pflanzenarten der Tschechischen Republik, unter Berücksichtigung ihres Herkunftsgebietes. Nach Pyšek et al. (2003).

Eine Analyse der tschechischen nicht-einheimischen Pflanzenarten ergab, dass 74 % aller Arten als Zierpflanzen in das Land kamen, 22 % wurden als Nutzpflanzen zur Ernährung eingeführt, 14 % als Medizinalpflanzen, 11 % für Tierfutter, 6 % zur Landschaftsgestaltung und 5 % als Ergänzung zur einheimischen Bienentracht (Mehrfachnennung war möglich, Pyšek et al. 2002). Diese Studie unterstreicht also die überragende Bedeutung, die dem Gartenbau für den Import nicht-einheimischer Pflanzenarten zukommt.

Beispielhaft soll hier auf drei Gartenpflanzen näher eingegangen werden, die nach ihrer Verwilderung invasiv wurden. Der Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianum) stammt aus dem Kaukasus und wurde vor rund 200 Jahren über den Botanischen Garten Kew bei London eingeführt. Wenige Jahre später tauchten verwilderte Populationen auf und innerhalb von wenigen Jahrzehnten kam die Art in fast allen Ländern Europas nördlich der Alpen vor. Der Grund für die Begeisterung, die der Riesenbärenklau ursprünglich auslöste, liegt in den riesigen Ausmaßen |29◄ ►30| der Pflanze, die über drei Meter groß werden kann und mit gewaltigen Blütenständen eine große Zahl von Schwebfliegen und Bienen anlockt. Die offensichtliche Attraktivität für blütenbesuchende Insekten verhalf dem Riesenbärenklau später zu einer zweiten Karriere, da Imker ihn als Trachtpflanze für ihre Bienen überall ansäten. Der Riesenbärenklau vermehrt sich über eine große Zahl von Samen, die zudem gut schwimmfähig sind. Es erstaunt daher nicht, dass seine Ausbreitung bald nicht mehr zu stoppen war und invasive Ausmaße annahm. Heute sind die negativen Auswirkungen gut bekannt: Der Riesenbärenklau verdrängt die einheimische Vegetation, erhöht im Uferbereich die Erosionsgefahr und verursacht beim Menschen bei Berührung schmerzhafte und schlecht heilende Verbrennungen (Pyšek et al. 2007).

 

Die Kanadische Goldrute (Solidago canadensis) stammt aus den Prärien Nordamerikas und wurde bereits im 17. Jahrhundert nach England und Frankreich gebracht, wo sie die Blumenfreunde erfreute. Ihrer Schönheit wegen und als leicht zu haltende Gartenpflanze tauchte sie bald überall in den europäischen Gärten auf. Goldruten sind ausdauernde Stauden, die zudem über eine große Samenproduktion verfügen. Über Wurzelteile und Samen konnte die Pflanze daher schnell auch außerhalb der Gärten Fuß fassen und sich explosionsartig ausbreiten. Heute kommt die Goldrute in fast allen europäischen Ländern in trockenen Lebensräumen, auf Brachflächen und an Wegen, Straßenrändern und Bahnlinien vor. Sie verdrängt in vielen naturschutzrelevanten Lebensräumen die einheimische Vegetation.

Der Pontische Rhododendron (Rhododendron ponticum), dessen Hauptverbreitungsgebiet vom Kaukasus bis in den Himalaja reicht, wurde seit etwa 1760 in England angepflanzt. Er war sehr populär, sodass er überall in Großbritannien verbreitet wurde. Er gedeiht sehr gut im wintermilden Klima und verwildert schnell. Heute sind flächendeckend ganze Landschaften in Irland, in Schottland und Wales und im südlichen England mit diesem drei bis sechs Meter hohen, invasiven Strauch überwachsen, sodass sich ein undurchdringliches Dickicht ergibt. Die einheimische Flora wird komplett verdrängt, da Wurzelausscheidungen das Wachstum der meisten anderen Pflanzen hemmen. Indirekt hat dies negative Auswirkungen auf die Tierwelt.

In der mitteleuropäischen Agrarlandschaft sind die Anbausysteme unserer landwirtschaftlichen Nutzpflanzen sehr intensiv in Bezug auf Bodenbearbeitung und Einsatz von Herbiziden. Ein Verwildern unserer modernen Hochleistungsnutzpflanzen ist daher nicht leicht. Ältere Nutzpflanzenarten und viele Medizinalpflanzen sind jedoch in beachtlichem|30◄ ►31| Umfang verwildert und zeigen durch ihre heutige Anwesenheit noch an, wo sie früher kultiviert wurden. Viele Senf-, Raps- und Rübsenarten (Brassica-Arten) stammen ursprünglich aus dem Mittelmeergebiet und aus Asien. Sie stellen die Vorstufen zu den heutigen Kulturarten oder früher genutzten und inzwischen aufgegebenen alten Kulturpflanzen dar. Weitere Beispiele betreffen etwa Karden (Dipsacus-Arten), die früher als Hilfsmittel in der Weberei eingesetzt und als Medizinalpflanzen verwendet wurden. Einige der heute in Europa vorkommenden Arten stammen aus Nordafrika und Asien. Buchweizenarten (Fagopyrum) stammen aus Europa, Asien und dem östlichen Afrika. Früher wurden sie in vielen Gebieten Europas angebaut, inzwischen wird Buchweizen aber kaum noch verwendet. Der mittelamerikanische Topinambur (Helianthus tuberosus) gelangte um 1610 nach Europa und wurde wie Kartoffeln genutzt. Mit Einfuhr der viel ertragreicheren Kartoffel verlor der Anbau von Topinambur in den meisten Regionen jedoch seine Bedeutung. Mit ihren unterirdischen Ausläufern und Wurzelknollen ist die Pflanze in der Lage, in bestehende Pflanzengesellschaften einzudringen und die anderen Pflanzen durch Beschattung zu verdrängen. Topinambur wird daher in vielen Gegenden als invasive Art eingestuft.

In den Gärten und Parkanlagen Mitteleuropas sind rund 3600 Arten von winterharten Gehölzen angepflanzt, denen weniger als 250 einheimische Gehölzarten gegenüberstehen. Viele dieser Arten verwilderten, und manche haben sich als recht invasiv erwiesen. Nordamerikanische Essigbäume (Rhus typhina), Robinien (Robinia pseudoacacia) und Platanen (Platanus orientalis), chinesische Schmetterlingsflieder (Buddleja davidii), Flieder (Syringa vulgaris) und Götterbäume (Ailanthus altissima) wurden ursprünglich als Ziersträucher, als dekorative Einzelbäume oder in Hecken und Alleen angepflanzt, verwilderten aber rasch und breiteten sich in vielen Regionen Europas aus. Heute sind Essigbäume und Robinien in vielen naturschutzrelevanten Trockengebieten ein großes Problem, Schmetterlingsflieder breiten sich auf Brachflächen und in urbanen Bereichen aus, Götterbäume vor allem in wärmebegünstigten Regionen. In vielen Ländern Europas werden diese Gehölze daher heute als invasiv eingestuft.

Ein klassisches Beispiel für eine unerwünschte Entwicklung stellt die nordamerikanische Spätblühende Traubenkirsche (Prunus serotina) dar. 1623 wurde sie als Ziergehölz nach Europa gebracht, und im späten 19. Jahrhundert versuchte man großflächig, sie für forstliche Zwecke einzusetzen. Anders als in Nordamerika blieben die Pflanzen in Holland und Deutschland jedoch eher strauchförmig, eine Stammbildung unterblieb. Da die Spätblühende Traubenkirsche ein starkes Dickicht bildet, |31◄ ►32| Naturverjüngung anderer Baumarten unterdrückt und generell forstliches Arbeiten erschwert, versucht man sie seit über 50 Jahren wieder auszurotten. Wegen der Wurzelausläufer und des hohen Regenerations-vermögens aus Wurzelresten ist dies ein äußerst langwieriges und teures Verfahren.

Dieses Beispiel verdeutlicht, wie vor allem gegen Ende des 18. Jahrhunderts in vielen Ländern Europas systematisch versucht wurde, Hunderte nicht-einheimischer Baumarten in Versuchsanlagen anzupflanzen, um sie auf ihre forstliche Eignung zu überprüfen. Mit den Arten, die man für geeignet hielt, erfolgten dann großflächige Anbauversuche. Aus der damaligen Zeit stammen Forste mit nordamerikanischen Roteichen (Quercus rubra), Weymouths-Kiefern, auch Strobe genannt (Pinus strobus), Sitkafichten (Picea sitchensis), Douglasien (Pseudotsuga menziesii) und japanischen Lärchen (Larix kaempferi). Roteichen, Sitkafichten und Douglasien vermehren sich sehr gut und müssen daher als invasive Arten eingestuft werden. Der Anbau von Weymouths-Kiefern ist in Europa weitgehend zum Erliegen gekommen, weil der Rostpilz einer sibirischen Zirbelkiefer auf diese übersprang und sie zum Absterben brachte. Auch wenn moderne Forstwirte zunehmend umdenken und einheimische Baumarten bevorzugen, sind in vielen Gegenden Europas nicht-einheimische Baumarten nach wie vor landschaftsprägend (Tab. 3). Zudem scheint sich die Forstwirtschaft im Umfeld der aktuellen Diskussion um eine Klimaveränderung wieder vermehrt für nicht-einheimische Baumarten zu interessieren, da sie annehmen, diese seien für das zukünftige Klima besser geeignet.

Eukalyptusarten (Eucalyptus) sind ein spezieller Fall. Diese australischen Bäume sind besonders schnellwüchsig, benötigen aber viel Wasser, das der einheimischen Flora nicht mehr zur Verfügung steht, sodass die Versteppung der Landschaft gefördert wird. Zudem sondern die Wurzeln chemische Substanzen in den Boden ab, die das Wachstum anderer Arten hemmen. Eukalyptuswälder haben daher oftmals keinen Unterwuchs, obwohl sie licht sind. Eukalyptusblätter sind schwer abbaubar, und hierdurch ist auch das Bodenleben betroffen. Zwischen 1823 und 1857 wurden in Südeuropa, Südafrika, Südamerika, Kalifornien und Indien erste Eukalyptus-Plantagen angelegt, heute kommen sie weltweit vor.

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Tab. 3: Wirtschaftliche Nutzung invasiver Baumarten in der deutschen Waldwirtschaft, in m3 geschlagenes Stammholz pro Jahr (ergänzt nach Hubo et al. 2007 und Kowarik 2003).

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