HIPPIE TRAIL - BAND 2

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Der Bus durchraste schönste Landschaften. Eine Weile folgten wir dem Küstenverlauf, sahen manchmal weiße Sandstrände. Dann ging es hinauf auf die Klippen und unser Blick überflog das blaue Meer. Einmal die Grenze überschritten, stiegen manche Fahrgäste aus. Andere stiegen zu. Es waren aber immer mehr, die zustiegen. Bald war der Gang auch voll besetzt. Das war wohl der Nebenverdienst des Fahrers. Irgendwo stieg ein alter Mann ein, bestimmt ein Bauer, mit einem vielleicht sechsjährigen Kind. Sie setzten sich auf den Boden. Ich rückte etwas mehr zu meinem Nebenmann, und ließ den Mann auf der Kante des Sitzes sitzen. Den Buben nahmen wir auf den Schoß. Der Mann sah abgearbeitet aus. Zerfurchte, schwielige Hände. Natürlich sprach er kein Englisch. Beim nächsten Halt bot ich ihm und dem Jungen einen Tee an. Weiter ging die Fahrt. Irgendwann, so gegen 23 Uhr, hielt der Bus mitten im Dunkeln an, um den Mann und seinen Enkel aussteigen zu lassen. Der Mann bot mir an, mit in sein Dorf zu kommen. Jemand aus dem Bus übersetzte mir. Das Dorf läge nur ein paar Fußstunden von hier. Wäre es hell gewesen… Alle möglichen Sachen kamen mir in den Sinn, Tiger, der Vietcong… Als der Bus wieder fuhr, war es mir, als hätte ich ein großes Abenteuer verpasst. Und stattdessen fahre ich in die größte Stadt des Landes! So gegen zwei Uhr durchfahren wir die Vororte Bangkoks. Es regnet in Strömen. Der Bus hält auf einem riesigen Platz an. Die wenigen Straßenlaternen spiegeln sich in den öligen Pfützen. Zum Glück hat der Wolkenbruch aufgehört. Alle steigen aus und gehen ihren Weg. Der Bus fährt weg. Ich stehe alleine da. Ein paar Busse parken etwas weiter am Rand des Platzes. Es fängt wieder an zu nieseln. Ein ungeheures Gefühl von Einsamkeit über-kommt mich. Mir ist, als wäre ich am traurigsten Ort der Welt gestrandet. Wo kann ich die letzten Stunden der Nacht verbringen? Wo bin ich einigermaßen sicher vor Räubern und Straßenkötern?

Ich nehme meinen Rucksack und schlage irgendeine Richtung ein. Irgendwo werde ich schon landen… Da kommen vier Personen auf mich zu. Ich sehe, es sind Jugendliche, und sie sehen eher harmlos aus, stelle ich erleichtert fest. Jeder, der schon mal gereist ist, weiß, dass man oft ziemlich was an Geld dabei hat. Mehr als die Einheimischen besitzen, vor allem in diesen Ländern. Kommen sie von einer Feier? Sie begrüßen mich auf Englisch. Aha, zumindest gehen sie auf die Oberschule, haben also Eltern, die es sich leisten können, ihren Kindern eine Ausbildung zu geben. Woher, wohin? Ich sage, ich wolle zum YMCA. Der ist weit von hier und ist teuer. Acht Dollar die Nacht. „Gib uns acht Dollar und wir besorgen dir eine Unterkunft!“ Sie führen mich zu einem Schuppen, worin ein Billardtisch und zweit Tisch-fußballspiele stehen. Ziemlich verdreckt und herunter-gewirtschaftet. Ein paar Gestalten pennen da schon. Sie sind mir nicht grade geheuer. Ich sage ihnen, dass mir der Platz nicht gefällt und zum YMCA gehen werde. Sie beraten. „Komm, du bist unser Freund, du kannst bei uns übernachten.“ Ich machte mich auf eine Studentenbude gefasst. Ich folge ihnen und beantworte ihre neugierigen Fragen.

Wir gelangen in ein schickes Wohnviertel. Hier trennen sie sich. Zwei, bestimmt Brüder, nehmen mich mit. „Falls die Eltern fragen, du bist ein deutscher Student und unser Gast.“ Ich schlafe auf einer Matte in ihrem Zimmer. Am nächsten Morgen stehen wir auf. Die Eltern haben schon erfahren, dass Besuch da ist und heißen mich mit vielen Verbeugungen als Gast willkommen. Sie sprechen kaum Englisch. Sie sind stolz auf ihre Kinder, die Respekt vor anderen haben und die Regeln der Gastfreundschaft üben. Es folgt ein gemeinsames Frühstück. Dann verabschiede ich mich mit vielen ‚Thank Yous‘. Einer der Brüder nimmt meinen Ruck-sack, um ihn hinauszutragen. Die stolzen Eltern winken mir von ihrer Tür aus nach, ich winke zurück. Wir kommen um eine Hausecke. Der mit dem Rucksack rennt plötzlich los. Der andere hält mich fest. Plötzlich sind auch die Kumpel von der Nacht da. „Gib uns zehn Dollar für Schlafen und Essen, und du bekommst den Rucksack wieder!“ Ich protestiere. „Ist das thailändische Gastf-reundschaft?“ Sie bleiben hart. Unauffällig ziehe ich einen Zehn-Dollar-Schein aus meiner Reserve und zeige ihn ihnen. Sie geben dem Anderen ein Zeichen. Der kommt näher. „First backpack!“ Sie wollen erst das Geld. Ich bleibe stur. Der mit dem Rucksack nähert sich. Ich strecke die Hand mit dem Schein etwas vor. Er macht dasselbe mit dem Rucksack. Die Anderen stehen abwartend, nicht weit. Ich greife schnell nach dem Ruck-sack, er nach dem Geld, und alle rennen in verschiedene Richtungen davon. Willkommen in Bangkok!

Bangkok ist riesig. Es liegt im Flussdelta des Chao Phraya. Viele Kanäle und Flussarme durchziehen die Stadt. Wohin ich den Kopf auch drehe, überall ragen hohe, goldene Tempeltürme in den Himmel, oder Paläste. Ich lasse mich die letzten Kilometer von einem Rikscha fahren. Der Fahrer erklärt mir im Vorbeifahren die einzelnen Sehenswürdigkeiten. Ich habe den Eindruck, er will mit mir eine Stadtrundfahrt machen. „Shortest way to YMCA!“ mahne ich ihn. Ich nehme ein Bett in einem Vierbettzimmer. Um diese Zeit bin ich noch der Einzige. Doch als ich nach meinem Stadtrund-gang gegen Abend zurückkomme, sind alle Betten belegt. Drei junge Amerikaner wohnen mit mir im Zimmer. Der Preis ist wirklich 8 Dollar. Aber pro Bett, nicht für das Zimmer! Die Nacht wird laut. Irgendwer ist immer unterwegs. Manchmal scheinen Rennfahrten stattzufinden, mit röhrenden Motoren und quietschenden Reifen. Wer eine Freundin hat, und ein Auto, bringt ihr unter ihrem Fenster ein Ständchen mit aufheulendem Motor!

Für den nächsten Vormittag haben meine Zimmer-kollegen ein Boot mit Fahrer gemietet. Ob ich nicht mitkommen will, gegen 3 Dollar Beteiligung? So wie ich bisher die Stadt gesehen habe, finde ich das eine gute Idee. Denn viele der Sehenswürdigkeiten sind einfacher vom Wasser her erreichbar oder am besten sichtbar. Es ist ein langsames Motorboot, sogar mit einem Schall-dämpfer ausgestattet. An mehreren Tempeln halten wir an und steigen aus. Der alte Königspalast. Riesig und voller Prunk zieht er an uns vorbei. Und da drüben der neue! Noch monumentaler und prachtvoller. Rot-Grün glasierte Ziegeldächer, deren Firste am Ende mit vergoldeter Schnitzerei verziert sind und sich hornförmig nach oben in die Luft schwingen. So schön diese Paläste auch sind, ich finde hier ist mindestens einer zu viel. Riesige Stupas ragen in den Himmel, wie goldene auf dem Boden stehende Glocken. Monumentaler als alle, die ich bisher gesehen habe. Die Tempelbezirke sind übersät von Stupas aller Größen, dazwischen Pagoden mit bunten oder goldenen, sich übereinanderschichtenden Dächern. Haushohe Wächterstatuen mit Grimassen-gesichtern stützen sich auf ihre Schwerter und bewachen auf beiden Seiten die Eingänge zu den Tempeln. Der Boden der Tempelstadt ist weißer Marmor, ebenso die Stufen. Wohin ich den Kopf wende, alles ist bunte Keramik, Gold und Marmor, aufs üppigste verziert. Und die Verzierungen nochmals verziert. Bis ins Aller-kleinste. Nie habe ich bisher eine solch große Tempelanlage gesehen!

Alles blitzt vor Sauberkeit, kein Gestank liegt über dem Ganzen, nur der Duft von Weihrauch, der aus dem Inneren der Tempel nach außen dringt. Im Inneren erheben sich übermenschengroße Statuen, meistens der Buddha, sitzend, lächelnd. An der Haltung der Hände erkennt der Gläubige, ob der Tempel dem vergangenen, dem Buddha unseres Zeitalters, oder dem zukünftigen geweiht ist. Vor den Statuen befinden sich prunkvolle, mit Sand gefüllte Becken, worin die Pilger und andere Besucher Weihrauchstäbe stecken. Dieser erhebt sich gleich langsam wehende Fäden von den glühenden Enden und legt sich in wohlriechenden Schichten in den Raum. Manche der Weihrauchstangen sind armdick und über zwei Meter lang. Der Geruch ist gleich dem in den lamaistischen Tempeln Nepals. Außer Sandelholz müssen große Proportionen Wacholderspäne darin sein. Dort, wo ein Sonnenstrahl das Halbdunkel im Inneren durchsticht, leuchtet der Weihrauch auf, gleich dem Richtstrahl eines Leuchtturmes. Nicht genug damit, dass die Dächer von außen verziert sind, auch von Innen ist jeder sichtbare Ziegel, jede Dachlatte oder Balken zierlich verkleidet, mit Gold, Keramikschuppen, Seidenstoffen oder Edelsteinen. Viele Götterfiguren und Dämonen, die ich in Nepal gesehen hatte, tauchen auch hier auf. Aber in Reinform, golden. Ohne mit Blut oder Farbe verschmiert zu sein. Neben den Eingängen wachsen wohlgeordnet Fächerpalmen, verbreiten Blumenbeete ihre Farbenpracht. Hier sind Architekten den Künstlern zur Seite gestanden! Hier ist kein Chaos. Hier ist Ordnung. Himmlische Ordnung. Und unter all den Besuchern wandeln trotzdem ein paar Mönche. Wenn sie nicht im Tempel oder Kloster Dienst tun, durchziehen sie bettelnd die Stadt oder sitzen in Reihen am Rande bestimmter Straßen. Stumm die Bettelschale haltend, geduldig auf Almosen wartend. Wie Fürsten, die beim Nehmen den Eindruck hinterlassen, als würden sie geben. Thailand muss ein sehr religiöses Land sein. Und ein sehr reiches. Nur durch Fron können solch Bauwerke nicht entstehen. Und auch nicht unterhalten werden. Trotz der ungünstigen Zeit des Monsuns befinden sich hunderte von ausländischen Touristen hier, auch einige amerikanische GIs auf Fronturlaub. Vietnam liegt gleich nebenan.

Bangkok wird von einem Labyrinth von Kanälen durchzogen. Diese sind sich nicht alle gleich. Es gibt da die Prachtkanäle, die sich zwischen den Palästen und Tempeln meistens gradlinig hindurchziehen. Es gibt andere, an denen sich Warendepots befinden, von wo aus Güter auf dem Wasserweg verschifft werden, wieder andere, an denen sich Geschäfte säumen, oder Wohnviertel. Viele Felder und Gärten der Stadt werden auch auf Kanälen erreicht. Diese schlängeln sich oft unter der üppigen Vegetation hindurch, kleine hölzerne Stege führen ins Wasser, um die Frachtkähne zu beladen. Andere dienen zum Entwässern des Flussdeltas, um Ackerfläche zu gewinnen. Wie durch einen Tunnel gleiten wir mit unserem Boot über das grüne Wasser. Manchmal kommen wir in einen der Flussarme. Der Wasserstand ist überall, bedingt durch den Monsun, sehr hoch. Die kleinsten Kanäle sind anfangs bedeckt. Das sind diejenigen, die die Abwässer der Stadt ableiten. Sie ergießen sich in die größeren. Zum Glück ist derzeit kein Wassermangel und die Kinder, die von den Anlegestegen vor den Pfahlbauten ins Wasser springen, riskieren nichts. Auch nicht die Frau, die sich gerade einseift. Der Fluss ist die Lebensader seit Urzeiten. In den Hauptarmen, da wo er in den Hafen münden, liegen sogar ein paar Kriegsschiffe. Zwei davon sind Fregatten. Ohne Fenster. Für was für eine Art Krieg sind die bestimmt? Sie sind nicht beflaggt, tragen keine Nummer. Sind das amerikanische Schiffe, die getarnt, auf einen eventuellen Einsatz in Vietnam warten? Aber warum keine nationalen Kennzeichen?

 

In der Nähe, in einer Werft, entsteht ein Frachtschiff. Ein riesiger Werftkran ist gerade dabei, die vorgefertigten Brückenaufbauten aufzusetzen. Bus-Boote fahren Menschen zur Arbeit und Kinder in die Schule. Wer es eilig hat, nimmt ein ‚Speed-Boat‘, ein schmales, schnittig gebautes Boot, mit nur zwei Sitzplätzen nebeneinander, aber 5 bis 10 hintereinander gereiht. Am Heck ist ein enormer Auto- oder LKW- Motor auf eine mindestens 5 Meter lange Welle geflanscht, an deren anderen Seite sich die Schraube befindet. Diese Motor-Wellen-Konstruktion ist an ihrem Schwerpunkt im Bootsheck drehbar aufgehängt und dient zugleich zur Steuerung. Der Motor, natürlich ohne Schalldämpfer, gibt diesen Rennbooten einen solchen Schub, dass sie mit riesiger Bugwelle halb gleitend vorwärtsschießen. Ich schätze ihre Geschwindigkeit auf über 70 Stundenkilometer. Eine kleine Barkasse, mit bestimmt weniger Pferdestärken als die Speeder, zieht langsam 4 beladene Schuten hinter sich flussaufwärts. Diese sind so tief abgeladen, dass das Deck vom Wasser überspült wird und nur die hohen Lukensülle sie am Sinken hindern. Auf jeder Schute ist eine einfache Unterkunft, die man mit geflochtenen Bastmatten erweitert hat. Man sieht, dass auf jeder eine Familie lebt. Die Kinder rennen über die überfluteten Seitendecks und die Schlepptrossen von Schute zu Schute nach vorne. Dort springen sie ins Wasser, um auf der letzten wieder an Bord zu klettern. Am Heck eines jeden Frachtkahnes befindet sich ein großes, buntbemaltes Ruderblatt mit langer Pinne. Daran steht auf jeder ein Steuermann. Die Ladeluken sind mit halbrunden Wellblechen gegen Regen geschützt, oder mit spitzen Grasdächern. Zu Stoßzeiten muss es auf den Kanälen so zugehen, wie auf den Straßen. Mit dem kleinen Unterschied, dass Schuten keine Bremsen haben…

Wir kommen durch Viertel, wo die Dächer mit Rost beschichten sind, anstatt mit Gold. Anstatt Motorbooten rudern die Menschen in Einbäumen. Zum Einkaufen, auf einen Plausch zum Nachbarn, zu den Gärten. Oft bringen die Wellen der Speed Boote die Einbäume, die nur ein paar Fingerbreit aus dem Wasser ragen, in Gefahr. Meist wird mit einem Paddelmanöver rechtzeitig der Bug gegen die Wellen gedreht und zu einem Schäufelchen gegriffen, um das übernommene Wasser wieder rauszulenzen. Unser Boot tuckert wie ein schwimmender Traktor durch die Kanäle. Eine geflochtene Matte schützt uns gegen die Sonne und die vereinzelten Regenfälle. Jede Biegung bringt uns neue Überraschungen. Schwimmende Händler paddeln in ihren übervollen Einbäumen von Pfahlbau zu Pfahlbau. Die Gemüse türmen sich in bunt geordneten Pyramiden. Schwimmende Garküchen, ein Holzkohlenfeuer unter den Töpfen verkaufen ihre in Öl schwimmenden Spezialitäten. Der Handwerker kommt im Boot. Vielleicht auch der Bettler. Eine schwimmende Tank-stelle kommt uns entgegen, motorgetrieben.

Unweit einer Flusskreuzung, unter dem tiefhängenden Geäst eines weitausladenden Baumes, ist schwimmender Markt. Die Händler und Marktfrauen halten sich an den fast bis zur Wasseroberfläche reichenden Ästen fest, um nicht abgetrieben zu werden. Aus allen Kanälchen kommen Einbäume, schwimmenden Einkaufswagen gleich, um die täglichen Besorgungen zu machen. Es scheint mir, als lägen die Händler im Wettstreit darum, wer das schönste Boot hat! Oder ist es, weil die Menschen lieber da kaufen, wo es am schönsten ist, und nicht dort, wo es am billigsten ist? Gefeilscht wird aber allenthalben! Sogar der Metzger kommt angepaddelt und zerlegt seine Schweinehälften vor den Kenneraugen der Kundschaft. Fast alle Frauen tragen die typisch süd-ostasiatischen Kopfbedeckungen, die wie ein Lampen-schirm aussieht. Das ist ein Hut, entweder aus fein gespaltenem Bambus, und/oder einer Art Schilf miteinander verflochten. Dieser Hut befindet sich etwas erhöht, wie ein kleiner Schirm, auf einem Kopfgestell. Das ermöglicht ein Durchstreichen der Luft. Je weiter die Stadt zurückbleibt, um so dichter wird die Vegetation. Palmen neigen sich über das Wasser, hohe Bäume strecken ihre Äste weit auf den Fluss, alles scheint nach Licht zu suchen. Auch hier draußen rast manchmal ein Speedboot vorbei, seine Wellen nagen an den Ufern. Eile kennt keine Grenzen, ist schon international!

Im YMCA treffe eine Amerikanerin, die in Luang Prabang, in Laos, weiter im Norden, in einem Flüchtlingscamp arbeitet. Sie berichtet uns von ihrem Alltag. Tausende Halbverhungerte müssen versorgt werden, dazu die von Minen Verletzten. Sie suchen Hilfswillige. Doch wollen die Behörden keine Genehmigungen erteilen, weil die Gegend im Norden zu unsicher ist. Selbst auf thailändischem Gebiet ist der Vietcong aktiv, hauptsächlich mit Attentaten. Gestern sei die Bahnlinie von Thailand nach Malaysia gesprengt worden, mitsamt dem Zug, der gerade durchfuhr. 5 Tote und enormer Sachschaden. Ich überlege, ob ich nicht mit ihr nach Luang Prabang gehe und Australien etwas aufschiebe. Doch es können nur Leute von gemeinnützigen Verbänden dorthin, die von der entsprechenden Regierung entsendet werden. In meinem Fall die deutsche. Aber die will mich ja eher für fünf Jahre aus dem Verkehr ziehen…

Am nächsten Tag mieten wir zusammen ein Taxi und fahren nach ‚Timland‘, einer Art Touristenpark, wo dem Besucher die Kultur Thailands in einem Tag vermittelt werden soll. Dort wurden tausende von Touristen durch die verschiedenen Animationen geschleust. Die Elefanten bei ihrer Arbeit zu sehen, wie sie Baumstämme zogen und mit ihren Stoßzähnen über den Boden rollten, war für mich das Interessanteste daran. Auch die Volkstänze, die Kostüme der Tänzer, die Musikinstrumente, all das war sehenswert. Doch war alles aus dem täglichen Leben herausgelöst und gemacht für jene, die Thailand in drei Tagen absolvieren wollen. Und zu denen gehörte letztendlich auch ich. Nach einer dritten Nacht, ohne Unterlass unterbrochen von den laut röhrenden Motoren, ging ich zum Bahnhof. Das Leben war außerdem zu teuer. Ich verbrauchte über 20 Dollar am Tag. Das einzig billige waren die Transportmittel, vor allem die Bahn. Und die war auch das Sicherste, trotz des Bomben-anschlags. An besagter Stelle lagen noch die beschädigten Wagons neben den Gleisen. Der Zug fuhr langsam durch diese Stelle hindurch, weil die Schienen noch nicht endgültig repariert waren. Auch hielten die Züge keinen festen Fahrplan mehr ein, um so Anschläge schwieriger zu machen. So ging es wieder südwärts. Im gleichen Wagen traf ich zwei Deutsche, die mit einem Billigflug vor ein paar Tagen in Bangkok angekommen waren, und die nach Malaysia wollten, weil sie gehört hatten, dass dort das Leben weniger als halb so teuer ist als in Thailand. Das konnte ich bestätigen. Außerdem erzählte ich viel von Penang, worauf sie beschlossen, dort eine Weile zu bleiben.

Als wir die Fähre, die uns vom Festland auf die Insel gebracht hatte, verließen, verfolgte uns ein Rikschafahrer regelrecht. Mit jedem Meter, den wir liefen, sank sein Preisangebot. „Wollen mal testen, was so ein Vehikel aushält, sagten meine Begleiter und zu dritt, das Gepäck auf dem Schoß, zwängten wir uns auf den Sessel. Dadurch stieg das hinten dranhängende Antriebsmodul samt seinem Besitzer, der seine indischen Kollegen durch sein Gewicht um das Doppelte übertraf, in die Luft, und unsere Gondel kippte nach vorne auf die Fußrampe. Der Fahrer lachte mit uns und alle stiegen ab. Wir wollten zu Fuß weiter. Doch der Fahrer sah wohl seine Ehre auf dem Spiel, und bestand darauf, dass wir mit ihm fahren! Er hob unsere Rucksäcke hoch, nahm den schwersten auf den Buckel, die anderen zwei hängte er außen seitlich an den Lenkbügel, was dem Gefährt eine enorme Breite verlieh. Wir waren im Gleichgewicht und er stieg in die Pedalen. Doch schon nach 200 Metern war Schluss. Ein Beerdigungszug von wohl einem Kilometer Länge zog gerade durch die Hauptstraße in Richtung Friedhof und legte allen Verkehr lahm. Wir hatten unseren Logenplatz und konnten in Ruhe den Leichenzug betrachten. Vorneweg fuhren in einer Doppelreihe gut ein Dutzend leerer Rikschas, die auf jeder Seite des Sitzes eine wohl 4 Meter hohe schwarze Fahne, mit Schriftzeichen darauf, befestigt hatten. Dann folgte eine Prozession von Kindern, auch in Doppelreihe, die auf der rechten Schulter an einer langen Bambusstange eine schmale, bunte Fahne trugen, in Laufrichtung ausgerichtet. Männer trugen riesengroße Lampions oder Gebetsmühlen aus Papier. Eine Gruppe von Männern in gelben Strohhüten schlug auf schwarze Tamburine, Frauen trugen papierene Sänften, mit Blumen geschmückt. Dann eine in zwei Stangen, wie eine Sänfte getragene Kesselpauke, wieder leere Rikschas, mehrere Tempelfiguren in weiße Schleier gehüllt. Ein Militärorchester in Tropenuniformen, mit Tropenhelmen auf den Köpfen blies in die Instrumente. Eine Gruppe Frauen trug leere, aus Papier und Seide gebildete Sänften auf den Schultern, dann folgte ein blau-gelber Lkw, der mit einem Baldachin versehen war, und anscheinend nur zu Beerdigungszwecken diente. Darunter lag der Sarg. Dieser war ein enormer Baumstamm, der Länge nach durchgeschnitten und ausgehöhlt. Orangefarbene Blumengirlanden schmückten Sarg und LKW. An den Streben des Baldachins und den umlaufenden Geländern hielten sich mit Sackleiwand gekleidete Männer, leicht gebückt, mit einer Hand fest. Auf dem Kopf trugen sie lange, gelbe, bis über die Schultern herabhängende Kapuzen mit Eselsohren daran. Diese Gruppe schienen berufsmäßige Trauernde zu sein. Sie waren die einzigen des Trauerzuges, die dem Leid der anderen in lautem Lamentieren Ausdruck gaben. Die darauf Folgenden mussten von der Familie sein. Jeder von ihnen trug ein länglich gefaltetes gelbes Tuch über der rechten Schulter. Gelb, die Farbe der Trauer. Der Verstorbene musste ein hohes Tier gewesen sein, wohl ein früherer Militär, weil er mit solchem Pomp zu Grabe geleitet wurde. Es folgten noch weitere leere Rikschas und dann eine Menge anderer Trauergäste und Schaulustige. Als der nachfolgende Verkehr sich einigermaßen verlaufen hatte, ging unsere Testfahrt weiter.

Wir kamen an dem Bordell vorbei, wo ich drei Tage gewohnt hatte und wo die Schulmädchen bestimmt noch über den sonderbaren Touristen lachten. Ich erzählte meinen Kumpeln davon. „Das wäre doch was für uns!“ feixten sie. Stiegen letztlich aber in einem Hotel ab, was ihnen der Rikschafahrer empfahl. Mit mir am Strand zu schlafen, schien ihnen zu riskant. Ich ging also alleine zu dem kleinen Fischerdorf, welches ich auf meinen früheren Streifzügen entdeckt hatte. Telok Bahang hieß es. Bald sah ich hinter den Palmen das Meer schimmern. Ich wandte mich nach links und lief so weit, bis keine Häuser mehr waren. Die Straße endete in einem runden Platz, neben dem sich ein Wellblechdach erhob, worunter ein Tischfußballspiel und ein alter Billardtisch standen, die von Jugendlichen umlagert waren. Daneben befand sich ein Limonadenausschank. Diese Kneipe hatte ich mit den Freunden als späteren Treffpunkt ausgemacht. Hier vergnügten sich die Fischer, wenn sie mal nicht ausfuhren, hier ließen sie ihr weniges Geld. Unterhalb dieser Hütte führte ein langer, hölzerner Steg ins Meer. Heute war er verlassen, nur ein paar Netze hingen über den Balken, wohl zum Trocknen oder Reparieren. Es war Ebbe. Rechts vom Steg lagen drei schraubengetriebene Fischerboote auf dem Strand. Es roch nach Schlick, Fisch und frischer Farbe. Ein paar Fischer rollten rote Unterwasserfarbe auf einen Schiffsrumpf, während andere mit Stechwerkzeugen die Böden ihrer Boote von Algen und loser Farbe befreiten. Sie winkten mir zu. Ich setzte mich auf den Steg und beobachtete ihr Treiben.

Später, als die Sonne sich dem Horizont näherte, nahm ich meinen Rucksack und lief auf der anderen Seite des Steges den weißen Strandstreifen entlang. Ich zog mir die Schuhe aus. Das war schön, den warmen Sand zu spüren! Ich umlief eine Bucht, mal im Wasser, mal im Trockenen, kletterte über ein paar abgrenzende Felsen, kam in eine andere Bucht. Wieder weißer, feiner Sand, die Kokospalmen neigen sich schräg zum Meer, eine leichte Dünung verläuft sich leise in durchsichtigen Wellen. Die Sonne geht auf den Horizont zu. Ich finde einen Platz zwischen zwei dicken Felsen, stelle meinen Rucksack dort ab und klettere die vom Meer leicht unterhöhlte Uferböschung hinauf. Ich sammle etwas trockenes Holz auf dem Ufer. Das Beste liegt aber unterhalb davon, Schwemmholz aus dem Meer und trockene Palmenblätter. Als der Horizont golden die Erde umarmt, zünde ich das Feuer an. Ein paar Steine stützen mein Kochgeschirr ab, bald schon blubbert es darinnen. Ein halbes Paket chinesische Nudeln, einen Bouillonwürfel, ein Stück Brot: ‚Malaysia for one Dollar a day…‘

 

Noch lange saß ich auf meiner Decke und schaute auf das dunkle Meer. Es war eine warme Nacht. Leise schoben sich die Wellen auf den Sand, es herrschte fast absolute Stille. War das eine Wohltat, nach den drei Nächten in Bangkok! Als der Horizont nicht mehr zu sehen war, legte ich mich auf die Decke und bedeckte mich mit dem Leinentuch aus Indien. So konnten mir die Mücken nicht viel anhaben. Die Sterne hatten ihre volle Pracht entfaltet. Ich betrachtete sie eine Weile, versuchte, mir die Entfernungen da oben vorzustellen. Und da, wo ich nichts mehr sehen konnte, ging es trotzdem weiter. Das Nichts ist endlos. Und irgendwo in diesem ganzen Glitzerkram schwebe auch ich, auf dieser Staubkugel, die jemand vor uns mal Erde genannt hatte, Terra, Gaia… Und noch verrückter, ich selber, mein 72 Kilo schwerer Körper, bin genauso aufgebaut wie das All: viel Leere und darin meine Atome und Moleküle gleich Galaxien. Und was, wenn das Universum, wie wir es sehen, nur selber ein Molekül ist, von etwas noch Größerem? „We are stardust, we are golden…“ mit dem Lied von Joni Mitchell im Sinn schlafe ich ein.

Irgendwann in der Nacht wurde ich wach. War es die Kühle, die mich geweckt hatte? War da nicht ein Geräusch im Urwald hinter mir? Mir war, als sehe ich ein Paar leuchtende Augen, die mich beobachten. Die Schlange Ka oder Baghira, der Panther? Ich schlüpfte unter die Decke. Mir fröstelte. Ich war wohl gerade wieder eingenickt, da rissen mich Maschinengewehr-salven erneut aus dem Schlaf. Ich lauschte eine Weile. Die waren jedenfalls weit weg. Auf dem Festland. „Bom… bom… bom!“ antwortete ein Geschütz oder ein Mörser. War dies ein Manöver, waren das kommu-nistische Guerillas? Durch den Krieg in Vietnam waren auch die angrenzenden Länder unsicher geworden. Nicht nur, dass die Lebensweise der herrschenden Klassen Unmut hervorrief, sondern der Nachschub der Guerillas lief meist durch die Nachbarländer. Ich konnte nicht wieder einschlafen und dachte über meine Lage nach. Würde mir ein wildes Tier was anhaben wollen, könnte ich ins Wasser rennen und sogar wegtauchen. Was verirrte Kugeln betrifft, hatte ich mal gehört, dass, wenn man die Schüsse hört, keine Gefahr mehr besteht. Die Kugel fliegen schneller als der Schall. Der Tod kommt für den Betroffenen lautlos. Fast jede Nacht hörte ich Schüsse. Als ich die Fischer danach fragte, zuckten sie die Schultern und meinten, das ist weit weg, das ist die Armee.

Ich wachte erst wieder auf, als die Sonne über den Horizont aufstieg, ungefähr da, wo ich die Schüsse gehört hatte. Ich nahm mein Morgenbad im seichten Wasser, legte meine Angel aus und mischte mein Müsli. Dann folgte ein kurzes Sonnenbad, bevor sie zu stark wurde. Dabei fiel mein Blick auf die Kokosnüsse oben unter den Blättern am Stamm der Palmen. Ich versuchte den riffeligen Stamm hinauf zu klettern. Am unteren Ende, wo er am dicksten ist und leicht geneigt, ging es ganz gut. Doch dann war Schluss. Ich rutschte auf der glatten Rinde und musste mich durch einen Sprung in den weichen Sand retten. Ich versuchte es, indem ich den Stamm umklammerte. Zum Glück war unten der weiche Sand, in dem ich mich jedes Mal wiederfand. Kokosnuss würde ich mir von meinem Menü streichen können! Später am Vormittag kam ein Dutzend Studenten mit ihrem Professor, der nicht viel älter schien als ich, den Strand entlang. Sie sammelten Krustentiere für ein meeresbiologisches Projekt. Während die Studenten unter Steinen, am Schwemmholz und im Sand suchten, unterhielt sich der Lehrer mit mir. Mittags ging der ganze Trupp mit gefüllten Gefäßen zurück. Am Nachmittag näherte sich ein größeres Holzruderboot mit zwei Fischern darin. Das Heck war gespreizt und lief in zwei hölzerne Hörner aus, wozwischen eine runde Stange befestigt war. Diente diese dazu, das Netz auszustecken und wieder einzuholen? Sie zogen das Boot nicht weit von meinem Lager auf den Sand. Mit Äxten ausgerüstet gingen sie in den Wald. Dumpf hallten kurz darauf Axtschläge zu mir herüber. Nach einer Weile bewegte es sich in den Kronen, und zwei Bäume krachten durch das Unterholz auf den Boden. Bald zogen sie die entasteten Bäume zum Strand. Hier spitzten sie ein Ende zu, das andere flachten sie ab. Daraus schloss ich, dass es Pfähle für den Landungssteg am Dorf waren. Nun zogen sie die Stämme, einen für jede Seite, durchs Wasser zum Boot. Sie hatten Schlingen um die Stämme gelegt, die verhinderten, dass diese im Wasser versanken. Das Holz war schwerer als Wasser. Dann schoben sie das Boot ins tiefere Wasser und, während einer sich ins Heck setzte, ruderte der Andere stehend, den Blick nach vorne, mit sich kreuzenden Ruderenden zurück. Am nächsten Tag sah ich, wie sie diese Pfosten seitlich am Steg mit Seilen aufrichteten und von einem provisorischen Podest aus in den sandigen Untergrund rammten.

Durch diese zwei holzholenden Fischer, und vielleicht auch die Studenten, hatte das Dorf erfahren, dass ich hier draußen wohnte. Bald schon kam eine Gruppe Kinder und beschaute mein Lager, meine Angelausrüstung, alles. Dann berieten sie kurz und machten sie sich daran, mir einen Vorrat an trockenem Schwemmholz zu sammeln. Sie wussten, wo das lag. Ich musste für sie exotisch erscheinen. Sie sprachen kaum Englisch. Jedesmal, wenn sie etwas nicht verstanden, lachten sie und wiederholten so gut sie konnten, das, was ich gesagt hatte. Da war es an mir, zu lachen, denn das klang nun unverständlich für mich. Lachen ist jedenfalls die beste Verständigung. Ich lief auf eine Kokospalme und kletterte so hoch ich konnte. Bis ich im Sand lag. Sie wälzten sich vor Heiterkeit am Boden. Die kleineren machten es mir nach und landeten ebenfalls im Sand. Ein größerer, so 10 Jahre alt, zeigte erst auf sich, dann hoch zu den Kokosnüssen, dann auf mich. Ich bejahte. Und schon kletterte er los. Solange der Stamm noch geneigt war, nutzte er die Stammschuppen wie eine Treppe. Dann, als der Stamm fast senkrecht war, umfasste er diesen bäuchlings mit beiden Armen, setzte seitlich die Füße an den Stamm, ganz hoch, fast neben seiner Hüfte, wie ein Frosch vor dem Sprung. Nun streckte er die Beine, glitt mit den Armen entlang des Stammes etwas höher, hielt sich dann damit fest. Nun zog er die gestreckten Beine wieder an. Dann dasselbe nochmal und nochmal, und nach einem dutzend Mal Strecken und Anziehen war er oben. Er rüttelte an den in Reichweite dicht unter den Blättern hängenden Nüssen, bis zwei nach unten fielen. Er schlug sich wie wild auf den Kopf und auf den Körper und rief etwas, was alle zum Lachen brachte. Dann kam er schnellstens heruntergerutscht, sprang in den Sand, rannte ins Wasser, taucht unter und kam dann lachend zurück. Aus seinen nassen Haaren entfernte er einige große Ameisen, die oben in der Palme ein Nest angelegt hatten.