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Zwei Schicksalswege

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Zwei Schicksalswege (EPUB)
Zwei Schicksalswege (EPUB)
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Fünfzehntes Kapitel
Das Hindernis überwindet mich

Wie lange habe ich im Wagen vor Frau van Brandts Wohnung gewartet? Meinem Gefühl nach war es ein halbes Menschenalter, meiner Uhr nach nur eine halbe Stunde.

Ehe meine Mutter die Lippen öffnete, war meine Hoffnung auf einen glücklichen Erfolg ihres Zwiegesprächs mit Frau van Brandt erloschen, denn ich sah ihr bei ihrer Umkehr auf den ersten Blick an, dass das Hindernis, das zwischen mir und dem heißesten Wunsche meines Lebens stand, für meine Kraft unüberwindlich war.

»Sage mir das Schlimmste und sage es gleich,« sagte ich, als wir von dem Hause abfuhren.

»Sie bat mich selbst, dass ich es Dir in derselben Weise sagen möchte, George,« sagte meine Mutter traurig, »wie sie es mir gesagt hat. »Wir müssen ihn enttäuschen,« sagte sie, »aber nicht wahr, wir wollen es so sanft als möglich tun.« Nach dieser Einleitung erzählte sie mir die schmerzliche Geschichte, die Du schon kennst – die Geschichte ihrer Verheiratung und ging dann auf Euer Zusammentreffen in Edinburgh und die Umstände über, die sie veranlassen ihr jetziges Leben zu führen. Diesen letzten Teil ihrer Geschichte bat sie mich Dir besonders zu wiederholen, fühlst Du Dich augenblicklich fähig mich anzuhören oder willst Du warten?«

»Lass es mich gleich hören, Mutter, und bediene Dich so viel als möglich ihrer eigenen Worte.«

»Ich will Dir Alles, was sie mir sagte, so getreu als möglich wiederholen, lieber Sohn. Nachdem sie von ihres Vaters Tode gesprochen hatte, sagte sie, dass sie nur noch zwei Verwandte besaß: »Ich habe eine verheiratete Tante in Glasgow und eine verheiratete Tante in London,« das waren ihre Worte. »Als ich Edinburg verließ, ging ich zu der Tante nach London, die leider mit meinem Vater nicht in freundschaftlichen Beziehungen gestanden hatte, da sie sich von meinem Vater zurückgesetzt glaubte. Sein Tod hatte sie gegen ihn, wie gegen mich milder gemacht, so dass sie mich freundlich empfing und mir eine Stelle in einem Laden verschaffte, die ich drei Monate lang behielt, dann aber aufgeben musste.«

Meine Mutter schwieg. Mir fiel gleich die seltsame Nachschrift ein, die ich auf Frau van Brandts Wunsch jenem Empehlungsbrief hinzufügen musste, den ich in dem Gasthause in Edinburgh für sie schrieb. Damals wollte sie auch nur für drei Monate eine Versorgung.

»Weshalb musste sie ihre Stellung verlassen?« fragte ich.

»Dieselbe Frage legte ich ihr vor,« erwiderte meine Mutter, »sie hat sie mir aber nicht beantwortet, sondern wechselte die Farbe und sah verlegen aus. »Das will ich Ihnen nachher sagen, Madame,« sagte sie, »lassen Sie mich jetzt erst fortfahren. Meine Tante zürnte mir, dass ich die Stellung aufgegeben hatte und zürnte noch mehr, als sie meinen Grund dafür hörte, weil sie meinte, dass ich die Pflicht gehabt hätte, gleich ganz aufrichtig gegen sie zu sein. Wir schieden kalt von einander. Zum Glück hatte ich etwas Geld von meinem Gehalt erspart und so lange das reichte, ging es mir ganz gut, als es aber aufgezehrt war und ich mich nach einer neuen Stellung umsah, gelang es mir nicht, eine zu finden. Meine Tante versicherte mich, und sie sprach die Wahrheit, dass meines Onkels Einkommen grade nur ausreicht, um seine Familie zu erhalten, dass sie also nichts für mich tun könne und ich selbst war unfähig für mich zu sorgen. Den Brief, den ich an meine Tante nach Glasgow schrieb, ließ diese unbeantwortet. Ich stand dem Hungertode gegenüber, als ich eines Tages in einer Zeitung einen Aufruf fand, den Herr van Brandt an mich richtete. Er beschwor mich, ihm zu schreiben, da sein Leben ohne mich zu öde und leer wäre und gelobte mir feierlich, dass nichts wieder meine Ruhe stören sollte, wenn ich zu ihm zurückkehrte. Hätte ich nur an mich zu denken brauchen, so hätte ich lieber mein Brot auf den Straßen erbettelt, als dass ich zu ihm zurückgekehrt wäre —«

Hier unterbrach ich die Erzählung, indem ich sagte:

»Aber für wen sonst musste sie Rücksicht nehmen?«

»Ahnst Du in der Tat nicht, George, worauf sie hindeutete, als sie diese Worte sprach?« erwiderte meine Mutter.

Ich beachtete diese Frage nicht, denn meine Gedanken weilten mit großer Bitterkeit bei van Brandt und seinem Aufruf. »Natürlich beantwortete sie also den Aufruf?« fragte ich.

»Sie sah Herrn van Brandt wieder,« fuhr meine Mutter fort, »beschrieb mir aber das Begegnen mit ihm nicht näher. »Er rief mir ins Gedächtnis,« sagte sie, »dass die Frau, die ihn zu jener Heirat verleitet hatte, unheilbar dem Trunke ergeben war und er also unmöglich je wieder mit ihr zusammen leben konnte. Aber sie lebte noch und hatte das Recht sich seine Frau zu nennen. Ich will mich nicht entschuldigen, dass ich unter diesen Umständen zu ihm zurückkehrte, aber ich wusste in meiner damaligen Lage keinen andern Ausweg und will Sie nicht unnütz durch meine Schilderung dessen, was ich damals litt und noch leide, aufregen. Ich bin verloren. Machen Sie sich keine Sorge um ihres Sohnes willen, Madame, bis an mein Lebensende werde ich stolz darauf sein, dass er mir die Ehre und das Glück antrug, sein Weib zu werden – aber ich werde auch nie vergessen, was ich ihm und was ich Ihnen schuldig bin. Ich werde Ihren Sohn nicht wiedersehn, aber Eines bleibt mir noch zu tun: ich muss ihn überzeugen, dass unsere Heirat unmöglich ist. Sie sind Mutter und werden begreifen, weshalb ich lieber Ihnen als Ihrem Sohne enthülle, welches Hindernis unsere Verbindung unmöglich macht.« Sie erhob sich bei diesen Worten und öffnete die Flügeltüren, die von dem Empfangszimmer in ein Hinterzimmer führten. Nach wenigen Augenblicken kehrte sie zurück.«

Auf dem Gipfel ihrer Erzählung angelangt, hielt meine Mutter inne. Fürchtete sie sich, weiter zu sprechen oder hielt sie es für überflüssig mehr zu sagen?

»Nun,« sagte ich.

»Muss ich es Dir wirklich sagen, George? Errätst Du selbst jetzt nicht, wie es endete?«

Ich hatte aus doppelten Gründen wirklich nichts erraten, einmal, weil ich als Mann eine schwerfällige Auffassungsgabe hatte und andrerseits, weil ich halb wahnsinnig vor Erwartung war. So unglaublich es klingen mag, ich war zu benommen, um selbst jetzt die Wahrheit zu begreifen.

»Als sie zu mir zurückkam,« fuhr meine Mutter fort, »war sie nicht allein, mit ihr kam ein liebliches, kleines Mädchen, das eben erst an der Hand der Mutter zu gehn versuchte. Sie küsste das Kind zärtlich und setzte es auf meinen Schoß. »Hier sehn Sie den einzigen Trost meines Lebens,« sagte sie einfach, »aber zugleich auch das Hindernis, weshalb ich nie Mr. Germaines Weib werden kann.«

Van Brandts Kind! Van Brandts Kind!

Mit einem Male war Alles erklärt, Alles entschuldigt – deshalb die Nachschrift, die ich dem Briefe zufügen musste und der unbegreifliche Rücktritt aus der Stellung, die ihr doch zuzusagen schien, deshalb die entsetzlichen Schwierigkeiten, die sie an den Rand des Hungertodes führten und endlich deshalb die Rückkehr zu dem Manne, der sie grausam hintergangen hatte! Wie konnte sie eine neue Stellung annehmen, da sie ein Kind an der Brust hatte? Was konnte die freundlose Frau dem Hungertode gegenüber Anderes tun, als zu dem Vater ihres Kindes zurückzukehren? Im Vergleich zu ihm, welch ein Anrecht hatte ich an sie? Wenn das arme Geschöpf meine Liebe auch im Geheimen erwiderte, was galt die jetzt? Ihr Kind stand zwischen uns, das war es was sie an ihn fesselte, da sie einmal zurückgekehrt war! Welch Anrecht hatte ich auf sie? Die Sitte und das Gesetz beantworten diese Frage gleich sicher mit: – keines!

Ich ließ den Kopf sinken und empfing schweigend den furchtbaren Schlag.

Meine gute Mutter reichte mir die Hand und sagte traurig: »Nun verstehst Du Alles, George, nicht wahr?«

»Ja, Mutter, Alles, Alles!«

»Eines habe ich noch unerwähnt gelassen, mein lieber Sohn, was ich Dir auf ihren Wunsch sagen sollte. Sie beschwört Dich nicht zu glauben, dass sie die geringste Kenntnis von ihrer Lage hatte, als sie sich das Leben nehmen wollte. Durch ein Gespräch mit ihrer Tante in Edinburgh, kam sie zuerst auf die Vermutung, dass sie vielleicht Mutter werden sollte. Man muss mit dieser unglücklichen Frau Mitleid haben, George, denn so bedauernswürdig ihre Lage auch ist, trägt sie durchaus keine Schuld daran. Sie war das unschuldige Opfer eines niedrigen Verrats, als dieser Mann sie heiratete, seitdem hat sie unverdienterweise gelitten und gegen uns hat sie sehr edel gehandelt. Ich muss ihr alle Gerechtigkeit widerfahren lassen, und erkennen, dass man unter Tausenden nicht eine solche Frau findet und dass sie unter glücklichen Umständen wert wäre, meine Tochter und Dein Weib zu sein. Glaube mir, mein lieber Sohn, dass ich aus tiefstem Herzen für Dich und mit Dir fühle.«

So war allem Anscheine nach der Vorhang vor diesem Teil meines Lebens gefallen. Wie die Liebe meiner Knabenzeit geendet hatte, so auch begrub ich nun die Liebe reiferer Jahre.

Als ich im Laufe des Tages meine Selbstbeherrschung einigermaßen wiedererlangt hatte, schrieb ich Herrn van Brandt, wie sie vorausgesehen hatte, dass es geschehen würde, und bedauerte seiner Einladung für morgen nicht folgen zu können.

Durfte ich mein letztes Lebewohl an die Frau, die ich geliebt und verloren hatte, auch einem Briefe anvertrauen? Nein! Es war für uns Beide besser, wenn ich nicht schrieb und doch konnte ich den Gedanken, sie schweigend aufzugeben, unmöglich ertragen. In den letzten Worten mit denen sie sich von meiner Mutter verabschiedete, sprach sie, wie mir diese sagte, noch die Hoffnung aus, dass ich sie nicht hart beurteilen würde. Auf welche Weise konnte ich sie nun versichern, dass ich bis an mein Lebensende in Liebe ihrer gedenken würde? Der feine Takt und die aufrichtige Teilnahme meiner Mutter halfen mir den Ausweg finden.

»Schicke dem Kinde, dem armen, kleinen Kinde, gegen das Du doch sicher keinen Groll hegst, ein unbedeutendes Geschenk, George,« sagte sie. Gott weiß es, dass ich dem Kinde nicht grollte! Ich ging selbst aus, um ein Spielzeug für sie zu kaufen, brachte es gleich mit nach Hause und befestigte, ehe ich es abschickte, ein Zettelchen daran, worauf ich folgende Worte schrieb: »Ihrem Töchterchen von George Germaine«. Entschieden liegt nichts besonders Rührendes in diesen Worten und doch brach ich in Tränen aus, als ich sie niedergeschrieben hatte.

 

Am nächsten Morgen reisten meine Mutter und ich nach unserem Landsitz in Pertshire ab, denn London war mir nun unerträglich geworden. Das Ausland hatte ich schon als Heilmittel versucht, mir blieb also nichts übrig als in die Hochlande zurückzukehren und zu sehen, wie sich das Leben ertrug, wenn ich es ganz meiner Mutter widmete.

Sechzehntes Kapitel.
Das Tagebuch meiner Mutter

In meiner Hochlands-Heimat folgten sich die Tage trübe und einförmig, denn wir lebten in tiefster Zurückgezogenheit und noch heute, nach Verlauf von Jahren, denke ich ungern daran zurück, die Erinnerung an Zeiten voller Tätigkeit, so gering diese auch sein mochte, ist, da sie mich mit meinen Mitmenschen zusammenführte und mich in Beziehung zu der lebhaften Strömung des Welttreibens brachte, mir dagegen immer lieb gewesen. Das kleinliche Zerlegen der eigenen Gefühle woran viele Menschen im Unglück ein selbstgefälliges Vergnügen zu finden scheinen, ist mir von jeher unbegreiflich gewesen. Darum will ich die Schilderung unseres einförmigen Lebens in Pertshire, so weit es mich betrifft, lieber in den Worten meiner Mutter folgen lassen. Einige Zeilen aus dem Tagebuche, das sie zu führen gewohnt war, werden alles nötige mitteilen, bis diese Erzählung einen vorgerückteren Zeitpunkt und neuere Ereignisse erreicht hat.

Den 20. August. – Trotzdem wir seit zwei Monaten in Schottland sind, finde ich George durchaus nicht vorteilhaft verändert. Er hat sich mit der Trennung von dieser unglücklichen Frau noch keineswegs ausgesöhnt, obgleich er mir das nie zugestehen will. Er erklärt, dass das Stilleben hier mit mir ganz seinen Wünschen entspricht. Ich weiß es aber besser, denn ich war in der vergangenen Nacht in seinem Schlafzimmer und hörte ihn im Schlaf von ihr sprechen und sah die Tränen an seinen Augenlidern! Der arme Junge! Wie viel tausende reizender Frauen würden sich glücklich schätzen sein Weib zu werden, und die Einzige, die ihm nie gehören kann, ist grade die Einzige, die er liebt!

Den 25. – Ich hatte eine lange Unterredung mit Mr. Mac Glue über Georges Zustand. Seit er meinen Sohn ermutigte jener Aufforderung nach St. Antonios Brunnen zu folgen, habe ich diesen schottischen Arzt nicht mehr leiden mögen, aber immerhin scheint er ein tüchtiger Mann in seinem Beruf zu sein und, wie ich glaube, meint er es in seiner Weise gut mit George. Er erteilte seinen Rat in derselben rauhen und entschiedenen Weise wie immer.

«Ihrem Sohn, Madame, wird nichts von seiner verliebten Leidenschaft für die halbertrunkene Dame seines Herzens heilen, als Abwechselung und – eine andre Herzensdame. Lassen Sie ihn dieses Mal allein reisen, damit er sich bewusst wird, wie schmerzlich er die Nähe eines mitfühlenden Wesens vermisst und wenn er ein solches gefunden hat, es gibt deren so viele, wie Fische in der See, dann beunruhigen sie sich nicht, wenn sie auch nicht ganz ohne Fehler ist. Ich besitze eine gesprungene Teetasse und benutze sie seit zwanzig Jahren. Verheiraten Sie ihn der Neuen, Madame, so schleunig und ohne Überlegung, wie das Gesetz es irgend gestattet.« Mir ist Mr. Mac Glues rohe, hartherzige Ansicht verhasst, aber leider fürchte ich, dass ich mich für eine kurze Zeit von meinem Sohne, um seiner selbst willen trennen muss.

Den 26. – Wohin soll ich George schicken? Ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht und kann nicht zum Entschluss kommen. Es wird mir gar so schwer ihn fortzulassen.

Den 29. – Ich habe immer an besondere Fügungen geglaubt und bin nun in meinem Glauben noch befestigt. Der heutige Morgen brachte uns einen Brief von unserem guten Freunde und Nachbar Belhelyin. Sir James gehört zu der Kommission für die Leuchttürme des Nordens und bereist in einem Regierungsschiffe den Norden von Schottland, die Orkney- und die Shetlandsinseln, um dort die Leuchttürme zu besichtigen. Da es ihm aufgefallen ist, wie bleich und elend mein armer Sohn aussieht, ladet er George ein auf dieser Reise sein Gast zu sein. Ihre Abwesenheit wird nur zwei Monate dauern. Sir James erinnert mich daran, welche Wunder die Seeluft an Georges Gesundheit bewirkt hat, als er von Indien zurückkehrte. Um zu sehen, was Luftwechsel und veränderte Umgebung wirken können, konnte ich mir keine bessere Gelegenheit wünschen. So schwer mir die Trennung auch wird, will ich doch ein heiteres Gesicht dazu machen und George dringend zureden, die Einladung anzunehmen.

Den 30. – Ich habe alles Mögliche getan und gesagt, aber er besteht darauf mich nicht zu verlassen und ich erbärmliche selbstsüchtige Person war so erfreut, als er Nein sagte.

Den 31. – Wieder eine durchwachte Nacht. Heute muss George entschieden Sir James Vorschlag beantworten. Ich bin entschlossen meine Pflicht gegen meinen Sohn zu tun. Er sieht heute so entsetzlich elend und krank aus und wer steht mir dafür, dass er nicht wieder zu Frau van Brandt zurückkehrt, wenn nicht etwas für seine Zerstreuung geschieht?

Ich sehe ein, dass ich tausend Gründe habe in ihn zu dringen, dass er die Einladung von Sir James annimmt. Wenn ich fest bleibe, wird es mir auch gelingen, der arme Bursche hat mir ja immer gehorcht – warum sollte er es in diesem Falle nicht tun.

Den 2. September. – Er ist abgereist! Und zwar nur mir zuliebe, ganz gegen seinen Willen. Wie traurig, dass solch ein guter Sohn nicht auch eine gute Frau finden kann, er würde ja jede Frau glücklich machen. Habe ich wohl recht getan ihn fortzuschicken? Der Wind heult in dem Fichtenwäldchen hinter dem Hause so stark! Ob es auf der See auch stürmen mag? Ich vergaß Sir James zu fragen, wie groß das Schiff ist. Der Führer durch Schottland schildert die Küste als unsicher und die See zwischen der Nordküste und den Orkneyinseln als wild. Fast bereue ich schon, dass ich so sehr auf die Reise drang – wie töricht bin ich doch! Wir sind ja Alle in Gottes Hand, möge er meinen guten Sohn segnen und behüten!

Den 10. – Ich bin sehr unruhig, da ich noch keinen Brief von George habe. Ach, wie sorgenvoll ist doch das Leben und doch hängen wir so fest daran!

Den 15. – Ein Brief von George! Die Nordküste liegt bereits hinter ihnen, sie haben glücklich die wilde See durchkreuzt und sind bereits auf den Orkneyinseln angelangt. Das schönste Wetter hat sie begünstigt und George fühlt sich kräftiger und besser an Leib und Seele! Ja, wenn wir nur geduldig ausharren, bringt dieses Leben doch immer wieder Zeiten voll Glück und Freude.

Den 2. Oktober. – Wieder ein Brief. Sie sind glücklich in dem bedeutendsten Hafen der Shetlandsinseln, in Lerwick angekommen, obgleich das Wetter in der letzten Zeit nicht günstig war. Die Besserung in Georges Zustand dauert glücklicherweise fort und er schreibt sehr dankerfüllt über die unablässige Güte von Sir James gegen ihn. Ich bin so glücklich, dass ich Sir James küssen möchte, wenn er auch hundert Mal ein berühmter Mann und ein Mitglied der Kommission für die Leuchttürme des Nordens ist! Wenn Wind und Wetter günstig sind, hoffen sie in drei Wochen zurück zu sein, dann will ich keinen Augenblick über das einsame Leben klagen, das ich jetzt führe, wenn ich nur George gesund und glücklich wiedersehe. Er schreibt mir, dass sie einen großen Teil ihrer Zeit auf dem Lande zugebracht haben, erwähnt aber kein Wort von Damenbekanntschaften; vielleicht gibt es dort kaum welche in diesen Wildnissen. Von Shetlands Wäldern und von shetländischen Ponys hörte ich oft sprechen, ob es wirklich auch shetländische Damen geben mag?

Siebzehntes Kapitel
Shetlands Gastfreundschaft

»Führer, wo sind wir?«

»Ich kann es nicht genau sagen.«

»Haben Sie den Weg verloren?«

Als Antwort auf meine Frage sieht sich der Führer langsam ringsum, dann sieht er mich an und das genügt mir.

»Wir waren unserer drei die sich verirrt hatten, mein Reisegefährte, ich und der Führer. Wir ritten auf drei Shetland Ponys die so sehr klein waren, dass wir beiden Fremden uns zuerst scheuten sie zu besteigen. Es umgab uns ein feuchter, weißer Nebel, der so dicht war, dass wir einander ein halbes Dutzend Ellen weit, nicht sehen konnten und wir wissen nichts weiter, als dass wir uns auf dem Festlande der Shetlandsinseln befinden. Unter den Füßen unserer Ponys sehn wir nur eine Mischung von Moorland und Sumpf und daneben die kleine, feste Stelle auf der wir stehn, einige Schritt weiter liegt ein Streifen wässerigen Torfmoors, der tief genug ist, um uns in die Gefahr des Versinkens zu bringen, wenn wir hinein geraten. Das war Alles was wir ergründen konnten und die Hauptfrage ist nun: was sollen wir tun?

Der Führer hatte uns ehe wir fortritten vor dem Wetter gewarnt, daran erinnert er uns nun, während er sich die Pfeife anzündet. Mein Reisegefährte sieht mich gelassen, aber mit einem Ausdruck milden Vorwurfs an und den verdiene ich. Die unangenehme Lage in der wir uns augenblicklich befinden, habe ich durch meine Vorschnelligkeit veranlasst.

In den Briefen an meine Mutter habe ich absichtlich immer nur Günstiges über meine Gesundheit und meinen Gemütszustand berichtet, aber ich gestand ihr nicht, dass ich unablässig des Tages gedenke, an dem ich von meiner schönsten Hoffnung schied und auf die einzige Liebe verzichtete, die mir das Leben teuer machen konnte. Durch die Aufregungen, die meine neue Lebensweise mit sich brachte, war eine beständige Ruhelosigkeit über mich gekommen, der natürlich der starre Gemütszustand gewichen war, in dem ich mich zu Hause befand. Ich muss mich jetzt immer beschäftigen, gleichviel womit, wenn ich nur meinen eigenen Gedanken damit entweiche. Untätigkeit ist mir unerträglich, die Einsamkeit entsetzlich. Während die andern Mitglieder der Gesellschaft, die Sir James auf seiner Besichtigungsreise zu den Leuchttürmen begleiten, geduldig im Hafen von Lerwick auf eine günstige Änderung des Wetters warten, bestehe ich eigenwillig darauf, den behaglichen Aufenthalt auf dem Schiffe zu verlassen, um irgend wo auf der Insel eine vorzeitliche Ruine zu entdecken, von der ich nie hörte und die gar kein Interesse für mich hat. Bewegung ist Alles, was ich suche. Der Ritt soll die verhasste Zeit des Wartens ausfüllen, so mache ich mich allem verständigen Rate zum Trotz auf den Weg. Aus jugendlichem Übermut lässt das jüngste Mitglied unserer Reisegesellschaft sich von meinem Leichtsinn anstecken und begleitet mich und was haben wir nun erreicht? Wir sind vom Nebel verschleiert, im Morast verirrt ringsum hält uns der verräterische Torfmoor gefangen.

Was sollen wir tun?

»Überlassen Sie sich ganz den Ponys,« sagt der Führer.

»Glauben Sie, dass die Ponys den Weg finden werden?«

,Das glaube ich,« sagt der Führer. »Lassen Sie den Zügel los und vertrauen Sie sich den Tieren an. Sie müssen nun für sich selbst handeln, ich reite auf meinem Pony davon.«

Er legt seinen Zügel auf den Sattelknopf, pfeift und verschwindet im Nebel; die Hände in den Taschen, die Pfeife im Munde, reitet er so behaglich von dannen, als ob er zu Hause an seinem Kamin säße. Uns bleibt nichts übrig, als seinem Beispiel zu folgen oder hier allein in dem Moor zu bleiben. So wie sie von unserer ungeschickten Leitung befreit sind, schreiten die klugen kleinen Tiere, wie Hunde, die Nase nach unten dem Geruche folgend tapfer vorwärts. Wo der zwischenliegende Torfmoor breit ist, umgehen sie ihn, ist er schmal genug, um hinüber zu kommen, so überschreiten sie ihn mit einem Sprunge. Tapp! Tapp! marschieren die tapfern kleinen Geschöpfe vorwärts, ohne anzuhalten, ohne zu zögern. In diesem Falle war unser »überlegener Verstand« ganz nutzlos und verwunderte sich nur, wie der Ritt enden würde. Unser Führer, der vor uns war, beteuerte uns, dass die Ponys uns sicher zu einem der nächsten Dörfer oder Häuser bringen würden. »Lassen Sie nur den Zügel los,« warnt er uns immer wieder, »komme, was da wolle, lassen Sie nur den Zügel los.«

Für den Führer ist es leicht den Zügel los zu lassen, da er seines Ponys Leistungen genau kennt und gewohnt ist, unter schwierigen Umständen in dieser hilflosen Lage auszuhalten.

Uns ist diese Lage aber neu und erscheint uns äußerst gefährlich. Mehr als einmal musste ich mich selbst mit Gewalt davon zurückhalten, dass ich nicht an gefährlichen Stellen des Weges die Leitung des Ponys wieder übernahm. Die Zeit vergeht und kein Zeichen einer menschlichen Wohnung wird durch den Nebel sichtbar. Ich fange an erregt und ungeduldig zu werden, da mir nachgerade die Zuverlässigkeit des Führers zweifelhaft wird. Während ich mich in dieser unbehaglichen Gemütsverfassung befinde, nähert sich mein Pony einer düstern, schwarzen, gewundenen Linie, wo der Torfmoor wenigstens zum hundertsten Male übersprungen werden muss. Wahrscheinlich durch den Nebel getäuscht, erscheint meinem Auge die Breite des Moors so bedeutend, dass kein Pony der Welt darüber wegspringen konnte und hierüber verliere ich die Geistesgegenwart. Im Augenblick des Sprunges ergreife ich eiligst den Zügel des Ponys und halte ihn törichterweise zurück; er stutzt, wirft den Kopf hoch und stürzt nieder, als wäre er erschossen. Als wir zusammen zu Boden fallen, verwickelt sich meine rechte Hand unter mir und ich fühle, dass ich mir das Gelenk verrenkt habe.

 

Ich hätte mich glücklich schätzen können, wenn ich nur mit dieser geringen Verletzung davon gekommen wäre, aber das war keineswegs der Fall. Ehe es mir gelingt mich unter dem Pony hervor zu arbeiten, tritt dieser mich, bei seinen Anstrengungen aufzustehen und trifft unglücklicherweise mit seinem Hufe grade die Stelle, an der der vergiftete Speer damals während meiner Dienstzeit in Indien, eingedrungen war. Die alte Wunde wird wieder aufgerissen und ich liege blutend auf dem öden Moorland der Shetlandsinseln. Dieses Mal behalte ich die Besinnung, weil meine Kraft nicht wie damals erschöpft worden ist, wo ich mit einer ertrinkenden Frau im Arm der Strömung eines sanftfließenden Flusses entgegen arbeiten musste und so bin ich im Stande alle Anordnungen zu machen, damit meine Wunde, so gut als es eben die Umstände erlauben, verbunden wird. Meinen Pony konnte ich natürlich nicht wieder besteigen, sondern musste liegen bleiben, wo ich war und meinen Reisegefährten zur Pflege bei mir behalten, während der Führer dem Instinkte seines Ponys vertrauend, den nächsten Ort aufsuchte, wo für mich ein Obdach zu finden war.

Auf meinen Wunsch unterrichtet sich unser Führer, bevor er uns verlässt, so genau wie möglich, mit Hilfe meines Taschenkompasses von dem Orte, wo wir uns befinden und verschwindet dann im Nebel, den Zügel lose hängen lassend und der Pony mit der Nase am Boden, wie zuvor. Unter meines jungen Freundes Obhut bleibe ich zurück, auf einen Mantel gebettet und meinen Sattel als Kopfkissen. Was sie irgend in der Nähe an Gras auffinden konnten, verzehrten unsere Ponys inzwischen ganz gemütlich, blieben dabei aber immer möglichst in unserer Gesellschaft, als wären sie ein Paar Hunde. In dieser Lage erwarten wir nun die kommenden Ereignisse, während der tropfende Nebel immer dichter um uns er wird.

In der majestätischen Ruhe des Moores folgen die Minuten einander langsam und träge, das empfinden wir beide ohne uns zu gestehn, dass wir wohl noch viele Stunden warten mussten, ehe der Führer uns wieder auffindet. Das durchdringende Nass erfasst mich immer mehr mit seiner eisigen Gewalt und in meines Gefährten Reiseflasche ist kaum noch ein Teelöffel voll Sherry enthalten. Wir sehen einander an, weil wir bei diesem Wetter keine bessere Aussicht finden konnten und wir versuchen unser Schicksal mit Würde zu ertragen. So schleichen die trägen Minuten immer weiter, bis unsere Uhren uns überzeugen, dass deren vierzig vergangen sind seit der Führer unseren Blicken auf seinem Pony entschwand.

Mein Freund schlug vor, dass wir die Wirkung unserer Stimmen versuchen wollten, um irgend einem lebenden Wesen, das ein wunderbarer Zufall hierher geführt hatte, unsere Lage kund zu tun. Da mir die Kraft zu irgend welchen Leistungen mit meiner Stimme fehlte, überlasse ich ihm den Versuch und er schreit denn auch in der höchstmöglicher Tonlage in die Weite hinaus. Alles bleibt nach dem ersten Rufe still, er ruft wieder und dieses Mal dringt ein schwaches »Glück auf« beantwortend durch den weißen Nebel zu uns. So ist uns denn irgend ein menschliches Wesen, sei er ein Fremder oder der Führer, nah und es wird endlich Hilfe kommen.

Es entsteht eine Pause, dann vernehmen wir die Stimmen von zwei Männern, deren dunkle Erscheinungen wir auch allmälig durch den Nebel entdecken. Bald darauf ist uns der Führer so nah, dass wir ihn erkennen können und ihm folgt, in gemischter Tracht ein starker Bursche, der den zwiefachen Eindruck eines Reitknechts und Gärtners macht. Der Führer äußert einige Worte der Teilnahme, der gemischte Mann hüllt sich in undurchdringliches Schweigen – der Anblick eines verwundeten Fremden, macht weder den Eindruck des Erstaunens noch der Teilnahme auf den Reitknecht-Gärtner.

Die beiden Männer beschließen nach einer geheimen Beratung, zwischen sich auf ihren gekreuzten Händen einen Sitz für mich herzustellen. Ich fasse sie um die Schulter und so tragen sie mich fort. Mein Freund wandert mit Sattel und Mantel hinterher. Im unverkürzten Genuss ihrer Freiheit laufen und springen die Ponys um uns her. Ganz wie es ihre augenblickliche Laune erheischt, sind sie bald vor, bald hinter uns. Ich bin zum Glück für meine Träger, nur eine leichte Bürde. Nach zweimaligem Ausruhen machen sie endlich einen Halt und setzen mich an der trockensten Stelle, die sie finden können, nieder. Ich bin eifrig bemüht irgendwo ein Wohnhaus durch den Nebel zu entdecken, aber ich sehe nichts als eine kleine, herabhängende Birke und ein dunkles Wasser darunter. Wo sind wir?

Der Reitknecht-Gärtner verschwindet und erscheint dann auf dem Wasser wieder, wo er ein Boot heranrudert, auf dessen Boden ich mit meinem Sattelkopfkissen niedergelegt werde und so schwimmen wir davon, die Ponys der einsamen Freiheit des Moorlandes überlassend. Der Führer meint, dass sie genug Futter finden werden und, wenn die Nacht kommt, werden sie schon den Weg zu einer Herberge im nahen Dorfe auffinden. Als ich einen letzten Blick auf die kühnen, kleinen Geschöpfe warf, standen sie saufend nebeneinander am Wasser, spielten miteinander und bissen sich und waren ausgelassener denn je!

Auf dem dunklen Wasser, das nicht ein Fluss war, wie ich glaubte, sondern ein See, treiben wir langsam dahin, bis wir die Ufer einer kleinen Insel erreichen. Es war ein einsames, flaches Stück öden Landes. Ich werde auf einem unebenen, aus flachen Steinen hergestellten Fußsteg vorwärts gebracht, bis wir endlich feste Erde und eine menschliche Wohnung erblicken. Es ist ein langes, einstöckiges Haus, das, so viel ich sehen kann, drei Seiten eines Vierecks einnimmt, die Tür ist gastfrei geöffnet, der Flur darin ist öde, kalt und düster. Die Männer öffnen eine innere Tür, und wir befinden uns in einem langen, durch ein Torffeuer behaglich erwärmten Gange. An einer Wand bemerke ich geschlossene, eichene Zimmertüren, an der andern erblicken meine Augen, Reihe an Reihe, wohlgefüllte Bücherschränke. Am Ende des ersten Ganges angelangt, biegen wir im rechten Winkel in einen zweiten, von wo aus endlich eine Tür geöffnet wird und ich befinde mich in einem großen, vollständig und geschmackvoll möblierten Zimmer mit zwei Betten, vor einem hellen Kaminfeuer. Die Einkehr in dieses warme, freundliche Obdach erfüllte mich, nach der schaurigen, feuchten Einsamkeit des Moores, mit so schwelgerischem Entzücken, dass ich mich in den ersten Augenblicken vollkommen befriedigt fühle, als ich mich im Vollgenusse meiner behaglichen, neuen Lage auf meinem Bett ausstrecken kann. Ich vergesse ganz zu fragen in wessen Haus wir eigentlich eingedrungen sind und wundre mich nicht einmal darüber, dass weder Herr, noch Frau des Hauses, noch irgend ein Familienmitglied sich zeigt, um uns bei unserer Ankunft, unter ihrem gastfreien Dach, willkommen zu heißen.

Nach einer Weile legt sich mein erstes Bedürfnis nach Ruhe, die schlummernde Neugier erwacht und ich schaue um mich.