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Zwei Schicksalswege

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Zwei Schicksalswege (EPUB)
Zwei Schicksalswege (EPUB)
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Sechsunddreißigstes Kapitel
Unter dem Fenster

Nachdem ich die Lage des Hafens durch meinen Taschenkompass festgestellt hatte, ging ich die nächste Straße, die vor mir lag, entlang. Wie ich vorwärts schritt, sahen mich die alten, verfallenen Häuser zu beiden Seiten finster an. Hinter dem Fenster waren keine Lichte, auf den Straßen keine Laternen. Ich ging eine Viertelstunde lang, tiefer und tiefer in das Innere der Stadt hinein, ohne einem lebenden Wesen zu begegnen, das Licht der Sterne war mein einziger Begleiter. Als ich endlich in eine Straße einbog, die breiter als die übrigen war, sah ich vor mir eine Gestalt, die sich bewegte, aber in dem Schatten der Häuser kaum zu unterscheiden war. Ich beschleunigte meine Schritte und wurde bald gewahr, dass ich einen Mann in Bauerntracht verfolgte. Als er meine Schritte hinter sich hörte, drehte er sich um und sah mich an und so wie er entdeckte, dass ich ein Fremder war, erhob er einen dicken Prügel, den er bei sich trug, schwang ihn drohend und rief mir, wie mir aus seinen Bewegungen hervorging, in seiner Sprache zu, dass ich stehen bleiben möge. Ein Fremder, der sich zu dieser Nachtzeit in Enkhuizen blicken ließ, wurde von diesem Bürger entschieden als ein Räuber betrachtet! Ich hatte unterwegs von dem Kapitän des Bootes gelernt, wie ich für den Fall dass ich mich allein in einer fremden Stadt befände, auf holländisch nach dem Wege fragen möchte und nun wiederholte ich meine Lektion, indem ich nach dem Wege zu dem Fischereigeschäft der Herren van Brandt fragte. Entweder verstand mich der Mann wegen meiner fremden Aussprache wirklich nicht, oder sein Argwohn hinderte ihn mir zu trauen.

Wiederum schwang er seinen Prügel und gab mir ein Zeichen zurückzubleiben. Weiter in ihn zu dringen, wäre nutzlos gewesen. Ich ging auf die andere Seite der Straße hinüber und er verschwand bald vor meinen Blicken in dem Portal eines Hauses.

Endlich erreichte ich, den Krümmungen der Straßen immer weiter folgend, die Stelle, die ich für das Ende der Stadt hielt.

Nach meiner Schätzung lag ungefähr eine halbe Meile oder mehr vor mir ein Strich Wiesenlandes, auf dem Schafe, die dort ihre Nachtruhe hielten, verstreut lagerten. Ich schritt über das Gras weiter und bemerkte hier und da, wo sich der Boden etwas erhob, vermoderte Überreste von Mauerwerk. Als ich mich mitten auf der Wiese befand, sah ich vor mir an der entgegengesetzten Seite einen luftigen Bogen oder Torweg schmal und dunkel in die Nacht hineinragen, ohne Mauern an den Seiten, ohne weit und breit irgend ein benachbartes Gebäude entdecken zu können. Das war, wie ich später erfuhr, eines der alten Stadttore. Die in Ruinen zerfallende Mauer war zerstört worden, weil man sie als ein unnützes Hindernis, das den Boden bedeckte, ansah. Auf der öden Wiese um mich her, hatten einst die Läden der reichsten Kaufleute, die Paläste der stolzesten Edelleute Nordhollands gestanden. Ich befand mich tatsächlich auf der Stelle, die einst das reichste Viertel von Enkhuizen gewesen war. Und was war nun davon übrig geblieben? Einige Hügel von zerbrochenen Mauersteinen, ein Weideland voll süßduftendem Grase und eine kleine, schlafende Schafherde.

Mich erfüllte schon der bloße Anblick der Verwüstung, ganz abgesehen von den geschichtlichen Erinnerungen mit einem Gefühl des Entsetzens Mir war, als wenn mein Gemüt in der schaurigen Stille um mich her, sein Gleichgewicht verlor. Ich fühlte unsagbare Vorahnungen von Leiden, die meiner warteten. Zum ersten Male bereute ich England verlassen zu haben, und meine Gedanken kehrten reuevoll zu den waldigen Ufern der Grünwasserfläche zurück. Wäre ich nur bei meinem Entschlusse geblieben, so ruhte ich jetzt friedlich in dem tiefen Wasser des Sees. Wofür hatte ich gelebt, Pläne entworfen, wozu war ich gereist, seit ich Dermodys Häuschen verließ? Vielleicht nur, um mich zu überzeugen, dass ich die Frau, die ich liebte, verloren hatte – in dem Augenblick, wo ich mich an demselben Orte mit ihr befand!

Als ich die äußerste Häuserreihe, die noch stehen geblieben war, wieder erreicht hatte, schaute ich mich in der Absicht um, die Straße zum Rückweg aufzusuchen, durch die ich hergekommen war. In dem Augenblick, als ich sie wiedergefunden zu haben glaubte, bemerkte ich ein zweites lebendes Wesen in dieser öden Stadt. Ein Mann stand an einem der letzten Häuser zu meiner Rechten vor der Tür und sah nach mir hin.

Ich beschloss, selbst auf die Gefahr hin, mich wieder einem rauhen Empfange auszusetzen, einen letzten Versuch zu wagen, um Frau van Brandt zu entdecken, bevor ich zu meinem Boote zurückkehrte.

Als der Fremde sah, dass ich mich ihm näherte, kam er mir auf halbem Wege entgegen. Seine Kleidung und Bewegungen zeigten deutlich, dass ich dieses Mal nicht jemand aus den niederen Gesellschaftsschichten vor mir hatte. Er beantwortete meine Fragen höflich in seiner Sprache. Als er sah, dass ich mich vergeblich bemühte seine Antworten zu verstehen, forderte er mich durch Zeichen auf ihm zu folgen.

Nachdem wir einige Augenblicke in einer mir ganz neuen Richtung weiter gegangen waren, blieben wir in einem kleinen Viereck, in dessen Mitte sich ein Stück gänzlich vernachlässigter Gartenanlagen befand, stehen. Mein Führer sagte auf holländisch, indem er auf ein niedriges Fenster in einem der Häuser wies, durch das ein düsteres Licht schimmerte:

»Hier ist das Geschäft von van Brandt, mein Herr« – verbeugte sich und – verließ mich.

Ich trat an das Fenster. Es stand offen, und ich reichte grade mit dem Kopfe heran. Das Licht aus dem Zimmer drang durch die Zwischenräume der hölzernen Fensterladen hinaus Ich zögerte meine Ankunft ganz plötzlich durch ein Ziehen an der Hausklingel anzukündigen, da mich immer noch eine Ahnung von bevorstehenden Sorgen bedrückte. Welch neues Ungemach konnte meiner warten, so wie die Tür geöffnet wurde? Ich blieb also unter dem Fenster und – lauschte.

Es verging kaum eine Minute bis ich die Stimme einer Frau im Zimmer vernahm. Der Zauber ihres Klanges war unverkennbar. Es war Frau van Brandts Stimme.

»Komm, mein Liebling!« sagte sie. »Es ist sehr spät, du hättest schon vor zwei Stunden zu Bett gehen müssen.«

Des Kindes Stimme antwortete: »Aber ich bin nicht müde, Mama.«

»Bedenke, dass Du krank gewesen bist, mein Kind. Du kannst wiederum erkranken, wenn Du abends so spät zu Bett gehst. Lege Dich nur erst hin, dann wirst Du schon einschlafen, wenn ich das Licht auslösche.«

»O bitte, lösche das Licht nicht aus," erwiderte das Kind mit großem Nachdruck. »Mein neuer Papa kommt an. Wie soll er den Weg zu uns finden, wenn Du das Licht auslöschst?«

Die Mutter antwortete scharf, als ob die Worte des Kindes sie gereizt hätten.

»Du sprichst Unsinn,« sagte sie, »und musst nun schlafen gehen. Mr. Germaine weiß nichts von uns, Mr. Germaine ist in England.«

Länger konnte ich mich nicht beherrschen. Ich rief unter dem Fenster: »Mr. Germaine ist hier!«

Siebenunddreißigstes Kapitel
Liebe und Stolz

Ein Aufschrei in dem Zimmer sagte mir, dass man mich gehört hatte. Einen Augenblick lang blieb dann Alles still, bis mich die wild und scharf gesprochenen Worte des Kindes erreichten: »Öffne die Laden Mama! Ich sagte Dir er würde kommen, ich will ihn sehen!«

Wiederum trat ein Augenblick des Zögerns ein, ehe die Mutter die Laden öffnete. Endlich tat sie es. Ich sah ihre dunkle Gestalt am Fenster, wie sie das Licht in der Hand hielt, und des Kindes Kopf ragte kaum sichtbar über dem niedrigsten Teile des Fensterrahmens hervor. Das niedliche Gesichtchen bewegte sich schnell hin und her, als ob meine Tochter, die mich selbst zum Vater gewählt hatte, vor Freude tanzte!

»Darf ich meinen Sinnen trauen?« sagte Frau van Brandt. »Sind Sie es wirklich Mr. Germaine?«

»Wie geht es Dir, mein neuer Papa?« rief das Kind. »Mache die große Tür auf und komme hinein. Ich möchte Dich umarmen.«

Zwischen dem kalten zweifelnden Tone der Mutter und der freudigen Begrüßung des Kindes, lag der Unterschied einer ganzen Welt. War ich zu plötzlich vor Frau van Brandt erschienen? Sie besaß, wie alle zartfühlenden Menschen den angeborenen Sinn der Selbstachtung, der eigentlich Stolz, nur unter einem anderen Namen ist. Hatte der bloße Gedanke ihren Stolz verwundet, dass ich sie hier einsam und betrogen wiederfand, verlassen von dem Manne, für den sie so viel geopfert und gelitten hatte, Fremden verächtlich als eine hilflose Bürde preisgegeben? Und der Mann war ein Dieb, der vor seinen Brotherren, die er betrogen, nun floh! Ich stieß die schwere, eichene Tür in der Befürchtung auf, dass dies der wahre Grund der Veränderung sein würde, die ich an ihr wahrgenommen. Meine Voraussetzungen wurden bestätigt, als sie die innere Türe aufschloss, die vom Hofe nach dem Wohnzimmer führte und mich einließ.

Als ich ihre beiden Hände ergriff und sie küsste, wendete sie schnell den Kopf ab, so dass meine Lippen nur ihre Wange berührten. Sie errötete tief; mit niedergeschlagenen Augen sprach sie mir in einigen förmlichen Worten ihr Erstaunen aus, mich hier zu sehen. Als das Kind in meine Arme floh, rief sie gereizt aus: »Belästige Mr. Germaine nicht!« Ich setzte mich und nahm die Kleine auf den Schoß. Frau van Brandt nahm in einiger Entfernung von mir Platz. »Ich glaube, ich brauche Sie nicht zu fragen, ob Sie von dem Geschehenen unterrichtet sind,« sagte sie und erblasste dabei so plötzlich, wie sie vorhin errötete, ihre Augen blieben beharrlich auf den Boden geheftet.

Ehe ich antworten konnte, kramte das Kind fröhlich seine Neuigkeiten über das Verschwinden seines Vaters aus.

»Mein anderer Papa ist davon gelaufen! Mein anderer Papa hat Geld gestohlen! Es ist Zeit, dass ich einen Neuen bekomme, nicht wahr?«

Sie schlang ihren Arm um meinen Hals. »Und nun habe ich ihn!« rief sie in den höchsten Tönen ihrer Stimme aus.

 

Die Mutter sah uns an. Für eine Weile gelang es der stolzen, gefühlvollen Frau sich zu beherrschen, aber die Qual, die sie empfand, war nicht schweigend zu erdulden. Mit einem lauten Schmerzensschrei verbarg sie ihr Gesicht in den Händen. Von dem Gefühle ihrer eigenen Erniedrigung überwältigt, schämte sie sich, selbst dem Manne, der sie liebte, ihre Tränen zu zeigen.

Ich hob das Kind von meinem Schoße. Eine zweite in dem Wohnzimmer befindliche Tür, war zufällig offen gelassen. Sie führte in ein Schlafzimmer, worin auf dem Toilettentische ein Licht brannte.

»Geh dort hinein und spiele,« sagte ich, »ich muss mit Deiner Mama sprechen!«

Das Kind schmollte, mein Vorschlag schien ihm nicht zu behagen.

»So gib mir ein Spielzeug,« sagte sie. »Meine Spielsachen mag ich nicht mehr. Lass mich sehen, was Du in Deinen Taschen hast.«

Ihre kleinen, geschäftigen Hände wühlten in meinen Rocktaschen umher. Ich ließ sie daraus nehmen, was ihr gefiel, und veranlasste sie dadurch in das hintere Zimmer zu laufen. So wie sie uns aus den Augen war, nahete ich mich der armen Mutter und setzte mich zu ihr.

»Sehen Sie die Sache so an, wie ich es tue,« sagte ich. »Jetzt wo er sie verlassen hat, sind Sie frei die Meine zu werden.«

Sie erhob schnell den Kopf.

»Nun er mich verlassen hat,« antwortete sie, »bin ich Ihrer unwürdiger denn je!«

»Warum?« fragte ich.

»Warum!« rief sie leidenschaftlich aus. »Wenn eine Frau es erleben muss, von einem Spitzbuben verlassen zu werden, hat sie dann noch nicht den tiefsten Grad der Erniedrigung erreicht?«

In ihrer augenblicklichen Gemütsverfassung war es vergeblich, mit ihr zu unterhandeln. Ich versuchte ihre Aufmerksamkeit auf einen weniger peinlichen Gegenstand zu leiten, indem ich ihr die Folge wunderbarer Ereignisse berichtete, die mich nun um dritten Male zu ihr geführt hatten. Sie unterbrach mich aber gleich beim Beginn.

»Es ist überflüssig, dass wir uns jetzt wiederholen, was wir uns schon bei anderen Gelegenheiten gesagt haben,« antwortete sie. »Ich begreife, was Sie hergeführt hat. Ich bin Ihnen wiederum im Traume erschienen, wie es zwei Mal bei früheren Anlässen geschah.«

»Nein,« sagte ich. »Nicht wie es in den beiden früheren Fällen geschah. Dieses Mal sah ich sie mit dem Kinde an Ihrer Seite.«

Diese Antwort spannte ihre Aufmerksamkeit. Sie erstaunte und blickte unruhig nach der Tür des Schlafzimmers.

»Sprechen Sie nicht laut!« sagte sie. »Lassen Sie das Kind nichts davon hören! Mein Traum von Ihnen hat mir dieses Mal einen peinlichen Eindruck zurückgelassen. Das Kind ist drin verflochten und das ist mir nicht lieb. Dann ist auch der Ort an dem ich Sie im Traum sah, vermischt mit —« Sie schwieg und ließ den Satz unvollendet. »Ich bin heute Abend erregt und elend,« fuhr sie fort, »und ich möchte nicht davon sprechen. Dennoch möchte ich gern wissen, ob sie wirklich von allen Orten in der Welt, sich grade in jenem Häuschen befanden?«

Es war mir nicht möglich die Verlegenheit zu deuten mit der sie mir diese Frage vorlegte. Ich fand nach meinen Begriffen die Entdeckung nicht so besonders merkwürdig, dass sie einmal in Suffolk gewesen war und die Grünwasserfläche kannte. Der See war als ein beliebter Aufenthaltsort für Picknickgesellschaften in der ganzen Grafschaft bekannt und Dermodys niedliches Häuschen war einer der allgemeinen Anziehungspunkte in der Umgegend. Wie ich nun deutlich sah, knüpften sich schmerzliche Erinnerungen für sie an meine alte Heimat und das setzte mich allerdings in Erstaunen.

Ich beschloss ihre Frage in einer Weise zu beantworten, die sie dazu ermutigen musste, mir ihr Vertrauen zu schenken. Noch ein Augenblick und ich würde ihr gesagt haben, dass ich meine Knabenzeit an der Grünwasserfläche verlebt hatte – noch ein Augenblick länger und wir würden uns erkannt haben – wenn nicht ein recht alltäglicher Zwischenfall die Worte von meinen Lippen zurückdrängte. Das Kind kam aus dem Schlafzimmer gelaufen und hielt einen zierlich geformten Schlüssel in der Hand.

»Was ist das?« fragte sie, als sie sich mir näherte.

»Mein Schlüssel,« antwortete ich, indem ich darin eine der Sachen erkannte, die sie mir aus der Tasche genommen hatte.

»Wozu gehört er?«

»Zur Kajütentür auf meinem Boote.«

Ihre Mutter unterbrach sie und es folgte eine neue Abhandlung über die Frage des Zubettgehns oder Aufbleibens. Inzwischen lief das kleine Geschöpf wieder mit der Erlaubnis noch einige Minuten länger zu spielen, davon, und das Gespräch zwischen Frau van Brandt und mir hatte eine neue Wendung genommen. Indem wir über die Gesundheit des Kindes sprachen, kamen wir natürlich auf die Beziehungen in denen das Kind zu dem Traume seiner Mutter stand.

»Sie lag an einem Fieber krank « begann Frau van Brandt, »und befand sich eben an dem Tage in der Besserung als ich in diesem elenden Orte verlassen zurück blieb. An demselben Abende hatte sie wieder einen Anfall, der mich in entsetzliche Angst versetzte. Sie verlor ganz die Besinnung, und ihre kleinen Glieder wurden steif und kalt. Ein einziger Doktor lebt noch hier, der die Stadt nicht verlassen hat. Natürlich schickte ich nach ihm. Er glaubte, dass die Besinnungslosigkeit von einem kataleptischen Anfalle herrührte, beruhigte mich aber zugleich, indem er mir sagte, dass keine augenblickliche Lebensgefahr vorhanden sei und gab mir gewisse Mittel, die ich anwenden sollte, wenn die bezeichneten Symptome einträten. Ich brachte sie zu Bett und drückte sie in der Absicht sie zu umarmen, an mich. Halten Sie es, ohne an Mesmerismus zu glauben, für möglich, dass wir einen gewissen Einfluss auf einander ausübten, der das Folgende erklärt?«

»Sehr wahrscheinlich. Gleichzeitig würde die Lehre vom Mesmerismus, wenn Sie daran glauben könnten, noch weitere Aufklärungen darüber geben. Durch den Mesmerismus wäre es nicht allein zu erklären, dass Sie und das Kind sich gegenseitig beeinflussten, sondern auch, dass ich, trotz der Entfernung mit unter Ihrem beiderseitigen Einflusse stand. In dieser Weise würde der Mesmerismus meine Visionen als eine im höchsten Maße zwischen uns entwickelte Sympathie erklären. Sagen Sie mir, ob Sie mit dem Kinde in Ihren Armen einschliefen?«

»Ja. Ich war gänzlich erschöpft und schlief, trotz meines Vorsatzes die Nacht zu durchmachen, fest ein. In meiner trostlosen Lage, verlassen an einem fremden Orte, mit einem kranken Kinde in meinen Armen, träumte ich wiederum von Ihnen und wendete mich wieder an Sie, als an meinen einzigen Beschützer und Freund. Das Einzige, was in diesem Traume anders war, als in den früheren, war, dass ich das Kind neben mir wusste, als ich Ihnen nahte und dass sie mir die Worte eingab, die ich in mein Buch niederschrieb. Nicht wahr, Sie sahen die Worte. Und als ich erwacht war, waren sie verschwunden? Ich fand meinen kleinen Liebling immer noch wie tot in meinen Armen liegend. Die ganze Nacht hindurch hielt dieser Zustand an. Erst am nächsten Nachmittage kam sie wieder zur Besinnung. Warum erschrecken Sie? Was überrascht Sie so in meiner Erzählung!«

Ich hatte wohl Grund zu erschrecken und drückte das auch aus. An demselben Tage und zu derselben Stunde, als das Kind wieder zu sich gekommen war, hatte ich auf dem Deck des Schiffes gestanden und ihre Erscheinung vor meinen Blicken verschwinden sehen!

»Sagte sie etwas, als sie wieder zur Besinnung kam?« fragte ich.

»Ja. Auch sie hatte geträumt und zwar, dass sie sich in Ihrer Gesellschaft befunden hätte. Sie sagte: »Er wird uns besuchen, Mama und ich habe ihm den Weg gezeigt.« Ich fragte sie, wo sie Sie gesehn hätte. Sie sprach verwirrt von verschiedenen Orten. Sie erzählte mir von Bäumen, einem Häuschen und einem See. Dann von Feldern, Hecken und einsamen Straßen. Dann wieder von einem Wagen und Pferden und einem langen, weißen Wege, von belebten Straßen und Häusern, von einem Flusse und einem Schiff. Was diese letzten Gegenstände anlangt, so liegt nichts Wunderbares in dem, was sie sagte. Sie hatte ja in Wirklichkeit auf unserem Wege von London nach Rotterdam die Häuser, den Fluss und das Schiff gesehn, das ihr nun im Traume erschienen war. Übrigens kann ich, was die anderen Orte, besonders das Häuschen und den See, wie sie sie mir beschrieb, betrifft, nur annehmen, dass ihr Traum die Rückwirkung des meinen war. Ich hatte von dem Häuschen und dem See geträumt, wie ich sie einst vor langer, langer Zeit gekannt und – Gott weiß wie – hatte ich Sie mit diesen Szenen in Verbindung gebracht. Wir wollen nicht näher darauf eingehen! Ich weiß nicht, was mich betört, dass ich im Stande bin so leicht über alte Erinnerungen zu sprechen, die mich in meiner jetzigen Lage so schmerzlich berühren. Wir sprachen von dem Gesundheitszustande des Kindes – lassen Sie uns dazu zurückkehren.«

Es war nicht leicht auf des Kindes Gesundheit zurückzukommen, nun sie meine Neugierde über ihre Beziehungen zu der Grünwasserfläche wieder erweckt hatte. Die Kleine spielte noch ruhig im Schlafzimmer. Die zweite Gelegenheit bot sich mir und ich ergriff sie.

»Ich will Sie nicht betrüben,« sagte ich. »Ich möchte Sie nur bitten, dass Sie mir, bevor wir den Gegenstand wechseln, eine Frage über das Häuschen und den See gestatten.«

Das Verhängnis, das uns verfolgte, wollte jetzt, dass sie selbst nun unbewusst das Hindernis für unser gegenseitiges Erkennen wurde.

»Ich kann Ihnen heute Abend nichts weiter sagen,« erwiderte sie, indem sie sich ungeduldig erhob. »Es ist Zeit, dass ich das Kind zu Bett bringe und übrigens kann ich nicht über Dinge sprechen, die mir schmerzlich sind. Sie müssen eine Zeit abwarten – wenn eine solche überhaupt je kommen wird – wo ich ruhiger und glücklicher bin, als jetzt.«

Sie wendete sich nach dem Schlafzimmer. In der Übereilung einer augenblicklichen Eingebung erfasste ich ihre Hand und hielt sie zurück.

»Es liegt ganz in Ihrem Willen,« sagte ich, »dass die ruhigere, glücklichere Zeit schon jetzt, schon diesen Augenblick, beginnt.«

»In meinem Willen?« wiederholte sie. »Wie meinen Sie das?«

»Sagen Sie das eine Wort,« erwiderte ich, »und Sie haben mit Ihrem Kinde eine Heimat und eine Zukunft vor sich.«

Sie sah mich halb erstaunt, halb erzürnt an.

»Bieten Sie mir Ihren Schutz an?« fragte sie.

»Ich biete Ihnen den Schutz eines Gatten an,« antwortete ich. »Ich frage Sie, ob Sie mein Weib werden wollen.«

Sie trat einen Schritt näher zu mir und heftete ihre Augen fest auf mein Gesicht.

»Sie sind augenscheinlich in Unkenntnis über das, was vorgefallen ist,« sagte sie. »Und doch sprach das Kind, Gott weiß es, deutlich genug.«

»Das Kind wiederholte mir nur, was ich auf dem Wege hierher schon erfahren hatte.«

»Sie hörten Alles?«

»Alles.«

»Und wollen mich dennoch heiraten?«

»Ich kann mir kein größeres Glück denken, als Sie mein zu nennen.«

»Selbst nachdem Sie das Alles wissen?«

»Selbst nachdem ich das Alles weiß, bitte ich Sie vertrauensvoll um Ihre Hand. Welches Recht jener Mann, als der Vater Ihres Kindes, auch an Sie gehabt haben mag, dadurch dass er Sie so nichtswürdig verlassen hat, hat er jedes Recht auf Sie verscherzt. Sie sind in jedem Sinne des Wortes, frei, mein Liebling· Wir haben der Trübsal genug in unserem Leben gehabt. Endlich nun winkt uns das Glück, o kommen Sie zu mir – sagen Sie Ja.«

Ich versuchte sie zu umarmen. Sie trat wie erschrocken zurück. »Niemals!« sagte sie fest.

Ich flüsterte die nächsten Worte so leise, dass das Kind im Nebenzimmer uns nicht hören konnte.

»Einst sagten Sie mir, dass Sie mich liebten!«

»Ich liebe Sie!«

»So innig wie einst?«

»Inniger denn je!«

»Küssen Sie mich!«

Sie gab willenlos nach. Sie küsste mich – mit kalten Lippen, mit großen Tränen in den Augen.

»Sie lieben mich nicht!« rief ich zornig aus. »Sie küssen mich, als ob Sie damit eine Pflicht erfüllten. Ihre Lippen sind kalt, – wie Ihr Herz. Sie lieben mich nimmermehr!«

Mit einem sanften Lächeln blickte sie mich traurig an.

»Einer von uns muss des Unterschiedes wischen Ihrer Lebensstellung und der meinen eingedenk bleiben,«·sagte sie. »Sie sind ein Mann von fleckenlosem Ruf, der eine unbestritten hohe Stellung in der Welt einnimmt. Und wer bin ich? Ich bin die verlassene Geliebte eines Spitzbuben. Dessen muss Einer von uns eingedenk sein. Sie haben es großmütig vergessen. Ich muss mich dessen erinnern Ich, ich bin wirklich kalt, schweres Leiden übt diesen Einfluss auf mich aus und – ich gestehe es, ich leide sehr schwer.«

Ich liebte sie zu leidenschaftlich, um bei diesen Worten die Teilnahme für sie zu fühlen, auf die sie entschieden rechnete. Ein Mann achtet die Bedenken einer Frau, so lange sie ihm stumm durch Blicke oder Tränen ausgedrückt werden, so wie sie ihm aber förmlich in Worten ausgesprochen sind, reizen oder verdrießen sie ihn nur.

 

»Wessen Schuld ist es, dass Sie leiden?« versetzte ich kalt. »Ich beschwöre Sie, Ihr Leben und das meinige zu einem glücklichen zu gestalten. Sie sind eine grausam Misshandelte – aber keineswegs Erniedrigte, Sie sind würdig mein Weib zu sein und ich bin bereit das öffentlich zu erklären. Kehren Sie mit mir nach England zurück, mein Boot liegt für Sie bereit.«

Sie sank auf einen Stuhl, ihre Hände fielen ihr willenlos in den Schoß.

»Wie grausam!« flüsterte sie; »wie grausam mich so zu versuchen!« Nach einigen Augenblicken gewann sie ihre entsetzliche Festigkeit wieder. »Nein!« sagte sie, und wenn es mein Leben kostet, so weigre ich mich doch standhaft Sie zu entehren. Verlassen Sie mich, Mr. Germaine. Das ist die letzte Gunst, die Sie mir erweisen können. Um Gottes willen, verlassen Sie mich!«

Ich machte einen letzten Versuch sie zu erweichen.

»Wissen Sie, welch eine Zukunft meiner wartet, wenn ich ohne Sie leben muss?« fragte ich. »Meine Mutter ist tot. Sie sind das einzige Wesen in der weiten Welt, für das ich Liebe fühle, und Sie fordern von mir, dass ich Sie verlasse? Wohin soll ich gehen? Was soll ich beginnen? Sie sprechen von Grausamkeit! Ist es nicht grausamer, dass Sie mein Lebensglück erbärmlichen Bedenken des Zartgefühls, unverständigen Befürchtungen über das Urteil der Welt, opfern wollen? Ich liebe Sie und – Sie lieben mich. Jedes andre Bedenken hat den Wert eines Strohhalms. Kehren Sie mit mir nach England zurück! Kehren Sie zurück, uni mein Weib zu werden!«

Sie sank auf die Knie, ergriff meine Hand und führte sie schweigend an ihre Lippen. Ich versuchte sie aufzuheben. Es war umsonst, sie leistete mir entschiedenen Widerstand.

»Soll dies ein Nein bedeuten?« fragte ich.

»Es bedeutet,« sagte sie in leisem, gebrochenen Tone, »dass ich Ihre Ehre über mein Glück stelle. Wenn ich Sie heirate, ist Ihre Stellung durch Ihre Frau vernichtet und – der Tag, an dem Sie mir das zugestehen, wird kommen und ich kann eher leiden, – eher sterben, als einer solchen Zukunft entgegenzugehen. Vergeben Sie mir und vergessen Sie mich. Ich kann Ihnen weiter nichts sagen!«

Sie ließ meine Hand los und fiel zu Boden. Die furchtbare Verzweiflung, die aus diesem Ereignis sprach, sagte mir beredter als alle ihre Worte, dass ihr Entschluss unwandelbar sei. Sie hatte sich freiwillig von mir getrennt, ihre eigene Handlungsweise hatte uns für immer geschieden.