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Zwei Schicksalswege

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Zwei Schicksalswege (EPUB)
Zwei Schicksalswege (EPUB)
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Neunundzwanzigstes Kapitel
Äußere Schicksale trennen uns

Unten auf dem Hausflur angelangt, ließ ich mir die Wirtin auf einen Augenblick rufen. Ich musste noch ermitteln, in welchem der Londoner Gefängnisse van Brandt sich befand und sie war die einzige Person, an die ich eine Frage darüber richten konnte.

Nachdem die Frau meine Frage beantwortet hatte, legte sie sich in ihrer eigenen, schmutzigen Weise die Gründe zurecht, die mich veranlassen konnten, van Brandt aufzusuchen.

»Ist das Geld, das Sie oben ließen, auch schon wieder in seinen gierigen Taschen verschwunden?« fragte sie. »Wäre ich so reich wie Sie, so würde ich das ruhig geschehen lassen, aber ihn würde ich an Ihrer Stelle nicht mit einer Zange anfassen.«

Ich zog wirklich Nutzen aus der rohen Warnung der Frau – ein neuer Gedanke stieg mir auf! Bis ich sie sprach, war ich zu verstimmt oder zu benommen gewesen, um mir klar zu machen, wie überflüssig es sei, dass ich mich bis zu einem persönlichen Verkehr mit van Brandt in seinem Gefängnisse erniedrigte. Jetzt erst sah ich ein, dass, selbstredend, meine Rechtsbeistände meine geeignetsten Vertreter in dieser Angelegenheit waren, und dass mir daraus noch der Vorteil erwuchs, selbst van Brandt meinen Anteil an dieser Veränderung zu verschweigen. Ich fuhr sogleich zu meinen Anwälten. Der Älteste von ihnen, der erprobte Freund und Ratgeber meiner Familie, empfing mich.

Mein Auftrag setzte ihn natürlich in Erstaunen Er sollte sofort auf meine Anweisung die Gläubiger des Gefangenen befriedigen, ohne zu irgendjemand meinen Namen zu nennen und sollte in allem Ernst als Bürgschaft für die Rückzahlung Herrn van Brandts bloße Unterschrift annehmen!

»Ich glaubte mit allen den verschiedenen Wegen vertraut zu sein, auf denen ein Ehrenmann sein Geld wegwerfen kann,« bemerkte der alte Herr. »Ich muss Sie beglückwünschen, Mr. Germaine, dass Sie eine ganz neue Weise, Ihre Börse zu leeren, erfunden haben. Eine Zeitung zu gründen, ein Theater zu pachten, Rennpferde zu halten, in Monaco zu spielen – das Alles sind sehr wirksame Mittel um Geld los zu werden, aber sie Alle müssen vor dem Einen, Herrn van Brandts Schulden zu bezahlen, die Segel streichen!«

Ich verließ ihn und kehrte nach Hause zurück.

Der Diener, der mir die Tür öffnete, brachte mir eine Bestellung von meiner Mutter. Sie wünschte mich sobald als irgend möglich zu sprechen.

Ich ging sofort zu ihr in ihr Wohnzimmer.

»Nun, George ?« sagte sie, ohne ein Wort der Vorbereitung auf das was folgen sollte. »Wie hast Du Frau van Brandt verlassen?«

Mir stand der Verstand völlig still.

»Wer sagte dir, dass ich bei Frau van Brandt war?« fragte ich.

»Lieber Sohn! Dein Gesicht hat es mir verraten. Sollte ich noch nicht wissen, wie Du aussiehst, und wie Du sprichst, wenn Frau van Brandt Dir im Sinn liegt? Setze Dich zu mir. Ich weiß nicht warum, aber ich kam heute Morgen nicht dazu, Dir etwas zu sagen, wie ich es vorhatte, mir fehlte der Mut. Jetzt bin ich beherzter und kann es aussprechen. Du liebst Frau van Brandt immer noch, mein Sohn! Ich gebe meine Einwilligung, dass Du sie heiratest.«

Das waren ihre Worte! Vor kaum einer Stunde hatte ich von Frau van Brandts eigenen Lippen gehört, dass unsere Verbindung eine Unmöglichkeit sei. Eine halbe Stunde war noch kaum verflossen seit ich Anordnungen getroffen hatte, um den Mann in Freiheit zu setzen, der ein großes Hindernis für unsere Verheiratung war. Diese Zeit grade hatte meine Mutter, ahnungslos, gewählt, um darein zu willigen,· dass ich ihr Frau van Brandt als Schwiegertochter zuführte!

»Ich sehe, dass ich Dich überrasche,« fuhr sie fort. »Ich will dir meine Gründe so klar als möglich auseinandersetzen. Es würde unwahr sein, George, wenn ich Dir sagen wollte, dass die Einwürfe, die gegen Deine Verbindung mit dieser Dame zu machen sind, für mich nicht mehr vorhanden wären. Meine Denkweise hat sich nur in sofern geändert, als ich jetzt, um Deines Glückes willen, bereit bin, alle meine Einwendungen bei Seite zu setzen. Ich bin eine alte Frau, mein lieber Sohn. Nach den Naturgesetzen kann ich nicht annehmen, dass ich noch lange bei Dir bin. Wen aber soll ich zurück lassen, um für Dich zu sorgen und Dich zu lieben, wie ich es getan, wenn ich von Dir gehe? Ich weiß niemand außer Frau van Brandt. Dein Glück ist meine vornehmlichste Sorge und die Frau, die Du liebst, wie schrecklich sie auch irre geführt ist, verdient ein besseres Los. Heirate sie.«

Ich wagte nicht zu sprechen. Ich kniete zu den Füßen meiner Mutter und verbarg meinen Kopf in ihrem Schoß, als wäre ich wieder ein-Knabe geworden.

»Überlege es Dir, George,« sagte sie, »und komme wieder zu mir, wenn Du ruhig genug geworden bist, um über die Zukunft zu sprechen, wie ich es tue.«

Sie hob meinen Kopf hoch und küsste mich. Als ich aufstand um sie zu verlassen, erfüllte mich ein gewisses Etwas in diesen alten, lieben Augen, die mich so zärtlich anblickten, mit einer plötzlichen Furcht, die mich scharf und schneidend, wie ein Messerstich durchzuckte.

So wie ich die Tür geschlossen hatte, ging ich die Treppe hinab zu dem Portier nach dem Flur.

»Ist meine Mutter während ich fort war, ausgewesen?« fragte ich.

»Nein, Herr.«

»Waren Besuche bei ihr?«

»Ein Herr war hier, mein Herr.«

»Kannten Sie ihn?«

Der Portier nannte den Namen eines berühmten Arztes, eines Mannes, der damals als einer der Ersten in seinem Fache galt. Ich nahm sofort meinen Hut und ging zu ihm.

Er war eben von seinen Besuchen zurückgekehrt. Meine Karte wurde ihm übergeben, worauf er mich sofort in sein Sprechzimmer führen ließ.

»Sie haben heute früh meine Mutter besucht," sagte ich. »Finden Sie sie bedenklich krank, und konnten Sie ihr das nicht verschweigen? Sagen Sie mir um Gotteswillen die Wahrheit, ich bin auf Alles gefasst.«

Der berühmte Mann nahm mich freundlich bei der Hand.

»Ihre Mutter bedarf keiner Vorbereitung, sie ist sich ihres bedenklichen Gesundheitszustandes vollkommen bewusst,« sagte er. »Sie ließ mich rufen, damit ich ihre Ansicht bestätigen sollte. Ich konnte, ich durfte ihr nicht verhehlen, dass ihre Lebenskräfte im Abnehmen sind. In einem milderen Klima kann sie sich einige Monate länger erhalten, als hier in der Luft von London. Das ist Alles was ich sagen kann. In ihrem Alter sind ihre Tage gezählt.«

Er ließ mir Zeit mich von dem Schlage zu erholen, dann stellte er mir seine reiche Erfahrung, sein gereiftes und vollkommenes Wissen zur Verfügung. Nach seiner Anleitung schrieb ich die nötigen Verordnungen nieder, nach denen ich nun über meinem vergänglichsten Besitze, dem Leben meiner Mutter, wachen wollte.

»Ein Wort lassen Sie mich noch zu Ihrer Beachtung hinzufügen«, sagte er, als ich mich verabschiedete. »Ihre Mutter ist besonders darauf bedacht, dass Sie nichts von ihrem bedenklichen Gesundheitszustande erfahren sollen. Ihre einzige Sorge ist, Sie glücklich zu sehen. Wenn Sie erfährt, dass Sie mich aufsuchten, kann ich nicht für die Folgen stehen. Ersinnen Sie einen möglichst triftigen Grund, um sie sofort von London zu entfernen und, wie schmerzlich Ihr Inneres auch bewegt sein mag, zeigen Sie ihr immer eine heitere Außenseite.«

Noch an demselben Abend suchte ich den gewünschten Vorwand und er war leicht gefunden. Ich brauchte meiner armen Mutter nur mitzuteilen, dass Frau van Brandt meinen Heiratsantrag abgelehnt hatte und damit war ein augenscheinlicher Grund gefunden, weshalb es mir erwünscht sein musste London zu verlassen. Gleichzeitig schrieb ich an Frau van Brandt und teilte ihr das traurige Ereignis mit, das meine plötzliche Abreise veranlasse; auch benachrichtigte ich sie, dass es durchaus nicht mehr notwendig sei, ihr Leben zu versichern. »Meine Anwälte,« so schrieb ich , »haben es übernommen, Herrn van Brandts Angelegenheiten sofort zu ordnen. In wenigen Stunden wird er frei sein und kann dann die Stellung annehmen, die ihm angeboten ist.« Die letzten Zeilen meines Briefes versicherten sie meiner unwandelbaren Liebe und beschworen sie mir zu schreiben, ehe sie England verließe.

Damit war nun Alles getan. Wunderbarerweise war ich in dieser traurigsten Zeit meines Lebens mir keines wirklich empfindlichen Schmerzes bewusst. Unsere Fähigkeit zu leiden, hat leiblich, wie geistig, eine Grenze. Ich kann den Zustand, in dem ich mich, unter der Last der Sorgen, die über mich hereingebrochen waren, befand, nur in der einen Weise beschreiben – ich hatte das Gefühl eines Menschen, dessen Fähigkeiten zu empfinden ganz betäubt waren. Am nächsten Morgen brachen meine Mutter und ich zu unserer ersten Tagereise nach der Südküste von Devonshire auf.

Dreißigstes Kapitel
Ein Rückblick

Ich erhielt von Frau van Brandt, drei Tage nachdem ich mit meiner Mutter in Torquay angekommen war, eine Antwort auf meinen Brief. Sie benachrichtigte mich im Eingange, dass van Brandt allerdings in Freiheit gesetzt worden sei, aber unter Umständen, die sie mit der quälenden Vermutung erfüllten, dass meinerseits dabei Opfer gebracht worden seien, zu denen ich mich nun nicht bekennen wollte. Dann lautete der Brief weiter:

»Die Anstellung, die Herr van Brandt nun erhalten hat, sichert uns, wenn auch kein üppiges, so doch ein behagliches Auskommen. Vor mir liegt nun, seit meine Lebenssorgen begannen, zum ersten Male wieder ein friedliches Leben, da ich, nicht um meinetwillen, aber für mein Kind hoffe, dass unter einem fremden Volke die falsche Stellung, in der ich mich befinde, ein Geheimnis bleiben wird. Damit muss ich mir genügen lassen, denn ein Glück, wie es manchen Frauen beschieden ist, darf ich, wage ich nicht zu erstreben.

»Wir reisen morgen früh von England nach dem Kontinent ab. Soll ich Ihnen sagen, in welchem Teile von Europa ich meine neue Heimat finden werde?

Nicht doch! Sie würden mir wiederum schreiben und ich würde Ihnen antworten. Der einzige, armselige Dank, den ich dem guten Engel meines Lebens aber abstatten kann, ist, dass ich ihn lehre, mich zu vergessen. Mit welchem Rechte dürfte ich den Platz in Ihrer Achtung wohl behaupten, dessen ich mich bemächtigt habe. Sie werden einst einer Frau Ihr Herz geben, die dessen würdiger ist, als ich. Lassen Sie mich aus Ihrem Leben verschwinden und gedenken Sie meiner nur noch gelegentlich, wenn Sie sich an glückliche Tage erinnern, die nie wiederkehren werden.

 

Mir wird der Rückblick in die Vergangenheit einigermaßen zum Troste gereichen. Seit ich Sie kennen lernte bin ich besser geworden und so lange ich lebe, werde ich dessen gedenken.

Ja! Vom Anfang bis ans Ende ist der Einfluss, den Sie auf mich ausgeübt haben, ein günstiger gewesen. Wenn ich au zugeben muss, dass es für mich ein Unrecht war Sie zu lieben – und mehr noch, Ihnen dieses Gefühl zu gestehen, – so war diese Liebe doch rein, und ich habe wenigstens aufrichtig gestrebt, ihrer Herr zu werden. Mein Herz fühlt sich, abgesehen davon, durch das sympathische Gefühl, das uns vereint, beglückt. Nun da wir so weit getrennt sind und uns wahrscheinlich nie wiedersehen werden, darf ich Ihnen bekennen, was ich bisher nie eingestand, dass meine innersten Eingebungen mich immer, wenn ich ihnen rückhaltlos Gehör gab, auf Sie zu verweisen schienen. Wenn mein Gemüt einmal wirklich Frieden gefunden hatte, und ich mit aufrichtig reuigem Herzen zu beten vermochte, so überkam mich das Gefühl, als führte ein geheimer Zug uns näher und näher zu einander und seltsamerweise geschah das immer nur, wenn ich von van Brandt getrennt war, wie ich auch dann nur jene Träume von Ihnen hatte. Es hat mir in solchen Zeiten, ob denkend oder träumend, immer geschienen, als wären Sie mir viel näher bekannt, als wenn wir uns dann wirklich leiblich gegenüber standen. Ich möchte wissen ob es doch ein Dasein vor diesem jetzigen, bewussten gibt? Ob wir einst in einer anderen Sphäre vor tausenden von Jahren treue Gefährten waren? Müßige Vermutungen! Ich will mir daran genügen lassen, dass ich so glücklich war Sie zu kennen, ohne das Wie oder Warum zu ergründen.

Leben Sie wohl, mein geliebter Wohltäter, mein einziger Freund! Mein Kind sendet Ihnen einen Kuss und die Mutter zeichnet sich, als Ihre dankbare und getreue

M. van Brandt.«

Es. erschien mir damals höchst wunderbar, dass mich diese Zeilen, als ich sie zum ersten Male las, wiederum an die Prophezeiungen der Dame Dermody aus meiner Knabenzeit erinnerten. Die vorausgesagten, sympathischen Bande, die mich an Mary knüpfen sollten, fesselten mich ja nun wirklich, aber an eine Fremde, die ich zufällig in einer späteren Lebenszeit kennen gelernt hatte! Drang ich aber dennoch nicht weiter vor, da meine Gedanken doch einmal diese Richtung einschlugen? Brachten sie mich keinen Schritt vorwärts? Nein, selbst jetzt überkam mich noch keine Ahnung von der Wahrheit.

War meine eigene, schwerfällige Auffassungsgabe daran Schuld? Hätte jemand anderes in meiner Lage entdeckt, was mir noch verborgen blieb?

Ich blicke auf die Verkettung der Ereignisse zurück, die sich durch meine Erzählung ziehen, und frage mich selbst, worin sollte für mich oder irgend einen Anderen die Möglichkeit liegen, eine Übereinstimmung zwischen dem Kinde, welches Mary Dermody war, und der Frau, die ich als Frau van Brandt kannte, zu finden? War in unseren Zügen noch etwas übrig geblieben, was uns bei unserem Begegnen an dem schottischen Flusse an unsere Jugenderscheinungen erinnern konnte? Wir hatten uns in der Zwischenzeit vom Knaben und Mädchen zum Manne und Weibe entwickelt und keine äußere Spur verriet, dass wir der George und die Mary aus früheren Tagen waren. Wie unser Aussehn uns über einander täuschte, so taten es auch unsere Namen.

Ihre Scheinehe hatte ihren Zunamen verändert, das Testament meines Stiefvaters den meinen. Ihr Taufname war einer der gebräuchlichsten Frauennamen, und der meine war weit entfernt zu den gewählteren Männernamen zu gehören. Betrachtet man nun die verschiedenen Gelegenheiten wo wir uns sahen, so waren sie niemals geeignet, ein jeder Erkennen zu ermöglichen, wie es im ruhigen Gespräch geschehen konnte. Wir waren uns überhaupt nur vier Mal begegnet, das eine Mal auf der Brücke, dann in Edinburgh und zwei Mal noch in London. Die überwältigenden Sorgen und Interessen des Augenblicks hatten bei allen diesen Gelegenheiten ihre Gedanken, wie die meinen in Anspruch genommen und ihre, wie meine Worte beeinflusst. Wann hätten die Ereignisse, die uns zusammenführten, uns Ruhe und Muße genug gelassen, um gemächlich auf unser Leben zurückzublicken und die Gegenwart ruhig mit unseren Jugenderinnerungen zu vergleichen? Niemals! Der Lauf der Ereignisse hatte uns vom Beginn bis zum Ende von jedem Resultate weiter und weiter entfernt, das auch nur zu einer Vermutung der Wahrheit hätte führen können. Als sie mir bei ihrer Abreise von England schrieb und während ich ihren Brief las, konnten wir beide nur annehmen, dass wir uns am Flusse dort zuerst gesehen hatten, und dass nun unsere Lebenswege auseinander gingen und wir für immer getrennt waren.

Nun ich in späteren Tagen ihren Abschiedsbrief im Lichte meiner gereiften Erfahrung wieder lese, sehe ich erst ein, wie wunderbar Dame Dermodys Glaube an die Einheit des Bandes, das unsere verwandten Geister verknüpfte, durch den Erfolg gerechtfertigt worden ist.

Nur wenn meine anerkannte Mary von van Brandt getrennt war, also mit anderen Worten, nur wenn sie ein reiner Geist war, geschah es, dass sie meinen Einfluss wohltuend auf ihr Leben wirken fühlte, und dass ihre Erscheinung mit mir in ihrer sichtbaren und vollkommen ähnlichen Gestalt verkehrte. Und wo träumte ich meinerseits je von ihr als in Schottland, und wo fühlte ich im wachen Zustande die geheimnisvolle Mahnung ihrer Gegenwart als auf Shetland? Immer also nur dann, wenn meine Herz sich ihr und Anderen am innigsten erschloss, wenn mein Geist am freiesten von den bitteren Zweifeln und den selbstsüchtigen Bestrebungen war, die die Gottheit in uns erniedrigen. Dann, aber eben nur dann war meine Übereinstimmung mit ihr jene vollendete Sympathie, die, unerreicht von Zufällen und Wechseln, von den Täuschungen und Versuchungen dieses Lebens, die Treue hält.

Einunddreißigstes Kapitel
Miss Dunroß

Meinen einzigen Trost bei dem gänzlichen Zusammensturz meiner Hoffnungen auf eine Heirat mit Frau van Brandt fand ich darin, dass ich mich ganz der heiligen Pflicht widmete, meine Mutter in ihren letzten Lebenstagen treu zu pflegen.

Ihr wurde allmälig der erfrischende Einfluss einer ruhigen Lebensweise und milderen Luft fühlbar. Leider konnte die Besserung in ihrer Gesundheit nur eine vorübergehende sein, das wusste ich nur zu wohl, dennoch war es mir ein Trost sie schmerzfrei zu wissen und sie in der Nähe ihres Sohnes harmlos glücklich zu sehen. Außer den Tages- und Nachtstunden, die der Ruhe gewidmet werden mussten, verließ ich sie nie. Bis zu dieser Stunde gedenke ich noch der Bücher, die ich ihr vorlas, der sonnigen Stelle am Meeresstrande, wo ich mit ihr saß, der Kartenspiele, die wir miteinander spielten, des unbedeutenden Alltagsgesprächs, das sie belustigte, wenn sie sich zu angegriffen für andere Beschäftigungen fühlte, mit einer Innigkeit wie sie an keiner anderen meiner Erinnerungen haftet. Das sind meine unvergänglichen Reliquien; auf diese Taten aus meinem Leben werde ich am freudigsten zurücksehen, wenn die Alles verhüllenden Schatten des Todes mich umschließen.

Meine Gedanken, die sich in einsamen Stunden meist mit Personen und Ereignissen aus der Vergangenheit beschäftigten, wanderten unzählige Male zu Miß Dunroß und Shetland zurück. Kein Gefühl des Grauens begleitete nun mehr meine lästigen Zweifel über das, was der schwarze Schleier mir in Wirklichkeit verborgen haben mochte, wenn ich jetzt daran zurückdachte. Je entschiedener meine späteren Erinnerungen an Miss Dunroß mit der Vorstellung eines unsagbaren, körperlichen Gebrechens verknüpft waren, um so höher stieg die edle Natur dieses Weibes in meiner Achtung.

Die Versuchung, dem Versprechen, das ich scheidend ihrem Vater gegeben hatte, ungetreu zu werden, trat zum ersten Male seit ich Shetland verlassen hatte an mich heran. Wenn ich wieder des in tiefer Nacht gestohlenen Kusses gedachte, wenn ich mir die zarte weiße Hand vergegenwärtigte, die mir durch die dunklen Vorhänge ihr letztes Lebewohl zuwinkte und wenn sich zu diesen Bildern die Erinnerung an das gesellte, was meine Mutter vermutete und Frau van Brandt im Traume gesehen hatte, wurde mein Verlangen, Miss Dunroß auf irgend eine Weise zu versichern, dass ihr Platz in meiner Erinnerung und in meinem Herzen unnehmbar sei, stärker, als dass menschliche Kraft ihr widerstehen konnte. Ich hatte mein Ehrenwort verpfändet, dass ich weder schreiben noch nach Shetland zurückkehren wollte. Tag für Tag erwog ich nun die Frage, wie ich auf irgend eine Weise im Geheimen mit ihr in Verbindung treten bunte. Es bedurfte nur eines Winkes, um mich auf die Fährte zu bringen und, aus Ironie des Zufalls, war es gerade meine Mutter durch die ich diesen Wink erhielt.

Von Zeit zu Zeit sprachen wir immer noch von Frau van Brandt. Meine Mutter hatte sich vollkommen überzeugt, indem sie mich bei Gelegenheiten, wo wir mit Bekannten in Torquay zusammen waren, beobachtet hatte, dass keine andere Frau, welches auch immer ihre Reize sein mochten, in meinem Herzen den Platz einnehmen konnte, den die Frau besaß, die ich verloren hatte. Sie wollte, weil sie nur auf diesem Wege ein Glück für mich absah, den Gedanken an meine Verheiratung mit Frau van Brandt nicht aufgeben. Meine Mutter äußerte sich dahin, dass wenn eine Frau einem Manne ihre Liebe eingestanden hat, es nur an dem Manne selbst liegen kann, wenn er sie trotz aller ersinnlichen Hindernisse nicht doch zu seiner Gattin macht· Nachdem sie wiederholentlich ihre Ansicht dahin ausgesprochen hatte, zwang sie mich durch folgende Worte, sie auch eines Tages in Erwägung zu ziehen:

»Eines stört während unseres hiesigen Aufenthalts mein Glück, Georg. Ich bin Dir in Deinem Verkehr mit Frau van Brandt hinderlich.«

»Du vergisst, dass sie England verlassen hat,« sagte ich, »ohne mir zu sagen, wo sie zu finden ist.«

»Wäre ich Dir jetzt nicht eine Bürde, mein lieber Sohn, so würdest Du sie bald genug auffinden. Aber warum kannst Du ihr nicht unter den obwaltenden Verhältnissen wenigstens schreiben? Missdeute meine Gründe nicht, George! Wenn ich die geringste Hoffnung hätte, dass Du sie vergessen könntest, wenn ich Dich von einer der reizenden Frauen, die wir hier kennen, nur einigermaßen angezogen sähe, so würde ich sagen, wir wollen nie mehr an Frau van Brandt denken oder von ihr sprechen. Dein Herz, mein lieber Sohn, ist aber allen Weibern bis auf dieses eine verschlossen. Sei denn auf Deine Weise glücklich und lass mich das noch sehen bevor ich sterbe. Sicher wird der Elende, dem dieses arme Geschöpf sein Leben opfert, sie früher oder später schlecht behandeln oder verlassen und dann muss sie sich zu dir wenden. Benimm ihr also den Glauben, dass Du ihren Verlust ruhig erträgst. Je entschlossener Du ihren Bedenken entgegentrittst, je mehr wird sie Dich im Stillen lieben und verehren. Das ist so Frauenart. Schreibe ihr erst und sende ihr dann irgend ein kleines Geschenk. Du hattest neulich die Absicht, mich in das Atelier des jungen Künstlers zu führen, der kürzlich hier seine Karte abgegeben hat. Ich höre, dass er wundervolle Miniaturbilder malt. Warum willst Du Frau van Brandt nicht Dein Bild schicken?

Das war ein Einfall, nach dem ich vergeblich gesucht hatte! Wenn das Bild auch ganz überflüssig war, um meine Sache bei Frau van Brandt zu vertreten, so war es das günstigste Mittel mit Miss Dunroß in Beziehungen zu treten, ohne gerade entschieden das Versprechen zu brechen, das ihr Vater mir abgefordert hatte. Ohne ihr ein Wort zu schreiben, ohne ihr eine Botschaft zu senden, konnte ich ihr auf diese Weise sagen, wie dankbar ich ihrer gedachte und konnte in den bittersten Augenblicken ihres trüben, einsamen Lebens, freundlich mein Andenken in ihr wach rufen.

Gleich an demselben Tage ging ich allein zu dem Künstler. Während der Stunden, die meine Mutter in ihrem Zimmer verbrachte, wurden die Sitzungen gehalten, bis das Bild vollendet war. Ich ließ es in ein einfaches, goldenes Medaillon mit einer Kette fassen und übergab sofort mein Geschenk der einzigen Person, von der ich sicher war, dass sie es an seinen Bestimmungsort befördern würde. Diese war der alte Freund, dessen in dieser Erzählung als Sir James erwähnt worden ist und der mich auf dem Regierungsschiff mit nach Shetland nahm.

Es bedurfte keiner Rückhaltung als ich Sir James die nötigen Auseinandersetzungen schrieb, denn wir hatten damals auf der Rückreise mehr denn einmal vertraulich über Miss Dunroß gesprochen. Sir James hatte ihre traurige Geschichte von dem in Lerwick wohnenden Arzte gehört, da dieser ein alter Universitätsfreund war. Diesem Herrn bat ich ihn, mein Geschenk anzuvertrauen, und zögerte nicht, ihm bei diese Gelegenheit die Zweifel auszusprechen, die ich über das Geheimnis hegte, das der schwarze Schleier barg. Freilich war es unmöglich vorauszusagen, ob der Doktor diesen Zweifel heben konnte. Ich erlaubte mir nur den Vorschlag, durch eine ganz gebräuchliche Nachfrage nach dem Befinden der Miss Dunroß, den Gegenstand vorsichtig anzuregen.

 

Bei der langsamen Verbindung, wie man sie in jener Zeit nur ermöglichen konnte, musste ich auf die Antwort von Sir James, nicht wie jetzt nur Tage, sondern Wochen warten. Sein Brief erreichte mich noch obenein erst nach ungewöhnlich langer Zeit. Ob dadurch oder durch andere mir unerklärliche Gründe veranlasst, es überkam mich so entschieden die Vorahnung schlechter Nachrichten, dass ich mich nicht entschließen konnte, das Siegel in Gegenwart meiner Mutter zu erbrechen. Ich wartete bis ich mich in mein Zimmer zurückziehen konnte – und öffnete da erst den Brief.

Meine Ahnung hatte mich nicht getäuscht. Sir James Antwort enthielt nur folgende Worte »Die einliegenden Zeilen erzählen ohne meine weitere Ausführung ihre traurige Geschichte selbst. Ich beklage sie nicht, aber ich bin für Sie tief betrübt.«

Der eben erwähnte Brief war von dem Arzte in Lerwick an Sir James gerichtet. Ich schreibe ihn ohne Zusatz wörtlich ab:

»Durch das stürmische Wetter der letzten Tage hat sich das Schiff, welches unseren Verkehr mit dem Festlande vermittelt, etwas verspätet. Ich erhielt Ihren Brief daher heute erst. Mit ihm zugleich kam eine kleine Schachtel an, die ein goldenes Medaillon an einer Kette enthielt, dessen Sie als das Geschenk erwähnen, welches ich auf Ihren Wunsch eigenhändig im Auftrage eines Ihrer Freunde, dessen Namen Sie nicht nennen können, an Miss Dunroß übergeben soll.

»Sie haben mich unbewusst, indem Sie mir diese Verhaltungsmaßregeln gaben, in eine sehr schwierige Lage gebracht.

Die unglückliche Dame, für die das Geschenk bestimmt ist, geht raschen Schrittes ihrem Ende entgegen – sie beschließt ein Leben, dessen mannigfache und furchtbare Leiden den Tod für sie wirklich als Gnade und Befreiung erscheinen lassen. Unter diesen traurigen Umständen ist es, wie ich glaube, wohl verzeihlich, wenn ich zögere ihr das Medaillon im Geheimen zu übergeben, weiß ich doch nicht mit welchen Erinnerungen dieses Andenken verknüpft ist und wie ernste Aufregungen es in ihr hervorrufen kann.

In dieser zweifelhaften Lage habe ich es gewagt, das Medaillon zu öffnen – und zögere nun um so mehr es abzugeben. Welche Erinnerungen sich für meine unglückliche Patientin an dieses Bild knüpfen, ahne ich natürlich nicht; ich weiß nicht ob sein Anblick sie in ihren letzten Lebensaugenblicken mit Freude oder Schmerz erfüllen wird. Ich habe also beschlossen es morgen bei meinem Besuche mit mir zu nehmen und es dann ganz von den Umständen abhängig zu machen, ob ich es ihr gebe oder nicht. Unsere Post geht erst in drei Tagen nach dem Süden ab, ich lasse diesen Brief also offen, bis ich Ihnen das Resultat mitteilen kann.

»Soeben komme ich von meinem Besuch bei ihr nach Hause zurück. Ich bin ganz verzweifelt, dennoch will ich versuchen Ihnen klar und genau mitzuteilen, was sich zutrug.

Als ich sie heut morgen zuerst sah, hatten ihre sinkenden Kräfte sich für einige Augenblicke erholt. Die Wärterin meldete mir, dass sie die ersten Morgenstunden hindurch geschlafen hatte. Dem Schlafe waren Fiebersymptome mit leichten Fantasien vorangegangen. Die Worte, die ihr während dieses Zustandes entschlüpften, schienen sich hauptsächlich auf einen Abwesenden zu beziehen, den sie »George« nannte. Wie man mir berichtete, war es ihr lebhaftestes Verlangen »George« noch vor ihrem Tode wiederzusehen.

Bei dieser Mitteilung durchflog mich der Gedanke, dass das Bild in dem Medaillon möglichenfalls das Bild jenes Abwesenden sein möchte. Ich hieß die Wärterin das Zimmer zu verlassen und ergriff ihre Hand. Teils auf ihre eigene, bewundernswürdige Stärke und Willenskraft bauend, teils in dem Bewusstsein, dass sie mir als ihrem alten Freunde und Ratgeber vertraute, erwähnte ich der Äußerungen, die sie in ihrem Fieberzustande gemacht hatte. Dann sagte ich zu ihr: Sie wissen, dass jedes Ihrer Geheimnisse bei mir treu bewahrt ist, sagen Sie mir also, ob Sie von George irgend ein kleines Liebeszeichen oder Andenken erwarten?

Meine Frage war getan. Der schwarze Schleier, den sie immer trug, verhüllte ihr Gesicht, so dass nichts mir den Eindruck verraten konnte, den ich auf sie hervorbrachte, es sei denn ihre wechselnde Temperatur oder eine leichte Bewegung der Hand, die ich unter der seidenen Bettdecke in der meinen hielt.

Zuerst schwieg sie. Ihre kalte Hand wurde plötzlich heiß und drückte die meine lebhaft. Ihr Atem wurde beengt. Sie sprach mit großer Anstrengung und legte mir nur die eine Frage vor:

»Ist er hier?«

Ich sagte: »Es ist außer mir niemand hier.«

»Haben Sie einen Brief für mich?«

Ich sagte: »Nein.«

Sie lag eine Zeit lang still. Ihre Hand erkaltete wieder und ließ allmälig die meine los. Endlich sagte sie: »Eilen Sie, Doktor! Was es auch sein mag, geben Sie es mir, ehe ich sterbe.«

Ich wagte das Experiment, öffnete das Medaillon und gab es ihr in die Hand.

Zuerst zögerte sie, wie es schien es anzusehen und sagte nur: »Wenden Sie mich so im Bett um, dass mein Gesicht nach der Wand zu liegt.« Ich gehorchte. Mit dem Rücken gegen mich gekehrt, lüftete sie ihren Schleier und besah darin, wie ich glaube, das Bild. Ein langer, leiser Schrei entfuhr ihr, nicht voll Schmerz oder Qual, nein, ein Aufschrei der Wonne, des Entzückens. Ich hörte, wie sie das Bild küsste. So sehr ich durch meinen Beruf auch an ergreifende Eindrücke für Auge und Ohr gewöhnt bin, so erinnere ich mich nie durch irgend etwas so ganz überwältigt worden zu sein, wie ich es in diesem Augenblicke war. Ich musste aufstehen und an das Fenster gehen.

Kaum eine Minute war verflossen, als ich wieder an das Bett trat. Sie hatte den Schleier wieder über das Gesicht gezogen. Ihre Stimme war viel schwächer geworden, so dass ich sie nur vernehmen konnte, wenn ich mich über sie neigte und mein Ohr an ihre Lippen legte.

»Hängen Sie es um meinen Hals,« flüsterte sie.

Ich schlang ihr die Kette des Medaillons um den Hals. Sie versuchte die Hand danach auszustrecken, aber die Kräfte versagten ihr.

Sein Sie mir behilflich es zu verbergen,« sagte sie.

Ich unterstützte ihre Hand. Sie verbarg das Medaillon unter dem weißen Gewande, das sie an dem Tage trug, an ihrem Busen. Ihre Atemnot nahm zu. Ich legte sie höher auf das Kopfkissen, aber das Kissen war nicht hoch genug. So lehnte ich ihren Kopf an meine Schulter und öffnete teilweise den Schleier. Als sie eine augenblickliche Erleichterung empfand, sprach sie wieder.

»Versprechen sie mir,« sagte sie, »dass keine fremde Hand mich berühren soll. Versprechen Sie mir, mich zu begraben, wie ich bin.«

Ich gab ihr das Versprechen.

Ihr stockender Atem beschleunigte sich. Sie war kaum noch fähig die nächsten Worte auszustoßen:

»Bedecken Sie mein Gesicht wieder.«

»Ich verhüllte es mit dem Schleier. Sie lag schweigend da. Plötzlich setzte das mühsame Atmen aus. Sie fuhr zusammen und erhob den Kopf von meiner Schulter.

»Haben Sie Schmerzen?« fragte ich.

»Ich bin im Himmel,« war ihre Antwort.

»Während sie sprach, sank ihr Kopf an meine Brust zurück. In diesem letzten Ausruf der Freude hatte sie ihren Atem ausgehaucht. Der Augenblick ihrer höchsten Wonne war der Augenblick ihres Todes geworden. Endlich hatte Gottes Barmherzigkeit sie erreicht.«