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Zwei Schicksalswege

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Zwei Schicksalswege (EPUB)
Zwei Schicksalswege (EPUB)
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Sechsundzwanzigstes Kapitel
Ein Gespräch mit meiner Mutter

Ich langte zu Hause noch zeitig genug an um mir zwei oder drei Stunden Ruhe zu gönnen, bevor ich meiner Mutter den gewohnten Morgenbesuch in ihrem Zimmer abstattete. Die eigentümliche Weise in der sie mich bei dieser Gelegenheit empfing und die mir an ihr ganz fremd war, konnte mir unmöglich entgehen.

Als unsere Blicke sich zuerst begegneten, sah sie mich so unruhig und fragend an, als quälte sie irgend ein Zweifel, den sie nicht auszusprechen wagte, und als ich mich wie gewöhnlich nach ihrem Befinden erkundigte, gab sie mir zu meinem Erstaunen eine so ungeduldige Antwort, als zürne sie mir, dass ich den Gegenstand berührte. Zuerst schrieb ich ihr verändertes Benehmen dem Umstande zu, dass sie meine Abwesenheit während der Nacht vielleicht gewahr geworden war, und den wahren Grund davon vermutete.

Sie spielte aber nicht in entferntester Art auf Frau van Brandt an und keines ihrer Worte deutete auch nur annähernd an, dass ich sie betrübt oder verletzt hätte. So blieb mir nur die Erklärung denkbar, dass sie in Bezug auf sich selbst oder auf mich etwas Wichtiges zu sagen hatte, und aus mir unbekannten Gründen mit der Mitteilung zurück hielt, weil ihr der Augenblick nicht geeignet erschien.

Zu unserem gewöhnlichen Gesprächsgegenständen zurückkehrend, kamen wir auf meinen Besuch in Schottland, der meiner Mutter immer ein willkommenes Thema war. Natürlich berührten wir dabei auch Miss Dunroß und da harrte meiner wiederum, wo ich es am wenigsten erwartete, eine Überraschung.

»Du sprachst neulich von der grünen Flagge,« sagte meine Mutter, »die des armen Dermody Tochter für Dich arbeitete, als ihr noch beide Kinder wart. Hast Du sie wirklich bis jetzt aufgehoben?«

»Ja.«

»Wo hast Du sie gelassen? In Schottland?«

»Ich habe sie mit nach London gebracht.«

»Warum?'«

»Ich versprach Miss Dunroß die grüne Flagge mit zu nehmen wohin ich ginge.«

Meine Mutter lächelte.

»George, ist es möglich, dass Du darüber ebenso denkst wie die junge Dame auf Schottland? Glaubst Du nach Verlauf so vieler Jahre an die grüne Flagge immer noch als an das Mittel, das Dich mit Mary Dermody wieder vereinen soll?«

»Sicher nicht! Ich willfahre damit nur einem der Wünsche der armen Miss Dunroß. Durfte ich ihr nach Allem, was ich ihrer Güte dankte, die kleine Bitte abschlagen?«

Meiner Mutter Gesicht wurde wieder ernst und sie sah mich aufmerksam an.

»Es scheint als hätte Miss Dunroß Dir einen sehr günstigen Eindruck gemacht,« sagte sie.

»Ja, das gestehe ich. Ich fühle ein tiefes Interesse für sie.«

»Wäre sie nicht unheilbar krank, George, so hätte sie auch mein näheres Interesse erregt – ich hätte dann vielleicht an Miss Dunroß gern als an meine Schwiegertochter gedacht.«

»Was nutzt es, Mutter, wenn man über Unmögliches grübelt. Die traurige Wirklichkeit genügt.«

Meine Mutter zögerte einen Augenblick ehe sie mir die nächste Frage vorlegte.

»Blieb Miss Dunroß in Deiner Gegenwart immer verschleiert, wenn es hell im Zimmer war?«

»Immer.«

»Sie gestattete Dir nie einen Blick in ihr Gesicht zu tun?«

»Niemals.«

»Und, dass das Licht ihr Schmerzen verursacht, wenn es ihre Haut berührt, war der einzige Grund, den sie dafür angab?«

»Deine Worte klingen, Mutter, als ob Du die Wahrheit dessen, was mir Miss Dunroß sagte, anzweifeltest.«

»Nein, George ich, zweifele nur ob sie Dir die volle Wahrheit sagte.«

»In wie fern meinst Du das?«

»Verzeih mir mein lieber Sohn, aber ich glaube, dass Miss Dunroß einen viel tieferen Grund hatte, ihr Gesicht zu verbergen, als der, den sie nannte.«

Ich schwieg. Noch nie war mir der Verdacht aufgestiegen, den diese Worte in mir erweckten. Es hatte mir genügt, dass ich in medizinischen Büchern von Fällen krankhafter Nervosität gelesen hatte, die dem Zustande den Miss Dunroß beschrieb ganz ähnlich waren. Nun die Vermutung meiner Mutter aber den Weg zu mir gefunden hatte, machte sie mir einen im höchsten Grad peinlichen Eindruck. Mein Gehirn schuf sich die entsetzlichsten Zerrbilder und entweihte mir die reinsten, teuersten Erinnerungen an Miss Dunroß. Vergeblich wechselten wir den Gegenstand des Gesprächs – der schmerzliche Einfluss, der sich meiner bemächtigt hatte, war zu stark um durch eine Unterhaltung verwischt zu werden. Mit der bestmöglichsten Entschuldigung die ich erfinden konnte, verließ ich das Zimmer und eilte zu Frau van Brandt, in deren Gegenwart allein ich hoffen durfte mir selbst zu entfliehen.

Siebenundzwanzigstes Kapitel
Ein Gespräch mit Frau van Brandt

Die Wirtin stand vor der Tür als ich an dem Hause anlangte. Was sie mir auf mein Befragen berichtete bestätigte meine freudigsten Erwartungen. Die arme Mieterin sah schon »wie ein anderer Mensch« aus, und das Kind befand sich eben auf der Treppe, um die Rückkehr ihres »neuen Papas« zu erwarten.

»Etwas aber möchte ich Ihnen noch sagen, mein Herr, ehe Sie hinauf gehen,« fuhr die Frau fort. »Geben Sie der Dame nicht mehr Geld auf einmal, als für die Ausgaben des Tages erforderlich ist. Wenn sie etwas übrig hat so verschwendet sie es aller Wahrscheinlichkeit nach an ihren Taugenichts von Mann.«

Ich hatte über die höheren und teueren Interessen, die alle meine Gedanken erfüllten, ganz vergessen an das Dasein von Herrn van Brandt zu denken.

»Wo ist er?« fragte ich.

»Wo er hingehört,« war die Antwort. »Im Schuldgefängnis.«

In jener Zeit, war jemand, der wegen Schulden verhaftet war, nicht selten lebenslang ein Gefangener. Ich brauchte also nicht zu fürchten, dass mein Besuch durch Herrn van Brandts Erscheinen abgekürzt werden könnte.

Als ich die Treppe hinauf stieg, fand ich das Kind das mich auf dem Flur mit einer zerrissenen Puppe im Arm erwartete. Ich hatte unterwegs einen Kuchen für sie gekauft. Sogleich überließ sie mir die Sorge für ihre Puppe und lief mit dem Kuchen in der Hand vor mir her ins Zimmer, wo sie mein Erscheinen mit den Worten ankündigte: »Mama mir gefällt dieser Papa besser als der andere. Du hast ihn wohl auch lieber?«

Das abgehärmte Gesicht der Mutter errötete für einen Augenblick und erblasste dann, als sie mir die Hand entgegen streckte. Ich sah sie prüfend an und entdeckte deutlich die willkommenen Anzeichen der Genesung. Ihre großen, grauen Augen ruhten wieder mit einem Schimmer ihres alten Lichtes auf mir. Die Hand, die in der letzten Nacht so kalt in der meinen lag, hatte nun wieder Leben und Wärme.

»Wäre ich gestorben ehe der Tag anbrach, wenn Sie nicht gekommen wären?« fragte sie leise. »Haben Sie mir zum zweiten Mal das Leben gerettet? Ich will es gern glauben!«

Ehe ich mich dessen versah, neigte sie ihren Kopf über meine Hand und berührte sie zärtlich mit ihren Lippen.

»Ich bin wahrlich nicht undankbar,« flüsterte sie, »und doch weiß ich nicht, wie ich Ihnen danken soll.« Das Kind blickte schnell von seinem Kuchen auf. »Warum gibst Du ihm keinen Kuss?« fragte das süße, kleine Geschöpf mit einem langen Blick voller Erstaunen.

Ihr Kopf sank auf die Brust. Sie seufzte schwer.

»Nun nichts mehr von mir!« sagte sie, indem sie ihre Selbstbeherrschung wieder erlangte und sich plötzlich zwang zu mir aufzusehen. »Sagen Sie welch glücklicher Zufall Sie diese Nacht hierher führte?«

»Derselbe Zufall,« erwiderte ich, »der mich nach St. Antonius Brunnen leitete.«

Sie erhob sich heftig in ihrem Stuhl.

»So bin ich Ihnen also wiederum erschienen, wie einst in dem Lusthause beim Wasserfall!« rief sie aus. »Geschah das wieder in Schottland?«

»Nein. In einer größeren Entfernung als Schottland ist – es geschah auf Shetland.«

»O erzählen Sie mir davon! Bitte, bitte erzählen Sie mir Alles!«

Ich erzählte so genau als möglich Alles, was sich ereignet hatte, nur über einen Punkt bewahrte ich natürlich das tiefste Schweigen. Ich veranlasse sie zu der Annahme, dass der Herr des Hauses der Einzige war, der mich dort empfing und mit dem ich während meines Aufenthalts bei Mr. Dunroß verkehrte, des Vorhandenseins seiner Tochter erwähnte ich gar nicht.

»Wie seltsam!" rief sie aus, nachdem sie mich bis zu Ende angehört hatte.

»Was ist seltsam?« fragte ich.

Sie zögerte, indem sie meine Züge mit ihren großen, grauen Augen genau zu erforschen suchte.

»Ich spreche nur ungern darüber,« sagte sie »und doch darf ich Ihnen über diesen Punkt nichts vorenthalten. Ich verstehe Alles, was Sie mir gesagt haben bis auf Eines. Es erscheint mir unwahrscheinlich, dass Sie in dem Hause auf Shetland nur einen alten Mann als Gesellschafter gehabt haben wollen.«

»Von welcher anderen Gesellschaft erwarteten Sie zu hören?« fragte ich.

»Ich glaubte Sie würden mir von einer Dame sprechen, die im Hause war.«

Diese Antwort überraschte mich im Grunde nicht, aber sie veranlasste mich genau zu überlegen ehe ich weiter sprach. Aus den früheren Vorgängen wusste ich, dass sie mich während meiner Abwesenheit wiederum in einer Verzückung oder in einem Traume gesehen hatte. Hatte sie auch Miss Dunroß, meine treue Gefährtin während des Aufenthalts in Shetland gesehen?

Ich ließ es mir, durch die Weise wie ich sie befragte offen, ob ich sie rückhaltlos in mein Vertrauen ziehen wollte oder nicht.

»Nicht wahr, ich irre nicht,« begann ich, »wenn ich annehme, dass Sie von mir träumten, während ich in Shetland war, wie sie einst in meinem Hause in Pertshire von mir geträumt?«

»Sie haben recht,« antwortete sie. »Es geschah dieses Mal gegen Abend. Ich schlief ein oder verlor das Bewusstsein – ich weiß nicht wie mir war, und Sie erschienen mir in einem Traum oder in einer Vision.«

»Wo sahen Sie mich?«

»Zuerst sah ich Sie auf jener Brücke über dem Flusse in Schottland, gerade da, wo ich Ihnen an dem Abend begegnete, als Sie mir das Leben retteten. Nach einer Weile verschwand der Fluss und die Landschaft und mit ihnen versanken auch Sie in Dunkelheit. Ich wartete ein wenig – da lichtete sich das Dunkel allmälig. Mir war’s als stünde ich in einem Sternenschein vor einem Fenster; hinter mir lag ein See, vor mir ein verfinstertes Gemach. Ich blickte in das Gemach und der Lichtschein um mich her, ließ mich Sie erkennen.«

 

»Wann geschah das? Entsinnen Sie sich des Datums?«

»Dass es zu Anfang des Monats war, weiß ich. Die schrecklichen Ereignisse, durch die ich seitdem in dieses Elend geraten bin, hatten sich damals noch nicht zugetragen – und dennoch, als ich Sie dort erblickte, ahnte mir, dass ich einem trüben Geschick entgegen ging. Das Gefühl, dass es allein in Ihrer Macht stehen würde, mir zu helfen, überkam mich wieder voll und ganz, wie in jenem Traum in Schottland. Ich tat genau, was ich damals tat. Ich legte meine Hand auf Ihre Brust und sagte: »Gedenke mein. Komm zu mir« ich schrieb selbst —«

Sie hielt schaudernd inne, als ob eine plötzliche Furcht sie beschlich. Besorgt um die Folgen, die eine heftige Erregung für sie haben konnte, wollte ich sie, als ich das sah, veranlassen, an diesem Tage nicht weiter über den Gegenstand zu sprechen.

»Nicht doch,« antwortete sie bestimmt. »Damit dass Sie mir Zeit lassen wollen, ist nichts gewonnen. Der Traum hat in mir eine entsetzliche Erinnerung zurück gelassen. Ich glaube ich werde, so lange ich lebe, erbeben, wenn ich daran denke, was ich neben Ihnen in dem dunklen Gemach erblickte.«

Sie schwieg wiederum. Wollte sie mir von der verhüllten Gestalt mit dem schwarz verschleierten Kopfe reden?

Wollte Sie mir schildern, wie sie durch ihren Traum die Existenz von Miss Dunroß erfahren hatte?

»Beantworten Sie mir nun zuerst eine Frage,« fuhr sie fort. »War Alles, was ich Ihnen bis jetzt sagte, richtig. Waren Sie in einem dunklen Zimmer, als Sie mich sahen?«

»Es ist Alles richtig.«

»War es an einem Tage zu Anfang des Monats und um die Abendstunde?«

»Ja.«

»Sagen Sie mir die Wahrheit. Waren Sie allein im Zimmer?«

»Ich war nicht allein.«

»War der Hausherr bei Ihnen oder befanden Sie sich in Gesellschaft eines anderen?«

Sie zu täuschen wäre nach dem, was ich soeben gehört hatte, mehr als nutzlos gewesen.

»Es war jemand anderes bei mir,« antwortete ich. »Die Person die sich mit mir im Zimmer befand war eine Frau.«

Während sie sprach, sah ich an ihrem Gesicht, dass dieselbe schreckliche Erinnerung, deren sie eben erwähnt hatte, sie wiederum durchschauerte. Nachgerade wurde es mir nun selbst schwer meine Fassung zu bewahren, dennoch war ich entschlossen kein Wort über meine Lippen kommen zu lassen, dass meine Gefährtin zu irgend einer Vermutung veranlassen konnte.

Ich fragte darum nur: »Wollen Sie noch irgend etwas Anderes von mir wissen?«

»Eines noch,« antwortete sie. »War an der Kleidung Ihrer Gefährtin irgend etwas Ungewöhnliches?«

»Ja. Sie trug einen langen schwarzen Schleier, der über Kopf und Gesicht weit herab bis über ihre Taille hing.«

Frau van Brandt lehnte sich in ihren Stuhl zurück und bedeckte sich das Gesicht mit den Händen.

»Ich begreife den Grund, weshalb Sie mir verschwiegen, dass dieses elende Weib in jenem Hause lebte,« sagte sie. »Es ist wohlgemeint wie Alles, was Sie für mich tun, aber es ist nutzlos. Ich sah in meinem Traume Alles genau so, wie es in der Wirklichkeit ist und auch ich erblickte das entsetzliche Gesicht!«

Diese Worte elektrisierten mich vollständig.

Augenblicklich fiel mir das Gespräch wieder ein, das ich diesen Morgen mit meiner Mutter hatte. Ich sprang auf.

»Großer Gott!« rief ich aus, »was meinen Sie damit?«

»Verstehen Sie mich denn noch nicht?« fragte sie, ihrerseits voller Erstaunen. »Muss ich noch deutlicher werden? Bemerkten Sie, dass ich schrieb, als Sie meine Erscheinung sahen?«

»Ja. Sie schrieben auf einem Briefe, den die Dame für mich verfasste. Ich sah später die Worte, die Sie geschrieben und eben diese Worte führten mich in der letzten Nacht hierher. Am Ende des Monats im Schatten von St. Paul.«

»In welcher Weise schien es, dass ich auf dem unvollendeten Brief schrieb?«

»Sie nahmen die Schreibmappe, auf der Brief und Feder lagen, vom Schoß der Dame und stützten die Mappe während Sie schrieben, auf ihre Schulter.«

»Konnten Sie wahrnehmen ob sie es bemerkte, dass ich die Mappe nahm?«

»Ich sah nicht dass sie es bemerkte,« antwortete ich, »denn sie blieb regungslos in ihrem Stuhl.«

»Mein Traum zeigte mir das anders. Danach hob sie die Hand hoch, freilich nicht die Hand, die Ihnen zunächst war, sondern die an meiner Seite. Als ich die Schreibmappe hob, erhob sie die Hand und zog die Falten des Schleiers von ihrem Gesichte zurück – ich konnte Alles deutlicher sehen als Sie. Es war nur ein Augenblick, wo mir gestattet war zu schauen, was der Schleier barg. Lassen Sie uns davon schweigen! Sie müssen von dem entsetzlichen Anblick in der Wirklichkeit zurückgeschaudert sein, wie ich es im Traume tat. Sie müssen sich, wie ich mich, gefragt haben, ob keine barmherzige Hand dem furchtbaren Geschöpf Gift reichen will um sie mitleidig im Grabe zu verbergen?«

Bei diesen Worten hielt sie plötzlich inne. Mir versagte die Sprache – meine Züge waren beredter als meine Lippen. Als sie mein Entsetzen sah, vermutete sie die Wahrheit.

»Gütiger Himmel!« rief sie aus. »Sie haben sie nicht gesehen! Sie hat Ihnen ihr Gesicht hinter dem Schleier verborgen! Ach, warum, warum verleiteten Sie mich davon zu sprechen? Nie will ich wieder dessen erwähnen. Sehen Sie, wir ängstigen das Kind! Komm her, mein Liebling und fürchte Dich nicht. Komm und bringe Deinen Kuchen her. Du bist nun eine Dame und gibst ein großes Diner und wir sind Deine beiden Freunde, die Du eingeladen hast, die Puppe ist Dein kleines Mädchen, die nach dem Essen hereinkommt und vom Obst und Dessert bekommt!«

So fuhr sie fort mit dem Kinde allerlei Spielereien zu treiben, in der vergeblichen Hoffnung, mich dadurch den Schmerz vergessen zu machen, den sie mir bereitet hatte.

Als ich einigermaßen meine Fassung wiedererlangt hatte, tat ich mein Möglichstes ihr in ihrem Bestreben behilflich zu sein. Bei ruhiger Überlegung sagte ich mir, dass sie vielleicht einer Selbsttäuschung unterlag, indem sie das entsetzliche Bild, das sie in ihrer Vision gesehen, nun auch wirklich vorhanden glaubte. Unmöglich konnte ich, wenn ich Miss Dunroß nur die allgemeine Gerechtigkeit widerfahren lassen wollte, einzig auf das Zeugnis eines Traumes hin, die Überzeugung von ihrer Ungestaltenheit in mir Wurzel schlagen lassen und doch, so vernünftig diese Ansicht war, blieben in meinem Herzen, nach dem was ich gehört hatte, gewisse Zweifel zurück. Des Kindes richtiger Instinkt entdeckte bald, dass seine Mutter und ich schlechte Spielgefährten wären, die sich nicht mit ganzer Seele der Sache widmeten. Sie entließ die vorgeblichen Gäste ohne Umstände und kehrte mit ihrer Puppe nach dem Flur vor der Tür zurück, wo ich sie vorgefunden hatte und wo sie am liebsten spielte. Es gelang weder ihrer Mutter noch mir, sie durch irgend welche Überredungskünste zurückzulocken. Wir blieben uns selbst überlassen und setzten uns nun ratlos gegenüber, indem das verbotene Thema über Miss Dunroß zwischen uns stand.

Achtundzwanzigstes Kapitel
Liebe und Geld

Frau van Brandt, die die augenblickliche Verlegenheit sehr bitter empfand, sprach zuerst:

»Sie haben mir nichts über sich selbst gesagt«, begann sie. »Hat sich Ihr Leben seit unserem ersten Begegnen glücklicher gestaltet?«

»Wenn ich ehrlich sein will, kann ich das nicht sagen,« antwortete ich.

»Haben Sie irgendeine Aussicht sich zu verheiraten?«

»Die Möglichkeit einer solchen Aussicht steht nur bei Ihnen.«

»Sagen Sie es nicht!« sprach sie mit einem flehenden Blick. »Verkürzen Sie mir die Freude Sie zu sehen nicht dadurch, dass Sie über Unmöglichkeiten sprechen. Soll ich Ihnen sagen, wie es gekommen ist, dass Sie mich mit meinem Kinde hier in diesem Elende finden?«

Ich zwang mich lieber van Brandts Namen zu nennen, als ihn von ihren Lippen zu vernehmen.

»Man hat mir gesagt, dass Herr van Brandt sich im Schuldgefängnis befindet,« sagte ich. »Und dass er Sie hilflos zurückgelassen, davon habe ich mich in der vorigen Nacht selbst überzeugt.«

»Er ließ mir das wenige Geld, das er bei seiner Verhaftung besaß, zurück,« versetzte sie traurig. »Seine grausamen Gläubiger sind mehr zu tadeln als er es um der Armut willen ist, die uns befallen hat.« Selbst dass sie van Brandt durch diese Worte negativ verteidigte, verletzte mich tief.

»Ich hätte Ihnen rücksichtsvoller von ihm sprechen sollen,« sagte ich bitter. »Ich hätte bedenken sollen, dass eine Frau dem Manne, den sie liebt, jedes Unheil verzeiht, das er über sie bringt.«

Sie hielt mir ihre Hände vor den Mund und gebot mir so Schweigen, ehe ich fortfahren konnte.

»Wie können Sie in so grausamer Weise zu mir sprechen?« fragte sie. »Sie wissen, da ich es Ihnen zu meiner Schande bei unserem letzten Beisammensein selbst gestand, dass mein ganzes Herz Ihnen im Geheimen gehört. Von welchem »Unheil« reden Sie? Meinen Sie das Unheil, das van Brandt über mich brachte, als er mich heiratete, während sein rechtmäßiges Weib lebte und noch lebt? Glauben Sie, dass ich das furchtbarste Missgeschick meines Lebens je verschmerzen kann, das Missgeschick, Ihrer unwert zu sein? Obgleich ich, Gott weiß es, schuldlos daran bin, so ist die Tatsache immer nicht wegzuleugnen, dass ich nicht verheiratet bin, und dass dennoch mein kleiner Liebling, der dort draußen mit einer Puppe spielt, mein Kind ist. Und mit diesem Bewusstsein wollen Sie davon sprechen, Ihr Weib zu werden!«

»Das Kind nimmt mich als seinen zweiten Vater an,« sagte ich. »Wenn Sie ebenso wenig Stolz hätten als Ihr Kind, wäre es für uns beide besser.«

»Stolz?« wiederholte sie. »In meiner Lage Stolz? Ein hilfloses Weib, deren angeblicher Gatte im Schuldgefängnis sitzt? Wenn Sie mir sagen, dass ich noch nicht tief genug gesunken bin, um zu vergessen, was ich Ihnen schuldig bin, so würde das Kompliment, das Sie mir machen wollen, etwas mehr Anschein von Wahrheit haben. Soll ich Sie heiraten um ein Obdach und Nahrung zu haben? Soll ich Sie heiraten, weil mich kein gesetzliches Band an den Vater meines Kindes knüpft? Dieses Anrecht an mich bleibt ihm doch, wie grausam er auch gegen mich gehandelt haben mag. Er hat mich trotz seiner Schlechtigkeit doch nicht verlassen, sondern man hat ihn hinweggerissen. Ist es möglich, dass Sie, der Sie mein einziger Freund sind, mich für so undankbar halten, dass ich einwilligen könnte Ihr Weib zu werden? Ein Weib in meiner Lage müsste kein Herz haben, wenn sie im Stande wäre Ihre geachtete Stellung in der Welt und die Liebe Ihrer Freunde so zu zerstören! Die gesunkenste Bettlerin auf der Straße würde davor zurückschrecken, Ihnen das anzutun. Ach, was denken die Männer? Wie ist es Ihnen möglich davon zu mir zu sprechen!«

Ich gab ihr nach und sprach nicht mehr darüber. Jedes ihrer Worte steigerte meine Bewunderung für die Frau, die ich geliebt und verloren hatte. Welch ein Ausweg blieb mir nun noch übrig? Nur der einzige, dass ich ihr anbot mich selbst für sie zu opfern. So bitter ich den Mann auch hasste, der sich zwischen uns gestellt hatte, so war doch meine Liebe zu ihr so groß, dass ich mich stark genug fühlte ihm, um ihretwillen, zu helfen. Es war eine hoffnungslose Täuschung! Ja, ich leugne es weder, noch will ich es entschuldigen, es war eine hoffnungslose Täuschung!

»Sie haben mir vergeben,« sagte ich, »so gestatten Sie mir auch, mich Ihrer Verzeihung wert zu machen. Ihr einziger Freund zu sein ist auch ein Glück, sagen Sie mir denn rückhaltlos, welches sind Ihre Zukunftspläne und wie kann ich Ihnen helfen.«

»Vollenden Sie das gute Werk, das Sie begonnen haben,« erwiderte sie dankerfüllt. »Helfen Sie mir, dass ich meine Gesundheit wieder erlange. Stellen Sie mich insoweit her, dass ein Arzt, dessen Beurteilung ich mich unterziehe, mich für fähig halten kann, noch einige Jahre zu leben.«

»Eines Arztes Urteil über Ihre Lebensfähigkeit?« wiederholte ich. »Wie soll ich das verstehn?«

»Wie soll ich Ihnen das erklären, ohne wieder von Herrn van Brandt zu sprechen?«

»Meinen Sie damit, dass Sie mir von seinen Schulden sprechen wollen?« fragte ich. »Warum zögern Sie dann? Sie wissen, dass ich alles tun will, um Sie von Ihren Sorgen zu befreien.«

Sie blickte mich einen Augenblick lang in stummer Verzweiflung an.

»Ach! Glauben Sie, dass ich es zulassen würde, dass van Brandt Geld von Ihnen annähme?« fragte sie, sobald sie zu sprechen vermochte. »Wie könnte ich das wollen, die ich Ihnen Alles verdanke. Nein, niemals! Ich will Ihnen die volle Wahrheit sagen. Es ist dringend wünschenswert, dass er aus dem Gefängnis entlassen wird. Er muss also seine Gläubiger befriedigen und hat auch einen Weg ersonnen, wie ihm das mit meiner Hilfe möglich ist.«

 

»Mit Ihrer Hilfe!« rief ich aus.

»Ja! In wenigen Worten ist also das seine Lage. Er erhielt kürzlich ein glänzendes Anerbieten von einem reichen Verwandten für eine Anstellung nach außerhalb. Unglücklicherweise kehrte er hierher zurück, um mir von seinem Glücke Kunde zu bringen und wurde an demselben Tage wegen Schulden verhaftet. Sein Verwandter erbot sich die Stelle während einiger Zeit offen zu lassen und der Zeitraum, den er bestimmte, ist noch nicht abgelaufen. Wenn er seinen Gläubigern einen Teil der Schuld bezahlen kann, so wollen sie ihn freilassen und hofft er das Geld dadurch zu erlangen, dass ich darin willige mich in eine Lebensversicherung einzukaufen.«

Also ihr Leben zu versichern! Aus diesen wenigen Worten ging deutlich genug hervor, welche Falle ihr gestellt war!

In den Augen des Gesetzes war sie ja eine einzeln stehende Frau, sie war mündig und allem Anscheine nach ganz ihre eigene Herrin. Was stand im Wege, dass sie ihr Leben versicherte, wenn sie es wollte und da die Versicherung in der Weise ausgefertigt wurde, dass van Brandt ein entschiedenes Interesse daran haben musste, dass sie starb? Nach Allem, was ich über ihn wusste und da ich ihn jeder Rohheit fähig hielt, zitterte ich bei dem bloßen Gedanken, was geschehen wäre, wenn es mir erst in einer späteren Zeit gelang, sie wieder aufzufinden. Glücklicherweise lag der einzig sichere Weg sie zu schützen durch die günstige Lage, in der ich mich befand, vollkommen in meinem Bereich. Ich konnte mich erbieten dem Schurken nach einer Stunde das Geld zu geben, dessen er bedurfte – und er war ganz der Mann, der meinen Vorschlag mit derselben Leichtigkeit annahm, mit der ich ihn machte.

»Ihnen scheint unser Plan nicht zu gefallen,« sagte sie, als sie mit sichtlicher Verlegenheit wahrnahm, welchen Eindruck ihre Worte auf mich gemacht hatten. »Ich habe Sie, wie es scheint, unglücklicherweise zum zweiten Male verletzt und erregt, ohne es zu wollen.«

»Sie irren sich,« erwiderte ich. »Ich bezweifle nur, dass der Plan, durch dessen Ausführung Sie Herrn van Brandt aus seinen Verlegenheiten zu ziehen hoffen, ganz so einfach ist, wie Sie es voraussehen. Sind Sie sich auch klar, dass es sich möglicherweise lange hinzögern kann, ehe es Ihnen gelingt, aus Ihrer Lebensversicherung Geld geliehen zu bekommen?«

»Ich verstehe nichts davon,« sagte sie traurig.

»Gestatten Sie, dass ich den Rat meiner Anwälte einhole? Sie sind zuverlässige und erfahrene Männer und können Ihnen sicher von Nutzen sein.«

So vorsichtig ich mich auch ausgedrückt hatte, ihr Zartgefühl ließ sie doch Verdacht schöpfen.

»Wenn Sie mir versprechen, dass Sie mir nie anbieten wollen, von Ihnen Geld für Herrn van Brandt zu leihen,« erwiderte sie, »so will ich Ihre Hilfe dankbar annehmen.«

Das konnte ich aufrichtig versprechen. Meine einzige Hoffnung sie zu retten, lag darin, dass ich sie ganz in Unwissenheit über den Weg ließ, den ich jetzt einzuschlagen gedachte. I erhob mich um zu gehen, da mein Entschluss mir neue Kräfte gab. Ich machte sie darauf aufmerksam, dass, je eher ich meine Erkundigungen einzöge, es uns um so eher gelingen würde unsere Zweifel und Schwierigkeiten zu lösen.

Sie erhob sich mir mit tränenfeuchten Augen und geröteten Wangen.

»Küssen Sie mich ehe Sie gehen!« flüsterte sie, »und seien Sie meiner Tränen wegen unbesorgt. Nun bin ich wieder ganz glücklich. Ihre Güte überwältigte mich nur.«

Ich drückte sie mit der unbewussten Zärtlichkeit einer letzten Umarmung an mein Herz. Unmöglich konnte ich mich über die Stellung, in die ich mich nun selbst gebracht hatte, täuschen, ich hatte, so zu sagen, meinen eigenen Bannspruch gefällt. Wenn mein unwürdiger Nebenbuhler durch meine Vermittlung die Freiheit wieder erlangt hatte, konnte ich mich denn der erniedrigenden Notwendigkeit fügen sie in seiner Gegenwart zu sehen, unter seinen Augen zu ihr zu sprechen? Diese Art der Selbstaufopferung wäre unter meiner Würde gewesen, dessen war ich mir bewusst. »Zum letzten Male!« dachte ich, als ich sie noch einen Augenblick in meinen Armen hielt – »zum letzten Male!«

Das Kind lief mir mit offenen Armen entgegen, als ich auf den Flur hinaustrat. Meine Manneskraft hatte mich bei dem Abschiede von der Mutter aufrecht erhalten, aber als des Kindes volles, unschuldiges Gesichtchen sich zärtlich an das meine schmiegte, brach ich zusammen. Mir versagten die Worte – ich setzte sie still zur Erde nieder und wartete unten an der Treppe, bis ich fähig war, in die Welt hinauszutreten.