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Die Anzeige wurde veröffentlicht und, wie der Geistliche es erwartet, zwei Tage darauf in einem so abscheulichen Briefe beantwortet, wie ich niemals einen gelesen habe. Der Geistliche brachte ihn mir selbst. »Er wurde heute Abend«, sagte er, »von einem unbekannten Boten übergeben, welcher sich gleich nachher wieder entfernte.« Der Brief war sehr kurz und wir glaubten, die Handschrift einer Frau darin zu erkennen; der Geistliche war der Meinung, dass sie absichtlich verstellt gewesen wäre. Der Brief war weder unterzeichnet noch mit einem Datum versehen. Er enthielt eine Zehn-Pfundnote, und die Person, welche sie schickte, schrieb, dass sie dazu bestimmt wäre, die junge Frau anständig begraben zu lassen. Dann sagte der Brief weiter, es wäre besser für sie, dass sie gestorben wäre, als dass sie noch lebte, nachdem sie ihren Vater und ihre Verwandten entehrt hätte. Was das Kind anbeträfe, so wäre es ein Kind der Sünde und hätte keine Ansprüche an Leute, welche ihren guten Namen zu bewahren und andern ein moralisches Beispiel zu geben wünschten. Der Kirchsprengel müsste es ernähren, wenn es niemand anders wollte. Ein Versuch sie aufzuspüren oder eine zweite Anzeige in die Zeitung setzen zu lassen, würde nutzlos sein. Des Kindes Vater wäre verschwunden; sie wüssten nicht, wo er sich aufhielte, und könnten also jetzt keine Gemeinschaft mit einem solchen Ungeheuer der Gottlosigkeit halten, selbst wenn sie seinen Aufenthalt wüssten. Sie wäre in ihrer Schande und in ihrer Sünde gestorben, und ihr Name sollte niemals wieder unter ihren Angehörigen genannt werden.

Das war alles, was ich aus dem Briefe behalten habe, mein Herr. »Ein abscheulicher und unchristlicher Brief!« sagte ich und der Geistliche meinte dies auch.

Sie wurde in dem Teile des Kirchhofs begraben, welchen man in England den Armenwinkel nennt. Man bezeichnete die Stelle, im Fall sie jemals einer zu sehen wünschte, indem man die beiden Buchstaben M.G. und das Datum ihres Todes auf ein hölzernes Brett an dem oberen Ende des Grabes einschnitt. Hierauf gab mir der Geistliche das Haarhalsband und das Taschentuch und sagte: »Bewahret dieses so gut wie das Kind, denn es könnte einst von großem Nutzen sein. Ich werde den Brief, der an mich adressiert ist, versiegeln und in meine Schatulle legen.« Er frug mich vorher, ob ich an die große Verantwortlichkeit gedacht hätte, die ich in meiner Lage übernommen hätte, um für das Kind zu sorgen, und ich sagte ihm, ich hätte es versprochen und wollte mein Versprechen halten und vertraute wegen des Übrigen auf Gottes Vorsicht. Der Geistliche war ein sehr gütiger Mann und veranstaltete eine Kollekte für das arme Kind, und Peggy Burke gab, als sie von unserem Weggange von Bangbury ihr Benefiz hatte, die Hälfte ihres Anteils zur Kollekte. Ich hörte bis jetzt kein Wort wieder über die Verwandten des Kindes. Ich bewahre aber das Haarhalsband und das Taschentuch so sorgfältig auf, wie es mir der Geistliche geheißen hat, ebenso wohl wegen der Mutter als des Kindes wegen. Ich habe einige Mühe mit ihm gehabt, seitdem ich es zu mir nahm, aber ich liebe es nur um desto mehr und halte jenen Tag, an dem ich es zuerst auf der Landstraße säugte, für uns beide noch immer für einen glücklichen.

Dies ist alles, mein Herr, was ich über das zu sagen habe, wie ich zuerst mit der kleinen Marie zusammen traf, und ich wünsche, dass ich es hätte auf eine Weise erzählen können, die sich besser für solche Zuhörer eignet.«

Siebentes Kapitel – Die Erzählung – Zweiter Teil

Als die Frau des Clowns ihre Erzählung geendet hatte, wurde zur Erörterung von denen, die sie mit angehört hatten, nur wenig hinzugesetzt. Sie waren durch das, was sie angehört hatten zu sehr ergriffen, um außer abgebrochenen leisen Worten etwas hervorbringen zu können. Frau Joyce führte ihr Taschentuch mehr als einmal nach ihren Augen. Ihr Gatte murmelte einige herzliche Worte des Mitleids und des Dankes – jedoch auf eine ungewöhnlich schmerzliche Weise. Valentin sagte nichts, aber er zog seinen Stuhl dicht zu Frau Peckover heran, wandte sein Gesicht ab, damit es von niemandem bemerkt werden sollte, nahm ihre Hand in eine der seinigen und klopfte sie sanft mit der andern. Hierauf sahen sie alle in derselben Stimmung, und wie es schien, mit demselben Gefühl nach dem Garten.

»Würde ich zu viel verlangen, Frau Peckover«, sagte Frau Joyce nach langem Stillschweigen, »wenn ich mich erkundigte, worin der Unfall bestand, welcher das arme kleine Wesen so unglücklich machte? Ich weiß, dass sich davon ein Bericht auf dem Zettel des Zirkus befindet, aber —«

»Ich denke, meine Liebe«, wandte der Rektor ein, sich an seine Frau wendend, »dass es kaum denkbar ist, von Frau Peckover eine Erfüllung Deines Wunsches zu erwarten. Sie hat sich schon einmal für unsere Neugierde aufgeopfert, um jetzt noch von ihr zu verlangen, dass sie zum zweiten Male Erinnerungen wiederhole, welche sie sicherlich betrüben müssen.«

»Es ist mehr als betrübend, nur an jenen schrecklichen Unfall zu denken«, sagte Frau Peckover, »und besonders, da ich nicht umhin kann, mir selbst einigermaßen die Schuld davon beizumessen. Wenn die Dame aber zu wissen wünscht, wie es zuging, so will ich es ihr gern erzählen.

Zuerst muss ich Ihnen sagen, dass es mir mit der kleinen Marie während der ersten sechs Jahre ihres Lebens weit besser erging, als ich jemals gedacht hatte. Sie wuchs so hübsch heran, dass sie vornehme Leute immer beachteten und sich nach ihr erkundigten, und beinah an jedem Orte, wo der Zirkus sich hinwandte, machte man ihr Geschenke, welche reichlich dazu beitrugen, sie zu ernähren und zu kleiden. Und auch unsere eignen Leute schmeichelten ihr und liebten sie. Diese ganzen sechs Jahre verstrichen für uns so angenehm, wie es nur immer sein konnte; es war nur erst, als sie beinah sieben Jahr alt war, dass ich gottlos und töricht genug war, meine Einwilligung zu ihrer Teilnahme an unsern Aufführungen zu geben.

Man setzte mir arg zu und quälte mich, bis ich einwilligte. Jubber sagte zuerst, er wünschte, dass sie im Zirkus mitritte, worauf ich jedoch »nein« sagte, obgleich ich mich in jenen Tagen schrecklich vor ihm fürchtete. Bald darauf aber kam Jemmy zu mir, der damals noch nicht Clown war, und sagte, er fürchte, er würde seine Stelle verlieren, wenn ich nicht wegen der kleinen Marie nachgäbe. Das machte mich sehr stutzig, denn ich wusste nicht, was wir hätten anfangen sollen, wenn mein Mann aus seinem Engagement gekommen wäre. Und außerdem bestand das arme liebe Kind selbst wie wahnsinnig darauf, auf dem Pferde in der Luft zu schweben, da sie immer bat und flehte, man möchte eine kleine Reiterin aus ihr machen. Alle die Übrigen im Zirkus plagten mich und lachten mich aus und mit einem Worte, ich gab zuletzt gegen mein Gewissen nach, aber ich konnte nicht anders.

Dennoch machte ich die Bedingung, dass sie nur dem solidesten, nüchternsten Manne und dem besten Reiter von der ganzen Gesellschaft anvertraut werden sollte. Auf den Zetteln wurde er »Muley« genannt, und man bemalte sein Gesicht, damit er wie ein Türke oder etwas dem ähnlichen aussehen sollte, aber sein wirklicher Name war »Yapp«,und auf seine Weise war er ein sehr guter, vorsichtiger Mann und selbst Familienvater. Er und Jubber erdachten zusammen den Plan, dass er einen Sohn der Wildnis vorstellen sollte, welcher, um sein Leben zu retten, mit der kleinen Marie als seinem einzigen Kinde aus der Wüste entfloh. Man färbte ihr Gesicht dunkel, damit es dem seinigen ähnlich sehen sollte, und legte ihr ein ausländisches weißes Kleid an, schnallte einen roten Gürtel um ihre Taille, an welchem sich eine Handhabe befand, an der sie Yapp festhalten konnte. Nachdem er zuerst dem Publikum hatte den Glauben beibringen müssen, dass er und das Kind in Gefahr wären, gefangen und erschossen zu werden, sollte er ihm nachher begreiflich machen, dass sie der Gefahr glücklich entronnen waren; er sollte sie im Triumphe mit ausgestreckten Armen in die Höhe heben, indem er während der ganzen Zeit immer im Zirkus herumgaloppierte. Er war ein fürchterlich starker Mann und konnte es so leicht ausführen, wie ich dieses Stückchen Pflaumenkuchen zu Munde führe.

Die arme liebe Kleine, sie überwand bald die erste Furcht bei der Aufführung und sehnte sich fast wahnsinnig nach derselben, was ich niemals gern sah, weil es ihrer Natur nicht zusagte. Yapp sagte, sie hätte das Herz eines Löwen und würde einst die schönste Reiterin auf der Welt werden. Ich war sehr unglücklich darüber und verbrachte eine sehr traurige Zeit, da ich immer ein Unglück befürchtete. Eines Abends – sie war ein wenig über sieben Jahr alt —

O verehrte Frau! Wie ich diese fürchterliche Nacht überlebte, weiß ich nicht. Ich war ein sündhaft elendes .Geschöpf, nicht lieber verhungert zu sein, als das Kind einer solchen Gefahr auszusetzen, aber ich wurde so arg in Versuchung geführt und dazu verleitet, Gott weiß es. Achten Sie nicht auf mein Weinen, ich will schon sehen, wie ich es zu Ende bringe. Der Halter – nein, ich meine die Handhabe, die Handhabe an dem Halter, ließ plötzlich los, gerade zuletzt, gerade im schlimmsten Augenblicke, wo er sie nicht auffangen konnte! —

Niemals, o niemals, niemals, werde ich diesen fürchterlichen Angstschrei vergessen, welcher von sämtlichen Zuschauern ausgestoßen wurde, sowie den Anblick des erblassten kleinen Wesens, welches bewusstlos, totenstill auf den Brettern lag. Es war an jenem Abend nicht so voll wie gewöhnlich, und sie fiel auf einen leeren Platz zwischen den Bänken. Ich wurde von den Pferden, als ich zu ihr laufen wollte, niedergeworfen – ich war ganz von Sinnen – und wusste nicht, wohin ich ging – Yapp war unter die Pferde gefallen und hatte sich arg verletzt, indem er sie aufzufangen versuchte. – Die Pferde liefen wild im Zirkus herum – fast wie toll von dem Lärm, welcher sie rings umgab. Ich versuchte mich wieder aufzurichten, viele Leute rannten an mir vorbei und ich sah, wie mein unschuldiger Liebling weggetragen wurde. Ich fühlte, wie man mich mit den Händen zurückziehen wollte, aber ich stahl mich weg und gelangte mit den Übrigen ins Vorzimmer.

 

Da lag sie – meine eigne, liebe, kleine Marie, deren armen Mutter ich versprochen hatte, für sie zu sorgen, blass und still auf einem alten Koffer und mein zusammengerollter Mantel diente ihr als Kopfkissen. Eine Masse. Leute und ein Doktor, der ihren Kopf genau untersuchte, standen um sie herum. Und Yapp unter ihnen, von zwei Leuten gehalten, mit einem ganz von Blut beflecktem Gesichte. Ich war weder im Stande zu sprechen noch mich zu bewegen; ich fühlte nicht einmal, dass ich noch atmete, bis der Doktor aufhörte und sich umsah. Da aber durchrieselte uns alle zusammen ein mächtiger Schauder, wie wenn wir nur eine statt zwanzig und mehr Personen gewesen wären.

»Sie ist nicht tot«, sagte der Doktor, »ihr Gehirn hat nicht gelitten«, weiter hörte ich nichts. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, ehe ich wieder zum Bewusstsein kam und einen tiefen Schmerz im Herzen fühlte. Ich lag auf dem Bette unsrer Wirtin und Jemmy hielt mir ein Riechfläschchen vor. »Man hat sie zu Bette gebracht«, sagte er zu mir, »und der Doktor richtet ihren Arm wieder ein.« Ich konnte mich nicht gleich recht besinnen, aber als ich es tat, war mir es, als wenn ich das – fürchterliche Unglück noch einmal erlebte.

Es dauerte eine lange Zeit, bevor einer von uns entdeckte, was sich in der Wirklichkeit zugetragen hatte. Die Verletzung ihres Armes, sagte der Doktor, hätte ihren Kopf gerettet, welcher nur leicht verwundet und ein wenig gequetscht wäre; nicht halb so schlimm, als man befürchtete. Tag für Tag und Nacht für Nacht saß ich vor ihrem Bette, sie in ihrem Fieber tröstend und den Schmerz an ihrem geschienten Arme lindernd; ich vermutete niemals – eben sowenig wie er selbst – das schreckliche Unglück, welches sich ereignet hatte. Sie war bei frühern leichten Krankheiten immer wunderbar ruhig und still, das arme Lamm, und so kam es, dass ich mich zuerst nicht wunderte, wenn sie niemals ein Wort sagte und mir niemals antwortete, wenn ich mit ihr sprach.

Dies dauerte fort, obgleich ihr körperliches Wohlbefinden sich besserte; ihre Augen aber nahmen einen sonderbaren Blick an. Sie schienen immer umher zu wandern und scheu in einer verworrenen Weise nach einem oder dem andern Dinge hinzustarren. Sie fing auch an, ihren Kopf unruhig von der einen Seite des Kissens nach der andern zu wälzen, gab dann und wann eine Art von Murmeln und Summen von sich, schien aber sich dennoch niemals um irgendetwas zu bekümmern oder irgendetwas zu beachten, was ich zu ihr sagte. Eines Tages wärmte ich ihr eine Tasse Tee und hörte ganz plötzlich und ganz deutlich folgende Worte aus der Richtung kommen, wo sie in der Stube lag —»Warum seid ihr immer so ruhig hier? Warum spricht nicht Jemand mit mir?«

Ich wusste, dass zur Zeit keine andere Seele in dem Zimmer war als das arme Kind, und dennoch war die Stimme, welche jene Worte sprach, derjenigen der kleinen Marie so unähnlich als meine Stimme, mein Herr, der Ihrigen. Sie klang so heiser und leise, so tief und schwach; es war die sonderbarste auffallendste Stimme, die ich jemals von einem Kinde hörte, welches vorher stets so deutlich und hübsch zu sprechen pflegte. Wenn ich nur meine Worte besser setzen und Ihnen, verehrte Frau, einen gehörigen Bericht darüber abstatten könnte, aber das kann ich nicht. Ich weiß, der Klang dieser Worte erschreckte mich so, dass ich den Tee umwarf und in meiner Angst nach dem Bette zurücklief. »Nun Marie! Marie!« sage ich ganz laut, »bist Du denn schon wieder so wohl, dass Du Herrn Jubbers rauhe Stimme nachzuahmen versuchst?«

Derselbe staunende Blick war in ihren Augen, – nur wilder, als ich ihn je vorher gesehen hatte – während ich mit ihr sprach. Hierauf sagte sie in derselben sonderbaren Weise: »Sprich laut Mutter, ich kann Dich nicht hören, wenn Du so leise flüsterst.« Sie brauchte so lange, um diese Worte zu sagen, und stümperte so sehr daran, als wenn sie gerade erst anfinge sprechen zu lernen. Ich glaube, damals war es, wo ich die erste Vermutung von dem großen Unglücke hatte, das sie wirklich betroffen. »Marie!« rief ich so laut aus, wie ich konnte, »Marie! Kannst Du mich jetzt nicht hören?« Sie schüttelte mit ihrem Kopfe und starrte mich wieder mit dem starren verwunderten Blick an, dann schien sie plötzlich eigensinnig und ungeduldig zu werden – es war das erste Mal, dass ich sie so sah – und verbarg ihr Gesicht vor mir in dem Kissen. Gerade in diesem Augenblicke trat der Doktor herein. »O mein Herr«, sagte ich ihm zuflüsternd, gerade wie wenn ich nicht vor einer Minute erst entdeckt hätte, dass sie mein lautestes Schrein nicht hören könnte »ich fürchte, dass es mit ihrem Gehör nicht ganz in Ordnung ist.« »Haben Sie das nur erst seit jetzt vermutet?« fragte er, »ich habe dies schon seit einigen Tagen befürchtet, aber ich hielt es für das Beste, noch nichts davon zu sagen, bis ich sie untersucht hätte; und das arme Kind ist kaum wohl genug, um mit Experimenten an seinen Ohren geplagt zu werden.« »Sie ist weit besser«, sage ich, »sie ist wirklich heute weit besser, mein Herr! Bitte, untersuchen Sie sie jetzt, denn es ist fürchterlich, einen Augenblick länger als nötig darüber in Zweifel zu sein.«

Er trat an ihr Bett und ich folgte ihm. Sie lag mit ihrem Gesicht von uns abgewendet, mit ihrem Kopf auf dem Kissen, geradeso, wie ich sie verließ. Der Doktor sagte zu mir: »Stören Sie sie nicht und lassen Sie sie nicht im Zimmer herumsehen, so dass sie uns erblicken kann – ich werde sie rufen.« Und er rief zweimal laut »Marie!«, sie rührte sich nicht. Als er das Experiment zum dritten Male anstellte, schrie er so laut, dass die Wirtin herauf kam, weil sie dachte, es hätte sich irgendetwas ereignet. Ich sah über seine Schulter und bemerkte, dass das liebe Kind sich nicht im Geringsten bewegt hatte. »Das arme kleine Wesen«, sagte der Doktor ganz bekümmert, »das ist schlimmer, als ich erwartete. Er beugte sich nieder und berührte sie, während er dies sagte, und sie drehte sich sogleich um und streckte ihm ihre Hand entgegen, damit er wie gewöhnlich ihren Puls fühlen könne. Ich versuchte es, mich vor ihr zu verbergen, denn ich weinte und wünschte nicht, dass sie es bemerken sollte, aber sie war zu gewitzt für mich. Sie sah mir, der Wirtin und dem Doktor starr ins Gesicht; der letztere sah niedergeschlagen genug aus, denn er hatte sie sehr lieb gewonnen, wie auch jeder andere, der öfters in die Nähe der kleinen Marie kam.

»Was geht hier vor?« sagte sie wieder mit derselben Stimme. »Warum sprechet Ihr nicht laut, so dass ich es hören kann —« und dann hielt sie an, anscheinend in hilfloser Angst und Verwirrung. Sie versuchte sich im Bette aufzusetzen und ihr Gesicht wurde über und über rot.

»Kann sie Geschriebenes lesen?« fragte der Doktor. »O ja, mein Herr!« sage ich, sie kann prächtig lesen und schreiben für ein Kind ihres Alters; mein Mann hat es ihr gelehrt.« »Bringen Sie mir sogleich Tinte, Feder und Papier«, sagte er zur Wirtin, die sogleich ging und ihm das gewünschte brachte. »Wir müssen sie auf alle Fälle beruhigen«, sagte der Doktor, »oder sie wird sich so sehr aufregen, dass sie einen andern Fieberanfall bekommt. Sie fühlt, was mit ihr vorgegangen ist, aber sie versteht es noch nicht, und ich will es ihr vermittelst dieses Papiers sagen. Es ist gefährlich«, sagte er, in großen Buchstaben niederschreibend: »Du bist taub«, »aber ich muss sogleich jedes Experiment mit ihrem Gehör versuchen, und dies wird sie darauf vorbereiten.« Er trat an ihr Bett und hielt ihr das Papier vor die Augen.

Beim Anblick dieser Worte sank sie zurück auf das Kissen, so still wie der Tod, aber sie weinte nicht und ich möchte sagen, sie sah mehr verlegen und erstaunt als betrübt aus. Sie atmete aber fürchterlich schnell, ich fühlte dies, als ich mich niederbeugte und sie küsste. »Sie ist zu jung«, sagte der Doktor, »um die Größe ihres Unglücks ganz zu begreifen. Bleiben Sie hier und beruhigen Sie sie, bis ich zurückkomme, denn ich hoffe, dieser Fall ist noch nicht ganz hoffnungslos.« »Aber was in aller Welt hat sie taub gemacht, mein Herr?« fragte die Wirtin. »Die Erschütterung von jenem Falle im Zirkus«, sagte er eiligst fortgehend. Ich dachte meinen Kopf niemals wieder in die Höhe richten zu können, als ich diese Worte hörte, und presste die kleine Marie heftig an mich.

Der Doktor kam zurück und machte zuerst Einspritzungen in ihr Ohr, leider aber ohne Erfolg; dann legte er ihr eine spanische Fliege und hierauf setzte er ihr Blutegel an, aber auch dies war umsonst. »Ich befürchte, es ist ein hoffnungsloser Fall«, sagte er, »aber ich kenne einen Arzt, der mehr Praxis unter Ohrenkranken hat als ich, und der jede Woche von seinem Wohnorte nach unserm Krankenhause kommt. Morgen trifft er ein, und da will ich ihn mit hierher bringen.«

Tags darauf erschien der versprochene Arzt, ein liebevoller alter Herr. »Ich befürchte, Sie müssen nach dem, was ich von meinem Freunde hier erfahren habe, sich auf das Schlimmste vorbereiten«, sagte er zu mir, »denn ich glaube nicht, dass hier viel Hoffnung vorhanden ist.« Dann trat er an das Bett, betrachtete sie lange und sagte zu ihr: »Du hörst es nicht, wenn ich Dir sage, dass Du das schönste kleine Mädchen bist, das ich jemals in meinem Leben sah?« Sie betrachtete ihn verwirrt und blieb ganz still. Er sprach nicht wieder mit ihr, aber er sagte zu mir, dass ich sie auf dem Bette herumdrehen sollte, damit er zu einem ihrer Ohren gelangen könnte.

Er nahm inzwischen einige Instrumente heraus und führte sie in ihr Ohr, aber so vorsichtig, dass er ihr durchaus nicht weh tat. Dann sah er durch ein sonderbares Vergrößerungsglas (einen Ohrenspiegel) hinein. Ebenso machte er es mit dem andern Ohre, darauf legte er die

Instrumente nieder und nahm seine Uhr heraus. »Schreiben Sie auf ein Stück Papier«, sagte er zu dem andern Doktor: »Hörst Du die Uhr gehen?« Als dies geschehen war, machte er der kleinen Marie durch Zeichen begreiflich, ihren Mund zu öffnen, und steckte so viel von seiner Uhr hinein, wie zwischen ihre Zähne gehen wollte, während der andere Doktor ihr das Papier vorhält. Als er die Uhr wieder herausnahm, schüttelte sie ihren Kopf und sagte »Nein!« in demselben sonderbaren Tone wie immer. Der alte Herr sprach kein Wort, als er die Uhr wieder in seine Tasche steckte, aber ich sah an seinem Gesichte, dass er überzeugt war, es wäre ganz mit ihrem Gehör vorüber.

»O, bitte, versuchen Sie etwas für sie zu tun, mein Herr!« sagte ich, »o, um des Himmels willen, geben Sie sie nicht auf!« »Meine liebe Seele«, entgegnete er, »Sie müssen ihr ein Beispiel der Fröhlichkeit geben und versuchen, sie bei guter Laune zu erhalten – das ist alles, was jetzt für sie getan werden kann.«

»Die Erschütterung jenes Falles«, fuhr er fort, »hat meiner Meinung nach den Gehörnerven bei ihr gelähmt. Das arme Kind ist glücklicherweise noch zu jung, um viel geistiges Elend bei ihrem körperlichen Unglück zu erleiden. Versuchen Sie sie zu amüsieren und lassen Sie sie sprechen, wenn es Ihnen möglich ist – obgleich ich dies sehr bezweifele.«

»Haben Sie nicht schon bemerkt, dass sie ungern spricht und dass, wenn sie spricht, ihre Stimme verändert ist?« Ich sagte ja und frug ihn, ob der Fall mit daran schuld wäre. Er antwortete, der Fall habe sie, wie man es nennte, stocktaub gemacht, und dies verhindere sie, den Ton ihrer eignen Stimme zu hören; sie könnte nicht im Geringsten wissen, ob die wenigen Worte, welche sie spräche, leise oder laut, dumpf oder deutlich gesprochen würden. »Was das arme Kind selbst anbetrifft«, sagte er, »so könnte sie ebenso gut die Stimme entbehren, denn nur ihr Gedächtnis allein kann ihr sagen, dass sie eine hat.«

Ich brach in lautes Weinen aus, als er das sagte, denn so etwas Schreckliches hatte ich mir doch nicht vorgestellt. »Ich habe mich ein wenig übereilt, indem ich Ihnen das Schlimmste sagte, nicht wahr?« fragte der alte Herr gütig, »aber ich musste Sie belehren, wie Sie es anfangen sollten, dem Unglücke, des Kindes halber, in seiner ganzen Ausdehnung entgegen zu treten, dessen künftiger Trost und dessen Glück größtenteils von Ihnen abhängen.« Und dann schärfte er mir ein, Sorge zu tragen, dass sie ihr Lesen und Schreiben nicht vernachlässige, und sie mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln zu zwingen, sich ihrer Stimme zu bedienen. Er sagte mir, dass sie von Tag zu Tag eine größere Abneigung gegen das Sprechen bekommen würde, gerade weil sie weder ein einziges Wort, das sie spräche, noch einen einzigen Ton ihrer eignen Stimme hören könnte. Er machte mich darauf aufmerksam, dass sie schon jetzt den Wunsch und das Bedürfnis zum Sprechen verlieren, und dass es ihr bald nachher unbedingt Schmerzen bereiten würde, wenn man sie nur zwingen wolle, einige Worte zu sprechen, aber er versuchte und bat mich, meine Vorsicht nicht durch meine Gutmütigkeit besiegen zu lassen, – denn wenn ich dies täte, würde sie ganz sicherlich ebensowohl stumm als taub werden. »Behandeln Sie sie daher in dieser Hinsicht streng, die arme kleine Seele, es wird zu ihrem eignen Besten sein.«

 

Er konnte dies wohl leicht sagen, aber mir war dies fast gänzlich unmöglich. Das liebe Kind, verehrte Frau, schien sich an sein Unglück zu gewöhnen, ausgenommen, wenn wir sie quälten, dass sie sprechen sollte. Es war der traurigste, schönste Anblick auf der Welt, denn ach wie geduldig und wacker ertrug sie vom ersten Augenblick an ihr hartes Los. Als ihr Gesundheitszustand sich besserte, setzte sie mit mir und meinem Manne ihr Lesen und Schreiben ganz sorgfältig fort und ihre ganze liebliche, angeborne Heiterkeit kam wie früher zurück. Und so ist sie seither immer gewesen. – Gott segne sie! Wenn man sie nur freundlich behandelt, so ist sie trotz ihres Unglückes das heiterste, glücklichste kleine Wesen, das man sehr leicht zufriedenstellen kann. —

Ich sah niemals eine Träne in ihren Augen, außer wenn wir sie zum Sprechen zwangen, dann weinte sie immer und war den ganzen Tag über mürrisch und verdrießlich. Es schien schon fürchterlich schwierig und schmerzhaft für sie zu sein, wenn sie nur zwei oder drei Worte sagen sollte. Mein Mann hörte zuerst auf, sie mit Sprechen zu plagen. Er übte Lesen und Schreiben mit ihr, aber ließ ihr in jeder andern Hinsicht ihren eignen Willen und lehrte sie zum Zeitvertreib allerlei Kunststücke, und dies war ein gutes Mittel, ihren Eifer im Lesen und Schreiben aufrecht zu erhalten, da sie natürlich alles, was sie sich einander mitzuteilen hatten, auf eine kleine Schiefertafel schreiben musste, die wir ihr kauften, sobald sie wieder wohl wurde.

Es war Maries eigne Idee, die Schiefertafel immer an ihrer Seite hängen zu haben. Sie hielt sie für ein prächtiges Spielzeug und war sehr stolz darauf. Jemmy, der in solchen Sachen bewandert war, machte ihr einen niedlichen Rahmen von rotem Saffian dazu und veranlasste unsern Requisiteur, denselben mit einem glänzenden goldenen Streifen einzufassen, worauf wir sie ihr an einer kleinen seidenen Schnur umhingen – gerade, wie Sie es jetzt sehen, verehrte Frau!

Ich fuhr ein wenig länger fort, sie zum Sprechen anzuhalten als mein Mann, aber zuletzt gab ich auch nach. Ich weiß, dass es unrecht und egoistisch von mir war, aber ich befürchtete, sie würde mich nicht mehr so gut leiden können wie früher, und würde sich mehr an Jemmy als an mich gewöhnen, wenn ich damit fortführe. Ach wie glücklich war sie am ersten Tage, als ich auf ihre Tafel schrieb, dass ich sie nicht mehr mit dem quälen wollte! Sie sprang auf meinen Schoß und küsste mich wohl tausendmal von ganzem Herzen. Den übrigen Teil des Tages lief sie im Zimmer und im ganzen Hause umher wie ein tolles Ding, und als Jemmy abends von der Vorstellung nach Hause kam, stieg sie aus ihrem Bette und fing an mit ihm herumzutanzen, auf seinem Rücken zu reiten und ahmte die närrischen Gesichter nach, welche sie ihn im Zirkus hatte schneiden sehen. Ich glaube, mein Herr, das war der erste wirklich glückliche Abend, den wir seit der fürchterlichen Zeit, wo sie ihren Unfall erlitt, alle zusammen verlebten.

Vielleicht mein Herr, wünschen Sie zu erfahren, wie sie zum ersten Male dazu kam, ihre Kartenkunststücke im Zirkus zu zeigen. Hierbei war keine Gefahr, das weiß ich – und dennoch würde ich fast alles darum gegeben haben, wenn sie nicht so zur Schau gestellt würde, wie es jetzt geschieht. Es wurde mir aber wieder auf die gemeinste, schändlichste Weise gedroht – ich kann es kaum in der Gegenwart solcher Herren sagen – Jubber, müssen Sie wissen —«

Gerade als Frau Peckover mit sehr schmerzlichem Zaudern die letzten Worte aussprach, schlug die Uhr im Hause des Rektors zwei. Sie hörte es und hielt sogleich inne.

»O, mein Herr, Sie entschuldigen! Schlug es jetzt nicht zwei Uhr?« frug sie und sprang bestürzt auf.

»Ja, Frau Peckover«, sagte der Rektor, »aber nachdem wir Ihnen durch Ihre Erzählung zu so vielem Danke verschuldet sind, können wir unmöglich daran denken, dass Sie und die kleine Marie uns schon verlassen.«

»Wir müssen aber wirklich gehen, mein Herr, und danken Ihnen vielmals, dass Sie uns noch länger bei sich behalten wollen«, erwiderte Frau Peckover. »Ich sagte Herrn Blyth, als ich hierher kam, dass ich mich unter dem Vorwande hierher gestohlen hätte, mit der kleinen Marie spazieren zu gehen. Wenn wir um zwei Uhr zum Mittagsbrot im Zirkus nicht zurück sind, so weiß ich nicht, was Jubber tun könnte. Er ist der grausamste Tyrann – Herr Blyth wird Ihnen sagen, wie schändlich er das arme Kind gestern Abend behandelt hat – wir müssen gehen, mein Herr, ihrethalben, oder sonst —«

»Warten Sie!« rief Valentin und zog Frau Peckover auf ihren Stuhl zurück, »warten Sie! – Ich muss sprechen, Doktor, wenn Sie auch mit dem Kopfe schütteln und die Stirn runzeln – ich muss sprechen, oder ich müsste verrückt werden! Sie sollen nicht aufstehn, Frau Peckover, Sie dürfen jenes kleine Engelskind niemals wieder mit zu Jubber nehmen – nein, niemals! Beim Himmel! Wenn ich mir denken könnte, dass er sie jemals wieder berührte, ich würde wahnsinnig werden und ihn ermorden! – Lassen Sie mich zufrieden, Doktor! Ich bitte um Verzeihung wegen meines ungebührlichen Betragens, Frau Joyce. Seien Sie alle ruhig! Ich nehme das Kind mit mir nach Hause – o Frau Peckover, bitte, sagen Sie nicht »nein«! Ich will sie immer glücklich machen. Ich habe kein eigenes Kind; ich will über sie wachen, sie lieben und sie, so lange ich lebe, unterrichten. Ich habe eine arme, leidende, bettlägerige Frau zu Hause, welche eine solche Gefährtin wie die kleine Marie als den größten Segen betrachten würde, den ihr Gott senden könnte. Helfen Sie mir, Doktor – bitte, sprechen Sie sogleich mit Frau Peckover, wenn Sie nicht wollen, dass ich mein ganzes Leben lang elend sein soll!«

Mit diesen Worten stürzte Valentin hastig in den Garten und eilte gerade nach der Stelle, wo die kleinen Mädchen noch zusammen auf ihrem schattigen Ruheplatze unter den Bäumen saßen.

Die Frau des Clowns hatte während Herrn Blyths Anreden, Ausrufungen und Bitten ganz blass und still gesessen. Sie schien nach seiner Entfernung ganz außer Stande zu sprechen und sah sich nur sehr bestürzt nach dem Doktor um.

»Bitte, Frau Peckover. beruhigen Sie sich«, sagte Doktor Joyce, »und schenken Sie dem, was ich im Begriff bin, Ihnen mitzuteilen, gütigst Ihre Aufmerksamkeit. Vor allen Dingen will ich Sie bitten, Herrn Blyths sonderbares Betragen zu entschuldigen, das Sie erschreckt und erstaunt hat. Er hat eine ungewöhnlich erregbare Natur, die ihn oft verwirrt macht, aber ich kann Sie versichern, dass er es ehrenhaft und aufrichtig in allem meint, was er sagt. Sie werden dies besser verstehn, wenn Sie mir erlauben wollen, Ihnen ruhig den Vorschlag auseinanderzusetzen, welchen er soeben so unverhofft und so verwirrt in seinen eigenen Worten gemacht hat.«

»Einen Vorschlag, mein Herr!« rief Frau Peckover leise aus, erschreckter als zuvor aussehend »einen Vorschlag! O, mein Herr! Sie wollen doch nicht etwa von mir verlangen, dass ich mich von meiner kleinen Marie trennen soll?«

»Ich will von Ihnen nicht verlangen, was Ihr eigener guter Verstand und Ihr gütiges Herz missbilligen mag. Mein Freund, Herr Blyth, fühlt eine solche Zuneigung zu Ihrer kleinen Marie und einen solchen Wunsch, ihr in ihrem großen Unglücke zu helfen, dass er sie zu sich und als seine eigene Tochter annehmen will.«