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»Aber wie gedachten Sie wieder zurückzukommen, nach so vielen Jahren?« fragte Mrs. Peckover.

»Wohl, ich bekam einen guten Haufen Geld durch Goldgraben in Kalifornien«, antwortete er. »Und mein Gefährte sagte eines Tages zu mir: ‚ich sehe nicht, auf welche Art wir unser Geld gut verwenden können, wenn wir noch länger hier bleiben. Was haben wir hier, außer schlechtem Branntwein und Kartenspiel? Lass uns wieder ins alte Land gehen, wo wir alles, was wir wünschen, fürs Geld haben können; und wenn’s alle ist, gehen wir wieder zurück und suchen mehr.‘ Mit solchen Gründen wirkte er auf mich, bis ich mit ihm zurückging. Auf dem Schiffe zankten wir uns, und als wir in den Hafen kamen, ging er seinen Weg und ich den meinen. Als ich mein Vaterland betrat, meine Muttersprache hörte und das Gesicht meiner Landsleute wiedersah, lüftete sich der düstere Nebel in meinem Gedächtnisse allmählich. Dann überkam mich eine Art Furcht vor der Heimat, ich überwand sie und kam in ein paar Tagen an. Als ich zuerst meine Hände an die Kirchhoftür legte, wo ich mich mit Marie in unserer Jugendzeit gar oft zu schaukeln pflegte, – und als ich das alte Vaterhaus wieder erblickte – verschwand all die Zeit, welche ich in den wilden Ländern zugebracht und das zwanzigjährige Wanderleben versank in mir wie ein Tag. Meines Vaters Namen las ich zuerst auf dem Totenhofe. Und als sie mir dann erzählten, Marie sei niemals wieder zurückgebracht worden, sondern vor vielen Jahren in der Ferne unter Fremden gestorben – ach! Das schnitt mir tief ins Leben.«

»Ah! kein Wunder, kein Wunder!«

»Es war mir dennoch ein Wunder. Ich würde den ausgelacht haben, der mir erzählt hätte, was ich hernach in Wirklichkeit als Wahrheit zu hören bekam. Ich konnte es nicht wieder aus mir herausbringen und vermag es jetzt noch nicht. Ich war nicht mehr Herr meiner selbst, als ich zuerst meinen Geburtsort wieder betrat. Und dann zu hören, dass sie tot sei – das schnitt mir tief ins Herz hinein. Und noch tiefer krallte es mir ins Leben, als ich ihre hinterlassenen Sachen in ihrem Koffer durchstöberte. Zwanzig vergangene Jahre kamen näher und immer näher und verwandelten sich bei jedem Dinge, das ich in die Hand nahm, in ein Gestern. Wir hatten eine Laube in unseres Vaters Garten, darin liebte sie abends zu sitzen und zu arbeiten. Ich vergaß diesen Platz schon vor vielen Jahren. Als ich aber ein Stückchen Zeug aus ihrem Koffer nebst Nadel und Zwirn in die Hand bekam – oh! – da erinnerte ich mich wieder deutlich und klar jener Laube und sah sie in schönen Sommerabenden sitzend singen und arbeiten.«

»Ach! teure Erinnerungen!« seufzte Mrs. Peckover, »ich wünschte, ich hätte sie sitzen sehen können. Sie war so glücklich, ich darf es sagen, wie der Vogel auf dem Baum. – Aber da ist noch ein Ding, was ich nicht begreifen kann, fügte sie hinzu. – Wie sind Sie dazu gekommen, alles über Mariens Kind zu wissen?«

»Alles? Nicht alles wusste ich, als ich das Kind selbst sah. Ausgenommen, dass das arme Wesen lebensfähig geboren sei, wusste ich weiter gar nichts. Vom Kind hatte ich gar keine Vorstellung, als ich nach London kam. Mich quälte nur der einzige Gedanke, wie des Mannes Spur zu entdecken sei, der Mariens Tod herbeigeführt —«

»Ja, ja«, sagte Mrs. Peckover dazwischen redend, um ihn von dem gefährlichen Gegenstande wieder abzubringen, als sie die Änderung seiner Stimme bemerkte und den wilden Glanz seiner Augen wieder aufflackert sah. »Ja, ja – aber wie kamen Sie dazu, das Kind zu sehen? Sagen Sie mir das!«

»Zack führte mich in des Malers Gemäldesaal —«

»Zack! Ei, gnädiger Himmel! Meinen Sie Master Zacharias Thorpe?«

»Ich sah ein junges Frauenzimmer unter einer Masse Leute stehen, welche es aber verwundert anstaunten, fuhr Mat weiter fort, ohne die Unterbrechung zu beachten. Dicht in ihrer Nähe sah ich sie so klar, als ich Sie jetzt sehe. Ich schaute ihr – Angesicht gegen Angesicht – ins Auge, – Staunen erfasst mich! – Mariens Kind lebt, ist empor geblüht und hier steht es vor mir! – sagte ich zu mir selbst.«

»Aber, bitte, sagen Sie mir, wie Sie Master Zack kennen lernten?«

»Ich sagte zu mir, das ist Mariens Kind!« wiederholte Mat mit seiner vollen Bassstimme, während seine Aufmerksamkeit weit, weit abschweifte. »Zwanzig verschwundene Jahre waren mir dem gestrigen Tage gleich, als ich wieder auf den alten Platz kam. Und Dinge, welche mir schon längst aus dem Gedächtnis entschwunden waren, erinnerte ich mich wieder, als ich das Kirchhoftor und das geliebte Vaterhaus erblickte. Hier hatte Marie gespielt und gearbeitet, dort gesungen und gesprungen – all das längst Vergessene stand wieder klar vor meiner Seele; und als ich das Antlitz jenes jungen Frauenzimmers erblickte, da verschwand aus meinem Geiste auch der letzte Rest des Nebels.«

»Und wollen Sie ihr wirklich nicht wissen lassen, wer Sie sind? – Sagen Sie mir das gewiss, – obgleich Sie nicht ein Wort über Zack sprechen.«

»Wenn ich wieder in das wilde Land zurückreise, werde ich ihr einfach sagen: ich bin Deiner Mutter Bruder und Du bist mein einziges Fleisch und Blut, das ich allein in der Welt zurücklasse. Gib mir die Hand und einen Kuss um Deiner Mutter willen und dann werde ich Dich nicht wieder belästigen. Das werde ich zu ihr sagen, bevor ich zurückgehe und sie für immer aus dem Gesicht verliere.«

»Oh, Sie werden nicht wieder zurückgehen. Sagen Sie nur Mr. Blyth, dass Sie dieselbe nicht von ihm nehmen wollen, – und dann können Sie sagen, ich bin Mr. Grice und —«

»Halt! Machen Sie nicht ein Gerede über Mr. Grice.«

»Warum nicht? ist es nicht Ihr wahrer Name, nicht Ihr gesetzlicher Name?«

»Gesetzlich genug, ich darf es sagen. Aber ich liebe nicht den Klang desselben, obgleich es mein wirklicher Name ist. Vater schrieb mir, dass er sich dessen schäme; und ich fürchtete mich, ihn zu führen, nachdem ich vom Schiffe desertiert war. Ein widriges Geschick hat diesen Namen von Anfang bis zu Ende verfolgt. Ich habe ihn schon vor vielen Jahren abgelegt und werde ihn auch niemals wieder führen. Nennen Sie mich Mat. Nehmen Sie es so leicht mit mir, als wenn ich Ihr Verwandter wäre.«

»Wohl an denn – Mat«, sagte Mrs. Peckover lächelnd. »Ich habe noch so viele Dinge zu fragen —«

»Ich wünsche, dass Sie sich bis morgen gedulden können«, erwiderte Mut. »Ich habe schon zu viel gesprochen, mehr als ich gewohnt bin. Ich bedarf der Ruhe für meine Zunge, aber der Arbeit für meine Hände. Haben Sie etwa ein Fußmaß in Ihrem Hause?«

Als er von Mrs. Peckover gefragt wurde, weshalb er einen Zollstab begehre, erwiderte er, dass er ängstlich besorgt sei, das Kreuz auf seiner Schwester Grabe zu erneuern. Er bedürfe des Zollstabes, um die Dimension des alten Kreuzes zu messen, und dann wünschte er, zu einem Holzhändler gewiesen zu werden, wo er ein Stück neues Holz kaufen könnte, und im Besitz desselben würde er dann Mrs. Peckover nicht wieder belästigen. So außerordentlich ihr auch diese Caprice erschien, so willfahrte die gute Frau ihm dennoch, weil sie sah, dass er ganz von ihr beherrscht ward. Sie besorgte ihm den Zollstab, wies ihn zu einem Holzhändler und dann schieden sie, nachdem Mat versprochen hatte, gegen Abend wiederzukommen.

Nachdem er das alte Kreuz auf dem Totenacker gemessen hatte und dann beim Holzhändler erschien, konnte er durchaus nicht leicht befriedigt werden. Niemals war wohl die feinste Lady diffiziler in der Wahl ihrer Kleiderstoffe hinsichtlich der Muster, Gewebe und Farbe, als es Mat beim Aussuchen des Holzes für Marias Kreuz war. Zuletzt wählte er ein Stück Walnussholz, und nachdem er den verlangten Preis ohne zu handeln bezahlt hatte, erkundigte er sich nach einem Zimmermann, wo er sich Werkzeug mieten könnte. Ein Mann, welchem Geld zur Verfügung steht, kann über alles kommandieren. Noch vor Abend hatte Mat das gewünschte Werkzeug, einen trockenen Schuppen zum arbeiten und in der Nähe ein komfortables Wohnzimmer für sich allein zur Verfügung.

Hinreichend geschickt in allen gewöhnlichen Zimmermannsarbeiten, wie er war, hätte er diese Arbeit in einem Tage vollenden können. Aber ein absonderlicher Eigensinn, eine ganz unbeschreibliche Ängstlichkeit über die kleinste Kleinigkeit, verzögerte die Arbeit um mehrere Tage. Mrs. Peckover, welche jeden Morgen erschien, um zu sehen, wie weit das Werk gediehen war, erstaunte über die gar zu große Langsamkeit Mats. Zuerst war er wirklich krankhaft skrupulös hinsichtlich der Glätte und Reinheit. Nachdem er es hinreichend geschabt und dem andern aufrecht stehenden Teile angepasst, und nachdem er, auf Anraten der Mrs. Peckover dieselben Buchstaben des alten Kreuzes »M. G.« mit dem Todesjahr »1828« eingeschnitten hatte – war er wieder mit einer unvernünftigen hartnäckigen Einbildung über die Ausschmückung des Brettes behaftet. Trotz allen Einwendungen der Mrs. Peckover schnitt er auf die eine Seite einen Anker und auf die andere eine indianische Streitaxt – es waren dies seine Lieblingsgegenstände. Und nach Vollendung dieser ganz außerordentlichen Ornamente konnte er es aber immer noch nicht über sich gewinnen, das Brett an seiner eigentlichen Stelle zu befestigen. Zärtlich wie zaudernde Künstler und Schriftsteller ihre Werke immer und immer wieder prüfen und betrachten, so zauderte und prüfte auch Mat viele Tage das Brett zum Monument seiner armen Schwester. Er glättete es sorgfältig mit Sandpapier, rieb es fleißig mit Leder und polierte es dann ängstlich mit Öl, so dass zuletzt Mrs. Peckover alle Geduld verlor. Sich auf den Einfluss stützend, den sie über ihn gewonnen hatte, drang sie auf Beendigung seines Werks. Während er ihr nun gehorchte, blieb er dennoch seinem ersten Entschluss treu. Er hatte gesagt, dass keine Hand ihm bei der Arbeit helfen solle; und sein Wort hielt er, denn er trug das Brett selbst auf den Kirchhof.

In dieser ganzen Zeit blickte er nicht einmal auf die Haarlocke, welche er vor einigen Tagen so oft betrachtet hatte. Es existierte keine Gemeinschaft mit dem Gedanken an Marias Monument und dem Verfolgen der Spur Arthur Carrs, während er an seinem Wackelbrett arbeitete. Als er aber das Brett an den Stamm genagelt und dadurch das Kreuz wieder hergestellt, als er den Schmutz und die Brombeersträucher weggeräumt und einen hübschen kleinen Fußpfad um den Hügel gemacht hatte, – da beschaute er sein Werk von allen Seiten und überzeugte sich mit großer Genugtuung, dass nichts mehr daran zu verbessern sei. Aber kaum war dies geschehen, als auch schon wieder die mächtige, rastlose, nie und nimmer ruhende Leidenschaft in seiner Brust empor loderte. Seine Hände begannen in der Tasche nach der Haarlocke zu suchen, und als er Mrs. Peckover begegnete, war das erste Wort, die Anzeige seiner Abreise nach Dibbledean.

 

Sie hatte ihren Einfluss über ihn noch dadurch befestigt, dass sie beim Pfarrer von Bangbury die Erlaubnis für ihn erbeten hatte, das Grab seiner Schwester ohne Hindernis verschönern zu dürfen. Auch hatte sie ihn zum Geständnis mancherlei ihn betreffender Verhältnisse beredet, über die er beim ersten Zusammentreffen jede Auskunft verweigerte. Aber wenn sie versuchte, seine Absicht zu durchdringen, weshalb er Arthur Carr so eifrig nachspüre, so verfehlte sie ihr Bemühen ganz und gar und erlangte auch nicht ein Wort der Erklärung, ja, sie erhielt nicht einmal eine Silbe zur Antwort. Als er ihr sein Lebewohl sagte, schärfte er ihr noch ganz besonders ein, nichts zu Mr. Blyth über ihr Begegnen zu sagen, bis sie von ihm weiter hören oder ihn wiedersehen würde. Dann dankte er ihr noch vielmals für die seiner Schwester erwiesene Güte und Barmherzigkeit und ging.

Schon war er vierzehn Tage von London abwesend, als er abermals nach Dibbledean reiste, um den versteckten Mann aufzusuchen, über welchen er in Johanna Grices hinterlassenen Papieren Aufschluss zu erlangen hoffte.

Das Erstaunen und die Freude Mr. Tatts waren groß, als Matthias in dem Charakter eines Klienten vor der selten besuchten Geschäftstür erschien und sich als den einzigen überlebenden Sohn des alten Josua Grice zu erkennen gab. Die Freude des Advokaten flutete plötzlich in einen wahren Strom von Gratulationsworten über, so dass Mat zuerst wirklich davon überschwemmt und niedergedrückt wurde. Doch erholte er sich bald. Während nun Mr. Tatt bemüht war, durch eifriges Fragen die Identität seines Klienten und sein Recht auf die Erbschaft festzustellen, gebot ihm Mat Stillschweigen und erklärte so plump als gewöhnlich, dass er nicht nach Dibbledean gekommen sei, um Geld zu holen, sondern um in den Besitz der hinterlassenen Papiere der Johanna Grice zu gelangen. Diese höchst sonderbare Erklärung veranlasste einen langen Discours, bei welchem aber Mat die Geduld verlor und einfach sagte, er werde alle gerichtlichen Hindernisse bei Seite setzen, selbst zu Mr. Nawby gehen und ihn um Erlaubnis zur Einsicht in die verschiedenen Dokumente bitten, welche die alte Johanna Grice hinterlassen habe.

Nicht aus schlechter Absicht stellte Mr. Tatt dies Verfahren als unpassend, unverständig, gegen die Etiquette verstoßend und in jeder Hinsicht als verderblich dar. Während er noch sprach, war Matthias schon vor der Tür und Mr. Tatt, welcher diesen schrecklich unlenksamen Klienten nicht aufgeben wollte, war genötigt, ihm nachzurennen.

Mr. Nawby war ein außerordentlich hochmütiger, steifer Gentleman, hasste und verachtete Mr. Tatt so bitter, als es die Menschlichkeit nur irgend zulässt. Es ist kein Zweifel, er würde der höchst irregulären Visite mit der größten Kälte und Verachtung entgegen getreten sein, wenn ihm nur Zeit gelassen wäre, seine steife Würde zu bewahren. Aber bevor er nur ein einzig Wort sprechen konnte, trat Mat in seiner schroffen Art hervor – was auch Mr. Tatt dagegen tun mochte – und sagte, dass er nicht käme, um jemand wegen Geldsachen zu belästigen, sondern er wünsche nur die hinterlassenen Briefe und Schriften der verstorbenen Johanna Grice in einer Absicht durchzusehen, welche für niemand anders das geringste Interesse hätte, als nur für ihn selbst.

Unter gewöhnlichen Umständen würde Mr. Nawby einfach erklärt haben, keine Verbindung mit Mat anzuknüpfen, bevor nicht seine Identität gesetzlich festgestellt sei, aber der große, glänzende Rechtsanwalt von Dibbledean hegte einen gar zu großen Hass gegen den kecken Abenteurer, welcher sich gegen ihn in Praxis gesetzt hatte. Daher entschloss er sich, bei dieser Gelegenheit von der strengen juristischen Form nur in der expressen Absicht abzuweichen, um Mr. Tatt die Aussicht auf so und so viel Taler für Rat und Bemühung gänzlich zu benehmen. Als Mat gesprochen hatte, bewegte er seine Hand feierlich und sagte: »Warten Sie einen Moment, Sir«, dann klingelte er und beorderte seinen ersten Schreiber herein.

»Seht, Mr. Scutt«, sagte Mr. Nawby stolz zu seinem Schreiber, »haben Sie die Güte, hier Zeuge zu sein, erstens: dass ich gegen die Visite Mr. Tatts protestiere und sie als unanständig, unprofessionell, plump und geschäftsstörend erkläre. Zweitens: dass ich die Identität dieser Person nicht anerkenne und nie zulassen werde, (auf Mat zeigend) und dass ich protestiere und pro forma verneine, dass der die Person sei, für die er sich ausgibt. Sie haben mich verstanden, Mr. Scutt?«

Mr. Scutt verbeugte sich höflich und Mr. Nawby ging pomphaft auf und ab.

»Wenn Ihre Geschäftsverbindung, Sir, mit jener Person«, sagte er zu Mat und zeigte auf Mr. Tatt, »nur aus der Absicht angeknüpft ward, welche Sie mir soeben mitteilten, so bitte ich Sie, sich zu informieren, (Sie werden verstehen, dass ich Ihr Recht zu einer solchen Information und Frage verneine), dass die verstorbene Mis Grice weder Briefe noch andere Schriften hinterlassen hat. Ich zerstörte sie alle während ihrer Krankheit und in ihrer Gegenwart, und hauptsächlich auf ihren eigenen Wunsch, welchen sie mir schriftlich übergab. Mein Hauptschreiber hier, welcher zugegen war und mir assistierte, wird meine Aussage bekräftigen, wenn Sie’s wünschen. Verfolgen Sie nun mit Ihrem Anwalt diese Sache, wenn es Ihnen beliebt.«

Mat horchte aufmerksam auf jene Worte, aber auf weiter nichts. Es entstand ein heftiger Streit zwischen den beiden Anwälten – aber er berührte kaum sein Gehör. Mr. Tatt nahm ihn beim Arm und führte ihn, fortwährend redend, heraus, jedoch hatte er nicht die geringste Aufmerksamkeit auf Mr. Tatts fließende Redewendungen. Alle seine Geistesfähigkeiten und sein ganzes Seelenleben schienen nur auf die eine Betrachtung konzentriert zu sein: »Habe ich jetzt wirklich die letzte Spur von Arthur Carr verloren?«

Als sie auf die Straße kamen, ward sein Geist wieder etwas frei und er begann nun die Notwendigkeit zur Entscheidung über seine zukünftige Aktion zu fühlen. Nicht nur, dass seine letzte Hilfsquelle fehlgeschlagen war, was sollte er überhaupt zunächst tun? Es war nutzlos, nach Bangbury, zurückzugehen, und nutzlos, in Dibbledean zu bleiben. Doch fand er es besser, irgendwohin zu gehen, als unentschlossen und untätig auf dem Schauplatz seiner Niederlage zu verharren.

Er stockte plötzlich und sagte: »Es ist nicht gut Warten Sie hier jetzt, ich will nach London zurückreisen«, und im Augenblick befreite er sich von Mr. Tatts Arm. Er fand es keineswegs so leicht, sich von Mr. Tatts juristischen Diensten zu befreien.

»Verlassen Sie sich auf meinen Diensteifer!« rief dieser energische Rechtsanwalt und verfolgte ihn hartnäckig bis zur Eisenbahnstation. »Wenn Gerechtigkeit in England herrscht, so muss Ihre Identität geprüft und Ihre Rechte müssen respektiert werden. Ich werfe mich ganz auf die Sache, mit Leib und Seele. Geld, Gerechtigkeit, Moralität und – einen Augenblick, mein teurer Sir! Wenn Sie wirklich nach London reisen müssen, so lassen Sie mir wenigstens Ihre Adresse hier und bestätigen Sie, ob Sie in der Kirche zu Dibbledean getauft worden sind. Mehr bedarf ich nicht, um zu beginnen – auf mein Ehrenwort, mehr bedarf ich nicht.«

Um seinen freiwilligen Rechtsanwalt bald los zu werden, willigte er in alles und übergab seine Adresse nebst Angabe seiner Wohnung in Kirk Street.

Ungeduldig sagte er ja zu der Frage, ob er in der Kirche zu Dibbledean getauft sei, dann eilte er fort und ließ Mr. Tatt auf der Straße stehen. Dieser schrieb das eben Gehörte in sein Notizbuch.

Sobald Mat allein war, überfiel ihn wieder mit erneuter Heftigkeit die quälende Frage: »Habe ich die letzte Spur von Arthur Carr verloren?« Obgleich grausame Erfahrungen seine früher begangenen Widersprüche offen darlegten, so hielt er dennoch an seinem eigensinnigen verzweifelten Aberglauben jetzt mehr denn je fest. Noch einmal holte er auf dem Wege die Haarlocke aus der Tasche und betrachtete sie hartnäckig. »Ich werde ihn finden«, dachte Mat, welcher allein in einem Eisenbahnwagen saß. »Wo er sich auch verborgen haben mag – ich werde ihn dennoch finden!«

Siebentes Kapitel – Die Spur von Arthur Carr

Während Matthias Grice rückwärts und vorwärts zwischen den verschiedenen Städten herumreiste, war das Leben seines jungen Freundes und Gesellschafters in der Metropolis keineswegs ohne Zufall und Wechsel geblieben. Zack hatte seine Abenteuer so gut erlebt wie Mat. Eins davon war ganz besonderer Natur und führte zu einem solchen Resultat, dass dadurch eine wesentliche Veränderung in der Häuslichkeit des Logis zu Kirk Street eintrat.

Treu seinem gegebenen Versprechen, präsentierte sich Zack am Morgen der Abreise seines Freundes gegen elf Uhr in Mr. Strathers Hause, überreichte sein Empfehlungsschreiben und ward von diesem Gentleman noch am Vormittage als Student des Classisch-Schönen-Ideals in die Statuenhalle des Britischen Museums eingeführt. Er arbeitete resolut genug, bis die Zimmer geschlossen wurden; dann kehrte er nach Kirk Street zurück, keineswegs sehr erfreut über die neue Beschäftigung; doch wollte er fest darin ausharren, weil er beschlossen hatte, sein Wort zu halten.

Jedoch gewann sein Kunstleben ein ermutigendes Ansehen, als Mr. Strather ihn am Abende in die Little-Bilge-Street-Academie einführte. Hier dienen lebende Menschen als Modelle zum Studium. Hier war er frei im Gebrauch der Palette und konnte alle möglichen Farben mischen. Hier fand er hochstrebende Studenten der schönen Kunst, leicht in Sitten und malerisch in der Tracht, mit denen er sehr bald intim wurde. Und hier – die Krone des Vergnügens – hier fand er einen herkulischen Boxer als Modell sitzend, mit dem er freudevoll eine ewige Boxerfreundschaft schloss, und zwar sogleich bei seiner ersten Anwesenheit in Mr. Strathers Akademie.

Durch die übrigen folgenden Tage seiner Probezeit arbeitete er mit außerordentlicher Entschlossenheit, aber mit unendlich kleinen Fortschritten. Er schmierte mit großer Betriebsamkeit unter Mr. Strathers Oberaufsicht die ganzen Abende hindurch, bis die Sitzung geschlossen ward. Es wäre aber dann besser für ihn gewesen, wenn er sogleich nach Niederlegung seines Pinsels nach Hause gegangen wäre, aber in einer unglücklichen Stunde lungerte er noch in Little-Bilge-Street herum, als seine Abendstudien schon vorüber waren. Er schwatzte mit dem Boxermodell und willigte in einem unbewachten Augenblicke ein, bei einer Fechtübung in einer benachbarten Taverne als Patron zu fungieren.

Bei keiner andern Gelegenheit zeigen diese Gentlemen mehr Freiheit und Unabhängigkeit (besser gesagt: Unbändigkeit) des Geistes als bei solchen Gelegenheiten der scherzhaften Preiskämpfe unter einem selbstgewählten Patron. Sie lärmen und schreien unaufhörlich, suchen eines Patrons Taschen und Hut zu bekommen, um sich zu maskieren, unterwerfen aber schließlich ihren selbstgewählten Schutzherrn jeder Art von körperlicher Misshandlung. Zack natürlich sollte ebenfalls die hohe Ehre, als Patron einer gemischten Klopffechtergesellschaft fungiert zu haben, teuer genug bezahlen. Nachdem der Faustkampf eine Zeit lang ordnungsmäßig geführt war, wurde er plötzlich durch einen der Patrone (ebenfalls ein Schüler der Bilge-Street-Academie) mit der Erklärung unterbrochen, dass seine Tasche entwendet sei und er darauf bestehe, dass die Tür geschlossen und die Polizei ihre Tätigkeit beginnen solle. Große Aufregung und Störung entstand, wobei aber Zack die Bitte seines Kameraden zu warm unterstützte. In geringer Entfernung saß ihm ein Gentleman gegenüber, welcher ein Pflaster über dem Auge und eine an drei Stellen geschundene Nase hatte. Dieser schwor, dass der junge Thorpe ihn persönlich beleidigt, weil er ihn als Dieb bezeichnet habe, und indizierte seine Ehrlichkeit und seinen moralischen Wert dadurch, dass er einen Käseteller an Zacks Kopf warf. Der Teller traf an der Seite des Kopfes, zerbrach daran und verursachte eine sehr große gefährliche Wunde.

Der Chirurg, welcher zuerst Zacks Wunde verband, hielt sie für nicht gefährlich. Als er aber in Kirk Street angekommen und ein nahe wohnender Arzt zu ihm gerufen war, erklärte dieser den Zustand für höchst bedenklich. Die Wunde befand sich zwar nicht an einer sehr gefährlichen Kopfstelle, aber sie war Zack in einem Augenblick hergebracht, wo dessen große Vollblutkonstitution durch geistige Getränke bedenklich aufgeregt gewesen war. Böse Fiebersymptome traten ein und in der Nähe der Wunde kamen Anzeichen zum Vorschein, über welche der Arzt ominös den Kopf schüttelte. – Kurz gesagt, Zack ward bettlägerig, bekam eine so gefährliche Krankheit, wie er sie noch nie in seinem Leben gehabt, und hatte außer – seiner Hauswirtin keine einzige Person zur Pflege.

 

Ein Glück für ihn war es, dass sein geschickter und erfahrener Arzt des Patienten Jugend und Kraft mit als Beistand seiner ärztlichen Behandlung gebrauche. In Zeit von zehn Tagen war der junge Thorpe außer Fiebergefahr.

Unglücklich, schwach und herabgekommen, wollte er seine Mutter durch seine Krankheit nicht beunruhigen. Ohne Valentins Trost und ohne Mats Amüsement sanken seine Lebensgeister immer tiefer und tiefer; seine Niedergeschlagenheit ward so groß, wie noch nie im Leben. In diesem Zustande der Schwäche, Einsamkeit und Gedrücktheit hatte er Momente, wo er an seiner Genesung ganz und gar verzweifelte, trotz der besten Versicherungen des Arztes. Aber noch mehr quälte ihn in dieser Gemütsstimmung der letzte traurige Bericht über die Krankheit seines Vaters. Er verdammte sich bitter, dass er seit seiner Flucht nicht eine einzige Zeile an ihn geschrieben und seine Verzeihung erbeten habe. Gegenwärtig war er zu schwach, die Feder zu führen, aber des Tabakhändlers Frau – eine gutherzige Person – war stets bereit alles zu tun, womit sie ihm dienen konnte. Er bat sie, sein Herz dadurch etwas zu erleichtern, dass sie einen reuevollen Brief für ihn an seinen Vater schrieb und denselben sogleich an seine Adresse in Baregrove-Square absenden möge. Sie war schon lange die Vertraute seiner häuslichen Trübsal geworden, (er erzählte dieselbe natürlich jedermann, mit dem er in Berührung kam) und zeigte demzufolge durchaus kein Erstaunen – ja sie war im Gegenteil über das Bekenntnis seiner Reue sehr erfreut. Unter Tränen und mit stotternder Stimme diktierte er ihr nun folgenden Brief: —

»Mein teurer Vater!

Ich bin sehr betrübt, dass ich niemals an Dich geschrieben und mir Deine Verzeihung erbeten habe. Ich bitte Dich jetzt von ganzem Herzen um dieselbe denn ich bin in der Tat jetzt sehr reuevoll und über mich selbst beschämt. Willst Du mich einer andern, aber nicht zu harten Prüfung unterwerfen, so werde ich mein Bestes tun und Dir niemals wieder Veranlassung zur Betrübnis geben. Daher bitte ich Dich, schreib mir nach 14 Kirk Street, Wendover Market, wo ich mit einem Freunde zusammenwohne, welcher sehr gütig gegen mich gewesen ist. Bitte gib an meine Mutter die Versicherung meiner innigen Liebe und glaube mir, dass ich bin Dein wahrer reuevoller Sohn

Z. Thorpe junior

Nachdem er durch diesen Brief sein Herz ein wenig erleichtert hatte und fand, dass seine Hauswirtin sehr bereitwillig war, noch einen zu schreiben, so entschloss er sich auch ein paar Zeilen an Mr. Blyth zu senden, welcher nach seiner Berechnung jetzt vom Lande zurückgekommen sein mochte. An jenem Abend, wo er schwer verwundet nach Hause gebracht ward, hatte er gebeten, dass sein Zustand vor Mrs. Blyth, die seine Adresse wusste, geheim gehalten werden sollte, im Fall sie nach ihm schickte. Dies vorläufige Wort der Vorsicht war nicht nutzlos gesprochen. Ungefähr drei Tage später kam ein Briefchen von Mrs. Blyth, worin sie ihm Vorwürfe machte, dass er seit Valentins Abwesenheit noch nicht wieder im Hause gewesen sei, und ihn zugleich zum Tee für den Abend einlud. Der Bote, welcher auf Antwort wartete, wurde mit der schlauesten mündlichen Entschuldigung, welche die Hauswirtin für diesen Fall ausgedacht hatte, zurückgeschickt, und seitdem kamen keine Einladungen wieder. Mrs. Blyth war zweifellos nicht wohl befriedigt über die kühle Manier, mit der ihre Einladung abgelehnt worden war.

In der gegenwärtigen Beschaffenheit seines Geistes machte ihm aber sein Gewissen Vorwürfe, dass er Valentin betrügen und sein Malheur geheim halten wollte. Außerdem, dass Mats lange Abwesenheit ihn auf den Gedanken brachte, als sei er von Kirk Street für immer desertiert, – belebte den herzenskranken Zack nur noch die Hoffnung, des Malers geniales Angesicht an seiner Bettseite zu sehen. Daher beschloss er diesem ältesten, wohlwollendsten und mitleidigsten Freunde das zu bekennen, was er seinem Vater nicht einmal anzudeuten wagte.

Das Briefchen, welches er nun seiner Hauswirtin diktierte, war ebenso kindisch, als das an seinen Vater. Er lautete:

Mein teurer Blyth!

Ich fange beinahe an, zu wünschen, dass ich niemals geboren wäre; denn ich bin wieder in eine andere Klemme gekommen, in der ich von einem Boxer mit einem Käseteller an den Kopf geworfen wurde. Es war unrecht von mir, dass ich dahin ging, ich weiß es. Ich ging zu Mr. Strather, just wie Sie mir sagten, und zeichnete – in der Tat! Bitte! kommen Sie, sobald Sie zurückgekehrt sind. – Ich sende Ihnen diesen Brief und bin sicher, Sie einmal hier zu sehen. Ich bin so krank, so einsam und noch zu schwach, um das Bett verlassen zu können.

Meine Hauswirtin ist sehr gütig und wohlwollend gegen mich; aber hauchen Sie mich nicht an, denn ich bin so schwach, dass ich mich kaum des Weinens enthalten kann, wenn ich an den Vorfall denke.

Ewig Ihr
Z. Thorpe junior

P. S. Wenn Sie etwas Geld für mich empfangen haben, so würde ich mich sehr erfreuen, wenn Sie es mitbrachten. Ich habe nicht einen Viertelpenny und doch mancherlei zu bezahlen.

Nachdem beide Briefe gehörig versiegelt und adressiert waren, wurden sie durch einen expressen Boten abgeschickt. Sie waren an demselben Tage geschrieben worden, wo Matthias Grice die Advokaten Mr. Tatt und Mr. Nawby in Dibbledean besuchte. Während nun Zacks Briefe auf dem Wege nach ihrer Bestimmung waren, war auch sein alter Freund Mat auf dem Retourwege nach London und Kirk Street.

Baregrove-Square lag dem Boten näher als Valentins Haus; demzufolge hatte er das hochwichtige Schreiben um den väterlichen Pardon zuerst abzuliefern. Von dessen günstiger Aufnahme hing Zacks letzte Chance der häuslichen Versöhnung ab.

Mr. Thorpe saß allein in seinem Speisezimmer – in demselben Zimmer, worin er so viele beschwerliche Jahre gesessen und mit dem alten Mr. Goodworth über seines Sohnes Erziehung disputiert hatte. Mrs. Thorpe war wegen einer starken Erkältung auf ihr Zimmer beschränkt und konnte ihm deshalb nicht Gesellschaft leisten. Der Arzt hatte ihn soeben verlassen; Freunde waren auf ärztlichen Rat im allgemeinen verbeten, um ihn nicht zu reizen. Er war einsam und hatte die Aussicht – auch den übrigen Rest seiner Tage einsam verleben zu müssen. Vor ihm auf der Tafel lag ein Band Autographen. Er hatte sie eben durchgesehen, ob irgendetwas zu reinigen oder zu reparieren sei. Daneben lag seine Kamelhaarbürste, ein Mikroskop und nicht weit davon stand ein Fläschchen mit Gummiwasser. Die große Zerrüttung des Nervensystems, woran er nach des Doktors Aussage litt, zeigte sich oft sehr peinvoll, teils in seinen Handlungen, teils in seinen Blicken. Beim geringsten unerwarteten Geräusch in seinem Hause erschrak er, seine fahlen, gelblich-weißen Hände zitterten, wenn er sie von der Tafel emporhob, seine Wangen waren bleich und seine Augen wanderten fortwährend unsicher hin und her.