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Eine Vorsicht indes, und nur eine einzige, beobachtete Zack, während er die gefährlichen Vergnügungen genoss, in die ihn die väterlichen Verbote und seine eigene Verderbtheit führte. Er trug Sorge, stets nüchtern genug zu bleiben, um sicher wieder zu Hause zu sein, bevor die Dienerschaft wieder aufgestanden war, und sich auf die Geschicklichkeit seiner Hand und die Leichtigkeit seiner Füße verlassen zu können, wenn er die Tür verschloss und für ein paar Stunden nach seinem Schlafgemach hinaufhuschte. Die Kenntnis des gefährlichen Schwächezustandes, in welchen er leicht beim Trinken geriet, bestimmte ihn ganz von selbst zur Mäßigkeit und Selbstbeherrschung, soweit es sich um geistige Getränke handelte. Das erste Glas Grog stärkte ihn, das zweite regte ihn angenehm auf, das dritte machte ihn, wie er aus früherer Erfahrung wusste, mit einem Mal matt und raubte ihm heimtückisch den nüchternen Sinn.



Aber so tapfer er bisher allen Lockungen widerstanden hatte, in der beständigen Versuchung zu Ausschweifungen, welche dieses dritte Glas ihm bereitete, lag doch für Zack die große Gefahr, sich selbst zu betrügen und folglich sein eigner Verräter zu werden, lauernd im Hinterhalt, bis seine Schwäche unterliegen würde, wie sie bereits andern Versuchungen unterlegen war. Dreimal, viermal wöchentlich, beinahe einen ganzen Monat hindurch hatte er in völliger Straflosigkeit das Vergnügen der heimlichen Nachtschwärmerei genossen, es selbst vor seinem Freunde Mr. Blyth geheim haltend, der, wie er wohl wusste, es trotz seiner ausgedehnten Toleranz keineswegs billigen würde, dass er bis zwei Uhr morgens in Wirtshäusern sich herumtrieb, während sein Vater ihn ruhig im Bette glaubte. Seine schlechte Aufführung, obschon er leichtsinnig darin verharrte, hatte doch keineswegs das letzte und schlimmste Resultat, ihn bis zur Unmöglichkeit der Besserung zu verderben, herbeigeführt. Er hatte noch Schamgefühl genug, um über seine erfolgreiche Heuchelei zu erröten, wenn er sich in der Gesellschaft seiner Mutter befand.



Aber die Umstände entfernten ihn leider zu sehr von seiner Mutter und so vertrocknete der Keim des bessern Gefühls, der nur unter ihrem Einflusse sich entfaltete, und der, wenn er zur vollen Entwicklung gekommen wäre, sicher zu seiner Besserung geführt hätte. Täglich war er im Geschäft, und das verdrießliche Leben, das er hier führte, machte ihn nur geneigt, mit boshafter Freude an die Kurzweil der Nacht zu denken. Am Abend fand denn Thorpe es häufig geraten, ihm eine ernste Predigt zu halten und zu verhüten, dass der bekehrte Sünder aus Mangel an einer kleinen moralischen Zurechtweisung rückfällig würde. Auch Yollop blieb in der Anwendung ähnlicher Vorsichtsmaßregeln nicht zurück, denn ihm lag vor allem daran, den Neubekehrten sich nicht wieder entschlüpfen zu lassen, nachdem er ihn einmal gefangen hatte. Jedes Wort, das diese beiden Herren sprachen, diente nur dazu, das Herz des jungen Mannes noch mehr zu verstocken und den heilsamen Einfluss, welchen die liebevollen Blicke und die vertraulichen Worte seiner Mutter auf ihn ausübten, zu ertöten. »Ich würde dadurch nichts gewinnen, selbst wenn ich mein Leben ändern könnte«, dachte Zack boshaft und ärgerlich, wenn sein Vater oder seines Vaters Freund ihn mit einer kleinen Moralpredigt bedachten; »da zerren sie nun wieder an ihrem musterhaft guten Jungen herum, um ihn besser zu machen!«



Das war, der Punkt, bis zu welchem die Trübsal Zacks gestiegen war, das waren die Kämpfe, welche er zu bestehen hatte, das die Vergehungen, welche er sich zu Schulden kommen ließ, und das die zweifelhafte Natur seines häuslichen Verkehrs zu der Zeit, als jener sanguinische Künstler Valentin Blyth den Entschluss fasste, in dem Zimmer seiner Frau eine Privatzeichenakademie zu errichten in der doppelten Absicht, um seinen Familienkreis am Abend zu unterhalten und seinem wilden Freund Festigkeit zu lehren, indem er nach Gipsabgüssen zeichnen lehrte.



Zwölftes Kapitel – Eine Privatzeichenakademie

Obschon den gewöhnlichen Beschäftigungen und Interessen des Lebens gegenüber der sorgloseste und gutmütigste Mensch von der Welt war doch Blyth das Ungestüm selbst – ein wahrer Heißsporn unter den Malern – sobald seine Kunst im Spiele war. Was immer seine speziellen Fachpläne sein mochten, er ruhte nicht, bis sie auf der Stelle entweder vollständig ausgeführt oder vollständig gescheitert waren. Hätte es ihm freigestanden, nach seinem Kopfe und ohne Rücksicht auf andere zu handeln, so wäre sein Morgentraum von einer Privatzeichenakademie durch die Errichtung einer Familienschule mit einem vollständigen, nur auf die drei Schüler Frau Blyth, Madonna und Zack berechneten Lektionsplan noch denselben Abend verwirklicht worden.



Ein Hauptzweck, der durch Valentins Projekt erreicht werden sollte, war die Unterhaltung seiner kränklichen Frau während der langen Winterabende. Lavinias Befinden und Behagen war deshalb das erste und wichtigste Bedenken, welches berücksichtigt werden musste. Da sie sich fürchtete, bei der Gründung der neuen Akademie in ihrer Wohnung anwesend zu sein, traf es sich so, dass die wechselnden Einflüsse, welche die Krankheit auf ihren Zustand hatte, der unmittelbaren Eröffnung der Abendzeichenschule keineswegs günstig waren. Sie hatte ihre schwachen und ihre starken Tage, und man musste ruhig die letzteren abwarten, ehe sie sich im Geringsten anstrengen durfte. Erst nach Ablauf einer Woche konnte das Billet, welches Zack zu der ersten Reihe von Zeichenstunden einlud, die ihm Valentin bei seinem Besuch im Atelier zu geben versprochen hatte, richtig nach Baregrove-Square befördert werden.



Als Blyth zuletzt von den Mühen des Zusammenstellens und Ordnens ausruhte und in Lavinias Wohnung munter um sich schauend bemerkte, dass alle Vorkehrungen zu dem ersten Abend seiner häuslichen Akademie getroffen seien, war er ohne Widerrede der selbstzufriedenste und glücklichste Mensch auf der Welt. Und er hatte alle Ursache, stolz zu sein, wenn er seine heimische Umgebung betrachtete. Selbst ein Wildfremder hätte sehr griesgrämig und unglücklich sein müssen, wenn er beim Eintritt in Frau Blyths Wohnung durch den Anblick alles dessen nicht erfreut worden wäre, das er sah, wohin er auch seine Blicke wenden mochte. In dem ganzen großen Gemache befand sich in der Tat nur ein sichtbarer Gegenstand, dessen Anblick kein Vergnügen gewährte – und dies war der Gipskopf, den Valentin unbegreiflicher Weise ausgesucht hatte als das beste Modell, nach welchem seine drei Schüler zeichnen konnten. Es war dies ein Abguss von dem furchtbaren und schmerzentstellten Gesicht der Mittelfigur jener großen aus einem Vater und zwei Söhnen, die in der Umschlingungen einer riesigen Schlange kämpfen, bestehenden Gruppe, welche in unsern Tagen unter dem Namen der »Lakoonsgruppe« – allgemein bekannt ist.



Durch Einreißung eines Bretterverschlags war Frau Blyths Wohnzimmer so sehr vergrößert worden, dass es die ganze Breite einer Seite des Hauses einnahm und von den vordern bis zu den hintern Gartenfenstern reichte. Der ansehnliche Raum, den man auf diese Weise gewonnen hatte, war überall von dem Fußboden bis zu der Decke mit Gegenständen angefüllt, deren Schönheit vollkommen zu dem Kreise passte, in den sie gestellt waren; einige dauerhaft und brauchbar, wo das Nützliche gewünscht wurde, andere leicht und zart, wo das Zierliche notwendig war – und alle rühmlich erworben durch Valentins Pinsel, durch den anhaltenden, liebevollen, uneigennützigen Fleiß vieler Jahre. Von dem luftigen und blitzenden kleinen Kronleuchter, der nachts das Zimmer erhellte, bis zu der bunten Leopardenfelldecke, die von dem hellblitzenden Feuerplatz strahlte; von dem Garten unter Glas in der einen Fensternische bis zu dem zartgefärbten Schubladenschränkchen von Atlasholz in der andern; von dem Teppich mit seinen reichen grünen und braunen Farben, die sich in reinster und vollkommenster Harmonie miteinander vermischten, bis zu dem Fries mit seiner zarten Girlande von nach der Natur gezeichneten Weinblättern und Ranken – jeder Gegenstand in dem Gemache erzählte seiner Herrin dieselbe einfache Hausgeschichte von der wachsamen Sorge, die nie schlief, und von der hochherzigen Liebe, die nie sich verleugnete, oder weckte in ihrem Herzen dieselbe rührende Erinnerung an Opfer, welche freudig gebracht, an Kämpfe, die lustig bestanden, an Belohnungen, die hart erworben und dankbar gepriesen wurden in der einzigen edeln Absicht, um das Heiligtum des Krankenzimmers sowohl zu einem Schrein für die ausgesuchtesten Opfergaben als zu einem Altar für die heißesten Gebete zu machen.



Frau Blyths Bett, wie jedes Gerät, dessen sie sich in ihrem Zimmer bediente, war so eingerichtet, dass es ihr das größte Maß von Bequemlichkeit und Behaglichkeit, das bei ihrem leidenden Zustande erreichbar war, gewährte. Das Gestell war breit genug, um in seinem Rahmen ein Lager für den Tag und ein Bett für die Nacht einzuschließen. Ihr Lesepult und ihr Arbeitstisch konnten in ihren Bereich gerückt werden, in welcher Stellung sie auch lag. Unmittelbar über ihr hing eine außerordentlich komplizierte Vorrichtung von losen Schnüren, die durch geschmackvolle, an verschiedenen Punkten der Decke befestigte Kolben der zierlichsten Art liefen, und mit der Glocke, der Tür und einer leicht zu öffnenden Glasscheibe des Fensters in Verbindung standen. Das waren Valentins eigene Erfindungen, um seine Gattin in den Stand zu setzen, Hilfe herbeizurufen, Besuch einzulassen, und die Temperatur ihres Zimmers beliebig zu regulieren, durch bloßes Ziehen an einer von den Schnüren, die in dem Bereich ihrer Hand hingen und sauber mit Elfenbeingriffchen versehen waren, auf denen man las: »Glocke«, »Tür«, »Fenster«. Es waren zu dieser Vorrichtung wenigstens fünfmal mehr Schnüre verwendet worden, als der beabsichtigte Zweck erforderte, aber Frau Blyth wollte niemals erlauben, dass ihre Zahl durch geschickte Hände vermindert wurde. Mochte die ganze Vorrichtung andern ungeschickt erscheinen, in ihren Augen war sie fehlerfrei; jede überflüssige Schnur war gefeit gegen das bessernde Messer um Valentins willen.

 



Betrachtete man ihr Gesicht, wenn sie so dasaß auf ihrem Ruhebett, mit ihrem Gatten sprechend oder auf Madonnas Schiefertafel schreibend, während das taubstumme Mädchen neben ihr saß, so war es nicht leicht, den Gedanken an langes Leiden und Siechtum mit ihrer Stimme, ihrer Gebärde, ihrem Aussehen zu vereinigen. So erbarmungslos die Krankheit ihren entweihenden Stempel der ganzen Gestalt aufgedrückt hatte, der Gesichtsausdruck trotzte den ärgsten Verwüstungen der Zerstörerin, fortbestehend in der frohen Lebenskraft seiner eigenen Schönheit, als der einzige sichtbare Teil ihres gebrechlichen Lebens, der ungeschwächt und unverändert war. Mochte jetzt eine Höhlung in der Wange sein, wo einst ein Grübchen gewesen war; mochte ihre blühende Gestalt zusammengeschrumpft und der Glanz ihrer dunklen Augen völlig erloschen sein, als der verdorrende Hauch des Siechtums darüber strich – das Gesicht strahlte noch immer von der Seligkeit ungebeugten Mutes und unsterblicher Hoffnung, die alles, was in dem zarten Gesicht verschossen und zerstört war, gleichsam mit einem Schleier von Sonnenstrahlen bedeckte.



Eingesperrt in ein Zimmer, wie sie es schon seit Jahren war, hatte sie dennoch ihr natürliches weibliches Interesse an den kleinen Beschäftigungen und Vorkommnissen des häuslichen Lebens keineswegs verloren. Von dem Atelier bis zu der Küche wusste sie es täglich so einzurichten, dass sie durch von ihr selbst erfundene Verbindungskanäle die letzten Neuigkeiten erfuhr; dass sie, wenn nicht in Person, doch wenigstens im Geiste den Familienberatungen beiwohnte, die nicht in ihrem Zimmer stattfinden konnten; dass sie genaue Kunde empfing, wie es ihrem Gatten unten mit seinen Gemälden ging; dass sie bei Zeiten die Fehler verbessern konnte, welche Blyth oder Madonna bei der Zurichtung des Mittagessens oder bei ihren Bestellungen an Krämer oder Handwerker möglicherweise sich zu Schulden kommen ließen; dass sie das Gesinde zur Arbeit antreiben und je nach den Umständen sich selbst überlassen oder beaufsichtigen konnte. Weder ihr Blick noch ihre Gebärde verriet jene mürrische, hastig aufflackernde Ungeduld, die bisweilen an langes, unheilbares Siechtum sich haftet. Ihre Stimme, so matt sie klang, war stets freundlich und nach den verschiedenen Gedanken anmutig moduliert. An ihren schwachen Tagen, wenn sie sehr unter der Krankheit litt, war sie gewohnt, ganz still und ruhig zu liegen und ihr Zimmer dunkel zu lassen – das waren die einzigen Zeichen, an denen ihre Umgebung eine Verschlimmerung ihres Leidens erkennen konnte. Sie klagte nie, wenn die schlechten Symptome sich zeigten, und gestand nur ungern, selbst wenn man sie fragte, dass das Rückgrat mehr als gewöhnlich schmerze.



Sie hatte sich sehr hübsch gekleidet für den Abend, an welchem die Zeichenakademie eröffnet wurde, sie trug ein feines Spitzenhäubchen und ein neues seidenes Kleid, welches Valentin ausgesucht hatte und das weit genug war, um ihre Magerkeit zu verbergen. Ihres Gatten Liebe, durch alle Kümmernisse und Wandlungen treu festhaltend das Bild ihrer ersten jungfräulichen Erscheinung, bestimmte sie auch jetzt noch, auf ihre Toilette mehr Sorgfalt zu verwenden, als sie selbst an den besten und fröhlichsten Tagen ihrer Jugend und Gesundheit ihr aus eigenem Antrieb gewidmet hatte. In keinem neuen Kleide hatte sie besser und zufriedener ausgesehen als in dem, welches ihr Herr Blyth zu der Eröffnungsfeier der Zeichenakademie aufgenötigt hatte.



Sieben Uhr war die festgesetzte Stunde, in welcher die Tätigkeit der neuen Akademie beginnen sollte. Stets pünktlich, was immer seine Berufspflichten sein mochten, beendete Valentin seine Vorbereitungen, als die Glocke schlug und, vergnügt auf eine Ecke des Lagers seiner Frau sich niederlassend, betrachtete er seine Zeichenbretter, seine Lampen und seinen Gipsabguss des Laokoon mit stillem künstlerischen Behagen.



»Nun, Lavinchen«, sagte er, »ehe Zack kommt und mich, was er gewiss tun wird, verwirrt macht, will ich die Zeichengerätschaften nacheinander aufzählen, um mich zu überzeugen, dass nichts von dem, was hier oben sein muss, unten im Atelier geblieben ist.«



Als ihr Gatte diese Worte sprach, berührte Frau Blyth sanft die Schulter Madonnas. Das Mädchen hatte eine Zeit lang sinnend, mit gesenktem Kopf, dagesessen, während ihre Wange auf ihrer Hand ruhte und ein heiteres Lächeln ihre Lippen umspielte. Das Unglück, taubstumm geboren zu sein – das sie von dem Verkehr mit ihren Nebenmenschen ausschloss, sie zu einem einsamen Leben verurteilte und eine Grabesstille um sie schuf, die niemand zu durchbrechen vermochte – gab dem tiefen Sinnen, in das sie oft plötzlich versank, selbst in der Gesellschaft ihrer Adoptiveltern und ihrer Freunde, die um sie herum plauderten, einen ungemein rührenden Anstrich. Bisweilen übten die Gedanken, in die sie versunken war und die den andern nur durch die geheimnisvollen Schatten sich verrieten, die über ihr Gesicht glitten, lange ihren Einfluss auf sie aus, bisweilen schienen sie eben so schnell zu verschwinden, wie sie in ihrer Seele aufgetaucht waren. Es war eine von den vielen tollen Phantasien Valentins, dass sie dann nicht für sich allein grüble, sondern dass sie, obschon taubstumm gegenüber den Kindern dieser Welt, doch mit den Engeln reden und vernehmen könne, was die himmlischen Stimmen ihr erwiderten.



In dem Augenblicke, wo ihre Schulter berührt wurde, blickte sie auf und schmiegte sich eng an ihre Adoptivmutter, die, den Arm um ihren Nacken schlingend, durch die Fingersprache ihr mitteilte, was Valentin soeben gesagt hatte. Nichts war bezeichnender für Frau Blyths warme Sympathie und liebevolle Rücksicht gegen Madonna als diese kleine Handlung. Die gütigsten Menschen, auch wenn sie es verstehen, durch die Finger den Tauben sich verständlich zu machen, halten es selten für nötig, sie von einem gewöhnlichen Gespräch, das in ihrer Gegenwart geführt wird, in Kenntnis zu setzen. Weise Aussprüche, witzige Reden, merkwürdige Geschichten werden ihnen in der Regel von mitfühlenden Freunden und Verwandten mitgeteilt, aber die kleinen nichtssagenden täglichen Plaudereien, die unsere Sprachwerkzeuge am angenehmsten und anhaltendsten beschäftigen und unser Gehör in Anspruch nehmen, werden für zu unbedeutend und ihrer Natur nach zu flüchtig gehalten, um der Übertragung durch die Finger- oder Schriftsprache würdig zu sein, und daher auch selten den Tauben mitgeteilt. Von allen Entbehrungen, die ihr Unglück ihnen auferlegt, empfinden sie es am schmerzlichsten, dass sie von jeder lebendigen Teilnahme an den geselligen und häuslichen Interessen des sie umgebenden Lebens ausgeschlossen sind. Frau Blyths gütiges Herz, ihr feiner Verstand, ihre fromme Liebe zu ihrer Adoptivtochter hatten es ihr längst zur angenehmsten Pflicht gemacht, Madonna vor dem Gefühl ihres Unglücks und ihrer Vereinsamung in der Gesellschaft dadurch zu bewahren, dass sie ihr stets die scherzhaften und ernsten Gespräche mitteilte, die in ihrer Gegenwart im Krankenzimmer gehalten wurden. Seit vielen Jahren gewohnt, mit ihren abgemagerten Fingern dem taubstummen Mädchen alles zu verdolmetschen, was neben ihrem Lager gesprochen wurde, blieb Frau Blyth auch jetzt ihrer Gewohnheit treu.



»Nun gib acht, Lavinchen, und unterbrich mich, sobald ich irgendeinen von den Gegenständen übergehe, die ein Jeder zum Zeichenunterricht nötig hat«, sagte Valentin mit einem bewundernden Blick auf den Abguss des Laokoon und sich anschickend, seine Materialien nach der Reihe aufzuzählen, indem er den Zeigefinger der rechten Hand an den Daumen der linken Hand legte. »Da ist zuerst der Kopf, den alle meine Schüler gezeichnet haben – der herrliche Larkoon!« (Das war die Art. wie er den klassischen Eigennamen aussprach). »Zweitens —« »Aber lieber Valentin«, unterbrach ihn Frau Blyth, während ihre Finger um Madonnas Nacken die Worte fast ebenso schnell nachbildeten, als sie sie sprach, »warum wähltest Du dieses grässliche Gesicht eines Sterbenden für uns zum Abzeichnen? Mein Vater ist der Ansicht, dass alle Kunst, welche diejenigen, an die sie sich wendet, nur verletzt und erschreckt, eine Verirrung ist; und ich kann mir nicht helfen und muss ihm beistimmen, wenn ich dieses Gesicht anblicke, so sehr ich es auch anerkenne, dass Du der beste Richter bist.«



Es war eine von den Eigenheiten der Frau Blyth, dass sie sich jedesmal auf die Meinungen ihres Vaters und auf die Kupferstiche berief, die er verfertigt hatte, so oft von der Kunst die Rede war, und bisweilen sogar noch dann, wenn das Gespräch andern Gegenständen sich zugewendet hatte. Sie war des armen Kupferstechers Lieblingskind, und so lange er sie bei sich zu Hause hatte, das einzige Familienglied, dem er alle seine Lieblingspläne, alle Hoffnungen und Triumphe, die an seine Unternehmungen sich knüpften, anzuvertrauen wagte. Scheu, nervös, edelherzig, hegte er wie so mancher, der in der Dunkelheit geboren ist, heimlich ein ehrgeiziges Gelüst nach den glänzendsten Triumphen der Berühmtheit. Seine einfachen Bemühungen, um sich in seinem Handwerk einen Ruf zu erwerben, seine unschuldige Selbstverherrlichung nach einer guten Arbeit, sein Stolz, dann und wann seinen Namen in einer Zeitung erwähnt zu sehen, wenn ein Werk von seiner Hand einer kritischen Notiz gewürdigt wurde, seine eigenen Privatmeinungen über große Maler, lebende und tote, wurden sämtlich insgeheim an seine hübsche Lavinia gerichtet. Sie war das einzige Wesen in der kleinen Welt seiner täglichen Existenz, welches stets bereit und aufgelegt war, alle seine Ideen über Kunst anzuhören, die er nicht auskramen durfte vor mürrischen Verlegern, welche so gütig waren ihn zu beschäftigen, – noch vor berühmten Malern, denen er eine kostbare Zeit nicht zu rauben wagte, – noch vor seiner Frau, die von ihm als einem Kupferstecher eine sehr hohe Meinung nur in den seltenen Fällen hatte, wenn er mit der Bezahlung ihrer Wochenrechnungen im Reinen war. So wuchs Frau Blyth von ihrem frühesten Alter an in der liebreichen Überzeugung auf, dass ihr Vater ein verkanntes Genie war, und dass mit ihm ein reicher Schatz origineller Kunstideen der Nachwelt verloren ging. Sie verlor nie den Glauben an ihn und gab nie ihre Gewohnheit auf, diesen Glauben geltend zu machen, indem sie jedem, der das Haus betrat, seine Meinungen zitierte.



»Ich ehre die Grundsätze Deines Vaters, meine Liebe«, erwiderte Valentin auf die Bemerkung seiner Frau, »ich ehre seine Grundsätze und bewundere seine Geschicklichkeit.« (Frau Blyth blickte dankbar auf die Wand, an welcher die Kupferstiche ihres Vaters hingen, sämtlich eingerahmt nach den Weisungen Valentins und von ihm eigenhändig geordnet). »Ich gehe sogar noch weiter und gestehe Dir meine Freude darüber, dass Dir das Gesicht des Larkoon furchtbar erscheint, denn ich wähle es als Modell für diesen Abend in der ausdrücklichen Absicht, um Zack zu erschrecken.«



Madonnas blaue Augen öffneten sich weit in staunender Verwunderung, als diese Worte ihr verdolmetscht wurden. Frau Blyth lächelte bei dem Gedanken, eine Person wie Zacharias Thorpe Junior durch einen Gipsabguss zu erschrecken.



»Zack ist flüchtig, unaufmerksam und so unwissend in der Kunst, dass er jedenfalls nicht weiß, was ich unter der klassischen Skulptur verstehe, sobald ich zu ihm von der Antike rede«, fuhr Valentin fort. »Wenn nun ein solcher Schüler wie er zeichnen zu lernen anfängt, so wage ich zu behaupten, dass die Antike, wenn ihr erster Anblick ihn nicht zwingt, in scheuer Ehrfurcht vor der Kunst sich zu beugen, ihn nie dahin bringen wird, dass er sie fünf Minuten hintereinander mit einiger Aufmerksamkeit studiert. Er bedarf eines Zeichenmodells, das ihn völlig in Anspruch nimmt, und ihn zugleich vom Scheitel bis zur Sohle in dem Moment, wo er es erblickt, schaudern macht. Den mit dem Tode ringenden Larkoon halte ich für den geeignetsten Abguss, um einem Anfänger Grauen einzuflößen; der Larkoon ist daher das rechte Ding, das wir für Zack brauchen.«



»Meinst Du nicht, dass es ihm zu schwer sein wird, wenn er ihn gleich in der ersten Stunde abzeichnen soll?« fragte Frau Blyth. »Mein Vater pflegte zu sagen, junge Kupferstecher – aber freilich, Zeichnen nach antiken Mustern ist etwas ganz anderes.«



»Zack wird nichts schwer finden, sobald er nur meine Vorschriften befolgt«, sagte Herr Blyth in zuversichtlichem Tone. »Aber er wird wahrhaftig hier sein, ehe ich fertig bin mit der Aufzählung der Sachen, die ich aus der Malerstube herausgeschafft habe. Lass sehen, womit hab ich denn angefangen? Ach ja, mit dem Larkoon. Gut. – Also erstens, der Gipsabguß«, sagte Valentin, indem er von vorn anfing und wieder den Zeigefinger der rechten Hand an den linken Daumen legte. »Zweitens, zwei Stühle, auf die rechten Gesichtspunkte gestellt. Der Stuhl mit der Stirnansicht für Madonna; der Stuhl mit der Profilansicht für Zack, weil es die leichteste ist. Die dreiviertel-Ansicht reservierte ich für Dich, meine Liebe, ganz so wie Du sie jetzt siehst, weil es die beste ist, und weil ich möchte, dass Du am besten zeichnest. Viertens —«

 



»Drittens, lieber Valentin«, verbesserte Frau Blyth.



»So? Also drittens. Drittens – ja aber was? Weißt Du, ich bin schon etwas konfus geworden und weiß wahrhaftig nicht, was zunächst an der Reihe ist – Ist das nicht sonderbar?«



»Hast Du die Zeichenstifte geholt?« fragte Frau Blyth.



»Ei das versteht sich! Drittens, die Zeichenstifte. Du mein Himmel, wo kann ich nur die Zeichenstifte hingelegt haben?« Und Herr Blyth fing an, die verlegten Sachen wie gewöhnlich an den unrechten Stellen zu suchen. Madonna, welche auf ein Zeichen der Frau Blyth ihm beim Suchen half, fand sie alle bunt durcheinander geworfen hinter dem Gipsabguss. »Drittens, die Zeichenstifte«, wiederholte Valentin, Madonna im Triumphe küssend, als sie ihm die Stifte überreichte. »Die Zeichenstifte und die schwarze und weiße Kreide, alles bereits zugespitzt mit doppelter Berücksichtigung Zacks, weil er gewiss alle seine Spitzen im Laufe des Abends zerbrechen wird. Viertens – so weit bin ich nun gekommen, Lavinchen, ich sehe, es ist alles in Ordnung. Halt, lasst sehen! Das können nicht die Lampen sein, das muss etwas Unbedeutendes und leicht Vergessbares sein. Viertens, drei Zeichenbretter – nein, das sind die ansehnlichsten Gegenstände von allen. Papier? – Nein, das klebt an den Zeichenbrettern; der dickste Bissen für Zack, weil er gewiss jeden Strich wieder auswischen muss, den er in der ersten halben Stunde macht. Viertens – Lavinchen! Ich habe etwas Wichtiges vergessen, und ich weiß wahrhaftig nicht, was es ist«, rief Herr Blyth in klagendem Tone aus, während er in der größten Angst und Verlegenheit um sich blickte.



»Doch nicht die Semmeln, welche Du Zack zum Tee versprochen hast«, sagte lachend Frau Blyth.



»Viertens, die Semmeln!« rief Valentin lebhaft – »nicht als ob sie vergessen wären, beileibe nicht, denn ich habe soviel bestellt, dass jeder im Hause daran sich tot essen kann; aber es ist ein wahres Glück, dass wir etwas für Nummer 4 haben und zu Nummer 5 übergehen können. Fünftens – ja aber was? Das ist die Frage? Was kann ich vergessen haben? Denk' einmal nach, meine Liebe. Es ist etwas, das Jeder zum Zeichnen braucht?«



»Brotkrume zum Auswischen«, bemerkte Frau Blyth, nachdem sie einen Augenblick überlegt hatte.



»Das ist's!« rief Valentin außer sich vor Freude. »Ich habe alle Brotkrume unten in der Malerstube gelassen. Nein, nein! schicke nicht Madonna. Sie weiß nicht, wo sie liegt. Sag' ihr, sie soll statt meiner das Feuer schüren, ich werde gleich wieder hier sein.« Und Herr Blyth schoss zum Zimmer hinaus so flink, als wenn er fünfzehn und nicht fünfzig Jahre alt gewesen wäre.



Kaum hatte Valentin den Rücken gewendet, als die Hand der Frau Blyth unter die hübsche Daunendecke fuhr, welche auf ihrem Ruhebett lag, als wenn sie etwas suchen wollte, was dort versteckt war. Im andern Augenblick erschien sie wieder mit einer sehr leicht und sehr, sauber eingerahmten Kreidezeichnung. Es war Madonnas Kopie von dem Kopfe der Mediceischen Venus – dieselbe Kopie, welche Zack bei seinem letzten Besuch in den überschwenglichsten Ausdrücken gepriesen hatte. Seitdem war es ihr fester Vorsatz, ihm die Zeichnung zu schenken, die er so sehr bewundert hatte. Sie zu vollenden, wandte sie den größten Fleiß und die höchste Sorgfalt auf, deren sie überhaupt fähig war, und als die Zeichnung fertig war, kaufte sie für die kleinen Ersparnisse ihres Taschengeldes einen sehr hübschen Rahmen; endlich wurde das Ganze unter Frau Blyths Bettdecke versteckt, um als eine Überraschung für Zack und zugleich für Valentin an diesem Abend hervorgezogen zu werden.



Nachdem Frau Blyth ein paarmal die Kopistin und die Kopie bettachtet hatte, wobei ihr blasses gütiges Gesicht von ruhiger Heiterkeit strahlte, legte sie die Zeichnung hin und begann mit den Fingern zu Madonna zu reden.



»Ich soll also Valentin nicht sagen, für wen dies Geschenk bestimmt ist?« lauteten die ersten Worte, die sie durch Zeichen ausdrückte.



Das Mädchen saß, den Rücken halb der Zeichnung zugekehrt, und betrachtete sie von Zeit zu Zeit verstohlen mit einem scheuen und unsichern Blick, als wenn das Werk ihrer Hände eine Umgestaltung erlitten hatte, die es ihr zweifelhaft machte, ob sie noch länger berechtigt sei, es zu betrachten. Sie schüttelte den Kopf als Antwort auf die an sie gerichtete Frage, dann drehte sie sich plötzlich auf dem Stuhle herum, während ihre Finger krampfhaft mit den Franse