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Aber diese köstlichen Sonntage wurden noch durch die Concerte übertroffen, Welche alle Mittwoch in der patriarchalischen Familie zur Ausführung gelangten. In diesen Concerten setzte sie sich an den Flügel und sang in ihrer Muttersprache Lieder ihres Volkes, Lieder, die von den Berghöhen Vendale zuzurufen schienen: Hebe dich empor aus dem grünen ebnen Lande, weit über die Menge hinweg; folge mir nach wie ich höher, höher, höher steige und mich in dem fernen Himmel Verliere. Hebe dich zur höchsten Höhe und liebe mich!« In solchen Augenblicken erschien es ihm, als erhalte das zierliche Mieder, der Zwickelstrumpf und die mit silbernen Schnallen besetzten Schuhe, wie die klare Stirn und die glänzenden Augen die Elasticität der Gemse, bis der Sang vorüber gerauscht war.



Aber selbst über Vendale übten diese National-Lieder nicht eine solche Gewalt aus als über Joey Ladle, wenn auch in andrer Art. Hartnäckig verweigernd den Klang dunstig zu machen, indem er an den Uebungen Theil nahm, und die tiefste Verachtung gegen alle Skalen und sonstigen Anfangsgründen der Musik im Herzen, welche, das ist sicher den bloßen Zuhörer selten entzücken – erklärte Joey anfangs das Unternehmen für ein schlechtes Stück Arbeit und die Ausübenden für eine Rotte heulender Derwische. Eines Tages aber entdeckte er Spuren reiner harmonischer Klänge in irgend einem Stück und erweckte dadurch in den beiden unter ihm stehenden Kellermeistern schwache Hoffnungen, daß er im Laufe der Zeit Geschmack an den Uebungen bekommen werde. Sein Urtheil über einen Wechselgesang von Händel berechtigte zu noch höheren Erwartungen; obgleich Joey einwandte, daß der berühmte Musiker sich sehr viel in fremdländischen Kellergewölben aufgehalten haben müsse, weil er ein und dieselbe Sache immer und immer wiederhole. Verstehe man das, wie man wolle, er nahm es für gewiß an, daß man seinen Ausspruch verstehen könne.



Ein drittes Mal erstaunte ihn das Erscheinen des Mr. Jarvis mit einer Flöte und eines andern wunderlichen Mannes mit einer Violine und ein Duett, welches beide ausführten dergestalt, daß er aus eigenem Antrieb und eigener Bewegung wie inspiriert die Watte »Am Koar!« wiederholentlich ausstieß, als ob er in vertraulicher Weise den Namen einer Dame riefe, welche sich durch ihre Leistung ausgezeichnet habe. Aber dies war die letzte Beifallsbezeugung für die Verdienste seiner Gefährten, denn, als das Duo der Instrumente im ersten Mittwochs-Concert vorüber war, und ein Gesangsstück von Marguerite Obenreizers lieblicher Stimme ausgeführt, folgte, saß er mit weit offenem Munde ganz verzückt, bis sie geendet hatte. Darauf stand er ganz feierlich auf und das, was er sagen wollte, mit einer Verbeugung einleitend, die auch Mr. Wilding inbegriff, äußerte er die befriedigte Stimmung, die ihn durchdrang mit folgenden Worten: »Sie sind Künstlerin, die Andern können sich alle begraben lassen.«



Und von da ab verweigerte er in jeder Weise den musikalischen Leistungen der Familie, seine Anerkennung zu bezeugen.



Auf diese Art entstand die persönliche Bekanntschaft zwischen Marguerite Obenreizer und Joey Ladle. Sie lachte herzlich über die Schmeichelei, die er ihr gesagt hatte, und war fast beschämt, als Joey, nachdem das Concert darüber war, sich ein Herz faßte und sie fragte, er hoffe, sein Kopf sei nicht dergestalt vom Dunste eingenommen gewesen, daß er sich zu die Freiheit herausgenommen habe. Sie gab ihm eine anmuthige Antwort, und Joey bückte sich höflich.



»Sie werden das Glück wieder zurückbringen, Miß,« sagte Joey mit einem zweiten höflichen Blicken. »So eine wie Sie im Haus, und das Glück muß wieder zurück ins Haus.«



»Kann ich das? Glück bringen?« fragte sie mit ihrem niedlichen Englisch und ihrer niedlichen verwunderten Miene. »Ich fürchte, ich habe nicht recht verstanden. Ich bin so einfältig.«



»Der junge Muster Wilding, Miß,« erklärte Joey zutraulich, wenn er durch seine Erklärung auch nichts zum Klarwerden der Sache beitrug, hat das Glück verscheucht, ehe er den jungen Muster George in das Geschäft nahm. So sage ich und so wird es kommen. Herr! Wenn Sie herkämen und nur einige Mal sängen, das Glück könnte nicht widerstehen, es kehrte zurück.«



Damit und mit einer Fülle von Verbeugungen verließ Joey die Versammlung. Aber Joey blieb eine bevorzugte Person, denn ein unverhoffter Sieg erfreut die Jugend und Schönheit. Das nächste Mal sah Marguerite sich vergnügt nach Joey um. »Bitte, wo ist Mr. Joey?« fragte sie Vendale.



Joey wurde gerufen, und die Hände wurden geschüttelt, und das war nun einmal eingeführt und blieb so.



Und noch etwas wurde in ähnlicher Weise eingeführt. Joey hörte schwer. Er selbst meinte, es käme vom Weindunst, und das kann sein; kurz und gut, was auch die Ursache gewesen sein mag, die Wirkung war da. Bei der ersten Versammlung sah man ihn an der Wand entlang schleichen, die linke Hand an das linke Ohr gelegt, und sich in einen Sessel dicht vor der Sängerin hineinschwindeln. Diesen Platz behauptete er, bis er seinen Freunden, den Kunstliebhabern, jene Schmeichelrede zu halten begann, die wir vorher angeführt halten. Joey’s Bewegungen, die ihm das Ansehen einer Bückemaschine verliehen, waren bemerkt worden, und man belustigte sich am nächsten Mittwoch bei Tische darüber, Das Geflüster ging um die Tafel herum, daß seine Manieren erklärlich wären, durch die hochgespannte Erwartung aus Miß Obenreizers Gesang und seine Furcht, keinen Platz zu erhalten, von dem aus er jede Note und jede Silbe vernehmen könnte. Das Gerede drang auch zu Wildings Ohren; gutmüthig, wie er war, rief er Joey Abends, ehe Marguerite zu singen anfing, nach vorn hin. Und auch das wurde zu einer Sitte erhoben. Joey saß alle folgen den Musikabende an demselben Platze. Marguerite wenn sie die Finger über die Tasten gleiten ließ, ehe sie zu singen anfing, fragte jedes Mal Vendale. »Bitte, wo ist Mr. Joey?« Und Vendale holte ihn jedes Mal nach vorn und setzte ihn dicht an den Flügel. Während Aller Augen auf ihn gerichtet waren, drückten seine Züge das größte Mißtrauen, gegen die Leistungen seiner Freunde aus, und das größte Vertrauen zu denen Margueriten’s in deren Anschauen er tief versenkt war und sich dabei ausnahm, wie das Rhinozeros im Buchstabir-Buch, was abgerichtet worden, auf seinen Hinterfüßen zu stehen. Wenn er nach dem Singen in den höchsten Grad von Entzückung gerieth, fragte jedes Mal eine neckende Stimme hinter ihm: »Wie gefällt Ihnen das, Joey?« Er, von der Frage angestachelt, erwiderte jedes Mal, als ob er den Gedanken erst eben faßte: Sie ist eine Künstlerin, die Andern können sich alle begraben lassen. Das gehörte Alles zu der fest eingeführten Sitte. Aber die einfachen Freuden und kleinen Vergnügungen in Cripple Corner waren nicht von langer Dauer. Sie wurden eines ernsten Grundes wegen eingestellt, welchen jedes Mitglied der patriarchalischen Familie kannte, obgleich Niemand, wie durch ein schweigendes übereinkommen, desselben Erwähnung that. Mit Mr. Wildings Gesundheit stand es schlecht.



»Er würde den Schlag, der ihn im innersten Gemüth getroffen hatte, überwunden, er würde auch vielleicht das quälende Gefühl bemeistert haben, an eines Andern Besitz sich gütlich zu thun, aber beides zu ertragen, ging über sein Vermögen. Er sah in sich einen Menschen, der von zwei Dämonen verfolgt wurde, und es ergriff ihn tiefe Niedergeschlagenheit. Die unzertrennlichen Quälgeister setzten sich mit ihm zu Tisch, aßen von seiner Schüssel, tranken aus seinem Becher und standen Nachts an seinem Lager. Wenn er an die Liebe derjenigen dachte, die er für seine Mutter gehalten, durchdrang ihn das Bewußtsein, daß er die Liebe gestohlen habe. Wenn er sich über die Achtung und Anhänglichkeit seiner Untergebenen freuen wollte, erschien ihm sein Trachten, dieselben glücklich zu machen, wie ein Betrug, denn das zu thun, wäre des unbekannten Pflicht und Lohn gewesen.



Nach und nach, unter dem Druck, den das ewige Brüten auf Geist und Körper ausübte, beugte sich die Gestalt, seine Schritte verloren ihre Elasticität, seine Augen blieben am Boden haften. Er wußte, er konnte dem beklagenswerthen Irrthum, der stattgefunden hatte, nicht abhelfen, er wußte, er konnte ihn nicht ungeschehen machen; denn Tage und Wochen vergingen, und keine Stunde erschien, in der ihm sein Name und sein Besitzthum abverlangt wurde. Langsam begann ihn das dunkle Bewußtsein von einer oft wiederkehrenden Unklarheit im Kopf zu beschleichen. Sie kam mitunter eine ganze Stunde, mitunter einen ganzen Tag und eine ganze Nacht über ihn. Einmal versagte ihm die Erinnerung, als er zu Häupten der Tafel saß, und kehrte nicht vor Tagesanbruch wieder. Ein andermal versagte sie gerade als die Gesangsübungen beginnen sollten und fand sich erst wieder ein, als er und sein Compagnon die halbe Nacht über im Mondschein auf dem Hof spazieren gegangen waren. Er fragte Vendale, der immer rücksichtsvoll, thätig und hilfsbereit war, was das gewesen sei. Vendale anwortete nur: »Nichts weiter, als daß Sie sich nicht wohl befanden.« Er beobachtete die Gesichtszüge seiner Leute, ob er aus ihnen die Wahrheit herauslesen könne; aber sie speisten ihn ab mit: »Seht erfreut, Sie wieder besser zu sehen, Sir;« oder: »Ich hoffe, es geht Ihnen wieder gut, Sir,« und daraus war er nicht im Stande, seinen Zustand zu beurtheilen.



Endlich, als sein Theilhaber fünf Monat lang im Geschäft war, blieb Wilding im Bett, und Mrs. Goldstraw wurde seine Pflegerin.



»Nun ich so krank daliege, nehmen Sie es vielleicht nicht übel, wenn ich Sie Sally nenne, Mrs. Goldstraw?« sagte der arme Weinhändler.



»Er klingt mir natürlicher, wie jeder andre Name, und ich höre ihn am liebsten.«



»Ich danke Ihnen, Sally. Ich glaube, Sally, daß ich kürzlich Anfällen von Bewußtlosigkeit unterworfen gewesen bin. Ist das wahr, Sally? – Fürchten Sie sich nicht, es mir zu sagen.«

 



»Es ist vorgekommen, Sir.«



»So! also das ist es gewesen,« bemerkte er ruhig. »Mr. Obenreizer sagt, Sally, die Welt sei so eng, daß es nicht zu verwundern wäre, wenn man immer mit denselben Menschen wieder zusammenträfe, an verschiedenen Orten zusammenträfe, und sollte man auch von verschiedener Lebensstellung sein. Ist es nicht seltsam, Sally, daß ich, nun es zum Sterben geht, wieder – wie soll ich sagen? – wieder zurück in das Findelhaus komme?«



Er streckte seine Hand nach ihr aus, sie nahm sie sanft in die ihre.



»Sie werden noch nicht sterben, lieber Mr. Wilding.«



»Mr. Bintrey sagt das auch, aber ich glaube, er hat Unrecht. Das alte Kindheitsgefühl überkommt mich wieder, Sally. Die Stille und Ruhe, die sich früher über mich verbreitete, ehe ich einschlief.«



Nach einer Pause sagte er sanft: »Bitte, küsse mich, Sally, und es war augenscheinlich, daß er in dem großen Schlafsaal des Findelhauses zu liegen glaubte. Wie sie gewohnt gewesen war, sich über die vater- und mutterlosen Kinder zu beugen, beugte sich Sally auf den vater- und mutterlosen Mann hinab und berührte mit ihren Lippen seine Stirn, indem sie flüsterte:



»Gott segne Dich!«



»Gott segne Dich!« erwiderte er in demselben Ton.



Nach einer zweiten Pause öffnete er mit vollem Bewußtsein seine Augen und sagte: »Laß mich deswegen, was ich Dir jetzt sagen werde, ruhig in meiner Stellung verharren, ich liege sehr behaglich. Ich glaube, meine Zeit ist da. Ich weiß nicht, wie es Dir erscheinen mag, Sally aber —«



Für einige Minuten überfiel ihn Bewußtlosigkeit; doch rang er sich noch einmal von ihr los.



»Ich weiß nicht, Sally, wie es Dir erscheinen mag, aber so erscheint es mir.«



Als er bedächtig seine Lieblingssentenz ausgesprochen hatte, war seine Zeit gekommen und er starb.



Zweiter Act

Vendale liebt

Sommer und Herbst waren vergangen. Weihnachten und Neujahr rückten heran.



Mit redlichem Bestreben ihre Pflicht als Testamentsvollstrecker zu erfüllen, hielten Bintrey und Vendale mehr als eine eingehende Berathung über Wildings letzten Willen ab. Der Rechtsmann erklärte, daß es geradezu unmöglich sei, einen fördernden Schritt in dieser Angelegenheit zu thun. Die einzigen Nachforschungen, die anzustellen wären, seien von Wilding schon gemacht worden und zwar mit dem Ergebnis, daß Zeit und Tod in Gemeinschaft handelnd, jede Spur von dem Verlorenen ausgelöscht hätten. Wenn man die an den Besitz, Anspruch Habenden öffentlich ausrufen wolle, so müsse man auch dazu schreiten, Einzelheiten anzuführen – ein Verfahren, welches die Hälfte aller in England lebenden Betrüger anspornen würde, sich für den wahren Walter Wilding, auszugeben. »Bietet sich uns eine Aussicht, die Spur des Verlorenen aufzufinden, so wollen wir sie ergreifen, bietet sie sich nicht, so wollen wir am ersten Jahrestage nach Wildings Tode zu einer neuen Berathung zusammenkommen.« Das war Bintrey’s Vorschlag und trotz dem ernstlichen Willen, des verstorbenen Freundes Wünschen nachzukommen, sah sich Vendale gezwungen, die Sache für jetzt ruhen zu lassen.



Seinen Blick aus der Vergangenheit in die Zukunft richtend, gewahrte Vendale, daß er einem zweifelvollen Unternehmen gegenüberstehn Monate und Monate waren seit jenem ersten Besuch in Soho-square vergangen – und in der ganzen Zeit war das einzige Mittel, Marguerite seine Liebe zu gestehen, die Sprache der Augen geblieben, unterstützt bei sich darbietenden Gelegenheiten von der Sprache der Hände.



Und welches Hinderniß stand ihm denn im Wege? Das einzige unüberwindliche Hinderniß welches sich von Anfang an hineingedrängt hatte. Wie schön sich auch die Gelegenheit anließ, sobald Vendale einen Versuch wagte, mit Margueriten zu sprechen, so endete einer wie der andere in derselben Weise. Obenreizer – durch den glaubwürdigsten Zwischenfall und auf die unschuldigste Weise von der Welt dazu gekommen – schnitt ihm jedes mal die Gelegenheit ab. Mit den letzten Tagen im alten Jahr eröffnete sich unerwartet die Aussicht, einen Abend in Marguerites Gesellschaft zuzubringen. Vendale war entschlossen, daß an diesem Abend ihm auch die Gelegenheit werden müsse, allein mit ihr zu sprechen. Eine freundschaftliche Zuschrift Obenreizers lade ihn am Neujahrstage zu einem kleinen Familiendiner in Soho-square ein.



»Wir werden nur vier sein,« hieß es in dem Brief. »Wir werden nur zwei sein,« hatte Vendale bei sich beschlossen, »und das noch ehe der Abend vergangen ist.«



In England verbindet sich mit dem Neujahrstag weiter nichts, als die Vorstellung von vielen Diners, die gegeben und angenommen werden müssen. Im Auslande bietet der Neujahrstag die Gelegenheit dar, Geschenke zu geben und zu empfangen. Unter Umständen macht man wohl einmal von der fremden Sitte Gebrauch. Bei den obwaltenden Verhältnissen nahm Vendale keinen Anstand, sie anzuwenden. Die große Schwierigkeit bestand nur darin, was er als Neujahrsgeschenk Margueriten darbringen solle? Der abweisende Stolz der Bauerntochter – der über alle Begriffe leicht zu verletzen schien, wenn sie auf die Ungleichheit

ihrer

 Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft mit der

seinigen

 kam – mußte sich empören, wenn er es wagte, ihr eine reiche Gabe zu bieten. Ein Geschenk, welches auch ein Unbegüterter erhandeln könnte, würde das einzige sein, was möglicherweise ein Wort zu Gunsten des Gebers bei ihr sprechen möchte. Standhaft jeder Versuchung widerstehend, die sich in Gestalt von Diamanten und Rubinen in seinen Weg drängte, wählte Vendale eine Broche von Genuesischer Filigranarbeit – den einfachsten und anspruchslosesten Schmuck, den er im Juwelierladen finden konnte



Er ließ das kleine Geschenk in Margueritens Hand gleiten, als sie ihm dieselbe am Tage, wo das Diner stattfand, zum Willkommen entgegenstreckte.´



»Sie verleben zum ersten Mal den Neujahrstag in England,« sagte er. »Wollen Sie mir erlauben, Sie an die Feier des Neujahrstages in Ihrer Heimath zu erinnern.«



Sie dankte ihm zurückhaltend, als sie das Schmuckkästchen gewahrte, weil sie ungewiß war, was es enthalten möchte? Als sie es geöffnet hatte und die ausgesucht einfache Gestalt, in der sich Vendales kleine Gabe darstellte, bemerkte, verstand sie des Gebers Absicht aus der Stelle. Ihr Antlitz wendete sich ihm zu und ihr Blick sprach deutlich: »Ich bekenne, Sie haben mich erfreut und mir wohlgethan.« Niemals war sie den Augen Vendales so bezaubernd erschienen, als in diesem Augenblick. Ihr Winteranzug, – ein Rock von dunkler Seide und eine hohe schwarze Sammettaille, die den Hals weich in einen Ring von weißen Schwanen einschloß – erhöhten durch den gewaltigen Contrast mit denselben, die Schönheit ihres Haares und das zarte Roth ihrer Wangen. Erst als sie sich von ihm wendete und vor den Spiegel hintretend die Brosche aus dem Kästchen nahm, um die Neujahrsgabe an ihren Platz zu stecken, ließ Vendale’s Aufmerksamkeit in soweit Von ihr ab, um die Gegenwart andrer Personen im Zimmer zu entdecken. Es kam ihm zum Bewußtsein, daß Obenreizers Hände ihm zärtlich die Ellenbogen drückten. Er vernahm Obenreizers Stimme, die ihm mit einem so geringen Anflug von Spott wie der – Ton derselben erlaubte, für die Aufmerksamkeit, die er Marguerite beweise, dankte. ( »Theuerster Sir! Solch ein einfaches Geschenk! Es zeugt von so feinem Takt!«) Er entdeckte endlich, daß noch ein andrer Gast, aber nur noch einer außer ihm, anwesend sei. Obenreizer stellte ihm denselben als seinen Freund und Landsmann vor. Des Freundes Gesicht war wettergebräunt und des Freundes Gestalt plump. Seine Jahre näherten sich dem Herbst des Lebens. »Im Laufe des Abends entwickelte er zwei hervorstechende Eigenschaften. Die eine bestand in dem Talent schweigen zu können, die andre in dem Flaschen zu leeren.



Madame Dor war nicht anwesend, noch wurde, als man sich zu Tische setzte, ein Platz, für sie reserviert. Obenreizer erklärte, daß es die einfache Gewohnheit der guten Dor sei, in der Mittagsstunde zu speisen und daß sie ihre Abwesenheit später selbst entschuldigen werde. Vendale hegte den Argwohn, ob nicht die gute Dor bei dieser Gelegenheit ihr Amt, Obenreizers Handschuhe zu reinigen, mit dem Amt, Obenreizers Speisen zu kochen, vertauscht habe? Das wenigstens steht fest – die auf getragenen Schüsseln waren, eine wie die andre, Meisterstücke der Kochkunst und erhoben sich weit über die große, auf den Anfangsstufen der Entwicklung stehende Englische Kochart. Das Diner war ausgezeichnet, ohne anspruchsvoll zu sein. Was den Wein anbetraf, so weilten die Blicke des schweigsamen Freundes mit unverholenem Entzücken darauf. Mitunter sagte er »Schön!« wenn eine volle Flasche hereinkam und mitunter sagte er »Ach!« wenn eine leere hinausgebracht wurde – und das war Alles, was er zu dem Vergnügen des Abends beitrug. Schweigen ist ansteckend. Von geheimen Sorgen bedrückt, schien es fast, als ob Marguerite und Vendale den Einfluß, den der stille Freund ausübte, empfänden. Die ganze Verantwortlichkeit, das Gespräch in Gang zu halten, ruhte auf Obenreizers Schultern und Obenreizer entledigte sich tapfer dieser Pflicht. Das Herz ging ihm auf und indem er den aufgeklärten Ausländer spielte, pries er Englands Ruhm. Wenn andere Gegenstände des Gespräches versiegten, kehrte er zu dieser unerschöpflichen Quelle zurück und ließ den Strom des Lobes in ungeschwächter Kraft fluthen. Obenreizer hätte einen Arm, ein Auge oder ein Bein darum gegeben, ein geborener Engländer zu sein. Außerhalb Englands gab es nirgends eine Stätte, wie ein home, gab es nirgends ein Ding wie eine fireside, nirgends annähernd ein schönes Weib. Seine geliebte Miß Marguerite wolle entschuldigen, aber bei ihren Reizen könne er sich nicht anders denken, als daß sich Englisches Blut in früherer Zeit mit dem ihrer niedrigen und unbekannten Vorfahren gemischt habe. Man werfe einen Blick auf die Englische Nation, welch ein kräftiges, reinliches, aufgeblasenes und gediegenes Volk das ist! Man werfe einen Blick auf Englands Städte! Welche Pracht in ihren öffentlichen Gebäuden! welche bewunderungswürdige Ordnung und Sauberkeit auf ihren Straßen! Man staune ihre Gesetze an, die die ewigen Grundregeln der Gerechtigkeit mit andern ewigen Grundregeln von Pfunden, Schillingen und Pfennigen verbinden; die jeder Injurie ihr Sühnengeld auferlegen, von der Ehrenkränkung an, bis zur Kränkung einer Nase! Sie haben meine Tochter auf dem Gewissen – Pfunde, Schillinge, Pfennige! Sie herben mich durch einen Schlag ins Gesicht niedergestreckt – Pfunde, Schillinge, Pfennige! Nie kann der materielle Wohlstand eines

solchen

 Landes untergehen! Obenreizer, der einen Blick in die Zukunft warf, sah das Ende desselben nicht ab. Obenreizer bat um die Erlaubniß, seiner Begeisternng nach Englischer Art: in einem Toast Genüge zu thun. Unser bescheidenes kleines Mahl wäre eingenommen, unser frugales Dessert aufgetragen und ein Bewunderer Englands hält der Englischen Sitte gemäß eine Ansprache! Einen Toast den weißen Klippen Albions, Mr. Vendale! den Tugenden seines Volkes, seinem köstlichen Clima und seinen bezaubernden Frauen! seinen firesides und homes, seiner habeas corpus acta und allen seinen Institutionen! Mit einem Wort – England hoch! hoch! hoch! Hurrah!«



Obenreizer hatte kaum die letzte Silbe des englischen Lebehochs gerufen, der schweigsame Freund kaum den letzten Tropfen im Glase ausgetrunken, als die Festlichkeit durch ein schüchternes Pochen an der Thür unterbrochen wurde. Ein Dienstmädchen kam herein und näherte sich ihrem Herrn, ihm einen Brief überreichend. Obenreizer öffnete den Brief und runzelte die Augenbrauen. Als er ihn mit sichtlichem Unbehagen durchlesen hatte, reichte er ihn seinem Landsmann und Freund. Vendale’s Geister hoben sich, wie er den Vorgang beobachtete. Fand er vielleicht in dem unliebsamen kleinen Papier einen Verbündeten? Sollte die langersehnte Gelegenheit endlich eintreffen?



»Ich bedaure aufrichtig, aber ich kann mir nicht anders helfen!« sagte Obenreizer, sich an seinen Landsmann wendend. »Ich bedaure, aber wir müssen fort.«



Der schweigsame Freund gab den Brief zurück und goß sich ein letztes Glas Wein ein. Seine dicken Finger umschlossen zärtlich den Hals der Flasche. Sie drückten ihn zum Abschied wie Liebhaber, die von dem Gegenstand ihrer Neigung scheiden. Seine hervorstehenden großen Augen blickten trübe, wie durch einen dazwischen lagernden Nebel auf Vendale und Margueriten hin. Seine schwere Zunge mühte sich und brachte endlich einen ganzen Satz zur Welt. »Ich glaube,« sagte er, »ich hätte noch mehr Wein trinken können.« Der Athem ging ihm bei

dieser

 Anstrengung aus. Er schnappte nach Luft und schritt der Thür zu.



Obenreizer wendete sieh mit dem Ausdruck des tiefsten Bedauerns Vendale zu.



»Ich bin erschrocken, verwirrt, betrübt,« fing er an. »Einem meiner Landsleute ist ein Unglück zugestoßen. Er ist allein, kennt Ihre Sprache nicht – und mir und meinem Freunde hier bleibt keine andere Wahl, als ihm zu Hilfe zu eilen. Was soll ich zu meiner Entschuldigung anführen? Wie kann ich mein Bedauern genügend beschreiben, mich der Ehre Ihrer Gesellschaft entziehen zu müssen?«

 



Er hielt ein, augenscheinlich, weil er erwartete, Vendale den Hut nehmen und sich verabschieden zu sehen. Vendale aber, der die Gelegenheit für sehr günstig hielt, beschloß nichts dergleichen zu thun. Er schlug Obenreizer geschickt mit dessen eignen Waffen.



»Bitte, beunruhigen Sie sich nicht. Ich warte mit dem größten Vergnügen auf Ihre Wiederkehr.«



Marguerite erröthete, wendete sich hinweg und ging zu ihrem Stickrahmem der in der Fensterecke stand. Der Schatten senkte sich über Obenreizers Augen und ein saures Lächeln umzog seine Lippen. Vendale anzukündigen, daß keine Aussicht auf baldige Wiederkehr wäre, hieß so viel, als einen Mann beleidigen, dessen gute Meinung für ihn in geschäftlicher Beziehung von großer Wichtigkeit war. Das ihm widerwärtige Anerbieten mit möglichster Freude annehmend erklärte er durch Vendale’s Vorschlag eben so geehrt als erfreut zu sein. »So freimüthig! so freundschaftlicht so englisch!« Er suchte geräuschvoll in dem Gemach umher, als vermisse er etwas, verschwand für einen Augenblick hinter der Thür, die in das Nebenzimmer führte, kam mit Hut und Mantel zurück und indem er versprach, so bald wie möglich wiederzukommen, umfaßte er Vendale’s Ellenbogen und war in Begleitung seines schweigsamen Freundes von der Scene verschwunden.



Vendale wollte nach der Fensternische hin, in der Marguerite bei der Arbeit saß. Da, als ob sie vom Himmel gefallen oder aus der Erde aufgetaucht sei – da in ihrer gewöhnlichen Stellung mit dem Gesicht gegen den Ofen – saß ein unvorhergesehenes Hinderniß, saß die Person der Madame Dor. Die starke Dame erhob sich ein wenig, sah über ihre breite Schulter Vendale an, um schwer wieder auf ihren Sitz zurück zu sinken. Arbeitete sie wieder? Ja. Reinigte sie Obenreizers Handschuhe? Nein; sie stopfte Obenreizers Strümpfe.



Die Sache stand verzweifelt. Zwei ernste Erwägungen drängten sich Vendale auf. War es möglich, Madame Dor in den Ofen zu stecken? Nein! Sie ging nicht hinein. War es möglich, zu thun, als ob Madame Dor kein lebendes Wesen sei, sondern ein Zimmerschmuck? Konnte er seine Seele dahin bringen, die achtungswerthe alte Dame für eine Commode anzusehen, auf der zufällig ein schwarzer Florkopfputz liegen geblieben war? Ja, dahin konnte er seine Seele bringen. Mit einer verhältnismäßig geringen Anstrengung vollbrachte es dieselbe. Als er auf dem altmodischen Fenstersitz dicht neben Margueriten und ihrer Stickerei Platz nahm, schien die Commode in Bewegung zu gerathen, aber eine Bemerkung entschlüpfte ihr nicht. Es möge hier eingeschaltet sein, daß ein solides Möbel schwer von der Stelle zu rücken ist und in Folge dessen den Vortheil hat – nicht leicht umzustürzen.«



Ungewöhnlich still und ungewöhnlich gehalten – die glänzenden Farben waren aus ihrem Antlitz gewichen und eine fieberhafte Hast hatte sich ihrer Finger bemächtigt – verharrte die hübsche Marguerite über ihrem Rahmen gebeugt und arbeitete, als ob ihr Leben von ihrem Eifer abhinge. Vendale, kaum weniger aufgeregt als sie empfand, wie wichtig es sei, sie zart auf das Geständniß vorzubereiten, welches er sich zu machen sehnte, und wie wichtig es sei, sie zu dem andern süßeren Geständniß zu bringen, welches ihn vor Allem zu hören verlangte. Die Liebe einer Frau ist nicht mit Sturm zu erobern, sie er giebt sich nur nach und nach und unmerklich der ausdauernden Bewerbung. Sie ist nur auf Umwegen zu gewinnen und erhört nur sanfte Stimmen. Vendale führte Marguerite zurück auf ihre Begegnungen in der Schweiz. Sie frischten miteinander die Eindrücke auf, sie riefen sich alle Vorkommnisse in jenen glücklichen Tagen in’s Gedächtniß. Nach und nach verschwand Margueriten’s Zurückhaltung. Sie lächelte, sie wurde lebhaft, sie sah Vendale an, die Nähnadel feierte oder machte falsche Stiche in die Arbeit. Ihre Stimmen wurden leiser und leiser, ihre Köpfe neigten sich einander näher und näher im Sprechen. Und Madame Dor? Madame Dor war ein Engel. Sie sah sich nicht um, sie sagte kein Wort; sie war ganz bei Obenreizers Strümpfen. Jeden Strumpf straff über den linken Arm ziehend und den Arm von Zeit zu Zeit in die Höhe haltend, um mehr Licht bei ihrer Arbeit zu gewinnen, traten Augenblicke ein, köstliche unbeschreibliche Augenblicke, in denen es schien, als ob Madame Dor kopfüber fallen wolle, um eines ihrer eigenen respectablen Beine zu betrachten u