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Mr. Noël Vanstone war just für Besuche sehr zugänglich: er ging im Garten umher Vor dem Frühstück. Seine Enttäuschung und Beunruhigung sprachen sich unumwunden aus, als er die Nachricht hörte, die ihm sein Freund mittheilte. Des Hauptmanns geläufige Zunge redete ihm jedoch die Nothwendigkeit ein, daß er den gegenwärtigen Umständen nachgeben müsse. Der bloße Wink, daß der »fromme Betrug« nach alledem fehlschlagen möchte, wenn in dem Zwischenraum von zehn Tagen Etwas vorfiele, um Mrs. Lecount ein Licht aufzustecken, that Augenblicks seine Wirkung auf Mr. Noël Vanstone und machte ihn so ruhig und zahm, als man nur wünschen konnte.

– Ich möchte Ihnen nicht gern sagen, wohin wir uns wenden, aus zwei guten Gründen, sagte Hauptmann Wragge, als er mit seinen einleitenden Erklärungen fertig war. Einmal habe ich mich noch gar nicht gewiß entschlossen, dann aber kann Mrs. Lecount, wenn Sie selber den Ort unserer Bestimmung nicht kennen, ihn nicht aus Ihnen herausbringen. Ich hege nicht den geringsten Zweifel, daß sie uns in diesem Augenblicke hinter dem Fenstervorhange hervor beobachtet. Wenn sie fragt, was ich früh von Ihnen gewollt habe, so sagen Sie ihr, daß ich kam, um mich bei Ihnen auf ein paar Tage zu Verabschieden, da ich gefunden hätte, daß meine Nichte wieder nicht recht wohl sei, und durch einen Besuch bei einigen Freunden eine Luftveränderung zu versuchen wünschte. Wenn Sie Mrs. Lecount den Glauben beibringen könnten, – doch dürfen Sie dabei nicht zu weit gehen, – daß Sie ein wenig ärgerlich auf mich und daß Sie sogar geneigt seien, meine Aufrichtigkeit in der Pflege unserer Bekanntschaft in Zweifel zu ziehen, so werden Sie unsern gegenseitigen Zweck wesentlich fördern. Sie können auf unsere Rückkehr nach Nordsteinvilla in spätestens vier bis fünf Tagen rechnen. Wenn mir mittlerweile Etwas einfällt, so steht uns ja immer die Post zu Diensten, und ich werde nicht versäumen, Ihnen zu schreiben.

– Wird nicht vielleicht Miss Bygrave an mich schreiben? fragte Mr. Noël Vanstone kleinlaut. Wußte sie, daß Sie hierher gingen? Läßt sie mir Nichts sagen?

– Unverzeihlich von mir, daß ich es vergessen konnte! rief der Hauptmann. Sie sendet Ihnen ihren Liebesgruß.

Mr. Noël Vanstone schloß in stiller Verklärung die Augen.

– Als er sie wieder öffnete, war Hauptmann Wragge durch das Gartenthor gegangen und unterwegs nach Nordsteinvilla zurück. Sobald sich seine Thür hinter ihm geschlossen hatte, kam Mrs. Lecount von dem Beobachtungsposten herab, den sie, wie der Hauptmann richtig vermuthet, eingenommen hatte, und richtete die Frage an ihren Herrn, welche, wie der Hauptmann abermals richtig vorausgesehen hatte, gleich nach seinem Weggange erfolgen mußte. Die Antwort, welche sie erhielt, brachte nur einen Eindruck bei ihr hervor. Sie hielt es bei sich für ausgemacht, daß dies eine Vorspiegelung war, und kehrte an ihr Fenster zurück, um wachsamer denn je die Nordsteine im Auge zu behalten.

Zu ihrem größten Erstaunen sah sie nach Verlauf von weniger denn einer halben Stunde einen leeren Wagen an Mr. Bygraves Thür Vorfahren. Gepäck wurde herausgebracht und auf den Wagen geladen. Miss Bygrave erschien und nahm ihren Sitz darauf ein. Ihr folgte eine Dame groß von Umfang und Gestalt, welche, wie die Haushälterin vermuthete, Mrs. Bygrave war. Dann kam das Dienstmädchen und blieb wartend aus dem Wege stehen. Die letzte Person, welche erschien, war Mr. Bygrave. Er schloß die Hausthür und nahm den Schlüssel mit sich nach einem Häuschen in der Nähe, welches die Wohnung des Besitzers von Nordsteinvilla war. Bei seiner Rückkehr nickte er dem Dienstmädchen zu, welches nun allein nach dem weniger seinen Theile des Städtchens seines Weges ging, und gesellte sich zu den Damen in dem Wagen. Der Kutscher stieg auf den Bock, und der Wagen rollte fort.

Mrs. Lecount legte den Operngucker, durch welchen sie diese Vorgänge eifrig mit angesehen hatte, mit einem Gefühle von Verlegenheit und Verwirrung nieder, das sie sich beinahe schämte, sich selber zu gestehen. Das Geheimniß Von Mr. Bygraves Zweck bei dieser plötzlichen Abreise von Aldborough, dergestalt, daß keine Seele im Hause zurückblieb, war für sie ein unauslösliches Räthsel.

Indem Mrs. Lecount sich nun mit allezeit bereiter Selbstentäußerung in die Umstände schickte, wie sie der Hauptmann seinerseits in einer ähnlichen Lage nicht an den Tag gelegt hatte, verschwendete sie weder ihre Zeit, noch ihre gute Laune an unfruchtbaren Vermuthungen. Sie ließ das Geheimniß sich selbst enthüllen, oder sich in stärkeres Dunkel hüllen, wie es die Zukunft mit sich bringen würde, und richtete ihr Augenmerk ausschließlich auf den Nutzen, den sie aus dem Ereignisse dieses Morgens in ihrem eigenen Interesse ziehen könnte. Was auch immer aus der Familie aus Nordsteinvilla geworden sein mochte: das Dienstmädchen war zurück gelassen worden, und das Dienstmädchen war gerade die Person, deren Beistand jetzt für die Pläne der Haushälterin von der äußersten Wichtigkeit sein konnte. Mrs. Lecount setzte ihren Hut auf, sah nach ihrem Vorrath von einzelnem Silbergelde in ihrer Börse und brach sofort auf, um die Bekanntschaft des Mädchens zu machen.

Sie ging erst zu dem Häuschen, wo Mr. Bygrave die Schlüssel von Nordsteinvilla gelassen hatte, um von denn Hausbesitzer die augenblickliche Wohnung des Dienstmädchens zu erfahren. Soweit erwies sich ihr Ausgang erfolgreich. Der Hausbesitzer wußte, daß das Mädchen Erlaubniß erhalten hatte, auf einige Tage nach Hause zu den Ihrigen zu gehen, und wußte, in welchem Theile von Aldborough ihre Angehörigen wohnten. Aber hier versiegten plötzlich seine Nachweisquellen. Er wußte Nichts über den Bestimmungsort, nach welchem sich Mr. Bygrave und seine Familie begeben hatten, auch konnte er die Anzahl Tage, aus welche sich deren Abwesenheit wohl erstrecken würde, nicht im Entferntesten angeben. Alles, was er sagen konnte, war, daß er von seinem Abmiether keine Aufkündigung erhalten hatte und vielmehr ersucht worden war, den Hausschlüssel solange an sich zu behalten, bis Mr. Bygrave wiederkam, um ihn in eigener Person zurückzufordern.

In ihren Erwartungen getäuscht, doch nichts weniger denn entmuthigt, wandte Mrs. Lecount nun zunächst ihre Schritte nach der hinteren Straße von Aldborough und setzte die Anverwandten des Dienstmädchens in Erstaunen, indem sie ihnen die Ehre eines Frühbesuchs erwies.

Von vornherein leicht getäuscht durch Mrs. Lecounts angeblichen Wunsch, sie in Dienste zu nehmen, wobei diese sich den Anschein gab, als glaubte sie, dieselbe habe Mr. Bygraves Dienste verlassen, gab sie, das Dienstmädchen, sich alle Mühe, die an sie gerichteten Fragen zu beantworten, aber sie wußte so wenig als der Hausbesitzer von den Plänen ihres Herrn. Alles, was sie über sie sagen konnte, war, daß sie nicht entlassen worden war, und daß sie den Empfang einer schriftlichen Bestellung abzuwarten hatte, welche sie, sobald sie gebraucht würde, wieder nach Nordsteinvilla zurück bescheiden sollte. Mrs. Lecount hatte erwartet, daß sie über diesen Punkt der Frage auch nicht besser unterrichtet sein werde, und wechselte daher sachte ihr Operationsfeld, indem sie das Mädchen auf die Licht- und Schattenseiten seiner Stellung in Mr. Bygraves Familie zu sprechen brachte.

Indem Mrs. Lecount durch die Erkundigung, die sie auf diesem Umwege einzog, in den Besitz der kleinen Geheimnisse des Haushalts gelangte, machte sie zwei Entdeckungen. Einmal brachte sie heraus, daß das Dienstmädchen, weil es mit der schweren Hausarbeit genug zu schaffen hatte, nicht in der Lage war, die Geheimnisse von Miss Bygraves Kleiderschrein zu enthüllen, die eben nur der jungen Dame selbst und deren Tante bekannt waren. Zum Andern vergewisserte sich die Haushälterin, daß der wahre Grund von Mrs. Bygraves strenger Abschließung in der einfachen Thatsache zu suchen war, daß selbige nicht viel besser als eine Blödsinnige war und sich ihr Ehegemahl vermuthlich schämte, sich mit ihr öffentlich sehen zu lassen. Diese anscheinend geringfügigen Entdeckungen klärten Mrs. Lecount über einen sehr wichtigen Punkt auf, der bisher in Zweifel gehüllt gewesen war. Sie kam zu der befriedigenden Ueberzeugung, daß der anscheinend sicherste Weg, um zu einer geheimen Untersuchung von Magdalenens Kleiderbehälter zu gelangen, der war, die schwachsinnige Dame zu berücken, nicht aber das Unwissende Dienstmädchen zu bestechen.

Als die Haushälterin bis zu diesem Schlusse gelangt war, welcher gar manche künftige Angriffe auf die schwach vertheidigte Verschwiegenheit der armen Mrs. Wragge im Gefolge haben sollte, vermied sie vorsichtig und klüglich, sich noch länger als Ausfragerin zu Gebärden. Sie lenkte die Unterhaltung auf Ortsneuigkeiten, wartete, bis sie sicher war, einen trefflichen Eindruck hinterlassen zu haben, und nahm dann Abschied.

Drei Tage vergingen, und noch immer lauerten Mrs. Lecount und ihr Herr, ein Jedes natürlich mit weit verschiedenem Interesse, mit gleichem Eifer auf das erste Zeichen wiederkehrenden Lebens in der Richtung von Nordsteinvilla. In dieser Zwischenzeit kam weder vou dem Oheim, noch von der Nichte für Mr. Noël Vanstone Etwas an. Das aufrichtige Gefühl der Unruhe über diese Vernachlässigung unterstützte wesentlich die Wirkung jener vorgeblichen Zweifel an seinen abwesenden Freunden, welche ihm der Hauptmann vor der Haushälterin auszusprechen eingeschärft hatte. Er gab seiner Befürchtung Ausdruck, daß er sich doch wohl getäuscht habe, nicht allein ein in Mr. Bygrave, sondern sogar auch in seiner Nichte, und that dies mit einer so aufrichtigen, ärgerlichen Miene, daß er die bereits bestehende Unsicherheit der Mrs. Lecount noch durch ein neues Element der Verwirrung vermehrte.

Am Morgen des vierten Tages begegnete Mr. Noël Vanstone dem Briefträger im Garten und entdeckte zu seiner großen Freude unter den ihm überbrachten Briefen auch eine Zuschrift von Mr. Bygrave.

Das Datum des Briefes war Woodbridge, und Letzterer enthielt nur wenige Zeilen. Mr. Bygrave erwähnte, daß sich seine Nichte besser befinde und ihm wie immer ihren Minnegruß sende. Er hatte vor, den Tag darauf nach Aldborough zurückzukehren, wo er dann einige neue Erwägungen von rein persönlicher Art. Mr. Noël Vanstone vorlegen werde. In selbiger Zeit bat er Mr. Vanstone nicht eher auf Nordsteinvilla einen Besuch zu machen, bis er eine ausdrückliche Einladung dazu erhalten werde, welche Einladung aber bestimmt noch an demselben Tage, wo die Familie zurückkehre, erfolgen solle. Die Gründe zu dieser anscheinend seltsamen Bitte sollten zu Mr. Vanstones vollkommener Befriedigung erfüllt werden, wenn er wieder mit seinen Freunden vereinigt sein werde. Bis dies geschähe, wurde ihm in seinen Beziehungen zu Mrs. Lecount erst die äußerste Vorsicht empfohlen, und die augenblickliche Vernichtung von Mr. Bygraves Brief nach reiflicher Durchsicht desselben sei, wenn er ihm den classischen Ausdruck gestatten wolle, eine oonditio sine qua non.

 

Der fünfte Tag kam.

Mr. Noël Vanstone wartete, nachdem er sich dem sine qua non gefügt und den Brief vernichtet hatte, mit Spannung auf das, was nun folgen würde, während Mrs. Lecount ihrerseits mit Ruhe den Ereignissen entgegensah. Gegen drei Uhr Nachmittags erschien der Wagen wieder vor dem Thore der Nordsteinvilla. Mr. Bygrave sprang heraus und eilte rasch nach dem Häuschen, wo der Wirth wohnte, um den Schlüssel zu holen. Er kehrte mit dem Dienstmädchen hinter sich drein zurück. Miss Bygrave verließ den Wagen, ihre riesige Verwandte folgte ihrem Beispiele, die Hausthür wurde geöffnet, die Kisten und Kasten wurden heruntergenommen, der Wagen verschwand und – die Bygraves waren wieder zu Hause!

Vier Uhr schlugs, fünf Uhr, sechs Uhr, und Nichts begab sich. Eine halbe Stunde später erschien Mr. Bygrave geschniegelt, sauber und feinanständig, wie immer, auf der Promenade und schlenderte ruhig in der Richtung von Amsee einher.

Anstatt sofort in das Haus zu treten, ging er daran vorbei, blieb dann stehen, als ob ihm plötzlich Etwas einfiele, und fragte nun umkehrend an der Thür nach Mr. Vanstone. Mr. Vanstone kam, ihn bewillkommnend, in den Hausgang. Indem Mr. Bygrave seine Stimme so laut klingen ließ, daß er von jedem durch eine offene Thür von den Schlafzimmern her lauschenden Wesen mit leichter Mühe verstanden werden konnte, zeigte er den Zweck seines Besuches auf dem Teppich vor der Thür stehend in den kürzest möglichsten Worten an. Er war bei einem entfernt wohnenden Verwandten aus Besuch gewesen. Der entfernte Verwandte besaß zwei Gemälde, Prachtstücke von alten Meistern, welche er veräußern wolle und zu dem Ende Mr. Bygrave anvertraut habe. Wenn Mr. Noël Vanstone als ein Liebhaber von solchen Sachen die Prachtstücke zu sehen wünsche, so würden sie in der nächsten halben Stunde, wo Mr. Bygrave auf Nordsteinvilla zurück sein werde, zu sehen sein.

Nachdem der Erzverschwörer sich dieser Unbegreiflichkeit Meldung entledigt hatte, legte er seinen Zeigefinger an seine kurze römische Nase und sagte:

– Schönes Wetter, nicht wahr? Guten Abend!

Und damit schlenderte er, ohne daß Eins wußte, was das zu bedeuten hatte, weiter, um seinen Spaziergang aus der Promenade fortzusetzen.

Nach Verlauf der halben Stunde stellte sich Mr. Noël Vanstone aus Nordsteinvilla ein mit der Gluth eines feurigen Liebhabers, welche unter dem darüber lagernden geistigen Nebel eines ganz, verlegenen Mannes brannte. Zu seiner unaussprechlichen Freude fand er Magdalenen allein im Zimmer. Niemals zuvor hatte sie in seinen Augen so schön ausgesehen Die Ruhe und Erholung einer Abwesenheit von vier Tagen von Aldborough hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Sie hatte ihre Fassung vollkommen wieder erlangt. Indem sie von einem heftigen Extrem zum andern herüber und hinüber fieberte, war sie nun von der leidenschaftlichen Verzweiflung von fünf Tagen früher zu einer fieberhaften Aufregung übergangen, welche alle Reue erstickte und vor keinerlei Folgen zurück bebte. Ihre Augen flammten ihre Wangen glühten in schöner Farbe, sie sprach ohne Unterlaß mit einem schwachen Anklang an die Mädchenlaune in vergangener Zeit, sie lachte mit einer beklagenswerthen Hartnäckigkeit im Lachen, sie ahmte Mrs. Lecounts weiche Stimme und Mrs. Lecounts anmuthiges Benehmen mit einer Uebertreibung des Urbildes nach, welche nur der matte Abglanz der sorgfältig auffassenden und wiedergebenden Nachahmungen der früheren Zeit war. Mr. Noël Vanstone, welcher sie nie zuvor gesehen hatte, wie er sie jetzt sah, war entzückt, sein schwacher Kopf wirbelte in trunkener Lust, seine weißen Wangen wurden, von Roth umflossen, als ob die Farbe der Geliebten sich auf sein Antlitz übertragen hätte. Die halbe Stunde, welche er mit ihr allein war, verging ihm, wie wenn es nur fünf Minuten gewesen wären. Als diese Zeit um war, und sie ihn plötzlich verließ, um einer vorher verabredeten Ladung zu ihrer Tante zu gehorchen, würde er, so niedrig geizig er auch war, fünf goldene Sovereigns aus seiner Tasche erlegt haben, wenn er fünf goldene Minuten länger in ihrer Gesellschaft hätte zubringen können.

Die Thür hatte sich kaum hinter Magdalenen geschlossen, als sie sich wieder aufthat, und der Hauptmann hereintrat. Er eröffnete die Erklärungen, welche sein Gast natürlich von ihm erwartete, mit der von Förmlichkeiten freien raschen Art eines Mannes, der mit seiner Zeit sehr geizen und jeden ihm zur Verfügung stehenden Augenblick möglichst ausnutzen muß.

– Seitdem wir uns zuletzt gesehen, begann er, habe ich die Aussichten für und gegen uns, wie sie gegenwärtig vor uns stehen, im Geiste abgewogen Das Ergebniß bei mir selbst ist folgendes. Wenn Sie noch zu Aldborough sind, zur Zeit, wo der Brief aus Zürich für Mrs. Lecount ankommt, werden alle Bemühungen, welchen wir uns bis jetzt unterzogen haben, weggeworfen sein. Wenn die Haushälterin fünfzig Brüder hätte, die alle zusammen im Sterben lägen, so würde sie eher alle fünfzig Verlassen, als daß dieselbe Sie auf Amsee allein ließe, solange wir Ihre Nachbarn auf Nordsteinvilla sind.

Mr. Noël Vanstones glühende Wangen wurden vor Aerger wieder blaß. Seine eigne Kenntniß von Mrs. Lecount mußte ihm sagen, daß diese Ansicht Von der Sache die richtige war.

– Wenn wir wieder weggehen, fuhr der Hauptmann fort, so wird damit Nichts gewonnen; denn Ihre Haushälterin ließe sich von keinem Menschen einreden, daß wir Ihnen nicht die Mittel an die Hand gegeben hätten, Ihnen nachzufolgen. Diesmal müssen Sie Aldborough verlassen, und, was mehr ist, Sie müssen gehen, ohne nur eine einzige sichtbare Spur zu hinterlassen, daß wir Ihnen etwa folgen könnten. Wenn wir im Laufe der nächsten fünf Tage diesen Plan durchführen können, wird Mrs Lecount die Reise nach Zürich unternehmen. Wenn wir nicht so glücklich sind, so wird sie wie »festgemauert in der Erden« zu Amsee verharren bis in alle Ewigkeit. Thun Sie keine Fragen! Ich habe Ihre Verhaltungsmaßregeln bereits für Sie fertig, und Sie müssen mir dazu schlechterdings Ihre ganze Aufmerksamkeit schenken. Ihre Verheirathung mit meiner Nichte hängt davon ab, daß Sie nicht ein Wort vergessen von dem, was ich Ihnen jetzt mittheilen will. – Zunächst erst noch eine Frage. Haben Sie meinen Rath befolgt? Haben Sie Mrs. Lecount gesagt, Sie fingen an einzusehen, daß Sie sich in mir getäuscht hätten?

– Ich that noch Schlimmeres als das, versetzte Mr. Noël Vanstone de- und reumühig. Ich beging eine Verwaltigung meine eigenen Gefühle. Ich vergaß mich soweit zu sagen, daß ich an Miss Bygrave zweifele!

– Vergessen Sie sich nur immer zu, lieber Herr! Zweifeln Sie, so sehr Sie können, an uns Beiden, und dann will ich Sie auch unterstützen. Noch eine Frage. Sprach ich diesen Nachmittag laut genug? Hörte mich Mrs. Lecount?

– Ja wohl. Die Lecount machte ihre Thür auf, die Lecount hörte Sie. Warum machten Sie mir jene Mittheilung? Ich sehe keine Bilder hier. Ist dies ein neuer »frommer Betrug«, Mr. Bygrave?

– Vortrefflich errathen, Mr. Vanstone? Sie werden den Gegenstand meines angeblichen Gemäldeverkaufs in den nächsten Worten hören, welche ich jetzt an Sie richten werde. Wenn Sie nach Amsee zurück sind, so ist das, was Sie zu Mrs. Lecount sagen müssen, Folgendes. Sagen Sie ihr, daß die Kunstwerke meines Verwandten zwei werthlose Bilder seien, Copieen von alten Meistern, welche ich Ihnen zu einem unerhörten Preise als Originale habe aufbinden wollen. Sagen Sie ihr, Sie hätten mich in Verdacht, daß ich nur wenig besser als ein scheinbarer Betrüger sei, und beklagen Sie meine arme Nichte, daß Sie an einen solchen Schurken, wie ich gekettet sei. Dies ist die Grundtonart, aus der Sie Ihr Lied singen müssen. Sagen Sie ihr in Vielen Worten, was ich Ihnen eben in wenigen gesagt habe. Nicht wahr, das können Sie?

– Natürlich kann ich das, sprach Mr. Noël Vanstone. Aber ich kann Ihnen nur Eines sagen: die Lecount wird kein Wort von mir glauben.

– Haben Sie nur ein wenig Geduld, Mr. Vanstone; ich bin mit meinen Verhaltungsregeln noch nicht zu Ende. Sie haben Ihre Verhaltungsregeln für heute, und Sie haben die für morgen. Jetzt kommt übermorgen dran!

Dieses Uebermorgen ist der siebente Tag, seit wir den Brief nach Zürich geschickt haben. Am siebenten Tag lehnen Sie, wie bisher, ab, auszugehen, aus Besorgniß einer unliebsamen Begegnung mit mir. Murren Sie über die Kleinheit des Orts, klagen Sie über Ihre Gesundheit, wünschen Sie nie nach Aldborough gekommen zu sein und nie die Bekanntschaft der Bygraves gemacht zu haben, und wenn Sie Mrs. Lecount mit Ihrer Unzufriedenheit recht warm gemacht haben, fragen Sie sie plötzlich, ob sie nicht einen – Wechsel des Orts für besser hielte. Wenn sie diese Frage in recht unbefangenem Tone an sie richteten, glauben Sie da, daß sie bestimmt daraus antworten wird?

– Sie braucht gar nicht viel gefragt zu werden, versetzte Mr. Noël Vanstone in gereiztem Tone. Ich habe nur zu sagen, daß ich Aldborough herzlich müde bin, und wenn sie mir glaubt, – was sie nicht wird, ich bin fest überzeugt, Mr. Bygrave, sie wird es nicht glauben! – so wird sie ihren Vorschlag bei der Hand haben, ehe ich sie darum ersuchen werde.

– Ei, ei, sagte der Hauptmann eifrig, es ist also ein Ort, wohin Mrs. Lecount diesen Herbst gehen muß?

– Sie muß jeden Herbst dorthin gehen – der Henker hole sie!

– Wohin gehen?

– Zu Admiral Bartram, Sie kennen ihn nicht, nicht wahr? – in St. Crux in der Marsch.

– Verlieren Sie die Geduld nicht, Mr. Vanstone!

Was Sie mir da erzählen, ist von der äußersten Wichtigkeit für den Zweck, den wir im Auge haben. Wer ist Admiral Bartram?

– Ein alter Freund von meinem Vater. Er hatte Verpflichtungen gegen meinen Vater, mein Vater lieh ihm nämlich Geld, als sie beide noch junge Leute waren. Ich bin wie Einer von der Familie zu St. Crux; mein Zimmer wird immer für mich bereit gehalten. Nicht daß der Admiral irgend welche Familie bei sich hätte außer seinem Neffen, Georg Bartram. Georg ist mein Neffe; ich bin mit Georg so vertraut, wie mein Vater mit dem Admiral war. Aber ich bin gescheidter gewesen, als mein Vater; denn ich habe meinem Freunde keinen Pfennig geliehen. Die Lecount gibt sich immer den Anschein, als könne sie Georg gut leiden, ich glaube, bloß um mich zu ärgern. Sie hat den Admiral auch gern, er schmeichelt ihrer Eitelkeit. Er ladet sie immer mit ein, wenn ich nach St. Crux kommen soll. Er läßt ihr eins der schönsten Schlafzimmer anweisen und behandelt sie wie eine große Dame. Sie ist so stolz als der Gottseibeiuns; sie hat es gern, wenn man sie wie eine Dame behandelt, und quält mich jeden Herbst nach St. Crux zu gehen. – Was soll Das? Warum nehmen Sie Ihr Notizbuch aus der Tasche?

– Ich brauche die Adresse des Admirals, Mr. Vanstone, zu seinem Zwecke, den ich Ihnen sogleich klar machen werde.

Mit diesen Worten öffnete Hauptmann Wragge sein Taschenbuch und schrieb die Adresse auf, wie sie ihm Mr. Noël Vanstone Vorsagte, nämlich:

ADMIRAL BARTRAM
ST. CRUX IN DER MARSCH
bei
OSSORY, ESSEX

– Gut, rief der Hauptmann sein Taschenbuch wieder zumachend aus, die einzige uns im Wege stehende Schwierigkeit ist nun hinweg geräumt Geduld, Mr. Vanstone. Geduld! Wir wollen meine Verhaltungsregeln an dem Punkte wieder aufnehmen, wo wir den Faden fallen ließen. Leihen Sie mir nur noch fünf Minuten ein aufmerksames Ohr, und Sie werden den Weg zu Ihrer Hochzeit so deutlich sehen als ich. Uebermorgen erklären Sie, Sie seien Aldborough satt, und Mrs. Lecount schlägt St. Crux vor. Sie sagen nicht gleich Ja noch Nein, Sie nehmen den nächsten Tag zur Ueberlegung und entschließen sich erst den Abend Vorher, den nächsten Morgen früh nach St. Crux zu gehen. Sind Sie gewohnt, das Einpacken selbst mit zu besorgen? Oder legen Sie gewöhnlich die ganze Mühe auf? Mrs. Lecounts Schultern?

 

– Die Lecount hat natürlich das Alles zu besorgen, die Lecount wird dafür bezahlt! Aber ich gehe doch nicht wirklich fort, nicht wahr?

– Sie gehen so rasch, als die Pferde Sie zur Eisenbahn bringen können, ohne weder persönlich noch schriftlich vorher eine Mittheilung in dies Haus gelangen zu lassen. Sie lassen Mrs. Lecount hinter sich, um Ihre Raritäten einzupacken, mit den Kaufleuten abzurechnen und Ihnen den andern Morgen nach St. Crux zu folgen. Der nächste Morgen ist der zehnte Tag. Am zehnten Morgen empfängt sie den Brief aus Zürich, und wenn Sie nur meine Verhaltungsregeln ausführen, Mr. Vanstone, so geht sie, so gewiß Sie hier sitzen, nach Zürich!

Mr. Noël Vanstones Farbe begann sich zu heben, als ihm die List des Hauptmannes endlich in ihrem wahren Lichte aufging.

– Und was soll ich in St. Crux thun? frug er.

– Warten Sie dort, bis ich Sie hierher rufe, versetzte der Hauptmann. Sobald Mrs. Lecount den Rücken gewendet hat, will ich hier in die Kirche gehen und die nöthige Anzeige wegen der Trauung machen. Denselben Tag oder den nächsten Tag will ich zu der in mein Taschenbuch eingetragenen Adresse reisen, Sie bei dem Admiral auspacken und mit mir nach London nehmen, um den Erlaubnißschein einzuholen. Mit diesem Papier in der Tasche werden wir wieder nach Aldborough unterwegs sein, während Mrs. Lecount nach Zürich unterwegs ist, und bevor sie die Rückreise antritt, werden Sie und meine Nichte Mann und Frau sein! Das sind Ihre Zukunftsaussichten. Was halten Sie davon?

– Was für einen Kopf haben Sie! rief Mr. Noël Vanstone mit einem plötzlichen Ausbruch von Begeisterung. Sie sind der außerordentlichste Mann, mit dem ich in meinem Leben zusammengekommen bin. Man könnte denken, Sie hätten Ihr Leben lang nur die Leute hinters Licht geführt!

Hauptmann Wragge nahm diesen in aller Unschuld gezollten Tribut für sein angeborenes Genie mit der schmunzelnden Miene eines Mannes auf, welcher fühlte, daß er denselben in vollem Maße verdiente.

– Ich habe Ihnen schon gesagt, mein lieber Herr, sprach er bescheiden, daß ich niemals Etwas halb thue. Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie daran erinnere,daß wir keine Zeit haben, gegenseitig Complimente zu wechseln. Sind Sie über Ihre Verhaltungsregeln ganz im Klaren? Ich wage nicht sie aufzuschreiben aus Furcht vor widrigen Zufällen Versuchen Sie es einmal mit der Gedächtnißkunst, zählen Sie Ihre Verhaltungsregeln mir nach an den Daumen und vier Fingern. Heute sagen Sie Mrs. Lecount, ich habe Sie mit meines Vetters Bildern beschwindeln wollen. – Morgen weichen Sie mir auf der Promenade aus. – Uebermorgen weigern Sie sich auszugehen, sind Sie Aldborough müde und erlauben Mrs. Lecount, Ihnen ihren Vorschlag zu machen. – Den Tag darauf nehmen Sie den Vorschlag an. – Und wieder einen Tag später gehen Sie nach St. Crux. Noch einmal, mein lieber Herr! Daumen – die Kunstsachen Zeigefinger – mir auf der Promenade ausweichen. Mittelfinger – Aldborough müde sein. Goldfinger – der Lecount Rath annehmen. Kleiner Finger – fort nach St. Crux. Nichts kann verständlicher sein, Nichts leichter auszuführen. Ist noch Etwas, was Sie nicht verstanden haben? Etwas, was ich, ehe Sie gehen, noch einmal erklären kann?

– Nur noch Eines, sagte Wir. Noël Vanstone. Ist es bestimmt, daß ich nicht wieder hierher komme, ehe ich nach St. Crux gehe?

– Ei, unabänderlich bestimmt! antwortete der Hauptmann; der ganze Erfolg des Unternehmens hängt davon ab, daß Sie sich fern halten. Mrs. Lecount wird die Glaubwürdigkeit von Allem, was Sie ihr sagen, nach der einen Probe beurtheilen, nach der Probe, ob Sie mit diesem Manne noch Verbindung unterhalten oder nicht. Sie wird Sie Tag und Nacht beobachten! Besuchen Sie uns nicht, lassen Sie uns keine Botschaft zugehen, schreiben Sie keine Briefe, gehen Sie sogar nicht einmal allein aus. Lassen Sie sie sehen, wie Sie nach St. Crux gehen nach ihrem eigenen Vorschlage, mit der festen Ueberzeugung in ihrem Herzen, daß Sie nur ihren Rath befolgt haben, ohne dies mir oder meiner Nichte in irgend einer Art mitgetheilt zu haben. Thun Sie Das, dann muß sie Ihnen glauben auf Grund des besten Beweises für unsere Interessen und des schlechtesten für ihre eigenen, des Beweises ihrer eigenen Sinne.

Mit diesen Lehren der Vorsicht drückte er Mr. Noël Vanstone warm die Hand und schickte ihn sofort nach Hause zurück.

Hauptmann Wragge legte sich diese Nacht in guter Laune nieder. Er redete scherzhaft das Löschhorn an seinem Leuchter an, als er es hob, um das Licht auszuthun.

– Wenn ich Dich nur über Mrs. Lecount stülpen könnte, sprach der Hauptmann, so könnte, ich der letzten noch übrigen Sorge diesseits des Hochzeitstages Lebewohl sagen!.