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Ein tiefes Geheimniss

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»Treverton!« rief Mr. Phippen, indem er seine Teetasse mit dem geriebenen Ingwer auf dem Boden derselben hinhielt, um sie von Miß Sturch füllen zu lassen, »Treverton! – So ist es genug, meine liebe Miß Sturch! – Das ist doch merkwürdig! Diesen Namen kenne ich. – Noch ein wenig Wasser, wenn ich bitten darf. – Sage mir, lieber Doktor – ich danke recht sehr – keinen Zucker – er verwandelt sich im Magen in Säure – ist diese Miß Treverton, welche du vermählt hast – ich danke nochmals, auch keine Milch – eine von den Trevertons in Cornwall?«

»Jawohl, versteht sich,« entgegnete der Vikar. »Ihr Vater, Kapitän Treverton, ist das Haupt der Familie. Nicht als ob dieselbe sehr zahlreich wäre. Der Kapitän und Rosamunde und ihr launenhafter, mürrischer alter Onkel, Andrew Treverton, sind alles, was noch von dem alten Stamme übrig ist. In frühern Zeiten war es eine reiche Familie und eine schöne Familie – gute Freunde der Kirche und des Staats, weißt du, und alles dergleichen.«

»Erlauben Sie, Herr Doktor, daß Amely noch ein Stück Brot und Kompott bekommt?« fragte Miß Sturch den Vikar, ohne im mindesten zu wissen, daß sie ihn in seiner Rede unterbrach. Da sie in ihrem Geiste keinen überflüssigen Raum hatte, an welchem sie gewisse Dinge hätte aufbewahren können bis es Zeit war, damit herauszurücken, so tat sie Fragen und machte Bemerkungen in dem Augenblick, wo ihr dieselben einfielen, ohne auf den Anfang, die Mitte, oder das Ende der Konversationen zu warten, welche vielleicht in ihrem Beisein geführt wurden. Mit den Augen spielte sie die Rolle einer Zuhörerin ganz vollkommen, aber sie war eine solche wirklich nur dann, wenn die Worte unmittelbar für ihre eigenen Ohren bestimmt und an dieselben gerichtet waren.

»O, geben Sie ihr noch ein Stück – immerhin,« sagte der Vikar gleichgültig. »Überessen muß sie sich einmal und das kann sie ebensogut in Brot und Kompott tun, als in etwas anderem.«

»Mein guter, lieber Freund,« rief Mr. Phippen, »sieh an, was für ein unglücklicher, kranker Mensch ich bin; spricht nicht in dieser entsetzlich gedankenlosen Weise davon, daß du deine liebe kleine Amely sich überessen lassen willst. Wenn der Magen schon in der Jugend überladen wird, was soll dann aus der Verdauung im Alter werden? Das Ding, welches die gemeinen Leute das Inwendige nennen – Miß Sturch wird aus Interesse an ihrer liebenswürdigen Schülerin mich entschuldigen, wenn ich in physiologische Erörterungen eingehe – ist in der Tat eine Maschine. Vom Standpunkt der Verdauung aus betrachtet, Miß Sturch, ist selbst der schönste und jüngste von uns eine Maschine. Man öle unsere Räder, aber man hemme ihren Gang nicht durch unpassende Substanzen. Mehlhaltige Puddings und Hammelkoteletts – Hammelkoteletts und mehlhaltige Puddings – das müßte, wenn es mir nach ginge, die Parole der Älteren von einem Ende Englands bis zum andern sein. Schau her, liebes Kind, sieh mich an. Diese kleine Waage ist durchaus kein Spaß, sondern furchtbarer Ernst. Sieh, ich lege in die eine Schale derselben trockenes Brot – altbackenes, trockenes Brot, liebe Amely – und in die andere einige Unzen Gewichte. ‚Mr. Phippen, essen Sie nach dem Gewicht. Mr. Phippen, essen Sie Tag für Tag aufs Haar genau dieselbe Quantität. Mr. Phippen, überschreiten Sie dieselbe um keinen Preis, wenn es auch bloß altbackenes, trockenes Brot ist.’ Meine liebe Amely, das ist kein Scherz – das ist, was die Ärzte zu mir sagten – die Ärzte, liebes Kind, welche meine Maschine seit dreißig Jahren mit kleinen Pillen durch und durch sondiert, aber immer noch nicht gefunden haben, wo es mit meinen Rädern hapert. Merke dir das, liebe Amely – denke an Mr. Phippens mangelhafte Maschine – und sage das nächste Mal, wo man dir noch mehr zu essen anbietet: Nein, ich danke – Miß Sturch, ich bitte tausendmal um Verzeihung, daß ich mich in etwas mische, was Ihres Amtes ist, mein Interesse aber für dieses liebe Kind, meine eigene traurige Erfahrung in Bezug auf die hydraköpfigen Qualen – ach, Chennery, mein guter, lieber Freund, wovon sprachen wir denn eigentlich? – Ja, jetzt fällt es mir wieder ein – wir sprachen von der Braut – der interessanten Braut. Also, sie ist eine der Trevertons von Cornwall? Ich war vor Jahren mit Andrew ein wenig näher bekannt. Er war ein exzentrischer, menschenfeindlicher alter Junggesell, gerade wie ich selbst, Miß Sturch; er litt auch an der Verdauung gerade wie ich, liebe Amely. Er hatte, vermute ich, durchaus keine Ähnlichkeit mit seinem Bruder, dem Kapitän. Also, die ist nun vermählt? Ein liebenswürdiges Mädchen – ich zweifle nicht daran – ein liebenswürdiges Mädchen.«

»In der ganzen Welt gibt es kein besseres, aufrichtigeres und hübscheres,« sagte der Vikar. »Dabei ist sie auch eine sehr lebhafte, energischer Person.«

»Wie werde ich sie vermissen,« sagte Miß Louise. »Niemand anders amüsierte mich so wie Rosamunde, als ich das letzte Mal an dem blöden Schnupfen litt und das Bett hüten mußte.«

»Und was gab sie uns immer für nette kleine Soupers!« sagte Miß Amely.

»Sie war das einzige Mädchen, welches ich je gekannt, das mit Knaben zu spielen verstand,« sagte Master Robert. »Sie konnte den Ball mit einer Hand fangen, Mr. Phippen, und auf dem Eise mit gleichen Füßen schuscheln.«

»Was du nicht sagst!« rief Mr. Phippen. »Das ist ja eine ganz außerordentliche Frau für einen Blinden! Nicht wahr, lieber Doktor, du sagtest, er sei blind? Wie hieß er gleich? Sie werden mein schlechtes Gedächtnis nicht allzuhart beurteilen, Miß Sturch. Wenn Verdauungsbeschwerden den Körper ruiniert haben, dann beginnen sie auch an dem Geiste zu nagen. Mr. Frank hieß er, nicht wahr? Und ist er von seiner Geburt an blind gewesen? Traurig! Traurig!«

»Nein, nein – Frankland heißt er,« antwortete der Vikar, »Leonard Frankland. Auch ist er keineswegs von seiner Geburt an blind gewesen. Es ist nicht viel über ein Jahr her, als er noch so gut sehen konnte wie eins von uns.«

»Dann ist er wohl durch einen Unfall erblindet?« sagte Mr. Phippen. »Du erlaubst mir doch, daß ich mich in den Armstuhl setze ? Eine teilweise liegende Stellung ist mir nach der Mahlzeit allemal von wesentlichem Nutzen. Also, es ist mit seinen Augen ein Unfall vorgegangen? Ja, in diesem Lehnstuhl sitzt es sich doch köstlich!«

»Einen Unfall kann man es eigentlich nicht nennen,« entgegnete Doktor Chennery, »Leonard Franklands Erziehung hatte viel Schwierigkeiten. Erstens war er von Haus aus sehr schwächlich. Mit der Zeit schien sich dies jedoch zu bessern und er wuchs zu einem ruhigen, gesetzten, manierlichen Knaben heran, der mit meinem Söhnchen dort durchaus keine Ähnlichkeit hatte. Er war sehr liebenswürdig und es ging sich, wie man zu sagen pflegt, sehr gut mit ihm um. Er hatte große Vorliebe für die Mechanik – ich erzähle dir alles dies, damit du die Sache richtig begreifst, wenn ich auf seine Blindheit zu sprechen komme – und nachdem er eine Beschäftigung dieser Art nach der andern vorgenommen, legte er sich endlich aufs Uhrmachen. Es war dies ein seltsamer Zeitvertreib für einen Knaben, aber alles, was zarte Behandlung und viel Geduld und Ausdauer erforderte, war gerade das, was Leonard liebte und gern trieb. Ich sagte immer zu seinen Eltern: »Zieht ihn von diesem Stuhle herunter, zerbrecht seine Vergrößerungsgläser, schickt ihn zu mir und ich will mit ihm Turnübungen durchmachen und ihn einen Ballschlägel handhaben lehren.« Aber es half nichts. Seine Eltern wußten, glaube ich, am besten, was zu tun wäre und sagten, man müsse ihm den Willen tun. Na, die Sache ging eine Zeitlang ganz gut, bis er wieder in eine lange Krankheit verfiel – wie ich glaube, weil er sich nicht Bewegung genug gemacht hatte. Sobald als er wieder zu genesen begann, ging auch die alte Uhrmacherei wieder los. Das schlimme Ende aber sollte noch kommen. Ungefähr die letzte Arbeit, die er ausführte, der arme Teufel, war die Reparatur meiner Uhr – hier ist sie – sie geht so regelmäßig wie eine Dampfmaschine. Ich hatte sie noch nicht lange wieder in der Tasche, als ich hörte, daß er sich über heftige Schmerzen im Hinterkopfe beklage und daß er alle Arten sich bewegende Punkte vor den Augen sähe. »Gebt ihm tüchtig Portwein zu trinken und laßt ihn täglich drei Stunden lang auf einem ruhigen Pferdchen spazierenreiten« – dies war mein Rat. Anstatt aber denselben zu befolgen, ließen seine Eltern Ärzte von London holen, legten ihm spanische Fliegen hinter die Ohren und zwischen die Schultern, ließen ihn Quecksilber einnehmen und steckten ihn in ein finsteres Zimmer. Es half nichts. Die Augen wurden schlimmer und schlimmer, flackerten und flackerten und verlöschten endlich wie die Flamme eins Lichts. Seine Mutter starb – es war ein Glück für sie, die arme Seele – ehe dies geschah. Sein Vater war ganz außer sich und reiste mit ihm zu Augenärzten in London und zu Augenärzten in Paris. Sie taten aber weiter nichts, als daß sie die Blindheit bei einem langen lateinischen Namen nannten und sagten, es sei hoffnungslos und nutzlos, eine Operation zu versuchen. Einige von ihnen sagten, das Übel sei die Folge der langwierigen Schwäche, woran er zwei Mal nach seiner Krankheit gelitten. Andere wieder sagten, es sein eine apoplektische Ergießung im Gehirn. Alle aber schüttelten die Köpfe, als sie von der Uhrmacherei hörten. Und so brachte man ihn blind wieder nach Hause; blind ist er jetzt und blind wird er bleiben, der arme junge Mann, so lange er lebt.«

»Du machst mich sehr ängstlich, lieber Chennery, du machst mich sehr ängstlich,« sagte Mr. Phippen, »besonders mit dieser Theorie von langwieriger Schwäche nach Krankheit. Gütiger Himmel! Ich habe auch an langwieriger Schwäche gelitten – ich leide jetzt noch daran. Punkte sah er vor den Augen? Ich sehe auch schwarze Punke – tanzende schwarze Punkte – tausende, schwarze, gallige Punkte. Auf mein Ehrenwort, lieber Chennery, das paßt ganz auf mich – meine Sympathie ist schmerzlich erregbar – Ich fühle diese Blindengeschichte in jedem Nerv meines Körpers – du kannst es mir glauben.«

 

»Wer aber Leonard ansieht und es nicht weiß, der würde kaum glauben, daß er blind ist,« sagte Miß Louise, indem sie sich mit der Absicht, Mr. Phippens Gleichmut wieder herzustellen, ins Gespräch mischte. »Abgesehen davon, daß seine Augen ruhiger aussehen als die anderer Leute, scheint kein Unterschied bemerkbar zu sein. Wer war jener berühmte Mann, von dem Sie uns erzählten, Miß Sturch, der auch blind war und dem man es ebensowenig anmerkte wie Leonard Frankland?«

»Milton, liebes Kind. Ich bat euch, zu merken, daß er der berühmteste der epischen Dichter Englands war,« antwortete Miß Sturch in ihrem freundlichen Tone. »Er spricht sich selbst sehr poetisch über die Ursache seiner Blindheit aus. Du sollst es selbst lesen. Louise. Nachdem wir diesen Morgen ein wenig französisch getrieben haben, werden wir ein wenig Milton vornehmen. Still, still, liebes Kind,– dein Papa spricht.«

»Der arme junge Frankland!« sagte der Vikar mitleidig. »Das gute, zärtliche, edle Wesen, welches ich ihm diesen Morgen vermählt, scheint ihm in seinen Leiden als Trost gesendet zu sein. Wenn irgend eine menschliche Kreatur ihn für sein noch übriges Leben glücklich machen kann, so ist es Rosamunde Treverton.«

»Sie hat ein Opfer gebracht,« sagte Mr. Phippen, »aber deswegen gefällt sie mir, denn ich habe auch ein Opfer gebracht, indem ich ledig geblieben bin. Auch scheint es aus Humanitätsrücksichten unumgänglich nötig zu sein, daß ich ledig bleibe. Wie könnte ich mit gutem Gewissen bei einer solchen Verdauung wie die meinige ein Mitglied des schönern Teils der Schöpfung unglücklich machen! Nein, ich bin ein Opfer in meiner eigenen Person und habe Mitgefühl für Andere, die sich in derselben Lage befinden. Weinte sie sehr, Chennery, als du die Zeremonie vollzogst?«

»Ob sie weinte!« rief der Vikar verächtlich. »Rosamunde Treverton gehört nicht zu der weinerlichen sentimentalen Sorte, das kann ich dir versichern. Sie ist ein schönes, kräftiges, warm fühlendes Mädchen, welches schon durch ihre Blicke zu erkennen gibt, was sie meint, wenn sie einem Manne sagt, sie wolle ihn heiraten. Und merke wohl, sie ist auf die Probe gestellt worden. Wenn sie ihn nicht von ganzem Herzen und ganzer Seele liebte, so hätte ihr schon vor Monaten freigestanden, ganz nach Belieben einen Andern zu heiraten. Sie waren schon lange zuvor, ehe der junge Frankland von diesem grausamen Leiden heimgesucht ward, miteinander verlobt, denn die Väter haben seit Jahren als Nachbarn hier nebeneinander gewohnt. Als Leonard blind ward, erbot er in seiner Gewissenhaftigkeit sich sofort, Rosamunde ihres Versprechens zu entbinden. Du hättest den Brief lesen sollen, Phippen, den sie ihm darauf schrieb. Ich gestehe ganz offen, daß ich flennte wie ein altes Weib, als man mir ihn zeigte. Ich würde die jungen Leute sofort, nachdem ich den Brief gelesen, vermählt haben, der alte Frankland aber war ein krittlicher, pedantischer Mann und bestand auf einer Probezeit von sechs Monaten, damit Rosamunde sich überzeugen könne, ob sie ihr eigenes Gemüt auch richtig verstünde. Er starb ehe diese Frist um war und dies war die Ursache, daß die Heirat abermals hinausgeschoben ward. Alle diese Verzögerungen aber äußerten auf Rosamunden keine Einwirkung und sechs Jahre würden sie ebensowenig verändert haben, als diese sechs Monate im Stande gewesen waren. Sie stand dem armen geduldigen Blinden heute morgen noch ebenso zärtlich liebend zur Seite wie an dem ersten Tage ihrer Verlobung. ‚Du sollst keinen traurigen Augenblick kennen, Lenny, wenn ich es verhindern kann, so lange du lebst.’ Diese waren die ersten Worte, die sie zu ihm sagte, als wir alle aus der Kirche heraustraten. ‚Ich höre Sie, Rosamunde’, sagte ich. ‚Und Sie sollen auch mein Richter sein, Doktor’, sagte sie blitzschnell. ‚Wir wollen wieder nach Long Beckley kommen und Sie sollen dann Lenny fragen, ob ich nicht mein Wort gehalten habe.’ Mit diesen Worten gab sie mir einen Kuß, den Ihr hier in dem Pfarrhause hättet hören können, das gute Mädchen! Wir wollen bei dem Dinner auf ihre Gesundheit trinken, Miß Sturch – wir wollen auf die Gesundheit beider trinken, Phippen, und zwar in einer Flasche des besten Weins, den ich im Keller habe.«

»Was mich betrifft, in einem Glas Wasser, wenn du es mir erlaubst,« sagte Mr. Phippen traurig. »Aber, mein lieber Chennery, als du von den Vätern dieser beiden interessanten jungen Leute sprachst, sagtest du, sie hätten seit Jahren hier in Long Beckley als nahe Nachbarn gelebt. Mein Gedächtnis hat sehr gelitten, dies weiß ich recht wohl, aber ich glaubte, Kapitän Treverton sei der älteste der beiden Brüder und habe, wenn er nicht zur See gewesen, stets in dem alten Familienschlosse in Cornwall gewohnt.«

»So lange seine Gattin lebte, war dies allerdings der Fall,« entgegnete der Vikar. »Seit ihrem Tode, der schon im Jahre Neunundzwanzig erfolgte – jetzt schreiben wir Vierundvierzig – das macht –«

Der Vikar schwieg einen Augenblick, um nachzurechnen und sah Miß Sturch an.

»Fünfzehn Jahre, Sir,« sagte Miß Sturch, indem sie dieses Fazit eines kleinen Subtraktionsexempels mit ihrem freundlichen Lächeln darbot.

»Sehr richtig,« fuhr Doktor Chennery fort, »seitdem Mistreß Treverton vor fünfzehn Jahren starb, ist der Kapitän dem Schlosse Porthgenna Tower nicht wieder zu nahe gekommen. Und was noch mehr ist, Phippen, bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm darbot, verkaufte er es – er verkaufte es mit allem Zubehör, Bergwerk, Fischereien u.s.w. – alles zusammen für vierzigtausend Pfund.«

»Wie?« rief Mr. Phippen; »fand er denn die Luft ungesund? Ich sollte meinen, die dortigen Bodenerzeugnisse, insoweit sie als Nahrungsmittel dienen, müßten in jenen rauhen Regionen von ziemlich geringer Art sein. Wer kaufte denn die Besitzung?«

»Leonard Franklands Vater,« sagte der Vikar. »Es ist eine ziemlich lange Geschichte, dieser Verkauf von Porthgenna Tower, und es knüpfen sich einige seltsame Umstände daran. Wie wäre es, wenn wir einen Gang in den Garten machten, Phippen? Ich will dir die ganze Geschichte erzählen, während ich meine Morgenzigarre rauche. Miß Sturch, wenn Sie mich brauchen, so finden Sie mich unten im Garten. Mädchen, sehet zu, daß ihr eure Aufgaben richtig lernt. Bob, vergiß nicht, daß ich in der Hausflur einen Stock stehen und in meinem Ankleidezimmer eine Rute hängen habe! Komm, Phippen, erhebe dich aus diesem Armstuhle. Willst du denn keinen Spaziergang mit im Garten machen?«

»O ja, mein lieber Freund, das heißt, wenn du mir freundlichst einen Sonnenschirm leihen und mir erlauben willst, daß ich meinen Feldstuhl in der Hand trage,« sagte Mr. Phippen. »Ich bin zu schwach, um die Sonnenhitze zu ertragen, und kann nicht weit gehen, ohne mich niederzusetzen. In dem Augenblick, wo ich mich ermüdet fühle, Miß Sturch, schlage ich meinen Feldstuhl auseinander und setze mich nieder, mag es sein wo es wolle, ohne die mindeste Rücksicht darauf, wie es vielleicht aussieht. Ich bin bereit, Chennery, sobald es dir beliebt – ebenso bereit, mein guter Freund, auf den Spaziergang im Garten als auf die Geschichte wegen des Verkaufs von Porthgenna Tower. Du sagtest, es wäre eine seltsame Geschichte, nicht wahr?«

»Ich sagte, es knüpfen sich allerhand seltsame Umstände daran,« entgegnete der Vikar, »und wenn du dieselben gehört haben wirst, so wirst du, glaube ich, dasselbe sagen. Komm mit, du findest deinen Feldstuhl und eine Auswahl von allen Arten Regen- und Sonnenschirmen unten in der Hausflur.«

Mit diesen Worten öffnete Doktor Chennery sein Zigarrenetui und ging voran aus dem Frühstückszimmer hinaus.

Viertes Kapitel
Der Verkauf von Porthgenna Tower

»Wie reizend! Wie ländlich! Wie beschwichtigend auf die Nerven!« sagte Mr. Phippen, indem er mit sentimentalem Blick den Rasenplatz auf der Hinterseite des Pfarrhauses im Schatten des leichtesten Schirmes betrachtete, den er in der Hausflur hatte ausfindig machen können. »Drei Jahre sind vergangen, Chennery, drei leidensvolle Jahre für mich – doch dabei brauchen wir weiter nicht zu verweilen – seitdem ich das letzte Mal auf diesem Rasenplatze stand. Dort ist das Fenster deines alten Studierzimmers, wo ich das letzte Mal jenen Anfall von Sodbrennen hatte – es war zur Erdbeerzeit, wie du dich entsinnen wirst. Ha! Und dort ist das Schulzimmer! Könnte ich wohl jemals vergessen, wie diese liebe Miß Sturch aus jenem Zimmer zu mir kam, als hilfreicher Engel – mit Soda und Ingwer – so eifrig und gewissenhaft bedacht, den Trank umzurühren, und so aufrichtig betrübt, daß kein Riechsalz im Hause war! Wie weide ich mich an diesen angenehmen Erinnerungen, Chennery ! Dieselben sind für mich ein ebenso großer Luxusgenuß wie deine Zigarre für dich. Könntest du nicht auf der andern Seite gehen, lieber Freund? Ich liebe den Geruch, aber den Rauch kann ich nicht vertragen. Ich danke dir. Und nun, wie war es mit der Geschichte – der seltsamen Geschichte? Wie hieß das alte Schloß – ich interessiere mich ungemein dafür – es fing mit einem P an, nicht wahr?«

»Porthgenna Tower,« sagte der Vikar.

»Ganz recht,« entgegnete Mr. Phippen, indem er seinen Schirm zärtlich von der einen Schulter auf die andere legte. »Und was um aller Welt willen bewog Kapitän Treverton, dies alte Schloß zu verkaufen?«

»Ich glaube, der Grund war, weil es ihm nach dem Tode seiner Gattin zuwider geworden war,« antwortete Doktor Chennery. »Die Besitzung bildet nämlich kein unveräußerliches Familiengrundstück und es machte den Kapitän daher keine Schwierigkeit, sie zu verkaufen, ausgenommen natürlich insofern, als es ihm schwierig ward, einen Käufer zu finden.«

»Warum kaufte sein Bruder sie nicht?« fragte Mr. Phippen. »Warum kaufte unser exzentrischer Freund, Andrew Treverton, sie nicht?«

»Nenne ihn nicht unsern Freund,« sagte der Vikar. »Das ist ein gemeiner, schmutziger, alter Egoist. Du brauchst nicht den Kopf zu schütteln, Phippen, und dich zu bemühen, zu tun, als ob meine Worte dich unangenehm berührten. Ich kenne Andrew Trevertons Jugendgeschichte ebenso gut als du. Ich weiß, daß er mit der niedrigsten Undankbarkeit und Schurkerei von einem Universitätsfreunde behandelt ward, der ihm alles nahm, was er zu geben hatte und ihn endlich auf die gröbste Weise betrog. Dies weiß ich alles recht wohl. Ein Beispiel von Undankbarkeit aber berechtigt den Menschen nicht, sich von aller Gesellschaft abzuschließen und von der ganzen Menschheit zu behaupten, sie gereiche der Erde, auf der sie wandelt, zur Schande. Ich selbst habe den alten Isegrimm sagen hören, der größte Wohltäter unserer Generation wäre ein zweiter Herodes, welcher die zweite Generation verhinderte, auf die erste zu folgen. Kann wohl ein Mann, der auf diese Weise spricht, der Freund irgend eines menschlichen Wesens sein, welches noch die mindeste Achtung vor seinen Mitmenschen oder sich selbst hat?«

»Mein Freund,« sagte Mr. Phippen, indem er den Vikar beim Arm faßte und geheimnisvoll die Stimme senkte »mein lieber und verehrungswürdiger Freund! Ich bewundere deine ehrliche Entrüstung über den Mann, der diese außerordentlich misanthropische Ansicht ausgesprochen, aber – ich vertraue dies dir, Chennery, unter der größten Verschwiegenheit an – es gibt Augenblicke – ganz besonders des Morgens, wo meine Verdauung in einem solchen Zustande ist, daß ich jenem vernichtungswütigen Menschen Andrew Treverton vollständig Recht gegeben habe. Ich bin erwacht und meine Zunge hat ausgesehen wie Schlacke – ich bin bis vor den Spiegel gekrochen und habe sie betrachtet – und dann habe ich bei mir selbst gesagt: ‚Lieber möge das Menschengeschlecht ausgerottet werden als ein solcher Zustand fortdauern.’«

»Ach Unsinn!« rief der Vikar, indem er Mr. Phippens Geständnis mit einem Ausbruch unehrerbietigen Gelächters aufnahm. »Das nächste Mal, wo deine Zunge wieder in diesem Zustande ist, trinke ein Glas gutes, frisches Bier und du wirst beten, daß wenigstens der brauende Teil des Menschengeschlechts noch nicht aussterbe. Doch kehren wir jetzt nach Porthgenna Tower zurück, sonst komme ich mit meiner Geschichte nicht vorwärts. Als Kapitän Treverton einmal den Entschluß gefaßt hatte, die Besitzung zu verkaufen, würde er, wie ich nicht zweifle, unter gewöhnlichen Umständen sie zunächst seinem Bruder, der das mütterliche Vermögen geerbt, angeboten haben, damit sie bei der Familie bliebe. Nicht als ob Andrew in dieser Beziehung zu Hoffnungen berechtigt hätte, denn nie hatte es einen hartnäckigern alten Junggesellen gegeben. Indessen, wie die Dinge damals standen – und wie ich leider sagen muß, auch jetzt noch stehen – konnte der Kapitän seinem Bruder kein persönliches Anerbieten irgend einer Art machen, denn sie sprachen weder miteinander, noch schrieben sie einander, was auch jetzt noch nicht der Fall ist. Es ist traurig, so etwas sagen zu müssen, aber der schlimmste Zwist dieser Art, von dem ich je gehört, ist der Zwist zwischen diesen beiden Brüdern.«

 

»Entschuldige, lieber Freund,« sagte Mr. Phippen, indem er den Feldstuhl, der bis jetzt an seiner seidenen Quaste baumelnd an dem hakenförmigen Griffe des Sonnenschirms gehangen hatte, auseinanderschlug. »Darf ich mich niedersetzen, ehe du weiter erzählst? Dieser Teil der Geschichte regt mich ein wenig auf und ich darf mich nicht allzusehr anstrengen. Bitte also, erzähle weiter. Ich glaube nicht, daß die Beine meines Feldstuhls Löcher in den Rasen machen werden. Ich bin so leicht – in der Tat ein pures Gerippe. Also erzähle weiter, ich bitte dich!«

»Du mußt gehört haben,« fuhr der Vikar fort, »daß Kapitän Treverton, als er in schon ziemlich vorgerückten Lebensjahren stand, eine Schauspielerin heiratete. Es war, glaube ich, eine Person von etwas heftiger Gemütsart, aber von tadellosem Rufe und gegen ihren Gatten so treu und liebend wie eine Frau nur sein konnte. Deshalb war sie meiner Ansicht nach für ihn einer sehr gute Frau und er machte es recht, daß er sie heiratete. Die Verwandten und Freunde des Kapitäns erhoben aber natürlich das gewöhnliche unsinnige Geschrei und der Bruder des Kapitäns stellte sich, als der einzige nahe Verwandte, die Aufgabe, die Heirat auf die anstößigste und unzarteste Art wieder rückgängig zu machen. Da ihm dies nicht gelang und er die arme Frau tödlich haßte, so verließ er seines Bruders Haus und sagte unter vielen andern Schändlichkeiten der jungen Frau eine ganz besondere nach, welche ich, auf Ehre, mein lieber Phippen, mich schäme zu wiederholen. Wie nun aber seine Worte auch gelautet haben mochten, so wurden sie unglücklicherweise Mistreß Treverton zu Ohren gebracht und waren von der Art, daß keine Frau – am allerwenigsten eine von so heftiger Gemütsart wie die des Kapitäns – sie jemals verzeihen konnte. Es folgte eine Zusammenkunft zwischen den beiden Brüdern und dieselbe führte, wie du dir leicht denken kannst, zu sehr unglücklichen Ergebnissen. Sie schieden auf die beklagenswerteste Weise. Der Kapitän erklärte in der Hitze seiner Leidenschaft, Andrew habe, seitdem er geboren worden, nicht ein einziges edles Gefühl in seinem Herzen gekannt und werde auch ohne eine einzige freundliche Regung gegen irgend eine lebende Seele in der Welt sterben. Andrew entgegnete, wenn er auch kein Herz habe, so habe er doch ein Gedächtnis und er werde sich diese Abschiedsworte merken solange er lebe. So schieden sie. Zwei Mal tat später der Kapitän die ersten Schritte zu einer Aussöhnung. Das erste Mal war, als seine Tochter Rosamunde geboren ward, und das zweite Mal, als seine Gattin starb. Bei jeder dieser Gelegenheiten schrieb der ältere Bruder, wenn der jüngere die abscheulichen Worte, die er gegen seine Schwägerin gesprochen, zurücknehmen wolle, so solle ihm jede Sühne für die unfreundliche Sprache geboten werden, deren sich der Kapitän in der Übereilung des Zornes bei ihrer letzten Begegnung gegen ihn bedient. Es erfolgte aber auf keinen dieser beiden Briefe eine Antwort von Andrew und die Entfremdung zwischen den beiden Brüdern hat bis auf die gegenwärtige Zeit fortgedauert. Nun weißt du, warum der Kapitän nicht erst privatim seinen Bruder in Kenntnis setzen und um seine Ansicht befragen konnte, ehe er seine Absicht, Porthgenna Tower zu verkaufen, öffentlich bekannt machte, nicht wahr?«

Obschon Mr. Phippen zur Antwort auf diese Frage erklärte, er verstünde vollkommen, und obschon er auf die höflichste Weise den Vikar bat, weiter zu erzählen, so schien doch seine Aufmerksamkeit für den Augenblick ausschließlich durch die Besichtigung der Beine seines Feldstuhls und die Untersuchung beansprucht zu werden, welchen Eindruck dieselben auf den Rasenplatz des Pfarrhauses machten.

Doktor Chennerys eigenes Interesse an den Umständen, welche er erzählte, schien jedoch hinreichend stark zu sein, um jeden vorübergehenden Mangel an Aufmerksamkeit von Seiten seines Gastes zu ersetzen. Nachdem er einige kräftige Züge an seiner Zigarre getan, welche, während er sprach, mehrmals in drohender Gefahr geschwebt, auszugehen, fuhr er in seiner Erzählung mit den Worten fort:

»Also das Haus, die Grundstücke, das Bergwerk und die Fischereien von Porthgenna wurden alle einige Monate nach Mistreß Trevertons Tode öffentlich zum Verkauf ausgeboten, aber es gingen keine Gebote auf das Besitztum ein, welche möglicherweise hätten angenommen werden können. Der verfallene Zustand des Hauses, der schlechte Kulturzustand des Feldes, gerichtliche Differenzen wegen des Bergwerks und jedesmal wiederkehrende Schwierigkeiten bei Erhebung der Grundzinsen – alles dies trug dazu bei, Porthgenna zu etwas zu machen, was, wie man bei Auktionen zu sagen pflegt, schwer an den Mann zu bringen ist. Obschon es Kapitän Treverton sonach nicht gelang, das Besitztum zu verkaufen, so konnte er doch nicht vermocht werden, seinen Entschluß zu ändern und wieder dort zu wohnen. Der Tod seines Weibes brach ihm fast das Herz, denn er hatte sie in jeder Beziehung ebenso sehr geliebt wie sie ihn und schon der Anblick des Ortes, an welchen sich die Erinnerung des größten Kummers seines Lebens knüpfte, ward ihm verhaßt. Er zog daher mit seiner kleinen Tochter und einer Verwandten von Mistreß Treverton, die ihre Gouvernante war, in unsere Nachbarschaft und mietete ein hübsches kleines Landhaus jenseits der Kirchenfelder, nicht weit von dem großen Hause mit der hohen Gartenmauer, welche du dicht an der Straße nach London bemerkt haben mußt. Dieses Haus ward damals von Leonard Franklands Eltern bewohnt. Die neuen Nachbarn wurden sehr bald vertraute Freunde und so geschah es, daß die jungen Leute, welche ich diesen Morgen miteinander vermählt, als Kinder miteinander erzogen wurden und sich ineinander verliebten, fast ehe sie noch die Kinderschuhe ausgezogen.«

»Chennery, lieber Freund, nicht wahr, ich sehe so aus, als ob ich ganz schief säße, wie?« rief Mr. Phippen, indem er dem Vikar plötzlich mit erschrockenem Blick ins Wort fiel. »Es tut mir leid, dich zu unterbrechen, aber in der Tat, euer Gras ist außerordentlich weich. Eins der Beine meines Feldstuhls wird jeden Augenblick kürzer. Ich bohre ein Loch! Ich purzle! Gütiger Himmel! Ich fühle, wie ich mich auf die Seite neige. Ich falle, Chennery, so wahr ich lebe, ich falle!«

»Unsinn!« rief der Vikar, indem er erst Mr. Phippen und dann Mr. Phippens Feldstuhl, der sich ganz schief in das Gras hineingebohrt, in die Höhe riß. »Komm hierher auf den Kiesweg; da kannst du keine Löcher bohren. Was gibt’s denn schon wieder?«

»Herzklopfen,« sagte Mr. Phippen, indem er seinen Schirm fallen ließ und die Hand aufs Herz legte, »und Galle. Ich sehe wieder diese schwarzen Punkte – diese höllischen schwarzen Punkte, welche vor meinen Augen herumtanzen. Chennery, wie wäre es, wenn du einen landwirtschaftlichen Freund über die Qualität deines Grases zu Rate zögst. Ich gebe dir mein Wort, dein Rasenplatz ist weicher als er sein sollte. – Rasenplatz!« wiederholte Mr. Phippen verächtlich bei sich selbst, indem er sich herumdrehte, um seinen Schirm aufzuheben. »Es ist kein Rasenplatz – es ist ein Sumpf.«

»Na, setz dich nun wieder nieder,« sagte der Vikar, »und tue dem Herzklopfen und den schwarzen Punkten nicht die Liebe an, ihnen auch nur die mindeste Aufmerksamkeit zu widmen. Wünschest du etwas zu trinken? Arznei oder Bier, oder sonst etwas?«