Za darmo

Ein tiefes Geheimniss

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Neuntes Kapitel
Die neue Wärterin

Als die Uhr sieben schlug, setzte Doktor Orridge seinen Hut auf, um nach dem Tigerkopfe zu gehen. Eben hatte er seine Tür geöffnet, als ihm auf der Schwelle ein Bote entgegentrat, der ihn wegen eines plötzlichen Krankheitsfalles sofort nach dem armen Teile der Stadt abrief. Die Fragen, die er an den Boten stellte, überzeugten ihn, daß es sich hier wirklich um einen dringlichen Fall handelte und daß er sein Erscheinen in dem Gasthause um kurze Zeit verschieben mußte.

Als er an das Bett des Patienten trat, entdeckte er an demselben Symptome, welche eine sofortige Operation notwendig machten. Die Vollziehung derselben beschäftigte ihn einige Zeit und es war daher dreiviertel auf acht, als er sein Haus zum zweiten Mal verließ, um sich nach dem Tigerkopf zu begeben.

Als er die Schwelle des Gasthauses überschritt, meldete man ihm, daß die neue Wärterin schon um sieben Uhr angekommen sei und ihn im Zimmer der Wirtin erwarte. Da die Wirtin keine Instruktion von dem Doktor erhalten hatte, so hatte sie geglaubt, es sei am geratensten, die fremde Frau nicht zu Mistreß Frankland zu führen, bevor der Doktor käme.

»Verlangte sie, in Mistreß Franklands Zimmer hinaufzugehen ?« fragte Doktor Orridge.

»Ja, Sir,« entgegnete die Wirtin, »und es schien mir, als wäre es ihr nicht recht, als ich sagte, ich müsse warten, bis Sie da wären. Wollen Sie hier hereinkommen und sogleich mit ihr sprechen ? Sie ist in meinem kleinen Besuchszimmer.«

Doktor Orridge folgte der Wirtin in ein kleines Zimmer auf der Hinterseite des Hauses und sah Mistreß Jazeph allein in dem von dem Fenster am weitesten entfernten Winkel sitzen.

Er war ein wenig überrascht zu sehen, daß sie, in dem Augenblick, wo die Tür geöffnet ward, ihren Schleier vor das Gesicht zog.

»Es tut mir leid, daß ich Euch habe warten lassen,« sagte er, »aber ich ward zu einem Kranken gerufen. Übrigens sagte ich Euch, zwischen Sieben und Acht, wie Ihr Euch erinnern werdet, und es ist noch nicht Acht.«

»Ich wollte nicht versäumen, rechtzeitig hier zu sein, Sir,« sagte Mistreß Jazeph.

Es lag in dem ruhigen Ton, in welchem sie sprach, ein Ausdruck von Zurückhaltung, der dem Doktor auffiel und ihn ein wenig befremdete. Sie fürchtete augenscheinlich nicht bloß, daß ihr Gesicht etwas verraten, sondern auch, daß ihre Stimme mehr sagen möchte als ihre Worte ausdrückten.

Welches Gefühl war sie so eifrig bedacht zu verbergen? War es Gereiztheit, daß man sie so lange allein in dem Zimmer der Wirtin hatte warten lassen?

»Wenn Ihr mir folgen wollt,« sagte Doktor Orridge, »so will ich Euch sofort zu Mistreß Frankland führen.«

Mistreß Jazeph erhob sich langsam und als sie auf ihren Füßen stand, ruhte ihre Hand einen Augenblick auf einem Tisch in ihrer Nähe. Dieser Umstand, so vorübergehend er auch war, bestärkte den Doktor noch mehr in seiner Überzeugung von ihrer körperlichen Untauglichkeit für die Stellung, zu deren Übernahme sie sich freiwillig erboten.

»Ihr scheint müde zu sein,« sagte er, indem er ihr voran aus dem Zimmer hinausging. »Ihr habt doch nicht etwa den ganzen weiten Weg zu Fuße gemacht?«

»Nein, Sir, meine Herrin war so gütig, mich von einem der Diener in der Ponychaise herfahren zu lassen.«

Es lag, indem sie diese Antwort gab, wieder dieselbe Zurückhaltung in ihrer Stimme und immer noch versuchte sie nicht, ihren Schleier zurückzuschlagen. Während man so die Treppe des Gasthauses hinaufging, nahm der Doktor sich im Stillen vor, ihr erstes Tun und Wesen in Mistreß Franklands Zimmer genau zu beobachten und auf jeden Fall doch noch nach der Londoner Wärterin zu schicken, wenn Mistreß Jazeph nicht ganz besondere Begeisterung und Tauglichkeit bei Erfüllung ihrer neuen Pflichten an den Tag legte.

Das Zimmer, welches Mistreß Frankland einnahm, befand sich in dem hintern Teile des Hauses und war gewählt worden, um sie so viel als möglich von dem Geräusch und Lärm um das Eingangstor des Gasthauses herum zu entfernen. Es ward von einem einzigen Fenster erleuchtet, welches die Aussicht auf einige kleine Häuser hatte, jenseits deren sich die fruchtbaren Weideplätze von West Somersetshire hinzogen, die durch eine lange, eintönige Kette dichtbewaldeter Hügel begrenzt wurden.

Das Bett war von altväterischer Art mit dem hergebrachten Himmel und den unvermeidlichen Damastvorhängen. Es ragte von der Wand bis in die Mitte des Zimmers vor und stand so, daß die Tür sich zur rechten Hand der darin liegenden Person, das Fenster links und das Kamin dem Fuß des Bettes gegenüber befand. Auf der dem Fenster zugekehrten Seite des Bettes waren die Vorhänge geöffnet, während sie am Fuße und an der Seite in der Nähe der Tür dicht zugezogen waren.

Infolge dieses Arrangements war das Innere des Bettes den Blicken eines Jeden bei seinem ersten Eintritt in das Zimmer entzogen.

»Wie fühlen Sie sich heute Abend, Mistreß Frankland?« fragte Doktor Orridge, indem er die Hand ausstreckte, um die Vorhänge zurückzuschlagen. »Glauben Sie, daß Ihnen eine etwas freiere Zirkulation der Luft nachteilig sei?«

»Im Gegenteil Doktor, ich werde mich dann nur um so wohler fühlen,« war die Antwort. »Ich fürchte aber – im Falle Sie bis jetzt geneigt gewesen sind, mich für eine verständige Frau zu halten – daß mein Charakter in ihren Augen ein wenig leiden wird, wenn Sie sehen, wie ich mich während der letzten Stunde beschäftigt habe.«

Doktor Orridge lächelte während er die Vorhänge zurückzog und lachte geradeaus, als er die Mutter und das Kind ansah.

Mistreß Frankland hatte sich einen Zeitvertreib gemacht und ihre Vorliebe für bunte Farben dadurch befriedigt, daß sie ihren Kleinen während er schlief, mit blauen Bändern herausgeputzt. Er hatte ein Halsband, Achselschleifen und Armbänder, alle von blauer Seide; um dieses sonderbare Kostüm vollständig zu machen, hatte ihm seine Mutter ihre kleine, nette Spitzenhaube in höchst komischer Weise seitwärts auf den Kopf gesetzt.

Rosamunde selbst trug, als ob sie sich vorgenommen hätte, mit ihrem Söhnchen in dieser Beziehung zu wetteifern, eine blaßrote Jacke, die an der Brust herab und auf den Ärmeln mit Schleifen von weißem Atlasband geziert war. Diesen Morgen gepflückte Jasminblüten lagen auf der weißen Decke umhergestreut, gemischt mit einigen »Lilien des Tales,« die mit schmalem, kirschfarbenen Bande zu zwei Sträußen zusammengebunden waren.

Auf diese bunte Zusammenstellung von Farben, auf die roten Wangen und Arme des Säuglings, auf das glückliche, jugendliche Gesicht der Mutter strömte ruhig und warm das zarte Licht des Maiabends herab.

Den Reiz des Gemäldes, welches er durch das Zurückziehen der Vorhänge enthüllt, vollkommen würdigend, stand der Doktor da und betrachtete es einige Minuten lang, ganz die Angelegenheit vergessend, welche ihn in das Zimmer geführt. Er ward zur Erinnerung an die neue Wärterin nur durch eine zufällige Frage aufgerüttelt, welche Mistreß Frankland an ihn richtete.

»Ich kann nicht umhin, Doktor,« sagte Rosamunde mit einem Blick, der um Entschuldigung bat, »ich kann nicht umhin, mein Kind jetzt, wo ich eine erwachsene Frau bin, gerade so zu behandeln, wie ich meine Puppe zu behandeln pflegte, als ich noch ein kleines Mädchen war. Kam nicht jemand mit Ihnen ins Zimmer? Lenny, bist du da? Bist du fertig mit dem Diner, Geliebter, und hast du meine Gesundheit getrunken, als du allein beim Dessert saßest?«

»Mr. Frankland ist noch beim Diner,« entgegnete der Doktor, »aber allerdings habe ich jemand mit hereingebracht. Wo um Himmels willen ist sie denn hin? – Mistreß Jazeph!«

Die Haushälterin war nach dem Teile des Zimmers zwischen dem Fuß des Bettes und dem Kamin geschlüpft, wo sie durch die noch zugezogenen Vorhänge verdeckt ward. Als Doktor Orridge sie rief, erschien sie, anstatt sich neben ihm dem Fenster gegenüber zu stellen, an der andern Seite des Bettes, wo das Fenster hinter ihr war. Ihr Schatten stahl sich unheimlich über das reizende Bild, welches der Doktor soeben bewundert. Er fiel schräg über die Bettdecke und seine dunklen Ränder berührten die Gestalten der Mutter und des Kindes.

»Um Himmels willen, wer seid Ihr?« rief Rosamunde, – »ein Weib oder ein Geist?«

Mistreß Jazeph hatte ihren Schleier endlich in die Höhe geschlagen. Obschon ihr Gesicht auf dem Platze, den es ihr einzunehmen beliebt, nowendig im Schatten stand, so sah der Doktor doch eine Veränderung darin vorgehen, als Mistreß Frankland sprach. Die Lippen teilten sich und zitterten ein wenig, die Spuren von Sorge und Alter um den Mund herum wurden tiefer und die Augenbrauen zogen sich plötzlich zusammen. Die Augen konnte Doktor Orridge nicht sehen, sie waren bei dem ersten Wort, welches Rosamunde sprach, auf die Bettdecke geheftet. Nach seiner ärztlichen Erfahrung urteilend, schloß der Doktor, daß sie Schmerz litte und sich bemühte, jede äußere Kundgebung desselben zu unterdrücken.

»Höchstwahrscheinlich eine Affektion des Herzens,« dachte er bei sich selbst. »Sie hat dieselbe vor ihrer Herrin verheimlicht, vor mir aber kann sie sie nicht verheimlichen.«

»Wer seid Ihr?« wiederholte Rosamunde. »Und warum stellt Ihr Euch hierher – zwischen uns und das Sonnenlicht?«

Mistreß Jazeph antwortete weder, noch hob sie ihre Augen auf. Sie bewegte sich bloß schüchtern zurück bis in die entfernteste Ecke des Fensters.

»Haben Sie nicht heute nachmittag eine Botschaft von mir erhalten?« fragte der Doktor, zu Mistreß Frankland gewendet.

»Jawohl,« entgegnete Rosamunde, »eine sehr freundliche, schmeichelhafte Nachricht in Bezug auf eine neue Wärterin.«

»Das ist sie,« sagte Doktor Orridge, indem er über das Bett hinüber auf Mistreß Jazeph zeigte.

»Wirklich?« rief Rosamunde. »Jawohl muß sie es sein! Wer könnte sonst mit Ihnen hereingekommen sein? Das hätte ich gleich wissen können! O bitte, kommt her – wie heißt sie, Doktor? Joseph, sagten Sie? – Nein? – Jazeph? – ich bitte Euch, tretet näher, Mistreß Jazeph, und entschuldigt, daß ich so unfreundlich zu Euch sprach. Ich bin mehr Dank schuldig, als ich sagen kann, daß Ihr so freundlich seid, hierherzukommen, und daß Eure Herrin so gütig ist, Euch mir zu überlassen. Ich hoffe, ich werde Euch nicht allzu viel Mühe machen und bin überzeugt, Ihr werdet auch mit dem Knaben leicht fertig werden. Er ist ein wahrer Engel und schläft wie ein Hamster. Aber, mein Himmel, jetzt wo ich Euch genauer ansehe, fürchte ich, daß Ihr selbst nicht bei guter Gesundheit seid! Doktor, wenn Mistreß Jazeph es nicht übel nimmt, möchte ich fast sagen, sie sähe aus, als ob sie selbst der Pflege bedürfte.«

 

Mistreß Jazeph neigte sich über die Jasminblüten auf dem Bette und begann sie eilig aufzulesen.

»Ich dachte auch so wie Sie, Mistreß Frankland,« entgegnete der Doktor. »Man hat mir aber gesagt, daß Mistreß Jazephs Aussehen täusche und daß ihre Fähigkeiten als Wärterin ihrem Eifer völlig gleichkommen.«

»Wollt Ihr diese Blüten zu einem Strauße zusammenbinden?« fragte Mistreß Frankland, als sie bemerkte, wie die neue Wärterin sich beschäftigte. »Wie rücksichtsvoll von Euch! Und was für ein prächtiger Strauß wird es werden! Ich fürchte, ihr werdet das Zimmer sehr unsauber finden. Ich will meiner Zofe klingeln, damit sie aufräume.«

»Wenn Sie mir erlauben wollen, es in Ordnung zu bringen, Madame, so werde ich mich sehr freuen, Ihnen auf diese Weise nützlich sein zu können,« sagte Mistreß Jazeph.

Indem sie das Anerbieten machte, blickte sie auf und ihre Augen und die Mistreß Franklands begegneten sich. Rosamunde legte den Kopf sofort auf den Pfühl zurück und wechselte ein wenig die Farbe.

»Wie seltsam Ihr mich anseht!« sagte sie.

Mistreß Jazeph fuhr bei diesen Worten zusammen, als ob sie einen Stich empfände und trat rasch hinweg ans Fenster.

»Ihr habt doch meine Bemerkung nicht übel genommen?« sagte Rosamunde, diese Bewegung bemerkend. »Ich habe die tadelnswerte Gewohnheit, alles zu sagen, was mir einfällt. Es kam mir wirklich vor, als ob Ihr an mir etwas bemerkt, was Euch erschreckte oder bekümmerte. Ich bitte, bringt das Zimmer in Ordnung, wenn Ihr einmal diese Mühe auf Euch nehmen wollt. Und achtet nicht auf das, was ich sage – Ihr werdet Euch schon an meine Art und Weise gewöhnen – wir werden uns bald behaglich und freundschaftlich miteinander fühlen.«

Gerade als Mistreß Frankland die Worte »behaglich und freundschaftlich« sagte, verließ die neue Wärterin das Fenster und kehrte an die Stelle des Zimmers zurück, wo sie zwischen dem Kamin und den zusammengezogenen Vorhängen am Fuße des Bettes den Blicken der Wöchnerin entzogen war. Rosamunde sah sich um und wollte dem Doktor ihre Überraschung zu erkennen geben, dieser aber wendete sich in demselben Augenblick so, daß er eine Stellung einnahm, welche ihn in den Stand setzte zu beobachten, was Mistreß Jazeph auf der andern Seite der Bettvorhänge unternahm.

Bei dem ersten Blick, der auf sie warf, bemerkte er, daß sie beide Hände vor das Gesicht hielt. Ehe er noch mit sich darüber einig werden konnte, ob er sie, während sie im Begriff stand, sich die Augen zuzuhalten, überraschte oder nicht, bewegten die Hände sich wieder und nahmen den Hut vom Kopfe.

Nachdem Mistreß Jazeph diesen Teil ihrer Kleidung nebst ihrem Shawl und ihren Handschuhen auf einen Stuhl in eine Ecke des Zimmers gelegt hatte, ging sie an den Tisch und begann die verschiedenen darauf herumliegenden, zum Nutzen oder zur Zierde dienenden Gegenstände zu ordnen. Sie tat dies mit auffallender Gewandtheit und Nettigkeit und bewies ein Arrangiertalent und eine Fähigkeit, zwischen Dingen, die wahrscheinlich öfter gebraucht wurden, und solchen, mit denen dies nicht der Fall war, zu unterscheiden, welches einen sehr günstigen Eindruck auf den Doktor machte. Ganz besonders bemerkte er die Sorgfalt, womit sie einige Flaschen Arznei zur Hand nahm, die Aufschriften einer jeden las und die Medizin, welche vielleicht des Nachts gebraucht wurde, auf die eine Seite des Tisches und die Medizin, welche vielleicht am Tage nötig war, auf die andere zusammenstellte.

Als sie den Tisch verließ und sich mit dem Geraderücken der Möbels und dem Zusammenfalten von umherliegenden Kleidungsstücke beschäftigte, schien selbst die geringste Bewegung ihrer hagern, abgezehrten Hände niemals aufs Geratewohl oder vergebens gemacht zu werden. Geräuschlos, bescheiden, aufmerksam bewegte sie sich von der einen Seite des Zimmers nach der andern und Sauberkeit und Ordnung folgten ihren Schritten, wohin sie auch ging.

Als Doktor Orridge seinen Platz an Mistreß Franklands Bett wieder einnahm, war er wenigstens in einer Beziehung beruhigt. Es war ihm nämlich vollkommen klar, daß von der neuen Wärterin mit Bestimmtheit zu erwarten stand, sie werde keinen Fehlgriff begehen.

»Es ist eine sonderbare Frau,« flüsterte Rosamunde.

»Ja, eine sonderbare Frau,« wiederholte der Doktor, »und körperlich sehr leidend, obschon sie es nicht gesteht. Indessen, sie ist wunderbar geschickt und anstellig und es kann nichts schaden, wenn wir es eine Nacht mit ihr versuchen – das heißt, wenn Sie nichts dagegen einzuwenden haben.«

»Im Gegenteil,« sagte Rosamunde, »sie interessiert mich. Es liegt etwas in ihrem Gesicht und in ihrem Wesen etwas – was es eigentlich ist, kann ich nicht sagen – was mich neugierig macht, mehr von ihr zu wissen. Ich muß sie zum Sprechen bringen und versuchen, ob ich alle ihre Eigentümlichkeiten herauslocken kann. Fürchten Sie nicht, daß ich mich aufregen werde, und bleiben Sie deswegen nicht hier in diesem langweiligen, schwülen Zimmer. Es wäre mir lieber, wenn Sie hinuntergingen und meinem Gatten bei seinem Weine Gesellschaft leisteten. Gehen Sie und plaudern Sie mit ihm und vertreiben Sie ihm ein wenig die Zeit. Sie muß ihm gar so lang werden, dem armen Schelm, während ich hier oben liege, und er hat Sie sehr gern, Doktor – ich weiß es, daß er Sie gern hat. Warten Sie noch einen Augenblick und sehen Sie den Kleinen noch einmal an. Er schläft doch nicht etwa zu viel? Und, lieber Doktor, noch ein Wort. Wenn Sie Ihren Wein getrunken haben, wollen Sie mir dann versprechen, meinem Gatten den Gebrauch Ihrer Augen zu leihen und ihn zu mir heraufzubringen, damit er mir gute Nacht sage?«

Der Doktor machte sich bereitwilligst verbindlich, Mistreß Franklands Wunsch zu erfüllen und verließ dann ihr Bett.

Als er die Zimmertür öffnete, blieb er stehen, um Mistreß Jazeph zu sagen, daß er unten wäre, wenn sie ihn brauchte, und daß er ihr alle erforderlichen Instruktionen später des Abends geben würde, ehe er das Hotel verließe, um sich nach Hause zu begeben.

Die neue Wärterin kniete, als er an ihr vorbeiging, eben vor einem von Mistreß Franklands geöffneten Koffern und legte mehrere etwas nachlässig zusammengefaltete Bekleidungsgegenstände darin zurecht. In dem Augenblick, ehe er sie anredete, bemerkte er, daß sie ein Chemisett in ihrer Hand hatte, dessen Krause mit Band durchzogen war. Dieses Band war sie, wie er zu bemerken glaubte, im Begriff herauszuziehen, als das Geräusch seiner Tritte störte. Sofort als sie seine Annäherung bemerkte, warf sie das Chemisett schnell in den Koffer und bedeckte es mit einigen Taschentüchern.

Obschon dies Verfahren von Mistreß Jazephs Seite den Doktor ein wenig überraschte, so tat er doch nicht, als ob er es bemerkt hätte. Ihre Herrin hatte sich, auf fünfjährige Erfahrung gestützt, für ihre Ehrlichkeit verbürgt und das Endchen Band war an und für sich ganz wertlos. Aus beiden Gründen war es unmöglich, von ihr zu glauben, sie habe es stehlen wollen, und dennoch konnte der Doktor, als er das Zimmer verlassen hatte, nicht umhin zu fühlen, daß ihr Benehmen, als er sie an dem Koffer überraschte, genau das einer Person war, welche im Begriff steht, einen Diebstahl zu begehen.

»Ach, macht Euch doch keine Mühe mit meinem Gepäck!« sagte Rosamunde, welche, sobald der Doktor hinaus war, Mistreß Jazephs Beschäftigung bemerkte; »das ist Sache meiner faulen Zofe und Ihr macht mir sie dadurch nur noch träger. Das Zimmer habt Ihr wunderhübsch aufgeräumt. Kommt nun her, setzt Euch und ruht aus. Ihr müßt eine sehr gute und menschenfreundliche Frau sein, daß Ihr Euch so viel Mühe macht um einer unbekannten Person zu dienen. Durch die Nachricht, welche mir der Doktor heut nachmittag schickte, erfuhr ich zugleich, daß Eure Herrin eine Freundin meines armen, lieben Vaters gewesen ist. Wahrscheinlich hat sie ihn gekannt noch ehe ich auf der Welt gewesen bin. Jedenfalls aber bin ich doppelt dankbar dafür, daß sie sich um meines Vaters willen für mich interessiert. Ihr dagegen könnt nicht von diesen Beweggründen bestimmt worden sein – Ihr seid aus reiner Gutmütigkeit und Dienstfertigkeit hierhergekommen. Geht nicht wieder ans Fenster. Kommt und setzt Euch her zu mir.«

Mistreß Jazeph hatte sich von dem Koffer erhoben und näherte sich dem Bett, wendete sich aber, gerade als Mistreß Frankland von ihrem Vater zu sprechen begann, schnell nach dem Kamin herum.

»Kommt und setzt Euch her,« wiederholte Rosamunde und ward schon ungeduldig, daß sie keine Antwort erhielt. »Was um aller Welt willen macht Ihr denn da am Fuße des Bettes?«

Die Gestalt der neuen Wärterin stellte sich wieder zwischen das Bett und das hinwegschwindende Abendlicht, welches durch das Fenster schimmerte, ehe eine Antwort erfolgte.

»Es wird Abend,« sagte Mistreß Jazeph, »und das Fenster ist nicht ganz zu. Ich wollte es eben schließen und die Gardine zuziehen, wenn Sie nichts dagegen hätten, Madame.«

»O, noch nicht, noch nicht! Das Fenster könnt Ihr zumachen, wenn Ihr wollt, damit der Kleine sich nicht erkälte – die Gardine aber zieht noch nicht herunter. Laßt mich die Aussicht genießen so lange das Tageslicht es noch gestattet. Die lange Wiese fängt gerade jetzt in dieser Dämmerstunde an, ein wenig wie meine kindischen Erinnerungen von einem cornischen Moor auszusehen. Seid Ihr vielleicht in Cornwall bekannt, Mistreß Jazeph?«

»Ich habe gehört –«

Bei diesen ersten drei Worten der Entgegnung stockte die Wärterin. Sie war eben beschäftigt, das Fenster zuzumachen und es schien ihr einige Mühe zu kosten, den Wirbel zu schließen.

»Was habt Ihr gehört?« fragte Rosamunde.

»Ich habe gehört, daß Cornwall ein rauhes, ödes Land ist,« sagte Mistreß Jazeph, indem sie sich immer noch mit dem Wirbel zu tun machte und folglich Mistreß Frankland immer noch den Rücken zukehrte.

»Bringt Ihr denn das Fenster gar nicht zu?« sagte Rosamunde. »Mein Kammermädchen kommt damit allemal sehr schnell zu Stande. Laßt es doch bis sie heraufkommt, ich will ihr sogleich klingeln. Sie soll mir das Haar bürsten und mir das Gesicht mit ein wenig Eau de Cologne und Wasser kühlen.«

»Ich habe das Fenster zu, Madame,« sagte Mistreß Jazeph, indem es ihr plötzlich gelang, den Wirbel zu schließen. »Und wenn Sie mir erlauben, so werde ich Ihnen gern den Dienst leisten, den Sie eben erwähnten, ohne daß Sie deswegen erst Ihrem Mädchen zu klingeln brauchen.«

Mistreß Frankland meinte bei sich im Stillen, die neue Wärterin sei die sonderbarste Frau, die ihr je vorgekommen, nahm aber das Anerbieten an.

Als Mistreß Jazeph die Mischung von Eau de Cologne und Wasser bereitet hatte, war mittlerweile die Dämmerung tiefer hereingebrochen und das Zimmer fing an, finster zu werden.

»Wollt Ihr nicht ein Licht anzünden?« fragte Rosamunde.

»Ich glaube nicht, daß es nötig ist,« entgegnete Mistreß Jazeph etwas hastig. »Ich kann noch recht gut sehen.«

Sie begann, indem sie dies sagte, Mistreß Franklands Haar zu bürsten und tat zugleich eine Frage, welche sich auf die wenigen Worte bezog, die zwischen ihnen in Bezug auf Cornwall gewechselt worden. Erfreut, zu finden, daß die neue Wärterin endlich so vertraulich ward, daß sie sprach ehe sie angeredet worden, wünschte Rosamunde selbst nichts Besseres, als von ihren Erinnerungen an ihre Heimat sprechen zu können.

Aus irgend einem unerklärlichen Grund aber äußerte Mistreß Jazephs Berührung, so leicht und zart sie auch war, eine so seltsam störende Wirkung auf sie, daß es ihr für den Augenblick nicht gelang, ihre Gedanken so zu sammeln, daß sie anders als auf die kürzeste Weise antworten konnte. Die behutsamen Hände der Wärterin verweilten sanft und verstohlen unter den Locken ihres Haares und das bleiche, abgezehrte Gesicht näherte sich dann und wann ihrem eigenen näher als nötig zu sein schien.

Ein unbestimmtes Gefühl von Befangenheit, welches sie auf keinen bestimmten Teil ihres Wesen zurückführen – von dem sie kaum sagen konnte, daß sie es in körperlicher Beziehung wirklich fühle – schien über ihr zu schweben und sie zu umgeben wie die Luft, welche sie atmete. Sie konnte sich in dem Bett nicht bewegen, obschon sie es tun wollte. Sie konnte den Kopf nicht so drehen wie es der Strich des Kammes wünschenswert erscheinen ließ; sie konnte sich nicht umsehen; sie konnte nicht das peinliche Schweigen brechen, welches durch ihre eigene kurze, entmutigende Antwort herbeigeführt worden.

 

Endlich reizte dieses Gefühl von eingebildeter oder wirklicher Beängstigung sie so, daß sie Mistreß Jazeph die Bürste aus der Hand riß. In dem Augenblick, wo sie dies getan, fühlte sie sich beschämt über die unhöfliche Schroffheit dieser Bewegung und verlegen wegen der Unruhe und Überraschung, welche das Benehmen der Wärterin zu erkennen gab. Mit dem vollkommenen Bewußtsein der Ungereimtheit ihres Benehmens und dennoch völlig außer Stande, sich zu beherrschen, brach sie in ein lautes Gelächter aus und warf die Bürste von sich an den Fuß des Bettes.

»Ich bitte, wundert Euch nicht, Mistreß Jazeph,« sagte sie immer noch lachend, ohne zu wissen weshalb und ohne daß es ihr im mindesten so zu Mute war. »Ich weiß wohl, ich bin sehr unartig. Ihr habt mir das Haar herrlich gebürstet aber – ich weiß selbst nicht wie es kommt – es schien mir, als ob Ihr mir zugleich die sonderbarsten Ideen in den Kopf bürstetet. Ich kann nicht umhin darüber zu lachen. Wißt Ihr, daß ich mir ein paar Mal, als Euer Gesicht dem meinigen am nächsten war, sogar einbildete, Ihr wolltet mich küssen? Habt Ihr wohl jemals etwas so Lächerliches gehört? In der Tat, ich bin in manchen Dingen ein größeres oder vielmehr ein kleineres Kind als der kleine, liebe Säugling hier neben mir.«

Mistreß Jazeph gab keine Antwort. Sie verließ das Bett, während Rosamunde sprach und kam nach einer unerklärlich langen Verzögerung mit der Eau de Cologne und dem Wasser zurück.

Als sie das Becken hielt, während Mistreß Frankland sich das Gesicht badete, blieb sie soweit entfernt, als ihr ausgestreckter Arm gestattete, und kam auch nicht näher, als es Zeit war, das Handtuch zu reichen.

Rosamunde begann zu fürchten, daß sie Mistreß Jazeph ernstlich beleidigt habe und versuchte sie dadurch zu beschwichtigen und sich wieder geneigt zu machen, daß sie allerhand Fragen über die Behandlung des Kindes an sie tat.

Es lag ein leichtes Zittern in der sanften Stimme der Wärterin, aber nicht der mindeste Anflug von Mürrischkeit oder Unwillen, während sie die an sie gerichteten Fragen einfach und ruhig beantwortete. Dadurch, daß Mistreß Frankland das Gespräch sich immer noch um das Kind drehen ließ, gelang es ihr allmälig, Mistreß Jazeph wieder an das Bett zu locken – sie zu veranlassen, sich bewundernd über das Kind zu neigen, und ihr endlich sogar Mut zu machen, es zärtlich auf die Wange zu küssen.

Ein einziger Kuß war alles, was sie gab, und dann wendete sie sich von dem Bett ab und seufzte tief.

Der Klang dieses Seufzers berührte Rosamundes Herz sehr wehmütig. Bis jetzt war die kurze Spanne des Lebens ihres Sohnes nur von lächelnden Gesichtern und freundlichen Worten umgeben gewesen. Es beunruhigte sie daher, zu bedenken, daß jemand ihn liebkosen und dann seufzen könnte.

»Ich bin überzeugt, daß Ihr Kinder gern habt,« sagte sie, in ihrem angebornen Zartgefühl ein wenig zögernd. »Ihr werdet mich aber entschuldigen, wenn ich bemerke, daß es eine etwas traurige Neigung zu sein scheint, die Ihr zu Kindern habt. Ich bitte Euch – beantwortet meine Frage nicht, wenn es Euch Schmerz verursacht – wenn Ihr vielleicht einen Verlust zu beklagen habt, aber – aber ich möchte Euch gern fragen, ob Ihr jemals selbst ein Kind gehabt hat?«

Mistreß Jazeph stand, als diese Frage gestellt ward, in der Nähe eines Stuhls. Sie ergriff sofort die Lehne desselben und packte diese so fest oder stützte sich vielleicht so schwer darauf, daß das Holzwerk knackte. Ihr Kopf sank tief auf ihre Brust herab. Sie sprach weder ein Wort, noch versuchte sie dies auch nur.

Fürchtend, daß sie ein Kind verloren habe und um sie nicht unnötigerweise durch weitere Fragen noch mehr zu belästigen, sagte Rosamunde nichts, während sie sich über den Kleinen neigte, um ihn ebenfalls zu küssen. Ihre Lippen ruhten auf seiner Wange ein wenig über der Stelle, wo einen Augenblick zuvor Mistreß Jazephs Lippen geruht, und berührten auf der glatten, warmen Haut einen nassen Punkt. In der Meinung, daß sie ihn aus Versehen mit dem Wasser bespritzt habe, womit sie sich das Gesicht benetzt, fuhr sie ihm mit den Fingern leicht über Kopf, Hals und Brust, fühlte aber nirgends weiter eine nasse Stelle. Der eine Tropfen, der auf ihn gefallen, war der Tropfen, der die Wange benetzt, die von der neuen Wärterin geküßt worden.

Die Dämmerung senkte sich tiefer auf die Landschaft herab, das Zimmer ward finsterer und finsterer, aber immer noch machte Mistreß Jazeph, obschon sie jetzt dicht an dem Tische saß, auf welchem sich die Lichter und Zündhölzchen befanden, keinen Versuch, ein Licht anzuzünden.

Rosamunden war es ein wenig unbehaglich, im Finstern wach zu liegen, ohne daß jemand weiter im Zimmer war als eine ihr fast noch ganz fremde Person, und sie beschloß daher, die Lichter unverweilt anzünden zu lassen.

»Mistreß Jazeph,« sagte sie, indem sie auf die immer dichter werdende Dunkelheit draußen schaute, »ich werde Euch sehr verbunden sein, wenn Ihr die Lichter anzünden und die Gardine herunterziehen wollt. Ich kann jetzt keine Ähnlichkeit mehr da draußen mit einer cornischen Landschaft herausfinden, denn es ist beinahe gar nichts mehr zu sehen.«

»Lieben Sie Cornwall, Madame?« fragte Mistreß Jazeph, indem sie sich zögernd erhob, um die Lichter anzuzünden.

»Ei ja wohl,« sagte Rosamunde. »Ich bin dort geboren und befand mich mit meinem Gatten eben auf dem Wege nach Cornwall, als wir meinetwegen hier liegen bleiben mußten. – Ihr braucht lange Zeit, um diese Lichter anzuzünden. Könnt Ihr vielleicht die Zündhölzchenbüchse nicht finden?«

Mistreß Jazeph zerbrach mit einer Unbeholfenheit, die bei einer Person, welche beim Aufräumen des Zimmers so viel Geschicklichkeit bewiesen, überraschen mußte, das erste Zündhölzchen bei dem Versuche, es in Brand zu setzen, und ließ das zweite in dem Augenblick, wo die Flamme zu Stande kam, wieder ausgehen. Bei dem dritten Versuche war sie glücklicher; sie zündete aber nur ein Licht an und dieses eine trug sie von dem Tische, welchen Mistreß Frankland sehen konnte, auf den andern, der durch die Vorhänge am Fuße des Bettes ihren Blicken entzogen war.

»Warum tragt Ihr das Licht dorthin?« fragte Rosamunde.

»Ich glaubte, es wäre für Ihre Augen, Madame, am besten, wenn Sie das Licht nicht allzunahe hätten,« versetzte Mistreß Jazeph und setzte dann, wie um Mistreß Frankland keine Zeit zu weiteren Einwendungen zu lassen, hinzu:

»Also, Sie waren auf der Reise nach Cornwall, Madame, als Sie hier liegen bleiben mußten? Sie wollten wohl dort ein wenig hin und her reisen?«

Nachdem sie diese Worte gesagt, ergriff sie das zweite Licht und machte sich unsichtbar, indem sie es ebenfalls nach dem andern Tische trug.

Rosamunde meinte im Stillen, daß die Wärterin, trotz ihres sanften Aussehens und Benehmens, doch eine auffallend hartnäckige und eigensinnige Frau sei. Doch war sie zu gutmütig, um ihr Recht, die Lichter dahingestellt zu sehen, wohin es ihr beliebte, geltend zu machen und als sie Mistreß Jazephs Frage beantwortete, sprach sie ganz in demselben heitern und vertraulichen Tone wie vorher.

»O nein, nicht um hin und her zu reisen,« sagte sie, »sondern um uns geraden Weges nach dem alten Schlosse zu begeben, in welchem ich geboren worden. Es gehört jetzt meinem Gatten. Ich bin nicht wieder hingekommen, seitdem ich ein kleines Mädchen von fünf Jahren war. Ach, es ist ein halb verfallenes, ungeheuer weitschweifiges altes Gebäude. Ihr, die Ihr von der Öde und Rauheit von Cornwall sprecht, würdet schon vor dem Gedanken zurückbeben, in Porthgenna Tower zu wohnen.«