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Die Frau in Weiss

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»Achtzehnhundert und vier,« entgegnete ich, heimlich entschlossen, dem alten Manne keine fernere Gelegenheit zum Schwatzen zu geben, bis ich mit meiner Durchsicht des Kirchenbuches fertig sein würde.

Der Küster setzte seine Brille auf und wandte die Blätter des Buches um, indem er bei jedem dritten Blatte sorgfältig den Zeigefinger und Daumen benetzte. »Da ist es, Sir,« sagte er, indem er abermals vergnügt auf das Buch klopfte. »Da ist das Jahr, welches Sie suchen.«

Da ich nicht wußte, in welchem Monate Sir Percival geboren war, begann ich meine Nachsuchung mit dem Anfange des Jahres. Das Kirchenbuch war eins nach der alten Art: die Certificate waren auf leere Blätter geschrieben und durch Linien getrennt, welche mit Tinte dicht unter jedes Certificat über die ganze Seite hingezogen waren.

Ich kam bis zum Schlusse des Jahres Achtzehnhundert und vier, ohne die Heirath zu finden und ging dann rückwärts durch Achtzehnhundert und drei, durch den December, November, October, durch –

Nein! nicht durch den September. Unter der Unterschrift dieses Monats fand ich die Heirath!

Ich besah das Eingetragene aufmerksam. Dasselbe stand am unteren Ende einer Seite und war wegen Mangels an Raum auf einen kleineren Platz zusammengedrängt, als die Certificate der Heirathen darüber einnahmen. Die unmittelbar vorhergehende Heirath prägte sich meinem Gedächtnisse durch den Umstand ein, daß der Taufname des Bräutigams derselbe war, den ich trug. Die unmittelbar folgende (an der Spitze der nächsten Seite) fiel auf andere Weise auf, indem sie einen größeren Raum einnahm, als die übrigen, da sie die Vermählung zweier Brüder zu gleicher Zeit berichtete. Das Certificat der Heirath von Sir Felix Glyde war durch Nichts bemerkbar, außer durch den engen Raum, in den das Geschriebene zusammengedrängt war. Ueber seine Gemahlin enthielt es genau dieselbe Art von Auskunft, welche gewöhnlich in solchen Fällen gegeben wird. Sie war angeführt als: »Cäcilia Jane Elster aus Park-View Cottages, Knowlesbury; einzige Tochter des weiland Patrick Elster, Esquire, ehedem aus Bath.«

Ich schrieb mir diese Einzelheiten in mein Taschenbuch ein, wobei sich einigermaßen Zweifel und Entmuthigung in Bezug auf meine zunächst zu thuenden Schritte bei mir einschlich. Das Geheimniß, von dem ich bis zu diesem Augenblicke geglaubt hatte, daß ich es schon fast ergriffen, schien mir jetzt ferner denn je entrückt.

Welche Andeutungen auf unerklärte Geheimnisse hatte mein Besuch in der Sacristei ergeben? Ich sah deren keine. Welche Fortschritte hatte ich gemacht, um den geargwöhnten Flecken auf dem Rufe seiner Mutter zu entdecken?

Das einzige Factum, worüber ich mir Gewißheit verschafft, sprach denselben vollkommen rein. Neue Zweifel, neue Schwierigkeiten, neue Zeitverluste begannen sich in unabsehbarer Weite vor mir zu erheben. Was sollte ich zunächst beginnen? Die einzige unmittelbare Hülfsquelle, die mir noch übrig blieb, schien die folgende zu sein: ich konnte Nachfragen über »Miß Elster in Knowlesbury« anstellen auf die Aussicht hin, den Hauptzweck meiner Forschungen dadurch zu fördern, daß ich das Geheimniß von Mrs. Catherick’s Verachtung für Sir Percival’s Mutter entdeckte.

»Haben Sie gefunden, was Sie suchten, Sir?« frug der Küster, als ich das Kirchenbuch schloß.

»Ja,« erwiderte ich; »aber ich habe Ihnen noch einige Fragen vorzulegen. Ich vermuthe, daß der Geistliche, welcher im Jahre Achtzehnhundert und drei den Gottesdienst in dieser Kirche verrichtete, nicht mehr am Leben ist?«

»Nein, nein, Sir. Er war schon vor drei oder vier Jahren, ehe ich hieher kam, gestorben – und das war im Jahre Achtzehnhundert und siebenundzwanzig. Ich bekam die Stelle, Sir,« fuhr mein geschwätziger alter Freund fort, »dadurch, daß mein Vorgänger sie aufgab. Man sagt, daß seine Frau ihn aus Haus und Hof vertrieben – und die lebt noch, da drüben in der neuen Stadt. Ich selbst weiß nicht genau, wie die Geschichte zusammenhängt; das Einzige, was ich weiß, ist, daß ich die Stelle bekam. Mr. Wansborough verschaffte sie mir – der Sohn meines alten Herrn, von dem ich Ihnen erzählte. Er ist ein freier, freundlicher Mann, liebt die Jagd, hält sich seine Hunde und all’ dergleichen. Er ist jetzt unser Kirchspielschreiber, wie sein Vater es vor ihm war.«

»Sagten Sie nicht, Ihr früherer Herr wohnte in Knowlesbury?« frug ich, indem ich mich der langen Erzählung über den pünktlichen Herrn aus der alten Zeit  erinnerte, mit der mich mein redseliger Freund vorhin gelangweilt hatte.

»Ja wohl, Sir,« entgegnete der Küster. »Der alte Mr. Wansborough wohnte zu Knowlesbury, und der junge Mr. Wansborough wohnt dort ebenfalls.«

»Sie erwähnten soeben, daß er, wie sein Vater, Kirchspielschreiber hier sei. Ich weiß nicht recht, was eigentlich ein Kirchspielschreiber ist?«

»Wirklich nicht, Sir? – und kommen noch dazu aus London! Jedes Kirchspiel, müssen Sie wissen, hat sowohl seinen Kirchspielschreiber wie seinen Büttel. Der Büttel ist ein Mann wie ich (ausgenommen, daß ich ein gut Theil mehr Bildung habe; wie die meisten von ihnen – obgleich ich nicht damit prahle). Kirchspielschreiber ist eine Art Amt, welches die Advocaten bekommen; so daß, falls für die Sacristei Geschäfte zu machen sind, sie dieselben sofort übernehmen können. Es ist in London ebenso. Jede Kirche hat ihren Kirchspielschreiber, und Sie können mir auf’s Wort glauben, daß derselbe jedesmal ein Advocat ist.«

»Dann ist vermuthlich auch der junge Mr. Wansborough ein Advocat?«

»Das versteht sich, Sir! Advocat in der Hochstraße, Knowlesbury – das alte Geschäftslocal, das schon sein Vater hatte. Die unzähligen Male, daß ich jene Expedition ausgekehrt und den alten Mann auf seinem weißen Pony zum Geschäft hereintraben gesehen habe, wobei er die ganze Straße entlang rechts und links blickte und allen Leuten zunickte! Das war ein beliebter Mann, kann ich Ihnen sagen! Der hätte in London leben sollen!«

»Wie weit ist es von hier nach Knowlesbury?«

»Ein ganzes Stück, Sir,« sagte der Küster, mit jener übertriebenen Idee von Entfernungen und jener lebhaften Schätzung der Schwierigkeiten, um von einem Orte zum andern zu gelangen, welche allen Landleuten eigen sind. »Nahe an fünf Meilen, kann ich Ihnen sagen!«

Es war noch früh am Vormittage und Zeit genug, um nach Knowlesbury und von dort zurück nach Welmingham zu spazieren; es gab in der Stadt wahrscheinlich Niemanden, der mich besser über die Stellung und den Ruf von Sir Percival’s Mutter vor ihrer Heirath unterrichten konnte, als der Advocat des Orts. Indem ich beschloß, sofort zu Fuße nach Knowlesbury aufzubrechen, ging ich dem Küster voran aus der Sacristei.

»Danke schönstens, Sir,« sagte der Küster, als ich ihm mein kleines Geschenk in die Hand drückte. »Wollen Sie wirklich den ganzen Weg nach Knowlesbury und zurück zu Fuße machen? Nun! Sie sind gut zu Fuße, und das ist ein großes Glück, wie? Das da ist der Weg; Sie können nicht fehl gehen. Ich wollte, ich hätte Ihres Weges zu gehen – es ist sehr angenehm, einem Herrn aus London zu begegnen. Da hört man doch einmal, was in der Welt vorgeht. Wünsch’ Ihnen einen guten Morgen,Sir – und danke Ihnen nochmals recht schön.«

Wir gingen auseinander. Als ich die Kirche hinter mir ließ, schaute ich zurück – und da unten auf der Straße waren wieder die beiden Männer, zu denen sich noch ein dritter gesellt hatte; dieser Dritte war der kleine Mann im schwarzen Anzuge, dem ich am Abende zuvor nach der Eisenbahnstation gefolgt war.

Die Drei standen eine Weile und sprachen zusammen und trennten sich dann. Der kleine Mann in Schwarz ging allein nach Welmingham zu; die andern Beiden blieben beisammen, indem sie offenbar warteten, bis sie mir, sobald ich weiter gehen würde, wieder folgen könnten.

Ich setzte meinen Weg fort, ohne sie gewahr werden zu lassen, daß ich sie bemerkt hatte. Ich war in diesem Augenblicke nicht besonders aufgebracht über sie – im Gegentheil, sie belebten meine sinkenden Hoffnungen wieder etwas. In meiner Ueberraschung, den Beweis der Heirath zu finden, hatte ich ganz vergessen, zu welchem Schlusse ich gekommen, als ich jene beiden Männer in der Nähe der Sacristei erblickt hatte. Ihr Wiedererscheinen erinnerte mich, daß Sir Percival meinen Besuch in der Kirche von Alt-Welmingham als nächste Folge meiner Unterredung mit Mrs. Catherick vorausgesehen – widrigenfalls er sicher nicht seine Spione dorthin geschickt haben würde, um mich zu erwarten. So glatt und offen die Sache sich in der Sacristei auch herausgestellt, so war doch etwas Verkehrtes darunter– es war in dem Kirchenbuche Etwas, das ich vielleicht noch nicht ausfindig gemacht hatte.

X

Sowie mir die Kirche aus dem Gesichte war, setzte ich meinen Weg nach Knowlesbury munter fort.

Der Weg war meistens gerade und eben. Jedesmal, wenn ich mich umschaute, sah ich die beiden Spione mir ruhig folgen. Während der größten Strecke des Weges hielten sie sich in sicherer Entfernung hinter mir. Aber ein paarmal beeilten sie ihre Schritte, wie wenn sie mich einholen wollten – standen dann stille – beriethen sich – und blieben in ihrer vorigen Entfernung zurück. Sie hatten offenbar irgend einen besondern Zweck im Auge und schienen über die beste Art und Weise, denselben auszuführen, uneinig oder im Zweifel. Ich konnte nicht recht errathen, welches ihr Zweck sein mochte; aber ich hegte ernstliche Befürchtungen, daß ich Knowlesbury nicht ohne Unfall erreichen würde. Diese Befürchtungen stellten sich als begründet heraus.

Ich war eben an einer einsamen Stelle des Weges angelangt, von wo ich eine scharfe Biegung desselben in einiger Entfernung vor mir sah, und war gerade zu dem Schlusse gekommen (indem ich eine Zeitberechnung machte), daß ich mich der Stadt nähern müsse, als ich plötzlich die Schritte der Männer dicht hinter mir hörte.

Ehe ich mich noch umschauen konnte, ging der Eine von ihnen (der Mann, welcher mir in London gefolgt war) schnell zu meiner linken Seite an mir vorbei und stieß mich mit seiner Schulter. Ich hatte mich durch die Art und Weise, in welcher er und sein Gefährte mich von Welmingham aus verfolgt, heftiger aufreizen lassen, als ich mir dessen selbst bewußt, und ließ mich hierdurch unglücklicherweise hinreißen, den Menschen ziemlich herzhaft mit der flachen Hand von mir zu stoßen. Er fing augenblicklich an, um Hülfe zu rufen, worauf sein Gefährte – der stämmige Bursche in der Wildhüterkleidung – an meine rechte Seite sprang – und im nächsten Augenblicke hielten sie mich geknebelt mitten auf dem Wege zwischen sich.

 

Die Ueberzeugung, daß man mir eine Falle gelegt, und der Verdruß darüber, daß ich in dieselbe gegangen war, hielten mich glücklicherweise davon ab, meiner Lage durch einen nutzlosen Kampf mit zwei Männern, von denen der eine wahrscheinlich allein schon mehr als genug für mich gewesen wäre, noch zu verschlimmern. Ich unterdrückte die erste natürliche Bewegung, durch welche ich versucht hatte, mich ihren Griffen zu entziehen, und blickte umher, um zu sehen, ob Niemand in der Nähe sei, dessen Hülfe ich anrufen könne.

Ein Bauer arbeitete in einem nahen Felde; er mußte gesehen haben, was sich zugetragen, und ich forderte ihn daher auf, uns nach der Stadt zu folgen. Er schüttelte mit dummer Beharrlichkeit den Kopf und ging fort einem Häuschen zu, das etwas von der Landstraße abgelegen war. Zu gleicher Zeit erklärten die beiden Männer, welche mich hielten, ihre Absicht, mich eines Angriffes auf sie anzuklagen. Ich war jetzt ruhig und klug genug, keine Einwendungen weiter zu machen. »Laßt meinen Arm los,« sagte ich, »und ich will Euch in die Stadt folgen.« Der Mann in der Wildhüterkleidung äußerte eine grobe Weigerung. Der andere aber war schlau genug, um an die Folgen zu denken, und seinem Gefährten nicht zu gestatten, sich durch unnütze Gewaltthätigkeit zu compromittiren. Er gab ihm ein Zeichen, und ich ging dann frei zwischen den Beiden.

Wir langten an der Biegung im Wege an, und da dicht vor uns war die Vorstadt von Knowlesbury. Einer der Ortsconstabler ging im Pfade am Wege entlang. Die Männer riefen ihn augenblicklich an. Er entgegnete, daß der Magistrat augenblicklich im Gerichtssaale versammelt sei und empfahl uns, uns sogleich dorthin zu begeben.

Wir gingen nach dem Rathhause. Der Gerichtsschreiber fertigte eine Vorladung aus, und die Anklage gegen mich wurde dann mit den bei solchen Gelegenheiten üblichen Uebertreibungen und Verdrehungen vorgebracht. Der Richter (ein unfreundlicher Mann mit einem sauren Wohlbehagen an der Ausübung seiner Macht) frug, ob irgend Jemand auf oder neben dem Wege Zeuge des Angriffes gewesen, und zu meiner großen Ueberraschung gaben die Kläger die Anwesenheit des Bauern im Felde zu. Ich wurde jedoch durch die nächsten Worte des Richters über den Zweck dieser Zugabe aufgeklärt. Er verwies mich sofort auf die Vorführung des Zeugen, wobei er zugleich seine Bereitwilligkeit aussprach, Bürgschaft für mein Erscheinen zu nehmen, falls ich ihm eine solche zu bieten im Stande sei. Wäre ich in der Stadt bekannt gewesen, so würde er mich auf mein eigenes persönliches schriftliches Unterpfand entlassen haben; da ich aber dort vollkommen fremd war, so war es nothwendig, daß ich eine verantwortliche Bürgschaft stellte.

Der ganze Zweck des Streiches war mir jetzt klar. Man hatte es so eingerichtet, daß ein gerichtlicher Aufschub nothwendig war in einem Orte, wo ich vollkommen fremd und es mir deshalb unmöglich war, meine Freiheit durch Bürgschaft wieder zu erhalten. Dieser Aufschub erstreckte sich auf blos drei Tage: bis zur nächsten Magistratssitzung. Doch inzwischen konnte Sir Percival, während ich im Gefängnisse saß, von allen möglichen Mitteln Gebrauch machen, um mein ferneres Fortschreiten zu verhindern – vielleicht sich ganz und gar gegen Entdeckung schützen – und zwar ohne von meiner Seite das geringste Hinderniß befürchten zu müssen. Nach Verlauf der drei Tage würde die Anklage ohne Zweifel zurückgenommen werden und das Erscheinen des Zeugen unnöthig sein.

Meine Entrüstung, ich möchte fast sagen meine Verzweiflung über diese unheilvolle Störung all’ meiner ferneren Fortschritte – die an sich so erbärmlich und unbedeutend, aber in ihren wahrscheinlichen Folgen so entmuthigend und bedeutungsvoll war – machte mich zuerst ganz unfähig, über die Mittel nachzusinnen, durch welche ich mich würde aus diesem Dilemma ziehen können. Ich war thöricht genug, Schreibmaterial zu fordern und daran zu denken, dem Magistrate im Vertrauen meine ganze Lage auseinanderzusetzen. Die Hoffnungslosigkeit und Unvorsichtigkeit eines solchen Verfahrens fiel mir nicht eher ein, als bis ich wirklich schon die ersten Zeilen des Briefes geschrieben hatte. Erst als ich das Papier wieder von mir gestoßen – und, wie ich zu meiner Schande gestehen muß, als ich mich durch den Verdruß über meine hülflose Lage fast hatte besiegen lassen – bot sich plötzlich meinem Geiste ein Verfahren dar, auf welches Sir Percival wahrscheinlich nicht gerechnet hatte, und das mich in wenigen Stunden wieder in Freiheit setzen konnte. Ich beschloß, Mr. Dawson in Oak Lodge von der Lage zu unterrichten, in der ich mich befand.

Ich hatte das Haus dieses Herrn, wie man sich erinnern wird, bei Gelegenheit meiner ersten Nachforschungen in der Umgegend von Blackwater Park besucht und hatte ihm einen Brief von Miß Halcombe überbracht, in welchem diese mich ihm in den wärmsten Ausdrücken empfohlen. Ich schrieb jetzt und berief mich auf jenen Brief, sowie auf das, was ich Mr. Dawson damals von der zarten und gefährlichen Natur meiner Nachforschungen anvertraut hatte. Ich hatte ihn nicht mit der Wahrheit in Bezug auf Laura bekannt gemacht, sondern ihm meinen Zweck blos als von der größten Wichtigkeit für Familienangelegenheiten beschrieben, die Miß Halcombe nahe angingen. Indem ich auch jetzt noch dieselbe Vorsicht gebrauchte, erklärte sich ihm meine Anwesenheit in Knowlesbury auf dieselbe Weise – und überließ es dann dem Doctor zu bestimmen, ob das Vertrauen, welches eine Dame, die er wohl kannte, in mich gesetzt, und die Gastfreundschaft, welche ich selbst in seinem Hause erfahren, mich rechtfertigten, indem ich ihn bitte, mir in einem Orte zu Hülfe zu kommen, an dem ich vollkommen unbekannt sei.

Ich erhielt Erlaubniß, mir einen Boten zu miethen, der augenblicklich mit dem Briefe in einem Wagen wegfuhr, in welchem er den Doctor gleich mit zurückbringen konnte. Oak Lodge war zwischen Knowlesbury und Blackwater gelegen. Der Mann erklärte, er könne in vierzig Minuten hinfahren und in abermals vierzig Minuten den Doctor mit zurückbringen. Ich gab ihm Befehl, dem Doctor zu folgen, wo er auch sein möge, falls er ihn etwa nicht zu Hause fände – und setzte mich dann, um den Erfolg mit all’ der Ruhe und Geduld abzuwarten, die ich mir zu Hülfe zu rufen im Stande war.

Es war kaum halb zwei Uhr, als der Bote fortfuhr, und noch ehe es halb Drei geschlagen, kehrte er schon zurück und brachte den Doctor mit. Des Doctors Freundlichkeit und das Zartgefühl, mit dem er seinen schnellen Beistand wie eine Sache darstellte, die sich ganz von selbst verstehe, überwältigten mich fast. Die erforderliche Bürgschaft wurde sofort geboten und angenommen. Noch vor vier Uhr desselbigen Nachmittags konnte ich als freier Mann auf der Straße von Knowlesbury dem guten alten Doctor mit einem warmen Händedrucke danken.

Mr. Dawson gab mir eine gastfreundliche Einladung, mit ihm nach Oak Lodge zurückzukehren und die Nacht in seinem Hause zu bleiben. Ich konnte ihm nur antworten, daß meine Zeit nicht mir gehöre, und ihn nur um Erlaubniß bitten, ihm in wenigen Tagen meinen Besuch machen zu dürfen, um ihm die Versicherung meiner Dankbarkeit zu wiederholen und ihm alle Erklärungen zu geben, zu denen, wie ich fühlte, er berechtigt, die ich aber augenblicklich noch nicht zu machen in der Lage war. Wir schieden mit gegenseitigen Freundschaftsversicherungen, und ich wandte meine Schritte darauf sofort nach Mr. Wansborough’s Geschäftslocale in der Hochstraße.

Die Zeit war jetzt von der größten Bedeutung. Die Nachricht, daß ich durch Bürgschaft in Freiheit gesetzt worden, mußte Sir Percival unfehlbar noch vor Einbruche der Nacht erreichen. Falls die nächsten paar Stunden mich nicht so stellten, daß dadurch seine schlimmsten Befürchtungen gerechtfertigt wurden, und er hülflos in meine Macht gegeben war, so konnte ich jeden Zoll des Bodens, den ich gewonnen hatte, verlieren, um ihn nie wieder zu gewinnen. Der gewissenlose Charakter des Mannes, sein Einfluß in der Umgegend, die verzweifelte Gefahr der Blosstellung, mit der meine blindlings angestellten Nachforschungen ihn bedrohten – alles Dies ließ mich die Nothwendigkeit fühlen, der Entdeckung nachzusetzen, ohne auch nur eine Minute zu verlieren. Ich hatte, während ich Mr. Dawson’s Ankunft erwartet, Zeit zum Nachdenken gefunden und hatte guten Gebrauch von derselben gemacht. Gewisse Abschnitte in der Unterhaltung des redseligen alten Küsters, welche mich zur Zeit gelangweilt, stellten sich meinem Geiste jetzt in einem neuen bedeutungsvolleren Lichte dar, und es kam mir ein dunkler Verdacht, der mir in der Sacristei nicht in den Sinn gekommen war. Auf meinem Wege nach Knowlesbury hatte ich Nichts weiter beabsichtigt, als Mr. Wansborough in Bezug auf Sir Percival’s Mutter zu befragen. Jetzt aber beschloß ich, die Abschrift des Kirchenbuches zu Alt-Welmingham zu untersuchen.

Mr. Wansborough war auf seiner Expedition, als ich nach ihm frug.

Er war ein jovialer, freier, ruhiger Mann – er hatte mehr das Aussehen eines vergnügten Landmannes, als das eines Advocaten – und schien sowohl erstaunt als belustigt über mein Anliegen. Er hatte von seines Vaters Abschrift des Kirchenbuches allerdings gehört, sie selbst aber noch nie gesehen. Man hatte nie danach gefragt, doch werde es ohne Zweifel in der Sicherheitskammer unter den übrigen Papieren liegen, welche seit seines Vaters Ableben nie angerührt worden. Mr. Wansborough meinte, es sei jammerschade, daß der alte Herr nicht da sei, um zu hören, wie Jemand endlich seine kostbare Abschrift zu sehen verlange. Er würde danach sein Steckenpferd eifriger denn je geritten haben. Wie war ich dazu gekommen, von der Abschrift zu hören? Durch irgend Jemanden in der Stadt?

Ich wich diesen Fragen aus so gut ich konnte. Es war unmöglich, in diesem Stadium in meinen Nachforschungen zu vorsichtig zu sein, aber ebensosehr Mr. Wansborough nicht vor der Zeit wissen zu lassen, daß ich das Original bereits untersucht hatte. Ich gab ihm daher zu verstehen, daß ich in einer Familienangelegenheit Erkundigungen einziehe, bei der jeder Augenblick von größter Wichtigkeit sei. Ich wünsche ganz besonders noch mit der Abendpost gewisse Einzelheiten über die Sache nach London abzusenden, und ein einziger Blick in die Abschrift (wofür ich natürlich das übliche Honorar zahlen werde) könne mich von dem unterrichten, dessen ich bedürfe, um mir eine fernere Reise nach Alt-Welmingham zu ersparen. Ich fügte noch hinzu, daß, falls ich fernerhin noch eine Abschrift des Originals gebrauchte, ich mich dieserhalb an Mr. Wansborough wenden würde.

Nach dieser Erklärung von meiner Seite wandte er Nichts dagegen ein, mir die Abschrift zu zeigen. Es wurde ein Schreiber in die Sicherheitskammer hinaufgeschickt, und Derselbe kehrte nach einer Weile mit dem Buche zurück. Es war genau von derselben Größe, wie das in der Sacristei, und der einzige Unterschied zwischen beiden Büchern bestand darin, daß die Abschrift schöner gebunden war. Ich trug sie an ein leeres Pult. Meine Hände zitterten – meine Stirn glühte – ich war mir der Nothwendigkeit bewußt, meine Aufregung vor den Leuten, die im Zimmer anwesend waren, zu verbergen, ehe ich das Buch aufschlug.

Auf der leeren Seite am Anfange des Buches, welche ich zuerst betrachtete, standen mit vergilbter Tinte einige Zeilen geschrieben. Dieselben enthielten folgende Worte:

»Abschrift des Heirathregisters in der Pfarrkirche zu Alt-Welmingham. Auf meine Anordnung abgefaßt und später von mir selbst genau mit dem Originale verglichen. (Unterzeichnet:) Robert Wansborough, Kirchspielschreiber.«

Unter dieser Anmerkung stand eine Zeile in einer andern Handschrift:

»Berichtigt vom 1. Januar 1800 bis zum 30. Juni 1815.«

Ich wandte mich zum Monat September 1803. Ich fand die Heirath des Mannes, der meinen Taufnamen trug. Ich fand das doppelte Certificat der beiden Brüder, welche zugleich geheirathet hatten. Und zwischen diesen beiden am untern Ende der Seite –?

Nichts! Auch nicht die Spur von dem Certificate, welches im Kirchenbuche die Vermählung von Sir Felix Glyde und Cäcilia Jane Elster berichtete!

Mein Herz flog und pochte, als ob ich ersticken müßte. Ich blickte noch einmal hin – ich fürchtete meinen Augen zu trauen. Nein! Kein Zweifel mehr. Die Heirath war nicht verzeichnet. Die Certificate in der Abschrift nahmen genau dieselben Stellen auf der Seite ein, wie die im Originale. Das letzte auf der einen Seite war das des Mannnes mit meinem Taufnamen. Darunter war ein leerer Raum – offenbar leer gelassen, weil er nicht groß genug gewesen, um das doppelte Certificat der beiden Brüder aufzunehmen, welches in der Abschrift wie in dem Originale die Stelle an der Spitze der nächsten Seite einnahm.

 

Dieser Raum erzählte die ganze Geschichte! In dem Kirchenbuche mußte derselbe von 1803 an (wo die stattgehabten Vermählungen dort eingetragen worden) bis 1827 geblieben sein, wo Sir Percival in Alt-Welmingham erschien. Hier in Knowlesbury sah ich die Gelegenheit zu der Fälschung in der Abschrift, – und dort in Alt-Welmingham war dieselbe in dem Kirchenbuche benutzt worden!

Es schwindelte mir; ich hielt mich am Pulte fest, um nicht zu fallen. Von all’ den verschiedenen Arten des Verdachtes, welche sich mir in Bezug auf jenen verzweifelten Mann aufgedrängt hatten, war nicht eine einzige der Wahrheit nahe gekommen. Der Gedanke, er sei überhaupt gar nicht Sir Percival Glyde und habe nicht mehr Anrecht an der Baronetschaft und an Blackwater Park als der ärmste Bauer auf der Besitzung, war mir keinen Augenblick in den Sinn gekommen. Zu einer Zeit hatte ich gedacht, er sei vielleicht Anna Catherick’s Vater; dann, daß er mit ihr verheirathet gewesen – aber das Vergehen, dessen er sich in Wirklichkeit schuldig gemacht, war meinen ausschweifendsten Muthmaßungen fern geblieben.

Ich war überwältigt von der Betrachtung der erbärmlichen Mittel, durch welche die Fälschung bewerkstelligt worden, durch die Größe und das Wagniß des Verbrechens und das Entsetzen vor den Folgen der Entdeckung desselben: Wer konnte sich jetzt noch über die brutale Unruhe der Lebensweise des Elenden wundern; über seine verzweifelten Abwechselungen zwischen verworfener Doppelzüngigkeit und rücksichtsloser Gewaltthätigkeit; über die Tollheit seines schuldbewußten Mißtrauens, in welchem er Anna Catherick in die Irrenanstalt gesperrt und in den schändlichen Verrath gegen seine Frau gewilligt hatte, in dem blosen Argwohne, daß die Eine wie die Andere sein furchtbares Geheimniß wisse? Die Enthüllung dieses Geheimnisses hätte in früheren Jahren Hinrichtung und jetzt lebenslängliche Deportation zur Folge haben können. Sie mußte ihn, selbst im Todesfall Derjenigen, welche durch den Betrug gelitten hatten, mit einem Schlage seines Namens, seines Ranges, seiner Besitzungen und der ganzen gesellschaftlichen Stellung berauben, die er sich angemaßt hatte. Dies war das Geheimniß, und es war mein! Ein Wort von mir und – Haus, Güter, Titel – er hatte Alles auf immer verloren, er wurde als namenloser, mittelloser, freundloser Ausgestoßener in die Welt hinaus getrieben! Des Mannes ganze Zukunft hing an meinen Lippen – und in diesem Augenblicke wußte er dies bereits ebenso gewiß, wie ich selbst!

Dieser letztere Gedanke gab mir einige Festigkeit wieder. Interessen, die mir weit kostbarer waren als meine eigenen, hingen von der Umsicht ab, welche jetzt meine geringsten Handlungen leiten mußte. Es gab keine erdenkliche Schändlichkeit, von der Sir Percival nicht Gebrauch gegen mich machen würde. In der Gefahr und Verzweiflung seiner Lage würde er sich durch kein Wagniß, durch kein Verbrechen zurückschrecken lassen – er würde buchstäblich vor Nichts erbeben, das ihn retten konnte.

Ich sann einen Augenblick nach. Die erste Nothwendigkeit für mich war, ein geschriebenes Zeugniß Dessen zu erhalten, was ich gesehen hatte, und dasselbe für den Fall, daß mir ein persönlicher Unfall begegnen sollte, so unterzubringen, daß Sir Percival seiner nicht habhaft werden konnte. Die Abschrift des Kirchenbuches war in Mr. Wansborough’s Sicherheitskammer wohl verwahrt. Das Original aber in der Sacristei war, wie ich mit eigenen Augen gesehen, nichts weniger als das.

In dieser dringenden Gefahr beschloß ich, nach der Kirche zurückzukehren, mich nochmals an den Küster zu wenden und mir, ehe ich mich für die Nacht schlafen legte, den nöthigen Auszug aus dem Kirchenbuche zu machen. Es war mir damals noch nicht bekannt, daß eine gerichtlich attestirte Abschrift nothwendig war, und daß kein Document, das ich allein abgefaßt, als genügender Beweis angenommen werden würde. Meine größte, einzige Sorge war die, nach Welmingham zurückzukehren. Ich erklärte so gut ich konnte die Bestürzung und Aufregung meines Wesens, welche Mr. Wansborough bereits bemerkt hatte, legte das Honorar auf den Tisch, kam mit ihm überein, daß ich ihm in wenigen Tagen schreiben werde, und verließ dann die Expedition, während mein Gehirn sich im Wirbel drehte und mein Blut in Fieberhitze durch meine Adern schoß.

Es fing eben an dunkel zu werden. Mir kam der Gedanke, daß man mich vielleicht auf der Landstraße abermals belauern und angreifen werde.

Mein Spazierstock war nur schwach und daher als Vertheidigungswaffe von wenig oder gar keinem Nutzen. Ich ging, ehe ich Knowlesbury verließ, in einen Kaufladen und versah mich mit einem starken Landknittel, der ziemlich kurz und am Kopfende gewichtig war. Mit dieser einfachen Waffe war ich jedem einzelnen Manne, der mich angreifen mochte, gewachsen. Falls mehr als Einer kamen, so konnte ich mich auf die Schnelligkeit meiner Beine verlassen. In meiner Schulzeit war ich ein berühmter Läufer gewesen, und es hatte mir seitdem, namentlich während meiner vielfachen Abenteuer in Central-Amerika, nicht an Uebung gefehlt.

Ich verließ die Stadt mit schnellen Schritten und hielt mich in der Mitte des Weges.

Es fiel ein nebelartiger kleiner Staubregen, und es war mir deshalb während der ersten Hälfte des Weges unmöglich, zu entdecken, ob ich verfolgt werde oder nicht. Als ich aber auf der letzten Hälfte angelangt und mich etwa zwei Meilen von der Kirche entfernt wähnte, sah ich einen Mann im Regen an mir vorbei laufen – und hörte dann ein Feldpförtchen am Wege heftig zuschlagen. Ich setzte meinen Weg gerade fort, wobei ich meinen Knittel zur Vertheidigung bereit hielt und mit Ohren und Augen die Finsterniß zu durchdringen mich anstrengte. Ehe ich noch hundert Ellen weiter geschritten, rauschte es in dem Gesträuche zu meiner Rechten, und drei Männer stürzten in den Weg hinaus.

Ich sprang augenblicklich zur Seite auf den Fußpfad hinauf. Die beiden ersten Männer wurden durch die Gewalt ihres Sprunges an mir vorbei getrieben; der dritte war schnell, wie der Blitz. Er stand still, wandte sich halb um und schlug mit seinem Stocke nach mir. Der Schlag geschah auf’s Gerathewohl und war kein sehr schmerzhafter; er fiel auf meine linke Schulter. Ich gab ihm denselben verstärkt auf den Kopf zurück Er taumelte und fiel gegen seine beiden Gefährten, gerade als diese auf mich losfahren wollten. Dieser Umstand gab mir einen augenblicklichen Vortheil. Ich schlüpfte an ihnen vorüber wieder in die Mitte des Weges hinein und rannte davon, so schnell, wie meine Füße mich nur tragen wollten.

Die beiden Unverletzten verfolgten mich. Sie waren Beide gute Läufer, der Weg glatt und eben, und während der ersten fünf Minuten war ich mir bewußt, daß ich die Entfernung zwischen mir und ihnen nicht vergrößerte. Es war eine gefährliche Sache, lange in der Dunkelheit dahin zu rennen. Ich konnte kaum die undeutliche schwarze Linie der Hecken zu beiden Seiten unterscheiden, und das geringste Hinderniß auf dem Wege hätte mich ohne Fehl niedergeworfen. Bald fühlte ich, daß der Boden sich veränderte: bei einer Biegung ging er abwärts und fing dann wieder an aufwärts zu steigen. Bergab kamen die Männer mir etwas näher, aber so wie es bergan ging, ließ ich sie bedeutend hinter mir zurück. Das rasche regelmäßige Stampfen ihrer Füße fiel immer schwächer an mein Ohr, und ich berechnete nach dem Klange, daß ich jetzt weit genug von ihnen sei, um in das Feld zu laufen, wobei ich dann Hoffnung hatte, daß sie in der Dunkelheit an mir vorbei laufen würden. Auf den Fußpfad springend eilte ich auf die erste lichte Stelle in der Hecke los, die ich mehr errieth als sah; dieselbe stellte sich als eine verschlossene Pforte heraus. Ich schwang mich hinüber und lief, im Felde angelangt, im gemessenen Trabe, mit dem Rücken der Landstraße zugewandt, über dasselbe hin. Ich hörte die Männer an dem Pförtchen vorüberrennen – dann, eine Minute später, wie der Eine den Andern zurückrief. Es war mir jedoch einerlei, was sie jetzt thaten, denn ich befand mich bereits außer ihrem Bereiche. Ich lief gerade über das Feld hin, und am entgegengesetzten Ende desselben angelangt, stand ich einen Augenblick stille, um wieder zu Athem zu kommen.