Za darmo

Die Frau in Weiss

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

»Liebe Laura, bitte, komme sobald es Dir gefällt. Verkürze Dir die Reise, indem Du in London im Hause Deiner Tante schläfst. Bedaure zu hören, daß die gute Marianne krank ist.

Herzlich der Deine.«

Ich reichte dem Grafen diese Zeilen, indem ich den Arm weit ausstreckte – dann sank ich in meinen Sessel zurück und sagte: »Entschuldigen Sie mich – ich bin gänzlich erschöpft, ich bin zu nichts Weiterem fähig. Wollen Sie sich ausruhen und unten frühstücken? Grüße an Alle und meine Theilnahme und so weiter. Guten Morgen

Er hielt abermals eine Rede – der Mann ist vollkommen unerschöpflich. Ich schloß meine Augen und suchte so wenig wie möglich zu hören. Doch war ich ungeachtet meiner Bemühungen genöthigt, noch eine Menge zu hören. Meiner Schwester endloser Gemahl beglückwünschte sich und mich über den Erfolg unserer Unterredung; er hatte noch unbeschreiblich viel über seine Sympathien und die meinigen zu sagen; er beklagte meinen kläglichen Gesundheitszustand; er erbot sich, mir ein Recept zu schreiben; er machte mich auf die Nothwendigkeit aufmerksam, nicht zu vergessen, was er mir über die Wichtigkeit der Beleuchtung gesagt hatte; er nahm meine freundliche Einladung, sich auszuruhen und zu frühstücken, an; er empfahl mir, Lady Glyde in zwei oder drei Tagen zu erwarten; er bat mich um Erlaubniß, auf ein baldiges Wiedersehen hoffen zu dürfen, anstatt sich und mich zu betrüben, indem er Abschied von mir nähme; er sagte noch eine unbeschreibliche Menge mehr, dessen ich mich aber jetzt nicht mehr erinnere, da ich es diesmal nicht beachtete. Ich hörte seine theilnehmende Stimme sich langsam von mir entfernen, aber so groß er auch war – ihn hörte ich nicht. Er hatte das negative Verdienst, vollkommen geräuschlos zu sein. Ich weiß weder, wann er die Thür öffnete, noch wann er sie schloß. Ich wagte nach einem Zwischenraum der Stille die Augen zu öffnen und er war fort.

Ich klingelte Louis und zog mich in mein Badezimmer zurück. Laues, durch aromatischen Essig gestärktes Wasser für mich und reichliche Räucherung des Zimmers waren offenbar die zu empfehlenden Vorsichtsmaßregeln, und ich wandte sie natürlich an. Es freut mich, sagen zu können, daß dieselben sich wirksam erwiesen. Ich genoß meine gewöhnliche Siesta, wonach ich frisch und kühl erwachte. Meine ersten Fragen galten dem Grafen. Waren wir ihn wirklich los geworden? Ja – er war mit dem Nachmittagzuge abgereist. Hatte er gefrühstückt, und was? Nichts als Fruchttörtchen mit Sahne. Welch ein Mensch! Welch eine Verdauung!

Erwartet man noch fernere Aufschlüsse von mir? Ich glaube nicht. Ich denke, hier bis an die mir vorgezeichneten Grenzen gekommen zu sein. Die erschütternden Ereignisse, welche sich später zutrugen, liegen, wie ich so glücklich bin sagen zu können, nicht innerhalb meiner Erfahrungen. Ich bitte und flehe Jeden an, nicht so unbeschreiblich gefühllos zu sein, mir einen Theil der Schuld an diesen Ereignissen beizulegen. Ich that Alles in der besten Absicht. Man muß mich nicht für ein beklagenswerthes Unglück verantwortlich machen, das unmöglich vorauszusehen war. Es hat mich völlig daniedergestreckt; ich habe mehr dadurch gelitten, als sonst irgend Jemand. Mein Kammerdiener Louis (der mir wirklich auf seine ungebildete Art ergeben ist) meint, ich werde mich nie vollkommen wieder davon erholen. Er sieht mich in diesem Augenblicke mit meinem Taschentuche vor den Augen ihm dictiren. Ich muß aus Billigkeit gegen mich selbst wiederholen, daß es nicht meine Schuld gewesen, und daß es mich gänzlich niedergebeugt und mir das Herz gebrochen hat. Mehr kann ich nicht sagen.

Aussage der Elisa Michelsson, Haushälterin zu Blackwater Park

Man fordert mich auf, genau anzugeben, was ich über den Fortgang von Miß Halcombe’s Krankheit und über die Umstände weiß, unter welchen Lady Glyde Blackwater Park verließ, um nach London zu reisen.

Der Grund für diese Aufforderung ist, daß man meines Zeugnisses im Interesse der Wahrheit bedarf. Als Witwe eines Geistlichen der englischen Hochkirche (aber durch Unglück auf die Nothwendigkeit zurückgeführt, eine Stelle anzunehmen) habe ich gelernt, die Rechte der Wahrheit über alle anderen Rücksichten zu stellen. Ich füge mich daher einer Bitte, welche zu erfüllen ich andernfalls, um mich nicht an höchst betrübenden Familienangelegenheiten zu betheiligen, gezögert haben würde.

Ich habe mir damals kein Memorandum gemacht und kann deshalb mit Bestimmtheit kein Datum angeben; aber ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich sage, daß Miß Halcombe’s Krankheit in der ersten Woche des Juli begann. Man frühstückte spät in Blackwater Park, zuweilen erst um zehn, nie aber vor halb zehn Uhr. An dem Morgen, von dem ich jetzt spreche, erschien Miß Halcombe (die sonst fast immer zuerst unten war) nicht am Frühstückstische. Nachdem die Herrschaften eine Viertelstunde auf sie gewartet hatten, schickten sie das Oberstubenmädchen zu ihr hinaus, welches aber ganz erschrocken wieder aus der Stube gestürzt kam. Ich begegnete ihr auf der Treppe und ging sogleich in Miß Halcombe’s Zimmer, um zu sehen, was es gäbe. Die arme Dame war nicht im Stande, es mir zu sagen. Sie ging mit einer Feder in der Hand, phantasirend und in heftigem Fieber in der Stube auf und ab.

Lady Glyde (da ich nicht mehr in Sir Percival’s Diensten bin, darf ich, ohne die Schicklichkeit zu verletzen, meine frühere Herrin bei ihrem Namen nennen, anstatt Mylady zu sagen) war die Erste, die aus ihrem Schlafzimmer herbeieilte. Sie war so furchtbar bestürzt und ergriffen, daß eine Frage an sie vergebens gewesen wäre. Graf Fosco und seine Gemahlin, welche gleich nach ihr heraufkamen, waren beide äußerst dienstfertig und gütig. Die Frau Gräfin half mir, Miß Halcombe in ihr Bett zu legen, und Seine Gnaden der Herr Graf blieb im Wohnzimmer und nachdem er sich seinen Medicinkasten hatte bringen lassen, mischte er einen Trank und eine kühlende Waschung für ihren Kopf, damit keine Zeit verloren würde, bis der Arzt käme. Wir kühlten ihren Kopf mit der Waschung, konnten sie aber nicht überreden, die Medicin zu nehmen. Sir Percival erbot sich, den Arzt holen zu lassen. Er schickte einen Reitknecht zu Pferde an den nächsten Arzt ab, welcher Mr. Dawson zu Oak Lodge war.«

Mr. Dawson kam nach weniger als einer Stunde an. Er war ein achtbarer, ältlicher Mann, der in der ganzen Umgegend bekannt war, und wir waren sehr erschrocken, als er den Anfall einen höchst ernsten nannte. Seine Gnaden der Herr Graf unterhielt sich sehr freundlich mit Mr. Dawson und sprach seine Ansichten mit einer verständigen Unbefangenheit aus, Mr. Dawson frug – nicht sehr höflich – ob der Rath des Herrn Grafen der Rath eines Arztes sei, und als Seine Gnaden ihm sagte, es sei der Rath eines Mannes, welcher die Medicin aus Liebhaberei studirt, entgegnete er, daß er nicht gewohnt sei, Consultationen mit Dilettanten-Aerzten zu halten, Der Graf lächelte mit echt christlicher Milde und verließ das Zimmer. Doch ehe er ging, sagte er mir, falls man seiner im Verlaufe des Tages bedürfe, würde er im Boothause beim See zu finden sei. Warum er gerade dorthin ging, kann ich nicht sagen. Jedenfalls aber ging er und blieb den ganzen Tag bis Abends sieben Uhr, wo man zu Tische ging, fort. Vielleicht wollte er das Beispiel geben, Alles im Hause so ruhig wie möglich zu halten. Es lag dies ganz in seinem Charakter. Er war ein außerordentlich rücksichtsvoller Herr.

Miß Halcombe verbrachte eine sehr schlimme Nacht, während welcher das Fieber abwechselnd kam und ging und gegen Morgen, anstatt sich zu legen, schlimmer wurde. Da in der Nachbarschaft keine Krankenwärterin zu finden war, die sie hätte pflegen können, übernahmen Ihre Gnaden die Frau Gräfin und ich diese Pflicht, indem wir einander ablösten. Lady Glyde war unweise genug, darauf zu bestehen, mit uns aufzusitzen. Sie war viel zu nervenschwach und bei zu schlechter Gesundheit, um die Besorgniß um Miß Halcombe mit Ruhe zu ertragen. Sie that sich bloß selbst Schaden, ohne ihrer Schwester von dem geringsten Nutzen zu sein. Es hat gewiß nie eine sanftere, liebevollere Dame gelebt, aber sie weinte und ängstigte sich – zwei Schwachheiten, die sich durchaus nicht für Krankenstuben eignen.

Sir Percival und der Graf kamen am Morgen, um sich nach dem Befinden zu erkundigen. Sir Percival schien mir (wahrscheinlich aus Kummer über den Schmerz seiner Gemahlin und über Miß Halcombe’s Krankheit) sehr verwirrt und unruhig. Der Herr Graf dagegen bewies eine sehr angemessene Fassung und Theilnahme. Er hielt seinen Strohhut in der einen und ein Buch in der andern Hand, und ich hörte ihn zu Sir Percival sagen, er werde wieder nach dem Boothause gehen, um zu studiren. »Laß uns alle mögliche Ruhe im Hause halten,« sagte er, »laß uns nicht im Hause rauchen, mein Freund, jetzt da Miß Halcombe krank ist. Geh’ Du Deiner Wege, und ich will meiner Wege gehen. Wenn ich studire, bin ich am liebsten allein. Guten Morgen, Mrs. Michelson.«

Sir Percival war nicht höflich genug –vielleicht wäre es besser, wenn ich sagte: nicht gefaßt genug – mich mit derselben höflichen Aufmerksamkeit zu grüßen. In der That die einzige Person im ganzen Hause, welche mir damals oder je auf dem Fuße einer Dame in zurückgekommenen Verhältnissen begegnete, war der Graf. Sein Benehmen war das eines wahren Edelmannes: er war rücksichtsvoll gegen Alle. Sogar das junge Frauenzimmer, (Fanny hieß sie) welches Lady Glyde bediente, stand nicht zu tief unter seiner Beachtung. Als Sir Percival sie fortschickte, war der Herr Graf (der mir eben seine allerliebsten kleinen Vögel zeigte) auf das Freundlichste besorgt, zu wissen, was aus ihr geworden, wo sie den Tag zubringen werde, bis sie Blackwater Park verlassen könne, und dergleichen mehr. Es ist hauptsächlich in solchen zarten kleinen Aufmerksamkeiten, daß sich die Vorzüge aristokratischer Geburt am deutlichsten zeigen. Ich mache keine Entschuldigungen wegen Anführung dieser Einzelheiten; ich erwähne ihrer absichtlich, um dem Herrn Grafen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, da ich weiß, daß gewisse Leute seinen Charakter in einem etwas unvortheilhaften Lichte sehen. Ein Edelmann, der eine Dame in zurückgekommenen Verhältnissen achten und väterliche Theilnahme an dem Schicksale einer armen Kammerjungfer bezeigen kann, beweist, daß er Grundsätze von zu erhabener Natur besitzt, als daß man sie auf leichtfertige Weise in Zweifel ziehen könnte. Ich enthalte mich aller Ansichten und beschränke mich auf bloße Thatsachen. Es ist mein Lebelang mein Bestreben gewesen, nicht zu richten, auf daß ich nicht gerichtet werde. Es bildete dies den Text zu einer der schönsten Predigten meines lieben Mannes. Ich lese diese Predigt wiederholt – in meinem eigenen Exemplare der in den ersten Wochen meines Witwenstandes auf Subscription gedruckten Ausgabe – und sie gewährt mir jedesmal erneuerte geistige Erquickung und Erbauung.

 

Miß Halcombe’s Zustand besserte sich nicht, und die zweite Nacht war wo möglich noch schlimmer, als die erste. Mr. Dawson kam mit regelmäßiger Beständigkeit. Die praktischen Pflichten des Pflegens wurden noch immer von der Frau Gräfin und mir getheilt, während Lady Glyde darauf bestand, mit uns aufzusitzen, obgleich wir Beide sie auf das Dringendste baten, sich etwas Erholung zu gönnen. »Mein Platz ist an Mariannen’s Bette,« war ihre einzige Antwort, »und ob ich krank bin oder wohl – Nichts soll mich bewegen, sie aus den Augen zu verlieren.«

Gegen Mittag ging ich hinunter, um einigen meiner regelmäßigen Pflichten nachzukommen. Eine Stunde später, als ich wieder ins Krankenzimmer zurückkehrte, sah ich den Grafen (welcher zum dritten Male früh des Morgens ausgegangen war) in den Flur kommen, und zwar dem Anscheine nach in der besten Laune. Sir Percival steckte zu gleicher Zeit den Kopf durch die Thür der Bibliothek und sagte mit großem Eifer folgende Worte zu seinem hohen Freunde:

»Hast Du sie gefunden?«

Ein zufriedenes Lächeln zeichnete tausend Grübchen in Seiner Gnaden großem Gesichte, aber er gab keine Antwort. In demselben Augenblicke wandte Sir Percival den Kopf um, sah, daß ich auf die Treppe zuging, und blickte mich auf höchst ungezogene, zornige Weise an.

»Komm hier herein und erzähle mir das Ganze,« sagte er zum Grafen. »Wenn man Weiber im Hause hat, kann man stets sicher sein, sie auf den Treppen zu sehen.«

»Mein lieber Percival,« sagte der Graf gütig, »Mrs. Michelson hat ihre Pflichten. Ich bitte Dich, sie für ihre höchst bewunderungswürdige Ausübung derselben zu achten, wie ich es thue. Wie geht es unserer Leidenden, Mrs. Michelson?«

»Nicht besser, Mylord, wie ich zu meinem Bedauern sagen muß.«

»Traurig – sehr traurig!« sagte der Graf. »Sie sehen angegriffen aus, Mrs. Michelson. Es ist wirklich ·Zeit, daß Sie und meine Frau Hülfe in der Pflege bekommen. Ich denke, daß ich im Stande sein werde, Ihnen diese Hülfe zu verschaffen. Es haben sich Sachen zugetragen, welche die Gräfin Fosco nöthigen werden, entweder morgen oder übermorgen nach London zu reisen, Sie wird früh abreisen und Abends zurückkehren und wird zu ihrer Ablösung eine Krankenwärterin mitbringen, welche vorzügliche Eigenschaften als solche besitzt und augenblicklich frei ist. Sie ist meiner Frau als eine Person bekannt, auf die man sich unbedingt verlassen kann. Bitte, sprechen Sie hierüber nicht zu dem Arzte, ehe sie da ist; denn er wird eine Krankenwärterin meiner Wahl jedenfalls mit scheelem Auge ansehen. Sobald sie aber im Hause erscheint, wird sie für sich selber sprechen, und Mr. Dawson wird genöthigt sein, zuzugeben, daß man keine Entschuldigung haben würde, falls man sich nicht ihrer bediente. Lady Glyde wird dasselbe sagen. Bitte, bestellen Sie Lady Glyde meine besten Empfehlungen und versichern sie meiner aufrichtigsten Theilnahme.«

Ich sprach meine dankbare Anerkennung für Sr. Gnaden gütige Rücksichten aus, Sir Percival unterbrach mich jedoch (ich bedaure, sagen zu müssen, daß er sich dabei eines profanen Ausdruckes bediente) und rief seinem hohen Freunde zu, in die Bibliothek zu kommen und ihn nicht ewig warten zu lassen.

Ich ging die Treppe hinauf. Wir sind arme, irrende Geschöpfe, und wie fest auch die Grundsätze einer Frau sein mögen, sie schützen sie nicht immer gegen die Versuchung einer müßigen Neugier. Es beschämt mich aufrichtig, bekennen zu müssen, daß auch meine Grundsätze bei dieser Gelegenheit einer eitlen Neugier unterlagen, welche mich unpassend wißbegierig über die Frage machte, die Sir Percival von der Thür aus an seinen Freund gerichtet hatte. Wen sollte der Graf während seiner Morgenstudien im Parke gefunden haben? Ein weibliches Wesen, nach Sir Percival’s Ausdrücken zu urtheilen. Ich traute dem Grafen keine Unschicklichkeit zu – dazu kannte ich seinen moralischen Charakter zu gut. Die einzige Frage, die ich mir wiederholte, war: hatte er sie gefunden?

Doch ich fahre fort. Die Nacht verging abermals, ohne Miß Halcombe Besserung zu bringen. Am folgenden Tage schien sie sich jedoch ein wenig zu erholen. Am Morgen darauf reiste die Frau Gräfin, ohne daß ich sie zu irgend Jemanden den Zweck ihrer Reise hatte erwähnen hören, mit dem ersten Zuge nach London, und ihr hoher Gemahl begleitete sie mit seiner gewohnten Aufmerksamkeit zur Station.

Es war jetzt Miß Halcombe’s Pflege mir ganz allein überlassen und zugleich die Aussicht, da ihre Schwester trotz aller Ueberredung nicht von ihrem Bette weichen wollte, zunächst auch Lady Glyde in Pflege zu bekommen.

Der einzige Umstand von Wichtigkeit; welcher sich im Verlaufe des Tages zutrug, war ein abermaliger Wortstreit zwischen dem Grafen und dem Arzte.

Als Se. Gnaden von der Eisenbahnstation zurückkehrte, kam derselbe in Miß Halcombe’s Wohnzimmer hinaus, um sich, wie gewöhnlich, nach ihrem Befinden zu erkundigen. Ich ging hinaus, um mit ihm zu sprechen, da Lady Glyde sowohl, wie Mr. Dawson in dem Augenblicke bei der Kranken waren. Der Herr Graf legte mir viele Fragen in Bezug auf die Behandlung und die Symptome vor. Ich sagte ihm, daß die Behandlung die sei, welche man mit dem Ausdrucke »salinisch« bezeichne, und daß die Symptome zwischen den Fieberanfällen allerdings auf eine zunehmende Schwäche und Erschöpfung hindeuteten. Gerade, als ich dieses letzten Umstandes erwähnte, trat Mr. Dawson aus dem Schlafzimmer.

»Guten Morgen, Sir,« sagte Se. Gnaden, indem er höchst leutselig auf den Doctor zuging und ihm mit einer vornehmen Entschlossenheit den Weg vertrat, die vollkommen unwiderstehlich war. »Ich fürchte sehr, daß Sie noch immer keine Besserung in den Symptomen gefunden haben?«

»Ich finde im Gegentheil eine entschiedene Besserung,« sagte Mr. Dawson.

»Sie bestehen also noch immer auf Schwächung in diesem Fieberanfalle?« fuhr Se. Gnaden fort.

»Ich bestehe auf einer Behandlung, welche ich durch Berufserfahrungen gerechtfertiget finde,« sagte Mr. Dawson.

»Erlauben Sie mir eine Frage in Bezug auf den umfassenden Gegenstand von Berufserfahrungen,« sagte der Graf. »Ich unterstehe mich nicht, Ihnen Rath anzubieten – nur, eine Frage an Sie zu richten. Sie leben in einiger Entfernung, Sir, von den gigantischen Mittelpunkten wissenschaftlicher Thätigkeit: von London und Paris. Haben Sie nicht davon gehört, daß man die schwächende Wirkung des Fiebers dadurch wieder gut zu machen sucht, daß man den erschöpften Patienten durch Rum, Wein, Ammonium oder Chinin stärkt? Ist diese neue Ketzerei der höchsten medicinischen Autoritäten je bis zu Ihren Ohren gedrungen oder nicht?«

»Sobald ein practischer Arzt mir diese Frage vorlegt, werde ich das Vergnügen haben, ihm dieselbe zu beantworten,« sagte der Doctor, indem er die Thür öffnete, um hinaus zu gehen. »Sie sind kein practischer Arzt und werden mich entschuldigen, wenn ich  Ihnen nicht darauf antworte.«

Indem der Graf diesen unverzeihlich unhöflichen Streich auf den einen Backen hinnahm, hielt er augenblicklich als echter Christ auch den zweiten hin und sagte mit aller Freundlichkeit: »Guten Morgen, Mr. Dawson.«

Wenn mein lieber verstorbener Mann das Glück gehabt hätte, Se. Gnaden zu kennen, wie sehr würden er und der Herr Graf einander da geachtet haben!

Ihro Gnaden die Frau Gräfin kehrte an demselben Abende mit demselben Zuge wieder zurück und brachte die Krankenwärterin aus London mit. Man sagte mir, daß der Name dieser Person Mrs. Rubelle sei. Ihr Aussehen und ihr unvollkommenes Englisch belehrten mich, daß sie eine Ausländerin sei.

Ich habe mich stets bemüht, eine menschenfreundliche Nachsicht für Ausländer zu fühlen. Sie besitzen nicht unsere Segnungen und Vortheile und sind meistens in den blinden Irrthümern des Papstthumes aufgewachsen. Es ist außerdem stets mein Grundsatz und meine Gewohnheit gewesen, wie es auch meines lieben Mannes Grundsatz und Gewohnheit war (siehe Predigt XXIX in der Sammlung Sr. Ehrwürden weiland Samuel Michelson’s, Dr. ph.), Andere so zu behandeln, wie ich von ihnen behandelt zu werden wünsche. Deshalb erwähne ich hier Nichts darüber, daß Mrs. Rubelle mir als eine kleine, steife, listige Person von ungefähr funfzig Jahren auffiel, mit einer dunkeln, braunen oder creolische Hautfarbe und wachsamen, hellgrauen Augen, noch daß ihr Anzug, obgleich derselbe aus der einfachsten schwarzen Seide bestand, für eine Person in ihrer Stellung von unpassend schwerem Stoffe und mit unnöthig geschmackvollem Besatze verziert war. Ich möchte nicht, daß so Etwas von mir gesagt würde, und es ist daher meine Pflicht, es auch nicht von Mrs. Rubelle zu sagen. Ich will blos erwähnen, daß ihr Wesen – wenn nicht gerade unangenehm steif – aber doch auffallend ruhig und zurückhaltend war; daß sie viel umherblickte und sehr wenig sprach, was natürlich ebenso sehr die Folge ihrer Bescheidenheit, als des Mißtrauens gegen ihre Stellung in Blackwater Park sein mochte; und daß sie das Abendessen ausschlug (was vielleicht sonderbar war, aber doch nicht verdächtig?), obgleich ich selbst sie mit der größten Höflichkeit einlud, dieses Mahl in meinem Zimmer mit mir zu theilen.

Auf des Grafen besonderen Wunsch (und dies war wieder Sr. Gnaden Versöhnlichkeit so ähnlich!) wurde bestimmt, daß Mrs. Rubelle ihre Pflichten nicht eher beginnen solle, als bis der Arzt sie am nächsten Morgen gesehen und seine Zustimmung gegeben habe. Ich wachte diese Nacht. Lady Glyde schien sehr dagegen, daß die neue Wärterin zu Miß Halcombe gelassen würde. Ein solcher Mangel an Rücksicht gegen eine Fremde von Seiten einer Dame ihrer Erziehung und feinen Bildung überraschte mich. Ich wagte die Bemerkung: »Mylady, wir sollten nicht voreilig in unserm Urtheile über untergeordnete Personen sein – namentlich, wenn dieselben aus fremdem Lande kommen.« Lady Glyde schien nicht auf mich zu achten. Sie seufzte blos und küßte Miß Halcombe’s Hand, welche auf der Bettdecke ruhte. Kein sehr vernünftiges Benehmen in einer Krankenstube und mit einer Patientin, die man so wenig als möglich aufregen sollte. Aber die arme Lady Glyde verstand Nichts vom Krankenpflegen – durchaus gar Nichts, wie ich zu meinem Bedauern gestehen muß.

Am folgenden Morgen wurde Mrs. Rubelle in das Wohnzimmer geschickt, um von dem Arzte in Augenschein genommen zu werden, wenn er durch dasselbe in Miß Halcombe’s Schlafzimmer gehen würde. Ich ließ Lady Glyde bei Miß Halcombe, welche in diesem Augenblicke in sanftem Schlummer lag, und ging zu Mrs. Rubelle, damit sie sich in Bezug auf die Ungewißheit ihrer Lage nicht fremd und ängstlich fühlen möge. Sie schien es jedoch nicht in diesem Lichte zu sehen. Sie schien schon vorher vollkommen überzeugt, daß Mr. Dawson ihre Dienste annehmen – werde, und setzte sich ruhig ans Fenster, wo sie sich allem Anscheine nach sehr an der frischen Landluft erquickte. Manche Leute hätten in diesem Benehmen vielleicht eine freche Sicherheit gesehen. Ich bitte jedoch zu bemerken, daß ich nicht so lieblos war und vielmehr einen ungewöhnlich starken Geist darin erkannte.

Anstatt daß der Arzt zu uns herauf kam, ließ man mich zum Arzte rufen. Mir erschien diese Veränderung der Dinge etwas sonderbar, aber Mrs. Rubelle schien vollkommen unberührt dadurch. Als ich sie verließ, saß sie noch immer ruhig am Fenster und erquickte sich schweigend an der Landluft.

Mr. Dawson erwartete mich allein im Frühstückszimmer.

»In Betreff dieser neuen Wärterin, Mrs. Michelson, …« sagte der Doctor.

»Ja, Sir?«

»… Höre ich, daß die Frau jenes dicken alten Ausländers, der sich fortwährend in meine Angelegenheiten mischt, sie mit aus London gebracht hat. Mrs. Michelson, der dicke alte Ausländer ist ein Quacksalber.«

Dies war sehr grob, und ich war natürlich entrüstet darüber.

»Wissen Sie, Sir,« sagte ich, »daß Sie von einem Edelmann sprechen?«

»Bah! Er ist nicht der erste Quacksalber, der einen Titel besessen hätte. Die bestehen aus lauter Grafen – zum Henker mit ihnen!«

 

»Er würde nicht der Freund von Sir Percival Glyde sein, Sir, wenn er nicht der höchsten Aristokratie – die englische natürlich ausgenommen – angehörte.«

»Schon gut, Mrs. Michelson, nennen Sie ihn, wie Sie wollen, und lassen Sie uns wieder auf die Wärterin zurückkommen. Ich habe bereits Einwendungen gegen sie gemacht.«

»Ohne sie gesehen zu haben, Sir?«

»Ja wohl; ohne sie gesehen zu haben. Sie mag sie beste Wärterin von der Welt sein, aber sie ist nicht die Wärterin meiner Wahl. Ich habe diese Einwendung gegen Sir Percival als den Herrn des Hauses gemacht. Aber er stimmt mir nicht bei. Er sagt, eine Wärterin meiner Wahl würde ebensogut eine Fremde aus London gewesen sein, und er meint, wir müßten’s mit der Frau versuchen, nachdem Lady Glyde’s Tante sich die Mühe genommen, sie aus London zu holen. Das ist eigentlich billig, und ich kann nicht wohl Nein sagen. Aber ich habe es zur Bedingung gemacht, daß sie augenblicklich fortgeschickt wird, sowie ich Ursache finde, unzufrieden mit ihr zu sein. Da dies ein Vorschlag ist, zu dem ich als ärztlicher Rathgeber berechtigt bin, so hat Sir Percival seine Einwilligung dazu gegeben. Jetzt, Mrs. Michelson, weiß ich, daß ich mich auf Sie verlassen kann, und ich fordere Sie deshalb auf, die Wärterin während der ersten paar Tage scharf zu beobachten und danach zu sehen, daß sie Miß Halcombe keine Medicin giebt, die ich nicht verordnet habe. Dieser ausländische Edelmann, für den Sie solche Bewunderung hegen, stirbt vor Sehnsucht, seine Quacksalbereien (unter andern auch den Magnetismus) an meiner Patientin zu versuchen, und eine Wärterin, die seine Frau hergebracht hat, mag nur zu bereit sein, ihm zu helfen. Verstehen Sie mich? Gut, dann können wir hinauf gehen. Ist die Wärterin da? Ich will mit ihr sprechen, ehe sie ins Krankenzimmer geht.«

Wir fanden Mrs. Rubelle noch an derselben Stelle, wo ich sie verlassen. Als ich sie dem Arzte vorstellte, schien sie weder durch seine zweifelhaften Blicke, noch durch seine scharfen Fragen im Geringsten verlegen zu werden. Sie antwortete ihm mit großer Ruhe in gebrochenem Englisch, und obgleich er Alles that, um sie verwirrt zu machen, verrieth sie soweit doch nicht die kleinste Unwissenheit über ihre Pflichten. Dies war ohne Zweifel eine Folge von Geistesstärke, und durchaus nicht von frecher Sicherheit, wie ich schon vorhin bemerkte.

Wir gingen Alle ins Schlafzimmer. Mrs. Rubelle blickte die Kranke sehr aufmerksam an; verbeugte sich gegen Lady Glyde, ordnete ein paar Gegenstände im Zimmer und nahm dann ruhig in einem Winkel Platz, bis man ihrer bedürfen würde. Mylady schien erschrocken und verdrießlich über das Eintreten der fremden Wärterin. Niemand sprach aus Besorgniß, Miß Halcombe, die noch immer schlummerte, aufzuwecken – ausgenommen der Doctor, der sich flüsternd erkundigte, wie sie die Nacht zugebracht habe. Ich antwortete leise, »ziemlich wie gewöhnlich,« worauf Mr. Dawson hinausging. Lady Glyde folgte ihm, vermuthlich um mit ihm über Mrs. Rubelle zu sprechen. Was mich betraf, so war ich bereits mit mir darüber einig geworden, daß diese ruhige fremde Person ihre Stelle behaupten werde. Sie nahm sich ersichtlich sehr zusammen und verstand jedenfalls ihr Geschäft. Bis dahin hätte ich selbst kaum bessere Dienste am Bette leisten können.

Indem ich mich der mir von Mr. Dawson gegebenen Warnung erinnerte, beobachtete ich Mrs. Rubelle während der ersten drei bis vier Tage in gewissen Zwischenräumen sehr scharf. Ich trat zu wiederholten Malen leise und plötzlich ins Zimmer, ertappte sie aber nie bei irgend einer verdächtigen Handlung. Lady Glyde, welche sie ebenso aufmerksam beobachtete, wie ich, wurde ebenfalls nie Etwas gewahr. Ich bemerkte nie, daß die Medicinflaschen vertauscht waren; ich sah Mrs. Rubelle nie ein Wort zu dem Grafen sprechen, noch den Grafen zu ihr. Sie behandelte Miß Halcombe unbestritten mit Sorgfalt und Umsicht. Die arme Dame schwankte zwischen einer Art schläfriger Erschöpfung, die halb Ohnmacht und halb Schlummer war, und Anfällen von Fieber hin und her, die mehr oder weniger von Geistesverwirrung begleitet waren. Mrs. Rubelle störte sie in ersterem Zustande niemals, noch erschreckte sie dieselbe in letzterem, indem sie zu plötzlich in ihrer Eigenschaft als Fremde ans Bett getreten wäre. Ehre dem Ehre gebühret (sei es nun ein Engländer oder ein Ausländer) – ich muß Mrs. Rubelle mein unparteiisches Lob geben. Sie war außerordentlich wenig mittheilsam über sich selbst und auf eine zu entschiedene Weise unabhängig von dem Rathe erfahrener Leute, welche die Pflichten eines Krankenzimmers kannten – aber sie war dessenungeachtet eine gute Krankenwärterin, und niemals fanden weder Lady Glyde noch Mr. Dawson den Schatten einer Ursache, unzufrieden mit ihr zu sein.

Der nächste Umstand von Wichtigkeit, welcher sich im Hause ereignete, war eine kurze Abwesenheit des Grafen, der in Geschäften nach London gerufen wurde. Er reiste am vierten Tage (glaube ich) nach Mrs. Rubelle’s Ankunft ab und sprach beim Abschiede sehr ernstliche Worte zu Lady Glyde in Rücksicht auf Miß Halcombe.

»Vertrauen Sie Mr. Dawson noch ein paar Tage länger, wenn Sie wollen,« sagte er. »Falls sich aber dann noch keine Besserung spüren läßt, da lassen Sie sofort geschickten ärztlichen Beistand aus London kommen, den dieser Maulesel von einem Doctor annehmen muß, ob er nun will oder nicht. Beleidigen Sie Mr. Dawson und retten Sie Miß Halcombe. Ich sage dies im Ernste, auf mein Ehrenwort und aus dem Grunde meines Herzens·«

Se. Gnaden sprach mit tiefem Gefühle und großer Güte. Die Nerven der armen Lady Glyde waren in dem Grade erschüttert, daß sie ganz erschrocken vor ihm schien. Sie zitterte am ganzen Körper und ließ ihn gehen, ohne ein einziges Wort zu erwidern. Sie wandte sich zu mir, als er fort war, und sagte: »O, Mrs. Michelson, mir bricht das Herz um meine Schwester, und ich habe keinen Freund, mit dem ich mich berathen könnte. Glauben Sie, daß Mr. Dawson sich täuscht? Er sagte mir heute Morgen selbst, es sei keine Gefahr mehr da und keine Nothwendigkeit, ferneren Rath herbeizurufen.«

»Mit aller Achtung vor Mr. Dawson,« sagte ich, »würde ich doch an Ew. Gnaden Stelle nicht des Herrn Grafen Rath vergessen.«

Lady Glyde wandte sich plötzlich und mit einem Ausdrucke der Verzweiflung von mir ab, den ich mir nicht zu erklären vermochte.

»Seinen Rath!« sagte sie zu sich selbst. »Gott helfe uns – seinen Rath!«

Der Graf blieb, soviel ich mich entsinne, wohl beinah eine Woche von Blackwater Park abwesend.

Sir Percival schien in manchen Beziehungen den Verlust seines Freundes zu empfinden, und auch, wie mir schien, sehr gedrückt und verstimmt zu sein über die Krankheit und Sorge im Hause. Zuweilen war er so unruhig, daß ich nicht umhin konnte, es zu bemerken; er kam und ging und wanderte dann fortwährend in den Anlagen umher. Seine Erkundigungen nach Miß Halcombe und seiner Gemahlin (deren schwankende Gesundheit ihm aufrichtige Besorgniß zu verursachen schien) waren unausgesetzt. Ich glaube, sein Herz war sehr erweicht. Wäre ein geistlicher Freund – etwa ein solcher, wie Sir Percival ihn in meinem verstorbenen, vortrefflichen Manne gefunden haben würde – um diese Zeit um ihn gewesen, so hätte dies erfreulichen moralischen Einfluß auf Sir Percival üben müssen. Ich täusche mich selten in einem Punkte dieser Art, da ich in meinen glücklichen Tagen des Ehestandes Erfahrungen gemacht habe, die mich leiten.

Ihro Gnaden die Frau Gräfin, die jetzt die einzige Gesellschaft für Sir Percival unten war, vernachlässigte ihn einigermaßen, wie es mich dünkte. Oder vielleicht vernachlässigte er sie. Ein Fremder hätte fast vermuthen können, daß diese Beiden, jetzt, wo sie allein waren, einander förmlich auswichen. Dies konnte natürlich nicht der Fall sein. Aber dennoch machte es sich so, daß die Gräfin stets das Gabelfrühstück zu ihrem Diner machte und gegen Abend hinauf kam, obgleich Mrs. Rubelle ihr jetzt die Pflichten der Pflege ganz abgenommen hatte. Sir Percival speiste allein, und ich hörte William (den Bedienten in Civil) die Bemerkung machen, daß sein Herr nur halbe Rationen an Speise, aber doppelte an Wein zu sich nehme. Ich lege solchen impertinenten Bemerkungen von Bedienten keine Wichtigkeit bei. Ich verwies ihm dieselbe damals und wünsche hiermit zu verstehen zu geben, daß ich sie auch jetzt noch tadle.